Immer wieder steht man als Zuständiger in einem Türrahmen

Der Sonnabendmorgen ist unbefriedigend kalt und grau, man sieht aus dem Fenster und denkt: „Na ja“, und das fasst es auch schon gut zusammen. Die gefühlte Temperatur liegt bei zwei Grad. Na ja.

Ich räume im Feedreader auf. Besonders im Foodblogbereich sammeln sich schnell angestaubte Feeds, auf denen wohl nie wieder etwas kommen wird, nicht einmal ein neues Spargelrezept zum Saisonbeginn, nicht einmal das überall obligatorische Bärlauchpesto. Dieser Bereich scheint eher unbeständige Leute immer wieder zum Anfangen zu motivieren, aber sie knicken dann doch bald weg, oft nach nur einem Jahr oder nach noch kürzerer Zeit. Auch doppelte, sogar dreifache Abos finde ich, umgezogene Feeds und dergleichen, dazu verstorbene, langzeiterkrankte und unklar verschwundene Autorinnen von Blogs. Überall hinterherräumen, alles in Ordnung halten, sich stets gegen die Entropie stemmen. Als ob es einen Sinn hätte, sie wird am Ende eh gewinnen.

Na, Sinn hat es vielleicht doch für eine gewisse Phase. Man muss es wohl so unterstellen, denn bis zum endgültigen Sieg der Entropie im Universum zieht es sich noch etwas, nach jetzigem Erkenntnisstand, und so lange machen wir es uns eben nett und aufgeräumt, wo es nur irgend geht. Das unordentliche Kinderzimmer als Metapher für alle Lebenslagen, immer wieder und wieder steht man als Zuständiger in einem Türrahmen, sieht entgeistert in einen Raum und sagt: „Wie sieht es hier denn aus!“ Lebenslang sagt man das, wie sieht es hier denn aus, wie sieht es hier denn aus, und wenn man im allerletzten Moment der Lebensspanne ganz andere Dinge vor sich sieht, die vielleicht schon nicht mehr von dieser Welt sein werden, wenn man das dann bei deren Anblick noch einmal sagen muss, im gleichen Tonfall wie immer, wie enttäuscht wird man wohl sein.

Wenn Sie richtungsgebunden religiös sind, dann stellen Sie sich das so vermutlich nicht vor, und es sei Ihnen gegönnt. Aber es können ja nicht alle religiös sein.

Ich wünschte, es täte einen Knall und die Psyche wäre aufgeräumt“ – wer hat das noch einmal gesungen? Kitty Hoff war es. Der Psychenswing.

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Wir fahren, auch das ist Tradition, in eine Gärtnerei und besorgen uns vorgezogene Tomaten, Zucchini, Hokkaido, Kohlrabi und Gurken, auch ein paar Ersatzerdbeeren packen wir ein. Oder, wie wir Schrebergärtner sagen: Jetzt gibt es erst recht noch einmal richtig Frost. Die Frau an der Kasse hebt bei jedem Kunden mahnend den Finger: „Sie wissen aber schon …“ Ja, wir wissen es doch alle, es ist erst April.

Die meistverkaufte Erdbeersorte im Geschäft scheint „Korona“ zu sein, ein Name, den man nie mehr ohne abweichende Assoziationen lesen können wird.

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Und bei aller Verehrung für Christian Brückner, ich breche den Don Quijote doch ab, denn auch beim mittlerweile sicher sechsten Versuch mit diesem Buch: Es langweilt mich. Vermutlich ist es so großartig, wie die Literaturgeschichte es längst festgestellt hat, aber es ist eben nichts für mich, so etwas kann vorkommen. Jetzt Goethe, Faust I, in der Reclam—Hörbuchversion. Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten … Schon Zueignung, Vorspiel und Prolog sind so gut, ich kann es immer wieder lesen. Oder hören. Und keine Spur von Entropie in der Weltordnung dort:

Die Sonne tönt, nach alter Weise,
In Brudersphären Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.
Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,
Wenn keiner sie ergründen mag;
die unbegreiflich hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.

Sagt der Erzengel Raphael, bevor Mephisto auftritt und es etwas lebendiger und bunter, wenn nicht sogar unordentlicher zugehen lässt.

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Davon abgesehen gibt es Schwiegermutters Kuchen, und das ist sehr gut so.

Eine Platte mit Kuchen auf einer bunt bestickten Tischdecke

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Morgen das Osterfeuer

Ich bin nicht in Wüsten geflohen (siehe letzter Text), nur wieder nach Nordostwestfalen. Man nimmt, was man kriegen kann, und immerhin ist es auch hier vergleichsweise menschenleer in der Fläche. Auf der Landstraße trifft man eher einen wartenden Greifvogel oder einen hektischen Hasen als einen benachbarten Menschen. Passt schon.

Ein Fußballtor steht auf einer weiten, leeren Rasenfläche, im Hintergrund ziegelrote Bauernhäuser

Es werden am Sonntag keine Schokoladeneier mehr im Garten der Großeltern versteckt, die Söhne sind darüber deutlich hinaus, Tempi passati. Wir haben es übrigens, dies vielleicht zur Entspannung für Kleinkindeltern, komplett verpasst, jemals mit den Söhnen Eier zu färben, es hat sich nie ergeben. Drei-, viermal mindestens hatten wir die Farben dazu sogar schon gekauft, aber dann kamen wir in Hamburg doch nicht dazu, weil man ja generell zu nichts kommt, und wir verschoben ein ums andere Jahr alles in Richtung Besuch auf dem Lande, aber in Nordostwestfalen gab es dann immer schon genug bunte Eier, es hat einfach nie sollen sein und wir dachten auch irgendwann, dass man vielleicht gar nicht alles schaffen muss, was die Familienzeitschriften und die Traditionen so vorgeben. Wir haben also nie gemeinsam bunte Eier in der Quality-Time des frühen Frühjahrs hergestellt. Und ich glaube, das gehört nicht zu den Themen, welche die Söhne später mit ihren Therapeutinnen besprechen werden.

Obwohl man sich da verdammt leicht täuschen kann, schon klar.

Auf der Fahrt durch Niedersachsen am Straßenrand die blühenden Büsche, rosa, weiß und gelb, die leuchtenden Narzissen in den Vorgärten, die Buschwindröschen an den Waldrändern, darüber schultintenblauer Himmel. Dann die schwarz oder silbern abgedeckten Spargelbeete, öde Plastikbahnen bis zum Horizont, es sieht hier und da etwas pervers aus. Ab und zu sehen wir auch eine Bretterbude im Vorbeifahren, mit einem Schild daran: „Hier in Kürze Spargelverkauf.“ Mit Ritualen durch das Jahr. An einer Bude steht schon ein Einstiegspreis für die Saison, ich kann ihn nicht genau erkennen.

Ich gehe nach der Ankunft hier mit Sohn II auf den Schulhof der Grundschule und spiele dort mit ihm Tischtennis, wir spielen ohne Regeln und Ehrgeiz. Der eisige Ostwind spielt mit wie der Bully vom Dienst und müht sich nach Kräften, uns alles zu versauen, er nimmt uns dauernd den Ball weg. Wir spielen stoisch dennoch immer weiter, das Kind kommt in dieser Hinsicht, und nicht nur in dieser, nach mir.

Der erste Schmetterling des Jahres flattert im sibirischen Wehen vorbei, zitronenfarben taumelt er ins noch kaum entwickelte Laub des Gebüschs.

Morgen das Osterfeuer. Ich habe darüber einmal einen heiteren Text geschrieben, als ich es zum ersten Mal erlebt habe, das ist etwa hundert Jahre her.

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In Wüsten fliehen

Man kann hier ähnliche Stadtteile in anderen Städten suchen, danach hat unser kleines Bahnhofsviertel seine Berliner Entsprechung im Prenzlauerberg Nord. Guck an. Die Viertel in anderen Städten sagen mir nichts, ich kenne mich in Köln etc. nicht genug aus.

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Wir haben die Alster am letzten Sonntag mit Freunden umrundet, gefühlte zwei Millionen anderer Menschen haben das auch gemacht, zu gleicher Stunde, man geht dort also im kreisenden Stau. Es muss auf Menschen von außerhalb recht seltsam wirken, diese Prozession von Sonntagsgehern, und anfliegende Außerirdische würden wohl bereits auf den ersten Blick meinen, eine weitere psychotische Art entdeckt zu haben, wer würde da noch widersprechen wollen. „Und du gehst Rüssel an Schwanz hinterher“, sang die Holofernes. Man kann die Fülle selbstverständlich niemandem vorwerfen, schon gar nicht, während man selbst auch mit den anderen immer weiter im Kreis geht. Es sieht auch nach wie vor alles schön aus dort, eine pittoreske Angelegenheit ist das zweifellos, etliche Postkartenpunkte und einwandfreier Reiseführerflair, aber Spaß macht es mir nicht mehr. Und wenn man dann die Massen meiden möchte und kurzentschlossen woanders hingeht (das Leben hassen, in Wüsten fliehen, wie es bei Goethe heißt, im Prometheus war das), wo es noch nicht ganz so voll ist, dann fängt man unweigerlich an, es dort aufzufüllen, und sei es als Erster, der die Massen dann dort hininfluenct, das ist auch so ein Problem. Die Frage, wo man denn bloß hinsoll, sie ist eben nicht nur philosophisch deep, sie ist auch höchst praktisch auf den Alltag und die Spaziergänge anzuwenden, auf die Wohnlage sowieso.

Im Gegensatz zu etwa Christian, der in seinen Texten oft genug von Aarhus schwärmt, haben wir allerdings keinen Sehnsuchtsort, wir pflegen nicht die gemeinsame Fiktion eines sicheren und seelisch erbaulichen Zukunftsziels, während es bei Christian alles plausibel und beglückwünschenswert klingt, bei manchen passt es eben und gehört dann sicher auch so. Die Herzdame und ich sind zwar ausgesprochen gerne auf Eiderstedt, aber dort leben, nein danke, man wäre mir viel zu autoabhängig. Es ist lediglich ein Urlaubssehnsuchtsort, den wir dieses Jahr auslassen werden, was auch so ein Problem ist, aber das wird ein anderes Thema.

Neulich die Frage hier im Blog, was will ich machen, heute die Frage, wo will ich hin, ich bin offensichtlich im Moment etwas unentschlossen, was aber nichts ausmacht, da ich so viel Wahl gar nicht habe. Sehr praktisch, einfach die Einschränkung als geistige Befreiung denken, darüber haben andere gewiss schon ungeheuer Tiefsinniges geschrieben. Ich weiß allerdings gerade nicht, wer es war, und ich muss es jetzt eh nicht mehr nachlesen, ich bin ja selbst draufgekommen. Ha, nimm das, Seneca. Oder wer auch immer.

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Die Woche ist ansonsten wie ein Spaziergang der Alster, zu voll, zu dichtgedrängt, zu viel gleichzeitig. Ich schreibe eine Mail und erhalte eine Abwesenheitsmeldung, eine Urlaubsdeklaration, und ich merke wieder, dass ich das vollkommen unsinnige, aber doch seltsam überzeugende Gefühl nicht loswerde, das alle dauernd mehr und auch längeren Urlaub haben als ich, und es wird spürbar mit jedem Jahr schlimmer, da kommt das logische Denkvermögen nicht mehr gegen an. Ihr habt alle so viel mehr Urlaubstage als ich, mehr Feiertage, mehr Sabbaticals, Ihr geht auch alle früher in Rente und dauernd auf Kur, auf Reisen und was weiß ich noch alles. I’m not amused und es ist mir egal, dass ich damit gar nicht Recht habe. So nämlich.

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Slow Socializing

In der letzten Woche war ich bei einem Vernetzungstreffen der Hamburger Kulturszene, zu der ich qua Einladung womöglich am Rande zu zählen bin. Es ist alles eine Frage der Perspektive, denn ich hätte das so nicht gewusst, aber es soll mir andererseits auch recht sein, versteht sich. Beim Einlass gab es Namensschildchen, die vorsortiert bereitlagen, in Grüppchen nach Branchen getrennt. Auf meinem waren Bücher abgebildet, ich gehörte also zur Textfraktion. Das Schildchen war gelb, und es gab nur wenige davon, sehr wenig. „An die kommen wir so schlecht ran, an die, die schreiben“, hieß es beim Aushändigen. Die anderen Fraktionen, Film, Bühne, Musik in anderen Farben, sie waren üppig und zahlreich vertreten. Ich stellte mir vor, wie die Textmenschen der Stadt sich zuhause an ihre Schreibtische krallten: Ich gehe da nicht raus. Was ich absolut verstehen kann, ich gehe ja auch nur raus, weil es 2023 ist und ich das jetzt als Jahresmotto halbwegs konsequent umsetze, ich sage zu, ich gehe hin, ich gucke mal. Sachen machen, wie es bei Isa einmal hieß, nur bei mir in einer viel bescheideneren Version und selbstverständlich eher als Zuschauer oder Hörer, nicht als Akteur.

Es gab ein wenig Programm an diesem Abend, eine Podiumsdiskussion und dergleichen, davor und danach aber gab es das, was sich manche Menschen als heiteres Vernetzen vorstellen, ich mir aber nicht, denn so etwas ist unweigerlich mit fremden Menschen verbunden. Problem.

Ich bin darin allerdings auch nicht vollkommen ungeübt und fühle mich außerdem eher wenig dadurch belastet, ich kann mich halbwegs routiniert in einem Raum aufhalten, in dem Horden kontaktwilliger Menschen miteinander reden. Ich kann da mühelos stehen, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Ich suche mir einen Stehtisch und schreibe dann, etwa dieses hier, was Sie gerade lesen, das ist immer eine gute Möglichkeit, nahezu überall kann ich das so umsetzen. Und nach nur etwa einer Stunde ging es dann auch, ich fand tatsächlich eine Bekannte, ich wurde von anderen gefunden, ich wurde schließlich auch von Kennenlernwilligen gestellt und ließ es dann gerne zu. So ist es irgendwann immer und es ist auch okay. Ich brauche nur eine Weile und habe nebenbei stets ein Auge auf den Fluchtweg.

Zwischendurch allerdings fragte ich mich, ob ich mich in den letzten drei Jahren vielleicht seltsam nachhaltig verändert habe, ob ich selbst dieses stark reduzierte Slow Socializing nicht mehr so gut kann, wie ich es früher einmal konnte, ob ich sogar darin während der pandemischen Zeiten stark nachgelassen habe. Ich meine, wir sind doch alle etwas beschädigt, nicht wahr. Denn ich merkte, mir wurde seltsam heiß, regelrechte Hitzewallungen hatte ich, als sei mir die Situation ganz und gar nicht bekömmlich und dabei dachte ich doch, ich wüsste recht gut, was ich kann und was nicht. Man versucht doch immerhin jahrzehntelang aus Erfahrungen zu lernen und bildet sich irgendwann ein, ein wenig über sich selbst zu wissen.

Mir wurde jedenfalls immer heißer, aber es lag nicht an der fragilen Psyche, wie ich dann nach sherlockholmeshafter Prüfung der Gesamtsituation herausfand. Es lag nur daran, dass ich an der Heizung lehnte. Okay.

Ein netter Abend war es, wie ich abschließend fand. Das mache ich wieder, wenn ich noch einmal eingeladen werde. Irgendwo für ein Getränk anstehen, und der Mann neben mir, so höre ich nebenbei, schreibt Opern. Und der vor ihm leitet ein Kino und der andere da ist ein so bekannter Schauspieler, dass sogar ich ihn kenne, und diese Frau da organisiert Theaterprojekte … ich fand das gut und inspirierend. Also inspirierend nicht in dem Sinne, ab morgen größere Projekte anzugehen, aber doch in dem Sinne, sich wieder zu fragen: Was mache ich eigentlich.

Und die Frage schadet ja nicht.

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Im Bild die Kirche vor unserer Haustür, nach wie vor steht die blaugelbe Liebe vor dem Portal im Turm.

Das Portal einer Kirche, große blaugelbe Holzbuchstaben formen davor das Wort LIEBE.

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19 Jahre, 34 Prozent

Bloggeburtstag, mein Onlineschreiben wird heute 19 Jahre alt, wie alt klingt das denn. Und wie in jedem Jahr der Zusatz, nein, das ist kein Aprilscherz, ich habe wirklich an diesem Datum angefangen. 34% meiner Lebensjahre habe ich mittlerweile bloggend verbracht, man könnte es allmählich für ein bestimmendes Merkmal halten.

Währenddessen regnet es immer weiter, denn der Regen, er regnet jeglichen Tag in diesem Frühjahr. Möge es den Böden und den Bäumen wenigstens etwas nützen, wenn schon mir nicht mehr, ich bin mit diesem Wetter allmählich fertig. „Regen“, denke ich beim Rausgucken, „kenne ich schon.“ Nächste Woche ist Ostern, was ihnen vermutlich längst klar war, mir aber erst seit gestern, denn seit ich so selten ins Büro gehe, hängt vor mir nicht mehr regelmäßig ein Wandkalender mit rot markierten Feiertagen, und ich bin daher immer wieder überrascht, wenn plötzlich besondere Vorhaben privater Natur in Gesprächen erwähnt werden, Ausflüge, Reisen, Ausschlafmöglichkeiten.

Ich überlege gerade, meine Kulturfrequenz 23 auch vorsorgend zu pflegen, also etwa Konzertkarten weit im Voraus zu kaufen, und ich merke, dass sich das noch etwas seltsam anfühlt. Kann man denn überhaupt so weit im Voraus planen, bis deutlich in den Herbst hinein? Da merke ich doch eine gewisse, wie nennt man das, Weltunsicherheit, ein vermindertes Vertrauen in die Ordnung der Dinge. Ich glaube, ich gehe nicht mehr von einer geraden Strecke bis zum Jahresende aus, jedenfalls nicht, bis es wieder ein paar Jahre lang verlässlich so kommt, wie es sich gehört oder zumindest früher gehört hat. Der Mensch gewöhnt sich schnell an alles, auch an Unordnung und Unwägbarkeiten. Aber für Künstlerinnen aller Art wäre es andererseits sicher erfreulich, wenn ich planen würde, das wird auch richtig sein.

Apropos Unordnung. Gestern begleitete ich die Herzdame zu ihrer Optikerin, und wir brauchten für den Weg länger als geplant, da ein König mit seinem Tross im Weg war, als sei man hier noch im Mittelalter. Wichtige Verkehrsadern waren lahmgelegt und mit enorm viel Polizei abgesperrt, ein wirklich beeindruckendes Aufgebot, entsprechende Staus mit vielen emsig betätigten Hupen in alle Richtungen, denn Hupen, das weiß man, hilft in solchen Situationen immer weiter. Jemand, der sich nicht an die Regeln halten wollte und versuchte, eine Kreuzung trotz Verbot zu queren, vermutlich wegen seiner persönlichen Freiheit, wurde von Polizisten bemerkenswert sportlich einkassiert, diesmal meinten sie es vollkommen ernst, man sah es.

Wir gingen lediglich zu Fuß durch diese komplexe Gesamtlage, aber auch so kam man kaum noch durch. „Letzte Generation nichts dagegen“, sagte die Herzdame, und Recht hatte sie, aber das bin ich ja gewohnt.

Der König fuhr schließlich langsam vorbei und winkte uns zu, wir nickten höflich. Auch wenn man tendenziell genervt ist, immer die Form wahren. Wichtig.

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Hier noch ein weiteres Update zum Umgang der Stadt Hamburg mit bettelnden Menschen. Gleichzeitig werden wieder bedeutend mehr Menschen auf die Straße geschickt, auf der sie dann aber nicht sein dürfen.  Die Sinnfrage stellt sich nicht.

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Aus dieser Wohnung verschwinden allmählich die Erinnerungen an die Kleinkinderzeit. Die Söhne werden immer jugendlicher, es ergibt sich ein anderes Zusammenleben. Nur hin und wieder fällt der Blick noch auf Sachen, die aus unklaren Gründen einfach jahrelang irgendwo überdauert haben, wie dieser Hase im Home-Office. Man kann ihn jetzt als Osterdeko umdeuten, und damit bleibt er uns erst einmal noch eine Weile erhalten.

Ein kleiner blauer Stoffhase klemmt hinter einem Monitor im Home-Office.

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 31.3.2023

Eine Buchwerbung im Landlebenblog, ich weise empfehlend darauf hin.

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Claudia findet etwas an den Ergebnissen des skurrilen Ampel-Wrestlings gut, das ist mal eine wirklich selten gelesene Meinung. Womöglich ist es gar die einzige Quelle, die mir in dieser Richtung begegnet ist, abgesehen von den etwas verzweifelt wirkenden Appellen grüner Politikerinnen auf Twitter, die Partei doch bitte weiter halbwegs okay zu finden. Ein Blog weiter klingt es doch etwas anders, soll keiner sagen, die Bloglandschaft könne zur Meinungsbildung nichts beitragen. Deutlich negativ bewertet auch das Team der Lage der Nation in der aktuellen Ausgabe, was da angeblich Lösungen und Erfolge sein sollen.

Nachdem die Herzdame und ich gerade eine deutliche Meinungsverschiedenheit hatten, haben wir unser aktuelles Problem zügig verhandelt, wie man das als routiniertes Paar mit langer Ehe und reichlich Turbulenzerfahrung eben macht. Man redet und redet, man argumentiert herum und im Kreis, man einigt sich, man stellt abschließend gemeinsam fest: Besser und erheblich schneller als die Ampel können wir das allemal. Sagen wir ruhig: Wir sind darin sogar richtig gut. Und das muss auch so sein, denn ich wäre zu nächtlichen Verhandlungsrunden gar nicht bereit, ich brauche meinen Schlaf. Jedenfalls bis Schlaf durch irgendwas Wasserstoffbetriebenes ersetzt werden kann. Immer technologieoffen bleiben, das ist ganz wichtig.

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Frau Herzbruch über E-Fuels. In meiner Online-Welt gibt es niemanden, der E-Fuels irgendwie verteidigen würde, in der Offline-Welt schon, und es sind zuverlässig allmählich deutlich alternde weiße Männer wie ich. Nur dass ich etwas anders ticke als die. Manchmal doch das Gefühl fortgeschrittener Entfremdung gegenüber meinen Gleichaltrigen, siehe dazu auch das folgende Zitat, das dann im weiteren Verlauf des Textes allerdings eine etwas andere Wendung nimmt:

Die Welt besteht für mich aus lauter Gruppen von Menschen, die in Gespräche vertieft sind, denen ich nicht folgen kann.

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Auch am Mittwoch ging er zum Discounter

Ich höre den Don Quijote. Es gibt eine Aufnahme von Christian Brückner, das Buch ist gehört über 24 Stunden lang, da hat man wieder etwas vor sich. Christian Brückners Stimme hat einen Tonfall, der mir auch dann angenehm ist, wenn ich versehentlich zwischendurch nicht zuhöre, das ist gar nicht unwichtig, denn ich schweife oft gedanklich ab. Seine Sprechart wäre mir auch als dauerhafte Kommentar- und Erzählstimme in meinem Kopf angenehm. Wenn ich etwa das Haus verlasse, um Fischstäbchen und Kartoffeln zu kaufen, dann stelle ich mir vor, wie Christian Brückners Stimme sagt: „Auch am Mittwoch ging er wieder zum Discounter“, mit diesem so besonders ruhigen, immer etwas resignativ, aber nie verloren wirkenden Sound, mit dieser leichten Brüchigkeit, in der aber noch viel Kraft ist, und gleich wirkt alles deutlich interessanter, romanhafter, erzählenswerter. Fast könnte ich mich fragen, wie das wohl weitergehen wird … aber okay, nur fast.

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Gehört, aus naheliegenden Gründen: Bye, Bye, Babyboomer!– Eine Generation geht in Rente. 30 Minuten. Der Text enthält auch ein wenig zur Frage der Umweltkollektivschuld, darüber wird man sicher noch mehr, viel mehr lesen und hören. Es kommt auch die Frage vor: „Wie stellen Sie sich das letzte Jahrzehnt Berufstätigkeit vor“, und das ist exakt die Frage, vor der ich auch jetzt stehe und über die ich nicht eben wenig nachdenke.

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Ich las, dass es nicht belegt ist, dass das Sie verschwindet, und es hat mich überrascht. Ich dachte, man könnte das mittlerweile nachweisen, aber das ist dann wieder der ewige Stichprobenfehler. In meinem Umfeld verschwindet es definitiv, aber das beweist eben gar nichts, sondern lässt sich vermutlich auf zwei besondere Umstände zurückführen. Zum einen arbeite ich in einem multinationalen Konzern, in dem kategorisch alle per Du sind, weswegen mir das Sie beruflich seit langer Zeit eher fremd ist. Zum anderen verkehrte ich in den letzten 16 Jahren viel mit Eltern, mit denen man hier im Stadtteil allgemein auch per Du ist, das mag bei Ihnen aber vielleicht schon wieder anders sein. Wie auch immer, ich habe eh kein Problem, weder mit dem Sie noch mit dem Du, auch dabei gilt: Ich rege mich einfach nicht auf.

Ich rege mich nämlich schon wieder dermaßen über die FDP auf, ich muss mit dem Rest der Emotionen unbedingt etwas haushalten. Die Ressourcen sind nun einmal begrenzt.

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Im Bild noch einmal die Binnenalster mit zugehörigem Vogel, auch mit dem obligatorischen Grau und, rechts hinten im Bild, mit dem neueren Teil der Kunsthalle. Da auch schon lange nicht mehr gewesen, fällt mir dabei auf.

Am 22. April, falls noch jemand lustige präpandemische Traditionen wieder beleben möchte, findet die Lange Nacht der Museen in Hamburg statt, gleich mal vorgemerkt.

Blick über die Binnenalster, im Vordergrund eine Möwe, die am Ufer steht und auf das Wasser sieht

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Ich komme wegen des Trickbetrugs

Die Söhne hatten am Wochenende Übernachtungsbesuche, ich stand morgens in den Kinderzimmern, belehrte über Lüftungsverhalten und erwähnte Pumakäfige, dann ging ich vor den Spiegel, sah mich streng an und sagte „Okay, Boomer“. Manches doch lieber selbst erledigen, dann müssen es nicht andere machen, das gilt auch für naheliegende Schmähungen. Meine Güte, wenn man sich manchmal als Elternteil selbst so reden hört – auch schlimm.

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Wir haben Ostern aus dem Keller geholt.

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Im Rahmen des 23er Programms der Alltagsdurchbrechung waren wir mit Freunden in einem Restaurant, das ich bei der Gelegenheit wieder einmal empfehlen kann, nämlich das La Famiglia im kleinen Bahnhofsviertel. Es liegt etwas abseits der üblichen Ausgehmeile, falls Sie aus dörflicher, vorstädtischer oder anderweitig idyllischer Umgebung anreisen, ist das Umfeld dort vielleicht ein wenig gewöhnungsbedürftig. Die Innenausstattung ist außerdem, wie soll ich sagen, mindestens denkwürdig und vermutlich aufschlussreich für die Kulturgeschichte der frühen Achtziger, das Essen aber ist hervorragend, und die Preise sind, wenn man die Inflation im Sinn behält, und wer würde das nicht permanent tun, angemessen.

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Apropos Inflation, der März ist nach meinen selbstverständlich jederzeit akribischen Aufzeichnungen der bisher teuerste Monat für diesen Haushalt, wobei ich ausschließlich die Lebensmitteleinkäufe betrachte und keine ungewöhnlichen Vorkommnisse in den letzten Wochen habe. Business as usual eben, nur teurer, so viel teurer. Die momentane Abweichung zum theoretisch veranschlagten Richtwert „Lebensmitteleinkauf/Monat“ beträgt, da wird es faszinierend, exakt die Inflationsrate. Immer schön, wenn alles aufgeht. Aber das Geld fehlt dennoch. Problem. VW-Vorstand hätte man werden sollen, aber das führt wieder zu weit und man würde auch unentspannter bloggen, denke ich.

Und wie so teuer der Kaffee, und wie so rar das Geld …“ Wir kommen in der Geschichte voran und kreisen immer zurück, etwa zu Heinrich Heine und seinen Kinderspielen. Das hatte ich schon einmal, ich weiß, aber ich mag es sehr und es passt immer wieder, und es ist mir auch eines der liebsten Gedichte von ihm. So ein schlichtes, erzählendes, unvermittelt rührendes Gedichtchen. Er war sehr, sehr groß in so etwas.

„Vorbei sind die Kinderspiele, und alles rollt vorbei, das Geld und die Welt und die Zeiten, und Glauben und Lieb und Treu.“

Allein diese Zeilen. Wunderbar.

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Ich erhalte eine Spam-Mail, die den Betreff „Spam-Spende“ hat und staune etwas. Wie kann denn eine Spam-Mail erfolgreich sein, wenn sie Spam-Mail heißt? Ist es nicht so, als würde es an der Tür klingeln und jemand sagen: „Ich komme wegen des Trickbetrugs, guten Tag.“ Die Welt wird immer wundersamer, wird sie nicht?

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Home-Office am Montag, mitten am Tag wird es auf einmal dunkel, stockdunkel, das liegt am frischen Schnee auf dem Dachfenster. Der Blick in den Wetterbericht verheißt wenig Hoffnungsvolles für die nächsten Tage. Es häufen sich die Beschwerden von Menschen mit Gärten, man kommt zu nichts, die Saison geht nicht los, überall Verzögerungen, der März wird vor der Zeit verloren gegeben. Ich gehe durch den Regen zum Einkauf, zwischendurch wird Graupel daraus, dann Schnee, dann Hagel, dann Geniesel, zwischendurch gleißende Sonne auf der nassen Stadt und auf den höchst genervten Menschen, denen man die Unzufriedenheit mit dem Wetter allzu deutlich ansieht. Ich höre beim Gehen die letzten Kapitel der Reise um die Erde in achtzig Tagen von Jules Verne und halte mich an das leuchtende Vorbild Phileas Fogg, der alle äußeren Einflüsse stets ignoriert und sich konsequent weigert, sich auch nur ansatzweise aufzuregen. „Ich rege mich nicht auf“, denke ich und stapfe stoisch durch den Schnee zum Discounter, „nein, ich rege mich nicht auf.“

Hauptsache, man macht weiter und kommt pünktlich irgendwo an. Ich kann mit dieser literarischen Figur viel anfangen, genau so soll Literatur sein. Wäre ich jung, ich würde etwas mit Literatur und Psychologie studieren wollen, nur um ein unterhaltsames Grundlagenwerk über Neurodivergenz und Literaturgeschichte zu schreiben.

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Im Bild diesmal ein Blick über den Hamburger Rathausmarkt bei aktueller Wetterlage, rechts im Bild St. Petri. Etwas weiter rechts, nicht mehr im Bild, steht Heinrich Heine aus Bronze und grübelt immer weiter unter dem wechselnden Hamburger Himmel.

Blick über den Rathausmarkt auf St. Petri bei Regenwetter, am Himmel ein doppelter Regenbogen

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 27.3.2023

Ich finde es immer wieder bemerkenswert, wie bei der Frischen Brise das Blog bebildert wird. Im Link ein fast beliebiges Beispiel, das macht sie dauernd so, irgendwann hat sie die Stadt komplett leerfotografiert. Das ist doch mal ein Talent für Blickwinkel und Momente. Ich z.B. kann das so nicht, ich nehme diese Alltagshübschigkeit, und ich meine das keineswegs abwertend, um mich herum nicht ausreichend wahr.

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Wer nicht da ist, ist nicht da: Frau Herzbruch über Selbstverständlichkeiten, bzw. über eine entscheidende Lebenslüge unserer Gesellschaft. Man könnte noch ergänzen, dass all das, was wir von einer gepflegten Bullerbü-Kindheit vielleicht sogar zu Recht erwarten, auch sicher nicht in die knappen Stunden nach einem Ganztagsschultag passen kann, dass das rechnerisch ganz im Ernst nicht geht, dass es vollkommen unmöglich ist. Es ist beinharte Logik, aber das will auch wieder keiner hören, ich weiß. Ja, macht der Jung denn keinen Sport, spielt er denn kein Klavier, hat er denn keinen Hund, liest er keine Bücher und sitzt er nicht manchmal einfach so im Baum und schaut vor sich hin? Hm? Das auch mal regelmäßig einplanen!

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Eine Kleinigkeit bei der Kaltmamsell, aber doch auch wieder ein Stück alltäglicher Kulturgeschichte – es ist zu teuer geworden, Kleingeld zu sammeln. Wir haben hier ähnliche Erfahrungen gemacht. Der Aufschrei der Sparschweinindustrie, er bleibt ungehört.

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Noch eine Kleinigkeit, diesmal zum sprachlichen Wandel. Ich bin, wie es auch in einem Kommentar drüben heißt, ebenfalls Team Nato-Alphabet.

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Wassermusik, eine belehrende und warnende Geschichte. Ähnliches ist in Schrebergärten auch schon passiert, hört man, es gab dann auch Wasserrechnungen mit beeindruckend hohen Zahlen darin, die man heute eher mit Gas in Verbindung bringt.

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Vanessa setzt ChatGPT für berufliche Zwecke ein und versucht etwas: „Was ChatGPT gut macht: Alles auflisten und in eine Agenda packen, was zum Thema gehört. Das ist durchaus prima. Damit kann ich in Zukunft überprüfen, ob ich alle Aspekte eines Themas berücksichtigt habe – und welche ich in den Fokus rücken möchte.“ Das habe ich ähnlich und mit gleichem Ergebnis probiert, und ich finde, das ist gar nicht wenig. Man muss, wenn man das weiter so umsetzt, bei keinem Thema mehr bei Ada, und Eva anfangen, man kann bei sämtlichen Standardproblemen und -prozessen (und die meisten Bürojobs sind voll davon) die Erfahrungen anderer einfach und bequem übernehmen und da aufsetzen. Das ist schon was. Es ist vielleicht nicht gerade eine Disruption, aber doch eine spürbare Änderung.

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Im Wohnzimmer stehen die Tulpen stramm

Im Wohnzimmer stehen die Tulpen mit roten Köpfen stramm, beim Bäcker gibt es jetzt „Osterhanseaten“ und die herabrieselnden Blütenblätter der Mirabelle liegen vor der Haustür wie über Nacht gefallener Schnee. Die Temperaturen gehen zurück, der Frühling macht eine strategische Pause und nimmt neuen Anlauf. Noch einmal die winterlichen Flockensymbole im Wetterbericht und im kleinen Laden mit den Blechblasinstrumenten hängt eine allerletzte, sicher längst vergessene Christbaumkugel in mattem Rot im Fenster, festgebunden an einem golden leuchtenden Instrument. Die wird wohl da hängenbleiben.

Vor den Restaurants und Cafés im Stadtteil stehen wieder Stühle und Tische, man sitzt dort und friert, man sitzt entschlossen und dennoch, man sitzt, weil es geht und weil es Zeit wird. Man will wieder draußen sein, man will wieder rauchen beim Kaffee oder beim Wein, man will auch das Gesicht starr in den einen Sonnenstrahl halten, der für alle und für den ganzen Tag reichen muss.

Es nieselt zwischendurch, es schüttet, es windet. Die Menschen frieren in der Frühjahrsmode, die Menschen tragen missmutig doch wieder die ollen Winterjacken, die sind schwer und ziehen sie runter, man sieht es den Leuten an. In den Läden überall die Schilder mit „Neue Kollektion“.

Auf dem Weg zum Brötchenholen begegnet mir am Sonntagmorgen ein Paar, das wohl von einer Party kommt, die ein wenig kinky war, vielleicht auch sehr. Sie trägt eher wenig als viel Latex unter dem wehenden Mantel, den sie lässig zuhält, als sie näherkommen. Sie guckt, ob ich gucke, sie lacht und der Mann greift nach ihrer Hand und sieht sie an. Keine hundert Meter weiter eine andere Frau, die ein viktorianisch anmutendes Spitzenkleid unter dem ebenfalls offen wehenden Mantel trägt, sie kommt vielleicht von der gleichen Party, sie kommt vielleicht ganz woanders her, und da war es jedenfalls auch gut, sie guckt so. Ich dagegen komme nur aus dem Bett und denke Party, Party, da war doch was, wie lange ist das denn her.

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Noch eine Meldung zum verschärften Vorgehen der Polizei gegen obdachlose Menschen in der Hamburger Innenstadt. Wenn ich dazu als Zeuge, der da oft herumgeht, etwas anlegen darf: Aggressives Betteln oder Belästigung durch Betrunkene kommen in der Innenstadt eher nicht vor, ich halte diese Aussage für Unsinn. Am oder im Bahnhof kann das passieren, aber in den Fußgängerzonen, Passagen etc. erlebe ich das nicht. Belästigt wird man dort von den Botschafterinnen und Botschaftern diverser religiöser Wahnvorstellungen, es stehen stets Leute mit ausgeprägtem Missionsdrang herum und reden und predigen und brüllen und geifern.

Die Bettelnden aber belästigen die Leute nicht. Es ist nur wieder das Elend, das man nicht mehr sehen möchte, das soll bitte woanders stattfinden und die Einkaufenden nicht stören. Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd‘ andere an.

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Im Bild zur Abwechslung einmal die Binnenalster, bin ich also doch einmal etwas herumgekommen.

Drei Schifffe der weißen Flotte am Anleger an der Binnenalster, man sieht die Namen Susebek, Ammersbek und Sielbek.

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