Wellen und Wehen

Dienstag, der 25. Juli, Meran. Um nicht noch weiter in der gebloggten Zeit zurückzufallen, poste ich hier und da etwas mehr, ich hänge sonst tatsächlich noch zu Weihnachten erst im Frühherbst und berichte von Pflaumenkuchen, während Sie schon in Lebkuchen beißen, das geht so nicht.

Im Schlafzimmer der Ferienwohnung hängt ein Bild an der Wand, auf dem seltsamerweise das Meer abgebildet ist, hoher Wellengang, ein schwerer Brecher. Ich sehe das ein paarmal im Vorbeigehen und wundere mich kurz, wieso denn das Meer, wieso hier, und erst beim sechsten oder siebten Hinsehen merke ich, dass da keine Welle zu sehen ist, sondern natürlich eine Schneewehe am Berg. Wenn Norddeutsche reisen! Die Herkunft bestimmt das Bewusstsein, da haben wir es also wieder.

Die Herzdame allerdings sagt, nachdem ich diesen Absatz geschrieben habe, das sei sehr wohl eine Welle, die Söhne sagen das auch und sehen mich wieder an, als sei ich nicht bei Verstand, und ich frage mich jetzt, ob ich nicht nur gesichts-, sondern neuerdings auch landschaftsbildblind sein könnte. Man macht was mit! Aber die Lehre ist am Ende wohl nur, dass man Hotelzimmerkunst besser gar nicht erst ansehen sollte, so wird es sein.

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Der Wetterbericht sagt uns einen weiteren Regentag voraus, aber das Wetter hält sich heute einfach nicht daran, es ist fast den ganzen Tag sonnig. Wir fahren mit einem Sessellift einen Berg hoch. Meine Höhenangst wird, warum auch immer, mit den Jahren wieder weniger. Ich kann so etwas jetzt also machen, ohne kurz vor der Panik zu sein. Mir bleibt nur das allerdings starke Gefühl, dass es vollkommen falsch ist, so etwas zu machen. Ich will da oben nicht in einer Gondel hängen; es ist etwas, das zwar geht – aber wenn es einfach zu vermeiden wäre, ich würde es auslassen.

Dem Rest der Familie macht es nichts aus, eh klar, und ich mache dann mit. Urlaubszeit immer auch Mitmachzeit, das gilt für alle.

Minigolf gespielt, souverän gewonnen. Nanu!

Wieder zurück am Pool der Pension ist neben uns eine Familie, deren Kinder dermaßen wohlerzogen sind und bei der die Eltern dermaßen pädagogisch perfekte, stets leicht belehrende Sätze von sich geben, dass es zunächst etwas loriothaft wirkt und dann bald aber so schlimm wird, dass ich lieber woanders hingehe. Es ist schwer zu beschreiben, aber es gibt eine Dimension der Artigkeit und Korrektheit, bei der ich umgehend zum Krawall-Punk werden möchte, obwohl ich gut weiß, wie konventionell und bürgerlich ich selbst bin und lebe. Aber es gibt so eine gewisse Eskalationsstufe der Streberhaftigkeit, die mich jedes Mal fertig macht, wenn ich ihr begegne.

Später steht ein kleines Mädchen vor der Tür einer anderen Ferienwohnung, sie klopft und will mit Dringlichkeit rein, denn sie war lange im Pool und nun ist sie also nass und erschöpft und friert ganz erbärmlich. Sie darf aber nicht rein, denn sie klopft etwas zu laut und die Eltern belehren streng von drinnen, dass sie sich gefälligst erst abregen müsse, bevor sie wieder hineindarf. Leise soll sie klopfen, dezent, was sie allerdings immer weiter aufregt, und ich flüchte auch vor dieser Szene und den weiteren Ausschreitungen.

Es ist schon klar, dass man das eigene Ich überall mit hinnimmt und seinen Problemen also auch im Urlaub nicht entkommen kann, allerdings kommen andere Menschen auch fast überall mit hin, und das ist manchmal das noch größere Problem.

Wolken über Bergen. gewittriges Licht

Später am Abend stehe ich mit den Söhnen auf dem Balkon und wir sehen zu, wie direkt vor uns, fast zum Greifen nah, grauschwarze Wolkenfetzen umgruppiert werden, wie sie zerfasern und sich umgehend wieder neu bilden, wie sie dünne Arme ausstrecken und diese wild herumschlenkern, wie sie sich von innen heraus komplett umstülpen, wie sie mit weißen, lichten Wolken aus anderer Richtung ineinanderjagen und sich tanzend vermischen – wir sind es nicht gewohnt, dass Wolken so etwas so schnell und schon gar nicht genau vor uns machen. Wie im Zeitraffer sieht es für uns aus, ein wenig allerdings auch wie in einem Horrorfilm, gleich bildet sich da oben sicher irgendetwas Unaussprechliches und greift dann womöglich langfingrig nach den staunenden Erdlingen aus dem Norden auf dem Balkon dort unten …das hört so leicht nicht auf, dass uns die Wolken hier faszinieren.

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Ich lese „Nadine“ von Katrin Seddig. Ich war auf einer Lesung, aus der sie daraus vorgetragen hat, ich fand es da schon sehr ansprechend und der Eindruck bestätigt sich jetzt. Es ist ein guter Roman, ich empfehle ihn ausdrücklich. Es ist gewiss nicht die leichteste Urlaubslektüre, was das Thema betrifft, aber so etwas suchen ja auch nicht alle. Wer etwas Härte in den Ferien verträgt, liest hier richtig.

Das Titelblatt des Romans Nadine von Katrin Seddig

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Auf Tiktok und Instagram sehe ich abends die Videos der Brände auf Sizilien, die Flammen vor Palermo, brennende Straßen, auch weiterhin die Horrorbilder von den griechischen Inseln, jetzt auch auf Kreta, Korfu und Euböa. Es brennt ebenfalls in der Türkei und in Algerien, darüber wird deutlich weniger berichtet, es gibt außerdem schwere Unwetter in Kroatien. Man muss nun nicht mehr doomscrollen, um in die entsprechende Stimmung zu kommen, es reichen schon zwei, drei Beiträge auf Tiktok oder wo auch immer.

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3 Kommentare

  1. Diese wahnsinnig wohlerzogenen Kinder, man möchte sie schütteln. Junge, mach mal was Dummes! Schrei mal laut Scheiße oder irgendetwas anderes, das sonst nicht zum Wortschatz gehört. Genau jetzt wäre die richtige Zeit dafür. Mit Mitte 30, mit Familie und Verantwortung muss man genauer überlegen, was man tut und wie sich das auswirkt.
    Seltsam auch, dass überangepasste Mädchen diesen Impuls ungleich weniger heftig auslösen.

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