Variationen und Wiederholungen

Phänologischer Kalender: Mehr lilafarbene Krokusspitzen im Stadtteil, an allen Stellen, die überhaupt dafür in Betracht kommen. Das sind allerdings gar nicht so viele, abseits der Flächen unten an der Alster, es gibt hier kaum Vorgärten. Vorm Balkon lärmende Baumfällarbeiten über zwei Tage, die alte und vermutlich viel zu schräg über einem Fußweg stehende Birke am Kirchenbüro ist weg. Die kleinen Kinder auf dem Spielplatz standen mit offenem Mund und sahen dem Mann zu, der oben auf der hoch ausgefahrenen Arbeitsplattform mit der Kettensäge hantierte und den Baum Ast für Ast zerlegte, der dann auch den Stamm kappte, stückweise immer tiefer. Das Haus, vor dem diese dichtbezweigte Birke wie ein geschlossener Vorhang wirkte, es steht nun nackt und einsehbar wie ein Puppenhaus da. Man sieht am Abend in Fenster, in die man noch nie sehen konnte. Die Menschen in den Räumen wirken auf einmal seltsam exponiert und gehen wie auf einer sorgsam ausgeleuchteten Bühne durch ihre Räume. Jetzt nimmt er ein Buch, jetzt setzt er sich hin. Jetzt geht sie von Raum zu Raum, jetzt sagt sie etwas zu ihm, was ist das für ein Stück.

Ein neuer Baum wurde bisher nicht in das Loch gepflanzt, aus dem man in langer Arbeit auch den Stumpf gefräst hat, man hofft wieder so vor sich hin.

In den Foodblogs ein Rezept für Valentinstagherzen, die genau so aussehen wie die Plätzchen zu Weihnachten, nur hat man sie vor dem Backen in Herzchenform gedrückt. Denn so gehen wir durchs Jahr, indem wir diesem und jenem immer mal wieder eine leicht andere Form aufdrücken, von Monat zu Monat. Die Plätzchen etwa verfertigen wir erst als Sternchen, kurz darauf als Herzchen, dann schon als Häschen und kurz darauf lassen wir sie einfach rund und belegen sie mit einer Erdbeere, einigen Johannisbeeren und immer so weiter. Variationen und Wiederholungen.

In den Timelines werden währenddessen noch variantenreich Minustemperaturen vermeldet, begeistert klingen die Nennungen nicht mehr.

Burt Bacharach ist gestorben. Er hat einmal gesagt, Alfie sei von all seinen Liedern sein Lieblingssong, und er hatte wirklich reichlich Auswahl.

“What’s it all about, Alfie?Is it just for the moment we live?What’s it all about when you sort it out, Alfie?Are we meant to take more than we give?Or are we meant to be kind?

And if only fools are kind, AlfieThen I guess it is wise to be cruelAnd if life belongs only to the strong, AlfieWhat will you lend on an old golden rule?”

Es gibt auf der Seite Songfacts eine schöne Erklärung zu der Song-Zeile „What will you lend on an old golden rule“: The line, „What will you lend on an old golden rule“ is one that has baffled many listeners, including Barbra Streisand, who during rehearsals in 1999 refused to sing it until someone could explain to her what it meant. Her A&R man, Jay Landers, took action, calling the song’s lyricist, Hal David, who was in China but got back to him right away (the prospect of Streisand singing his song was apparently quite an enticement). When asked about the line, David replied, „It doesn’t mean anything.“ He was simply filling in words to Bacharach’s melody, figuring he would change it later. Bacharach liked it though, so they left it in. When Landers got off the phone, he told Streisand, „It’s one of those lines that’s open to interpretation.“ That was good enough for her.

Man findet Streisands Version selbstverständlich auf Youtube, wie auch die unglaubliche Ursprungsversion von Cilla Black, die bekannte Aufnahme von Dionne Warwick, etliche Cover und eine herzbewegende Interpretation von einer Whitney Houston mit sehr sichtbaren Problemen.

Hier aber der Meister selbst:


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Hier bin ich Buddenbohm

Ich habe gestern auf Mastodon geschrieben:

„Insgesamt, so dachte ich gerade, habe ich bei fast allem schon einmal lieber mitgemacht. Und das hat so gar nichts mit depressiver Verstimmung zu tun, mehr mit dem Lauf der Welt, der Gesamtsituation und Erfahrungen.“

Und, ohne mich unnötig verallgemeinern zu wollen, denn dazu habe ich kaum Anlass, ist es zumindest bezogen auf soziale Medien vielleicht doch ein verbreitetes Gefühl, ich las in meiner Timeline immerhin einiges in dieser Richtung. Man war schon einmal begeisterter dabei, engagierter. Vielleicht gilt das wieder nur in meiner Altersklasse, oder vielleicht ist es doch gängiger, ich weiß es nicht und ich habe auch gerade keine aktuellen Studienergebnisse dazu gesehen. Aber ich wäre nicht überrascht.

Und auch sonst: Wenn ich die freie Wahl hätte (die ich keineswegs habe, wer hat sie schon), ich würde jetzt an etlichen Stellen lieber mein Ding machen. Und zwar nur mein Ding. Kein Gruppending, Konzernding, Gesinnungsding, Richtungsding, Großstadtding, nicht einmal Socialmediading, in mir sperrt es sich gerade gegen vieles. Interessante Sache, da mal noch mehr drüber nachdenken. Ein dezent abgewandelter Bartleby: „Ich möchte lieber was Eigenes.“ Sollten das allerdings viele Menschen gerade denken – man würde unweigerlich doch wieder mitmachen. Auch faszinierend. Und dass das Eigene am Ende auch wieder nicht recht sein könnte, nicht einmal mir – ja, geschenkt. Es ist eh hypothetisch.

Das Blog wenigstens, es fühlt sich weiter durch und durch nach meiner eigenen Sache an. Das Blog ist in dieser Hinsicht also in Sicherheit. Hier bin ich Buddenbohm, hier darf ich‘s sein.

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Gestern und vorgestern war mir durchgehend so bibberkalt wie sonst den ganzen Winter nicht, es halfen weder Heißgetränke noch Heizungen, Pullover oder Decken. Ich denke, ich bin mittlerweile reif für die nächste Jahreszeit. Ab Sonnabend wird es wärmer, sagt der Wetterbericht, das ist also bedarfsgerecht.

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Phänologischer Kalender: In den Foodblogs erschien heute das erste Bärlauchrezept.

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Etwas vom E.T.A Hoffmann gehört und dann doch wieder abgebrochen. Es ist draußen schon zu hell für den Herrn und seine Spukhäuser, der braucht eindeutig eine novemberige Kulisse. Dann den Zwerg Nase von Wilhelm Hauff gehört, daraufhin das Märchen und den Dichter strebsam wie stets in der Wikipedia nachgelesen und dabei Wort das Suzeränität gelernt (es kommt im Text eine Pastete Souzeraine vor, eine ironische Ableitung dieses Begriffs), von dem ich noch nie etwas gehört hatte. Es ist nämlich tatsächlich so, dass Märchen bilden.

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 7.2.2023

Nach wie vor füllen sich die Linksammlungen eher langsam, vielleicht liegt es auch an mir. Womöglich habe zu abseitige Ansprüche, womöglich bin zu wenig allgemein oder auch zu wenig speziell interessiert, vielleicht lese ich zu wenig Quellen oder zu viele nur flüchtig, was auch immer, aber ich folge bei der Zusammenstellung dieser Links weiterhin nur einem schwer ausdeutbaren inneren Algorithmus, der mich beim Lesen eines Textes denken lässt: „Nehme ich.“ Geistreicher findet die Auswahl nicht statt, das ist alles.

Wobei ich die Frage, was ich eigentlich lesen möchte, im Moment gar nicht mal so schnell beantworten könnte, und ich habe den leisen Verdacht, ich wäre da früher nennenswert flotter mit einer Antwort zur Hand gewesen. Aber wann war früher?

Na, egal. Hier erst einmal die Links. Den ersten musste ich nicht einmal lange suchen, den habe ich selbst geschrieben. That was easy!

Ich habe also für das Goethe-Institut etwas über ein Bild notiert, ein fortgeschritten februariger Text über einen kleinen Moment nur, eine im Vorbeigehen beobachtete Szene auf dem üblichen Rundgang durchs Revier.

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Patricia über die Marie-Kondo-Schlagzeile.

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Frau Herzbruch über ein unangenehmes Thema, über Einbrüche, die hier im Umfeld auch in diesem Winter äußerst unerfreulich eskalieren, wobei das Umfeld bis in unseren Keller reicht. In dem es nichts zu holen gibt, aber egal. Das sieht man den Kartons und Krempelkisten vielleicht nicht an. Fahrräder kann man holen und tut es auch, entnervend oft. Ich kaufe nicht mehr dagegen an, ich gehe zu Fuß. Schuhe werden deutlich seltener gestohlen.

Und dann schreibt sie noch über Frau Faeser, aber das ist im Moment ein womöglich noch unangenehmeres Thema, womit auch schon fast alles gesagt ist.

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Franziska übernimmt das Monatsnotizformat von Nicola, das finde ich gut. Blogformate weiterreichen, das ist fast wie früher. Ich bin im Moment mehr ein Freund des täglichen Schreibens, aber ich finde diese Monatsnotizen nützlich, denn ich lese gerne nach, was andere lesen oder sehen. Das also gerne mal nachmachen.

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Ganz und gar kein launiger Text – über child post traumatic stress disorder.

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Die Helligkeit als Planungsmöglichkeit

Ich höre noch einmal das Irische Tagebuch von Heinrich Böll. Das ist einerseits gut, weil dieser Text auf eine traurig-milde Art sehr schön ist und schon ein guter Grund, den Herrn Böll in freundlicher Erinnerung zu behalten, das ist andererseits schlecht, weil ich Lust bekomme, auch irgendetwas zu beschreiben, was nicht vor der Haustür liegt. Das aber ist nicht so einfach gerade, schon jahreszeitenmäßig nicht, denn so gerne bin ich im Moment gar nicht draußen, es fehlen immerhin noch ein paar Grad bis zu den üblichen 12, auf die ich seit 2020 als Mindesttemperatur geprägt bin. Im Wetterbericht tauchen sie genau in diesem Moment auf, wie nett ist das denn – in ein paar Tagen soll es so weit sein. Vielleicht.

Wo übrigens gerade der Verkehrsminister wieder von breiteren Autobahnen träumt, wie man liest, von noch mehr Verkehr, von noch mehr Autos, es gibt da eine schöne Stelle bei Böll, wo er von den Kühen berichtet, die so selbstverständlich über die irischen Dorfstraßen zu den Weiden oder zurück zum Stall ziehen und er sagt dann weiter, dass es für eine Blasphemie halte, die Straßen künftig den Motoren zu überlassen, und er wehrt sich heftig gegen den Anspruch der Autofahrer. 1957 hat er das geschrieben, als die Verkehrsplaner gerade weltweit in langanhaltende Ekstase gerieten und anfingen, alles umzubauen oder erst einmal plattzumachen.

Im Discounter steht währenddessen schon der kleine Stand mit den Samentütchen, Radieschen, Möhrchen, etc. Es geht los, es geht los. Also zumindest demnächst. Wir gehen auf Mitte Februar zu, das ist da, wo die Tage wieder so hell sind, dass das Licht im Vorstellungsvermögen auch ankommt, man sich also nicht mehr alles, was man sich vornimmt, als routinemäßig in stockdunkler Umgebung vorzustellen hat. Ich nehme zumindest an, dass es bei anderen auch so läuft. Die Helligkeit als Planungsmöglichkeit und wieder üblicher Umstand am Tag, so in etwa. Am Montagmorgen habe ich einen routinemäßigen Termin in einem anderen Stadtteil, und der findet auf einmal bei Tageslicht statt, es fällt sehr auf.

In der Innenstadt sehe ich in einem Dekoladen im Vorbeigehen den ersten Stand mit bunten Osterhasenfiguren.

Und in der Linde vor dem Balkon die Grünfinken, endlich. Seit einem halben Jahr weiß ich, dass sie da unten irgendwo sind, ich konnte das an den Lauten klar und zweifelsfrei zuordnen, nie habe ich sie gesehen, es sind gekonnt versteckt lebende Vögel. Jetzt aber. Die Liste der vom Balkon aus gesehenen Arten bleibt immer noch stadtmittetypisch eher überschaubar, aber egal, eine Ergänzung gibt es jetzt doch. Letztes Jahr der Buntspecht und die Mauersegler, dieses Jahr die Grünfinken, hat 2023 also schon einmal ein Soll erfüllt. Nächstes Jahr dann vielleicht ein Wintergoldhähnchen oder so, man hat ja noch Wünsche offen.

Ein Dompfaff wäre auch nett. Die waren in meiner Kindheit noch ganz selbstverständlich, fällt mir gerade ein, und sie sind mir dann vollkommen aus der Wahrnehmung gerutscht. Sie kamen einfach nie wieder vor, in keiner Wohnlage, und da ist es wieder – am schwersten ist doch das zu bemerken, was man nicht mehr bemerkt.

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Rauf und runter muss es gehen

Am Sonnabend gibt es gegen 17 Uhr etwas Abendrot mit freundlich angestrahlten Wolken, rosa eingefärbt. Es gab auch schon einmal schöneres Abendrot, es ist nicht so, dass man da jetzt den großartigsten Himmel des Lebens vor sich hätte, aber es ist – immerhin! – ein Himmel, der oben blau ist und an den Rändern rötlich, es sind immerhin irgendwie angenehm ausgeleuchtete Wolken, es sind Farben in der Natur, und die Leute stehen reihenweise vor dem Bahnhof und fotografieren das, was zu anderen Jahreszeiten vermutlich keine Sau interessieren würde, das bisschen Stimmungslicht über der Kuppel der Kunsthalle. Dann sehen sie auf ihre Handys, filtern herum, verschicken vermutlich Bilder und freuen sich. Man braucht gar nicht viel, denke ich im Vorbeigehen, man braucht ja gar nicht viel.

Im Supermarkt sehe ich Regalhumor, da steht der „Leistungstee“ direkt neben dem „Anti-Stress-Tee“, es sind Produkte der gleichen Marke. Die mal lieber nicht verwechseln, alles immer zur rechten Zeit und abwechselnd trinken, wie damals bei Alice im Wunderland, rauf und runter muss es mit einem gehen, und ich stehe als Grinsekatze vom Dienst vor den so launig benannten Teesorten.

Abends koche ich Hühnersuppe, was bekanntlich enervierend lange dauert, aber hinterher hat man immerhin Hühnersuppe für zwei Tage. Wenn sich nur alles im Leben so eindeutig lohnen würde, was zu lange dauert. Beim Kochen höre ich Fontane, Mathilde Möhring, ein hervorragendes Buch. Es kommt im Text das Wort „Schlappier“ vor, französisch auszusprechen, es bezeichnet einen Menschen, der sich tendenziell hängen lässt und ich finde es sehr schön und unbedingt bewahrenswert. Es wird auch die dazugehörige „Schlapperei“ erwähnt, und wer kennt sie nicht, wer hat sich ihr nicht schon einmal hingegeben, gerade im Februar, und manche, glaube ich, planen sie sogar ganzjährig an jedem Wochenende ein.

Aber das müssen wir jetzt nicht mehr durchdenken, es ist Sonntagspätnachmittag, es dunkelt schon, es ist gleich schon wieder Montag, kaum haben wir uns im Bett einmal umgedreht.

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Der Griff zur Kette

Am Freitagmorgen klatscht der Regen wieder ans Fenster, der Sonnenschein des Donnerstags war nur ein heiteres Zwischenspiel und wird erst einmal nicht fortgesetzt. Der Wind heult den ganzen Tag wie in Schauergeschichten oder in Nordkapdokumentarfilmen, es ist für mich stimmiges Home-Office-Wetter. Ich arbeite gerne in dieser Geräuschkulisse.

Im Newsstream am Vormittag die bemerkenswert blöde Schlagzeile: „Pandemie belastete viele Kinder.“ Ach was?! Das geht so weiter: „Die Belastung variierte mit den Wellen und den Maßnahmen. Dies zeige, Kinder reagierten sensibel auf drastische „Veränderungen in ihrer Lebenswelt“.

Kaum stellt man den Alltag der Kinder komplett auf den Kopf und hält sie von Offline-Kontakten mit Gleichaltrigen und jedem Spaß ab, schon reagieren sie also irgendwie, die kleinen Mimosen. Wie dummerhaft und inhaltsfrei können Nachrichten sein?

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Die Herzdame hat frei und macht einen Wellness-Tag mit Sauna und allem, was mir die schöne Gelegenheit gibt, stundenlang zu denken: „Gott sei Dank muss ich keinen Wellness-Tag mit Sauna und allem machen.“ So kommt hier jeder zu seinem Vergnügen, wir haben ein insgesamt ausgeglichenes Verhältnis.

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Auf dem Spielplatz unten ist wetterbedingt den ganzen Tag nichts los, ich sehe von oben den Wellengang in der großen Pfütze, Eltern und Kinder bleiben heute weg und beschäftigen sich lieber drinnen, nur die üblichen Vogeltruppen, Tauben, Möwen und Krähen patrouillieren gelegentlich durch die verlassene Sandkiste. Dann doch noch ein Mensch: Ein Mädchen im Teenager-Alter steht rauchend neben den Schaukeln, steht da nur so herum und guckt vor sich hin. Fasst dann kurz die Kette der einen Schaukel an. Geht rüber zur Wippe und steht eine Weile sinnend vor dieser, geht dann auch noch zum Basketballkorb, guckt hoch. Raucht dabei immer weiter, ein wenig hektisch vielleicht, unentspannt wirkend. Sieht sich um. Nickt. Geht im Kreis, weiß vielleicht nicht recht weiter. Geht zum Tor, bleibt stehen, dreht sich noch einmal um. In einem Film, so denke ich mir, wäre die Drehbuchvorgabe wohl gewesen, auf einem Spielplatz Erinnerungen an die Kleinkindzeit hochkommen zu lassen, dieses Erinnern irgendwie möglichst deutlich darzustellen, deswegen der zögerliche Griff an die Kette der Schaukel, der war ziemlich gut gespielt, fand ich, und die Hand hätte ich in Großaufnahme … na, egal.

Sie wirft ihre Kippe nicht auf den Boden, sie macht sie am Rand eines Mülleimers sorgsam aus und wirft sie dann hinein. Das macht sonst kaum jemand. Sie geht weg und sieht durch den Zaun noch einmal zurück. Es fängt wieder an zu regnen, sie dreht sich um, setzt die Kapuze auf und geht ab, Richtung Bahnhof. Schnitt. Nächste Szene, was raten wir da – ein Umzug, weg aus diesem Stadtteil, nach Berlin vermutlich, denn es ist eine deutsche Produktion. Lebensfilme.

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Tapfer aufwärtsstrebend

Die Maskenpflicht im Nahverkehr gilt seit dem 1. Februar auch in Hamburg nicht mehr, es sei der gepflegten Chronik halber noch eben festgehalten. Ich fahre am Mittwoch ins Büro und zähle morgens im S-Bahnwagen einmal durch: Halb und halb, ziemlich genau. Man trägt sie dennoch, man trägt sie nicht. Keine klare Mehrheit, die Medien werden wieder etwas von gespaltener Gesellschaft schreiben, als ob sie jemals nicht zerspant gewesen wäre. Na, egal. Das Ganze ist, soweit ich es mitbekomme, an diesem Tag kein Aufregerthema, es ist nicht das Hauptthema der Stadt, das ist eher der Streik bei U-Bahnen und Bussen. Dazu hat man Meinungen, auch vehement und laut, und gewerkschaftsfreundlich sind sie leider nicht.

Am Donnerstag sehe ich mir Busse an, volle Busse, die am Abend durchs kleine Bahnhofsviertel fahren, da hat sich die Lage schon wieder geändert: Ein Passagier mit Maske, alle anderen ohne, sehe ich in dem einen. Ein Bus komplett maskenfrei. Solche Bilder, ganz anders als am Mittwoch in der S-Bahn, erstaunlich anders. Das ging schnell.

In meinem Umfeld, und das berichte ich, ohne damit eine Meinung zu vertreten oder eine Absicht zu haben, gibt es etwa seit Weihnachten keine neuen Covid-Erkrankungen mehr, auch nicht in den Klassen der Söhne, oder sagen wir genauer: es gibt zumindest keine bemerkten, festgestellten und testbelegten Diagnosen. Was auch immer da die Wahrheit sein mag, ich möchte das nicht mehr raten.

Und nur zehn Minuten weiter, nachdem ich den letzten Absatz getippt hatte: Wieder neue Fälle im Freundeskreis, frischer Meldungen kommen rein. Ich bleibe bei dem Thema weiterhin etwas unentspannt.

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Am Donnerstagnachmittag ansonsten unvermutet die Sonne, blauer Himmel und dergleichen, man möchte lange am Fenster oder in der offenen Balkontür stehen und staunen. Draußen Menschen, die ihre Gesichter in die Sonne halten, dazu so eine gewisse Stimmung in der Luft, so ein Licht, so ein Geruch, so eine Ahnung. Nur kurz hält es an, aber es war eben doch, man kann es seelisch vermerken, es hilft immerhin etwas. In einer geschützten Ecke neben dem öffentlichen Bücherschrank, in dem heute nur zwei Bände des Bertelsmann-Universallexikons stehen, die mich so gar nicht interessieren, sehe ich die ersten lilafarbenen Krokusspitzen, noch verschlossen, noch vorsichtig.

Und ein Beet weiter die frischgrünen Triebe der Osterglocken, tapfer aufwärtsstrebend durch die Hundescheiße und die Kippen. That‘s the spirit.

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Davon abgesehen behält mein Text von gestern seine Gültigkeit, die Woche eskaliert vor sich hin, die Komplikationen blühen und gedeihen, der Wahnsinn wabert. Ich erinnere mich an ein sinniges Zitat von Frau Novemberregen: „Ihre internen Prozesse interessieren mich nicht“, ich hätte ihn heute leidenschaftlich gerne etwa viermal angebracht, es ging aber jeweils aus Gründen nicht und das war dermaßen schade. Ich liebe diesen Satz.

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Reklamation

Ich wollte es der Woche nicht frühzeitig anlasten, immer allem eine weitere Chance geben und dann auch noch eine (Bernd Begemann: Gib mir eine zwölfte Chance), ich bin selbstverständlich stets so weit bemüht, aber diese Woche taugt bisher wirklich gar nichts. Von einer sehr freundlichen Kundenmail einmal abgesehen, ich suche mir meine Highlights mühsam zusammen. Immerhin finde ich welche, ja, ja, ich habe es noch gut, ich weiß.

Ansonsten, und ich weiß gar nicht recht, woran es liegt, habe ich lange nicht mehr so viel Text aller Art gelesen und auch gehört, in ganz verschiedenen Umfeldern, um es vorsichtig auszudrücken, der mich jedenfalls unangenehm sicher sein ließ: Es sind im Ernst alle verrückt geworden. Es ist nicht mehr anders erklärbar, was da vor sich geht. Und wenn ausgerechnet ich der Restposten der Vernunft sein soll, dann aber gute Nacht, echtjetztmal, das kann dann nichts mehr werden. In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen, wer war das noch einmal? Brecht war es. „Und nach uns wird kommen: nichts Nennenswertes.“ Das Gedicht vom armen B.B. Heute deutsche Kulturgeschichte von Brecht bis Begemann, am Ende dieses Textes kommt dann noch einer mit B als Bonus, aber der dann ohne Lyrik.

Bis zu einem gewissen Grad billige ich mir Gedanken dieser Art mittlerweile schon vom Alter her zu, die Welt darf mir allmählich absonderlicher vorkommen, ich gehe immerhin auf die 60 zu. Das passt also schon ins Bild und auch in die Tradition, so ist der Lauf der Welt und der Generationen, sachte treibt man aus dem Mainstream an schrulligere Gestade. Es ist okay, dass die anderen immer andersartiger werden. Dann wieder denke ich: „Ja, aber doch nicht so!“ Kopfschütteln, aber als Freizeitsport.

Ich gehe über einen Zebrastreifen, ein heranbrausendes Auto bremst, als ich mitten auf der Straße bin, nicht etwa ab, es beschleunigt vielmehr und fährt dann einen Schlenker um mich herum, so halb Richtung Fußweg kurvend und unangenehm knapp, und ich denke: Eben. Das ist genau, was ich seit Tagen meine. Alle komplett verrückt. Ich denke auch: Anzeige ist raus. Aber das stimmt gar nicht, das denke ich nur zu meiner inneren Entlastung, frage mich dann, wer mir das denn bitte sehr glauben soll, wenn ich doch, was wenigstens noch zu hoffen bleibt, meine Gedanken nur selber mitbekomme, und da wird es dann schon wieder schnell kompliziert.

Nein, es ist keine Anzeige raus. Aber wenn es auch nur ansatzweise sinnvoll wäre, diese Woche irgendwo als vollkommen unbrauchbar, unbespielbar, nicht funktionsfähig zu melden, ich würde es glatt tun.

Es wird allerdings, ich sehe es gerade in dem Kalender-Tool des Computers, demnächst eine neue Woche nachgelegt. Man kann hoffen. Und wie immer an dieser Stelle denke ich an die Zeit im Antiquariat zurück, in der mein damaliger Chef aufs Stichwort ins Regal griff, den Wälzer vom ollen Bloch herauszog, „Das Prinzip Hoffnung“, und dann damit stumm winkte. Szenen, die mir bleiben.

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Wir übersehen Saisonwaren

Wenn Sie mal ein wenig von der Gegend sehen wollen, über die ich hier dauernd schreibe, ein wenig von den Problemen auch, es gibt einen Bericht beim NDR über die Eröffnung der neugebauten Bahnhofsmission. Das ist einer von den wichtigen Orten, zu denen man in desolaten Lagen immer gehen kann, so niedrigschwellig, wie es nur denkbar ist. Und das machen auch viele Menschen, die in irgendeiner Not sind, es ist nicht immer nur die Wohnungslosigkeit. Der Bedarf ist riesig, die Leute haben da viel zu tun und sind im ganzen Bahnhof emsig, ich sehe die oft herumlaufen. Drumherum müssen Sie sich bitte noch weitere Angebote von anderen Anbietern von Hilfen vorstellen, die etwa Kaffee und Essen ausgeben, dazu noch die verschiedenen Gesundheitsmobile, das Zahnmobil, auch den Duschbus für Obdachlose vor dem benachbarten Museum, den Gabenzaun und dann, noch etwas weiter, die Methadonausgabestelle usw. Es gibt viel Not, es gibt viel Hilfe, aber vermutlich ist es nie genug.

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Im Drogeriemarkt wurde der erste Stand mit Karnevalszubehör aufgebaut. Kinderschminke, Bärte zum Ankleben, Konfetti und dergleichen, denn in den Grundschulen und Kitas findet Karneval auch bei uns statt. Danach verwächst sich die Bereitschaft dazu dann allerdings und tritt später nicht mehr auf. Die erwachsene Kundschaft ohne Nachwuchs an der Hand sieht ernst und entschlossen über diese Saisonwaren hinweg. Vor dem Regal mit den Nahrungsergänzungsmitteln stehen währenddessen drei Herren mit Lesebrillen und studieren gründlich, womit sie sich noch verbessern könnten.

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Wir erreichen ansonsten planmäßig den Februar, den ich immer als Zwischenstation verstehe. Februar, das ist keine Endstation, das ist keine Wunschdestination, da kommt man eher irgendwie durch, das ist wie Umsteigen in Hannover oder so. Das will man nicht, das macht man mit. Im März – also gleich schon! – dann wieder die Frühlingshofferei als Unterhaltungsprogramm, da hat man seelische Beschäftigung und ist wieder etwas schöner ausgelastet.

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Ich war im Traum in den meines Wissens nicht existenten Günter-Grass-Stuben in Lübeck und habe nachgesehen, ob dort Butt auf der Speisekarte steht. Das nächtliche Unterhaltungsprogramm ist hier also weiterhin super, keine Klagen, jeder Schlaf ein Genuss. Der Wachzustand fällt deutlich dagegen ab.

Egal. Weitermachen.

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 31.1.2023

Ein paar Links finden sich dann doch, auch wenn die Sammlungen schon einmal etwas flotter und üppiger voll wurden. Aber das passt zu den Zeiten der Kargheit, die uns kalendarisch zweifellos nach wie vor geboten sind, da will ich mich nicht beschweren. Reduce to the Max, wie es früher einmal in der Werbung hieß. Ich fühlte mich da immer angesprochen, auch wenn der Satz sich in Flirtsituationen dann nicht bewährt hat. Egal.

Jochen über einen Bäcker mit sehr kleinem Laden, bei dem ich auf dem Weg zum Garten glatt einmal vorbeisehen könnte, er liegt an der Strecke. Nützlich, diese Blogs, was man da alles findet.

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Es wird für das Schöffenamt geworben, und es gibt dazu noch einen zweiten Teil.

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Meike über Nomaden und Sonntagsbraten.

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Wenn ein Lehrer zum Tanzkurs geht. Vermutlich gibt es viele Arten, das Tanzen zu lernen, für mich ging das damals nur übers Mitsprechen im Geiste, übers Aufsagen.  Für mich war Tanz bewegter Text, Lyrik mit besonders viel Schwung, zappelndes Deklamieren. Stimmlos, versteht sich. Das mit den Zahlen dagegen habe ich alles nicht verstanden. Entweder ich sage etwas auf oder ich zähle, beides geht nicht.

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Es gab, einem schon ziemlich lange laufenden Tiktokttrend folgend, Pasta mit Baked Feta, etwa so. Das fand ich gut und angenehm simpel, das mache ich wieder. Serviervorschlag: Vor dem Essen etwaige Kinder aus dem Raum entfernen, die klagenden Blicke verderben einem sonst leicht den Appetit. Ich habe als Kind Feta gemocht, von mir haben sie das nicht. Ts.

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Ein Text über die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum. Bloggemäß aus persönlicher Sicht. Würde ich in Nordfriesland wohnen, ich könnte vermutlich einen erstaunlich ähnlichen Text schreiben.

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Über das Fahren mit der richtigen Geschwindigkeit. Mit dem Thema darf ich gar nicht erst anfangen, ich bin Straßenverkehrsordnungsspießer und finde Regeln super, das ist mittlerweile aber eine vergleichsweise einsame Position geworden. Siehe in diesem Kontext auch Freiheit, Eigenverantwortung und andere leicht missverständliche Begriffe.

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