Freie Platzwahl vor Sonnenuntergang

Mittwoch, der 14.6. Auf der Insel weit draußen sterben die Vögel, lese ich am Morgen. Es ist in der Regel ganz und gar nicht erbaulich, morgens Nachrichtenseiten aufzumachen, aber die Neugier. Was soll man machen.

Bei einem der vollkommen altersgerechten Probleme von Sohn II fragte ich mich gestern, was wohl ab und zu eine sinnvolle Frage sein kann, nämlich wie das denn bloß vor zwei Jahren bei Sohn I war, aber mit dem habe ich, so vermutete ich, gewisse Diskussionen nie in dieser Art geführt, wieso denn eigentlich nicht, oder täusche ich mich da, ich musste doch etwas grübeln. Und dann fiel es mir wieder ein: Diese Gespräche gab es nicht. Denn er hat, wie alle Kinder seines Alters, ein paar Erfahrungen einfach ausgelassen, da war Corona, und wie das war. Da war einiges etwas anders, to say the least, und ein paar jugendromantypische Eskapaden kamen bei ihm und seinen Freunden einfach nicht vor. Die dazugehörige Welt fand für sie nicht statt.

Es ist sicher sinnvoll, sich das ab und zu wieder klarzumachen, denn es ging selbstverständlich nicht spurlos an denen vorbei. An ihren Eltern auch nicht, aber das führt schon wieder zu weit.

Am Abend nach der Arbeit gehen die Herzdame und ich noch auf einen Drink raus. Das kommt bei uns ausgesprochen selten vor, wir kommen ja zu nichts. Heute aber doch einmal, und da die Herzdame an diesem Tag noch gar nicht vor der Tür war, gehen wir runter zur Alster, zum Sonnenuntergang. Auch das machen wir normalerweise nicht, denn da unten ist es uns immer zu voll, zu überlaufen, zu betriebsam, schon gar bei gutem Wetter. Wir gehen fest davon aus, auf dem Steg eh keinen Platz zu bekommen, auf diesem Steg mit der Gastronomie darauf, von der wie nicht einmal wissen, wie sie heißt, wie wir amüsiert feststellen. Wir gucken da normalerweise nicht einmal hin. Wir sind dann überrascht, dass es da eher leer ist, fast freie Platzwahl vor Sonnenuntergang, vor Alster, vor Segelbooten und Stand-Up-Paddelnden, vor Schwänen und Gänsen. Vielleicht denken heute viele wie wir und gehen gar nicht erst los, man ist immerhin nie der Einzige mit seinen so betont hochindividuellen Gedanken.

Ein Steg an der Alster, eine Bank mit Sitzpolster darauf, daneben ein Glas Bier

Windig ist es allerdings da am Wasser, wieder sehr windig, fast schon zu kalt dadurch. Die Bedienung hat Ohrenschmerzen und klagt und leidet, sie steht schon den ganzen Tag in den Böen, die mit jeder Stunde kühler werden. Sie vergräbt sich in ihre Hoodie-Kapuze und bleibt morgen vermutlich krank im Bett, zumindest dem Aussehen nach. Neben uns sitzen zwei Männer in T-Shirts und kurzen Hosen. Sie haben einen besonders exponierten Platz im, lassen sich dadurch aber überhaupt nicht stören und besprechen hochkonzentriert Softwareprojekte. Englisch mit indischem Akzent. Sie sprechen ruhig, sie lassen sich ausreden und sind überhaupt sehr höflich miteinander. Sie trinken ihr Bier dabei langsam, in kleinen Schlucken, wie pflichtgemäß. Untypische Biertrinker sind es. Man muss doch etwas trinken, denken sie vielleicht, wenn man hier schon sitzt.

Die Herzdame und ich sitzen auf diesem Steg und wir wundern uns. Wir spielen Touristen nur ein paar Meter von unserem Haus entfernt, wie gut uns das also gelingen kann.

Einfach mal rausgehen.

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