Anmerkungen zur Nachlässigkeit

Wie neulich bereits erwähnt, ich war in der letzten Woche bei der Rede von Liao Yiwu – das erste Mal überhaupt, dass ich einen chinesischen Dichternamen auswendig weiß – zum Tag des Exils, nicht zufällig fand diese kurz vor einem gewissen Jahrestag statt. Ich sehe gerade, die Regierung da möchte da gewisse Vokabeln lieber nicht hören, etwa die Sache mit der Unterdrückung.

Wer das ganze Bild des Abends in journalistischer Manier haben will, der findet das im verlinkten Text, ich empfehle das natürlich. Ich bleibe aber, auch wenn das in den letzten Tagen nicht gerade einfacher geworden ist, beim Blogstyle und schreibe wie immer nur über das, was mir auffiel.

Das fing beim Publikum an. Ich gehe gerne zu früh zu Veranstaltungen, über die ich vermutlich etwas schreiben möchte, ich denn will saehen, wer da wie reingeht. Wer also besucht die Rede eines sehr bekannten chinesischen Dichters, der dem Staat dort ganz und gar nicht passt? Das war etwas schwer zu deuten, es lag zwischen einem typischen Hamburger Opernpublikum und den Besuchern einer Dichterlesung, wobei das Wort Dichter hier sehr feierlich zu betonen wäre, also im deutlichen Gegensatz zu Poetry Slam und anderen modernen Formaten. Ich habe eine Weile herumgerätselt, bis die Rede begann und etliche die Kopfhörer für die Übersetzung nicht aufsetzten, da kam ich erst darauf, dass auch etliche akademische Kennerinnen des Landes dort gewesen sein werden, Sinologinnen also, die Herren sind mitgemeint.

Interessanter noch fand ich aber, wer nicht da war. Die Rede fand in einem Saal in der Körber-Stiftung statt, der Saal war nicht gerade klein und rappelvoll besetzt, es waren allerdings kaum Menschen chinesischer Herkunft zu sehen. Wirklich fast keine. Wie kann man sich das nun erklären, kann man da überhaupt auf einen guten Grund kommen? Ich weiß das nicht zu beantworten, aber ich finde es nach wie vor unheimlich. Wobei ich natürlich völlig ahnungslos bin, was die Wirkung von Liao Yiwu angeht, was China angeht, was chinesische Literatur angeht, ich habe keinerlei tiefere Kenntnis und kann das also alles nicht einschätzen. Soweit ich es verstehe, ist Liao aber sehr bekannt, auch in China. In Berlin, wo er jetzt lebt, ist er übrigens nicht der einzige Geflohene aus diesem Staat.

Weiter mit den Bemerknissen. Der Beginn des Abends wurde von einem Herrn moderiert, der mich gedanklich stark auf Abwege brachte, weil er einen so faszinierenden Titel hatte, das war der Leiter des Bereichs Demokratie, Engagement und Zusammenhalt bei der Stiftung. Ich neige bei Berufen selten zu Neid, aber das fand ich dann doch ungeheuer kleidsam für Visitenkarten, Leiter Demokratie, Engagement und Zusammenhalt – das hat doch zweifellos etwas und ich fragte mich also doch wieder einmal, was ich sonst als Frage lieber grundsätzlich vermeide, nämlich warum ich eigentlich nichts Sinnvolles gelernt habe. Nach solchen Fragen bin ich allerdings dummerweise erst einmal zehn Minuten unbrauchbar und kriege nichts mehr mit.

Dann gab es ein kurzes Lehrstück über Diskursverschiebung, es war in der Einleitung nämlich die Rede von Menschen im Exil, es war die Rede davon, was sie brauchen, um ihre berufliche Biographie fortzusetzen, und ich habe gemerkt, dass es mich mittlerweile schon freut, wenn überhaupt einmal etwas Positives im Zusammenhang mit Fluchtgeschichten erwähnt wird, wenn es um Hilfe und Unterstützung geht, wenn das also selbstverständlich ist und auch als möglich gilt. So weit runter bin ich also auch schon selbst, dachte ich, und das muss man ja unbedingt zur Kenntnis nehmen, wenn man so etwas an sich bemerkt. Sie sollen ihre berufliche Biographie fortsetzen können, die Exilanten, selbstverständlich sollen sie das, es klingt aber wie vor 2015. Es ging dann um die Frage, was sie für diese berufliche Biographie brauchen, dazu gehört bei Dichtern auch die Öffentlichkeit. Ein normaler, ein ganz logischer Satz. Aber vor ein paar Jahren wäre er noch normaler gewesen, Diskursverschiebung findet nicht nur in den Medien, sondern auch in einem selbst statt,

Ich habe ein Video gefunden, darin stellt sich Liao Yiwu vor, es dauert eine halbe Stunde. Es enthält einen Aspekt für die literarisch Interessierten, der in der Rede nicht vorkam, den finde ich aber wichtig. Denn dieses Gedicht, dieses sehr bekannte Gedicht, das schreit er – und das ist dann schon etwas anderes, als wenn man es wie die Lyrik damals in der Schule oder im Bändchen auf dem Nachttisch schlicht abliest. Es ist etwas ganz anderes. Gucken Sie mal, das Gedicht rezitiert er mit Unterbrechungen durch die Erzählung, die aber auch die halbe Stunde wert ist:

Liao Yiwu hat an dem Abend der Rede durchgehend Chinesisch gesprochen und wurde simultan übersetzt, übrigens deutlich langsamer, als das mit englischsprachigen Gästen der Fall gewesen wäre. Liegt das an der Sprachstruktur? Das weiß ich auch wieder nicht. Sein Roman “Die Wiedergeburt der Ameisen”, den ich gerade angefangen habe, wurde in dreijähriger Arbeit übersetzt (Karin Betz), das ist auch ein etwas anderer Zeitmaßstab als sonst. Ich habe noch nie einen chinesischen Autor gelesen, aber wo ich ihn jetzt doch quasi kenne – gut, genau deswegen wollte ich ja, wie neulich beschrieben, zu mehr Veranstaltungen gehen. Im Gefängnis hat Liao Yiwu heimlich Manuskripte in winziger Schrift verfasst, kaum ameisengroße Zeichen, daher der Buchtitel.

Noch zwei Aspekte, die mir auffielen. Zum einen spricht der Herr kein Deutsch, obwohl er seit Jahren hier ist, also zumindest spricht er es nicht öffentlich. Er sagte, er sei damals im Deutschkurs der Schlechteste gewesen, was wohl alle für einen Scherz hielten, es wurde allgemein gelacht, ich habe nicht ganz verstanden, warum. Wenn jemand Schriftsteller ist, muss er ja nicht zwingend auch gut in Fremdsprachen sein, das hat doch keinen garantierten Zusammenhang? Er kann wohl das Deutsche etwas verstehen und vielleicht auch lesen, er würde aber nicht sprechen und schreiben in der Sprache, er sagte: “Auch wenn ich lebenslang Deutsch lernen würde, ich könnte nie ein Gedicht in dieser Sprache schreiben. Das bringt mich zur Verzweiflung.”

Schließlich ging es um sein Flötenspiel, er hat bei der Lesung auch musiziert. Das Spielen hat er im Gefängnis von einem alten Mönch gelernt, was wie in einem Drehbuch klingt, aber es kommt noch besser – wenn er spielt, dann klingt es nämlich tatsächlich genau so. Wenn Sie sich kurz mal das Flötenspiel eines alten chinesischen Mönches in einem abgelegenen Gefängnis wie in einem Film vorstellen, genau das war es, und das war einigermaßen unheimlich, weil in diesem Spiel Bilder und Situationen mitklangen, die man ganz sicher nicht gesehen und erlebt haben möchte.

 

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Hängengeblieben ist mir schließlich noch ein Satz über den chinesischen Überwachungsstaat, Yiao Liwu erinnerte in einem Nebensatz daran, dass China die grundlegende Technik dazu importiert habe. Aus dem Westen, von uns. Das passte zu dem neulich gehörten Vortrag von Aral Balkan, ich berichtete, und endete mit dem freundlichen Hinweis, dass die Menschen in den freien Gesellschaften oft nachlässig gegenüber der Demokratie und den Menschenrechten seien.

Wozu fast nichts weiter zu ergänzen ist, außer vielleicht, dass ich den abschließenden Satz, der hier gleich unter dem Text kommen wird, Sie wissen schon, der Satz, der da immer kommt, dass ich den also einfach so hinschreiben kann. Ist das nicht toll? Es folgt darauf keine Einladung zum Tee, wie in China die verhängnisvollen Vorladungen zur Polizei heißen, es folgt darauf im besten Fall einfach nur ziemlich bald der nächste Eintrag. Ich kann meine Meinung einfach so da hinschreiben, es war mir ein Bedürfnis, das nach dieser Rede wieder einmal festzustellen.

Denn Nachlässigkeit lässt man sich ja nicht gerne nachsagen.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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2 Kommentare

  1. Sind vielleicht deshalb keine Chinesen zur Lesung gekommen, weil sie Angst vor Überwachung/Spitzeln hatten?
    Oder sind Chinesen, die in Hamburg leben, eher welche, die zu systemkonform sind, um mit Liao Yiwu was anfangen zu können?

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