Ich sehe nach dem Aufstehen mit dem ersten Kaffee in der Hand aus dem Fenster. Im Frühdienst des Stadtteils geschieht schon einiges. Auch in den Stunden, in der routinemäßig nur wenige Menschen mitzuspielen bereit sind, am Ende der wee small hours of the morning.
Drei Möwen belagern etwa einen Mülleimer und rauben ihn aus. Wobei sie sich so abwechseln, dass es verdächtig nach einem System aussieht. Und mit Schnabelbewegungen machen sie ihre Räuberei, die derart energisch und zielorientiert sind, dass man beim Zusehen gleich etwas mehr Respekt vor diesen Vögeln gewinnt. Wie die da mehrere Plastikverpackungen gekonnt zerlegen … sie haben, es ist im Grunde eine simple Gleichung, immer noch mehr Kraft und Geschick, als man ihnen ohnehin schon zutraut.
Tauben beäugen währenddessen die Sandkiste auf dem Spielplatz und prüfen hier und da mit gewohnter Akribie, ob es sich bei gewissen interessanten Objekten um Kies oder womöglich essbare Krümel aus Kinderhänden handelt. Krähen marodieren flatternd und verhalten kakelnd durch sämtliche Blumenkästen an den Balkonen ringsum, von Stockwerk zu Stockwerk vorgehend, nein, vorfliegend.
Meisen inspizieren Stuckornamente an Gründerzeitfassaden und beseitigen Insekten, die sich dort dummerweise sicher gefühlt haben. Ein Junkie durchwühlt derweil mit bebenden, fliegenden und sehr dreckigen Händen ein Versteck, das ich nicht näher bezeichnen möchte.
Eine schwarzweiße Katze schnürt mit demonstrativem Desinteresse und adeliger Kopfhaltung quer durch die ganze Szenerie. Sie hat offensichtlich etwas Wichtigeres vor, als sich um das niedere Volk an ihrem Wegesrand zu kümmern. Sie ist nicht einmal gewillt, es auch nur am Rande zu beachten, dieses niedere Gelichter, das irgendwas treibt. Was sollte es da auch zu beachten geben.
Ein Blogger sieht aus einem Dachfenster auf die diversen Vorkommnisse, trinkt Kaffee und kramt in seinen Gedanken.
Eine Nachbarin im Haus dem Dachfenster gegenüber öffnet gähnend eine Balkontür. Sie hält ihren Kopf kurz wie einen Temperaturfühler hinaus und zündet sich dann im Türrahmen eine Zigarette an. Während sie den Rauch des ersten Zuges ausstößt, sieht sie hoch zur Kirchturmuhr und schüttelt dann den Kopf.
Ein Taxifahrer jagt sein Auto in höchst unzulässiger Geschwindigkeit durch die Tempo-30-Zone, wobei er einen Arm aus dem Fenster hängen lässt, lässig wie in alten Opel-Manta-Filmen.
Das Ringeltaubenpärchen sitzt neben einer Amsel im Holunder am Spielplatzrand. Alle drei Vögel strecken sich gerade. Ein leises Gurren und Zwitschern ist dabei zu hören. Man muss sich beim Zusehen mühsam vergegenwärtigen, dass sich diese Tiere nach jetzigem Erkenntnisstand der Wissenschaften vermutlich nicht morgens über Artgrenzen hinweg höflich darüber unterhalten, wie wohl die Nacht auf jenem anderen Zweig gewesen sei.
Aber dennoch, denkt man dann vielleicht noch, aber dennoch! Es sieht doch dermaßen deutlich danach aus. Und kann man nicht denken, was man möchte.
Ein Wind aus Südost macht schließlich schwungvoll das, was die Stimmung bei den meisten Menschen um diese Uhrzeit noch nicht macht: Er kommt auf, und zwar mit nachhaltiger Munterkeit und belebender Frische. Er spielt mit den Blättern, dieser Wind, mit den Büschen und den Bäumen, so wie wir gleich mit irgendetwas anderem spielen werden.
Vielleicht allerdings, es gibt Grund zu dieser Annahme, wird der Wind heute etwas ausdauernder spielen als wir.
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