Aus der Planungsphase

Während wir wie in jedem Jahr die Kindergeburtstage vorbereiten, als seien sie dem großen Herbst-Manöver der NATO vergleichbar, also zumindest vom Aufwand, nicht ganz vom Kostenfaktor und der Truppenstärke her, während wir also Gästelisten hin- und herdiskutieren, Geschenke besprechen, Kuchenrezepte nachlesen, Locations suchen und Einladungskarten basteln, bestehen die Söhne, ebenfalls wie in jedem Jahr, auf dem Programmpunkt Schnitzeljagd. Alles andere ist im Grunde egal, eine Schnitzeljagd muss es aber geben, da gibt es gar keinen Verhandlungsspielraum. Wobei wir uns in dieser Familie uneinig sind, was eine Schnitzeljagd eigentlich ist. Die Herzdame besteht darauf, dass so etwas in zwei Gruppen gemacht wird, eine läuft vor und legt die Spur, die andere rennt hinterher und sucht. Ich kenne es eher so, dass ein Erwachsener die Spur legt, mit eingestreuten Rätselaufgaben und dergleichen, und alle Kinder gemeinsam suchen, aber diskutieren Sie so etwas mal mit Nordostwestfalen, die in ihrer Kindheit alles so gemacht haben, wie es immer schon gemacht wurde, seit Anbeginn der Zeit. Ich finde es ja eher unpraktisch, mit sieben aufgeregten Siebenjährigen zu diskutieren, wohin die zu legende Spur denn mal führen könnte, und ich erkenne bei der Zweigruppenlösung auch eine zwingend notwendige Verdoppelung des Betreuungsschlüssels, die Herzdame findet es so aber viel unterhaltsamer.

Jedenfalls tendieren die Söhne wegen massiver Einflussnahme der Herzdame nun auch zur Zweigruppenlösung, eine Horde Kinder rennt also vor und legt eine Spur, wohin auch immer. Nach einer sportlichen Alsterrunde z.B. sind die Kinder sicher angenehm erschöpft, im Grunde ist das eine interessante Variante, danach ist die Party dann auch schon so gut wie vorbei. Aktuell wird hier erörtert, wie denn die Spur gelegt werden soll, ich berichte quasi live aus dem familiären Planungskommittee. So eine Spur kann man mit Kreide auf den Asphalt zeichnen, mit getrockneten Erbsen legen, mit Mehl, Sägespänen, Papierschnipseln, mit Zetteln, man kann da auf etliche Möglichkeiten kommen, die alle aber auch Nachteile haben. Erbsen rollen weg, Papier weht weg, Mehl auch, Kreide geht bei Regen schon mal gar nicht und in Hamburg regnet es tatsächlich ab und zu. Klebt man Zettel irgendwo an, nehmen sie ordnungsliebende Nachbarn nach fünf Minuten wieder ab, das kennen wir schon, das haben wir bereits erlebt. Außerdem wohnen wir hier in einem kinderreichen Stadtteil, hier interessieren sich gleich alle möglichen Kinder für eine auffällige Spur, wer weiß, wer einem dann hinterher läuft? Kinderscharen, die man gar nicht kennt? Hameln reloaded? Oder wer die Spur ändert, verräumt, zerstört? Es ist kompliziert, wie alles. Mein bewusst pragmatischer Vorschlag, sich bei der Schnitzeljagd natürlicher Materialien zu bedienen, die im urbanen Umfeld reichlich vorkommen, wenig auffallen und doch leicht zu finden sind, also z.B. Hundekot zu dezenten Pfeilen auf dem Weg anzuordnen, stieß eben gerade rundweg auf Ablehnung.

Es ist überhaupt merkwürdig, manchmal habe ich das Gefühl, dass meine Meinung bei der Planung der Kinderpartys gar nicht wirklich gefragt ist. Aber ich bleibe dran.

 

Zwischendurch ein Dank

… an den Leser C.F. der den Jungs Peter Pan zum Vorlesen geschickt hat, den wir bis zu den beiden Geburtstagen noch ein paar Tage weglegen. Und dann vermutlich am Tag zwischen den beiden Geburtstagen übergeben, damit es für beide ist. Da hat dieser seltsame Tag doch endlich einmal einen Sinn. Auch schön!

Der Hof

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Was hier noch fehlt, ist der Hinweis auf den Ferienbauernhof, den wir auf Eiderstedt besucht haben. Da mehrere Leserinnen nachgefragt haben und das natürlich auch kein Geheimnis ist: Es handelte sich um den Ferienhof Reigardt in Tetenbüll. Da also hat man, wenn man die richtige Wohnung nimmt, die Schwalben im Zimmer, wobei die natürlich in Kürze wieder gen Afrika abreisen. Und da hat man auch, wenn man mit den anderen Kindern etwas Glück hat, den hier beschriebenen Bullerbü-Effekt.

Der Hof liegt etwas abseits der größeren Straßen, sehr ruhig, kaum Verkehr. Ganz im Gegensatz zu unserem Alltagserleben in Hamburg-Mitte sieht man hier übrigens kaum jemals SUVs, man sieht eher so etwas:

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Ringsum also nichts als Gegend, sogar unfassbar viel davon. Darüber der spezielle Eiderstedter Himmel, ich schrieb hier darüber.

Ich stelle gerade fest, dass ich kaum Bilder vom Hof gemacht habe, man hat eben auch als Blogger so seine Aussetzer, pardon. Wenn man vom Hof geht, kann man auf den Weiden ringsum Kühe oder Schafe sehen, auf Eiderstedt gibt es noch sehr viel Viehhaltung, die ziemlich idyllisch aussieht, geradezu bilderbuchkompatibel.

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Die Kühe gucken zurück – und wenn man stehen bleibt, dann gucken sie auch sehr lange und man kann mit ihnen ein wenig über die Weltlage sprechen. Kühe sind durchaus interessierte Zuhörer. Wenn man an ihnen vorbei joggt, gucken sie allerdings immer etwas fassungslos, Sport ist nicht so ihr Ding.

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Der Hof hat größtenteils auf Ferienwohnungen umgeschwenkt, wie so viele in der Gegend. Aber es gab doch etliche Pferde, sehr viele Schafe, zwei Schweine mit Ferkeln, viele Hühner, Katzen und Hasen, für die Kinder war das allemal Bauernhof genug. Wenn man im Frühjahr hinfährt, kann man dabei sein, wie der Chef des Hauses Schafen beim Lammen hilft, alleine das wäre auch schon einen Besuch wert. Die Kinder können dreimal in der Woche reiten, ansonsten laufen die Tiere bemerkenswert frei herum, das fanden wir ganz großartig.

Ein Hof ist keine Appartmentanlage, das ist immer noch ein Betrieb mit ziemlich viel Getier und sehr vielen Kindern, die marodierend durch die Ställe ziehen. Wer eine geleckte Anlage erwartet, in welcher der Zimmerservice das Frühstück auf dem Tablett bringt, der ist hier natürlich falsch. Wer die Kinder laufen lassen möchte und froh ist, sich irgendwo in einer Hofecke in Ruhe in einen Strandkorb verkrümeln zu können – der ist hier genau richtig. Man sitzt da sehr gut. Ab und zu kommt ein Huhn vorbei, guckt auf den Buchtitel und legt kritisch den Kopf schief. Oder ein Schwein geht grummelnd über den Hof und sieht schmatzend zu, wie eine Horde Kinder jungen Katzen hinterherrennt.

Die Wohnungen sind anständig ausgestattet und, da ist man bei Ferienwohnungen ja immer dankbar, nicht hässlich. Normaler Ikeastil, da ist man geschmacklich in Sicherheit. Wer öfter Ferienhäuser online sucht, der weiß, dass das für ein Segen ist. WLAN ist vorhanden, aber ziemlich schwachbrüstig. Für etwaigen Bilderupload braucht man also stabile Nerven, reines Lesen ist okay. Wer O2-Kunde ist, der hat ringsum und auf der ganzen Halbinsel allerdings verlässlich gar keinen Empfang, der ist auf das WLAN angewiesen.

Zum Einkaufen oder ans Meer muss man mit dem Auto, das geht auf Eiderstedt aber generell nicht anders, jedenfalls so lange die Kinder noch keine größeren Fahrradtouren machen können. Husum, Sankt Peter-Ording, Tönning, Friedrichsstadt kann man gut erreichen, ebenso die kleinen Badestellen abseits der großen Strände vor Sankt Peter-Ording. Ich blogge später noch eine kleine Liste mit Empfehlungen zum Aufenthalt auf Eiderstedt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass wir da noch einmal hinfahren, ist tatsächlich ziemlich hoch, im Grunde hat noch kein Urlaub so gut funktioniert wie dieser. Wenn Sie da auch einmal hinfahren – grüßen Sie Carola und Hansi Reigardt bitte von den Buddenbohms.

 

Was hilft

Es ist schon eine Weile her, ich komme nämlich wirklich zu gar nix, da bat mich das Nuf in diesem Artikel von ihr um eine Antwort auf mehrere Fragen. Mache ich morgen, dachte ich. Mache ich nächste Woche, dachte ich kurz darauf und mache ich bald, dachte ich dann in der Woche darauf. Wie das immer so geht.

Da sie mir aber heute noch einmal ein Stichwort an den Kopf geworfen hat, werde ich doch endlich einmal anfangen, die Fragen zu beantworten – und zwar einzeln. Die sind nämlich komplex und passen alle nicht gerade leicht in einen Satz. Ich beginne heute mit der Frage “Was hilft Dir in anstrengenden Zeiten?”

Die Frage wurde im Elternkontext gestellt, die bezieht sich also auf den familiären und beruflichen Gesamtstress, den man als Mutter oder Vater täglich erlebt. Sie nannte als Beispiel die Autonomiephase und den Schlafmangel, ich würde das aber gerne steigern, denn es braucht da keine Beispiele für Phasen. Es gibt, wenn man das einmal ehrlich betrachtet und den rosafarbenen Feenglitzerstaub aus den Elternblogs pustet, verblüffend wenig wirklich entspannte Eltern. Vielleicht ändert sich das noch mit älteren Kindern, mag sein, ich werde dann berichten. Aber fast alle Eltern, die ich kenne, haben einen Beruf und die Familie oder einen Beruf und ein zu groß geratenes Hobby. Oder sonstige Extraverpflichtungen. Oder auch einen Beruf und die dauernd nagende Sehnsucht nach einer weiteren Beschäftigung, sei es im Nähzimmer, am Klavier oder auf dem Fußballplatz, das sollte man auch nicht unterschätzen. Im Grunde haben berufstätige Eltern nie Zeit, sehr selten Ruhe, Muße schon gar nicht und Wellness ist ein Begriff aus dem Reisekatalog, mehr nicht. Wenn man zwei Kinder hat, dann haben diese sehr schnell jeweils zwei Nachmittagstermine in der Woche, wenn man selbst auch etwas macht und der Mann oder die Frau auch, dann hat man also ganz fix acht Termine in der Woche zu regeln, aus denen auch zwölf werden können, wenn man sich am Wochenende etwas vornimmt. Und wer macht das nicht.

Zwölf Termine, von denen vielleicht kein einziger zuhause stattfindet, wo es praktisch wäre, sondern in mehr oder weniger entlegenen Stadtteilen, Schwimmhallen, Schulen usw. Wenn Eltern über Termine reden oder versuchen, sich mit anderen Eltern zu verabreden, enden die Gespräche oft in hysterischem Gelächter und einem abschließenden Verweis auf das nächste Jahr, und das klingt jetzt nur nach Satire, das ist aber gar keine. Tatsächlich wacht man so gut wie nie auf und denkt: “Ach, heute mache ich mal irgendwas. Oder nichts. Mal sehen.” Was vermutlich ein guter und wohl auch gesunder Gedanke wäre. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern. Nein, man wacht auf und denkt: Wenn ich jetzt in einer halben Stunde dies schaffe, könnte das noch klappen, so dass dann hinterher jenes knapp funktionieren könnte… und immer so weiter. Na, und was hilft nun?

Mir hilft tatsächlich dieses Blog. Mir hilft auch Twitter, mir helfen auch Facebook und Instagram, mir helfen alle sozialen Medien, in denen ich Scherze machen kann. Ich glaube tatsächlich, dass sie mich schon mehr als einmal nervlich gerettet haben. Während viele diese Medien lediglich als Zusatzbelastung und Zeiträuber zu erleben scheinen, finde ich sie befreiend, erleichternd und entspannend. Weil ich versuche, die Pointen im Leben zu bemerken und zu teilen. Und ich versuche das nicht nur nebenbei, ich versuche das mit einiger Leidenschaft und Beharrlichkeit. Ich zerbreche mir den Kopf, wenn etwas nicht lustig ist, ich möchte unbedingt herausfinden, ob nicht doch etwas daran sein könnte, was unter einem bestimmten Blickwinkel für Heiterkeit sorgen könnte. Ihre und meine, versteht sich, wobei meine gar nicht so nebensächlich ist. Wenn ich mich irgendwo unmenschlich langweile, dann wird vielleicht wenigstens ein Tweet daraus? Das muss doch gehen? Wenn ich in unmenschlich öder Gegend bin, ergibt sie vielleicht wenigstens ein brauchbares Foto? Wenn wir uns in dieser Familie hier alle wieder einmal in die Haare kriegen, weil die Zeit hinten und vorne nicht reicht und alle hektisch werden – ich kann mich vielleicht wenigstens in einem Blogartikel darüber amüsieren. Und mich darüber lustig machen. Über mich, über das Leben, über die Ansprüche, über alles.

Ich treibe das natürlich bis zum Exzess und ich habe Gott sei Dank auch die richtige Familie dafür. Ich bin der Typ, der mitten in einem erbitterten Ehestreit an den Computer springt, weil der Dialog mit der Herzdame gerade unerwartet eine prächtige Pointe ergeben hat, und nach all den Jahren weist sie mich jetzt auch schon mal darauf hin, wenn ich unaufmerksam war und eine Stelle verpasst habe. Bei uns enden Ehekrisen regelmäßig in Artikeln oder Kolumnen und warum auch nicht, irgendwo müssen sie ja enden.

“Seid zur Heiterkeit bereit”, hieß es früher bei Bugs Bunny. Tatsächlich ist das eine Aufforderung, der man nicht immer einfach so nachkommen kann. Niemand ist immer heiter, ich nicht und das Leben auch nicht. Aber so lange man nicht gerade von den ganz großen Dramen erwischt wird, hilft es doch sehr, nach den Scherzen zu suchen, die im Alltag versteckt sind wie früher die kleine Maus auf den Kinderseiten der Brigitte. Und geteilte Scherze wirken besser, viel besser.

Und wenn ich völlig zerwühlt vom hektischen Alltag, aufgerieben zwischen mehreren Deadlines, Terminen und Verabredungen, mit den Söhnen streitend und der Herzdame hinterherfluchend, vor der Eingangstür der Wohnung stehe, den Schlüssel nicht finde und die Apfelsaftflasche dabei aus dem Rucksack fällt und auf den Fliesen zerschellt, während drinnen das Telefon klingelt – natürlich kann man daran komplett wahnsinnig werden. Man kann aber auch darüber schreiben. Und dann geht es schon wieder.

 

Junges Glück, älteres Glück

Auf dem Ferienbauernhof an der Küste auf Eiderstedt waren vierzehn Kinder. Zur Freude der Söhne waren es größtenteils Mädchen im passenden Alter. Mädchen, mit denen sie sich bestens verstanden haben, Mädchen, die sie toll fanden, schön, nett und was man will, da passte wirklich alles. Die Söhne sind fast 5 und fast 7, es ist nicht selbstverständlich, dass sie Mädchen auch nur ansehen. Da hatten wir also großes Glück, der Urlaub war dadurch geradezu unfassbar erholsam. Die Kinder waren mit den Kindern beschäftigt, Erwachsene wurden nur noch zur Zubereitung der Verpflegung benötigt, ansonsten war man weitgehend entbehrlich. Wenn ich nachsehen ging, saß Sohn I flüsternd mit einem Mädchen im Stroh, Sohn II lief mit dem wilden Kampfruf „Knutschen! Knutschen!“ einer kleinen Schönheit quer über den Hof in den Stall nach. Idylle pur also, Bullerbü mit Liebe. Als wir abreisten, sammelten die Söhne die Telefonnummern von fünf Mädchen ein, bevor sie ins Auto stiegen und wild winkend auf ihren Kindersitzen saßen.

Ich sah mir das im Rückspiegel an und erinnerte mich an die Kinderzeit, in der man in der Liebe alles noch vor sich hatte und allem mit froher Erwartung entgegentrat. Die Zeit, in der das Kennenlernen nur zehn Minuten dauerte, und in der mit jedem Menschen eine neue Aufregung und Verrücktheit ins Herz und ins Leben wirbeln konnte. Das war schon schön, damals. Wann hat das eigentlich aufgehört? Ich reagiere mittlerweile doch etwas gemächlicher auf neue Menschen.

Ich saß vorne neben der Herzdame, ich konnte mich schon nach den ersten Kilometern nicht mehr an die Namen der Mütter der Mädchen erinnern, die ich auf dem Hof kennengerlernt habe und mit denen ich gerade eine ganze Woche verbracht hatte. Die Herzdame und ich sahen uns an, wir fuhren zufrieden und entspannt nach Hause. Doch, es ist alles gut so, wie es ist.

Und ich muss mich schließlich auch gar nicht an die Namen der übrigens sehr netten Mütter erinnern. Ich hab ja ihre Nummern gespeichert. Die Kinder sind natürlich noch viel zu klein für eigene Handys.

(Dieser Text erschien in einer etwas kürzeren Version als Kolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)

 

Kurz und klein

 

Anders Anziehen

Es folgt ein Gastbeitrag von Patricia Cammarata. Die kennen Sie entweder von ihrem eigenen Blog oder von ihrem letzten Artikel bei mir – nämlich hier. Sie schreibt eine Reihe, in der es darum geht, was sich für Erwachsene durch Kinder ändert. Jetzt ihr neuer Text:

Ich sitze in einem Meeting und langweile mich ein bisschen. Neben mir sitzt eine Frau in einem schwarzen Kostüm. Sie trägt dazu eine weiße, gebügelte Bluse. Ich schaue auf ihre rechte Hand und finde einen Ehering. Sie hat ungefähr mein Alter. Bestimmt hat sie Kinder. Sehr brave, unkomplizierte Kinder? Sonst fände sie nicht Zeit ihre Blusen zu bügeln. Oder sie verdient gut. Dann gibt sie ihre Blusen in die Reinigung. Das kostet pro Bluse um die sieben Euro. Das ist eine Menge Geld. Aber Blusen werden immer handgebügelt – im Gegensatz zu Männerhemden – die werden auf eine Puppe gezogen und von unten trocken und glatt gepustet. Weil das halbautomatisiert ist, kann man Hemden schon für unter zwei Euro waschen und bügeln lassen.

Ich schaue auf ihren Blazer. Makellos schwarz. Also schwarz schwarz. Ich schaue auf meinen Blazer. Er ist auch schwarz. Mit Mustern. Wohlwollend könnte man sagen „meliert“. Er ist wirklich mehliert. Das ursprüngliche Wort „meliert“ kommt aus dem Französischen von „Melange“ und bedeutet gemischt, aus verschiedenfarbigen Fasern gemischt. Mein Blazer hingegen hat Mehlflecken. Viele kleine, glücklicherweise mehr oder minder regelmäßige Flecken. Würde die Dame neben mir mein Blazermuster näher betrachten, dann würde sie Abdrücke kleiner Fingerkuppen entdecken. Heute Morgen ging es nämlich heiß zu. Ich hatte vergessen Brot einzukaufen und deswegen habe ich schnell Waffeln zum Frühstück gebacken. Ich bin extra um 6 Uhr aufgestanden, damit mir die Kinder nicht helfen. Aber ich war offenbar zu laut, denn zehn Minuten später standen zwei enthusiastische Kinder in der Küche und unterstützten mich bei der Mehlzerstäubung. NATÜRLICH hatte ich meinen Blazer um 6.10 Uhr nicht an. Wir aßen, putzen uns die Zähne und zogen uns an. Ich ziehe mich grundsätzlich ca. 20 Millisekunden bevor wir das Haus verlassen an. Die Kinder standen schon im Flur und ich wollte die Tür schließen, als dem Jüngsten einfiel, dass es dringend nochmal Pipi müsse. Wir warteten geduldig. Überraschenderweise kam das Kind dann mit einer überzähligen Waffel wieder aus der Wohnung zurück. Ehe ich eine Schutzdecke über das Kind werfen konnte, reichte es mir die Waffel: „Für disch, wenn du Hunger hast, Mami“

Ich versuchte Abstand zu wahren und streckte ihm mit spitzen Fingern meine mit einem Taschentuch geschützt Hand entgegen, um die Waffel entgegen zu nehmen und in meiner Handtasche verschwinden zu lassen. „Isch will disch küssen!“, sagte das Kind und machte einen Schritt auf mich zu. Ja und was soll man da machen? Bussi, Bussi rufen, auf dem Absatz kehrt machen und das Treppenhaus runter laufen? Ich habe natürlich versucht das Kind nur mit den Lippen zu berühren, aber es erwischte mich am Kragen, zog mich mit den Patschehändchen ran und umarmte mich. Als wir uns wieder voneinander lösten, war ich ein schwarz-weiß gefleckter Mehl-Leopard (Mehlopard). Ich klopfte, rubbelte und strich den Stoff aus, aber das Mehl war am Ende immer noch zu sehen. Lediglich besser verteilt.

Ich kenne das. Das ist immer so. Ich habe IMMER Flecken. Immer. Ich kann tun was ich will.

Mir hat vor der Geburt der Kinder niemand gesagt, dass das so ist. Postnatal habe ich viele Kleidungsphasen durchschritten. Vor der Schwangerschaft habe ich ungefähr 50% meines Einkommens für Kleidung ausgegeben. Ich besaß die prächtigsten Kleider. Ich besaß Anzüge in allen Farben des Regenbogens. Sogar weiße. Blusen! Geblümte! Gepunktete! Gestreifte! Zu jedem Outfit das passende Handtäschchen und die wunderschönsten Schuhe.

Dann gebar ich ein Kind. Ein Kind der Kategorie „Spuckkind“. Das sind Kinder, die Unmengen Milch erbrechen. Ich habe das nicht empirisch belegen können, aber ich bin der festen Überzeugung, dass sie mehr Milch spucken als sie trinken können. Ich stillte das Kind, klopfte den Rücken, es spuckte Milch. Ich bewegte das Kind, es spuckte Milch. Ich schaute das Kind an, es lächelte und spuckte Milch. Ich setzte mir das Kind auf die Schulter, es spuckte mir glucksend Milch in die Haare. Ich hatte immer Milchflecken. Ich zog also nur noch die ältesten und ausgeleiertsten Klamotten an. Übergangsweise. Ich hatte Hoffnung, dass es mit dem Breizufüttern besser würde. Es wurde nur bunter. Orange, grün, mischkostfarben.

Nach 18 Monaten hatte ich es satt, immer in Sackleinen rumzulaufen. Ich zog wieder hübschere wenngleich gut zu reinigende Kleidung an und fand mich mit den Flecken ab.

Das ist mein Kompromiss. Ich sehe einigermaßen gut gekleidet aus, aber ich bin immer fleckig. Seitdem schaue ich mir andere Eltern immer ganz genau an und habe erkannt, dass die meisten Menschen mit Kindern eigentlich genauso aussehen wie ich. Sie tragen ihre Flecken mit Würde. Nur eine sehr kleine Gruppe von Eltern ist perfekt und SAUBER gekleidet. Ob die einen Trick haben oder ob sie einfach nur Eltern sind, die nur getrennt durch eine Glasscheibe an ihren Kindern teilhaben (immerhin könnte man durch eine Glasscheibe mit winzigen Löchern noch vorlesen, Gute Nacht Lieder singen oder Kasperletheater spielen) – ich weiß es nicht. Ich denke, es wird mir immer ein Geheimnis bleiben.

Und wenn der Fleck mal zu groß ist, einfach schnell ein Kotztierchen drauf machen.

Fleckige Grüße

Patricia

Patricia Cammarata ist IT-Projektleiterin, Psychologin und Mutter. Seit Mai 2004 bloggt sie unter dem Pseudonym dasnuf. In ihrem Blog erzählt sie einer langen Familientradition folgend gerne Geschichten. Es fehlt ihr gelegentlich an Ernsthaftigkeit, aber so ist das eben, wenn man morgens gemeinsam mit den Kindern Clowns frühstückt.

Woanders – diesmal mit dem Sport, Yolo, dem Journalismus und anderem

Sport: Ein Link zur Beruhigung all jener, die genau wie ich eher keine spitzenmäßigen Langstreckenläufer sind. Weniger reicht auch. Meine Rede. Ich schaffe es immer noch nicht ohne Gehpause ganz um die Alster – und es macht nichts.

Feuilleton: Das Nuf zur Philosophie des Yolo-Akronyms.

Irgendwas mit Medien: Ein paar lesenswerte Anmerkungen zu Programmierarbeiten für journalistische Projekte. Zur Abwechslung sind auch die Kommentare einmal lesenswert.

Reise: Sieh die Welt ist ein neues Reportage-Magazin.

Feuilleton: Percanta veröffentlicht das Weltkriegstagebuch ihres Urgoßvaters.

Familie: Carola hilft einfach mal.

Küche: Und mir hat Carola auch geholfen, nämlich mit diesem Rezept für eine Mangold-Quiche. Gute Sache. Solange man nicht die Söhne fragt, die kleinen Banausen.

Familie/Feuilleton: Zum Einschlafen zu singen. Die Stimme kennt man doch? Genau.

Hamburg: In meinem Wirtschaftsteil geht es oft um Urban Gardening, hier im Lokalteil machen wir das dann aber lieber wieder platt. Da könnte ja jeder kommen! Hier muss alles seine Ordnung haben.