Eine Dankespostkarte

Rückseite

Ich habe zu danken für die freundliche Zusendung der Memoiren von Brigitte Schwaiger: Wenn Gott tot ist. Sehr willkommen ist mir das Buch, das passt mir gerade hervorragend in mein ansonsten vollkommen wirres Lektürekonzept. Herzlichen Dank!

Vorderseite

Ich bastele Ihnen heute, das hatten wir noch gar nicht, so eine dreigeteilte Karte. Oben ein Bild über die ganze Breite, darunter zwei kleinere, Sie kennen das. Und apropos Kennen! Sie kennen sicher auch Ludwig Richter. Den erwähne ich hier einfach mal und überlasse es dann zwanglos Ihrem Assoziationsmechanismus, ob Sie den mit den drei Bildern im Folgenden irgendwie zusammenbringen. Wenn nicht – macht überhaupt nichts. Es sind, das versteht sich aber jetzt, besinnliche und friedliche Bilder. Es sind Ansichten der Erholung und des Feierabends. Meine Woche war anstrengend, Ihre vielleicht auch, da brauchen wir jetzt so etwas, da brauchen wir einen kleinen Bilderbogen des bürgerlichen Friedens.

Alle drei Bilder wurden an einem Abend aufgenommen. Ein Abend im November, neulich erst war er, Sturm kam da gerade auf. Aber diesen Sturm darf man sich jetzt nicht bedrohlich vorstellen. Der Sturm gehört immerhin in den November, es ist alles richtig so. Es kommt eben Wind auf, viel davon, das ist bei uns in Ordnung in diesem Monat. Die Tage vor diesem Abend waren allerdings ungewöhnlich sonnig und strahlend schön, deswegen ist das gefallene Laub trocken, staubtrocken und ganz hart. Ich trete aus der Tür und der aufbrisende Wind treibt mir diese gedörrten Blätter entgegen, große Mengen davon, das ist ungewöhnlich laut. Ein großer Laubhaufen wird von den Böen auf die ganze Länge der Straße verteilt, und jedes Blatt macht dabei ein Geräusch. Es ist ein tausendfaches Zischeln, Flüstern und Wispern. Das klingt wie der Anfang eines dieser Stücke, die Sie hören, wenn Sie bei Streamingdiensten Playlists mit „Late Night Jazz“ oder ähnlichen Bezeichnungen aufrufen, Stücke also, bei denen sich der Drummer vorweg so dezent und zurückhaltend in Ihren Gehörgang schmeichelt und Sie merken gar nicht recht, dass da gerade ein Song beginnt. So weht und so klingt und so raunt das Laub heute und es wirbelt mir um die Füße und tanzt und kreist so dermaßen auffällig, in jedem Mary-Poppins-Film wüsste man, jetzt hat der Wind aber sicher gedreht.

Ich gehe ziellos durchs kleine Bahnhofsviertel. Die Straßen sind dunkel, weil die Restaurants und Cafés und Kneipen alle geschlossen sind und also deren Beleuchtung fehlt. Es ist auch leise, denn es sind weniger Autos und Menschen als sonst unterwegs. Es ist kälter geworden, es sieht nach Regen aus und ausgehen kann man eh nicht, es ist heute kleinstadtleise mitten in der Millionenstadt. Vor die breite Fensterfront eines Restaurants hat man schwere Vorhänge gezogen. Die haben nur einen schmalen Spalt offengelassen, aus dem sieht man Licht. Ich gehe da mal näher ran, ich bin immerhin aus Berufsgründen neugierig. Drinnen sitzen vier Menschen an einem Tisch. Auf dem Tisch stehen Flaschen und Gläser. Die Vier stoßen an und stecken die Köpfe zusammen. Dieses Bild legen wir oben quer, wie sich die vier Personen da zutrinken wie in einer anderen Zeit. Man sieht es so selten im Moment. Und selbstverständlich werden das die Betreiber des Restaurants sein, das Personal oder die Menschen, die da gerade einen Umbau planen, etwas anderes wollen wir nicht für möglich halten und sowieso sieht man eigentlich nichts, wenn man nicht direkt vor dem Spalt stehen bleibt.

Dann ein Friseursalon. Es gibt hier enorm viele davon, gefühlt gibt es sogar in jedem zweiten Haus einen. Dieser hier ist ganz klein und liegt in einer dunklen Nebenstraße. Der Salon ist schon geschlossen, die Deckenbeleuchtung ist aus. Nur kleine Lampen neben den Spiegeln brennen noch. Auf einem der Frisierstühle sitzt einer in betont entspannter Haltung und spielt Gitarre. Vor ihm sitzt, auf einem niedrigen Schemel oder so etwas, die Friseuse und singt. Sie hält dabei ein Blatt in der Hand und liest etwas ab, Noten, Text oder beides. Zwischendurch lacht sie. Man kann nichts davon hören, gar nichts, man sieht es nur.

Dann, wir sind schon beim dritten Bild, eine Änderungsschneiderei. Auch dort ist schon Feierabend. Es brennt in dem Ladengeschäft nur eine historisch anmutende Schreibtischlampe, die war etwa in den Siebzigern mal modern, und billig war sie auch. Über diese alte Lampe beugt sich gerade der Herr Änderungsschneider. Weil es im restlichen Laden stockdunkel ist, sieht man im eher schwachen Lichtkreis der Lampe nur sein Gesicht und eine Hand, die er dicht vor die Augen hält. In den Fingern hält er mehrere Garnrollen, und wir können es zwar nur raten, aber er wird dort gerade Farben prüfen oder vergleichen. Er hält die Rollen ganz dicht vor seine Augen und er guckt genau. Dann bewegt er sich von der Lampe weg und verschwindet im schwarzen Raum und taucht nicht wieder auf. Die Lampe aber brennt weiter und beleuchtet einen Schreibtisch aus einem anderen Jahrzehnt. Vielleicht macht sie das die ganze Nacht.

So nämlich geht es hier zu, wenn es Abend wird und etwas Wind aufkommt.

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Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

Zu viert auf dem Sofa

Zu den Neuerungen, die hier auf einmal stattfinden, weil wir endlich alles umgebaut haben, gehört etwa, dass wir in den letzten Tagen gleich mehrfach zu viert vor dem Fernseher gesessen haben. Das kam bei uns bisher so gut wie nie nicht vor, das kennt hier keiner, so haben wir nicht gelebt. Die Söhne kannten Fernsehen nur von den Großeltern, haben ansonsten gestreamt wie alle und wenig oder eher gar nichts vermisst. Nun aber haben wir auf einmal einen äußerst gemütlichen Platz vor dem Fernseher, und da die Söhne sich tagsüber auf einmal verblüffend dauerhaft in ihre Zimmer wegsortieren, kann man sich abends auch mal irgendwo zentral treffen. Von Zeit zu Zeit seh‘ ich die Jungen gern, warum nicht auf dem Sofa vor dem Fernseher. Eine interessante Anordnung, das hätte uns auch früher einfallen können. Egal.

Ich bin, das ist naheliegend, etwas geschockt von dem, was es da zu sehen gibt, denn ich habe wirklich lange nicht ferngesehen, fünfzehn Jahre etwa. Ich erkenne also fast niemanden und sitze staunend davor, verkneife mir nur äußerst mühsam die ganzen „Früher …!“ Kommentare und mache mir emsig Notizen, um die geistreiche Fassade wenigstens vor mir selbst zu wahren. Auf diese Art sehen wir so etwas wie diese Show mit, wie heißt das denn, Voice of Germany? Oder das mit dem Supertalent und irgendwas mit Freizeitninjas und dergleichen, die Söhne lieben diese Shows alle. Ich liebe sie nicht, diese Shows, ich bin hier beim Fernsehen aber nur ein harmloser Mitläufer.

Ich kann einiges aber auch ausdrücklich gutheißen, gerade als Vater, denn es ist ja nicht so, dass diese Shows nur ein reines Unterhaltungsprogramm wären. Sie sind vielmehr auch eine brauchbare Vorbereitung auf das spätere Leben der beiden jungen Zuschauer hier. Denn, so denke ich in meiner beginnenden Altersmilde, es ist doch tatsächlich alles recht lebensecht inszeniert. Ich gucke und nicke. Und ich kann das auch beurteilen, ich bin mittlerweile alt genug, ich weiß, dass es so ist:

Du legst dich fest, du machst dein Ding, du gibst dir irrsinnig viel Mühe. Du fühlst dich zu irgendwas geeignet, du fühlst dich zwischendurch sogar gut bis großartig dabei und du hoffst so sehr, dass du tatsächlich gut bist, denn aus irgendeinem Grund wollen wir alle immer gut sein, oder besser noch besser als andere. Wenn uns bloß jemand sagt, dass es gut ist! Dann ist es nämlich gut. Und wir zappeln uns immer wieder ab und mühen uns und streben und treten gegen andere an und investieren alles Mögliche, Zeit, Geld, Lust und Kraft, ach, so viel Kraft.

Dann kommt so ein Typ wie Bohlen, versteht es nicht recht und guckt kritisch, und das war dann also nichts. Ist das für Fernsehunterhaltung nicht fast schon zu nah an der Wirklichkeit? Ich meine, so ist es doch immer.

Na, fast immer.

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Trinkgeld Oktober, Ergebnisbericht

Im Oktober und darüber hinaus haben wir das Projekt vorbereitet und gestartet, das große Projekt. Wir haben die Wohnung neu aufgeteilt und nahezu jedes Möbelstück neu hin- oder auch wegsortiert. Es war ein klein wenig aufwendig, doch, doch, das kann ich nicht anders sagen. Das Verlagern von großen Bücherwänden etwa ist immer wieder beeindruckend, da sich die Bücher ja physisch verändern, sobald sie ein Regalbrett verlassen haben. Sie nehmen auf dem Fußboden mehr Raum ein als im Regal, sie wirken zahlreicher, wesentlich zahlreicher als an der Wand, man steht in einer raumgreifenden Buchexplosion, sobald die Bände nicht mehr comme il faut stehen und dann fallen natürlich auch Stapel um, immer fallen Stapel um, Sortierung kann man vergessen und man arbeitet sich durch ein Chaos, das noch vor zehn Minuten nicht da war und das dauert dann.

Egal. Die Söhne haben jetzt also jeder ein Zimmer. Wir haben, da wir im Grunde keine Lust auf die ganze Arbeit hatten, etliche Möbelstücke aufgebaut gelassen und auf puzzlegamemäßige Art durch mehrere Türen und um Ecken bugsiert, ich denke noch im Nachhinein, da müssen Wunder im Spiel gewesen sein. Das kann so gar nicht gepasst haben, das kam in Geometrie einfach nicht vor. Die Herzdame und ich haben uns jetzt komplett ins Wohnzimmer verdrückt, aus dem in dieser Wohnung etwas unsinnig riesigen Flur haben wir noch eine Art Wohnzimmersurrogatextrakt gemacht – und es ist alles viel besser, als wir dachten. Der Plan geht geradezu sensationell gut auf, es fühlt sich jeder in seinem Raum wohl. Es gibt mehr und bessere Plätze als vorher, es wirkt alles geordneter und auch geliebter, besser eingerichtet, netter dekoriert. Es ist jetzt ein ansprechenderes Zuhause, es fühlt sich etwas so an als müssten wir uns dringend fragen: Wie bitte haben wir denn bloß vorher hier gehaust?

Ich bin noch damit beschäftigt, alle Plätze zu testen, denn ich sitze gerne irgendwo und denke und fühle von da aus neu. Ich bin, wie soll ich sagen, sitzplatzsensibel. Das ist vielleicht nicht so sachbuchtauglich und allgemein respektiert wie hochsensibel, aber was soll ich machen. Ich finde das jedenfalls wichtig, wie und wo man sitzt. Also nicht in dem Sinne, dass ich da anspruchsvoll wäre, das nun ganz und gar nicht, einer meiner Plätze ist jetzt sogar in der Abstellkammer, und das geht auch. Aber es ist eben alles anders, wenn man anders sitzt und ich finde das total interessant. Das hat Vorteile, denn während andere nach Sylt müssen, um irgendwas anregend zu finden, kann ich einfach mal den Stuhl wechseln. Ha! Jede Verschrobenheit ist irgendwie positiv zu nutzen, so sieht es nämlich aus.

Das Projekt neue Wohnung in der alten Wohnung ist groß, es läuft aber mit einem eher geringen Budget ab. Daran haben Sie sich in den letzten Wochen freundlich beteiligt. Etwa durch die Finanzierung der Fahrt ins Heimatdorf, wo die Herzdame, ich berichtete bereits, das absurdgrüne Sofa der Ugroßmutter der Söhne im gemieteten Transporter abgeholt hat. Aber wir haben auch wichtige Kleinigkeiten von den Trinkgeldern bezahlt, etwa die LED-Lights der Söhne. Die beiden können nämlich ohne größere Mengen von LED-Gedöns an Wänden und Decken nicht leben und können jetzt in ihren Zimmern ein solch nervenschädigendes Blinken einstellen, dass man als Elternteil nach wenigen Minuten diese Räume dringend wieder verlassen möchte. Wobei noch schnell aus pädagogischen Gründen Protest vorgetäuscht wird, versteht sich, wir bleiben soweit bemüht und machen erst dann die Türen hinter uns zu und klatschen uns ab.

Ferner erwarben wir noch weitere Dinge, die nicht viel kosten aber doch eine erhebliche Wirkung haben. Zimmerpflanzen, Kissen, so etwas. Eine Lampe. Eine Vase. Einen Teppich, der besonders war wichtig.

Wir sind nicht fertig, oh nein. Es wird sich noch bis Weihnachten hinziehen, nehme ich an, vielleicht dauert es auch noch länger, man hat ja gar keine Zeit für so etwas. Aber ich bin ungeheuer erleichtert, dass es gut ist – so ganz klar war mir das nämlich vorher nicht. Immerhin folgt diese Wohnung jetzt nicht mehr der Durchschnittslogik von Zweikindfamilien, sondern ist jetzt, soweit es bei ihrem etwas seltsamen Schnitt überhaupt geht, exakt auf unsere Spezialbedürfnisse und Gewohnheiten abgestimmt. Wir waren uns alle nicht sicher, ob diese Theorie aufgehen würde. Aber es läuft. Und ein wenig war das Projekt natürlich auch als dringend notwendige Gegenmaßnahme gegen unser seelisches Rekordtief gedacht, da die Fülle an nicht blogbaren Sonderproblemen bei uns nach wie vor schlichtweg erdrückend ist und schon deswegen ein Umzug einfach nicht in Frage kam. Der wäre uns in jeder Hinsicht zu viel gewesen, jedem von uns.

Und das Projekt war auch spannend, weil wir versuchsweise Stress mit Stress bekämpft haben. Aber wir sind gerade vorsichtig optimistisch. Lediglich Küche und Bad haben wir bisher überhaupt nicht angefasst, die wirken jetzt komisch. Irgendwie altbacken, neben dem Trend und heruntergewirtschaftet, die können eigentlich nicht zu dieser Wohnung gehören.

Wie immer also, ganz herzlichen Dank für jeden eingeworfenen Euro und jeden Cent! In den letzten Wochen haben die Summen hier erheblich zum Wohlgefühl beigetragen, und das ist gerade im Jahr 2020 doch wichtig, glaube ich.

Aber ich werde zur Sicherheit noch einige Abende entschlossen herumwohnen, um mir ganz sicher zu sein, was etwa neue Kissen für mich wirklich ausmachen. Wir wohnen herum und hören Playlists, so macht man das ja wohl. Die Herzdame wählte Chip Taylor, das war ausgezeichnet. Ich spielte Abdullah Ibrahim, kennen Sie den? Der macht so schöne Sachen wie das hier, es ist der Herr am Klavier. Ja, das sind 15 Minuten und es bricht dann einfach ab, aber es sind doch 15 verdammt gute Minuten, die hat man dann.

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Eine Dankespostkarte

Rückseite

Ich habe zu danken für einen freundlich zugesandten Milchschäumer, der für die Laube im Garten gedacht ist und ab dem Frühjahr dort Dienste leisten wird. So haben wir also ein Geschenk erhalten, das über dieses Jahr hinausweist, und was soll ich sagen, das war ein ganz angenehmer Gedanke. Herzlichen Dank!

Vorderseite

Das Bild hat eine Vorgeschichte, die können Sie der Ansicht auf der Karte gar nicht entnehmen. Aber ich kann Sie Ihnen ja einfach erzählen. Ich kann hier nämlich machen, was ich will, das ist nach wie vor an Blogs ziemlich großartig. Und zu dieser Karte gehört nun einmal ein älteres Bild, das nicht im Bild ist.

Hammerbrook, der Stadtteil, in dem ich arbeite, ist dicht an dicht besetzt mit Zentralen, Verwaltungen und Niederlassungen von oft eher mäßig spannenden Firmen. Versicherungen und dergleichen. Dort arbeiten viele Menschen, die nicht diese unbändige Karriereenergie haben, die man etwa bei den jungen Leuten sieht, die in Unternehmensberatungen arbeiten. Die wiederum habe ich im kleinen Bahnhofsviertel oft vor der Haustür, die tragen schärfere Anzüge, die sehen hungriger aus, die gehen energischer, die reden englischer als die Leute, die in Hammerbrook arbeiten. Wobei letztere auch nicht unbedingt Bullshitjobs haben, sie haben eher normale Jobs. Und die Anzüge, die die Männer dort tragen, sie sehen oft nicht nach übertriebener Karrieregeilheit aus, eher einfach nach Berufskleidung. Einmal, es ist schon eine Weile her, ging ich in die Bäckerei kurz vor dem Büro, vor mir gingen drei dieser Männer im Anzug, und wer hier schon länger mitliest, der weiß jetzt: Ich war der vierte Mann in der Reihe. Im Bäckereiradio lief gerade laut „We built this city on rock’n roll” und wir gingen, solche Zufälle gibt es, alle im Gleichschritt auf die Kuchentheke zu. Ein albernes Bild wie aus einem Musikvideo, aber so etwas merke ich mir jahrelang, weil ich es doch irgendwie deep fand.

Egal, dieses Bild dient mir heute nur als historische Reminiszenz, wir brauchen die drei Männer im Anzug gleich noch einmal in der Gegenwart, zu der ich jetzt komme. Ein Novembermorgen der kalten und grauen Art, es nebelt etwas und die Masken werden heute gar nicht so ungern getragen, man vergräbt sich in allem, was man so anhat. Müde, frierende Menschen sitzen in der S-Bahn, die ich übrigens nur nehme, weil ich zu spät für den Fußweg bin. Allzu oft kann ich über S-Bahnen nichts mehr erzählen. Auch das ist die aktuelle Situation, ich fahre eher nicht mit.

Ich steige in Hammerbrook aus. Alle steigen in Hammerbrook aus, da arbeitet man eben, alle arbeiten da. Büroklötze im Dunst, Neonlichter mit Weichzeichner. Die Gleise verlieren sich vor der Bahn im Grau und lösen sich dort auf. Irgendwo dahinten kommt die Elbe, dahinter kommt dann nichts mehr. Auf dem Gleis gegenüber rollt auch eine Bahn ein, die kommt aus dem Nichts und sämtliche Türen gehen gerade automatisch auf. Drei Männer im Anzug steigen aus und sie gehen, solche Zufälle gibt es, im Gleichschritt und haben alle drei komplett beschlagene Brillen auf.

Da weiß man dann gar nicht, wo man so schnell hinassoziieren soll, zur unweigerlichen Momo, zu den Musikfilmchen aus den Neunzigern, zu seltsamen Träumen, zu dystopischen Fantasyfilmszenen, es passt irgendwie alles und ich denke versuchsweise in verschiedene Richtungen. Ich bin immer im Dienst und überlege dauernd, was wie in welchen Text passen könnte, zu welchem Kunden, zu welchem Publikum, wie man, um mein Totemtier Snoopy zu zitieren, am Ende alles verknubbeln könnte. Ich beende das gedankliche Herumgeistern dann aber mit einem entschlossenen „2020“.

Das ist im Zweifelsfalle eh die Erklärung für alles. Passt schon.

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Links am Morgen

Eine Buchrezension – gelacht. So ein unfrohes Lachen.

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Ich habe hier für das Goethe-Institut etwas über Erziehungsfragen und Tagespläne geschrieben.

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Manchmal ist es einfach

Ich habe wieder Laub im Garten geharkt. Wenn ich das als Sport betrachte, habe ich dabei mittlerweile sogar leichte Trainingserfolge. Wie unlängst berichtet, haben die Söhne im Garten ein Loch ohne Sinn gegraben, ein ziemlich breites und tiefes Loch sogar. Das haben wir mit Laub verfüllt und die Söhne sind dann immer wieder mit Anlauf hineingesprungen. Ein Spaß wie zu alten Zeiten, ganz undigitalisiert, geradezu verdächtig bilderbuchmäßig und dabei so gut für die Stimmung, dass auch die Nachbarkinder dazu kamen und mitmachten. Manchmal ist es einfach. Na gut, ganz selten ist es mal einfach.

Ein jung aussehendes Eichhörnchen saß nachdenklich am Rand der Parzelle. „Es ist frei!“, sagte ich, lächelte verbindlich und ging ein Stück auf es zu, ein kleines Stück nur. „Es ist frei!“ Und ich zeigte auf die Highlights im Garten, ich pries die Luxusbäume und die Komfortbüsche, ich wies auf die liebevollen Ausstattungsdetails in den Beeten hin und erwähnte auch die zentrale Lage in der beliebten Gartenanlage, in der man für den täglichen Bedarf alles …

Auf dem verwilderten Nachbargrundstück gingen zwei Igel gemächlich herum und unterhielten sich leise. „Ruhige Nachbarn“, sagte ich noch.

So macht man das in der Immobilienbranche, dachte ich, so klappt das. Das Eichhörnchen kletterte auf den Weißdornbaum und besah sich die Sache von oben. Lange. Länger als ich warten konnte, aber auch das ist nun einmal so, in der Immobilienbranche, die Leute brauchen einfach Zeit für ihre Entscheidungen. Ich warte ein paar Tage und frage dann noch einmal nach.

Die Rose stand währenddessen bei 12 Grad in der Sonne und dachte sich, ach, was soll der Geiz, komm her, ich schmeiß noch eine Runde Blüten. Und wo sie stand, da war Sommer im November, man roch es.

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Links am Morgen

Ein Lieblingssatz.

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Was schwer zu erzählen ist.

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Neues aus der Ranzenpost:

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Eine Dankespostkarte

Rückseite

Ich habe zu danken für ein Smartphoneladekabel, das diesmal Sohn I nutzen wird, wie er sehr zufrieden festgestellt hat. Sehr nice! Wie er in solchen Fällen verlässlich sagt.

Vorderseite

Ein ganz schlichtes Bild. Stellen Sie sich bitte einen norddeutschen Kirchturm vor, wobei der Hinweis auf den Landesteil vor allem dazu diene sollte, roten Backstein vor ihren Augen entstehen zu lassen, denn ohne diesen geht es hier ja nicht. Rote Steine, ein altes Portal, ein Kirchturm von überzeugender Schönheit, oben Kupfer mit ordentlich Patina. Eine wunderschöne Kirchturmuhr gibt es auch, sie geht richtig, zur Viertelstunde hört man den Glockenschlag. Der Turm gehört zu keiner riesigen Kirche, sie ist aber auch nicht gerade klein, es ist eine Stadtteilkirche in der Großstadt, im Bahnhofsviertel. Und der Turm ist ist immerhin so überzeugend schön, dass Touristen verlässlich interessiert darauf zu laufen. Manchmal kommen sie mit dem Reiseführer in der Hand oder mit dem Smartphone, blätternd oder scrollend, was steht denn da, was ist denn das? Und während sie näher kommen, sehen sie vielleicht schon, diese Kirche, auf deren Turm man da so kulturbeflissen zugeht, die gibt es gar nicht. Die wurde im letzten Weltkrieg weggebombt, nur der Turm blieb stehen und man hat dann nach dem Krieg ein neues Kirchenschiff darangebastelt, einen eher schnöden Neubau. Das kann man architektonisch oder auch sakralbaugeschichtlich interessant finden, aber umwerfend schön ist dieser Neubau erst einmal nicht, das enttäuscht dann manche. Wenn man aber nur so vor dem Turm steht, dann kann man sich der Fiktion einer prächtigen alten Kirche recht erfolgreich hingeben.

Und vor diesem Turm, in einer sanft geschwungenen Kurve vor dem Portal, stehen Einkaufstrolleys auf dem Kopfsteinpflaster. Fünf, sechs, sieben Stück und mehr. Sie sind alle unterschiedlich. So unterschiedlich sind sie, es wirkt fast schon ein wenig gekünstelt, als hätte die jemand, der hier im Stadtteil für Requisiten und Kulisse zuständig ist, sorgfältig ausgesucht und dort hingestellt. Es könnte auch eine Installation sein, die Kunsthalle ist immerhin gleich um die Ecke und wer weiß. Verschiedene Farben haben die Trolleys, verschiedene Alter, verschiedene Zustände. Manche sehen aus wie neu, manche sind längst heruntergekommen wie Sperrmüll. Leer sind sie alle, das sieht man ihnen an, eingefallene Trolleybäuche. Unter jedem Trolley ist ein dicker weißer Strich auf dem Pflaster. Menschen sind nicht im Bild.

Können Sie sich das zusammenreimen? Das Bild ist wieder sehr 2020, nie vorher hätte man das verstehen können. Es ist ein Freitagmorgen, da gibt die Suppengruppe wieder heiße Suppe und Lebensmittel von den Tafeln aus. Seit dem Frühjahr kommen mehr und mehr Bedürftige zu dieser zentral gelegenen Ausgabestelle. So viele sind es, dass es lange Wartezeiten gibt und die allerersten Gäste, die am Morgen erscheinen, reservieren sich mit den Trolleys ihre Plätze im vorderen Bereich der Schlange, so wie andere mit Handtüchern ihre Sonnenliegen auf gewissen Inseln sichern. Zwischen den Trolleys, Sie ahnen es sicher, sind immer 1,50 Meter Abstand, mit weißen Streifen auf dem Boden ordentlich markiert. 

Man kann das nur ganz kurz so sehen. Dann kommen die Menschen wieder, stellen sich zu ihren Trolleys und warten und rücken auf. Aber man sieht es doch lange genug, um ein Bild davon zu haben. 

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Vereinfachungen

Auf dem Arbeitsweg am Dienstag liegen wieder Bücher am Straßenrand, anspruchsvoll sind sie diesmal: Homo ludens von Huizinga und eine Einführung in die Logik. Daneben ein Kochbuch über „Fisch in der Küche“, denn auch spielende Logiker haben ab und zu Hunger. Aber jetzt wurde das alles aussortiert, Schluss mit Spiel und Logik und danke für den Fisch, alles muss raus. Homo ludens jedenfalls habe ich nie gelesen, aber es gab doch eine Zeit, da haben das alle gelesen, ich erinnere mich. Im öffentlichen Bücherschrank vor der Kirche sehe ich die paar Regalbretter durch und nehme Gabriele Wohmann und Somerset Maugham mit. Die sind beide etwas aus der Mode gekommen, das schadet ihren Texten aber nicht zwingend. Da ruhig mal reinsehen, denke ich mir und schiebe die Bücher zufrieden in meinen Rucksack. Ich mag diesen öffentlichen Bücherschrank sehr, eine Begrenzung der Auswahl ist oft sinnvoll im Leben.

Ich achte auf dem weiteren Weg auf Laternenpfähle. Das muss man hier neuerdings tun, denn an einigen von denen hängen jetzt laminierte Zettelchen in DIN A4, die weisen auf eine neue Maskenpflicht hin, die an dieser Stelle ab sofort besteht. Wo genau, das steht da allerdings nicht, so ungefähr da eben, und überhaupt sehen die Zettel weder besonders offiziell noch besonders ernstgemeint aus, sie sind eine höchst merkwürdige Form der staatlichen Kommunikation und etwaige Ordnungshüter sehen angestrengt weg, wenn jemand sich nicht an diese Anordnung hält.

Die Söhne müssen seit Montag auch während des Unterrichts Maske tragen. Das macht ihnen nichts aus, bzw. das haben mehrere Kinder in den Klassen eh schon die ganze Zeit gemacht, weil man auch hinter einer Maske ganz gut abtauchen kann. So praktisch, die Dinger.

In der Corona-App habe ich sieben Begegnungen mit geringem Risiko. Sieben auf einen Streich! Einmal durch den Lidl, einmal durch den Edeka, so etwas kommt von so etwas.

Ich höre verspätet einen Podcast mit Erklärungen zu Halloween, darin kommt ein Wort für die Betteltour der Kinder vor, das mir bisher nicht bekannt war: „Heischegang“. Das ist ein herrlich altmodisch klingendes Wort, sofort möchte man es in den Büroalltag übernehmen und die Gehaltsrunden ab sofort so nennen, Herr X ist auf seinem Heischegang. Damit es alles stimmig ist, können wir dann bitte künftig alle Gehaltsverhandlungen Richtung Halloween verschieben, dann ist das auch bundesweit immer zu einheitlicher Zeit und ein insgesamt herrlich absehbarer Prozess.

Überhaupt wäre ich gut darin, alles wesentlich zu vereinfachen, stelle ich zum wiederholten Male fest. Man hat so Begabungen, die kann man nie zur Gänze austoben. Schade.

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Eine sehr gute Wahl

Am Montag gehe ich wie immer zu Fuß zur Arbeit und drohe wegen einer rekordmäßigen Temperaturanomalie dabei spontan zu zerfließen. Es ist geradezu widerlich warm draußen, dazu tröpfelt ein allzu zögerlicher Regen. Das Wetter und ich werden keine Freunde an diesem Tag, mir ist eher nach Novemberkälte und Nebel und Fröstelei zumute. Ich lebe Jahreszeiten gerne korrekt aus und verfluche daher mein bärenfellmäßig einheizendes Oberstudienrattweedsakko. Immerhin aber erinnert mich die Szene vehement an ein Kapitel von James Herriot, der eine ähnliche Lage einmal über etliche Seiten beschreibt, also das peinvolle Zerschmelzen in einem Tweedanzug besonderer Qualität und Dicke. Ich verbringe danach einen größeren Teil des restlichen Tages mit sentimentalen Erinnerungen an die Bücher und die Fernsehserie. Die könnte ich mir eigentlich noch einmal ansehen, ich habe sie damals sehr geliebt. Wird aber nirgendwo gestreamt, wie es aussieht. Schlimm.

Im Büro sehe ich mir den Wandkalender an und habe zum xten Mal in diesem Jahr ein ernstes Problem mit dem, was da steht. Ich sehe mehrmals hin. Wie kann es denn bitte jetzt November sein, was ist passiert? Klingt das nicht völlig irre und geradezu frei erfunden, November 2020? Ist bis dahin nicht noch Zeit? Und nach dem November, ich habe das dann gleich nachgeschlagen, kommt angeblich schon der Dezember. Was erlauben Kalender?

Auf dem Heimweg höre ich den Briefwechsel der Herren Goethe und Schiller, es lesen die Herren Westphal und Quadflieg. Ich höre eine seltsam passende Stelle, wo es doch gestern hier um das grüne Sofa ging, denn bei Schiller und Goethe geht es gerade um grüne Tapeten, die der eine dem anderen besorgen soll. Sie diskutieren erstaunlich kundig die Farbnuancen und den Lichteinfall und auch die rosa Bordüre, die zu diesen Tapeten gehört, sie war auch mit Rosenmuster erhältlich. Ich notiere mir das eifrig und lernwillig, grüne Tapete und rosa Bordüre. Warum auch nicht, man kann ja über alles mal nachdenken, so als Möchtegernbildungsbürgerhipster, der gerade alles umbaut.

Ein Sohn kommt mittags krank aus der Schule zurück, da bekommen wir kurz einen Schreck. Auf intensive Nachfrage verweist er aber nur auf Übelkeit und Magenprobleme. „Das ist ja schön!“, sage ich, denn Magen ist in diesen Zeiten allemal besser als die ganze Liste der Symptome mit Coronabezug. Magen geht auch schneller vorbei, Magen ist eine sehr gute Wahl, wenn man jetzt gerade krank sein will. Der Sohn findet meinen Satz dennoch befremdlich. Egal.

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