Woanders – diesmal mit dem Gymnasium, Isa, Flattr und anderem

Nico Lumma über die fatale G8-G9-Diskussion in Hamburg.

Isa hat zu unserem Projekt “Was machen die da” ein Radiointerview gegeben.

Ein Artikel über Kempowskis “Plankton”, also über das Sammeln von Erinnerungen.

Ein langer und sehr erhellender Artikel über das bekannteste Buch, das es nicht gibt, das Necronomicon.

Der Spiegel über Alexander Posch und seinen Roman “Sie nennen es Nichtstun”. Der Herr tritt in dieser Woche bei unserer Lesung auf und liest aus der “matt schimmernden Ästhetik des Scheiterns”. Man möchte sich irgendwie vorstellen, dass der Rezensent sich nach dieser Formulierung langsam eine Pfeife angezündet und zufrieden die Spiegelung seines Umrisses in der Terrassentür betrachtet hat.

Ein Artikel über die Ungleichheit in Hamburg. Es geht zum Beispiel um Kinder- und Hausärzte in ärmeren Stadtteilen, man könnte das aber noch wesentlich weiter ausführen, bis hin zur Pflege der öffentlichen Grünstreifen. Das fand ich bei meinen Wanderungen durch Hamburg ungeahnt beeindruckend, wie sehr das Stadtbild hier mit den Einkommen korreliert, auch da, wo es also gar nicht um Privateinkommen geht, sondern um den Einsatz von Steuergeldern. Man könnte das auch sehr schön an U-Bahn-Haltestellen aufzeigen, wie egal der Stadt gewisse Gegenden sind.

 

 

Eine kleine Modegeschichte des Herrn B.

Zuerst war Mode ganz egal. Egal im Sinne von völlig egal, man trug irgendwas, das hat die Mutter hingelegt, es hat selten interessiert, was das genau war. Einige Sachen waren kuscheliger als andere, es gab immerhin Nickis und grässliches Wollzeug, aber die Optik war wurscht. Einiges war selbstgemacht, vieles war selbstgeflickt, schon oft gestopft und sowieso vererbt. Wenn man ganz großes Pech hatte, dann bekam man Kleidung als Geschenk zum Geburtstag oder zu Weihnachten. Schlimmer konnte es kaum kommen. Kleidung statt Spielzeug. Das war schlimm. Was die anderen trugen, hat mich auch nicht interessiert. Vieles war aus knisternden Kunststoffen, die Kleider der Damen waren wilder geblümt als jede Frühlingswiese, die Hemden der Männer waren noch gestärkt und saßen wie Rüstungen. Im Winter konnte man an den Pelzmänteln der Damen noch die Einkommen der Herren ablesen. Das waren die Siebziger.

Dann war die Mode nicht mehr egal, sondern peinlich. Nicht die aktuelle, natürlich nicht, aber die vergangene, die der Siebziger. Die war – das kann man gar nicht mehr ausdrücken, wie peinlich die uns war, da konnte man sich nur schütteln. Das musste durchbrochen werden, jeder Look, jedes einzelne Designelement aus dem vergangenen Jahrzehnt musste sterben und gegen einen cooleren, neuen Style getauscht werden. An der falschen Kragenlänge konnte man zweifelsfrei erkennen, wer ein kompletter Vollidiot war. Der Wahrheitsfindung dienten uns die Läden von Jean Pascale oder Fiorucchi und die MTV-Videos. Zum ersten Mal brauchte man Geld für Kleidung. Und zwar dringend und viel. Wir erschufen eine neue Welt, sie war strahlend schön – wie wir auch – und sie war ein Sinnbild für die bessere Zukunft, die wir zweifelsfrei noch vor uns hatten. Heute blickt man schaudernd auf die grotesken Modepeinlichkeiten der Achtziger zurück und versteckt die Bilder mit den hochgeföhnten Frisuren und den Schulterpolstern vor den Kindern. Heute weiß man aber auch nicht mehr recht, welches Jahrzehnt eigentlich peinlicher war, die Siebziger oder die Achtziger.

Dann habe ich Anzug getragen, das war eine einfache Angelegenheit und Mode mir dann doch wieder egal. Ich besaß gar keine Jeans mehr, aber drei gleiche Anzüge und eine Reihe weißer Hemden, der Filmfreund denkt sofort an eine Kleiderschrankszene aus Neuneinhalb Wochen, und zwar berechtigt. Auch wenn der Film aus den Achtzigern war. Die Jugend um mich herum hörte etwas, das Grunge hieß und mir nichts mehr sagte, gut angezogen waren die natürlich auch nicht. Eher ganz im Gegenteil. Meine Frau war älter als ich, ich orientierte mich modisch an gestandenen Herren aus dem Management, da wollte ich hin. Das waren die Neunziger.

Dann kam die Herzdame, die ist jünger als ich. Ich trug dann doch wieder einmal eine Jeans, ich kaufte mir Hoodies und Sneaker, kannte plötzlich wieder Studenten. Ich trug aber meistens doch weiter Anzug und fast nur schwarze Sachen, es war so schön einfach. Ziehste irgendwas an, passt immer alles zusammen. Was das an Zeit spart! Das waren die Nuller.

Dann kamen die Kinder und ich hatte keine Zeit mehr, mich um meine Kleidung zu kümmern. Sie war okay, wenn nicht zu viel Milchkotze- oder Obstbreiflecken drauf waren. Ich war der Papa, der mit Anzug im Sandkasten saß, das war mir auch egal. Das war die erste Hälfte des laufenden Jahrzehnts. Na, so ungefähr jedenfalls.

Ich habe im letzten Jahr einmal für Annette Rufeger fotografiert und sie gerade einmal für “Was machen die da” besucht, beide Male fand ich ihren Beruf faszinierend. Weil mich Mode nie fasziniert hat. Also nicht richtig. Ich kannte mich nie gründlich aus, ich habe mir nie wirklich ausführlich Gedanken über meinen Look gemacht. Ich habe nie nach Kleidung gesucht, sondern immer das Naheliegende gekauft. Aber Mode hätte mich immer interessieren können. Das ist so eines der Themen, die einen ab und zu mal anlächeln, dann flirtet man etwas damit herum, dann sagt man doch wieder nein. Mode – irgendwie reizvoll, aber wer hat dazu Zeit. Aber solche Gespräche mit Menschen aus der Modebranche führen dann doch dazu, dass man sich fragt, was man eigentlich trägt und warum. Und ob das überhaupt so richtig ist. Oder ob es auch auch ganz anders ginge?

Da denkt man etwas herum, was findet man denn überhaupt schön, wer zieht sich eigentlich gut an und wo bekommt er die Sachen her. Man bekommt doch irgendwie ein wenig Lust, sich “gute” Kleidung zu kaufen, wenn man mit solchen Menschen spricht, die sie leidenschaftlich gerne herstellen. Dann macht man aber doch den Kleiderschrank wieder zu und murmelt leise “na ja”.

“Männer sind beim Shoppen scheue Rehe” sagte Annette Rufeger in unserem Interview und das stimmt, was mich betrifft. Ich hasse es, in Läden von Personal angesprochen zu werden, alleine die Möglichkeit ist ein guter Grund, Läden gar nicht erst zu betreten. Und ich mag es nicht, neue Sachen zu tragen, ich finde neue Sachen ganz furchtbar. Angeblich haben englische Gentleman früher ihre neuen Anzüge durch die Butler eintragen lassen, damit sie nicht mehr so peinlich neu aussahen, ich verstehe das. Kleidung online bestellen und in menschenleeren Gegenden heimlich eintragen, das wäre meine Option. Ist das eine Option?

Aber, warum auch immer, Mode wird anscheinend in diesem Jahrzehnt doch ein klein wenig interessanter für mich, und sei es nur als Negativmotivation. Ich finde es zum Beispiel mittlerweile fast unerträglich, in einer dieser Outdoorjacken herumzulaufen, die langsam deutsche Einheitskleidung geworden sind. Ich mache das aber, ich habe ja nichts anderes. Ich muss erst noch etwas finden, was anders ist, aber nicht zu anders. Ich möchte gerne ein wenig anders sein – aber auch nicht herumlaufen und schreien “Guckt mal! Ich bin anders! Und besser!” Ich finde das sehr kompliziert.

Aber spannend ist es, auf solche Themen gestoßen zu werden. Themen, mit denen ich es mir ein Leben lang ziemlich leicht gemacht habe. Das ist eine der amüsanteren Folgen des neuen Projektes, dass ich morgens etwas länger vor dem Kleiderschrank stehe und mich frage, was ich eigentlich warum anziehe. Finde ich gut.

 

Begeisterung

Man kommt zu nix. Da muss es erst Ostern werden, bevor ich zu den Texten komme, die schon seit Tagen, ach was, seit Wochen, überfällig sind. Denn die Sache mit “Was machen die da” sollte natürlich auch in diesem Blog ein wenig begleitet werden. Drüben erscheinen die Originaltexte unserer Interviewpartnerinnen, hier ist noch Raum für Notizen, wie außerordentlich praktisch.

Und Notizen mache ich mir schon, im Geiste. Denn die Menschen, die wir da befragen, haben lebhaftes Interesse an Themen, die mich vielleicht gar nicht interessieren, das ist doch interessant. Also ich finde das jedenfalls interessant. Da hat also die Begeisterungsfähigkeit von jemandem eine andere Abbiegung als bei mir genommen. Vielleicht an einer Stelle, an der ich auch irgendwann hätte abbiegen können, kann ja sein – und kann man mal drüber nachdenken. Warum ist dies oder das in meinem Leben kein Thema, warum war jenes nur kurz eines und könnte das da wohl noch eines werden? Warum eigentlich nicht?

Es gibt die gelebten Begeisterungen, deswegen schreibe ich zum Beispiel. Ich schreibe fast immer, ich habe fast immer Spaß daran, ich würde auch schreiben, wenn es nicht mein Beruf wäre, das kann man gelten lassen. Es gibt die fast gleichrangigen Begeisterungen, die nur etwas nachhängen. Die hat man vielleicht nicht zu Geld machen können, die bekommen ein klein wenig weniger Zeit ab, werden etwas weniger scheckheftgepflegt, deswegen fotografiere ich. Ich fotografiere wirklich gerne, aber nicht den ganzen Tag. Da würde das Schreiben dann fehlen, das muss man austarieren. Ich würde auch gerne wieder zeichnen, aber ich schaffe es nicht, die Tage reichen einfach nicht aus.

Das Zeichnen ist so eine dieser Reservebegeisterungen, die auf Anstöße reagieren, die in Warteschleifen herumdrehen und geweckt werden können. Deswegen lese ich auch fast keine Sachbücher über Geschichte mehr. Weil, das habe ich irgendwann schon einmal länger ausgeführt, ein Buch zum anderen Buch führt und zack, ist man Experte für das Landleben der unteren Schichten in Nordostwestfalen im 19. Jahrhundert. Aber will man das? Hat man die Zeit dafür? Man kann einfach nicht jede Begeisterung leben, es gibt auch solche, die man bremsen muss. Wenn der Zeitmangel sie nicht sowieso bremst.

Meine erste Frau war frankreichbegeistert, in einem seltsamen Ausmaß sogar. Sie hat die Sprache gelernt wie besessen, mit einer geradezu religiösen Verehrung jeder Silbe, das war wirklich beeindruckend. Jeder Urlaub ging nach Frankreich, bei uns lief französisches Fernsehen und französisches Radio, wir hörten französische Musik. Ich habe mich da damals gerne anstecken lassen, obwohl ich eher dem Englischen zuneigte. Ich war natürlich nie auf ihrem Niveau, aber ich kann noch heute mehr Französisch verstehen, als ich ohne die gemeinsame Zeit mit ihr je gelernt hätte, das gefällt mir auch noch heute.  Aber nach dem Ende der Ehe war ich nie wieder in Frankreich, habe ich nie wieder französisches Fernsehen gesehen. Begeisterungen kommen und gehen, wehen einen an, wehen weg.

Begeisterung ist das, was wir alle erstreben. Niemand nimmt sich als Kind vor, einen mittellangweiligen Beruf zu erlernen, um ein gut aushaltbares Leben bei mäßigem Einkommen und überschaubar geregeltem Essen zu führen. Jeder strebt das an, was begeistert. Wir landen dann vielleicht doch in dem mittellangweiligen Beruf, aber wir suchen immer noch weiter, im Alltag, im Beruf, in der Freizeit, auf Reisen, in der Liebe, im Bett.

Isa und ich haben, fast hätte man es erwarten können, schon Vorwürfe gehört, die gemeinsame Klammer bei “Was machen die da”, die Begeisterung, sei nicht intellektuell genug. So etwas tauge nicht als verbindendes Element, Begeisterung sei einfach zu flach. Da klingt vielleicht ein wenig die Annahme mit, dass der Mensch, der sich begeistert, die Kritikfähigkeit verliert und dümmlich klatschend sowie selig grinsend vor dem jeweiligen Fetisch seiner Freude hockt.

Statthaft ist dann nur das schlechtgelaunte Durchdringen aller Materie, da kreist der Dr. Faust im Studierzimmer und flucht vor sich hin, nicht wahr, das ist kulturgeschichtlich gut belegt. Und die Menschen, die wir drüben interviewen, die sagen aber alle, da kann man ruhig bei Faust bleiben, die sagen alle zu ihrem Job, zu ihrem Hobby, wie auch immer: “Verweile doch, du bist so schön.”  Und dann holt sie gar nicht der Teufel. Nanu!

Ich finde, das wollte ich nur kurz sagen, Begeisterung ist eine erstaunliche Regung der menschlichen  Seele, hochinteressant und sehr bewegend. Ich finde, sie ist eine brauchbare Klammer für so eine Interview-Reihe. Wie kann man sich denn bloß für das Sammeln von irgendwelchem Zeug begeistern? Für ein Handwerk? Für seltsame Kunst, für die Arbeit mit sozial schwachen Menschen, für Kaffee? Spinnen die alle? Ja, natürlich tun sie das. Und ist es nicht schön?

Mich begeistert das. Isa hat in dieser Richtung auch mal was geschrieben, guck an.

So viel vorweg. Morgen dann endlich zur Mode. Oder übermorgen. Oder so.

 

Kurz und klein

Kurz vor Ostern

Sohn I: “Ostern ist eigentlich kein so schönes Fest. Ich meine, mit Jesus und dem Kreuz und so. Der wurde da ja angenagelt.”

Sohn II: “Oder geschraubt.”

Sohn I: “Äh, nein… der wurde ans Kreuz genagelt. Haben sie in der Kita erzählt.”

Sohn II: “Wenn man schraubt, dann hält das aber besser.”

 

Woanders – diesmal mit Fabian, Siri, Dieter Meier und anderem

Erich Kästners Roman Fabian erscheint endlich in der Originalfassung und das liest sich in der Besprechung so, als müsste man das gleich mal kaufen.

Siri in der Partnerschaft. Faszinierend.  Gleich ausprobiert, da ist es natürlich praktisch, wenn einen die Kollegen eh schon lange für meschugge halten. Das macht es viel einfacher.

Dieter Meier hat ein Soloalbum, klingt interessant.

Isa hat Thomas Pletzinger und Tobias Schnettler zur Übersetzung von Graphic Novels interviewt.

Bilder: Frauen mit Haaren an Stellen, wo heute üblicherweise bei Frauen keine Haare mehr sind. Interessant, wie absurd einem das mittlerweile erscheint, dort behaart zu sein. In meiner Kindheit liefen noch alle so herum, das war ganz normal. Das muss aber schon sehr, sehr lange her sein. Keine Angst, das sind keine pornösen Bilder.

 

Kinderfrei

Ich war mit der Herzdame aus. Und weil wir ein kinderfreies Wochenende hatten, waren wir in einem besseren Restaurant. Wir dachten, ohne Kinder passt das. Kerzenlicht, Klavierspieler, so in der Richtung. Das war ungewohnt, als wir uns an den Tisch gesetzt hatten, mussten wir nicht pausenlos irgendwem Anweisungen geben, um schlimmste Desaster zu verhindern. Wir mussten keine seltsamen Fragen nach Dinosaurierarten oder Piratenwaffen beantworten, wir mussten nicht dauernd aufpassen, dass die Gläser nicht umkippen und wir mussten nicht darauf achten, was gerade von wem in die Kerze gehalten wird. Das war ganz entspannend. Und verblüffend langweilig. Wir haben uns angesehen, Händchen gehalten und Konversation gemacht, man ist so etwas als Elternpaar gar nicht mehr gewohnt.

Dann kam die Vorspeise, ein winziges Etwas, ein verquirlter Geschmackswirbel. Sehr hübsch. Dann kam der zweite Gang, ein Süppchen. Das Süppchen füllte zwei Löffelchen, dann war es weg. Dritter Gang, ein Hauch von Fleisch an einem Gemüsegel, ja, da stand wirklich Gel auf der Karte. Und zum Nachtisch ein kleiner Joghurtscherz. Das war wohlschmeckend und bestens zubereitet, keine Frage. Ehre, wem Ehre gebührt, der Koch konnte was.

Aber wir haben doch gemerkt, was man eigentlich machen muss, wenn man ohne Kinder ausgeht. Man ist dann völlig falsch in einem feinen Restaurant. Man sollte lieber auf seine Vorbildfunktion pfeifen, in den nächsten Imbiss gehen und alles in rauen Mengen verdrücken, was man den Kindern sonst dauernd als ungesund verbietet. Man sollte beim Essen die ganze Zeit lesen, die Ellenbogen auf dem Tisch haben und wild mit dem Stuhl kippeln. Das wäre erst der wahre Genuss der Freiheit. Einfach hemmungslos sündigen. Und danach natürlich: Schokolade satt. Gleich tafelweise. Ein Traum.

Na, nächstes Mal.

 Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung

Zwei, drei Anmerkungen zur TEDx Hamburg

Es gibt Texte, vor denen man etwas ratlos sitzt. Und gar nicht einmal, weil das Thema zu schwer oder zu unbequem wäre. Oder weil einem nichts einfallen würde. Sondern einfach nur, weil jemand schon alles geschrieben hat. Das war in diesem Fall Isa, die ansonsten nicht gerade zum Early Bird neigt, aber jedem seine Chance, man muss auch gönnen können, schon klar.

In ihrem Artikel stehen jedenfalls etwa 99% dessen, was ich auch geschrieben hätte, wenn sie sich nicht vorgedrängelt hätte, weswegen ich da nur noch einige Ergänzungen hinterher werfe.

Da ist zum einen die Sache mit dem WLAN und da könnte ich mich immer noch aufregen. Ich finde es wirklich nicht mehr lustig, dass es keine Veranstaltung dieser Art mit funktionierendem WLAN zu geben scheint, das kann doch nicht mehr wahr sein? Was erlauben Saaltechnik? Ist das denn wirklich unmöglich? Sie dürfen jetzt im Chor “Wir fliegen doch auch zum Mars…” murmeln. Ich begreife es nicht. Man macht eine Veranstaltung mit Vorträgen, in denen es zu nicht gerade geringen Anteilen auch um moderne Technik geht, man betreibt einen immensen Aufwand, um diese Veranstaltung angemessen modern zu inszenieren, man lädt Blogger und Twitterer ein, die diese tollen neuen Kommunikationstechniken lieben – und dann gehen alle in einen Saal, in dem genau diese Technik nicht funktioniert. Kein WLAN, kein Internet. Kein Twitter, kein Facebook. Wir hätten Zettelchen mit Botschaften herumreichen können, wie damals in der zehnten Klasse, ganz großer Retro-Spaß. Da sitzt die ganze hippe Meute der willigen Veränderer kollektiv zusammen und redet über ziemlich abgefahrene Dinge und Lösungen. Aber die Basics, die Basics. Herrje.

Dann der Saal. Es wäre vielen Menschen in Hamburg gedient, wenn man den kleinen Saal der Laeisz-Halle einfach ein Schild schrauben würde: Für Veranstaltungen über zwei Stunden Länge verboten. Dann würden solche Veranstaltungen vielleicht künftig in vernünftig belüfteten Gebäuden stattfinden.

Dann der “style”. Als etwa der Chef von change.org sprach, hatte ich nach den ersten zehn Minuten, als er etwa hundertmal die Begriffe “love”, “passion” und “awesome” erwähnt, rührende Bilder gezeigt und mit bebender Unterlippe an sein Herz gefasst hat, das dringende Bedürfnis, ihn kurz zu unterbrechen und zu fragen: “Haben sie vielleicht auch etwas in Excel dabei?” Vermutlich bin ich einfach zu norddeutsch für so etwas. Ich habe gar nichts gegen ein wenig Pathos, aber eine Überdosis davon ist dann doch furchtbar. Leider greift aber dieser Style, der dem TEDx-Format natürlich im Kern innewohnt, auf etliche der Beteiligten über, so dass auch die Veranstalter und nicht wenige der Gäste so reden. Alles voller love, alles awesome, alles oh so great and wonderful and inspiring, oh so inspiring. Zucker mit Honig auf Nutella an Sahne, wie bei einer Teambuildingmaßnahme in einem Großkonzern mit durchgeknallten Animateuren.

Ich werde mit dem Format also nicht recht warm, es ist aber dennoch immer auch interessant. Man lernt ohne Zweifel etwas, sei es über den Mobilmarkt in Afrika, sei es über Petitionsplattformen, über Techniken des Widerstands in totalitären Systemen, über Hilfsmittel für Blinde. Themen, mit denen man gar nicht rechnet – und das ist auch gut so. Der Überraschnungseffekt ist wirklich ein Vorteil der TEDx, man weiß zwar in etwa, was einen erwartet, lässt sich dann aber doch von den Details überraschen, nicht selten positiv. Wobei, das kann man auch nicht übersehen, die Gästeschar natürlich nur aus den üblichen Verdächtigen besteht. Das sind die Interessierten, die Aufgeschlossenen, die Hipster, die Webjunkies, die Start-Upper und so weiter. Eine Szene, die zusammengehört. Das hat mit dem Titel der Veranstaltung “Urban Connectors” nichts zu tun, hier verbindet sich im Publikum erst einmal gar nichts, die sind nämlich alle schon verbunden. Da kommen keine verschiedenen Zielgruppen zusammen, da mischt sich nichts, da wird nichts connected, das ist gar nicht so awesome.

Aber dennoch, es ist interessant. Man nimmt immer irgendwelche Anstöße mit, es sind immer Vortragende da, die Bewundernswertes leisten, die sensationelle Ideen hatten, man denkt hinterher immer, dass man selbst auch mehr machen könnte, müsste, wie auch immer.

In Hamburg gibt es seit ein paar Tagen neue Mülleimer. Die haben einen Deckel mit Solarzellen, aus denen gewinnen sie Energie, um den Inhalt zusammenzupressen. Dadurch passt jetzt etwa sechsmal mehr Müll in diese Mülleimer. Wenn sie voll sind, dann merken sie das und schicken automatisch eine Mail an die Stadtverwaltung und die schickt dann die Truppe los, die diese Mülleimer leert. Das ist ein schöner, eleganter, zeitgemäßer Prozess, das sieht man sich an und denkt: “Ja, das passt in die Zeit und in die Stadt, da hätte man auch früher drauf kommen können.” Und man kann sich sehr gut vorstellen, dass solche Ideen auf Veranstaltungen wie der TEDx geboren, befördert oder weitergesponnen werden. Die Mülleimer wären übrigens auch ein nettes Thema für einen Vortrag mit lokalem Bezug gewesen.

Die TEDx schafft schon eine Szenerie, in der solche Ideen viel möglicher scheinen, als sie es im Alltag vielleicht zunächst sind. Und das ist es ja allemal wert. Wenn jemand so eine Veranstaltung noch nicht erlebt hat – da verpasst man schon auch was.