Donnerstag, Freitag, Regen

Auf Tiktok halbiert einer der Köche dort bei einem indischen Gericht die Hähnchenbrust, mit Verweis auf die Preise: „Damit es länger reicht, das Fleisch ist doch jetzt so teuer.“ Gleich im nächsten Clip rührt jemand Hummus an und erklärt dabei, wieviel Geld man sparen kann, wenn man das künftig selber macht, er blendet auch die exakten Beträge ein, er hat alles nachgerechnet, centgenau. Die Foodszene als Trend- und Krisenanzeiger, und es ist vermutlich kein Zufall, dass mir der Algorithmus als nächstes zeigt, wie jemand von den Fünfzigern des letzten Jahrhunderts erzählt. Wie sie damals beim Essen Geld gespart haben und wie wenig es gab, wie vorhersehbar und eintönig der Speiseplan war, bevor der große Konsumzauber im nächsten Jahrzehnt für die Mehrheit losging. Wieviel sie damals noch selbstgemacht und auch angebaut haben, ein paar Jahre vor meiner Geburt. Ich habe den radikalen Wandel zur Supermarktmentalität dann in meiner Kindheit und Jugend erlebt. Aber das sind Geschichten, die sicher schon viele erzählt haben.

Im Radio, dem ich beim Kochen zuhöre, geht es um die Wirtschaft, eine Expertin spricht gerade über Vergütungen. Sie spricht von Zahlungen und wer wofür einen Bonus bekommt, der Plural klingt bei ihr so, wie die meisten Deutschen Pony aussprechen, nur eben mit B vorne, Bony. Die Frage ist, wer alles einen Bonus bekommt. Weder der Moderator noch die Expertin kommen aber auf „Das Leben ist kein Bonyhof“, das finde ich ein wenig schade.

Ich gehe am Donnerstagnachmittag einkaufen und werde im Regen nass. Um mich herum gehen und stehen andere Menschen, die ebenfalls nass werden, darunter viele, die das einfach so hinnehmen. Keine Schirme, keine Regenkleidung, kein Rennen, kein Flüchten, keine Taschen, die über die Köpfe gehalten werden – heute mal einfach nass werden. Bis auf die Haut. Manche halten die Gesichter in den Regen, als sei das ein Genuss. Tropfen auf Brillen. Ist okay. Ist mal was anderes.

Die Söhne kommen durchweicht aus der Schule und setzen sich an ihre Computer. Ich sage, sie sollen lieber mal die nassen Sachen ausziehen: „Ach ja, stimmt!“ Es sind ungewohnt gewordene Verhaltensweisen, wir haben Regen komplett verlernt.

Am nächsten Tag dann schon wieder überall das normale Regenverhalten, wie in den alten Zeiten, als es hier dauernd regnete, die Älteren erinnern sich. Ich höre im Vorbeigehen sogar etwas von „schlechtem Wetter“

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 7.9.2022

Ich habe einen Cameo-Auftritt bei Kid37, versteckt unter „viele Blogger“. Er verweist aber auch zurecht auf die denkwürdigste Boulevardschlagzeile des Hamburger Sommers. Angenehm bei dem beschriebenen Konzert war ferner, dass der geschätzte Künstler zwischendurch auf einen Tisch stieg und dort oben Gitarre spielte, Rock’n Roll wie in den wilden Zeiten, dann aber einen Moment überlegen musste, wie der Abstieg wohl möglichst rückenschonend zu bewältigen sei … Ich fühlte mich zugehörig.

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Die neuen Fundstücke aus den Literaturblogs.

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Eisvogelstreit. Wir haben in diesem Jahr keinen einzigen Eisvogel auf der Bille gesehen, aber es war immerhin entspannend, intensiv nach ihnen Ausschau zu halten.

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Auf dem Weg zum Leben ohne Auto. Wir werden das alles irgendwann auch überdenken müssen, aber wir schieben es noch erfolgreich vor uns her.

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Ein Absatz Zeitgeschichte bei der Kaltmamsell, über die Reisepläne nach England: Erst muss ich Brexit verdauen … Ich würde das Königreich noch bereisen, die USA allerdings auf keinen Fall.

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Dann frage ich mich: Wo ist die Pausetaste, um sich auszuruhen, auf meine Frau besser einzugehen, einmal seine Sachen zu machen, Kraft zu tanken und vor allem auf alles zu schauen. Das eigene Handeln zu überdenken und daraus besser zu werden. Wo ist die Pausetaste für unsere Welt?

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Je kälter die Füße, desto größer die Sehnsucht nach Tanz und Theater.

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Über das Entlastungspaket. Noch so ein furchtbares Wort, siehe auch die Hartarbeitendemitte.

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Ich habe für das Goethe-Institut wieder etwas über die Lage geschrieben: Es wird alles zu Strom. Apropos Strom, eben gerade sah ich beim Einkaufen, dass die Bäckereien hier morgen einen Licht-aus-Tag haben. Zur Mahnung, weil sie ohne Hilfen nicht durch die Krise kommen werden, so steht es auf einem Zettel im Schaufenster. Passanten lesen das und nicken, das können sie sich vermutlich vorstellen.

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Kleine Wesen kommen hastig gelaufen

Es zieht am frühen Morgen im Flur, in dem ich auf dem Sofa sitze und schreibe, aber es zieht warm, es fühlt sich an wie Wüstenwind aus dem Süden, der hier durch die Wohnung streicht und unter den Türen sogar ein wenig pfeift, in aller Dezenz. Wetterbericht: „Das war eine außergewöhnlich warme Nacht für September.“ Ab dem Nachmittag oder ab morgen soll es endlich Regen geben, richtigen Regen, ich glaube es erst, wenn ich nass bin, wenn alles nass ist. Der Garten aber, er ist nun hin für dieses Jahr, zu spät, du rettest die Beete nicht mehr. Die Herzdame hat gestern noch einmal gegossen, es fällt wohl schon unter Grabpflege.

Es ist weiter warmwindig da draußen, das führt heute zu einem interessanten Geräusch. Die Böen heben die trockenen Blätter vom Spielplatz, sie wirbeln sie hoch und weit, tänzelnd steigen sie vor den Häusern auf und manche landen in der Dachrinne unter dem Fenster neben meinem Schreibtisch. Dort wehen sie auf der schnurgeraden Metallpiste das ganze Haus entlang, es klingt, als kämen kleine Wesen hastig gelaufen, ein hell aufgeregtes Wispern und schnelles Schlurfen, trippelnde Schrittchen, es ist ein eilendes, jagendes Rennen von vielen, vielen zielstrebigen Boten des frühen Dürreherbstes, Hunderte davon, eine ganze Armee läuft da im Laufe des Vormittags unter dem Fenster entlang, springt am Ende wieder in die Tiefe und fliegt in verschnörkelten Schwüngen Richtung Alster, ins Offene, ins Weite. Es ist ein Andersen-Geräusch, dieses Trippeln, und man könnte etwas vorgreifend märchenhaft anmutende Herbstgeschichten dabei schreiben, wenn man nur nicht dauernd so hart arbeiten müsste, hier in der Mitte der Gesellschaft.

Am Nachmittag hält eine Frau auf einem Fahrrad an einer Ampel vor mir. Sie trägt ein lilafarbenes Sommerkleid, das der Wind aufbauscht, sie hält es mit einer Hand zusammen. Der Himmel wird in diesem Moment grau, es fallen sogar ein, zwei Tropfen, und es fühlt sich an, als würde es genau jetzt, in dieser Sekunde, um zwei, drei Grad abkühlen und während ich das noch denke, sehe ich diese Frau frösteln, sie streicht sich schnell über die nackten Arme und wenn sie morgen wieder da entlangfährt, sie wird vermutlich sicherheitshalber schon Herbstmode tragen. Kipppunkte.

Im Supermarkt steht einer vor dem Leergutautomaten, schiebt seine Flaschen hinein und weint dabei. Leise weint er, ganz unaufgeregte Trauer. Ab und zu wischt er die Tränen aus dem Gesicht, sieht sich nach den Umstehenden um und winkt ab, kein Trost bitte, keine Fragen. Ich frage also nichts, ich sage nichts, ich setze nur meine Kopfhörer auf und höre Bach.

Wenn man im späten Sommer rechtzeitig Bach hört, passt am Ende im Herbst alles besser zusammen. Bilde ich mir zumindest ein.

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Harte Arbeit an wuchtigen Maschinen

Als ich eingeschult wurde, irgendwann im letzten Jahrhundert, in grauer und analoger Vorzeit, bekamen alle Schüler eine gelbe Kappe, die ich, wenn ich mich richtig erinnere, peinlich fand und danach nicht wieder getragen habe. Ich hatte das dazugehörige Bild des Grauens einmal hier im Blog (Vorsicht, schlimm). Die Mädchen bekamen gelbe Kopftücher, die auch eher nicht getragen wurden, und die aus heutiger Sicht noch viel absurder klingen. In Japan, das wollte ich eigentlich nur sagen, bekommen einige SchülerInnen jetzt gelbe Sonnenschirmchen. Die Zeiten ändern sich.

Ich habe gestern erwähnt, dass eine Bäckerei hier die Öffnungszeiten gekürzt und eine andere die Preise signifikant angehoben hat, gestern habe ich gesehen, dass eine weitere im September komplett geschlossen bleibt. Ein Grund steht nicht auf dem Zettel im Schaufenster. Bei den Bäckereifilialen läuft was, ich werde weiter beobachten und berichten. Es gibt viele Bäckereien im kleinen Bahnhofsviertel, in jedem zweiten Haus in etwa ist eine, da habe ich etwas zu tun, wie es sich für die Hartarbeitendemitte, in einem Wort, wie das neuerdings wohl zu verwenden ist, gehört. Ein hassenswertes und empörendes Wort, finde ich, weil es impliziert, dass diejenigen unterhalb der Mitte weniger hart arbeiten, aber egal. Seit es trendet, klicke ich die Daten und Buchstaben in Word und Excel und Powerpoint jedenfalls beflissener und härter an, gewissermaßen mit Schmackes, das muss laut klicken, fast klackern, sonst zählt es nicht, sonst hat es keine Kraft gekostet und man ist abends nicht erschöpft. Härte muss sich aber bemerkbar machen, es ist sonst womöglich gar keine. Es muss alles Kraft kosten, was man macht, man muss schwitzen und stöhnen dabei, wir arbeiten hart, nicht smart. Auf einer mechanischen Schreibmaschine könnte ich das viel besser ausleben. Als ich etwa achtzehn Jahre alt war, da hatte ich eine uralte eiserne Schreibmaschine, die so monströs schwer war, da war man schon erschöpft, wenn man sie nur von einem Raum in einen anderen getragen hat. Solche Schreibgeräte braucht die Hartarbeitendemitte heute, nicht diese schnittigen Notebooks, die man mit einem Finger vom Tisch fegen kann.

Ich gehe abends um den Block, es ist immer noch warm, so seltsam warm. Aber vor den Restaurants und Cafés sitzen die ersten Menschen, die sich in die neuerdings wieder bereitliegenden Gastrowolldecken hüllen, als sei es schon tiefer Oktober. Es ist wohl die Sehnsucht nach dem Wechsel der Jahreszeiten, die sie in und unter diese Decken treibt, nicht die Außentemperatur.

Ich gehe durch den abendlichen Bahnhof, aber ich sehe nichts, das mir auffällt. Es ist voll und betriebsam dort, aber es passiert nichts, es ist nichts anders als sonst, es drängt nichts zur Beschreibung und auch der Kiosk, der immer so nah an den neuesten Trends ist, hat keine hippen Artikel auf dem Ständer vor der Tür, die auf eine Veränderung hindeuten. Es ist nichts anders als sonst. Die besten Geschichten beginnen am Bahnhof, so hat es Kurt Tucholsky einmal befunden, in seinem Schloss Gripsholm war das. Und vielleicht ist es auch die beste Geschichte, wenn überhaupt nichts passiert. Da mal drüber nachdenken.

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In den Montag

Vor dem Hauptbahnhof hat jemand am Morgen einen Blumenstrauß fallengelassen oder wütend hingeworfen, eine kleine Szene gab es da vielleicht oder nur ein Versehen. Die ÖPNV-nutzenden oder fernreisenden Menschenhorden gehen jetzt den ganzen Tag darüber hinweg und treten die bunten Blüten, es war wohl ein großer und teurer Strauß mit etlichen Sorten, mit jedem Schritt etwas mehr in das dreckige Pflaster. Das Farbige wird langsam und von vielen über Stunden flächig ins Grau eingearbeitet, es sieht ein wenig nach Kunst aus und man kann es auch schön und deep finden, wie das Frische, Farbige und Sommerliche da allmählich ins Farblose und Dunkle zerrieben wird. Es ist ein Frühherbstmoment, ein vae victis, dem Sommer 22 nachgerufen.

Im Wetterbericht steht derweil noch einmal etwas von mir viel zu warmen 25 Grad in der nächsten Woche. Die Wohnung kühlt spät ab in diesem Jahr. In meiner fensterlosen Abstell- und Schreibkammer, tief im Gebäudekern, ist der Hochsommer gut verwahrt, noch wochenlang wird das so sein, mit einem T-Shirt ist man in dem Raum schon overdressed.

Ich gehe am Sonntag Brötchen kaufen, es sind die teuersten Brötchen meines Lebens. Bei manchen Produkten merkt man die Preissteigerung eben schneller und genauer. Ich habe, obwohl ich jeden Tag einkaufe, auch nicht jeden Gemüsepreis auf den Cent parat, aber den Preis von Brötchen, den weiß man doch. Und muss ihn jetzt neu lernen – oder künftig selber backen. Ich ziehe das jedenfalls in Erwägung. Nebenbei bemerkt: Einer der Bäcker hier macht jetzt morgens auch eine Stunde später auf, da stand ich vor verschlossener Tür. Der Personalmangel, die Kosten oder beides, es wirkt sich langsam sichtbarer aus.

Die Söhne sind währenddessen älter geworden, einer vorgestern, einer heute. Sie sind jetzt beide Teenager, das ist also wieder das Ende von etwas. Ein Anfang ist es auch und der Aspekt ist selbstverständlich viel wichtiger.

Ein Sohn packt seine Geschenke aufreizend langsam aus. Er löst das Tesa mit Hingabe ab und legt das Papier sorgfältig gefaltet beiseite: „Das kann man noch einmal verwenden.“ Ich grüße an dieser Stelle im Geiste meine längst weggestorbene Großelterngeneration und gedenke einiger ihrer Eigenschaften, die sie wohl unter Umgehung meines Jahrgangs erfolgreich an die Enkel vererbt hat. Es kommt eben alles wieder, wie in der Mode.

Wir fahren mit Söhnen und Gästen in ein Schwimmbad. In der Bahn wird noch das 9-Euro-Ticket beworben. Plakate aus der Vergangenheit hängen da.

Im Schwimmbad habe ich nichts zu tun, die Kinder sind groß, die machen alles alleine. Ich bin nur noch für den Eintritt zuständig, für die Pommes und fürs abschließende Durchzählen. Ich sehe längere Zeit einem Schwimmlehrer zu, der kleine Kinder unterrichtet, und mit welcher Hingabe er das macht. Ich bin nach einer Weile ganz begeistert, weil er seine Truppe von vielleicht 15 Kindern wirklich liebevoll betreut, er schafft es immer wieder, auf einzelne Ängste und Weigerungen einzugehen, und wie gut er das macht. Er findet bei jedem Kind den richtigen Tonfall. Sein Deutsch ist etwas gebrochen, aber er redet ohne Unterlass und befolgt dabei das von mir schon oft zitierte Prinzip meines ehemaligen Chefs: So lange reden, bis das Richtige dabei ist.

Er redet die Kinder ins Wasser und unter Wasser und wieder hinaus, er redet sie vom Startblock hinab und einige sogar vom Einer, er redet auch das Mädchen, das zuerst weint, und das hinterher sehr stolz ist, vom Beckenrand ins Wasser hinein. Er erklärt das Schwimmen und das Tauchen, er kommt selbst ins Becken und macht vor, er springt wunschgemäß mit einem Kind an der Hand und der Kleine strahlt. Er ist, das nehme ich mit, felsenfest überzeugt, dass die Kinder gleich alle können werden, was er ihnen beibringen möchte. Ich bin nach einer Weile sicher, dass das einen großen Teil des Erfolgs erklärt, er ist sich einfach durch und durch sicher, dass sie es alle gleich können werden und er strahlt das aus. Und wie glaubhaft er das ausstrahlt.

Ich erinnere mich an Lehrerinnen und Lehrer in meinen Schulen, die damals mit diesem verdrossenen Gesichtsausdruck „Sie werden es heute eh wieder nicht kapieren“ bei uns hereinkamen, ich erinnere mich viel zu gut. Immer wieder der Gedanke, meine Güte, was war das alles schlecht und schlimm damals, und wie hat sich das verändert. Ich bin beim Schwimmunterricht noch einfach reingeworfen worden, das fand niemand seltsam. Die Zeiten, sie waren so.

Der Schwimmlehrer von heute aber steht am Beckenrand und ruft: „Du kannst das, ich weiß doch, dass du das kannst, schwimmst du los!“ Und dann springen die Kinder ins Wasser und schwimmen. Ich hätte ab und zu gerne jemanden, der so am Wochenrand steht. Der mir das von da aus zuruft und der ganz sicher ist, dass ich auch die kommenden Tage schaffen werde, weil er doch weiß, ganz genau weiß, dass ich es können werde: „Schwimmst du los!“ Und dann tief einatmen und in den Montag springen.

Die Söhne und ihre Freunde schwimmen währenddessen irgendwo dahinten und wissen ganz gut, was sie können. Zumindest sieht es so aus.

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Ich lese Selja Ahava, Dinge, die vom Himmel fallen, und ich mag es. Deutsch, wie bei gefühlt allen neueren finnischen Büchern, von Stefan Moster. Es ist eine Geschichte über Unwahrscheinlichkeiten, in gewisser Weise passt sie in die Zeit, aber nur höchst indirekt. „Schmerzvoll und tröstlich“, so heißt es in einer Rezension, und das trifft es.

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Auf Twitter nehme ich das Wort „Normalitätssimulation“ zur Kenntnis, es kommt aus diesem Thread und es wird mir sicher im Gedächtnis bleiben.

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Herrlich sinnlos

Eine Woche geprägt von Müdigkeit, und nicht nur von der eigenen. Auch die Müdigkeit der am frühen Morgen nachtbleich durch die Wohnung taumelnden Familie, der Menschen am Telefon, der Nachbarn auf der Straße, aller Menschen um mich herum. Wen ich auch anspreche: „Ich bin so müde.“ Ist es das Wetter, ist es die Jahreszeit, ist es alles. Egal. Sich in den September fallen lassen.

In der U-Bahn, mit der ich zur Feier der letzten 9-Euro-Ticket-Tage noch einmal herrlich sinnlos fahre, sitzt mir eine junge Frau gegenüber, die Murakami liest und beeindruckend hartnäckig gegen das Einschlafen kämpft. Womit ich nichts gegen Murakami gesagt haben möchte, den habe ich noch nie gelesen. Der Kopf der jungen Frau sinkt nach vorne, die Augen klappen zu, sie reißt den Kopf wieder hoch und die Augen weit auf, nicht schlafen jetzt, hier wird gelesen, und sie starrt angestrengt ins Buch, die Augenlider auf halbmast. Sie gibt sich redlich Mühe, aber es ist so schwer, so furchtbar schwer. So schwer wie der Kopf, der schon wieder sinkt, ganz langsam sinkt, auf eine Art, bei der man selbst auch müde wird, wenn man ihr nur einen Moment zusieht.

An einer Haltestange hinter ihr hängt eine Fliege. Nicht das Insekt, das Männermodenaccessoire, das heute eher selten im Gebrauch ist. Irgendwo habe ich auch noch so eine, warum und woher eigentlich. Diese Fliege in der U-Bahn, Seide, schwarz, neuwertig, hat jemand da oben an die Stange gebunden. Sie baumelt, wenn die Bahn anfährt, träge ein wenig hin und her und man wird nicht erfahren, wer sie sich wann und warum vom Hals gerissen und dort oben vertäut hat. Die junge Frau da vorne liest mühsam wachbleibend Geschichten, hinter ihr hängt ein Teil einer anderen Geschichte, man bekommt es nicht zusammen. Es sind nur Absätze aus einem Großstadtroman, keine Kapitel.

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Der erste Elternabend der neuen Saison. Ich sitze eine Stunde im Klassenzimmer neben einem dieser tollen Luftfilter, über deren Anschaffung im letzten Jahr so unendlich viel debattiert worden ist. So ein Luftfilter, der aktuell allerdings nicht eingeschaltet werden darf, laut behördlicher Anweisung, um die Filter zu schonen.  Man muss da keine Pointe hinterher basteln, nehme ich an, das wird so reichen.

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An einem Imbissstand gibt es vegane Currywurst, und es gibt auch Pommes. Mit Ketchup und Mayo, wie überall. Die Mayo aber, sie ist als einzige Zutat nicht vegan, wie es das Personal bei jeder Bestellung korrekt betont. Während ich auf meine Pommes warte, höre ich die Reaktionen auf diese Aussage. Die einen, manche sind die Begleitpersonen von Menschen mit fleischloser Ernährung, sagen so etwas wie: „Na, Gott sei Dank!“ oder auch: „Umso besser!“ oder „Wenigstens etwas!“, und sie sagen es mit einem seltsamen Höhö-Tonfall, allzeit zur Gehässigkeit bereit. Die anderen sagen so etwas wie: „Dann will ich die aber nicht!“ oder „Warum das denn nicht!“ oder „Ach Fuck!“, und sie sagen es mit eigentlich unnötiger Schärfe.

Es ist immer genug Energie da, um sich über die richtige Ernährungsform vehement zu ereifern, aber das ist wohl keine Energie, die wir irgendwie nutzbar machen können. Schade eigentlich.

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In den letzten Wochen fragte ein Sohn irgendwann, als wir Nachrichten gehört hatten und die Lage gerade wieder besonders wüst war, wie sie es im Moment allerdings fast täglich ist, ein Desaster nach dem anderen, Katastrophe auf Katastrophe, fragte ein Sohn also: „Ist das jetzt nicht wie in diesem Film da, „Don’t look up“?

Und obwohl ich sonst der Ansicht bin, dass jede Pointe unbedingt mitzunehmen ist, in nahezu jeder Lebenslage, habe ich nicht geantwortet: „Wir haben doch alles.“

Ab und zu auch mal zusammenreißen. Wie so ein ernsthafter Mensch.

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Verzicht überall

So viel Laub, wie jetzt schon fällt und früh vermodert – es wird da draußen an den Bäumen kaum noch Gold im Oktober geben können. Das passt schön zum überall angekündigten Wohlstandverlust. Die Natur macht uns den kommenden Mangel leise vor, früher Verzicht überall. Show, don’t tell – und da liegt es schon, das Laub.

Am Sonntag war es hier gleichzeitig kühl und schwül. Drückende Augustluft, die alle paar Meter von heftigen Windstößen verwirbelt wurde, die sich nach Nordsee anfühlten, nach weit draußen und nach viel später im Jahr. Dann nur eine Ecke weiter gegangen und auf einmal wieder der brütende Stadtspätsommer. Die Jahreszeiten gehen durcheinander, die Wetterzonen, die Saisonmoden auch, kurze Hosen unter Übergangsjäckchen an den Touristen. Gemengelage. Auch das französisch aussprechen, so wie die Gasumlage.

Am Montagmorgen dann knackfrische 16 Grad und das ist also der erste Morgen mit einwandfrei gültigem Herbstgefühl. Diese gewisse Schärfe in der Luft, unverkennbar ist das. Gleich möchte man ihr freundlich zuwinken, der nächsten Jahreszeit, gleich möchte man schon einmal im Schrank nach den Pullovern sehen, nach den Rollkragen. Akute Textilflauschvermissung.

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Ich lese Mathijs Deen, Der Schiffskoch. Deutsch von Andreas Ecke, hier eine Rezension dazu. Het Lichtschip heißt das Buch im Original, aber der deutsche Titel Das Feuerschiff war bekanntlich schon an ein bekanntes Werk vergeben, der ging also nicht. „Lakonische Kurzprosa“ stand irgendwo, das passt.

Es gibt einen Matrosen auf dem Feuerschiff, der Tagebucheinträge macht, die lesen sich etwa so:

„2.7. 01:25, Süd 2, See 0,1

Himmel: mattschwarz um hellen Mond

See: tiefschwarz mit fallenden silbernen Sternen“

Und ich denke beim Lesen, das möchte ich auch. So etwas beobachten, so etwas aufschreiben – was lustig ist, da es in dem Buch auch deutlich darum geht, wie sehr die arbeitenden Menschen an Bord dringend da wegwollen, von diesem nie fahrenden Schiff, von dieser lähmenden Ödnis auf See. Sie warten wochenlang auf die Ablösung und man denkt beim Lesen genau gegenläufig, ach, so eine gewisse Weile würde man es wohl schon aushalten, da draußen, mit den fallenden silbernen Sternen unter dem mattschwarzen Himmel.

Oder hier:

„15.6. 08:20, Nord 2, See 0,3

Himmel: schwellend grau-weiß, aber blaugrau am Horizont

See: hochwirbelnde Flocken Schwarz und Grüngrau“

Sehr akribisch würde ich das alles notieren, denke ich mir, die Farben und die Bewegungen und die Flocken. Aber das geht vermutlich nicht als Bewerbung durch.

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In den Foodblogs sehe ich währenddessen die ersten Kürbisrezepte, irgendwas mit Pumpkin-Spice, wir kommen voran.

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Ich war auf einem Festival, um darüber zu schreiben. Ich war früh da, andere Medienvertreter auch, noch vor dem Andrang der Gäste. Die einen liefen im Auftrag eines Fernsehsenders herum, die anderen für eine Zeitung. Eine Filmkamera für eine Vorabendsendung im Anschlag, eine Vollformatkamera für die Pressefotos. Und ich mit dem ollen Notizbuch, so schlichen wir umeinander und warteten auf echte Gäste. Aber nur ich habe dabei gelacht. Diese pirschenden Schritte, dieses jägerhafte Lauern, dieses genaue Hinsehen und Hinhören, dieses gespannte Abwarten. Schreib das auf, film das, knips das, ein Chronistenrudel auf Beutezug.

Genau genommen lache ich immer noch. Hyänenhaft, über meiner kleinen Beute.

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 28.8.2022

Der Wäschetrockner ist kaputt und wird nicht ersetzt, wozu ich nur anmerken möchte: Das war hier auch so, schon vor einiger Zeit. Ein Trend, ein Trend.

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Vanessa über das Energiesparen und die Möglichkeiten: „Natürlich, ein paar Stellschrauben gibt es immer, aber weder habe ich bislang zwanzigminütige Heißduschorgien veranstaltet noch meine Wohnung zur Sauna hochgeheizt.“

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Und immer die politischen und später historisch interessanten Fragmente auch in den Blogs, die sich nicht eben an die Politik ranwerfen, sondern vornehmlich privat erzählen: „Nicht so schön ist der Personalmangel beim Lehrpersonal, der ganz konkret Auswirkungen auf unsere Kinder hat. Wichtige Lerninhalte werden nicht mehr vermittelt und das Schuljahr beginnt schon mit Unterrichtsausfall. Nun haben wir Eltern einfach selber Unterricht organisiert.“ Überraschend vielleicht, dass es da nicht um Berlin geht, auch andere Ländern haben also Probleme.

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Johannes Franzen über die unsägliche Karl-May-Debatte.

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Die Stimmung ist teils nicht mehr allzu positiv und fern von Optimismus, die Zeilen hier stellvertretend für viele ähnliche Äußerungen auch in Gesprächen etc.: „Die Zwetschgen am Baum, die Bienenschwärme, die die Jungfernrebe abernten, die Blütenpracht in K.s Garten, der rotschwarze Schmetterling an der Buddleya — alles eine papierene Hülle. Eine falsche Idylle. Der letzte Atemzug einer sterbenden Welt.

Der Schriftzug "Shit World" auf einer Betontreppenstufe

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Falls jemand gerade eine kreative Herausforderung zur Ablenkung braucht: Der Catember.

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Melancholiedefizit

Der Sommer, so lese ich, wird sich noch bis weit in den September ziehen, wenn nicht sogar noch viel weiter. Es wird warm bei uns bleiben, sonnig und viel zu trocken. Jedenfalls vermutlich, es sind ja immer nur Modelle und gelehrte Mutmaßungen, die uns als Vorhersagen dienen. Das wird alles gut für die Heizkosten sein, sehr gut sogar, versteht sich. Aber für den Freundeskreis Melancholie und Herbstblues, der jetzt sehr auf kleine Veränderungen in der Stimmung da draußen achtet, sind es etwas seltsame und verstörende Nachrichten, werden wir doch um ein paar Wochen unserer besten Zeit gebracht. Es wird zu einer Melancholieverzögerung, wenn nicht sogar zu einem Melancholiedefizit kommen, mit unwägbaren Folgen für Kunst und Kultur, für Lyrik und Songwriting. Schlimm.

Immerhin ist es morgens schon wieder dunkler, wenn ich aufstehe. Immerhin gibt es schon fast heimelig anmutende Beleuchtungssituationen im Frühdienst vor dem Erwachen der Familie. Und an manchen Tagen kann ich dabei sogar Kleidung tragen, ohne direkt zu verglühen. Leichte Kleidung, versteht sich, wehende Stöffchen.

Und das Herbstlaub, das in diesem Jahr Dürrelaub ist und daher nicht recht zählt. Es ist einfach anders als sonst und auch anders zu bewerten, the falling leaves möchte man noch nicht singen, les feuilles mortes pfeift man noch nicht, auch wenn es noch sehr beim Gehen raschelt. Das Laub wird weg sein, der Sommer wird noch da sein. Ich habe das so nicht bestellt, ich möchte das nicht, ich finde es auch nicht richtig.

Und doch liegen die Berge und die Strände in den Ferienregionen jetzt wieder verlassen (da stimmt noch nicht ganz, ich weiß, aber ich kann mir hier vorstellen, was immer ich möchte). Die urlaubenden Menschen sind größtenteils wieder abgereist aus den allgemeinen Geheimtippgegenden und machen seit ein paar Tagen wieder irgendwas mit Berufen und lächeln längst nicht mehr bei allem; die Kinder gehen wieder zur Schule, haben so wenig Wahl wie die Eltern und murren und knurren, vertraute Geräusche. Die Strandkörbe an den Meeren stehen verlassen, die Tretboote an den Seen, die Freibäder überall, die Achterbahnen.

Irgendwo am Strand, vielleicht haben Sie es gesehen, hat eine fremde Hand das Wort „Verlassen“ in den Sand geschrieben. Tim Fischer weiß mehr davon, und er weiß es vom Herrn Kreisler, der es zuerst gesungen hat.

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 24.8.2022

Eine Metapher für die Probleme der Menschheit kann man auch beim Duschen finden.

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Die Nachbarn säubern mit einem Gasbrenner den Gehweg von Unkraut, es klingt, als ob vor dem Fenster ein Flugzeug starten würde. Wir verbrennen Gas und produzieren Kohlendioxid, um Pflanzen zu vernichten, die Kohlendioxid speichern könnten.

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Christian geht Waldbaden. Quasi.

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Wenn man getürt wird. Der ständige Gruselfaktor beim Radfahren.

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Ich möchte nicht entlastet werden …“, das ist ein Satz, den man sicher zu selten liest.

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