Geschmolzen am Boden einer Stadt

Im Garten hat die Herzdame den Lavendel geschnitten. Die üppige Blütenernte wird zuhause in Säckchen verfüllt und kommt später in die Schränke, unsere Großmütter wären so weit zufrieden mit uns gewesen. Die letzten Karotten habe ich aus der Erde geholt, die Buschbohnen geerntet, die Zwiebeln auch. Die letzte Runde Radieschen wurde gesät. Mangold wird auch noch einmal gehen, aber die Samen musss ich erst besorgen. Mangold sieht sehr gut aus, wenn er spät im Jahr einfach stehenbleibt, das letzte leuchtende Bunt im Garten.

Die gelben und roten Tomaten geben noch reichlich Früchte, süßer denn je, die sattgrünen Gurken tragen auch weiterhin. Davon im nächsten Jahr unbedingt mehr anpflanzen. Gurken haben keinen exakten Erntepunkt und können also etwas warten, das ist für uns immer gut, wir sind längst nicht jeden Tag im Garten, das können wir nicht schaffen. Und immer noch denke ich bei einer großen Gurke aus dem Garten staunend: Guck mal, die sieht ja aus wie im Laden. Schmeckt aber etwas besser, das will ich mir zumindest einbilden.

Die Lampionblume ist im Orangeton den Hokkaidos deutlich voraus, die Hortensien dagegen verblassen ins fortgeschritten Seniorige, eine gediegene Farbgebung sieht man da, blasslila, cremeweiß, vornehm ist das.

Das Eisenkraut blüht noch mit lilafarbener Sommerkraft, die Kugeldisteln dahinter schaffen es nicht mehr ganz, ein leises Schwächeln im Grundton. Der Rittersporn ist längst durch und steht nur noch als mahnendes Gerippe, knochenbleiche Staudenreste. Der Rhabarber zieht langsam ein und die Zucchini weiß nicht recht, soll sie jetzt noch einmal oder nicht. Dort, wo das gelbe Kraut so auffallend unordentlich und windschief im großen Beet steht, da sind bei Gelegenheit noch ein paar Kartoffeln aus der Erde zu holen.

Auf dem Rückweg vom Garten sehe ich in einem Park ein Paar an den Holunderbüschen stehen. Sie angelt mit einer Kinderharke oben nach den Früchten, er sammelt sie in einen Spielzeugeimer. Nicht weit davon eine Mutter mit Kind, auch sie stehen an einem Gebüsch, sie pflücken vorsichtig Brombeeren. „Aufpassen“, sagt die Mutter, „aufpassen! Die Dornen!“ Und weil alle Szenen immer dreifach vorkommen, sehe ich dann noch eine Frau, die gerade gebückt an einer Staude herumfingert, vermutlich sammelt sie Samen für den eigenen Garten oder den Balkon. Erntezeit in der Stadt. Ich fahre mit dem Fahrrad über knackende Eicheln nach Hause, ein Herbstgeräusch.

Ich halte für ein Kind, das mit einem tropfenden Eis in der Hand auf den Fahrradweg läuft, und genau in diesem Moment shuffelt mir das Handy „Un gelato al limon“ auf die Kopfhörer, wie schön ist das denn. Ich halte an und googele nach einer Übersetzung des Textes von Paolo Conte, immer alles nachsehen. Ich finde nur eine automatisiert erstellte Version, aber sie ist fast schön:

Kleiner Eisbecher Zitrone
Eisbecher Citron
Eisbecher Citron
geschmolzen am Boden einer Stadt
ein Eisbecher Zitrone
ist echte Zitrone

***

In den Nachrichten lese ich, dass viele ältere Briten nach den pandemischen Jahren nicht mehr in die Arbeitswelt zurückkehren und also dauerhaft fehlen werden. Der Umstand wird dort „Great Resignation“ genannt, der Ausdruck gefällt mir. Und ich wäre erstaunt, wenn es sich in Deutschland nicht ähnlich verhalten würde.

Ich bin jetzt 56, es dauert also noch etwas bis zur eigenen und sich vermutlich einigermaßen great anfühlenden Resignation.

Weitermachen.

***

Ich lese Jane Gardam, Ein untadeliger Mann, Deutsch von Isabel Bogdan, und ich bin nach wie vor ganz und gar zufrieden mit den Büchern. Dummerweise habe ich bald alle verfügbaren Werke von ihr durch.

***

Im Wetterbericht wieder irgendwas mit 30 Grad. Ich möchte das nicht. Ein Buddenbohm, geschmolzen am Boden einer Stadt.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

Das wird ein Tag

18 Grad, man bekommt endlich Luft am Morgen. Man kann wieder atmen wie früher, wann war denn das, im März oder so. Auf dem Spielplatz unten am frühen Morgen noch herumhuschende Leute aus der Drogenszene, Geschäfte im Gebüsch, leise Absprachen, gezischte Giftigkeiten, da läuft etwas nicht glatt. Wütend geht einer ab, schüttelt theatralisch eine Faust und flucht gedämpft. Zwei kommen hinter dem Bambus hervor, Frau und Mann, sie zieht noch ihren Rock hoch. Bezogen auf Vermietungen ist das hier: Gute Wohnlage.

Das Laub der Birke über den Dealern ist jetzt am deutlichsten frühverfärbt, das satte Grün wird insgesamt heller und heller, lichtes Gelb ist das Ziel. Alle anderen Bäume haben nur Veränderungen an einzelnen Blättern vorzuweisen, lediglich hier und da sieht man einen Farbeinschuss, eine Auffälligkeit, die Birke aber gibt schon gesamt nach.

Beim Einkaufen sind es 19 Grad draußen, und ich merke mir, dass ich 19 Grad angenehm finde. Vielleicht sogar ideal. Das beweist noch nichts für Innenräume, aber ich arbeite mich vor, ich lerne Temperaturen, wie neulich angedeutet. 19 Grad sind also exakt richtig, um mit Oberhemd und Anzug gelassen draußen herumzugehen. Man schwitzt nicht, man friert nicht, man kann geradeaus denken. Eine sympathische Temperatur.

Im Discounter ein gerade aufgebauter Stand beim Gemüse, da liegen die neuen Hokkaido-Kürbisse, die im Garten noch längst nicht so formidabel herangereift sind, in satt leuchtender Färbung. „Guck mal, es ist so weit“, sagt eine Frau im Vorbeigehen zu ihrem Mann und zeigt ihm die auffälligen Kürbisse. „Geh mir bloß weg mit Kürbis“, sagt der und geht weiter.

In den Timelines wurden vorgestern irgendwo schon Lebkuchen gesichtet, die stehen hier noch nicht. Aber es wird natürlich nur eine Frage von Tagen sein.

Ich räume meinen Schrank auf, ich sichte Klamotten, ich sortiere aus, ich sauge sogar im Schrank Staub. Ich falte Wäsche akribisch und sortiere neu. Hinterher sieht der Schrank aus wie in einem Wohnmagazin, ich möchte da nie wieder etwas herausnehmen, damit das immer so bleibt. So anständig, so befriedigend, so voll der guten Absichten und mit besten Aussichten auf eine wohlsortierte Zukunft, also gefühlt jedenfalls. Wie damals, in der Schule, wenn man in der ersten Woche nach den großen Ferien all diese neuen Hefte hatte, die vorne ordentlich beschriftet waren und innen noch sauber und leer und man dachte, diesmal schaffe ich es, diesmal wird alles musterhaft laufen, ein ganz neues Leben wird es sein.

Das wird ein Tag,

unser Tag wird ein neuer Anfang sein.

An dem wir nicht mehr wanken,

in unserm Urteil schwanken.

Wo wir mit denen, die nach vorne schau‘n,

uns eine bessere Zukunft bau‘n.

Klaus Hoffmann war das, vor langer Zeit.

Na, was man eine Woche lang eben so denkt, bis der Alltag einen selbst, die Hefte und auch die Schränke überrollt.

Am Abend spielt Bernd Begemann an der Bille. Es sind viele Menschen da, also für eine kleine, eher nachbarschaftliche Konzertreihe jedenfalls, und wir treffen etliche bekannte Menschen, die wir aus verschiedenen Zusammenhängen kennen. Ich glaube, das habe ich lange nicht mehr erlebt, so eine Veranstaltung, zu der man geht und dann alle paar Meter „Oh, hallo!“ sagt, und es ist sogar nett und erfreulich. Ein eher präpandemisches Setting.

In den Medien jetzt wieder die Hinweise, man möge doch bitte für Stromausfälle im Winter vorsorgen. Die Listen mit den Nahrungsmitteln, die dringend einzulagern sind. So viel Wasser, wie da für vier Personen und zehn Tage empfohlen wird, kann ich hier gar nicht lagern. Kerzen und Streichhölzer, so etwas. Ein Gaskocher, und ich denke, okay, die sind doch morgen eh ausverkauft, wenn das jetzt überall steht. Wir haben einen Gasgrill im Garten, um denen können wir uns vielleicht scharen, wenn der Strom tatsächlich tagelang ausfällt. Aber berichten werde ich davon dann nicht können, oder doch nur kurz, bis der Akku ebenfalls alle ist. Eine solarbetriebene Powerbank sollte man haben, das steht da auch. Ein batteriebetriebenes Radio. Ich habe das alles nicht. Ich habe nur ein paar Kerzen irgendwo, ganz kleine Lichter, die passen zu mir.

Eine Dose mit ewig haltbarem Pumpernickel steht hinten im Küchenschrank. Immerhin. Aber jetzt, wo ich sie erwähne, bekomme ich plötzlich Appetit auf Pumpernickel, ich krame nach der Dose und mache sie auf. Vielleicht bin ich für Vorratshaltung charakterlich auch gar nicht geeignet, denke ich kauend.

***

Ich habe für das Goethe-Institut etwas über die Urlaubszeit geschrieben.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

Donnerstagmorgen

Am Donnerstagmorgen gib es endlich wieder eine überlebbar wirkende Außentemperatur. Was bis dahin geschah, das fiel unter Hitzeterror und Apathie, was bis dahin geschah, ist des Berichtens nicht wert, was bis dahin geschah, ist geschmolzen oder zu Staub zerfallen, wie alles andere auch.

Die Schule fängt wieder an, gestern Abend kamen die erwarteten Schulmails mit den Hausaufgaben für die Eltern. Wir suchen Nachweise für dies und das heraus und legen Papiere und Zeug bereit, wir tragen Termine ein, zählen Geld ab etc., wir suchen College-Blöcke und Hefte aus dem Vorrat heraus und bestätigen dies und das. Die Laune der Kinder sinkt derweil merklich.
Am Donnerstagmorgen schieben wir sie freundlich und unter gutem Zureden aus dem Haus und gehen dann auch zu beruflichen Terminen.

Das welke Laub, das mir letzte Woche nur im Garten aufgefallen ist, es liegt jetzt auch in der Stadtmitte und wird allmählich präsenter. Septemberfarbene Einsprengsel im Straßenbild, die hellbraunen Blätter der Linden, die blassgelben Blätter des Blauregens am Spielplatz, hier und da auch schon ein dezentes Rascheln beim Gehen.

Eine vermutlich drogensüchtige Frau sitzt vor den Stufen der Kirche. Sie schreit und brüllt, sie geifert, sabbert und keift, die Laute sind kaum zu verstehen und klingen teils tierhaft, dazu reißt es ihr die Gliedmaßen hin und her, dass es kaum mitanzusehen ist. Wild wedelnde Arme und Beine, da ist nichts mehr im Griff. Ich weiß nicht, woran es liegt, dass Drogenopfer dieser Art wieder öfter hier zu sehen sind, gibt es einen Bezug zur Hitze, ist ein neues Zeug auf dem Markt, das die Menschen noch schneller ruiniert – keine Ahnung. In gewissen Filmen werden Menschen, die von einem Dämon besessen sind, so dargestellt, wie diese Frau es gerade zeigt. Dieser Dämon ist glaubhaft. Ein Krankenwagen hält vor der Frau, jemand in der Nachbarschaft wird ihn gerufen haben.

Vor der Grundschule steht die Direktorin, begrüßt Eltern persönlich und ist um das Ausstrahlen von Zuversichtlichkeit bemüht. Hinten am Zaun stehen Eltern und linsen heimlich durch die Zweige des Gebüschs, beobachten ihre Kinder beim Spielen oder beim bloßen Herumstehen auf dem Schulhof. Was machen die da? Guck doch mal, da ist sie!

Auf der Straße vor der Schule Blinklicht und Geheul, erst eine Feuerwehrsirene, dann eine Polizeisirene, dann eine Notarztsirene. „Oh, oh“, sagt die Bäckereifachverkäuferin und reicht mir mein Franzbrötchen, „oh, oh.“

Vor einem Studentenwohnheim eine graue Mauer, über und über mit Graffiti gezeichnet, kein einziges davon kann man lesen. Ist das die Bildungsmisere?

An der Tür eines Altbaus ein historischer Türklopfer, darunter ein Zettel, auf dem steht: „Hier bitte klopfen.“ Da wir uns nicht mehr auf eine gemeinsame Wirklichkeit einigen können, wie es einige kluge Menschen im Laufe der letzten zwei wissenschaftsfeindlichen Jahre festgestellt haben, müssen wir die Wirklichkeit neu definieren und erklären, deswegen müssen wir bei einem Türklopfer auch dazuschreiben, dass es ein Türklopfer ist, mit dem an die Tür geklopft wird. Vielleicht sollte man auch noch erklären, dass man durch eine Tür hindurch … oder nein. Das ist schon zu viel, das ist schon Kafka.

An einem großen Werbeplakat an einer potthässslichen und vielbefahrenen Kreuzung steht „Dieses Plakat filtert Schadstoffe aus der Luft.“ Guck mal an, denke ich, das sind vielleicht die neuen Technologien, nach denen diese ausgesprochen unsympathische Kleinpartei immer schreit, diese Lösungen, von denen die dauernd faseln. Fein, fein. Die Werbung, die die Stadt verschandelt, macht die Stadt sauber. Warum auch nicht.

Aber es müsste noch ein wenig mehr passieren, nicht wahr. Ein klein wenig mehr, um die Welt zu retten.

***
Sie könnenhier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch,die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

Dörrobstgedanken

Vor der Haustür liegt eine Taube auf dem Rücken. Ihr Hals ist grotesk abgewinkelt, die Brust wurde aufgebrochen, rotes Fleisch in der Mittagssonne, etwas Blut auf dem Boden, dunkel getrocknet, Federchen ringsum. Auf dem Brustbein schon das schwarze Gewimmel des Entsorgungstrupps aus dem Insektenreich. Ein Mann steht nicht weit davon und guckt in die Gegend, auf seinem schwarzen T-Shirt steht weiß: „Spitzbube“. Ein Zusammenhang zwischen Mann und Taube lässt sich nicht zweifelsfrei herstellen.

Auf einer Parkbank liegt am Abend eine verschmäht aussehende rote Rose, langstielig, edel. Die war einmal teuer und bleicht jetzt vermutlich tagelang auf dem Holz vor einem kaum bespielten Klettergerüst, das Rot der prächtigen Blüte hat schon an Kraft verloren. Auf dem städtischen Mülleimer daneben steht: „Ich fress dir aus der Hand.“ Ein Zusammenhang lässt sich herstellen oder auch nicht.

Auf den Stufen zu einem Hotel steht am Morgen eine leere Flasche Jack Daniels (keine bezahlte Werbung, nein), daneben breitet sich eine Lache Erbrochenes aus. Ein Zusammenhang darf vermutet werden.

Der Sonntag ist zu warm, viel zu warm, überall, sogar im Keller, sogar am Ufer der Bille, sogar im Schatten im Garten, wo jetzt eine Pflanze nach der anderen aufgibt und immer mehr der Gewächse zum eindeutig herbstlichen Look neigen, sogar im Freibad, das so wimmelvoll ist, wie ich noch nie ein Schwimmbad erlebt habe. Ich müsste dringend einen Text schreiben, ich kann aber nicht denken, da mein Hirn die Konsistenz und das Leistungsvermögen von Dörrobst angenommen hat. Ich müsste umschulen, auf einen Job, bei dem man nicht denken muss. Man dürfte aber auch nichts anderes machen müssen, denn es ist alles zu anstrengend. Was macht man denn da, was wird man da?

Es ist so heiß, ich tropfe schon im Sitzen, einfach vom bloßen Sein und Atmen. Ich nässe den Gartenstuhl unter der Weide, ich bin ein undichter Nichtdenker.

Die Ringeltaube monologisiert in der Glut des Nachmittags dumpf von der Nachbarparzelle, das klingt eintönig wie Morsezeichen. Ich googele, was sie da ruft, immer alles nachschlagen. Lang-kurz-lang, kurz-kurz, das steht für KI. KI ruft sie im gut erkennbaren Morse-Alphabet, immer wieder KI, tausendmal am Nachmittag. KI, das steht für Künstliche Intelligenz, das weiß man. Wer auch immer im Hintergrund diese Taube programmiert hat, er wollte uns doch ein kleines Zeichen geben.

„Verstanden“, sage ich, „ich habe es ja verstanden.“ Die Taube gurrt nicht mehr weiter, die hat ihre Mission erfüllt.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 15.8.2022

Ich hätte nie gedacht, dass ich mal ein unpolitischer Mensch werden könnte, aber vielleicht ist das viel einfacher.

***

Eine neue Rezension zu den Krug-Tagebüchern, die mir auch sehr gefallen haben, ich erwähnte es vermutlich irgendwann.

***

Leuchttürme und Erinnerungen

***

Sven über das Stromsparen (Sven kennt sich aus)

***

Über das Sparen und die Armut

***

Eine interaktive Karte – wie weit komme ich in 5 Stunden mit dem Zug?

***

Ein Update aus Frankreich, Interessantes zu Wasser und Senf, da muss auch gespart werden.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

 

 

Am und auf dem Fluss

Man muss die Flüsse nutzen, solange man sie hat. Ich war in der letzten Woche mehrmals an und auf der Bille, die die Insel mit dem Schrebergarten umfließt. Wasservögel sind auf dem Fluss und darin, und wenn man nur so dahertreibt, auf einem SUP-Board sitzend oder wie auch immer, sieht man die Schönheit ihrer Bewegungen besonders gut und aus der Nähe. Haubentaucher, Blässhühner, Schwäne, Möwen, Kormorane. Eine schwarzweiße Entenart, die ich nicht bestimmen kann, die ich auch später im Internet nicht finde, keines der Bilder passt. Sagen wir einfach, es waren Billlenten, eine größere Familie davon.

Am unbewohnten Uferstreifen, wo die Rückseiten der Hammerbrooker Industrie fabrikhässlich am Fluss aufragen, tummeln sich kaninchengroße Ratten. Eine guckt zu uns herüber und hat dabei eine Haltung wie ein possierliches Erdmännchen. Unter den großen Weiden der Schatten auf dem Wasser. Wie wohltuend das ist, an einem Tag mit sengender Sonne in den Schatten zu treiben, zwischen die hängenden Zweige. Die paar Grad weniger, raus aus dem Brand, rettend fühlt sich das an.

Wir picknicken dort im Kajak. Ein Schwan guckt uns skeptisch zu, was machen die jetzt da. Essen Zeug, das nicht aus dem Wasser kommt, das findet er allerdings befremdlich, wenn nicht sogar abstoßend, er zischt verächtlich und dreht ab. Zum Schwan gehört die indignierte Empörung.

Ab und zu auch nach oben sehen, ins wild anmutende Dickicht der Uferböschung, ob da nicht vielleicht der Eisvogel, das bunte Geschoss … heute aber nicht.

Am Ufer mit den Schrebergärten sitzen Menschen und gucken. Einige winken lässig, einige gucken nur, was da heute wieder alles im Fluss vorbeitreibt, altes Holz, Seerosen, ein Küchensieb aus Plastik, die Buddenbohms. Einer der Anwohner zieht sich aus, springt ins Wasser, taucht grinsend auf und hat ein großes Seerosenblatt auf dem Kopf. Flüchtige Erinnerung an eine Kinderbuchillustration von ganz damals, was war das noch.

Leise ist es auf dem Fluss, wunderbar leise. Und langsam, so ungewohnt langsam. Die Gärten und Häuser ziehen gemächlich vorbei, die Menschen am Ufer bewegen sich in Zeitlupe in der Nachmittagssonne, und mancher, der da vielleicht sportlich schwimmen wollte, ruht dann doch nur im Wasser, es reicht heute auch. Es ist ein Dümpelfreitag, so fühlt sich alles an, da macht man toter Mann und treibt ins Wochenende.

Unter Brücken durch, die von unten viel größer wirken, als wenn man mit dem Auto drüberfährt. Unter Brücken durch, wo jemand unverständliches Graffiti an den Beton gesprüht hat. So ein Aufwand, da etwas von einem Boot aus an den Bogen zu sprühen, und dann kann man es nicht einmal deuten. Angler am Ufer, Hunde hinter Zäunen, frisch gestrichene Hausboote, daneben Schiffsruinen, halb gesunken. Ein verrotteter Steg, vom Gestrüpp umschlungen, Betreten auf eigene Gefahr.

Der Sohn, der auf seinem SUP-Board ist, unter dem Board, daneben, dahinter, davor, Spritzwasser und Johlen, dann wildes Paddeln, er hängt uns ab, lässt sich wieder ins Wasser fallen, wartet auf uns. Er will Spaß, er will etwas essen, er will etwas trinken, er will weiter, er will ganz um die Insel. Ich möchte hier nur sitzen und sachte schaukeln und treiben und gucken. Altersgerechte Wunschverteilungen.

Am Abend gehe ich mit der Herzdame noch einmal ans Ufer, auf der Hammer Seite. Da gibt es ein kleines Konzert, Dirk Darmstädter spielt vor einem Catering-Wagen. Als wir ankommen ist das Konzert schon fast zu Ende, er singt gerade die Zeile „I’m so tired of the digital nomads.“ Entspannte Menschen sitzen vor ihm im Gras, lachen und klatschen. Die Sonne geht unter. Der Fluss weitet sich hier und glitzert in der Breite, weiter hinten kann man die Stadt sehen, die bekannteren Teile davon, die geschäftigen Teile und die aus den Reiseführern. Hier aber ist es nicht geschäftig, hier ist es sonnenuntergangsruhig und friedlich, sehr friedlich. Leise Gespräche nach dem Konzert auf der kleinen Wiese, ab und zu das Geräusch, wenn jemand zum Baden ins Wasser springt, das Spritzen. Das sind die Ortskundigen, die wissen wie und wo. Auf den Booten am Ufer sitzen Menschen, trinken und reden. Für einen Moment ist alles tiefgolden, die Stadt, der Fluss, die Menschen. Nur die Rückseite des großen Gebäudes weiter hinten am anderen Ufer nicht, die steht dunkel und mahnt, zumindest diejenigen, die das Gebäude erkennen.

Die Stadt ist friedlich und entspannt in diesem Moment und an dieser Stelle, gleich neben dem Grauen von damals. Es liegt ein allgemeines Wohlwollen in der Luft, eine angenehme Lässigkeit, ein mildes Sommerabendgefühl und es ist kurz schön, wirklich schön. Das braucht man ab und zu, wie soll man sonst alles schaffen.

Eine Frau steigt aus dem Wasser und trocknet sich ab, sie zittert vor Kälte. „Aber herrlich“, sagt sie, „aber herrlich!“

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 10.8.2022

Neue Fundstücke aus den Literaturblogs

***

Die neue Monatsnotiz von Nicola, wir können den Juli also getrost abhaken. Wenn wir die Fundstücke und die Monatsnotiz haben, dann drehen wir das Rad einen Zahn weiter und checken nur noch kurz die Saisonalität beim Bäcker im real life: Blaubeertaler gibt es da gerade, aber sie sehen nicht sehr anziehend aus.

***

Das Tanzvideo, das die Kaltmamsell hier am Ende eingebunden hat, es ist sensationell rührend und schön.

Es ist lange her, dass ich getanzt habe. Neulich habe ich einen Song gehört, zu dem Lindy-Hop gut gepasst hätte, da hatte ich doch kurz und jäh Sehnsucht. Kurz und jäh Sehnsucht danach, nacheinander mit mehreren Partnerinnen zu tanzen, wie man es bei Social Dance routinemäßig macht, Sehnsucht danach, das interessant und vielleicht auch aufregend zu finden, belebend und schön, eine halbe Stunde Musikrausch, und auch große, große Sehnsucht danach, zum Schluss wieder mit der Herzdame zu tanzen, dermaßen dankbar dafür, die Richtige schon zu haben, und tanzen kann sie auch noch, wie toll ist das denn.

Aber ich, ich kann mittlerweile ja nix mehr. Manchmal finde ich es schade und denke, ich möchte doch wieder etwas können, Lindy-Hop oder etwas anderes. Wobei … Lindy-Hop war schon passend. Hier, zu diesem Song etwa, der war das, den ich da zufällig wieder gehört habe:

„Up in the mornin‘
Out on the job
Work like the devil for my pay
But that lucky old sun got nothin‘ to do
But roll around heaven all day.”

Auch hier wieder: So sieht man die Sonne heute gar nicht mehr, die sich doch bestellter Weise immer mehr redliche Mühe gibt, uns leistungsstark zu verglühen, von wegen got nothing to do. Unsere Symbole sind mittlerweile unter erheblichem Anpassungsdruck.

***

Alte Männer vermissen ihre alte Welt

***

In der Kunst sein

***

… ich verüble nicht, ich beobachte.“ Schreiben ohne Wut, ich sage es ja. Es sollte ein Trend werden, ein ganz heißer.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

Gut fürs Herz

An den etwas kühleren, an den weniger heißen Tagen die gewohnten Sommergeräusche vom Spielplatz unten, das Jauchzen, das Weinen, das gerufene Ermahnen der Eltern, das Lachen, das gemeinsame Singen auch, was kommt denn da, was kommt denn da, ein Krokodil aus Afrika. An den wieder heißeren Tagen die bleierne Stille des Mittags, wenn sich niemand dort in die Hitze setzt oder stellt, wenn nicht einmal versuchsweise angefasst wird, wie heiß wohl die Rutsche heute geworden ist. Das allgemeine Drinnenbleiben, das Warten im Schatten, der spanische Tagesablauf, die Siesta. Mehr und mehr Deutsche wünschen sich Mittagsschlaf, so steht es in den Nachrichten, ich lese es nach einem Nickerchen.

Die Tauben, die im Kreis durch die staubige Sandkiste stolzieren und pikiert gucken, gibt es hier heute überhaupt keine Krümel oder was. Genervtes Gurren.

***

In der Schaufensterscheibe eines Friseurs hängt ein neuer Hinweis, dort nehmen sie jetzt nur noch Karten, kein Bargeld mehr. Ich glaube, es ist der erste Hinweis dieser Art, den ich im kleinen Bahnhofsviertel wahrnehme, es wird sicher nicht der letzte sein. Wenn ich ohne Datenspur meine Frisur verändern möchte, wird die Herzdame wieder zuständig werden, wie damals, vor den Söhnen irgendwann. In den schwulen Sexshops ringsum kann man noch bar bezahlen, jedenfalls hängen dort keine solchen Zettel in den Fenstern. Ich erwähne das nur, weil das Thema eben Abgründe hat, wie alle Themen.

***

In den Timelines stöhnen die Eltern, es ist ein mehrstimmiges Fluchen und Knurren, weil die Schule in Kürze wieder losgeht. Da die Kinder in den Timelines nicht mitstöhnen, wirkt es so, als sei der Schulanfang hauptsächlich ein Elternproblem.

Vielleicht ist es auch so. Vielleicht habe ich noch nie wahrgenommen, dass so viele Eltern in meinem Umfeld, virtuell und auch vor Ort, sich so murrend über die Kürze der Ferien beschweren und so stöhnend auf das nächste Halbjahr blicken. Vielleicht ist es noch eine Pandemiefolge. Vielleicht ist das alles auch gar nicht mehr reparabel.

Irgendwann sind die Kinder mit der Schule durch.

***

Wir machen einen Ausflug nach Blankenese, wir gehen auf und ab durchs Treppenviertel. Der uns begleitende Sohn kannte das dort noch nicht, er findet es „next-level-schön“, und das ist es ja auch. Er kommt auf naheliegende Fragen, nämlich warum einige Menschen so schön wohnen und andere nicht, er kommt auch auf die Frage, die ich neulich in einer Kolumne ebenfalls hatte, nämlich warum der Mensch an sich, warum wir also es uns nicht überall so schön machen. Wir könnten das doch. Auch ohne Treppen und Elbblick.

Wir gehen Treppen hoch, wie gehen Treppen runter, wir gucken in Gärten und auf alte Häuser. Es ist warm, es ist schön, aber es ist mörderisch anstrengend, es ist Sport. Auf einem Treppenabsatz sitzt ein alter Mann auf einer Bank, er besieht sich die aufsteigenden Gäste und lacht. „Ist gut fürs Herz!“ ruft er immer wieder, wenn jemand vor ihm keuchend stehenbleibt und kurz nach dem Geländer tastet, „Ist gut fürs Herz! Ja, ja!“

Und er lacht und er ruft, und er sitzt da und hat Spaß.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

Mit Temperaturen per Du

Mir fällt auf, dass viele Leute um mich herum mit allen möglichen Temperaturen per Du sind, dass sie also genau wissen, wie sie sich etwa bei 17 oder bei 22 Grad fühlen, was da geht und was da nicht geht und wie das ist. Vielleicht habe nur ich wieder nicht aufgepasst, es ist ohnehin das prägende Gefühl meines Lebens, wie ich nach ein paar Jahrzehnten mit Fug und Recht feststellen kann, aber ich bin aus dem Stand nicht so temperaturfirm und weiß gar nicht gradgenau, welche Innenraumtemperatur die beste für mich ist, die angenehmste, die gerade eben noch erträgliche Variante – keine Ahnung. Ich müsste raten oder experimentieren. In Spanien wurde beschlossen, so lese ich, die Büros im Winter nicht mehr über 19 Grad zu heizen und im Sommer nicht unter 27 Grad zu kühlen. Ich weiß nicht auswendig, wie ich 19 Grad im Innenraum finde, ob mir da kalt ist. Wieso wissen das alle, haben die immer ein Thermometer dabei und checken das dauernd?

Wenn ich draußen kein Sakko mehr tragen kann, ist es zu heiß, das ist einfach, aber bei wieviel Grad ist das eigentlich? Sakkos sind sehr praktisch und ersetzen die Handtasche, ich möchte bitte immer Sakkos tragen können, auch in Innenräumen.

Bei einstelligen Temperaturen ist es mir morgens in der Laube zu kalt. Aber ist im Umkehrschluss genau ab 10 Grad alles okay? Keine Ahnung.

Im Moment sind hier am Schreibtisch, das ist simpel und jede Versuchsreihe beginnt eben irgendwo, 28 Grad. Das ist mir tendenziell zu viel. Draußen sind dagegen gerade graue 16 Grad, das kommt mir wunderschön vor, draußen kann man atmen. Da wird es einen gewissen Innenraumtemperaturbias geben. Sind 16 Grad in anderen Monaten auch schön? Okay, ich taste mich da jetzt ran. Aber die Freunde der Realität sind wieder weiter als ich, es ist immer das Gleiche.

Egal. Jetzt Thermounterwäsche bestellen, immer antizyklisch denken.

Beim Hamburger CSD, der vor unserer Haustür startet, sind etwa 250.000 Menschen, melden die Medien. Die Gäste sind durchweg bestens gelaunt und die Parade ist größer als je zuvor, eine wogende, tanzende Menge. Wie immer sind etliche TeilnehmerInnen extravagant kostümiert, und da nur noch einige pandemiebedingt FFP2-maskiert sind, wirkt es bei diesen Wenigen so, als sei die uns so vertraut gewordene Maske plötzlich Zubehör eines besonders abgefahrenen Kostüms.

Man kann davon einfach so erzählen, ohne sich zu empören, ohne nach einem Satz in Wut zu geraten, ohne zu giften und zu geifern. Ich kann es vollständig Ihnen oder Euch überlassen, wie das gefunden wird, wie da das moralische Urteil ausfällt, ob die also alle ohne Maske durften, ob das vollkommen falsch war oder doch irgendwie verständlich und menschlich, ob unsagbar dumm oder eher nur gewöhnlich, es ist mir im Grunde auch egal. Ich schreibe das nur auf und habe das seltsame Gefühl, dass dies allmählich zu einer seltenen Kunst wird: Schreiben ohne Wut. Es ist recht entspannend, finde ich.

Aus medizinischer Sicht, um eine weitere neutrale Überlegung anzuschließen, könnte man es allerdings spannend finden, ob es nach mehreren Paradenstunden unter blauem Himmel mehr Infektionen oder mehr Sonnenbrände gab.

Eine ältere Touristin spricht mich vor dem Hauptbahnhof an, sie wirkt etwas verzweifelt und hektisch, sie ist gerade angekommen und will runter zur Alster. Wie sie da denn bloß hinkommen könne? Ich zeige ihr die Richtung. „Aber!“, sagt sie und zeigt jetzt auch, und zwar auf die CSD-Parade, die dummerweise in ganzer Länge zwischen ihr und der Alster liegt. „Da kann man doch nicht durch!“ Sie sagt es sehr laut, denn die Musik brüllt.

„Doch“, sage ich, „ich bin da auch gerade durch. Mehrfach. Einfach durchgehen. Wie durch andere Menschenmengen auch.“ „Meinen Sie?“, fragt sie und guckt zweifelnd und überlegt vermutlich noch einmal, wie lang ein Umweg sein müsste, um an dieser unfassbar riesigen Veranstaltung vorbeizukommen. Der müsste allerdings verdammt lang sein, es kann keinen anderen Schluss geben, die Schlange der Parade dehnt sich links und rechts von uns endlos aus.

Dann fasst sie Mut und ihren Rollkoffer und zieht los, mitten in die tanzende, johlende Menge hinein. „I wanna be daylight in your eyes“, singen die gerade, “I wanna be sunlight only warmer.”

Auch so eine Textzeile, die man heute nicht mehr schreiben würde. Es klingt mittlerweile wie eine Bedrohung, sunlight only warmer. 21 Jahre ist der Song alt.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

Wo die Bonbons fliegen

Im Garten liegt Laub auf der Terrasse und auf dem Rasen, knochentrockenes, mürbes Laub, sommergedörrt. Kartoffelchipsgeräusche beim Drauftreten, das ist die Dürre, das ist die Hitze. Es ist so viel Laub, und es fällt so schnell, dass es ein falsches Bild ergibt, so hat ein Garten, so hat Natur Anfang August nicht auszusehen. Dies ist doch keine Zeit, um Laub zu harken. Restinstinkte, die uns warnen, wenn in der Natur etwas von der Norm und der Erfahrung abweicht. Man steht und denkt, nein, fühlt eher: Hier stimmt etwas aber gewaltig nicht.

***

Im kleinen Bahnhofsviertel sind mehr und mehr Regenbögen zu sehen, allerdings nicht in der Natur, sondern in Schaufenstern und auf Aufklebern, Fahnen und Wimpeln, am Wochenende ist hier der CSD. Man bereitet sich vor, es ist ein Groß-Event. Ein Kind fragt seine Mutter an der Ampel: „Ist der CSD das, wo die Bonbons fliegen?“ Die Mutter nickt und lacht. Bei der großen Parade werden Bonbons von den Wagen geworfen wie in Köln beim Karneval, für die Kinder im Stadtteil ist das ein Highlight. Das war bei den Söhnen damals auch so und kann als Symbolsatz für das Aufwachsen in einem eher liberalen Stadtteil verstanden werden: Der CSD ist das, wo die Bonbons fliegen. Es war für die Vorkämpferinnen ein weiter Weg bis dahin. Aber das wissen die Kinder nicht.

***

Ich fahre wegen der hitzewellenbedingten Glühzustände im Dachgeschoss-Home-Office trotz der Pandemie doch einmal ins nennenswert kühlere Büro, dabei nutze ich das kriegsbedingte 9-Euro-Ticket. So finden die Krisen im Alltag zusammen, es passt alles in einen Satz.

Ich kaufe beim Bäcker an der S-Bahnstation ein Franzbrötchen, es kostet 1,70. Ich erinnere mich noch an 1,10. Es ist nicht allzu lange her, es war im Grunde doch neulich erst. War es kurz vor der Pandemie? Aber wer weiß schon noch, wie es da genau war.

Später noch einmal in den Garten. Leere Fußwege. Die Menschen drücken sich im Schatten herum, rote Gesichter, sichtbare Kurzatmigkeit, langsame Bewegungen. Vor einem Imbiss stellt jemand einem kleinen Hund einen Teller Wasser hin, der trinkt nicht, der legt sich rein.

Ich halte die Füße in die Bille, sie ist mediterran warm. Ein Gewitter zieht heran. Wind kommt auf, das Sonnensegel vor der Laube bläht sich wie ein Spinnaker, die Backbord-Tomaten schaukeln an den Stauden, darüber Blitze und fernes Donnergrollen. Es regnet kurz, gerade nur bis zu dem Moment, in dem man denkt, okay, heute müssen wir nicht gießen. Und keine Sekunde länger.

Zurück in die Wohnung, die nicht abgekühlt ist, das dauert. Tropennächte bei Buddenbohms und die innere Herbstreife.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!