Ich weiß es doch auch nicht

Nach dem letzten Text wurde ich auf FB gebeten, den Hauptbahnhof doch bitte etwas besser wegkommen zu lassen. Das will ich gerne tun, selbstverständlich doch, bitte sehr, bitte gleich, ich mache mir die Welt …

Gleich am nächsten Morgen also bin ich in ausdrücklich positiver Erwartung zur Bahn gegangen, es schlug mein Herz, geschwind zum Zug. Und ich nahm mir vor, dem Stimmengewirr dort irgendetwas zu diesem Zwecke zu entnehmen, quasi Collageneffekt, nicht wahr, das kennt man, O-Töne einsammeln, immer super, alles so echt hier. Ich durchschritt die morgendliche Menge tatsächlich mit dem Notizbuch in der Hand, aufnahmebereit wie ein Boulevardreporter im letzten Jahrhundert, den Stift im Anschlag. Allerdings vernahm ich weitgehend überhaupt nichts, nur undeutliches Geraune und Genuschel, für mehr oder weniger literarisch sein sollende Zwecke dürften die Menschen gerne ihre wenigen Zeilen in halbwegs anständiger Lautstärke deklamieren, echtjetztmal, das geht so nicht. Was ich einzig verstand, das war ein in besorgtem Tonfall gesprochener Satz zwischen zwei Frauen, es war so ein Satz mit offenem Ende: “Wie sie aber damit die Schule schaffen soll …” Und die andere nickte daraufhin mit einem vielsagenden Blick.

Das war mir natürlich noch nicht positiv genug, Kreativität hin oder her, ich kann auch nicht aus allem etwas machen. Aber dann! Drei Meter weiter, diesmal ein Satz zwischen zwei Männern: “Das muss er dann aber irgendwie schaffen.”

Das sind jetzt nicht gerade strahlende Beispiele von Lebensmut und Frohsinn, aber wenn man eine etwas intimere Beziehung zum Zufall hat, dann freut man sich ja auch schon über solche Satzpaare. Zweimal Schaffen, einmal zwei Frauen, einmal zwei Männer, einmal sie, einmal er, das hat doch eine gewisse Ästhetik, und ich dachte mir also: Immerhin!

Ansonsten schwiegen aber alle, lauter stille Menschen auf den Bahnsteigen, keine Äußerungen, kein Satz, nichts, nur das übliche, immer leicht beleidigt wirkende Warten. Und die langweiligen Lautsprecherdurchsagen: “Auf Gleis 3 fährt ein …”, da hört man aber kaum hin, so sehr ist das längst Gewohnheit. Dann schließlich doch noch ein Satz, der mir auffiel, einer wenigstens noch, auch der kam aus den Lautsprechern: “Noch einmal die Türen lösen …”

Die folgende Assoziation ist jahreszeitlich nicht mehr ganz passend, wofür ich um Verständnis bitten muss, meine Assoziationen gehen etwas nach. Aber diesen Satz, der doch seine eigene Schönheit hat, wenn man es recht bedenkt, noch einmal die Türen lösen, diesen schlichtschönen Satz mit lyrischem Potenzial, den können wir uns nehmen, entleihen und remixen, etwa in dem wir ihn einfach mal ohne Schaden am Rhythmus bei Benn einbauen, mitten in die Astern rein, gucken Sie mal:

“Noch einmal die Türen lösen,

den Rausch, der Rosen Du –

der Sommer stand und lehnte

und sah den Schwalben zu.”

Nun gut. Die Schwalben sind längst fort und wir müssen uns mit anderen kleinen Wesen begnügen, etwa mit dem, was jetzt fast etwas bedenklich nah an der Gleiskante herangelaufen kommt, ein Mädchen von etwa sechs Jahren in einer roten Regenjacke, das eine rote Mütze trägt und singt und lacht und tanzt, ein Wirbelwind ohne erwachsene Begleitung, der ist da für gute Laune zuständig und macht das sehr gut, auch wenn die wartenden Erwachsenen dem Mädchen alle nachsehen, ohne auch nur die geringste Regung im Gesicht zu zeigen. Sie bleibt in ihrer Rolle und wirbelt und lacht und singt und springt, da muss man dann gar nichts tricksen, das kann man als das Positive schlechthin einfach durchgehen lassen und ich könnte jetzt hier aufhören.

Aber der Blick fällt noch eben auf einen alten Mann. Der sitzt alleine auf einer Bank und er fällt schon deswegen auf, weil sonst niemand hier so alt ist. Es ist Rushhour, alle fahren zur Arbeit, alle sind beschäftigt, viele sind jung, etliche sind so mittelalt, richtig alt aber ist niemand, ist nur dieser Mann, der da ruhig sitzt, alleine auf einer Bank mitten im Bahnhof, mitten im Gedränge, und es ist ein erhebliches Gedränge und Geschiebe. Der guckt sich um, besieht sich freundlich die Menge, schüttelt den Kopf. Das sieht etwas komisch aus, denn er trägt eine dieser seltsamen Mützen mit altmodischen Ohrenklappen, die schlackern etwas, wenn er den Kopf bewegt. Er schüttelt also den Kopf und ab und zu hebt er die Schultern und die Hände ein wenig, mit den Handflächen nach oben. Er sagt nichts dabei, aber wenn er etwas sagen würde, ich möchte es fast wetten, dann wäre es ein Satz mit einem milden Bedauern: “Ich weiß es doch auch nicht.” Genauso sieht es aus, genauso sieht er aus.

Und wenn man es aber in diesem ehrwürdigen Alter auch nicht weiß, dann kann ich ja für heute, so denke ich mir jedenfalls, das Grübeln einfach mal einstellen, es bringt ja doch nichts.

Ich mache mir eine Playlist an, die hat irgendwas mit “Calm” im Titel. Ich fahre mit traulichen Klängen zugedröhnt ins Büro, denn irgendwo muss die Harmonie ja herkommen.

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Und nun 12 Minuten Bedouine. Und mehr wären auch in Ordnung gewesen.

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte. 

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Möwen am Morgen

Am Morgen der Gestank der brennenden Mülleimer am Hauptbahnhof. Immer wieder brennen die, weil die Leute da brennende Kippen reinwerfen, und dann qualmt es stundenlang, weil es keinen interessiert, wenn es da kokelt, man kann ja auch nicht für alles zuständig sein. Beißende Rauchfäden im Bahnhof und darum herum, ein selten gemeiner Geruch. Einige Meter neben dem nächsten Mülleimer liegt ein Obdachloser, der sich bepinkelt hat und der, den krümmenden Bewegungen nach zu urteilen, gleich auch noch kotzen wird. Noch einige Meter weiter ein haltloser Mensch, der auf dem Boden sitzt und seinen Kopf nach hinten gegen die Wand haut, immer wieder. Neben dem sitzen noch zwei, die ganz so aussehen, als hätten sie die Nacht da verbracht, die gucken leer und sehen elend aus, haben aber mit dem anderen, so kann man jedenfalls vermuten, keinen weiteren Zusammenhang, die bilden da nur zufällig ein Trio des Unglücks und wissen es gar nicht, die sehen sich auch nicht an, die sehen überhaupt nirgendwo hin, die sehen nur aus. Überall hasten böse blickende Menschen herum, es ist Montag, es ist früh, es ist grau und es sind enorm viele andere da, die alle im Weg herumstehen und Rollkoffer brachial vor fremde Füße zerren und nervtötend langsam Treppen steigen und rudelweise Fahrstühle blockieren und auf Rolltreppen links Poller spielen und unten auf den Gleisen ruppig in die Bahnen drängeln, als käme niemals eine andere mehr, sind wir hier auf der Flucht oder was.

Auf dem Bahnsteig wird irgendwas durchgesagt. Brülllautes Genuschel, da versteht man auf einmal nicht mehr, was über die Kopfhörer aus dem Handy kommt, wenn man das aber im Gegenzug noch lauter macht, bläst es einem erstens die Ohren weg, versteht man zweitens die Durchsage nicht, und die muss man doch verstehen, wenn man sich korrekt aufregen will, weil wieder etwas aus irgendeinem Grund nicht fährt, ausfällt, sich unbestimmt verspätet und die Menge murmelt kollektiv: „Mann, Mann, Mann!“ Da will man ja mitmurmeln, will man doch, und dann rollt man gemeinsam Augen, das ist besser als gar keine Gymnastik.

Aus einem Kiosk riecht es durchdringend nach Zimt und Franzbrötchen und Kaffee, Gemütlichkeit to go, wenn man sich die Kunden aber so ansieht, dann nützt das auch nichts, rein gar nichts nützt das.

Über einen rappelvollen Bahnsteig laufen Menschen mit Warnwesten, die Westen besagen sicher, dass die Träger eine Funktion ausüben, es weiß aber keiner, worum es sich dabei handelt. Sie machen nichts, die Westenträger, sie reden nicht, sie weichen jedem Blickkontakt aus, aber sie sind da und vielleicht ist das ja gut so, man kann auch nicht alles wissen. Der eine Westenträger stemmt die Hände in die Hüften, sieht über die Menge und schüttelt missbilligend den Kopf, aber dafür müsste man nun wirklich keine Weste in Warnfarbe anhaben, um hier alles zu missbilligen, das könnte man auch so, wie ein Profi könnte man das.

Wo sich der Bahnhof zur Stadt hin öffnet, da sieht man halb abgerissene Hochhäuser, wie im Krieg sehen die aus, nein, eher wie nach dem Krieg, Fassaden mit blinden Fenstern, freistehende Wände, daneben die Bagger. Und überall rote Signallichter, kreischende Züge und S-Bahnen.

Wenn man aber hochsieht, dann sieht man im morgengrauen Himmel lichte Möwen, die fliegen in geschmeidiger Eleganz schönste Kurven in den Werktagshimmel und sehen unbändig frei wie immer aus und ab und zu lachen sie laut, grelle Häme aus der Luft. Wobei sie gar nichts zu lachen haben, denke ich mir, denn später essen sie hektisch und gierend verschimmelten Döner aus einem aufgerissenen Abfallsack neben der Methadonausgabestelle, da rettet das weiße Outfit irgendwie auch nichts mehr. Aber diese Kurven da oben – schon schön!

Davon abgesehen war ich den ganzen Tag vollkommen grundlos und geradezu befremdlich gut gelaunt. Ich beobachte mich voller Skepsis, versteht sich. Überall dranbleiben, auch an Merkwürdigkeiten, quasi Chronistenpflicht.

Eben gerade, es ist mittlerweile ein stockdusterer Novemberabend geworden, meldet die Herzdame per Handy, dass ihre Bahn nach Hause nicht fährt, ganz lapidar steht da “Leiche im Gleisbett”. Und augenblicklich geht es einem noch gold.

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte. 

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Nur als Furioso nichts erstreben

“Sie haben die Energie für dieses Jahr verbraucht und leben nun mit gedrosselter Geschwindigkeit weiter.” So in etwa die Anzeige auf dem Display vor meinem inneren Auge. Ich schließe mich der neulich bereits verlinkten Kiki an, ich gebe auch der Kaltmamsell recht, die neulich hier in einem Kommentar “Windmühlen einfach mal stehenlassen” als Lebensziel pries, ich halte mich ferner an den ollen Fontane:

Nur als Furioso nichts erstreben

Und fechten, bis der Säbel bricht,

Es muß sich dir von selber geben –

Man hat es oder hat es nicht.

[…]

Und was man da so alles nicht hat, nicht wahr. Wir können uns das übrigens auch vorsingen lassen, dann muss man sich nicht einmal um ein Buch bemühen oder googeln, gucken Sie mal hier.

Ich war drei Abende nacheinander aus, und das sollte ich nicht machen. Obwohl jeder Abend richtig und sinnvoll und auch gelungen war, das kostet mich zuviel Energie, das sind mir zu viele  Eindrücke. Die Dosis macht das Gift und am vierten Abend dann ein Gefühl wie abgeschaltet, bewegungslos vor der Tastatur, Wand anstarren und Testbildvisionen. Unangenehm.

Apropos vor der Tastatur. Sohn II, der ja auch vom Schreiben befallen ist, hat mir gestern kurz und bündig erklärt, warum er schreibt, es ist im Grunde eine so gelungene Zusammenfassung, die spart einem ellenlange Essays und Motivationsanalysen, ich darf hier zitieren: “Schreiben ist eine ruhige Beschäftigung, man muss keinen Aufwand treiben und in keinen Verein eintreten und nicht rausgehen, außerdem geht es auch abends.”

Bitte sehr, da ist alles drin, das nehmen wir so, Grundlage der Weltliteratur.

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Im Vorübergehen gehört, es klingt wie ein Scherz, aber so ist es hier um mich herum, seit mehr und mehr Consultants um die Ecke arbeiten:

“Und dann mache ich noch etwas next level on top.” 

“Oh, toll.”

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Ich lese gerade Joan Didions “Das Jahr des magischen Denkens”, übersetzt von Antje Rávic Strubel, das ist wahrlich ein Novemberbuch, es geht um Tod und Verlust und um ihre Art, damit umzugehen.

Am Dienstagabend, den Zusammenhang stelle ich erst in paar Sätzen her, Moment bitte, war ich in einem Theaterstück, das wurde aufgeführt von einer 12. Klasse, es war der Klassiker “Die Mausefalle”. Der Sohn einer befreundeten Mutter spielte mit  und war in seiner Rolle übrigens der vergnügliche Lichtblick der Woche, aber das nur nebenbei. Ich mag Schultheater, ich mag das Unperfekte und die Leidenschaft, das durchbrechende Talent oder auch das stoische Durchspielen. Ich mag auch den Einsatz geringer Mittel, um Bühnenbild und Kostüme herzustellen. Meistens ist ja doch mindestens ein Mensch auf der Bühne, bei dem man unwillkürlich so etwas wie “Oha!” denkt, und auch “Der kann es aber wirklich!” oder auch die, versteht sich. Das war in diesem Fall ein junger Mann aus Syrien, der da auf die Bühne kam, zwei Schritte tat und sofort so etwas von da war, sofort den Saal hatte – das ist eine große Freude, so etwas zu sehen. Auf der Bühne alte Sessel und eine Stehlampe, das Mobiliar hätte im Wohnzimmer meiner Großmutter damals stehen können, so überaus vertraut kam mir das vor. Möbel aus den Sechzigern, wenn ich die designgeschichtlich richtig rate.

Ich saß da also im Zuschauerraum und sah diesen Sessel neben einem nur angedeuteten Kamin und unter dieser uralten Stehlampe und ich dachte jedenfalls: “Jetzt so im Sessel sitzen. Mit einem Buch. Das wäre wahnsinnig entspannend.” Das aber ist auch schon magisches Denken, denn natürlich lösen sich Verspannungen aller Art und Probleme en gros nicht durch Sessel und Stehlampen, aber es ist irgendwie doch schön und tröstlich, es wenigstens kurz für möglich zu halten. Therapeutisches Sitzen!

Apropos Probleme. Am Montag war ich in den Niederungen der Lokalpolitik unterwegs, wo ich stets nur Zuschauer bin, da ich mich da nicht auch noch verrennen kann. Es ging auch um Verkehrspolitik, um im Grunde so simple Fragen wie etwa: “Wo soll der Bus fahren?” Das sind Fragen, die in Wahrheit natürlich überhaupt nicht simpel sind, ungeheuer kompliziert sind sie, enorm dicke Bretter stellen sie dar. Es ist das eine, eine andere Verkehrspolitik zu wollen, es ist das andere, sie hundert Meter vor der Haustür umzusetzen. Mir fiel aber wieder etwas auf, das vielen nicht ganz klar ist, vermute ich jedenfalls. Man kann, wenn man denn will, schnell und direkt Einfluss nehmen. Nicht nur durch wildes, zeitraubendes Engagement, auch schon durch Fragen und Anmerkungen, das geht und es findet statt. Man kann auch ziemlich schnell etwas werden, ein Ämtchen oder ein Funktiönchen bekleiden, wenn man das denn möchte, und ich habe oft den Eindruck, dass wirklich nicht allgemein bekannt ist, wie unfassbar leicht das geht. Demokratie ist eine Mitmachgesellschaft, man kann hingehen und anfangen, an so vielen Stellen.

Am Mittwoch war ich auf dem hier im Blog beworbenen Abend der Körber-Stiftung, da ging es um Chancen im Exil, um Möglichkeiten auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Da saßen Experten und Betroffene und diskutierten, es saßen viele Ehrenamtliche im Publikum und obwohl das alles eigentlich gar nicht mein Thema war – es ist doch gut, sich so etwas einmal anzuhören, weil es ein Gefühl dafür vermittelt, dass Probleme in Bearbeitung sind. Das ist ab und zu ganz gesund, denn die Lage da draußen besteht nicht nur aus Nachrichten, zu der Lage da draußen gehören auch Menschen, die unentwegt etwas tun und die geläufig über “Anpassungsqualifizierungsmaßnahmen” sprachen, es war der Running Gag des Abends. Weil man mit solchen Begriffen eben zurecht kommen muss, wenn man sich dem Thema Beruf hier als Ankömmling stellt, es ist natürlich ein Wort, das in seiner Ungeheuerlichkeit schon selbst wie eine Maßnahme wirkt. Die Gäste aus Syrien oder Afghanistan sprachen es hochkonzentriert fehlerfrei aus und der Saal lachte, es ist immer gut, wenn man über sich selber und auch über seine Sprache lachen kann.

Aber auch Geschichten fallen ab, wenn man zu solchen Abenden geht. Eine wurde von Faisal Hamdo erzählt. Als er in seinem Beruf, er ist Physiotherapeut, anfing und noch kein perfektes Deutsch sprach, behandelte er einen alten Mann, der im Gespräch zu weinen anfing und dann entschuldigend sagte: “Ich bin nahe am Wasser gebaut.” Und Faisal Hamdos Reaktion war völlig angemessen auf diese überaus rätselhafte Mittelung, denn was hatte sein Haus am Wasser jetzt bloß mit der Situation zu tun? “Ach, das ist ja schön.”

Womit sich der seltsam gewundene Kreis dieses Eintrags schließt, denn auch das Haus, in dem wir wohnen, wurde nah am Wasser gebaut, und an dem gehe ich jetzt sinnend spazieren und denke über das Vermögen nach, strukturierte Texte zu schreiben. Man hat es oder man hat es nicht.

Egal. Es ist Mitte November, schon drüber, die Not-To-Do-Liste wird täglich länger.

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Langweiliger und stubenhockerischer

Ein Verriss des Mannes ohne Eigenschaften. Man findet ja immer die Verrisse der Werke hilfreich und richtig, an denen man selbst gescheitert ist. Mit Musil jedenfalls bin ich nie weit gekommen und habe auch tatsächlich bei keinem Versuch verstanden, was denn daran so toll sein soll. Meinetwegen kann das Buch dennoch ganz wunderbar sein, nur eben nicht für mich.

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Ich habe die Briefe der Brigitte Reimann an ihre Eltern durch und bringe hier eben noch selbstbezichtigend das folgende Zitat an: “Die neuen Generationen werden immer langweiliger und stubenhockerischer, findet ihr nicht auch?”  So schreibt sie 1967.

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Meine Rede – mit der Hand notieren und am Computer zu Ende texten. Das beste aus beiden Welten.

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Bewundernswert einfach

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Mehr Zeit bleibt mir heute nicht, das kommt davon, wenn man Abendtermine hat. Aber so drei Links und ein Zitat, das ist ja auch wieder mehr als nichts, so unter uns bescheidenen Menschen. Morgen mehr! Na, oder übermorgen.

Ich höre währenddessen den Stechlin von Fontane bis zum bitteren Ende, das im Text schon unmittelbar bevorsteht, nur noch ein paar Leseviertelstunden. Es ist das dritte Mal, dass ich dieses Buch genieße, ein großes Spätwerk und eindeutig ein Roman, der besser wird, je älter man selbst beim Lesen ist. Nie vorher ist mir etwa aufgefallen, dass der Erzähler einmal – und einmal nur! – sich an die Leserinnen wendet und vollkommen unvermittelt sagt, ich zitiere aus dem Gedächtnis, “Die anderen Gäste der Hochzeit waren uns schon bekannt” und man wird da also auf einmal von einem “uns” umarmt, es hebt sich anz seltsam vom Rest der Seiten ab, und wenig Seiten sind das ja nicht gerade. Als würde der Herr Autor kurz rüberwinken, so wird man da also auf einmal geunst. Doch, es ist ein herrlicher Roman.

Alte weiße Männer in freundlichst ironischem Licht betrachtet, man gerät da beim Lesen oder Hören unversehens in so eine verständnisvolle, verzeihende Grundhaltung, es wird einem ganz unzeitgemäß zumute.

Aber freundliche Ironie hat eben, wie wir heute alle wissen, geschichtlich auch weiter nichts genützt.

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Ein blumiger Beitrag

Mein Haupttext steht heute wieder einmal nicht hier, der steht drüben beim Goethe-Institut. Hier bleibt mir nur, das noch musikalisch zu unterfüttern, wozu wir zwei Legenden auf die Bühne bitten: Neil Diamond und Barbara Streisand.

Wobei ich Ihnen aber eine weitere, künstlerisch womöglich anspruchsvollere und auch ernstere Version nicht vorenthalten möchte.

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Rühmkorfs Briefwaage

Ich habe mich heute eigenmächtig von der Truppe, pardon, der Familie entfernt und war endlich im Altonaer Museum, bei „Lass leuchten!”, das war mir doch eine Herzensangelegenheit. Natürlich immer so eine Sache, Ausstellungen zur Literatur, textlastig wie nur was, auch wenn man da heute, Generation Powerpoint, mit Animationen und Projektionen alles belebt und helle erhebt – es bleibt doch Text. Nur Text. Und wenn der Zauber, aus diesem Text Welten und Paradiese werden zu lassen, in der geneigten Besucherin nicht bereits angelegt ist, dann taugt das wohl nichts, nehme ich an. Und es muss ja auch gar nicht für alle taugen. Wie etwa ich mich in einer Ausstellung über Fayencen und Keramik mutmaßlich zu Tode öden würde, während andere da voller Begeisterung von Objekt zu Objekt gieren – das ist ja alles in Ordnung so. Wer aber literarisch angefixt ist, für den ist das mit großer Sicherheit was, und wer Rühmkorf las oder liest, der wird es eh bereits als Pflichtprogramm auf dem Zettel haben.

In einer Vitrine steht dort Rühmkorfs Briefwaage, in einer steht seine Dope-Dose, in einer seine Olympia-Schreibmaschine. Da steht man dann so davor.

 

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Ich hatte einen leisen Verdacht, gerade bei der Briefwaage: Wie die Menschen sinnend da herumstanden, wie sie näher rangingen ans Glas und dann auch das Schildchen daneben studierten, auf dem natürlich “Briefwaage” stand, wie sie schließlich doch wieder einen Schritt zurücktraten und dann abschließend und schon halb im Weitergehen sicherlich dachten: “Nun ja, seine Briefwaage eben”, genau dieser kleine Moment, dieses Situatiönchen nur, das wäre doch etwas für ihn gewesen. So eine Beobachtung am Rande, darüber würde er, ich möchte fast darauf schwören, später am Tag in seiner Mansarde über der Elbe ein paar Zeilen schreiben, wäre er denn noch unter uns.

Und würde er spuken, dann würde er sicher im Museum sein und den Besuchern hier so grinsend über die Schulter, aber jede Wette doch –  da habe ich mich kurz umgedreht.

 

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Was ich also nur kurz sagen wollte, ich mochte die Ausstellung.

Noch einmal mein Lieblingsstück, das muss jetzt einfach so. “Wenn ich mal richtig ich sage, wieviele da wohl noch mitreden können?” Immer wieder gut.

 

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Im Auto im Regen vor einem Container

Ein Blogeintrag mit einem ganz wunderbaren letzten Satz.

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Im Tagebuch aus dem Jahr 1962 stellt Sandor Màrai bei einem Besuch in Hamburg zwar keine Fremdenfeindlichkeit, aber doch eine Fremdengereiztheit fest – wenn der wüsste, was daraus geworden ist. Wie sehr dass mittlerweile als verniedlichender Begriff wirkt, Gereiztheit. Er notiert da außerdem, dass die Gastarbeiter oder deren Nachfahren, so sagte man damals, später zu einem anderen Typ des Europäers werden sollten, unabhängiger von nationalen Konstrukten wie etwa Belgien, Deutschland etc.. Na, was man damals so geträumt hat.

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Im Vorübergehen gehört, ein Mann in einem irritierend nach den Achtzigern aussehenden Business-Outfit am Handy:

“Das kostet dann 500 Euro … das ist Flug und Hotel … ja … das stimmt … eine Luftmatratze irgendwo wäre billiger, ja.”

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Neulich saß ich im Auto im Regen vor einem Container für Gewerbemüll, man kann ja nicht nur glamouröse Momente im Leben haben. Ich saß da und las, was soll man auch sonst machen, wenn man auf etwas warten muss, etwa auf Söhne. Zwischendurch sah ich kurz hoch und mein Blick fiel auf diesen Container. Der war sehr voll, oben quollen schon die prallen Säcke heraus, zwei nasse Plastikwülste, einer rosafarben und einer blau. Und das, so dachte ich, ist auch wieder nur konsequent, das in dieser Gesellschaft mittlerweile sogar schon der Gewerbemüll nach Geschlecht getrennt wird.

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Der Sohn lernt Vokabeln, jede Woche schreiben sie einen Test in Französisch, einen Test in Englisch, da kommt etwas zusammen. Noch komme ich ganz gut mit, das wird sich natürlich irgendwann ändern, besonders im Französischen. Im Englischen war mir aber auch gerade ein Begriff nicht geläufig, nie gehört das: “partially sighted” für sehbehindert. Das kann man sich zwar leicht erschließen, aber ich denke, ich habe das niemals wirklich gelernt oder auch nur bewusst gesehen. Partially sighted, okay, jetzt weiß ich es. Neue Generationen lernen andere Vokabeln, was weiß ich denn, wie wichtig das Wort heute ist, das kann man vielleicht schon mal gebrauchen, denke ich mir. Ich sage also “sehbehindert” und der Sohn schreibt genervt auf, was da aufzuschreiben ist, auch wenn er nicht recht einsieht, warum sie nun ausgerechnet diese Vokabel, wozu denn die nun wieder – aber gut, solche Gespräche führen bekanntlich zu nichts. Schule, Lernen, fertig, manche Sachen ändern sich wohl nie.

Der Sohn also notiert und versteht erst mein Lachen gar nicht, als ich seine Vokabeln korrigiere und sehe, was er da geschrieben hat. Da ist ihm nämlich die Gegenwart dazwischen gekommen, die Gegenwart und der Druck der Werbung, die digitale Welt, das halb abgespeicherte im Unterbewussstsein – sehbehindert hieß bei ihm jedenfalls: “parship sighted.”

Falls Sie mit diesem Portal oder einem ähnlichen irgendwelche Erfahrungen haben – passen Sie bloß auf mit den Sehstörungen.

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Sohn II brach sich währenddessen wieder etwas und wir wissen jetzt, dass man damit beim dritten Mal schon etwas routinierter umgeht. Es tut aber, so sagt er, und ich will es ihm gerne glauben, so weh wie beim ersten Mal.

Schreiben und Reiten kann er jedenfalls ein paar Wochen vergessen, da fühle ich mit ihm. Also beim Schreiben jedenfalls.

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Es gab Kohl

Und zwar, es folgt ein für manche gar finsteres Wort, Rosenkohl. Den esse ich hier gewohnheitsmäßig ganz alleine und drei andere sehen staunend und schaudernd zu, siehe in diesem Zusammenhang auch Leber oder Labskaus.  Rosenkohl also, ein ungemein schmackhaftes Wintergemüse, es wurde diesmal im Ofen zubereitet mit Pecannüssen, Apfel, Zwiebel und Petersilie, und das ist dann so gut, da braucht man keine Beilage und nix, das geht so als Hauptgang durch. Also bei mir jedenfalls.

Es handelte sich um ein Rezept von Oliver Trific aus dem ohnehin guten Buch “USA vegetarisch”, das ist aus der von Katharina Seiser herausgegebenen Reihe, die hier schon öfter vorkam. Ich hatte aus diesem Buch vor einiger Zeit einmal den Butternusskürbis hier präsentiert, der war ebenfalls, pardon, saugut.

Und weil auf Instagram gleich Nachfragen nach dem Rezept kamen, bitte sehr, bitte gleich. Ich verschlanke die Mengenangaben, denn wenn ich das aus dem Handgelenk kann, dann können Sie das auch, echtjetztmal.

 

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Mis en place: Rosenkohl, Zwiebel, Apfel, Petersilie, Pecannusskerne, Salz, Pfeffer, Bratöl.

Sie nehmen also den Rosenkohl, ich hatte da diese supermarktübliche Beutelmenge. Der Kohl wird am Stumpf etwas gekappt, die äußeren Blätter fliegen wie immer in den Kompost. Das von der Mutter gelernte kreuzweise Einritzen des Stumpfes lassen wir hier einmal weg, das kam da nicht vor, es ging auch so. Stark!

Danach schneiden Sie eine Zwiebel in irgendwas, Ringe, Würfel oder was Sie halt so draufhaben, es ist vollkommen egal. Ein Apfel wird entkernt und in Viertel, Achtel oder was auch immer geschnitten, er wird aber vorher bitte nicht geschält. Greifen Sie zweimal in die Tüte mit den Pecannüssen, die Ergebnismenge dann grob hacken.

Pecannüsse gab es hier übrigens nirgendwo, in keinem der Edel- und Fachgeschäfte, ich fand sie dann ganz banal bei Lidl. Nanu.

Der Kohl wird in einer Pfanne mit etwas Öl kräftig angebraten, er darf also ruhig an etlichen Stellen farblich eine ordentliche Veränderung durchmachen, wobei man aber, Achtung bitte, es folgt ein Spitzenwortwitz, auf eine kohlschwarze Verfärbung verzichten sollte. Im Bild oben sieht man deutlich, dass es noch mehr Farbe hätte sein dürfen.

Nebenbei den Ofen auf 210 Grad vorheizen.

Den Rosenkohl aus der Pfanne nehmen, die Zwiebeln dafür hineingeben und anbraten, bis sie heimelig herbstlich aussehen. Die Apfelstücke auch dazu geben und kurz mitbraten. Etwas gehackte Petersilie jetzt auch dazu, bzw. darüber.

Alles in eine ofenfeste Form geben (auch die Nüsse), salzen, pfeffern und vermengen. Im Ofen cirka 25 Minuten oder etwas mehr garen, je nach Rosenkohlgröße, zack, fertig.

Das gibt es jetzt öfter.

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte. 

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Wintergold

Am Ende dieses Beitrags finden Sie Werbung für eine Veranstaltung der Körber-Stiftung in Hamburg. Es geht da um Menschen im Exil, in diesem Fall um Menschen im deutschen Exil. Die andere Variante, Deutsche im Exil wird uns hier thematisch aber vermutlich auch in Kürze begegnen, vorausgesetzt ich bekomme gewisse Terminprobleme in den Griff. Ich weise jedenfalls auch außerhalb des Werbebanners da unten ausdrücklich und gerne auf die Veranstaltungen der Stiftung hin, mich trifft man da demnächst auch wieder als interessierten Zuhörer an. Das hat sich bewährt und ich fand es absolut sinnvoll, mich thematisch auch einmal etwas neben meinen gewohnten Gleisen zu bewegen.

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Kiki blickt zurück. Eine Zeile bei ihr fand sich an diesem Tag auch wörtlich in meinen Notizen, exakt gleich, und ein Zufall ist das nicht, das Jahr war eben für einige anstrengend: “Müde, müde, müde.”

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Ich bin am Sonntag durch Niedersachsen gefahren, wegen Stau auf der Autobahn über Landstraßen durchs Nirgendwo, da kam ich an einem Dorf vorbei, Nartum, bei dessen Ortsschild etwas sachte in meinem Kopf klingelte. Dem folgte aber keine prächtige Assoziation, mit der ich vor der Familie hätte angeben können. Die gab es dann erst, als ich das Schild zum “Haus Kreienhoop” sah, da fiel es mir wieder ein: Der olle Kempowski. Da musste ich doch wieder ernsthaft mit mir selber schimpfen, denn was nützt die ganze Leserei, wenn man sich einfach nichts merkt? Wind von vorne!

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Die Herzdame hat in ihrem Büro einen Vogel gerettet, der sich da irgendwie zwischen den Fenstern verfangen hatte. Es handelte sich, wie sie jetzt nach eingehender Recherche genau weiß, um ein Wintergoldhähnchen, genauer noch um ein Weibchen dieser ausgesprochen hübschen Art. Das war ein sehr, sehr kleiner Vogel, ein Winzling nur, wenn auch kein, haha, Hänfling. Sie hatte das Federbällchen nur kurz in der Hand und trug es dann sofort ins Freie, und schön war und ist jedenfalls, dass sie jetzt immer, wenn man sie an dieses Vögelchen erinnert oder sie aus freien Stücken davon erzählt, die Hände so hält, als sei der Vogel noch darin, als sei da im Schutz ihrer Finger noch so ein ganz, ganz kleines und von ihr zu schützendes Leben verborgen und geborgen und sie kriegt dann ganz große und sehr milde blickende Augen dabei und hebt die Hände beim Reden so hoch, als käme gleich noch ein “Guck mal, guck doch mal” – das dann natürlich aber nicht kommt, denn da ist ja nichts mehr. Aber sie kann jedenfalls immer noch so überzeugend gerührt wirken – also der Vogel ist fast noch da. Ein winziges Wintergoldhähnchenweibchen.

Das also müsste man sein, wenn man mal von ihr so lieblich lächelnd angesehen werden wollte.

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An der Alster kommen mir Eltern entgegen, die schieben einen Buggy und essen beim Reden lässig Rohkostmöhrchen, so wie andere beim Gehen rauchen, und mir fällt wieder ein, wie kurz diese Phase im Leben ist, in der man immer Rohkost dabei hat, weil man den Kindern nun einmal etwas Gutes tun will, in der man aber diese Rohkost auch dauernd gottergeben selbst isst, weil man sie ja nicht wegwerfen will und die Kinder sie nur in sehr geringer Menge konsumieren. Das sind nur zwei, drei Jahre, aufs ganze Leben gerechnet also wirklich nicht so viel. Andererseits sind es zwei, drei enorm vitaminreiche Jahre und statistisch ist es ja so, dass Menschen mit Kindern einen Tick länger leben als die anderen. Ist dieser Zusammenhang eigentlich schon einmal jemandem aufgefallen?

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Ich zitiere aus dem mir sehr sympathischen Tagebuch von Sandor Márai einen hellsichtigen Abschnitt aus dem Jahr 1974 über das damals neue Recycling:

”Abgenutzte Autos, mottenzerfressene Haushaltsmaschinen und verwitterte Rohstoffe werden der Abfallverwertung zugeführt, mit Hilfe geheimnisvoller Vermengungen, Vermischungen und Härtungen zimmert man aus dem Ramsch neue Rohstoffe. Das “Recycling” ist mehr als eine industrielle, technische Gaukelei. Aus den Überresten einer Zivilisation, die unvernünftig Rohstoffe verschwendet und deren Deponien die Atmosphäre vergiften, soll mittels der Verwertung eine neue Zivilisation gemixt werden. Man hofft, dank Ersatz die Verschwendung fortsetzen zu können. Aus zwei abgenutzten Politikern älteren Datums macht man im Recycling einen neuen. Aus mehreren Religionsvarianten entsteht dank des ökumenischen Recyclings eine Synthese. Alte Literaturgattungen werden durcheinandergemischt und die Mixtur als modern verkauft. Sie durchwühlen den Abfall, finden einen abgenutzten Nazi und einen wurmstichigen Kommunisten, mischen die beiden und hängen das Schildchen “Demokrat” daran. “

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte. 

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Trinkgeld Oktober, Ergebnisbericht

Es gab Geld zur ausdrücklichen Verwendung zu zweit, die Herzdame und ich gingen ins Kino. Das haben wir seit dem Kartoffelkrieg nicht mehr gemacht, so treiben einen diese Betreffzeilen in ungewohnte Erfahrungen, das war also sehr gut. Es gab “Gut gegen Nordwind”, das kann man unter “ganz nett” ablegen. Etwas irritierend war der Beginn des Ganzen, denn es standen in der Schlange an der Kasse und im Foyer des Kinos enorm viele fortgeschritten alte Menschen herum, noch viel älter als ich, seniorenheimalt also, steinalt. Da es eine Nachmittagsvorstellung war, wussten wir erst nicht, ob das mittlerweile so üblich ist, gehen Rentnerinnen am Nachmittag in Scharen ins Kino? Nach einer Weile kamen wir erst darauf, dass der andere Film, der, in den wir nicht gingen, diese Generation in Scharen anzog: “Die Deutschstunde”. In diesem Kinosaal wären wir mit Abstand die jüngsten Besucher gewesen.

Vor dem Kino aß ich in einem Caé ein hervorragendes Stück Caramel Cheesecake, das wäre des Nachbackens wert gewesen, aber wir haben kein recht passendes Rezept gefunden und die Herzdame müsste auch erst wieder ein Kleid kaufen, um formvollendet backen zu können. Wir kamen dann davon ab, Aufwand, wohin man sieht.

Die Söhne und ich erwarben außerdem einige Kalligraphiestifte sowie vier Miniaturleinwände für Acrylmalerei, die werden hier aber für Schriftkunstwerke gebraucht.

Bei einem Bummel durch die Stadt, den ich mit den Söhnen einzig zu dem Zweck unternahm, hinter ihnen mit dem Notizbuch in der Hand herzudackeln und weihnachtsbezogen Wünsche mitzuschreiben, die sich bei ihnen in Geschäften noch ganz zwanglos ergeben, bekamen sie Hunger und Durst. Da ich mich mittlerweile weigere, überall Proviant mitzuführen und es aber auch nicht einsehe, irgendwo Irrsinnspreise zu bezahlen, wenn ich in zehn Minuten am eigenen Kühlschrank sein kann, verfielen die Söhne auf die Idee, hoffnungsvoll nach restlichem Leserinnengeld zu fragen. Es gab da tatsächlich noch etwas für sie und so wurde das kindgerecht in enorm ungesunde Wegzehrung umgesetzt, mit koffeinhaltigen Limonaden und allem. Das erzeugte große Dankbarkeit und ich wurde von ihnen fürs Bloggen gelobt, das war auch einmal schön. Dezent schoben sie mich, als wir wieder zuhause waren, gleich an den Schreibtisch.

Das Buch des Monats war “Zeit als Lebenskunst” von Olaf Georg Klein, von wo aus ich eine unerwartete Denkbrücke zu Brigitte Reimann geschlagen fand. Der Herr Klein formuliert da nämlich wie folgt: “Bei der deutschen Wiedervereinigung war der unterschiedliche Umgang mit der Zeit in West und Ost eines der am massivsten auftretenden Konfliktfelder.” Etwas unglücklich formuliert vielleicht, diese massiv auftretenden Felder, aber inhaltlich kann man ja mal drüber nachdenken. Frau Reimann, so nehme ich an, wäre nie auf diesen Gedanken verfallen.

Ich war außerdem im Theater, Weißer Raum im Ernst-Deutsch-Theater. Im Publikum war sicherlich niemand, dem das Stück eine irgendwie neue Drehung beigebogen hätte, man wusste das, man ahnte das, man fürchtete das alles ohnehin. Was es aber bringt, sich in seinen schlimmsten Erwartungen ausführlich bestätigt zu sehen, ich weiß es auch nicht. Zehnte Klassen müssten das Stück sehen, deutschlandweit vermutlich.

Aber! Grandios waren die beiden Gebärdendolmetscher, das Stück wurde live übersetzt und ich sah mit großer Faszination, wie da etwa jemand ein längeres Percussionstück in Gebärden übersetzte, das war beeindruckend und auch schön. Und schön auch, dass beim Schlussapplaus die Schauspielerinnen und Schauspieler wie gewohnt gesamt und einzeln beklatscht wurden, die beiden Dolmetscher aber vom ganzen Saal mit der Applausgeste bedacht wurden, das habe ich noch nie vorher gesehen.

Auf jeden Fall war es ein interessanter Einstieg in die Theatersaison, nächste Woche geht es gleich damit weiter.

Wie immer, ganz herzlichen Dank für jeden eingeworfenen Euro und jeden Cent! In der dunkleren Jahreszeit wird die Verwendung wieder etwas kulturlastiger. Wobei ich immer noch etwas Geld für “Unsinn” über habe, das ist auch noch zu bedenken. Was ist Unsinn im Herbst? Das restliche Gartengeld wartet bis zum März auf seinen Einsatz und zum gentrifizierten Eis bin ich immer noch nicht gekommen, vielleicht kombiniere ich das einfach mit dem Unsinn und esse Mengen davon im November?

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank!

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