Da mal drüber nachdenken

Ein Sohn hat eine Frage in der Homeschool. Ich kann sie sofort und aus dem Stand beantworten, wie so ein gebildeter Mensch. Das ist immer schön, das ist ein erhebendes Gefühl. Also zumindest kurz. Ich frage, ob er vielleicht eine Eselsbrücke braucht, um sich die Antwort künftig besser merken zu können. Ich bin nämlich sehr gut darin, Eselsbrücken zu finden, es ist wirklich eine Spezialbegabung von mir. Der Sohn sieht mich an, wie Mr. Spock drollige Lebensformen mit viel Körperbehaarung auf abgelegenen Planeten angesehen hat und sagt: „Papa. Man kann sich Sachen auch einfach so merken.“

Ich gehe leise und rückwärts aus dem Kinderzimmer. Ich setze mich wieder an meinen Computer und gebe das Passwort ein, das ich mir nur merken kann, weil … ach, lassen wir das.

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Wie lange ich schon keinen Rollkoffer mehr gehört habe – das immerhin ist doch schön an der Pandemie. Niemand rollkoffert mehr morgens um 5 an unseren Fenstern vorbei zum Bahnhof und weckt dabei die ganze Straße. Und ich höre auch keine betrunkenen Fußballfans mehr, die nachts die Straße entlang grölen und sich brüllend immer wieder versichern, wie toll sie sind, um sich schließlich an Laternen zu übergeben. Oh ja, wir wollen Vorteile sammeln, Pandemiegewinne. Was noch? Ja, was noch. Da mal drüber nachdenken. Irgendwann.

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Wenn ich aus dem Küchenfenster sehe, befindet sich ganz am Ende des Blickfeldes eine Kneipe. Die ist selbstverständlich geschlossen, da ist kein Licht an. Über der Kneipe sind mehrere Büros, Kanzleien und Agenturen und dergleichen. In denen ist auch niemand. Da ist alles dunkel, das ganze Haus ist nicht beleuchtet. Es ist 19:14, es ist eine Winternacht. Ich sehe die Kneipe also gar nicht. Ich sehe sie doch. Ich sehe sie, weil ich weiß, dass sie da ist. Das Stück Dunkelheit da. Das muss sie sein.

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Rummeroma

Auf einem Zettel in einem Schaufenster, es geht in dem Text um Impfungen, glaube ich, steht: „Nie wieder 2020!“ Das geht zwar auch als Satire durch, ist aber ansonsten eine Forderung, die ich ausdrücklich unterstützen möchte. Und das Gute ist ja, nach meinem kalendarischen Wissen geht das formal auch klar. Es sei denn, jemand drückt einen ziemlich fundamentalen Reset-Knopf. Inhaltlich aber – zu retten, ach, zu spät, es ist alles noch einmal da. Manchmal kommen sie wieder.

Auf einer Kalender-App auf dem Handy poppen mit lustigem Ping die Sporttermine der Söhne auf. Die wische ich weg, zack, erledigt. Da, noch zwei weitere Familientermine, die wegen der aktuellen Situation ebenfalls nicht stattfinden können: weg damit. Die App befindet, dass es total super sei, was ich alles erledige. Der Bildschirm zeigt mir ein Krönchen, ich bin der King der To-Dos. Ja, denke ich, wer kann, der kann!

Ich mache das Radio an, Corona-Zahlen. Ich mache Twitter auf, Corona-Zahlen.

Ich mache Home-School. Ein Sohn ist hier mathematisch auf eine seltsame Art begabt und rechnet mir etwas vor, das ich vollkommen absurd finde. Es ist irrsinnig kompliziert, aber er findet es einfach, er sieht das so vor sich. Ich wünschte, ich würde es auch vor ihm sehen. Ich sage, das geht doch auch einfacher, und zwar so, guck mal. Ich zeige ihm das. Er sieht mich an, er zweifelt, und nicht zum ersten Mal. Er weiß es besser, und er hat Recht. Kein Tag ohne Demütigung, und sei es im Matheunterricht am Küchentisch.

Ich gehe einkaufen. Unterwegs entgleitet mir auf einmal die Contenance, ich brauche sofort Stützschokolade, dringend, jetzt. Ich kaufe Rumtraubenuss, das hilft in solchen Fällen am besten. Ich atme die Tafel ein. Es ist der Rumgeschmack, glaube ich. Als ich Kind war (als das Kind Kind war, ja, ja, das werde ich nie mehr los, gottverdammt) buk meine Mutter so gut wie jeden Tag einen ganz einfachen Kuchen, in dem war Rumaroma. Rummeroma, für mein kindliches Verständnis. Kleine Ampullen mit Rumaroma, ich nehme an, die sehen heute noch genauso aus wie damals, aber sie sind mir etwa seit dem zwölften Lebensjahr nie wieder begegnet. Meine Mutter hörte dann auf, diesen Kuchen zu backen, sie mochte ihn eh nicht. Kuchen mit Rummeroma und Sahne, jahrelang gab es den. Lange nicht mehr daran gedacht.

An kalten Wintertagen, die es damals auch im Norden noch gab, haben die erwachsenen Männer manchmal, wenn sie von der Arbeit draußen nach Hause kamen, Grog getrunken. Rum muss, Wasser kann, Zucker darf, oder wie das damals hieß. Dampfende Gläser, in denen man mit Glasstäbchen rührte, es klingelte vergnügt. Braun, süß und gut.

Ich habe heute so einen Tag, ich weiß auch nicht. Ich möchte mit anderen Bloggerinnen draußen arbeiten, ich möchte draußen hart schreiben. Ich möchte in der Kälte sein und etwas Anstrengendes tun. Dann endlich zum Feierabend reinkommen und sofort Grog serviert bekommen. Heiße Gläser in eiskalten Händen, es muss ein wenig wehtun. Ein Grog, zwei Grog, drei Grog, und die Runde – die große Runde! – wird schnell immer fröhlicher. Lachende Gesichter, die Älteren erinnern sich. Der Raum wird in kurzer Zeit so dermaßen vollaerosolt, man macht sich gar keinen Begriff.

Ich sehe die spärlich bestückte Hausbar in der Wohnung der Gegenwart durch, wie haben keinen Rum im Haus. Schade eigentlich.

Ich denke an damals und es tut kurz weh, obwohl es damals gar nicht schön war. Oder es war vielleicht doch schön, das kann auch sein, aber ich fand es nicht schön. Nicht durchgehend jedenfalls. Guck, der Lütte, was hat er wieder. Elendes Kleinsein, ich habe es gehasst. Aber Rummeroma war schön. Ich habe immer an diesen Ampullen geschnuppert und die Schüssel mit dem rohen Teig aus- und die Rührstäbe vom Mixer abgeleckt. Ich möchte wieder Rumaroma riechen. Hurra, ich regrediere, reduce to the Max.

Los, lass dich ein, es war am Ende doch alles schön. Tu nicht so abgehoben, du bist es nicht. Der Klang der Gläser mit diesen Stäbchen drin, natürlich war das schön. Kaminfeuer dabei, sehr schön, gar keine Frage. Nie wieder einen Kamin gehabt seitdem. Schlimm. Kaminfeuer war sehr schön, jeder einzelne Holzscheit ist wunderschön verbrannt, und wie gerne habe ich das gesehen. Das Nachglühen, das Aufflammen, das Verlöschen. Das war so das Unterhaltungsprogramm am Abend, wir hatten ja nichts. Schon schön! Sogar die braunen Cordsamtsessel im Wohnzimmer waren schön.

Nein, waren sie nicht. Meine Güte. Die Pandemie schlägt einem allmählich doch etwas auf das Seelchen, nicht wahr.

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Links am Morgen

Bevor ich es wieder vergesse, die Kommentarfunktion war hier übrigens zerschossen. Falls Sie sich damit vergeblich abgemüht haben, pardon, das fiel mir erst spät auf. 

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Warum wir so erschöpft sind. Ich bin, das kann ich recht sicher sagen, auch so erschöpft, weil ich in dieser ach so kontaktarmen Zeit nie oder doch viel zu selten alleine sein kann, weil ich seit bald einem Jahr dauernd Gesellschaft habe, zwar die beste und mir natürlich liebste der Welt, aber eben doch Gesellschaft, viel zu viel davon, keine Ruhe, nirgends.  Immer zuständig sein, immer verfügbar sein, immer ansprechbar sein, immer da sein. Immer gerne, aber es zehrt dann doch. Eine meiner verfestigten Erkenntnisse aus der Pandemiezeit also, ich bin wirklich, wirklich gerne alleine: Von Zeit zu Zeit seh ich sie alle nicht so gern. 

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Die aktuelle Pandemie wirkt wie ein Kontrastmittel. Wir beklagen zwar vor allem fehlende digitale Infrastruktur und Kompetenz. Doch tiefer scheint ein anderes Problem zu liegen: Autoritäre Strukturen und Menschenbilder; eine Inkompetenz-Vermutung und ein grosses Misstrauen Schüler:innen und ihre Eltern gegenüber. Da ist diese im Obrigkeitsdenken und im autoritären Menschenbild verwurzelte Überzeugung, dass der Mensch nur funktioniert, wenn er/sie direkt und ununterbrochen kontrolliert wird und vor allem: wenn er und sie sich lückenlos einpasst in das System.

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Meist liegt im Rückspiegel des Lebens ja ein Schleier aus Wehmut über den ungenutzten und verpassten Möglichkeiten der Vergangenheit. Nun zeigt sich, wie falsch das ist. Jetzt ist der Moment, um sich in bester Marie-Kondo-Manier bei all den ungenutzten Möglichkeiten zu bedanken, dass sie für einen da waren. Dass sie einen träumen ließen, was möglich schien.

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Na und?

Ich müsste eine Dankespostkarte schreiben (vielen Dank vorab schon einmal!), ich finde aber kein Bild. Das passiert mir selten, und das ärgert mich. Ich gehe herum. Ich gehe durchs kleine Bahnhofsviertel, ich gehe durch die großen Fußgängerzonen, ich sehe nichts. Ich lese die Aufkleber auf den Laternen durch, die kenne ich alle schon. Alte Sprüche, klebt dem Herrn ein neues Lied. Ich beobachte die wenigen Menschen, die hin- oder hergehen. Die machen nichts, die gehen einfach nur. Einige tragen Einkäufe, einige nicht. Na und?

Es ist nichts zu sehen. Es ist bestimmt etwas zu sehen, ich sehe es nur nicht. Ich bin der Mann im Ausguck, ich halte Ausschau, ich summe Seemannslieder und rufe Content aus. Also wenn ich welchen sehen würde. Ich sehe aber nichts. Da vorne in dem Haus wurde Hans Albers geboren, ich pfeife La Paloma.

Die Stadt ist nicht schön und nicht hässlich, die Stadt ist einfach irgendwie, nichts fällt mir dazu ein, gar nichts. Häuser eben. Blöde Autos. Leere Busse. Na und.

Obdachlose in den Hauseingängen, vor dem einen ein Pappschild mit: „Ich habe Hunger“. Vor einem anderen ein paar Meter weiter ein Pappschild mit: „Ich habe nichts.“ Das ist fast eine Pointe, aber wie bitter ist das denn.

Die Europapassage wirbt mit „Wo, wenn nicht hier?“ Ich gehe durch die Passage, es sind vielleicht fünf Leute darin, generös geschätzt. Die anderen sind alle irgendwo, nur nicht hier.

Vor einem Geschäft am Rathaus stehen Schaufensterpuppen, die haben Winterjacken an. Das ist fast schon aufregend, da ragt Konsum in dem öffentlichen Raum, das gibt es ja heute kaum noch. Hat der Laden etwa irregulär geöffnet? Nein, der hat zu, die haben da auch nur so einen Schalter in die Tür gebaut, da sitzt eine und friert und wartet und guckt auf die Straße. Vier Schaufensterpuppen mit Jacken und wehenden Preisschildern stehen da, die sehen aus wie damals. Man wird so bürokeksmürbe von dieser Zeit, man findet schon Schaufensterpuppen vor Geschäften nostalgisch schön wie alte Jahrmarktbuden.

Die echte Jahrmarktbude der Wahrsagerin vor dem Hauptbahnhof übrigens, die ist immer noch geschlossen. Die war in diesem Jahr noch nicht einmal geöffnet. An der Tür hängt noch die Weihnachtsdeko, leicht zerfetzt schaukelt sie im Wind. Neben der Bude sitzen zwei auf dem Boden, trinken Bier aus Dosen und gucken über den leeren Platz, auf dem sich Tauben und Taxifahrer langweilen.

Ich gehe weiter durch die Straßen. Mir kommt jemand entgegen, den kenne ich, der ist ein Sohn von mir. Groß sieht er aus, wenn ich ihn so unerwartet treffe. Ich frage: „Wo gehst du hin?“ Er sagt: „Ich gehe nur so herum.“

Okay, denke ich. Vielleicht liegt es jetzt in der Familie. Dann gehen wir weiter. Ich da entlang, er dort entlang. Da, wo er hinging, das erfahre ich später von ihm, da war jedenfalls auch nichts.

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Lila, negativ, egal

Sohn I und ich haben die langen Haare satt. So satt haben wir sie, wir suchen nach der Haarschneidemaschine, die hier seit Jahren unbenutzt irgendwo liegen muss, in irgendeinem Schrank ganz hinten. Wir denken uns, es wächst ja wieder, vermutlich sogar in zureichendem Ausmaß bis der Lockdown beendet ist, denn der dauert bekanntlich noch Ewigkeiten. Die Herzdame sagt warnend, sie könne keine Frisuren damit schneiden, sie könne nur kahl. Wir sagen: Okay. Sohn II macht bei unserer Aktion nicht mit, er hat gerade lilagefärbte Haare, die können also nicht geschnitten werden, das wäre Farbverschwendung. Das ist soweit logisch.

Das Machinchen wird schließlich gefunden. Wir stellen uns ins Bad, wir machen das Gerät an, mal sehen, ob es noch geht. Die Maschine macht ein Geräusch wie ein asthmatischer Igel, der stöhnend durch eine Hecke krabbelt. Das klingt nicht gut. Wir überlegen. Wenn die Herzdame damit anfängt, kann es gut sein, dass das Gerät nach ein paar Sekunden den Geist aufgibt, es klingt sehr danach. Sie sagt, ihr erster Kunde hätte dann vielleicht leider einen negativen Iro. Das müssen wir erst einmal durchdenken und diskutieren. Fast ist das schon wieder Physik, wie geht ein negativer Iro? Eine Kerbe in der Mitte der Frisur, das hat sich in der Geschichte der Frisuren nicht recht durchgesetzt. Vielleicht aus guten Gründen nicht? Wir versuchen, uns unsere Köpfe auf diese Art vorzustellen, das ist nicht so einfach. Ich gucke in den Spiegel, der Mann aus den Bergen, sieht mich an. Also zumindest nach den Haaren zu urteilen. Was kommt eigentlich nach dem Mann aus den Bergen – Robinson Crusoe? Will ich so aussehen? Robinson. Der hatte jeden Tag Home-Island, das war auch nicht gut. Anderseits war er viel alleine, das war vielleicht ganz schön. Ich gerate ins Träumen.

Wir vertagen das Frisurenproblem erst einmal Das ist in Ordnung, es wird ja alles vertagt, das ganze Leben wird vertagt. Nichts machen, immer nur weitermachen. Wenn die Haare die Augen erst komplett verdecken, dann sieht die Welt schon wieder ganz anders aus, sage ich aufmunternd zum Sohn. Er guckt mich zweifelnd an.

„Euch sieht sowieso keiner“, sagt die Herzdame, „es ist im Grunde alles egal.“

Und das ist in diesen Zeiten doch ein positiver Schlusssatz, das lasse ich gelten.

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Links am Morgen

16 Mythen und Fehlannahmen

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Sue Reindke hat ein neues Blog und denkt öffentlich. Da kommt was, ruhig mal mitlesen.

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Der Stoff ist tot. Vieles dabei, das ich in letzter Zeit ähnlich angedacht habe.

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Eine Doku über den Boléro von Ravel mit sehr schönen Tanzszenen – ich kannte das nicht getanzt, Banause, der ich bin. 

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Am nächsten Morgen dann

Am nächsten Morgen dann (das Blog geht tendenziell nach, nehmen Sie die Zeitangaben hier bloß nicht wörtlich) ist es auf einmal viel wärmer draußen. Jacke auf, Schal ab, Mütze runter, alles falsch, ganz falsch, Luft, mehr Luft! Pulloverwetter, sich alles vom Leib reißen und anders atmen. Es ist auch heller, und dann ist da noch so ein Geruch. Es weht ein anderer Wind, es singt eine Amsel einen einzelnen Ton, so einen Ton, wissen Sie, der fährt einem jäh ins Herz. Also nicht nur mir Sensibelchen speziell, auch Ihnen im Allgemeinen, sogar den beinhart Verstockten unter Ihnen, ich bin da recht sicher. Es durchbebt uns Wintermenschen seit allen Zeiten, wenn wir so etwas hören. Es fasst uns an.

Ich gucke die Straße runter und wittere. Die aufgehende Sonne streift gerade die Dachrinnen und Giebel, ein ganz schmaler Streifen prachtgoldene Litzen oben an den Häusern. Ein Geruch nach Wetter und Stadt und Wasser und Erde, ein Geruch und Gefühl, als würde sich etwas regen und bewegen, etwas riesenhaft Großes. Aufregend riecht das.

Das alles nur zwei Minuten lang, mehr Zauber gibt es nicht. Dann frischt der Wind kalt auf, dann zieht sich der Himmel wieder zu, dann übertönt das Rumpeln der Müllabfuhr alle Geräusche, dann überdeckt der Käsestand auf dem Markt alle Gerüche. Old Amsterdam heute im Angebot und der Käsemann sagt bei jedem Kunden zu jedem Käse: „Das ist ein richtig guter Käse!“ Ich kaufe richtig guten Käse, wie alle hier.

Aber doch, ne. Es war da so ein besonderer Lichtstrahl, ich habe ihn gesehen.

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Durch umtriebiges Wirken des KGBs (Kleines Geheimes Blognetzwerk) steht hier jetzt die Gesamtausgabe aller Folgen von „Der Doktor und das liebe Vieh“. Es war eine Aktion mit Kurierdiensten, unbeobachteter Übergabe im dunklen Treppenhaus und, ganz wichtig und für die Söhne sehr aufregend, einem durch die Gegensprechanlage gerufenen falschen Namen, hier ist James Herriot. Die große weite Welt. Es war eine richtig gute Aktion, vielen Dank an alle Beteiligten in den diversen Teilen des Landes. KGB niemals unterschätzen, alte Regel.

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Durch weiteres und wundersames Wirken steht hier jetzt auch ein frisch geliefertes Bild von Rasmus Hirthe, Menschen am Strand. Das Bild sah ein Sohn im Wohnzimmer stehen und war dann, das war sehr schön, vermutlich zum ersten Mal im Leben völlig geflasht von Kunst. Also davon, dass das jemand mit der Hand gemacht hat, gemalt hat, in so groß, in so gut, ein richtiges, ein echtes Bild! Kunst! Auf Leinwand auch noch! In einer Wohnung, nicht in einem Museum, wie toll ist das denn. In seiner Wohnung sogar. Wir spielen hier jetzt Wanderausstellung. Das Bild hängt erst einmal kurz in seinem Zimmer, wird dort vermutlich gründlicher gewürdigt als in jeder Galerie und wandert später erst an seinen endgültigen Platz.

Begeisterung immer nach Kräften unterstützen, auch das eine alte Regel. Vielleicht eine der wichtigsten, wenn man Kinder hat. Du interessierst Dich für dies oder das? Hier, sehr viel davon, nimm.

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Guten Morgen

Der Januar nähert sich allmählich dem Ende und in etlichen Wohnungen, in manchen Geschäften, sogar in den großen Einkaufsstraßen hängt noch immer die Dekoration aus dem Dezember, ist also noch Dezember. Tannenbäume in vollem Ornatgeglitzer, die noch immer in Wohnzimmern stehen, ich kann das im Vorbeigehen durch die Fenster sehen. Elektrokerzengefunkel, bunte Kugeln, das ganze Programm. Nicht stille Nacht – stille Nächte, im extended Plural.

Weihnachtsverschleppung. Es geht einfach nicht voran, es hängt und klemmt. Wie die Söhne sagen würden: Alles laggt, die ganze Welt ist buggy und lädt nicht.

Nichts fängt an, nichts wird geplant. Erst einmal alles so lassen, auch den Lockdown. Was nicht geht, einfach trotzdem machen, irgendwie machen. Aber wo es doch gar nicht geht? Hallo? Egal. Aufstehen, irgendwas mehr schlecht als recht machen, wieder hinlegen. Morgen wieder.

Wie sehr man sich sonst immer nach vorne gefreut hat, das fällt auch auf. Immer Ziele im Blick gehabt, wirre Wünsche zumindest, irgendwelche Vorhaben. Und jetzt ist da nur dieser große Stein, der da auf einmal herumliegt, wer hat den eigentlich bestellt. Okay, den rollen wir mal ein Stück bergauf. Ohne rechte Zuversicht, aber guck, er bewegt sich doch, mach mal mit, fass mal mit an. Am Abend lassen wir den dann oben liegen – oder was, wir wissen es doch auch nicht, wo gehört der eigentlich hin. Am nächsten Morgen gleich nach dem Aufwachen mal nachsehen, wo er liegt, ob der oben geblieben ist. Wenn er wieder unten liegt, gleich noch einmal versuchen, ob man den rollen kann. Stets bemüht! Aber erst einmal nachsehen. Ohne Hoffnung, ohne Angst, ohne Drama, Baby, nur nachsehen, ganz sachlich, mehr nicht. Wir stellen das erst einmal nur fest, wo der heute liegt. Mit so einem Arztblick, wenn der vorsichtig und beruhigend sagt: „Ich gucke erst einmal nur.“ Dann erst weiter.

Ein Schritt nach dem anderen. Kaffee. Toast. Zähne putzen. Stein.

Guten Morgen.

Ach guck, da liegt er ja.

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Superpatent

Der Kinderarzt fragte, ob die Söhne Sport machen. Da gibt man dann komische Antworten, denn ja, sie machen Sport, und wie, aber der findet nicht statt. Seit Monaten nicht. Sie machen also theoretisch Sport. Ab und zu erinnere ich sie daran, dass sie in Sportvereinen sind, dann nicken sie flüchtig. Das war damals. Im März wird Corona ein Jahr alt, ein großes Stück Kindheit. Ihre Bilanz wird durchwachsen ausfallen, glaube ich. Es gab auch Vorteile aus ihrer Sicht, große sogar. Dann denke ich an die, die etwas älter als meine Söhne sind, an die fortgeschrittenen Teenies, die gerade ihre erste Liebe erleben, mit Abstand und Maske und dennoch. Darüber kann man später Romane lesen. Viele.

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Im Badezimmer steht ein Fleckenentfernungsmittel, auf der Packung steht “Denk mit“. Das regt mich auf, wieso fordert mich diese Packung zum Mitdenken auf, die ist nicht einmal belebt, maßt sich aber an, mir Appelle zu senden, was soll das. Ich sage „Denk doch selber!“ Man muss sich wehren, überall muss man sich wehren und standhaft aufrecht bleiben. Resilienz! So wichtig. Sich von so etwas nicht beeindrucken lassen und nicht angegriffen fühlen. Nicht einmal ignorieren! Ich stehe im Badezimmer und rede mit Pappschachteln, fällt mir auf, von wegen Resilienz. Ich gucke schnell in den Spiegel und gucke kritisch. Das hilft. Kurz.

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Wobei ich eigentlich mittlerweile glaube, dass unser Denken, auf das wir so stolz sind, nur eine reine ABM-Maßnahme unseres allzu leistungsfähigen Hirns ist. Das ist ja nur so irre leistungsfähig, weil wir damit überlebensfähig wurden, vor zig Jahrtausenden, aber heute ist Überleben dermaßen einfach und billig, wir denken nur noch tagesfüllend in der Gegend und im Kreis herum und bilden uns etwas darauf ein, dabei ist das alles nicht mehr als fortwährender Übungsbetrieb, damit die Neuronen nicht rotten.

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Ich habe für einen kleinen Text eine Deadline im November, und wenn ich mich ganz still hinsetze und ruhig atme, dann kann ich sie fühlen. Hypersensibel! Immer geahnt. Aber das also auch noch.

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Ich setze mich auf das absurdgrüne Sofa, auf dem ich jetzt wohne. Ich habe da jetzt so oft gesessen, niemand traut sich mehr auf diesen Platz, alles meins, meins, meins. Ich mache Möwengeräusche und sitze gründlich. Ich mache ansonsten überhaupt nichts, das ist sowieso das Revolutionärste, was man machen kann. Ich folge keiner Werbung, keinem Programm, keiner Ideologie, keiner Verlockung und keinem Befehl. Ich sitze und denke verwegen. Ich lasse mir das rote Barthaar stehen, könnte ich den ollen Degenhardt zitieren, aber mein Bart ist gar nicht rot, obwohl ich doch Vater bin, aber das war ja Schnurre. Es ist kompliziert.

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Ich koche Essen für die Familie. Dabei habe ich eine seltsame Anwandlung, ich fühle, ich ahne – ich werde auf einmal superpatent. Ich beschließe umgehend, gleich zwei Mahlzeiten zu kochen, eine auf Vorrat. Gestandener Hausmann! Ich rühre grinsend im Topf, das ist ein guter Tag. Ich parke den einen Suppentopf hinterher erst einmal auf dem Balkon, denn es ist kalt genug, da kann etwas anderes in den Kühlschrank. Der Platz ist hier knapp mit all den Personen, die dauernd essen und trinken. Nach vier Tagen fällt mir die Suppe wieder ein. Sie hat sich ein Mützchen aufgesetzt und riecht nicht mehr so gut. Doch wieder leichte Zweifel an der Zuschreibung „superpatent“. Schlimm.

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Links am Morgen

Über die Schulen und den Normalzustand

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Die verpasste Chance

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Mehr über den Wellerman

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Über Corona und die Moral

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