Der Pilz am Nilpferdpo

Man muss auch mal raus, dachten wir, also gingen wir spazieren. Planten un Blomen, der große Park. Immer ist er so überraschend dicht am kleinen Bahnhofsviertel, wenn wir doch einmal hingehen, immer wieder der Gedanke, da könnte man doch eigentlich öfter hingehen. Machen wir dann aber nicht, schon klar. Wenn man schon „eigentlich“ denkt.

Aber jetzt dann doch einmal. Aus Tradition gingen wir zum großen Spielplatz, obwohl die Söhne doch allmählich zu groß dafür sind, zu cool auch, einfach herausgewachsen. Wildes Gewusel am überfüllten Wasserspielplatz, wir stehen davor und denken damals. Da habt ihr früher auch, sage ich zu den Söhnen, und die stehen und erinnern sich. Und da war das und da war dies und guck mal, das gibt es immer noch. Ich habe da auch schon als Kind, sage ich, wann war denn das. In den Siebzigern, da fuhr hier noch diese kleine Bahn. Und da konnte man noch oben im Fernsehturm Kaffee und Kuchen im Drehrestaurant … Da hinten, diese seltsamen Plastikberge mit den Rutschen daran, die sind noch von damals. Glaube ich. Da habe ich auch schon.

Es ist dermaßen voll, es ist ein quirliges Kindergedränge. Wir holen uns Eis und suchen uns einen ruhigeren Platz am Rand, wir setzen uns zu viert auf eine Bank hinter einer hölzernen Nilpferdskulptur. Die reißt das Maul auf, die Skulptur, und sie ist so groß, dass Kinder bis etwa drei Jahre sich in diesem weit offenen Maul bequem zusammenrollen können. Zwischendurch geht ein Schauer nieder, ein harmloser Sommerregen nur, bei dem man sich kaum unterstellen muss, aber ein kleines Mädchen krabbelt ins Nilpferdmaul und strahlt uns von da aus an: „Trocken!“ Selige Verzückung im Gesicht, man möchte sich auch gleich da zusammenrollen und sich in Sicherheit fühlen. Aber man passt ja nicht mehr.

Am anderen Ende des Nilpferds wächst dem ein Pilz am Po. Ziemlich groß ist der, so ein bräunlichweißer Holzpilz, der da herauswölkt und seltsam überzeugend aussieht, als würde er in diesem Moment frisch gekackt werden. Schaumige Nilpferdkacke klebt da als Batzen am Spieltier, gleich wird sie herunterfallen, also denkt man so, aber das tut sie nicht. Der Pilz hält vielmehr und wächst vermutlich langsam weiter, er nährt sich immerhin von Nilpferd, das hält eine Weile vor.

Vorbeibummelnde Kinder und Eltern bleiben gebannt vor diesem auffälligen Pilz stehen. Erstaunen, Ekel, Skepsis. Wilde Heiterkeit, nachdenkliches Kopfschütteln, angewiderte Blicke, es ist alles dabei und die Menschheit zerfällt auch hier grundsätzlich in zwei Teile: Die einen gehen näher ran, die einen treten zurück. Forschungsauftrag und Sicherheitsabstand, es hat natürlich beides seine Berechtigung, es ist auch beides auf seine Art geschichtlich bewährt und manche Kinder gucken fragend zu den Eltern hoch, was denn hier wohl richtig sei?

Aber nicht alle Kinder gucken zu den Eltern. Einige gehen auch einfach so energisch ran, da ist etwas Neues, das muss erkundet werden, was soll man da groß fragen. Das muss betrachtet werden, angefasst und zerdrückt, wie fühlt sich das an, wie riecht das, wie sieht es innen aus, hallo, wir sind Kinder, wir müssen das wissen. Und ein kleiner Junge hat wohl auch ein leises „Iss mich!“ gehört und ein kleines Stück Pilz abgebrochen und den Happen fast schon auf der Zunge, aber da saust die Hand der Mutter in letzter Sekunde schnell wie ein Fallbeil herab und schiebt sich rettend zwischen Mund und Pilz.

Eine Mutter erklärt ihrer Tochter, dass der Pilz da ein Lebewesen sei, der dürfe dort sein und den müsse man nicht stören und schon gar nicht zerstören. Zweifelnde Blicke des Nachwuchses, ein Lebewesen, ja nee, ist klar, Mama.

Wir sitzen und essen Eis. In der Hecke hinter uns rascheln die Ratten turnend durchs Gezweig, sie sind nicht eben schüchtern. Sie gucken aus dem Laub, sie laufen über den Rasen zu den Picknickplätzen und dann gleich wieder zurück ins schützende Grün. Sie turnen auch in die Mülleimer, und wie geschickt sie das machen, noch nie haben wir das so genau und so lange beobachten können. Was für Sportler sind diese Tierchen, wie hoch sie springen können, ich hatte keine Ahnung. Und hübsch sehen sie aus, überraschend in Richtung waldbodenbraun, nicht großstadtbetongrau. Possierlich, das trifft es. Sie gucken zu uns, wir gucken zu ihnen, lange Blicke. Beide Parteien wägen ab, wie schlimm sie sich wohl gegenseitig finden sollen. Ein Sohn bewegt sich, da zuckt die Ratte vor uns zusammen. Eine Ratte läuft ungebremst genau auf unsere Bank zu, da zuckt ein Sohn zusammen.

Wir essen unser Eis, wir sitzen ganz still, wir beobachten Tiere. Ausdauernd und konzentriert ein Gebüsch ansehen, bis sich dort etwas bewegt. Wie son Tierfilmer! Ich unterlege alles im Kopf mit der Grzimek-Stimme und berichte mir selbst, was ich sehe, „die Ratte kommt aus der Deckung, wittert etwas und nähert sich vorsichtig dem ausgelegten Brötchenrest.“ 12 Tauben, 6 Ratten, 4 Kinder und 1 Pilz auf diesem Teil des Platzes. Das sind so die Verhältnisse, also mathematisch gemeint. Die Erwachsenen holen, wenn sie die Ratten bemerken, alle sofort ihr Handy heraus, pics or it didn’t happen, es ist längst ein gesamtgesellschaftlicher Reflex geworden. Ich mache kein Pic, ich schreibe das auf, ich bin aus der Steinzeit.

Dann wird der Regen doch mehr, die Menschen stellen sich unter Bäume. In unserer Nähe ein kleines Mädchen, das hat eine gelbe Regenjacke an und hält einen gelben Kinderschirm über sich. Es steht außerdem mit seinen Eltern unter einem gut geeigneten Baum, es bekommt ziemlich sicher keinen einzigen Tropfen ab, und es weint und weint. Der Vater sagt: „Du wirst doch gar nicht nass. Du wirst hier ü-ber-haupt nicht nass!“ Das Mädchen sieht ihn an, stampft mit einem Gummistiefel auf und sagt: „Aber ich wollte doch keinen Regen!“ So geht es nämlich zu auf dieser Welt, mit dem nicht wunschgemäßen Programmverlauf. Es dauert Jahre, bis man deswegen nicht mehr heult, und manche, das wissen wir, lernen es nie.

Das war jedenfalls ein überraschend interessanter Nachmittag, fanden wir alle. Es ist doch gut, wenn man mal rausgeht. Park und Natur und so. Voll schön eigentlich. Das mal öfter machen!

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

Irgendwie nicht meins

Weil immer etwas ist, stimmt die seelische Verortung gerade nicht. Nachdem ich es endlich geschafft habe, zeitlich wieder sortiert zu sein und ich leidlich damit zufrieden bin, dass es der 7. August im Jahr 2021 ist, nachdem auch die Jahreszeit passt und sogar die Uhrzeit ganz gut hinkommt, was immerhin über ein Jahr lang nicht mehr Fall gewesen ist und sich durchgehend äußerst befremdlich angefühlt hat, nachdem also all das wieder gerichtet ist, bin ich irgendwie nicht da. Oder ich bin schon da, aber nicht ganz.

Wie erklärt man das.

Ich habe ja den Verdacht, dass es eine Spätfolge der langen Zeit ist, in der ich alles bestenfalls halb machen konnte, also im Endeffekt oft gar nicht. Halb Home-Office, halb Home-School, das ergab oft keine 50% auf beiden Seiten. Das ergab oft viel weniger und wo dann eigentlich der Rest war – es war eine verdammt anstrengende Zeit, Sie erinnern sich. Und wie ich neulich schon schrieb, es war ein Satz, mit dem sich wohl viele solidarisieren konnten, ich bin bei weitem nicht erholt genug für diesen Herbst, ich gehe kräftemäßig nach.

Und jetzt ist es mittlerweile so, dass formal zwar wieder eine Form von Alltag läuft, die mir halbwegs bekannt vorkommt. Die Kinder gehen also zur Schule, ich kann ins Büro gehen oder Home-Office machen, ganz wie es mir beliebt. Es findet auch wieder Sport für die Söhne statt, es gibt hier und da wieder gewöhnliche Regelmäßigkeiten und Termine, doch, es ist alles halbwegs normal. Zugegeben.

Aber ich gehe jeden Abend ins Bett und denke: „Wie jetzt, das war der Tag? Echt jetzt?“ Und mir ist irgendwie so, als wäre ich nicht dabei gewesen. Mitgemacht habe ich schon bei allem, das weiß ich, auch durchaus bemüht mitgemacht, aber es war alles … irgendwie nicht meins. Ich komme nicht recht zum Schreiben, ich komme nicht genug zum Lesen, ich komme nicht zu mir und ich komme auch mit viel und intensivem Nachdenken nicht darauf, wie mir das denn bloß früher alles gelungen ist. Ich stehe neben mir und müsste mal einen Schritt auf mich zugehen.

In den Medien gab es in den letzten Wochen etliche Berichte über Kinder und Erwachsene, die das routinierte soziale Verhalten während der Pandemie teilweise verlernt haben.

Ich glaube eher, ich habe einfach den ganzen Alltag verlernt.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

 

Links am Morgen

Ich habe hier für das Goethe-Institut etwas über einen Freizeitpark geschrieben. 

***

In der neuen Reihe “Ich koche nicht für Kinder” gab es gestern im Home-Office für die Herzdame und mich: Flammkuchen mit Spinat und Feta. Sehr gute Sache wiederum, in etwa so, aber wer braucht da ein Rezept. Für die Kinder gab es noch einmal: “Ihr könnt euch ja ein Brot machen.” Ich kann diese neue Reihe übrigens gerne erklären, in etwa so: Ich habe zuerst home-schoolbedingt so dermaßen oft für die Söhne hauptsächlich das gekocht, was denen schmeckt, dass ich all diese eher simplen Mahlzeiten nicht mehr sehen kann. Also nicht mehr sehen kann im Sinne von: Bei der nächsten Erwähnung von Backfisch mit Kartoffeln laufe ich schreiend weg. Nichts gegen einfache Küche, gar nichts, aber bitte jetzt erst einmal nur noch solche, die mir schmeckt. Ausdrücklich mir, dem Koch. Die Küche als Me-Time, ich sage es ja, man muss es sich alles zurechtbiegen. Nach der Home-School-Phase kam dann der Hochsommer. In dem ist die Küche hier und auch die in der Laube regelmäßig so dermaßen heiß, dass ich schon den Gedanken ans Kochen vollkommen absurd finde und mich tendenziell verweigere, von Melonen und Wasser lebe und alles vergesse, was mit Rezepten zu tun hat. Aber sobald da draußen die allerersten Herbstanzeichen mit viel Fantasie zu erkennen sind, bekomme ich wieder Lust. Lust auf Essen, Kochen, Einkaufen, Zubereiten. Und ich gehe also hungrig ins Internet, grase Foodblogs und Rezeptseiten aller Couleur ab und speichere gierig Rezepte, bis ich mehr Links auf der Liste habe, als Herbst und Winter Tage und Gelegenheiten für Mahlzeiten haben. Dann gucke ich mir die Sammlung an und erfreue mich meines Reichtums an Möglichkeiten. Manchmal ist man doch eher simpel gestrickt.

So läuft das hier, ich kenne das schon, und deswegen also verlinke ich in der nächsten Zeit, wenn es nicht doch wieder zu heiß wird, öfter einmal ein getestetes Rezept. 

***

Ich greife einen Kommentar zu den letzten Links auf, er bezog sich auf das dort von mir gelobte Buch von Elizabeth Strout und erwähnte die Verfilmung “Olive Kitteridge”, eine Miniserie. Hier eine Szene daraus, ich bin instant-verliebt. Muss ich sehen. Was für eine Szene, das wird ein Fest. Bill Murray spielt eine Nebenrolle, auch wenn es hier nach Hauptrolle aussieht.


***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

Links am Morgen

Monatsnotiz Juli. Finde ich gut, das Format. Nicht für mich, abe für andere. Lese ich gerne, so etwas.

***

Ein Interview (Audio) mit Mojib Latif zur Klimakrise. Gerne gehört, und zwar auf dem Weg ins Büro, so hatte dann auch der einen Sinn. Man muss es sich eben alles zurechtbiegen. Das Interview ist aus dem letzten Jahr, seltsamerweise ist alles noch gültig. Wer hätte es gedacht! 

***

Apropos Klima, das hier. Nicht gut. Gar nicht gut. Macht aber wieder alles nichts.

***

Ebenfalls gehört: Wie wir uns an Musik erinnern

***

Ich lese gerade dieses Buch von Elizabeth Strout und die Rezension gibt nachvollziehbar wieder, was man daran gut finden kann. Olive Kitteridge, eine so hervorragende Hauptfigur. Mit dermaßen nachvollziehbaren Fehlern, man möchte sie dauernd klammheimlich highfiven, oder wie man das sagt. 

***

Dieses hier haben die Herzdame und ich heute gegessen, das fand ich gut. Bestes und schnellstes Zeug fürs Home-Office, jedenfalls wenn keine Kinder dabei sind, die angeekelt gucken können. Auch dafür ist so ein Schulanfang also gut. Man muss es sich alles zurecht … pardon das hatte ich schon. Aber wenn es doch stimmt. 

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

 

Eine Dankespostkarte

Rückseite

Ich habe zu danken für die freundliche Zusendung eines weiteren Adaptersteckers, mit dem man ein Smartphone gleichzeitig laden und über das Gerät dabei etwas hören kann, ohne so etwas kann man ja praktisch nicht leben. Außerdem gab es so ein tierfreundliches Insektenfanggerät für die Laube im Garten, mit dem man etwa Spinnen von der Wand pflücken kann, ohne sie dabei zu zerdengeln, wirklich nett. Allerdings hat die Herzdame das Gerät mit einer so gefangenen Spinne kurz auf dem Tisch abgelegt, weil wir gerade so innig ins Gespräch vertieft waren und da hat die Spinne, lesen Sie nicht weiter, wenn Sie zu Ängsten neigen, die Klappe vorne am Gerät einfach aufgeschoben und spazierte dann entspannt über den Tisch, an dem wir saßen. Es hat uns etwas überrascht, wenn ich unser entsetztes Aufspringen mal dezent umschreiben darf. Wozu ich aber ergänzen muss, dass es auch eine recht stämmige Spinne war, andere Exemplare können solche Kunststücke sicher nicht. Was noch?

Ein schönes Exemplar von „Wir töten Stella“ (Marlen Haushofer) aus Privatbestand, ich bin sehr begeistert und erfreut. Demnächst lesen! An den langen Spätsommerabenden! Ferner gab es noch Tintenpatronen in Karamellbraun, die kamen aus dem Ausland und waren Ewigkeiten unterwegs. Ich habe eine gewisse Besitzgier bei Schreibwaren, ich erwähnte es bereits hier und da, entsprechend bin ich entzückt von der Lieferung.

Dank an alle!

Vorderseite

Ein Bild von heute, von gerade eben. Wieder eines, bei dem man mir mit dem Klischeevorwurf kommen könnte, wieder eines, bei dem ich dann ebenso kalt wie routiniert: „So isse halt, die Wirklichkeit“ kontere. Denn so geht es nun einmal hier zu, so sieht es hier aus, auf meinem Arbeitsweg. Ich war heute tatsächlich einmal im Büro, leibhaftig vor Ort.

Auf dem Rückweg sehe ich Folgendes, es ist ganz leicht vorstellbar: Eine Polizistin lehnt an einem Laternenpfeiler auf dem Gehweg und spricht mit jemandem, den man in diesem Kontext dann reflexmäßig Bürger nennt, also einfach mit irgendeinem. Sie hat dabei ein Klemmbrett unter dem Arm, dessen Zweck sich uns nicht erschließen wird, aber ein Klemmbrett ist immer gut, es wirkt sehr offiziell und Sie sehen jetzt auch, was sie mit ihren Armen und Händen tut, nämlich das Klemmbrett halten. Sie sieht freundlich aus, diese Polizistin, sie lächelt, sie spricht, und der Bürger macht das auch, dann nicken sie beide. Wir werden nicht erfahren, worum es in dem Gespräch geht, aber es ist zweifellos eine 1A-Bilderbuchinteraktion aus der Polizeiwerbebroschüre für den Orientierung suchenden Nachwuchs, genau so muss der Alltag im Amt nämlich sein. Der freundliche Austausch mit der zu beschützenden Bevölkerung, so stellt man sich das doch vor. Bürgernah ist sie in der Tat in diesem Moment, die Dame, bürgernah und zugewandt und freundlich und ansprechbar. Nicht einmal Zeitdruck hat sie, es wirkt alles ungemein entspannt und gelassen.

Haben Sie das so, sehen Sie das? Dann blende ich jetzt ein Detail ein, welches die Polizistin blickwinkelbedingt nicht sehen kann, wir aber schon, wir zoomen jetzt darauf zu. Es handelt sich um einen Schriftzug auf dem Laternenpfahl. Ein dicker Edding oder etwas in der Art wurde da verwendet, etwa in Kopfhöhe der Beamtin wurde etwas geschrieben: „Scheiß Polizei“ steht da.

Die Polizistin und der Bürger lachen jetzt gleichzeitig. Ein guter Moment ist das. Ein friedliches Postkartenbild.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

 

 

Wrap up

Ich weiß noch, dass ich im Jahr 2015 so einen Moment hatte, ich habe sicher auch darüber etwas geschrieben, da waren die Nachrichtenlage und mein Alltag seltsam weit voneinander entfernt. In den Medien passierte damals etwas, in den sozialen Medien erst recht, es war eine hochkochende Stimmung, eine eindeutige Eskalation, und wenn ich vor die Tür ging, dann war da nichts. Oder ich sah einfach nichts, das trifft es sicher besser. Ich sah Alltag, business as usual, Friede auf Erden. Das fühlte sich befremdlich an und passte nicht zusammen.

Sechs Jahre später ist das Gegenteil der Fall, Nachrichten und Alltag sind seltsam synchron. Schon wegen Corona, versteht sich, denn die Pandemie findet in den Nachrichten und auch hier statt. Genau hier, schon im Treppenhaus trägt die Nachbarin von unten Maske, das ist nur zehn Meter weiter, da geht es schon los. Ich war gerade bei der Bücherei, das ist ein kurzer Weg, einmal am Hauptbahnhof vorbei, ein kleiner Gang durchs Revier nur. Ich sammele mal eben die Themen ein, die ich da gesehen habe. Zwanzig Minuten Weg vielleicht, nein, nicht einmal.

Gleich vor der Haustür ist eine kleine Senke im versiegelten Boden, teils wegen der Ratten, die da unterirdisch irgendetwas treiben und einfach nicht wegzubekommen sind (gute Wohnlage, by the way), teils weil man das irgendwann so gebaut hat. Nichts Besonders, ein kleines Gefälle nur zu einer Mitte hin, ein kleiner Platz zwischen Häusern und Wegen. Neulich hat der Senat eine Karte veröffentlicht, eine erstaunlich detaillierte Karte, auf der man online einsehen konnte, welche Ecken der Stadt bei Starkregen absaufen. Vor unserer Haustür war da ein kleiner See eingezeichnet, dunkelblau, das war diese Senke. Unser Keller wäre dann geflutet, nehmen wir an. Obwohl wir auf einem Hügel wohnen, man sieht von hier hinunter zur Alster. In Sicherheit ist ein Teil unserer Habe also nicht. Wie wahrscheinlich ist der Starkregen? Müssen wir jetzt Sachen im Keller neu sortieren und bewerten? Alles Gute nach oben schichten, machen wir das?

An der Kirche vorbei, wo nach wie vor einmal in der Woche Essen an Bedürftige ausgeben wird. Die Schlange der Wartenden wurde während Corona immer länger und länger, einmal reichte sie fast um die Kirche herum. Lauter Menschen, die auf solche Ausgabestellen angewiesen sind. Viele aus Osteuropa darunter, von da aus könnte man zwanglos zu Migration, Integration und auch zu Alkoholismus kommen, man sieht diese Themen, sie sind da. Aber auch Hartz IV, Altersarmut etc., die ganze Soziologie und all die Gruppen, die im Wahlkampf eher überhaupt keine Rolle spielen.

Da kommen die Restaurants, die Kneipen, da sitzen sie wieder eng an eng und, ich sagte es neulich bereits, ich kann das Wort Konzept nicht mehr hören. Ja, die haben alle ein Konzept, die Läden, und ja, das Wort Konzept ist ehrlich betrachtet reine Wortmagie, siehe auch an den Schulen. Hier und da ein halbhohes Plexiglasscheibchen zwischen den Tischen, im Grunde ist es alles eine Beleidigung der Intelligenz. Ich saß da auch schon, so ist es nicht, ich bin nicht klüger und ich greife niemanden an. Ich schreibe nur auf.

Da vorne hat man einen Beachclub gebaut. Ma hat feinen Sand auf einem Platz aufgeschüttet, man hat einen Cocktailstand hingestellt. Um den Impro-Beachclub hängen ein paar Bastmatten an Baustellenzäunen. Vielleicht soll es mit den Matten von innen besser aussehen, vielleicht soll man aber auch nicht reinsehen. Auf Facebook fragen sich Schwule, denn dieser Beachclub ist schwul organisiert, wenn ich es richtig verstanden habe, ob die nicht vielleicht diskriminierend sind, diese Bastmatten. Soll man Schwule nicht sehen? Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie die Matten gemeint sind, ich gebe auch das hier nur wieder, es geht um die bunte Gesellschaft. Bunt genug oder nicht.

Gleichzeitig beschweren sich Menschen, die auf Rollstühle angewiesen sind, dass sie diesen Beachclub, der doch für alle sein soll, nicht besuchen können, denn sie kommen mit den Rädern nicht durch den Sand, wie man sich leicht vorstellen kann. Wilde Diskussion über Inklusion, wer soll was wo können und wie geht eigentlich Rücksicht, wer muss die auf wen nehmen und warum. Auch da geht es auf den Facebookseiten des Stadtteils hoch her, immer ist dort alles nur einen Halbsatz von der Aggression entfernt, und dann aber gib ihm. Oder ihr.

Auf der Straße vor dem Hauptbahnhof liegen wieder E-Scooter im Weg. Also quer zum Weg. Eine Frau mit Kinderwagen fährt ungerührt darauf zu und schiebt sie mit dem Wagen und mit Schwung aus dem Weg, es gibt unerfreuliche Geräusche und den Rollern tut das sicher nicht gut. Der Kampf um Platz und Sieg im Verkehr findet hier in einer solchen Offenheit statt, dass es immer übertrieben klingt, wenn man einfach nur das notiert, was ist.

Auf einer Brücke hält ein Polizeiwagen, ein Blinkeschild auf dem Dach: Unfall. Zwei Polizisten nehmen Daten auf, eine Autofahrerin steht in der offenen Fahrertür ihres lädierten Fahrzeugs und erzählt. Das ist in etwa die Stelle, an der die Herzdame in unserem Auto neulich von hinten gerammt wurde, der andere Fahrer fuhr dann ungerührt weiter und auf und davon.

Am Wegesrand Wahlplakate, ich soll jemanden wählen, weil er so schön grinst. Von wegen.

Kurzer Blick nach rechts, zur Innenstadt, da stehen die endgültig geschlossenen großen Kaufhäuser, auch für die sucht man jetzt, wie heißt das, ein Konzept, natürlich. Mit einem Konzept wird alles gut. Ja, mach nur ein Konzept! Sei nur ein großes Licht! Erst einmal stehen die Häuser aber weiter als Mahnmal für sterbende Innenstädte herum.

Über die Ampel. Da hinten ist die Methadonausgabestelle. Davor ist Zone 30, man sagt, dass die da auch deswegen ist, weil die Kundinnen und Kunden dieser Ausgabestelle den Verkehr oft schlicht nicht wahrnehmen, nicht dann, wenn sie dringend etwas brauchen, nicht dann, wenn sie gerade etwas hatten. Sichtlich sehr kaputte Menschen wanken über die Straße, Autos bremsen abrupt. Diese Ausgabestelle hat seit einiger Zeit deutlich mehr Zulauf, ich weiß nicht, woran das liegt. Vielleicht hat man nur mehrere zusammengelegt, vielleicht steht etwas Größeres dahinter, etwas Krisenhaftes, man müsste informierter sein.

Unter der Brücke ein Gewirr von Bahnschienen, da fährt auch die S-Bahn zu meinem Büro, aber die fährt wieder ohne mich. Ich sitze im Home-Office, wenn ich nicht gerade zur Bücherei gehe.

Das sind hier so die Themen, nicht wahr. Also nur die, die mir im Vorbeigehen auffallen. Gar nicht auszudenken, was alles dazu kommt, wenn man stehen bleibt oder wenn man sogar mit den Leuten spricht, oder wenn man all die Aufkleber und Plakate liest, die Zettel in den Fenstern, wenn man nur aufmerksam genug zuhört, was die Passanten sagen.

Aber auch andere Themen. Vor dem Bahnhof steht ein kleiner Junge und weint und weint, bitterlich weint er, herzzerreißend und jämmerlich, weil eine ältere Frau, die Oma vermutlich, jetzt abreisen will oder muss. Die Eltern stehen dabei und die Erwachsenen sagen mehrmals: „Aber sie kommt doch wieder!“ Woraufhin der Junge aufheult, als hätte man ihm wehgetan, was vermutlich auch stimmt, denn es ist ja nun einmal kein Trost, es gibt auch gar keinen Trost, es gibt nur das vergebliche Bemühen darum und den reinen Schmerz, und das ist ein großes, ein ganz großes Thema.

Und dann. Vor einer Pizzeria sitzen zwei junge Frauen auf Stühlen neben einem Bistrotisch. Eine hat einen großen Koffer dabei, eine hat nichts dergleichen. Sie sitzen sich gegenüber und halten sich an den Händen, beide Hände der einen fassen beide Hände der anderen, dass man denkt, die lassen sich so schnell nicht wieder los, die werden sich vielleicht lange Zeit nicht gehabt haben, so sieht das aus. Ihre Oberkörper sind ein wenig zueinander geneigt. Die eine erzählt, die eine hört zu, und sie guckt dabei so dermaßen freundlich, liebevoll und zugewandt, dass man im Vorbeigehen spontan neidisch werden könnte und bitte auch Händchen halten könnte und erzählen, was könnte man nicht alles erzählen, wenn jemand so zuhört, wenn jemand endlich einmal so zuhört. Jetzt sagt die eine aber nichts mehr und guckt nur noch in diese unglaublich freundlichen Augen und lächelt dann so und dann fassen sich die vier Hände neu und besser und das ist natürlich auch ein großes, ein ganz großes Thema, wie man sich liebevoll genug begegnet.

Ich gehe in die Bücherei, ich suche Bücher aus. Ich gucke heute mal bei Z, das hat überhaupt keinen Grund, das fällt mir nur so ein. Ich gucke mal, was ganz hinten steht. Zweig steht da, Zola steht da. Pia Ziefle steht da auch und da freue ich mich, denn die kenne ich, die mag ich. Die ist aus meiner Timeline, die ist aus meinem Internet. Ich nehme ihr Buch aus dem Regal und freue mich, als hätte ich eine alte Bekannte getroffen, und es ist doch um mich herum recht durchlässig geworden zwischen Offline und Online, denke ich. Das war früher nicht so.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

 

Links am Morgen

Nächsten Sonntag gibt es einen Text von mir am Strand. In zwei Metern Höhe, warum auch nicht.

***

Rauchschwalbenfütterung. By the way, auf meiner Lesewunschliste habe ich noch dieses Buch, das passt hier gerade. Neulich in der Bücherei aus dem Augenwinkel gesehen und nicht mitgenommen, man macht ja manchmal Fehler.

***

Ein Fahrradumbau, ziemlich beeindruckend. Bei uns ist so etwas ein allerdings eher abwegiger Gedanke, ein Fahrrad muss hier unbedingt so aussehen, als es gebraucht, schief zusammengebaut, etwas schadhaft und verkommen. Es wird sonst in den nächsten sechzig Minuten geklaut, wenn man es nicht durchgehend festhält.

***

Mit dem Städtebau ist es wie mit dem Klima: Es gibt Kipppunkte, bei deren Erreichen eine unumkehrbare Entwicklung einsetzt.

Die geschätzte Kaltmamsell fand diesen Artikel auch verlinkenswert und leitete ihn mit diesen Sätzen ein: “Die umweltfreundlichste Kleidung ist die, die man nicht neu kauft. Und das umweltfreundlichste Haus ist das, das nicht neu gebaut wird. Möchte man meinen.  Das ist ein Gedanke, der mich schon seit einer Weile beschäftigt, dieses Nein zu etwas, das im Grunde immer die umweltfreundlichste Aussage ist. Nicht kaufen, nicht machen, nicht dahin fahren. So unpopulär wie nur irgendwas, so extrem naheliegend und simpel. Keine E-Bikes, keine E-Scooter z.B. Einfach nein. Nichts. Fehlt nur die Antwort auf die Frage, was der Mensch sinnvollerweise macht, wenn er nicht konsumiert, denn die meisten wollen ja dauernd etwas machen, warum auch immer, ich muss auch nicht alles verstehen. Und wie jemand anderes dann davon leben soll, dass andere nichts oder deutlich weniger verbrauchen, das müsste ebenfalls noch mal eben beantwortet werden. Da müsste mal jemand darüber nachdenken, der sich damit auskennt. Also ich z.B. nicht.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

Wie lange darf man überhaupt

Ich gehe an den Restaurants und Cafés und Kneipen vorbei, an den Menschentrauben der überbordenden Außengastronomie, die jetzt über Parkplätze, Bordsteine und Gehwege wuchert und überall bis zum letzten Platz besetzt ist. Noch ein Bier, bevor der Regen kommt, bevor die vierte Welle kommt oder irgendwelche Maßnahmen, die Polizei oder die Sperrstunde. Ja, die Polizei. Gestern haben sie hier um die Ecke Läden zugemacht, weil sich niemand mehr an egal was hält.

Ich gehe an den Tischen vorbei. Ich höre im Vorbeigehen ein Wort, ganz deutlich höre ich es aus dem Satzgewimmel heraus: „Corona.“ Ich höre es auch am nächsten Tisch und am übernächsten, „Corona, „Corona“, dann kommt noch ein Tisch, da höre ich „Sex.“ Das klingt nach Rap, finde ich, Corona, Corona, Corona, Sex, man hört doch den Rhythmus, das müsste doch noch weitergehen. Das würde dann vermutlich auch in meine Jazzraphopgroovefunk-Playlist auf Spotify passen.

Mir kommen zwei entgegen, die sagen:

„Bist du Biontech?“

„Ich bin das gute Astra.“

Dann kommt mir ein verwirrter Brabbler entgegen, einer von denen, die den ganzen Tag reden. Seltsam angezogen, das Hemd hängt aus der Hose, stark beschädigte Kleidung. Ein Buch in der Hand, in das er beim Gehen guckt. Ich kann nicht erkennen, was für ein Buch das ist. Er sieht sich über seine Lesebrille hinweg um, er sieht die Tische und all die voll besetzten Plätze und er sagt: „Das ist doch alles nicht realistisch hier.“ Er sagt es mehrfach vor sich hin und dann zu mir, ich nicke. Dann geht er zu den Tischen und sagt es den Leuten, dass das hier nicht realistisch sei, immer wieder sagt er das, mit erhobenem Zeigefinger und auch mit einiger Vehemenz. Die Leute gucken weg oder winken ab.

Es ist bald zehn, einer der Gäste der Außengastronomie sieht auf die Uhr und fragt, wann eigentlich Schluss sei, um zehn oder um elf oder um zwölf oder was: „Wie lange darf man denn überhaupt?“

Das ist der letzte Satz, den ich auf dem Spaziergang höre, und der ist als Ende auch okay.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

 

Nächste Woche

Wenn in der nächsten Woche die Schule in Hamburg wieder losgeht, werden die Schülerinnen und Schüler, in den unweigerlichen Schulmails dann wieder mit SuS abgekürzt, ganztägig mit Maske im Unterricht sitzen. Und sie werden das einigermaßen komisch finden, denn sie sehen ja, etwa hier im kleinen Bahnhofsviertel, wie sich der ganze Stadtteil und zahlreiche Gäste von außerhalb abends in und vor den Kneipen zum Kuscheln trifft, ganz ohne Maske, Abstand und Umstand. Aber die Hygienekonzepte, sagt da irgendwer, und ich lache gerade noch freundlich und winke ab.

Ich will auch gar nichts dazu sagen, ich enthalte mich. Ich bin mir nur sicher, dass die SuS das seltsam finden werden. Wie auch die Tatsache, dass sie jeden Tag in die Schule sollen, wo sie doch jetzt wissen, dass Wechselunterricht in Kleingruppen viel besser und gechillter ist. Wie auch die Tatsache, dass einige von ihnen geimpft sein werden, aber mehr so heimlich, denn eine offizielle Impfkampagne für die Altersgruppe ab 12 gibt es bekanntlich nicht, und die Kinder unter 12 gibt es in der öffentlichen Wahrnehmung sowieso nicht mehr. Ich enthalte mich auch da, ich notiere nur.

Die Eltern werden wieder Zettelchen unterschreiben, dass sie in den Ferien nicht in einem Risikogebiet waren. Die Lehrerinnen und Lehrer, die in den Schulmails dann wieder LuL heißen werden, sammeln diese Zettel ein und, was weiß ich, heften die ab oder so. Auf diesen Zetteln eine Unwahrheitsquote von x%, da darf man einmal raten und den jeweils anderen mehr oder weniger Moral zutrauen.

Und dann, nach ein, zwei Wochen, wird es Fälle geben, wie das Amen in der Kirche wird es die geben, es ist ja Stand heute vollkommen unvermeidlich. X Fälle pro Klasse und Jahrgang wird es geben, man denke sich eine Zahl. Und dann wird eine Klasse nach Hause geschickt, ein Jahrgang, eine Stufe, was weiß ich. Für zehn Tage, für vierzehn Tage, keine Ahnung. Man wird es vermutlich um Gottes willen nicht Home-School nennen, sondern irgendwie anders, damit es nicht so schlimm rüberkommt. Mobile-School oder so.

Ich habe keine Ahnung, was das Richtige wäre. Es ist schön, dass Sie alle eine Meinung zu allem haben, irgendwer von Ihnen wird sicher auch Recht haben, aber ich weiß es nicht. Ich weiß es alles nicht.

Na, wozu sollte ich es auch wissen. Bestimmt gibt es Pläne für alles. Da fällt mir gerade ein Text von mir wieder ein, ich glaube, der stimmt noch. Ich fürchte, der stimmt noch.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

Fortgeschrittener Fatalismus

Nur kurz, mir fehlt schon wieder die Zeit. Aber ein paar Zeilen gehen doch, ein paar Zeilen gehen ja immer. Ich fand wieder Bestätigung für meine vermutlich nicht mehrheitsfähige Theorie, dass fortgeschrittener Fatalismus zu besseren Ergebnissen in der echten Welt und auch zu belastbarer Resilienz führt. Erwarte das Schlimmste, dann kommt es besser, es ist im Grunde doch verlockend einfach und wahr. Wenn ich das nämlich einmal kurz nicht beachte, wie gestern etwa, wenn ich also unbedacht, in ungewöhnlich entspannter Haltung und versehentlich sogar fröhlich pfeifend zum Briefkasten gehe, dann ist da eine unerwartete Mieterhöhung drin. Und was für eine! So eine, bei der man im Kopf kurz etwas mal zwölf überschlägt und dann „Alter Schwede“ sagt. Oder etwas in der Art. Eine wesentlich vulgärere Formulierung wäre nicht abwegig gewesen, to say the least.

Okay. Das war eine Art Anfängerfehler. Es war ein Rückfall, ich weiß es doch eigentlich besser, und lange schon weiß ich es. Rechtlich geht das Ansinnen des Vermieters vermutlich glatt durch, soweit ich es verstehe. Aber ich habe, wie soll ich sagen, solche furchtbaren Systemschmerzen in allen Marktsituationen, in denen jemand die Leistung verschlechtern und gleichzeitig die Preise erhöhen kann, es geht mir so dermaßen gegen den Strich. Beim Wohnungsmarkt in Großstädten ist das bekanntlich so, niemand muss da mehr irgendeinen Service bieten, modernisieren, warten, pflegen oder irgendwas, das ist alles komplett egal. Mieterinnen gibt es eh, und wie es die gibt. Schlange stehen die und jeden Preis zahlen sie. Weswegen man seit einigen Jahren auch Wohnungen ohne irgendwas vermieten kann, wir haben solche besichtigt. Ohne Fußboden, ohne Küche, ohne Türen zu den Zimmern – kann sich ja jeder selbst einbauen! Also wenn er da unbedingt wohnen will. Es ärgert mich erheblich. Es ist ein Ärger, der allerdings zu nichts führt, denn ich ziehe hier dennoch noch nicht weg. Wegziehen würde ja nur Spaß machen, wenn man wüsste, also diese Bude, die werden die jetzt nie mehr los, das haben sie jetzt davon. Das wird ihnen noch leidtun! Nur das wäre doch ein feiner Abgang.

Egal. Am Nachmittag gehe ich in die Bücherei. Ich gebe Bücher ab, das geschieht hier mittels eines Automaten, in den man die Romane etc. schiebt. Eine große Sortieranlage verdaut die Werke dann, wobei man durch eine Scheibe zusehen kann. Kinder stehen da manchmal lange und sehen Büchern zu, die auf Schienen herumfahren. Eltern stehen daneben und sehen auf die Uhr. Die Frau neben mir am Automaten legt sich einen Bücherstapel zurecht, den sie abgeben will. Und dann blättert sie die alle, es sind sicher über zehn Bände, sorgsam durch, geradezu aufreizend langsam macht sie das. Und sie guckt tantenhaft genau, ob da nicht noch etwas drin ist. Ein Lesezeichen oder so, was weiß ich. Was in Büchern eben stecken kann.

Ach guck, denke ich, denn ich bin eher schlecht gelaunt durch die Post am Vormittag, das ist doch wieder so eine dämliche Alltagsbelehrung, vorgeführt durch besonders bedachte Mitmenschen, das kann ich ja ab. Seht her, so geht es richtig, liebe Kinder, man muss immer alles durchsehen! Ich sehe natürlich nie alles durch. Ich bin viel zu hektisch für so etwas, zu ungeduldig. Ich habe keine Zeit und keine Muße für so etwas, und es hat auch viel zu geringe Erfolgsaussichten. Was soll man denn da schon finden? Lesezeichen, das sind bei mir alte Einkaufszettel, was soll ich damit, das lohnt sich doch alles nicht. Ich ziehe aber immerhin kurz in Erwägung, etwas über diese Situation zu schreiben, das dann doch, siehe hier, bitte sehr, bitte gleich. Ich nehme zu diesem Zweck also eines meiner Bücher, ich blättere es durch. Quasi method writing, immer alles nachmachen. Und was ist da drin? Ein Zehneuroschein.

Also gut. Wir haben da einerseits diese gewaltige Mieterhöhung. Aber wenn ich andererseits ab jetzt immer alle Bücher ganz sorgsam durchsehe …. Nein, es kommt wohl nicht hin. Schade.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!