Was der Fall ist

Der phänologische Kalender: Beim Bäcker gibt es jetzt Pflaumenschnecken und die Herzdame bringt vom Obst- und Gemüsehändler die ersten Pflaumen mit, die zwar groß und prächtig, allerdings noch kieselhart sind. Auf einigen Wegen im Stadtteil liegen die von Bäumen gefallenen Mirabellen, leuchtend gelb in der Nachmittagssonne, schnell zertreten und wespenumschwirrt.

In unserem Garten haben wir keine Pflaumen, der zuständige Baum war im Frühling von irgendwas Krabbelndem befallen worden und konnte danach nichts mehr produzieren.

Irgendein Befall. Das erinnert mich daran, dass die Söhne immer „Entfall“ sagen, wenn in der Schule etwas nicht stattfindet, das irritiert mich manchmal. Sie kommen früher nach Hause, murmeln nur dieses eine erklärende Wort, „Entfall“, und verschwinden dann in ihren Zimmern. Das Wort wurde in meiner Schulzeit nicht verwendet, wenn ich mich richtig erinnere. Es gibt heute Entfall, wenn das Lehrpersonal etwa Virenbefall hat, das ist dann ein aus Schülersicht oft willkommener Zufall und natürlich auch ein Ausfall. Wenn die Söhne dann aber freudig durch den Schulflur hüpfen und zu ungewohnter ´Stunde nach Hause eilen, sind sie damit kein Auffall, das Wort gibt es gar nicht.

Guck mal, ein Auffall! Das Wort sollte es vielleicht geben? Ein Wasserfall etwa ist ein Auffall in der Flusslandschaft. Pardon, ich schweife ab.

In den Foodblogs jedenfalls die saisonalen Gazpacho-Rezepte, etliche Varianten von kalten Suppen, immer mit dem Zusatz „für heiße Tage“, das ist so Pflicht.

Was noch? Die Stadt ist voll, zumindest in den als attraktiv geltenden Stadtteilen. Alle ringsum haben Ferien und kommen her, in die große Stadt, während die Einheimischen zu einem erheblichen Teil weg sind, in den kleinen Dörfern. Es ist eine Art Ringtausch. Dem Straßenbild nach sind jetzt allerdings mehr Personen als vorher in der Stadt, es ist überall voll, auch in den Läden in der Innenstadt, und im Hauptbahnhof gehe ich durch ein Gedränge wie in einem Ameisenhaufen. Ameisen mit Koffern und Rucksäcken und Stadtplan-Apps auf dem Handy.

Ein Mann mit Alkoholproblem taumelt über die Einkaufsstraße im kleinen Bahnhofsviertel, er rempelt sich unabsichtlich von Grüppchen zu Grüppchen, überall stehen Menschen in seinem kurvenreichen Weg, er sagt entschuldigend: „Das geht nicht gut zusammen, so betrunken und dann Touristen überall, das geht einfach nicht zusammen.“ Und er macht scheuchende Gesten mit den Händen, um die drei Männer aus dem Weg zu wedeln, die gerade in ganzer Gehwegbreite vor dem Geburtshaus von Hans Albers stehen und angemessen andächtig an der Fassade hochsehen.

Ein alter Flaschensammler beugt sich über einen Mülleimer und angelt mit langem Arm nach den Pfandflaschen darin, die er in eine Plastiktüte stopft. Die ist bedruckt mit der Werbung eines Finanzmagazins, er trägt die leeren Flaschen in einer Tüte, auf der groß „Entscheidungsträger“ steht.

Ich kaufe Blumen für die Herzdame. Die Frau im Blumenladen ist allein, alle anderen sind krank, sie ist ziemlich aufgelöst. Eine Person reicht hier nicht und sie murmelt fortwährend, während sie hektisch herumläuft: „Das geht doch so nicht, das geht doch so nicht.“ Es geht dann aber doch irgendwie.

Die Herzdame hat einen Arzttermin, der findet nicht statt, in der Praxis sind alle krank. Im Discounter wird nach einer weiteren Kasse gefragt. Eine weitere Kasse kann es heute aber nicht geben, und man ahnt den Grund.

Gesund sind sie alle nicht, gesund ist das alles nicht.

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Ich habe es verstanden

Ich fräse und lese mich weiterhin quer durch das Gesamtwerk von Jane Gardam. Es macht durchgehend Spaß, es wurde auch durchgehend hervorragend übersetzt von Isa. Im Moment bin ich bei „Die Leute von Privilege Hill“, das sind Erzählungen. Ich kann das alles empfehlen.

Wobei die Zeit der stundenlangen Lektüre in Kürze dummerweise endet, mit dem Urlaub nämlich, der, ich muss mich dem Ernst der Lage in wenigen Augenblicken stellen, heute Abend ausläuft, sobald die Koffer nach dem Nordostwestfalentrip wieder ausgepackt sind. Die goldene Hochzeit dort wurde erfolgreich gefeiert, das Urlaubsprogramm kann komplett als absolviert bezeichnet werden, vom Punkt „grundlegende Erholung“ einmal abgesehen. Für den müssten wir jetzt noch 14 Tage dranhängen, gerne auch ohne Kinder. Nichts gegen Kinder, versteht sich, aber das Kümmern, das Pflegen, das Bedenken. Es kostet eben auch alles Kraft und Nerven.

Die Söhne werden weiterhin und sogar noch wochenlang Ferien haben, wir Eltern nicht und ja, Neid ist manchmal auch für uns ein Thema. Ich habe mir gerade erste To-Dos für die nächste Woche aufgeschrieben, und zwar solche, die nicht einmal beruflicher Natur sind. Das Thema Berufe kommt dann auch noch dazu, sobald mir wieder einfällt, was ich beruflich eigentlich mache. Es war irgendwas mit Home-Office, soweit erinnere ich mich.

Aber daneben eben auch: Viel, allzu viel zu regelnder Alltag. Behörden, Schulen und Gott weiß welche Einrichtungen noch, die irgendwas von uns, von mir wollen. Es ist eine der lästigsten Begleiterscheinungen des Erwachsenseins, dass man fortwährend irgendwas für sich und andere regeln muss, auch abseits der Arbeit. Ich habe grundsätzlich eher keine Lust mehr, irgendwas zu regeln. Ich möchte in meiner Freizeit nur noch lesen und schreiben und ich finde, die Gesellschaft sollte das aushalten. Ich halte die Gesellschaft immerhin auch dauernd aus, und wie schwer ist das denn.

Die Rückfahrt aus Nordostwestfalen dauerte unanständig lange, wir waren im Stau, wir waren der Stau, wir waren auch neben, vor und hinter dem Stau, was wir eher nicht waren, das war in Bewegung. Ich fuhr vier Stunden, das ist fast rekordmäßig lang. Direkt danach gelüstete es der Herzdame nach Schokoladeneis, und ich bin in einem Anfall leicht irrsinniger Ritterlichkeit zum auch am Sonntag geöffneten Supermarkt im Hauptbahnhof gegangen, um ihr solches sofort zu besorgen. Im Supermarkt war selbstverständlich ganz Hamburg und dazu gab es auch noch ein paar Touristen, die Schlange vor der Kasse war lang wie ein Autobahnstau. Ich stand da dezent stöhnend, mir tat alles weh, mir war heiß, ich wollte da raus. Ich dachte, nach vier Stunden Autobahn gerade erst angekommen und dann noch so eine Schlange …

Der Mann vor mir suchte das Gespräch. Er erzählte, er sei gerade erst im Hafen angekommen, nach 800 Kilometern Kajakfahrt, und dann noch so eine Schlange …

Ja, okay. Andere machen noch längere Reisen und sind selbstverständlich auch noch viel kaputter, ich habe es verstanden. Kein Tag ohne Demütigung, da war sie wieder, die alte Regel.

Egal. Weitermachen.

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Im Kreis durch Mais

Wir fahren nach Nordostwestfalen, im Heimatdorf der Herzdame wird die Goldene Hochzeit ihrer Eltern gefeiert. Allerdings zieht sich die Fahrt. Erst ist die Autobahn unfassbar voll, dann auch noch die Landstraßen. Es sind sämtliche Trecker, Mähdrescher und auch alle sonstigen landwirtschaftlichen Nutzmaschinen Niedersachsens irgendwo da draußen, also vor mir, neben mir und hinter mir, wir werden außerdem umgeleitet. In der Umleitung gibt es eine weitere Umleitung und dann sogar noch eine, es ist ein wenig kompliziert. Ich frage die Herzdame nach etlichen Kilometern durch uns vollkommen unbekannte Dörfer, welchem Schild wir eigentlich nachfahren, sie sagt: „Keine Ahnung.“ Ich frage, was das Navi sagt. Die Herzdame benutzt allerdings aus kaum nachvollziehbaren Gründen immer zwei Navi-Apps, eine sagt links, eine sagt rechts. „Welchem soll ich glauben“, frage ich. „Darüber müsste ich länger nachdenken“, sagt die Herzdame. Schilder sausen vorbei, es steht irgendwas mit U darauf.

Dann meinen beide Navi-Apps doch einmal gleichzeitig, rechts wäre gut. Und nach der Abfahrt rechts soll ich dann wieder eine Abfahrt rechts nehmen, schließlich noch eine. Wir fahren im Kreis durch Mais, und es gibt viel Mais in Niedersachsen.

Mais, Mais, Mais, ein Fachwerkhaus,

Mais, Mais, Mais, ein Raiffeisendings.

Mais, Mais, Mais, wir finden nicht raus,

Mais, Mais, Mais, warum nicht mal links.

Wir fahren durch aufwallende Wolken goldenen Staubs. Gelb sind schon die Felder, der Weizen ist weg, oder was das war. Alles wird zu früh geerntet, hören wir später, die Trockenheit. In der Windstille die Nachmittagssonne auf Stoppeln.

Ein Erdbeerhof hat unter das große Erdbeerwerbeschild noch ein weiteres Brett gehängt, auf dem steht Heidelbeeren. Auch das ist ein Jahresfortschrittsbalken.

Manchmal auch Spargelfelder links und rechts der Landstraße, lustig buschig stehen die Pflanzen jetzt da und erholen sich von unserem endlosen Appetit.

Eine irgendwo im Nichts stehende Windmühle, schön wie im Bilderbuch.

Wir kommen über eine eher unwahrscheinliche Einfallschneise im Heimatdorf an, ich fahre über kleinste Straßen auf das Haus ihrer Eltern zu. Ich komme in einem Winkel an, den ich nie so gefahren bin. Überraschungen immer für möglich halten, auch auf den altvertrauten Wegen.

Um das Haus herum liegen ebenfalls goldgelbe Felder, und die Nachbarn kommen und bringen goldene Luftballons am Haus an, die 50 auf jedem. Dann erzählen wir uns, wer schon wie lange und was, und dass der Große bei uns auch schon fünfzehn wird, wie kann es eigentlich sein. Die Herzdame und ich sind bald achtzehn Jahre verheiratet, das ist natürlich nichts neben der goldenen 50, aber es klingt auch schon irgendwie … seltsam erwachsen.

Beim letzten Besuch stand hier noch so ein Spielturm im Garten, ein Kinderklettergerüst, das einmal ein ganz großes Ereignis war, als der Opa es damals neu gebaut hatte. Das ist jetzt weg, es war längst alt und morsch.

Wir weisen die Söhne darauf hin, dass es nicht mehr da ist. Sie hätten es nicht bemerkt.

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 28.7.2022

Einige unkommentierte Links heute, ich habe gerade gemerkt, dass ich nächste Woche keinen Urlaub mehr habe und befinde mich noch im Schockzustand, da ist man ja nicht so kreativ.

Christian über Stammkneipen und Kunst.

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Frau Novemberregen über Selbstverteidigung.

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Wir zittern vor dem Wetter, wie man vor einem Orakelspruch zittert.

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Fahrradfahren in den Niederlanden unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt vom Fahrradfahren in Deutschland: Man bangt nicht um sein Leben.

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Eine Dankespostkarte

Rückseite

Ich habe zu danken, zum einen für die Zusendung von „Schwärmer und Schnaken“ von Harry Martinson, Deutsch von Klaus-Jürgen Liedtke. Reflexionen über die Natur, das passt gerade.

Zum anderen war es wieder so weit, dass wir die gesparten Trinkgelder in Urlaub umgesetzt haben, und damit dann auch wieder in Text. Von den zwei Wochen, die wir auf Eiderstedt waren, haben Sie freundlicherweise mehr als die Hälfte finanziert, dafür kann ich gar nicht genug danken. Es gab noch eine Summe mit dem Betreff „Zweisamkeit“, die haben wir auch dafür verwendet, denn mehr Zeit ohne Kinder als auf dem Hof (keine bezahlte Werbung) haben wir kaum jemals, die Kinder sind dort mit anderen Kindern beschäftigt. Ganz herzlichen Dank!

Vorderseite

Ich folge dem Vorsatz, über die Motive der Karten weniger nachzudenken, sondern das zu nehmen, was gerade da ist. In diesem Fall also ein Julibild aus dem Garten. Wir brauchen als Setting einen Schrebergarten, den sie sich bitte nicht zu ordentlich vorstellen dürfen, so viel Zeit haben wir nicht, und abweichend vom üblichen Bild solcher Gärten gibt es in diesem deutlich mehr alte Bäume, auch große, etwa den Weißdorn. Was in diesen heißen Zeiten wegen des Schattens selbstverständlich ein Segen ist, und genau das war sogar der Plan, als wir uns für diesen Garten entschieden haben. Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert.

Ein alter Apfelbaum, eher uralt schon, vor Jahrzehnten von den Pächtern vor uns gepflanzt. Seit vielen Jahren schon wurde er nicht mehr beschnitten, innen ist er längst hohl. Es ist ein Apfelbaumgreis mit ausgesprochen zauseliger Zweigfrisur, dennoch trägt er üppig. Gelbgrüne Äpfel, die in diesem Jahr besonders groß ausfallen. Eine rostrote Laterne hängt noch am Stamm, Kerzenreste darin. Ein Vogelhäuschen, ein Meisenball an den Ästen, den besucht gelegentlich auch der lebhaft interessierte Buntspecht. Unter dem Baum steht ein wackeliger Holztisch. Eher klein ist der, wenn man da sein Notebook daraufstellt, dann passt der Kaffee kaum noch daneben. Zwei ebenso wackelige Stühle davor. Man musss etwas bewusst sitzen, um die Stabilität zu wahren, aber das soll ja gut sein. Ein schöner Platz, etwa um eine Dankespostkarte zu schreiben.

Über dem Apfelbaum ragt die Weide auf, deren Laub heute etwas traurig hängt. Der Boden ist in der Tiefe zu trocken, viel zu trocken, und die Sonne brennt zu heiß. Oben in der Weide, himmelwärts oben, raschelt schon wieder aufkommender Wind in den Blättern und auf dem Handy ploppen die ersten Unwetterwarnungen auf, es kommt ein Gewitter, aber das hat noch ein paar Stunden Zeit.

Links im Bild noch eine Hortensie, die weißen Ballen der Blüten.

Aus den Apfelbündeln in den Zweigen löst sich einer und fällt in das Gras, das hitzebedingt schon etwas länger nicht mehr gemäht wurde. Der Apfel fällt weich, es gibt ein tiefes, seltsam zufriedenstellendes Geräusch, das so klingt, als sei der Apfel sehr saftig, das so klingt, als sei das Gras ein überaus angenehmes Polster.

Ein Apfel im hohen Gras, sonnenbeschienen, ein einfaches Bild. Tiefe gewinnt es erst durch die Fülle der Möglichkeiten, die sich daraus ergibt, denn was macht man, wenn da so ein Apfel neben einen fällt, im Garten, im Juli?

Ich könnte hier einfach sitzenbleiben. Ich sitze wackelig auf diesem ollen Stuhl, ich sitze so, wie alles gerade ist, sogar die Weltlage, das passt schon. Alles immer weiter ausbalancieren. Ich sitze hier vielleicht einfach, bis ein weiterer Apfel fällt. Das ist ein vollkommen unbestimmter Zeitraum, der nächste Apfel fällt jetzt gleich oder morgen erst, ich weiß es nicht, es ist unvorhersehbar. Es würde die Zeit aber schön dehnen, unter diesem Baum auf den zweiten Apfel zu warten, es ist eine ausgesprochen vielversprechende Vorstellung. Ich habe Urlaub, das passt doch. Und dann auch darauf achten, ob der folgende Apfel im weichen Gras den ersten Apfel touchiert, sehr gemächliches Baum-Boule wäre das.

Ich könnte mich nach dem Apfel bücken, ich müsste nicht einmal aufstehen dafür. Ich könnte ihn nehmen und hineinbeißen und schmecken, wie weit der Sommer ist. Apfel, Apfel, wie weit ist der Sommer. Und ist er mir nicht weit genug, dann werfe ich den angebissenen Apfel in den Kompost, auch dafür müsste ich nicht erst aufstehen. Das geht über die Schulter und befriedigt sicher ungemein, wenn tatsächlich getroffen wird.

Ich könnte den Apfel dort liegenlassen. Etwa bis die Wespen kommen, die Würmer, die Asseln, die Schnecken, das ganze Gewimmel.

Ich könnte auch auf die Dämmerung warten und bis größere Gäste erscheinen, der rasselnd atmende Igel etwa, die huschenden Mäuse, das vermutlich eher desinteressierte Eichhörnchen, die alles probierenden Rabenkrähen, die hyperaktiven Jungelstern.

Ich könnte ein apfelorientiertes Gespräch mit der Herzdame beginnen, die unweit von mir sitzt und seit zwanzig Minuten schon Entsafter googelt, weil sie wesentlich pragmatischer auf Fallobst reagiert als ich.

Oder nichts davon. Ich könnte mir immer weiter Notizen machen, auf Papier, weil die Sonne auf dem Bildschirm zu sehr blendet, und die I-Punkte fallen auf das Blatt wie die Äpfel ins Gras.

Ein Kohlweißling taumelt durch das Bild, zwei Pfauenaugen hinterher. Von irgendwoher kommen Arbeitsgeräusche, weil in Schrebergärten immer jemand etwas macht, das gehört hier so. Es wird gehämmert, dann stoßen Latten aneinander. Es sind gute Geräusche, kein nervtötendener Motorenlärm.

Der Apfel liegt im Gras, ich sitze am Tisch. Zeit vergeht. Mehr muss es manchmal nicht sein.

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Dort klingen die Stimmen der Menschen matt

Ich lese Petri Tamminen, Verstecke, hier eine freundliche Rezension dazu. Das sind Texte, die fast Gedichte geworden wären, fast halbtraumartige Kolumnen über das wichtige Thema des Abtauchens, etwa auf einem Dachboden:

„Der Dachboden […] taugt immer als Versteck. Auf dem Dachboden herrscht die Wärme von verbranntem Orange. Auf dem Dachboden riecht es nach Sägemehl. Unten in der Wohnung spricht jemand, der Wind säuselt in den Bäumen, und die Wespen leben in den Ritzen des Gebälks. Auch im Drahtkäfig eines Mietshauses kann sich ein Dachbodenversteck befinden, durch entsprechende Einrichtung schafft man sich dort ein gemütliches Nest.

Jeder hat sich schon einmal klammheimlich vom Spektakel im Parterre verzogen und ist die Treppe zum Himmel emporgestiegen, in die Stille des Dachbodenverstecks. Dort klingen die Stimmen der Menschen matt. Dorthin dringt der Lärm der Welt gedämpft und wie aus einer anderen Zeit, aus einer, die man bereits überstanden hat. Dort kann man unter einem Webstuhl im Duft von alten Zeitschriften und verschossenen Tapeten liegen und lauschen, wie das Leben vorüberströmt. Man fühlt sich leicht wie in einem Bestattungsinstitut im Juli, wo der Besitzer ein Käsebrot verzehrt und die Sonne auf die Flanken der Särge scheint.“

Schönes Deutsch von Stefan Moster. Ein Sommerlochbuch, falls Sie eines brauchen, verstecken Sie sich ruhig einmal damit.

„Im Wald hält sich der Finne schon so lange versteckt, dass der Wald sich in ihm versteckt.“

Wieder in Hamburg gehe ich gleich beim öffentlichen Bücherschrank vorbei. Ich bringe die Briefe von Schwitters wieder weg, die ich dort neulich gefunden habe. „Sie können doch keinen Schwitters wegstellen!“, sagt der Mann neben mir, und ich sage doch, es müsse ja alles im Umlauf bleiben, so sei es am besten. Er nimmt den Schwitters, steckt ihn ein und sagt, der ginge jetzt aber mit nach Oldenburg. Ich sage: „Da gibt es sicher auch solche Schränke.“

Wir sehen beide die Bücher durch. Ich nehme einen David Foster Wallace mit, seinen Erstling, Der Besen im System. Da auch mal reinsehen. Dann lache ich, denn daneben steht ein Buch von mir. Der andere Mann fragt, warum ich lache, ich erkläre es ihm, ich sage: „Ich stehe neben Wallace, das ist so schlecht nicht.“ Dann erkläre ich ihm die Situation. Ich habe mich noch nie in einem öffentlichen Bücherschrank gefunden, ich finde das gut und freue mich.

„Worum geht es in ihrem Buch“, fragt der Mann. Ich sage Travemünde. Da fährt seine Tochter in Kürze hin, stellt sich heraus, da könnte er ihr doch glatt ein signiertes Buch schenken, fällt ihm ein, und ob ich nicht eben …

So habe ich nach jahrelanger Pause mal wieder ein Buch signiert, das war nett und ausgesprochen freundlich zur Wiederankunft in Hamburg. Um weitere zu signieren, müsste ich allerdings erst wieder eines schreiben, fürchte ich, das ist etwas viel Aufwand, wenn ich mich recht erinnere. Und worüber auch.

Dann werfe ich zuhause einen langen Blick in leere Schränke und Regale und kaufe so viel ein und hänge hinterher so unfassbar viel Wäsche auf, dass ich bald nicht mehr weiß, ob Stunden oder Tage vergangen sind. Das Leben ist eine lange, ruhige Wäscheleine. Ich hänge das letzte T-Shirt auf, da ist das erste vielleicht schon wieder trocken, denn sogar im Keller ist es sehr warm. Der Trockenkeller ist groß, niemand außer mir benutzt ihn. Einige Mieterinnen kennen ihn gar nicht, der Raum liegt versteckt und ist kryptisch irreführend beschriftet. Es sind nur Wäscheleinen darin. Wäscheleinen und Spinnweben und ein kleiner roter Klappstuhl, den ein Sohn einmal hierhin mitgenommen hat, um oben an die bunten Wäscheklammern auf den Leinen anzukommen, es wird mindestens zehn Jahre her sein. Ich kann die Stimmen der Passanten von hier unten hören, unklares Gemurmel, selten nur verstehe ich ein gerufenes Wort: „Post!“ Dann der Türsummer, ein Klacken, das Rumpeln einer Sackkarre, die gegen den Türrahmen stößt, ein Fluchen in einer anderen Sprache. Ich könne mich auf den allerdings sehr kleinen Klappstuhl unter die nasse Wäsche setzen, Waschmittelgeruch und Kellermuff um mich herum, sirrende Neonbeleuchtung über mir. Das Geräusch der Schritte von Menschen und Hunden vor dem Haus dringt durch den Lichtschacht, zwischen mir und dem Treppenhaus liegen immerhin drei Stahltüren – ich bin beim Verstecken gar nicht so unbegabt, glaube ich.

„Seine Verstecke findet man nie, sucht man sie erst im Moment der Not. Der Kluge hält unentwegt nach Verstecken Ausschau.“

Na, egal. Ich setze mich erst einmal wieder in meine zum Schreiben eingerichtete Abstellkammer.

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Es wird noch Pflaumenkuchen geben

Der Kuckuck ruft wieder. Ich lese also den Kuckuck nach, immer alles nachlesen. Der reist, hätten Sie das gewusst, Anfang August, quasi gleich also, schon wieder ab ins südliche Afrika, let‘s call it a summer, das war es dann schon. Er hat hier alles erledigt und genug erlebt. Dann flieg doch, möchte man da etwas patzig rufen, dann flieg doch. Hier aber wird es noch Pflaumenkuchen mit zwei Teigsorten geben, zu denen man Meinungen haben kann und muss, und reichlich Wärme im August und feinstes Licht im September wird es auch geben, und dann erst kippt das alles wieder ins Herbstliche. Es hat schon noch ein paar Wochen Zeit.

Kuckuck, da ruft er gerade wieder. Auch noch nie gesehen, den Vogel, immer nur gehört. Im April kommt er wieder, jedenfalls vielleicht. Er gehört zu einer gefährdeten Art, aber wer nicht.

Ein Junge auf dem Hof hat einen Frosch gefangen, in einem dieser „Forscherbecher“, wie es sie für Kinder gibt, mit einer Lupe im Deckel. Er besieht sich den Frosch begeistert, läuft herum und zeigt ihn allen. Er lässt ihn vorsichtig hinaus, der Frosch springt sofort zu mir. Der Junge ist etwas enttäuscht, er hatte gehofft, der Frosch hätte schon Freundschaft mit ihm geschlossen und würde prompt zurück auf seine ausgestreckte Hand springen, aber von wegen. Er fängt ihn noch einmal in dem Becher, lässt ihn dann wieder frei. Der Frosch weiß nicht, wie ihm geschieht, die ersten Erwachsenen um die Szene herum werden unruhig, mit Tieren spielt man nicht, da muss reagiert werden. Der Frosch aber, er springt wieder zu mir.

Der Junge sieht den Frosch an, sieht mich an: „Du bist einer, den die Frösche mögen“, sagt er schließlich leise, mit ein wenig Neid in der Stimme.

Ich bin einer, den die Frösche mögen. So wird man auch im Urlaub einmal gelobt, sogar ohne irgendeine Leistung erbracht zu haben. Vielleicht diesen Satz in die Bio aufnehmen. Es ist doch etwas Besonderes, möchte ich meinen, es ist markant und selten.

„Herr Buddenbohm, was können Sie uns noch über sich sagen?“

„Ich bin einer, den die Frösche mögen.“

Oder später auf dem Grabstein: „Frösche mochten ihn.“ Da haben Friedhofsbesucher dann etwas zum Nachdenken.

***

Und weil alle, besonders alle aus Hamburg, gerade ihre Uwe-Seeler-Geschichten erzählen: Es ist nicht lange her, da habe ich ihn den Söhnen noch gezeigt. Er saß in einem Café bei uns um die Ecke, nachdem er bei einer Beerdigung in der Kirche vor unserer Haustür war, Teil einer größeren Trauergesellschaft. Alle in schwarzen Anzügen, Kleidern und Mänteln, alle in Trauer, deswegen gab es keine fröhlich-begeistert drängenden Fans. Aber etliche Passanten waren doch sehr erfreut ihn zu sehen, winkten ihm wenigstens im Vorbeigehen erfreut zu und er winkte verlässlich zurück, grüßte höflich und um Verbindlichkeit bemüht, ein freundlicher Mann. Ich zeigte ihn den Söhnen und sagte, dass den vermutlich alle kennen in dieser Stadt, diesen alten Mann da, der früher einmal sehr gut Fußball spielen konnte, es ist schon eine Weile her.

„Aha“, sagten sie, und was sollten sie auch sagen. Keiner von ihnen kann sich daran erinnern, habe ich gestern festgestellt.

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Die im Nachhinein seltsame Alltäglichkeit des Nichtkennens

Ich bin zwischendurch genervt von meiner Antriebslosigkeit im Urlaub, vielleicht bin ich auch endlich ein wenig gelangweilt. Was ich gut finden würde, denn das war immerhin der Plan. Ich lese jedenfalls etwas in einem Buch von Rebecca Maria Salentin, Klub Drushba heißt es, darin geht es um ihre Wanderung auf dem Weg zwischen Eisenach und Budapest, das sind immerhin 2.700 Kilometer. So weit will ich gar nicht, ich will nur einmal die große Runde um den Hof gehen, das sind etwa 5 Kilometer, das wäre schon gut. Bescheidenheit und Maß! So wichtig.

Ich lese also nur die ersten Kapitel, bis bei mir Motivation eintritt, und das geschieht dann so prompt und der Bucheinsatz war so dermaßen zielgerichtet, ich sollte vielleicht auf Bibliotherapeut umschulen und fremden Leuten mitfühlend passende Bücher zureichen. Aber das nur am Rande.

Ich gehe, ich gucke. Nicht irgendwie gehen, auch hinsehen. Wie so ein Achtsamkeitsapostel, ich habe ja Zeit. Es sind Vögel in der Luft, die kann ich streberhaft alle sofort benennen: Rauchschwalbe, Lerche, Buchfink und Reiher. Ein landender Storch einen Acker weiter, gemächlich segelt er herab. Eine Stockente, die im Graben hektisch paddelnd einen verletzten Flügel vortäuscht und mich so vermutlich vom Nest weglocken will. Wie im Tierfilm, ich gehe durch eine Doku.

Der Wind hat deutlich nachgelassen, aber das Schilf bewegt er doch noch. Ich sehe die Wellen im Schilf, sie sehen aus, als würden die Wellen der Nordsee sich hinter dem Strand entlang der Gräben fortsetzen, bis weit ins Landesinnere hinein, wer weiß bis wohin.

Auch die Pflanzen benennen, genauer hinsehen. Über Ampfer gehen, an der Schafgarbe vorbei, am blühenden Klee. Dort die Wicken, dort die Winden. Geknickter Mohn und aufrechte Ackerkratzdisteln, schmetterlingsumflattert. Lilafarbene Weidenröschen, vielleicht ist die Farbe auch ein mildes Pink, jedenfalls viel davon. Die Farbe prägt den Weg, farblich abgesetzt mit Kornblumenblau, das hat sich alles geschmackvoll selbst ausgesät. Die Wiesenflockenblume. Das blassere Blau des Borretsch. Wie die Farben sich in Blühstreifen verweben, wie gut das aussieht, die Natur ist einfach unfassbar sicher und routiniert in solchen Fragen.

Benennungszauber. All die Namen wissen und murmeln, das ist auch mal schön. Dich nenne ich Glockenblume, dich nenne ich Stockrose. Es gibt, das habe ich mehrfach gelesen, einen Zusammenhang zwischen diesem Benennenkönnen und der Wahrnehmung, das ist auch gut vorstellbar. Was wir nicht mehr bezeichnen können, das fällt aus unserer Wahrnehmung – und damit auch aus der zugemessenen Wichtigkeit. Das ist dann eben nur noch Straßenbegleitgrün und dergleichen, und es ist uns eher egal.

Bei einigen Bäumen kann ich Benennungen schnell und sicher, bei einigen nicht. Birken kann vermutlich jeder, Kiefern vielleicht auch, Kastanien wohl noch. Aber bei Linden schon: Lieber erst einmal mal auf die Blattform gucken. So eine Linde steht nicht da hinten an der Biegung des Pfades und ich denke dann sofort: „Linde.“ So eine Linde will genauer angesehen werden. Man kann das ändern, man kann sie auch aus der Distanz erkennen, und es ist vielleicht lohnend. Man ist dann vielleicht noch mehr in der Landschaft, wenn man so etwas kann, das mag sein.

In meinem Stadtteil in Hamburg kann ich mittlerweile die meisten Bäume und Sträucher im Vorbeigehen benennen. Es ist eine Art Spiel, ich finde das gut. Pokémon ins richtige Leben geholt, es erscheint ein wildes Lindi.

Neben dem abgelegenen Reetdachhaus Büsche, die kann ich nicht erkennen, obwohl sie sicher auch eine typische Form haben. Weißdorn ist es, ich sehe es dann im Vorbeigehen auf kurze Distanz. Weißdorn ist eigentlich einfach. An einer Wildhecke vorbeigehen und alles zuordnen können, so schwer ist das nicht. Pfaffenhütchen, Holunder, Schlehe. Machbar ist das und man sucht sich doch sowieso immer Projekte.

Die Möwe dort ist nicht nur irgendeine Möwe: Eine Mantelmöwe wird es sein, ein großer Vogel mit enormen Flügeln. Kennen Sie das mit den Möwenflügeln und den Matrosenseelen? Hier in der schönen Version von Tim Fischer. Peer Raben hat das Stück geschrieben.

An einem langen Halm, der die anderen überragt, schon wieder ein Schilfrohrsänger, Wie laut der singt, man kann ihn eigentlich nicht überhören. Ein paar Meter weiter dann noch ein Schilfrohrsänger, und das geht so weiter. Die Böschung dieses Grabens ist ein prächtiges Revier. Das wird sicher auch nicht erst seit heute so sein, aber ich komme seit zehn Jahren hier her und ich habe noch nie vorher auch nur einen Schilfrohrsänger gesehen, noch nie.

Erst seit ich neulich den einen gesehen und erkannt habe, sehe ich auch die anderen. Es ist so einfach, sie zu sehen. Ich müsste jetzt schon absichtlich an ihnen vorbeisehen, um sie nicht … aber das geht ja gar nicht. Sie sind nun einmal da, und vermutlich waren sie auch all die Jahre vorher da, ich habe sie schlicht nicht beachtet.

Was mich zur Frage führt, wie deckungsgleich eigentlich das so passiv wirkende Unwissen und die so aktiv wirkende Ignoranz sind – und was das alles erklärt. Da auch mal drüber nachdenken.

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Das Wasser war in jenen Zeiten wärmer

In der ersten Schwimmphase damals stieg ich mit den noch kleinen Söhnen gemeinsam in die Planschzone und suhlte mich stundenlang herumrobbend darin herum. Ich blubberte sogar väterlich-walrosshaft lustig in dem körperwarmen Wasser, das vermutlich zu etwa 50% aus Kinderpipi bestand, was mir aber merkwürdigerweise in diesen Jahren nichts ausmachte, und es war alles schön, lustig und warm, sehr warm.

In der zweiten Schwimmphase konnten die Kinder schon verlässlich schwimmen und kamen also weitgehend alleine klar. Sie vergnügten sich ohne permanente elterliche Aufsicht,  sie erreichten Mindestaltermarken und machten absurde Sachen, sie sprangen also von 5ern oder 10ern und benutzten seltsam aussehende Express-Rutschen mit mehrseitigen Warnhinweisen am Rand und dergleichen, aber ich musste nicht mehr neben ihnen sein und nicht mitmachen, ich musste nur ab und zu mal hingucken und ehrlich beeindruckt „Toll!“ rufen und den Daumen hochrecken. Ich konnte mich währenddessen aber auch auf eine Liege legen und zwei Stunden hochkonzentriert lesen. Noch später konnte ich dabei auch so dermaßen tief schlafen wie zuletzt damals, als ich selbst noch Kind war, auf der Rückbank im Auto irgendwo zwischen Hamburg und Köln, und es war alles sehr entspannt, besinnlich und ich wurde gar nicht mehr nass dabei.

In der dritten Phase, ich habe sie gerade erst freudig erreicht, halte ich kurz vor der Schwimmhalle, drücke den Kindern ein wenig Geld in die Hand und komplimentiere sie dann mit den besten Wünschen für zwei, drei vergnügte Stunden aus dem Auto. Dann begebe ich mich mit der Herzdame direkt dorthin, wo es Lounge-Möbel, Latte Macchiato, Eierlikörtorte und Schatten gibt, wo wir ganze Sätze wechseln können, sogar mehrere nacheinander. Es ist alles sehr angenehm, komfortabel und nur leider auch etwas teurer als früher, als ich lediglich den Schwimmbadfamilienpreis und die Pommes bezahlen musste.

Alle drei Phasen haben zweifellos ihren Reiz.

In einer theoretisch möglichen vierten Phase gehe ich vielleicht wieder alleine in eine Schwimmhalle, um dort einfach mal zu schwimmen, wie son Mensch mit Freizeit und Interesse am eigenen Wohlbefinden. Ich lese ab und zu in Blogs, dass andere das so machen und finde das dann kurz interessant und denke: „Okay, später mal.“

***

In einem der Schwimmbäder hier, in dem wir dann doch wieder gemeinsam waren, war, so stand es groß dran, die Temperatur des Wassers abgesenkt worden – die aktuellen Krisen etc., man kennt das, es ist vermutlich bundesweit so, die Gemeinden fangen an zu sparen.

Die Söhne fanden es viel zu kalt, das machte keinen Spaß, früher war alles besser und das Wasser war in jenen Zeiten wärmer, und das war, es sei doch kurz festgehalten, der vermutlich erste und noch sehr harmlose Einschlag von „Die fetten Jahre sind vorbei.“

Der erste von vielen, die wir wohl zu erwarten haben. Ich werde nach Möglichkeit berichten.

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 20.7.2022

Die Kaltmamsell über autobiografisches Erzählen. Das mit dem Leseverbot kenne ich, weil es doch die Augen verdarb, wenn man zu lange las, und was ist Lesen, wenn man nicht zu lange liest. Lustigerweise sagt man heute den Kindern, dass zu viel Bildschirmzeit die Augen verdirbt, was vielleicht darauf hinweist, dass in jeder Generation die Lieblingsmedien der Kinder die Augen verderben, vielleicht verderben aber auch Podcasts auch schon die Ohren, das mag sein. Die Augen verderben, was für ein Ausdruck überhaupt. Im Kühlschrank die Joghurts und im Kind die Augen, sie sind verdorben.

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Das Heizen, die Hitze, das Private ist politisch, auch unsere Suche nach Schatten.

Einigermaßen dreist fand ich neulich diesen, was war er denn, CEO, Aufsichtsrat oder irgendwas, von einem deutschen Konzern, der in der Presse meinte, die Angestellten sollten im Winter doch lieber wieder Home-Office machen (was er vor Wochen vermutlich noch eher doof fand), denn dann könnte die Firma die Temperatur in den Büros absenken und Geld sparen, und die Leute könnten dann doch „zuhause normal heizen.“ Eine bemerkenswerte Formulierung, denn wenn ich normalerweise im Büro bin, heize ich normalerweise zuhause nicht eine leere Wohnung.

Man wird von diesem Thema noch hören, nehme ich an, wenn es so schlimm kommt, wie viele jetzt annehmen.

Ansonsten in Gesprächen mehrfach gehört, wie diese etwas tantenhaft anmutenden Spartipps zu Strom und Gas wiedergekäut werden, die gerade durch die Medien gehen, mit der Schlussfolgerung: Machen wir doch schon alles. Niemand in meinem Umfeld sagt: Okay, ich mache dies und das, dann spare ich mindestens 25%, super. Siehe dazu auch hier. Man beachte das Wort Pulloverpotential, wir lernen ja dazu und tunen den Wortschatz jetzt schon für den kalten, den bitterkalten Herbst und für den Winter unseres Missvergnügens, der es wohl werden wird.

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Hinter dem Gemüsestand verwirbelt ein Ventilator die Luft. Daneben ein Aufsteller für „Erbsensuppe mit Einlage“; eine Frau mir kräftigen Armen rührt in einer Gulaschkanone. Rentner schlurfen über den Platz, am Arm Einkaufsnetze mit Gemüse.“ Aufschreiben, was ist. Sehr schön ist das.

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The end is near.

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