Grünmantel von Maurenbrecher

 

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Den folgenden Text wollte ich im Mai schreiben, wenn ich das noch richtig erinnere. Ich kam dann gründlich davon ab und erst jetzt wieder dazu, im Zuge meiner andauernden Aufräumarbeiten, die sich übrigens mittlerweile doch langsam dem Finale nähern. Ich kann dann, darauf freue ich mich jetzt schon, wenn ich endlich alle Rückstände in nahezu sämtlichen Lebensbereichen abgearbeitet habe, final feststellen, dass das unterm Strich auch nichts besser machen wird. Also das nehme ich jedenfalls an, bescheiden wie ich bin, aber ich bin auch wirklich gerne bereit, mich vom Gegenteil überraschen zu lassen. 

Ich muss zwei Anmerkungen vorweg schicken, zum Mann und auch zum Land. Denn erstens kenne ich Manfred Maurenbrecher erfreulicherweise persönlich und bin auf eine schon geradezu unhanseatische Art Fan von ihm und seinen Liedern, was also heißt, wenn Sie ihn live irgendwo mitbekommen können, dann gehen Sie da ruhig hin, das lohnt sich. Der Song hier unter diesem Absatz kam schon zweimal im Blog vor. Das macht aber nichts, ich kann den öfter hören, da ist immerhin etwas von dem drin, wie ich selbst schreiben, bloggen und die Welt sehen möchte. So in etwa möchte ich das wahrnehmen, was vor dem Fenster ist, das Lied bedeutet mir also etwas. Zweitens kenne ich das Land Brandenburg, in dem der Roman Grünmantel spielt, nicht einmal ansatzweise und habe überhaupt Ahnung von der Gegend. Was aber nicht an einer Abneigung gegen östliche Landesteile liegt, wie man heute vielleicht schon eilfertig betonen muss, ich kenne auch Rheinland-Pfalz oder Baden-Württemberg nicht, vom Saarland ganz zu schweigen und überhaupt, ich bin kein Kenner dieser Republik, wirklich nicht. Ich fühle mich im Grunde schon in Hamburg-Rahlstedt eher fremd, meine Unkenntnis Brandenburgs beweist also gar nichts. leiten Sie daraus bitte nichts ab. 

Pardon, erst der Song, dann geht es gleich weiter.

Manfred Maurenbrecher beschreibt in dem schmalen Band das Leben in einem brandenburgischen Dorf, ganz hinten kurz vor Polen liegt es. Wobei er so dicht webt, dass man das Personenregister ganz hinten im Buch gut gebrauchen kann. Ich möchte Autor und Verlag dafür ausdrücklich lobpreisen, denn ich bin ein flüchtiger und unregelmäßiger Leser und weiß das sehr, wirklich sehr zu schätzen, wenn man Orientierungshilfen gibt und wäre äußerst angetan, wenn möglichst alle Romane mit vernünftigen Registern erscheinen würden. Ich habe Kinder und Berufe, ich lese also nicht am Stück und habe nach zwei Tagen mit großer Sicherheit vergessen, wer denn nun wieder die Nebenfigur Klaus aus dem vorigen Kapitel war. Aber mit Register – großartig. 

Der Autor webt also dicht und auf zweihundert Seiten erstaunlich handlungsreich, dabei beschreibt er Figuren, die so unwahrscheinlich sind, dass sie fast schon echt sein müssen. Denn fiktive und auch echte Personen können sich selbst in ihrer Unwahrscheinlichkeit sozusagen umrunden und stehen dann auf einmal glaubwürdig wie nur je ein Max Mustermann vor uns. Was natürlich daran liegt, dass die Wirklichkeit de facto skurriler ist als die von uns permanent hochgerechnete Normalität, was übrigens eine Tatsache ist, die sich jedem erzählenden Menschen sofort erschließt, nehme ich jedenfalls an. Und es gibt Autorinnen und Autoren, die diese Abwegigkeit des Alltags so exakt und nuanciert treffen, dass man sie glaubt und mit den entstandenen Bildern gerne weitermacht – so wie in diesem Buch also stelle ich mir jetzt brandenburgische Dörfer vor, zumindest bis ich selbst einmal dahin fahre.

Leicht abzubilden ist die Skurrilität des Echten dabei ganz und gar nicht, es ist eher schwierig, das so anzupeilen, dass man das Buch nach der Lektüre zuklappt und sich denkt, ja, so in etwa wird es sein. Wenn es zu brüllend komisch ist, dann klappt das nicht, wenn es zu sehr Karikatur ist, dann klappt es nicht, wenn es zu bitter satirisch oder zu niedlich und grinsepitttoresk ist, dann klappt es auch nicht. Es braucht dafür vermutlich einen Erzähler, einen Beobachter, der das mag, was er sieht, und der seinen Figuren, allen seinen Figuren, genug Würde lässt. Ohne Würde werden alle nur zu Abziehbildern, und von denen liest man nicht gerne.

Na, das ist nur meine Sichtweise. Sie können das natürlich ganz anders bewerten. Aber dazu müssten Sie das Buch lesen, was ich sehr empfehlen möchte. Ausgesprochen gerne zweimal gelesen.

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte. 

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Drei Stunden nach Mitternacht

Die Natur ist nicht mehr die zeitlose Bühne, auf der die Zivilisation ihren Fortschritt inszeniert, im Gegenteil: Sie konfrontiert die grenzenlose Welt nun mit deren Endlichkeit.

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Nicole Seifert über das Werk der Sagan, die ich auch sehr schätze.

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Es macht mich traurig, wie dumm wir sind. Kollektiv verhalten wir uns wie ein Schwarm dämlicher Goldfische.” 

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Dicke Bretter bohren

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Das Tagebuch von Renia Spiegel

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Da spricht ja mein Vater!

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Bitte nur noch 5 Minuten

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Was vom Tage übrig bleibt

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Den Fahrer geht das Außen nichts an, er ist nicht mehr von dieser Welt.

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Neulich haben wir Termine nachgerechnet und wieder überlegt, was wann sein kann, und die Herzdame sagte, als sei das ganz selbstverständlich: “Das ist dann also um 27 Uhr.” Was, wenn man etwas länger drüber nachdenkt, gar kein lustiger Versprecher ist, sondern eher ein Symptom.

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Apropos Symptom, mir ist ein Symptom des Älterwerdens aufgefallen. Es hat nichts mit körperlichem Verfall oder irgendwelchen seniorigen Gebrechen zu tun, es geht da eher um Erfahrung und Zeit. Es erfordert recht bedacht auch gar kein bestimmtes Alter, es könnte tatsächlich auch bei Menschen auftreten, die viel jünger viel sind als ich, es war mir bisher einfach nur noch nicht aufgefallen. Um es zu schildern, muss ich etwas tun, was ich bei anderen hasse, nämlich einen Traum erwähnen. Ich weiß nicht recht warum, aber ich kann Schilderungen von Träumen nicht ausstehen, vielleicht ist es noch ein Folgeschaden der damaligen Dallas-Serie, die Älteren verstehen schon. Allerdings geht es auch gar nicht um ein Geschehen, das en detail zu berichten wäre, es geht nur um ein Gefühl. Um das Gefühl nämlich, das man hat, wenn man einen Menschen, den man seit Ewigkeiten nicht gesehen hat, im Traum überraschend wiedersieht und alles ganz außerordentlich gut und erfreulich ist. Also richtig, richtig nett, gesteigert natürlich noch durch den nostalgischen Touch der Begegnung, denn man war sich doch einmal schon nahe, über eine lange Zeit auch, man weiß also im Prinzip sehr gut wie Vertrautheit geht und kann in diesen altbekannten Zustand nach einem kleinen Moment sogar zurückfinden, und dann gehen die Erinnerungen und die Gegenwart ineinander über, das ist ein Gefühlsakkord der besonderen Art. Und weil es schon einmal so vertraut war, so jahrelang geübt und alltagserprobt, ist die Begegnung selbst bei einer eher zahmen, aber doch nicht ganz zu leugnenden erotischen Komponente auch nicht wild und ungestüm, sondern fast schon beruhigend und tröstlich. Es passiert auch eigentlich gar nichts weiter, es erinnert alles nur irgendwie an eine Zeit, die zumindest in einer Hinsicht, nämlich bezogen auf genau diesen Menschen und die Situationen mit ihm, dann doch besser war als heute und im Aufwachen noch kommt kurz der Gedanke, warum das eigentlich nicht so geblieben ist, wo ist man da eigentlich abgebogen und hätte man nicht? 

Das ist dann aber ein Gedanke, der schnell vom plötzlich wieder einsatzbereiten Geist revidiert und korrigiert wird, denn es hätte so ja gar nicht bleiben können, bei aller Verbundenheit nicht, ist dieser andere Mensch da doch schon seit vielen Jahren tot.

Auch das gehört zum Älterwerden also dazu, dass man so aufwacht. 

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Musik! Glenn Close mit “Send in the clowns”, also mit einem der schönsten und bittersten Lieder überhaupt. Ein anbetungswürdiger Auftritt, echtjetztmal. 

 

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte. 

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Die Sache mit dem Brett

Allmählich drängt es, endlich vom Urlaub zu erzählen, bevor der Anblick da draußen ganz ins Herbstliche kippt und mit meinen Sommermomenten niemand mehr etwas anfangen kann. Also mitten rein und einfach mal die Sache mit dem Brett erklärt, es ist eine Geschichte speziell für den Freundeskreis Zufall. 

Exkurs: Mein Verhältnis zum Zufall ist ein seltsames. Ich habe schon mehrfach erzählt, dass die Arbeit damals im Antiquariat für so dermaßen viele hochgradig sinnvolle Zufälle gesorgt hat, es hätte vom Grad der geschickten Verwicklung her gleich für mehrere Fantasy-Romane gereicht, und ich bin mir recht sicher, dass andere Menschen in der Branche dies sofort unterschreiben würden. Gleichwohl ist das Leben gemeinhin kein Fantasy-Roman und alle Schul- und Allgemeinbildung verweist selbstverständlich in ebenso großer wie zweifelsfrei überzeugender Klarheit auf die Tatsache, dass es sinnvolle Zufälle nicht geben kann – oder doch nur im Rahmen der Wahrscheinlichkeitsrechnung, und so groß ist dieser Rahmen nun nicht. 

Dazwischen hängt man dann mit der Summe seiner Jahre und merkt, wie sich in einem Erfahrung und Verstand kopfschüttelnd gegenüber stehen, sie stehen da so herum and agree to disagree. Und da wir manchmal eben doch nur für die Schule und nicht fürs Leben lernen, verbleibe ich für den Moment mit nur einer mir möglichen Erkenntnis zum Thema Zufall – es gibt solche und solche. Oder sagen wir, um es doch lieber etwas zurechnungsfähiger aussehen zu lassen: Es gibt solche, die für Geschichten taugen, und es gibt die anderen, die niemanden interessieren. Exkursende.

Wir haben zu Beginn der Sommerferien den Söhnen einen Wunsch erfüllt und einen Dreierkajak gekauft, zwar nur einen aufblasbaren, den aber doch in guter Qualität. Das ist natürlich auch schon wieder erklärungsbedürftig, merke ich gerade, wieso denn nun ein Dreier für vier Buddenbohms? Es hat sich bei den vorhergehenden Testfahrten ergeben, dass vier Buddenbohms in einem Boot keine gute Idee sind, denn vier Dickköpfe, die steuern und herumkommandieren wollen, das ergibt keine sinnvolle Mannschaft, kein Kapitänspatent und leider auch keine zurückgelegte Strecke. Das gilt bei uns sowieso, wir sind in jeder Kombination zu zweit und zu dritt wirklich gut einsetzbar, wer auch immer mit wem, zu viert aber eher nicht. Es hat uns auch nur ein paar Jahre gekostet, das erstens einzusehen und zweitens auch einigermaßen alltagstauglich umzusetzen, allmählich läuft es immerhin. Daher also die vielleicht seltsam anmutende Idee, ein Dreier würde für uns schon reichen. Einen Dreier kann man auch gut zu zweit fahren, dann hat man mehr Platz für Gepäck und Zuladung, ein Dreier ist natürlich auch billiger als ein Vierer, es gab nichts als Vorteile.

Ich habe diesen Kajak gekauft und nach Hause geschleppt, er ist zusammengefaltet als klobiges Paket so schwer, dass man nach dem Transport wochenlang keine Lust mehr auf Wassersport oder irgendeine andere Bewegungsart hat, aber egal. Wir haben ihn in den Garten verfrachtet und uns darauf gefreut, mit den Kindern spaßige Touren die Bille entlang zu machen. Ja, mach nur einen Plan!

Währenddessen hatten andere Kinder in der Gartenkolonie Stand-Up-Paddle-Boards geschenkt bekommen. Die Söhne waren mit denen auf der Bille und hatten Spaß, nein, sie hatten enorm viel Spaß. So viel Spaß hatten sie mit den Brettern, dass es für sie schon nach wenigen Stunden gar nicht mehr vorstellbar war, auch in einem Kajak Spaß haben zu können. Wie konnten sie denn überhaupt nur jemals so etwas haben wollen? Einen konservativen, total spießigen und oberlangweiligen Kajak, auch noch mit stets rechthabenden Eltern darin, also wirklich, alleine der Gedanke! Was hatte sie bei diesem Wunsch bloß geritten? So ist das, wenn Wünsche durch neue und natürlich viel bessere Wünsche überlagert werden und Vorsicht, wer da jetzt voreilig die Stirn runzelt, denn entweder erinnert man sich an so etwas auch aus der eigenen Kindheit oder man war womöglich nie Kind. Was interessieren mich meine Wünsche von gestern, es soll auch Erwachsene geben, denen das nicht ganz fremd ist, habe ich gehört.

Aber hier galt es natürlich, dem Drängen des Nachwuchses freundlich und bestimmt Einhalt zu gebieten. Das Leben ist kein Wunschkonzert und was es da noch so an großmütterlich anmutenden Sätzen gibt. Diese Sätze hat auf irgendeine Weise jeder in seiner Kindheit erlebt und erlitten. Auch Verzicht und Geduld müssen eben gelernt werden, Erziehung ist mitunter ein äußerst mühsames Geschäft. Die Herzdame und ich verkündeten also ohne lange Bedenkzeit den elterlichen Richterspruch, pädagogisch wertvoll wie ein Schulbuch und in felsenfester Überzeugung ausgedrückt, ganz wie es sein soll ohne jede Verhandlungsbereitschaft: “Nein, wir kaufen kein SUP-Board, ganz sicher nicht, es sei denn, das Geld fällt vom Himmel.”  Denn so ein Board kostete im Sommer immerhin so ziemlich überall dreihundert Euro. Da hört der Spaß finanziell auf, so etwas kauft man nicht einfach so und nebenbei und die Spardosen der Söhne gaben das auch nicht her. “Ich bin ja nicht Krösus”, da ist man schon wieder bei solchen Sätzen, manchmal entkommt man denen über Tage nicht mehr. Die Botschaft fanden die Söhne ganz und gar nicht gut, das kann man sich leicht vorstellen. Ich sah daher allmählich schwarz für unsere lustige Kajakfahrten. Wie vertrackt kann so etwas sein? Immerhin, so dachte ich, wenn die Söhne erst ausgezogen sind, dann können die Herzdame und ich zu zweit und ganz in Ruhe … Na, man hat so Illusionen.

Am nächsten Tag kam ein Brief mit einem unerwarteten Honorar, es waren genau dreihundert Euro. Ich bin froh, dass der Rest der Familie das so bezeugen kann, es waren alle dabei. Man könnte natürlich fragen, wie es so etwas wie ein unerwartetes Honorar überhaupt geben kann, aber das ist eine andere Geschichte. Da kamen also tatsächlich, darauf kommt es nur an, dreihundert überraschende Euros, die wir selbstredend, man soll sich an seine eigenen Verkündungen unbedingt halten, umgehend in ein SUP-Board umgewandelt haben, auf dem die Söhne dann tagelang Spaß hatten. Wobei ihr Spaß übrigens gar nicht darin besteht, auf dem Brett elegant Strecken zurück zu legen. Der Spaß besteht eher darin, mit dem Ding absichtlich zu kentern, wieder aufs Brett zu gleiten und dann wieder runter und noch einmal rauf und dann zu zweit noch einmal, zu dritt, zu viert, wie viele Kinder auch immer gerade da sind. Es macht schon Spaß, ihnen dabei nur zuzusehen.

Später habe ich es dann auch probiert, runter vom Brett und wieder rauf, es sah bei den Kindern so gut aus und einladend aus, das war aber im Ergebnis etwas überraschend. Denn das geht gar nicht leicht, das sieht nur bei kleinen Menschen leicht aus. Wenn man aber ausgewachsen ist und so im Wasser herumschwimmt und dann versucht, auf ein treibendes Brett zu kommen – erinnern Sie sich noch an Antje, das Fernsehwalross? So in etwa. 

Wie ich immer sage, kein Tag ohne Demütigung. 

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte. 

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Hundert fröhliche Kinder

Lang und detailreich über SUV

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Die Tagebücher von Victor Klemperer als Hörspiel

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Währenddessen findet schönster September statt, hier etwa das Katzengold der Herbstsonne auf dem früh gefallenen Laub an der Mauer des Spielplatzes. In echtere und weitere Natur habe ich es in letzter Zeit leider nicht geschafft. 

 

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Abends fährt ein Auto unsere Straße hoch, ein Cabrio, aufgemotzt und frisiert wie sonst etwas. Die Autoposer werden seit Wochen in der Innenstadt immer auffälliger, da fahren jetzt vermehrt auch Ferraris, Maseratis etc. herum, es gibt hier immer wieder Beschleunigungsangebereien in den 30er-Zonen ringsum und vor allem vor dem Hauptbahnhof, wo es schön viele Leute nervt. Dieses durchgestylte Cabrio hier fällt aber vor allem durch laute Musik auf, nicht durch den überstarken Motor. Das ist natürlich nicht irgendeine Anlage, die wurde vermutlich von Profis entwickelt und verbaut und kann wirklich etwas, die kann, wie man hört, etwa ein ganzes Stadtviertel beschallen. Allerdings hört der Fahrer nichts mit viel Bass, Bass, Digger, er hört auch keinen hochgradig versauten Rap oder irgendeine abgefahrene Form des Aggro-Speed-Metals, der Fahrer hört vielmehr in unfassbarer Lautstärke gregorianische Gesänge. Und dabei auch nicht eine der weichgespülten instrumentalisierten Versionen, die man heute auch ab und zu in Hotelfahrstühlen oder auf Spotify-Playlists findet, die irgendwas mit “Chill-” im Titel haben, nein, da läuft der wahre Stoff, das alte Zeug. Und zufällig sehe ich in der Sekunde der Vorbeifahrt gerade aus dem Küchenfenster, sehe Kirchturm und Mond und Wolken und eine eilig vorbei fliegende Krähe in immerhin halber Dunkelheit und höre dazu also einen Choral oder was auch immer das genau war, ich kenne mich da gar nicht aus, aber für eine Sekunde passt das jedenfalls alles unfassbar gut zusammen. Immerhin. 

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Eine kleine Begebenheit noch, geradezu unglaubwürdig gleichnishaft, aber wie ich immer sage, so isse eben, die olle Wirklichkeit, die hat es nicht so mit den Regeln der Ästhetik und des Stils, die haut plump einfach rein und überzeichnet, wie es ihr passt, da sind Karikaturisten gar nichts dagegen. Ich bringe einen Sohn zur Schule, da ist Treffpunkt für die Klassenfahrt. Herumtobende Kinder, Kofferberge, eine kreischende Aufgeregtheit in der Luft, man möchte auf gar keinen Fall Lehrer sein. Dem Sohn fliegt etwas ins Auge, das ist ein natürlich saublöder Zeitpunkt für so etwas. Er hat nun wirklich anderes vor, aber es ist dann doch ein einigermaßen dringliches Vorkommnis, darum müssen wir uns kümmern. Ich sehe nichts im Auge, aber das beweist nichts, weil Nahbereich und Alter. Ich bitte also andere Menschen um Begutachtung, die sehen dann schon etwas, die Beseitigung gelingt ihnen aber nicht, das Ding ist hartnäckig. Das Auge tränt und tränt und wird rot. Ich erkläre, dass dieses auch richtig sei, Tränen spülen so etwas irgendwann raus und schlimm sei das alles ja nicht, spätestens mit einem Wasserhahn sollte man es in den Griff bekommen können, oh Fülle der Lebensweisheit. Das nützt dem Sohn natürlich überhaupt nichts, denn das Auge tränt immer weiter und es ergibt sich dabei dummerweise folgendes Bild – hundert Kinder tollen fröhlich herum und freuen sich auf die Reise, eines sitzt neben seinem Vater am Rand und heult. Das heult in Wahrheit zwar gar nicht, wie ich jederzeit gerne bezeugen kann, das hat nur etwas im Auge, aber jede vorbeigehende erwachsene Person nähert sich mit lebhaften Ausdrücken des Bedauerns und des Mitleids, einige sind dabei auch noch so halb amüsiert, ach Gott, was hat das arme Kerlchen denn? Das Kerlchen wird, wer könnte es nicht verstehen, allmählich immer wütender, das hat ja immerhin auch einen Ruf zu verlieren, aber die Wut sieht man ihm leider auch gleich an und diese Mischung aus Tränen und Wut sieht in der Folge eher noch problematischer aus und es dauert eine Ewigkeit, bis sie endlich alle abfahren und er das Problem dann irgendwann alleine löst. So etwas löst sich ja immer nach einer Weile und ist dann gar keine Erinnerung mehr wert.

Aber auf dieses eindrückliche Bild – hundert fröhliche Kinder, eines heult – wäre ich vermutlich selbst auch reingefallen und ich habe mich zumindest kurz gefragt, wie oft man wohl auf eine ganz ähnliche Art völlig kenntnislos in seiner Einschätzung scheitert. 

Na, man muss es nehmen, wie es kommt, das gilt auch für die banalen Belehrungen aus dem Alltag mit Kindern. 

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Musik! Thelonious Monk.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte. 

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ICE München – Hamburg, abends vor vier Jahren

Ich sehe gerade, ich habe 2016 etwas von alten Notizen geschrieben, die ich noch verbloggen wollte, das habe ich aber vermutlich nie gemacht, ich kann mich zumindest nicht daran erinnern. Und wenn ich es doch gemacht haben sollte, dann macht das auch nichts, das weiß ja schon wieder kein Mensch mehr. Diese Notizen verarbeite ich also jetzt. Sie merken, ich ziehe das Aufräumjahr nach wie vor durch, und wie ich das durchziehe. Auch aus den letzte Ecken der Regale fallen mir dabei noch alte Notizbücher entgegen, halb gefüllt, dreiviertel gefüllt, mit nur einem Satz darin, in allen Varianten. Es sind in diesem Fall Notizen, die vielleicht trotz der verstrichenen Zeit nicht schlecht geworden sind, es geht da um eine Zugfahrt von München nach Hamburg. Das ist eine Zugfahrt, die bei uns ein jährliches Ritual ist, immer nach dem Südtirolurlaub fällt die an, und wie das bei Ritualen und Traditionen so ist, wenn man darüber in dem einen Jahr etwas schreibt, dann ist es drei oder vier Jahre später nicht zwingend ungültig und entwertet, siehe auch Weihnachten, Sie kennen das. In diesem Jahr war das weiter unten erwähnte Bier zur Abwechslung und kraft neuerer Beschlüsse alkoholfrei, das schon – aber sonst? Die Zugfahrten geraten mir in der Erinnerung ohnehin durcheinander wie die Gedanken kurz vorm Wegdösen irgendwo in der Mitte des Landes, während man im ICE an Städten vorbeifährt, die man gar nicht recht kennt, und deren Namen nicht immer so klingen, als sei es überall besser, wo ich nicht bin. Aber was weiß man schon als Durchreisender?

Die Reisenden dämmern langsam weg, jeder auf seine Art. Hände an Wangen, Stirne auf Fäusten, verrutschte Brillen und derangierte Frisuren, sinkenden Zeitungen, Bücher auf Halbmast und auf den Tischen nicht zu Ende gegessene Brötchen, die nach zwei, drei weiteren Stationen allmählich nicht mehr gut aussehen oder sogar auf dem Boden liegen werden. Der Zug wackelt sacht und das Land rauscht in der Dämmerung vorbei, es ist sehr ermüdend. Einer liest Zeitung, einer liest etwas auf dem Handy, eine macht ein Kreuzworträtsel. Einer erstellt eine Powerpointpräsentation über Schlagbohrmaschinenmarketing, das ist wohl sein Beruf und er sieht gar nicht unglücklich dabei aus, denn dem Menschen ist wirklich fast alles möglich. Eine liest einen Krimi, der in Bozen spielt, das sieht man auf dem Titelbild. Eine im Teenageralter guckt etwas auf Youtube, lacht sich bemüht leise kaputt und sieht ab und zu auf die Eltern, die ihr gegenüber sitzen und sie die ganze Zeit todernst ansehen. Zwei Kleine gucken Bernard und Bianca auf einem Tablet. Einer hört Element of Crime über Handy und Kopfhörer und schreibt dabei einen Blogeintrag mit Kuli in ein Notizbuch, und das geht auch. 

Element of Crime schrammeln von Kaffee und Karin und der Zug schaukelt im Takt oder doch immerhin fast im Takt, das ist eine der kleinen Freuden. Draußen wird es dunkler und die Landschaft wird flacher, im Waggon wird es kälter. Die Klimaaanlage hat da wohl etwas nachzuholen, sie ist vehement bemüht und hier und da werden Strickjacken und Pullover herausgekramt. Im Speisewagen ist es noch viel wärmer und es riecht nach Kantinengulasch, am Tresen im SB-Bereich trinken Männer mit Köfferchen neben sich Bier. Die reisen beruflich und machen mit der weiblichen Servicekraft Witzchen, die nicht zünden. “Komm mit mir woanders hin”, singt Sven Regener und ich nehme das Bier mit zum Platz.

Der Zug hält und die Reisenden wachen halb auf, strecken sich, ändern knurrend die Lage und beobachten schläfrig, wie sich die Zugestiegenen auf die letzten freien Plätze verteilen. Der Zug rollt wieder an, Hochhäuser, dann Landschaft, irgendeine Landschaft, man sieht schon gar nicht mehr hin, dann ein Tunnel und die Augen fallen auch wieder zu, das Land ist weg und alles rollt vorbei, wie in meinem Lieblingsgedicht von Heine, das Geld und die Welt und die Zeiten, und Glauben und Lieb und Treu. Die beiden Kleinen schlafen jetzt auch, Kopf an Kopf, während doch Bernard und Bianca auf dem Bildschirm noch in wilder Aktion sind, der Tag war sicher anstrengend. 

Der Zugbegleiter geht lächelnd durch den ruhigen Zug und besieht sich die Schlafenden wie ein freundlicher Herbergsvater. Vielleicht mag auch er seinen Job, das kann ja sein, thank you for travelling, das muss ja nicht immer nur als Scherz taugen.”

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Vierzig Jahre später

Der Hauptteil steht heute gar nicht hier, der steht drüben beim Goethe-Institut, wo es eine neue Kolumne von mir gibt: Alles tanzt.

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Die Riffreporter über Sinn und Unsinn von Blühstreifen

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Himmelschreiende Hilflosigkeit

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Aufgebockte Häuser – Architektur und der Klimawandel

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Auf die nebenbei gestellte Frage, auf welchem Kontinent wir denn gerade herumlaufen, sagte der angesprochene Sohn, der sei jedenfalls nach einer Geliebten von Zeus benannt und ich könne ja mal selbst überlegen, was da alles in Betracht käme und ob eigentlich nur einer. Ich habe das Gefühl, ich muss das Niveau der Nebenbeifragen allmählich deutlich anpassen. 

Währenddessen eskaliert das Lernen mit den Söhnen so vor sich hin, ich fand es am Donnerstag fast schade, dass ich die Französischarbeit nicht selbst schreiben konnte – dabei war ich doch so gut! So läuft das also mit der Lernmotivation, man muss nur vierzig Jahre abwarten, dann kommt sie wie von selbst. 

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Musik! Wes Montgomery.

 

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Irgendwo anheuern

Täglich bis zu einer Tonne Ernte – ein etwas größerer Dachgarten

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In einer Gesellschaft, in der Markt und Wettbewerb als Lösung fast aller Probleme favorisiert werden, muss man für den Erhalt und den Ausbau solidarischer Institutionen kämpfen.” Ein Artikel über Stressmanagement, was ist das für ein fürchterliches Wort. Ein Stress- und ein Parkraummanager kommen in eine Bar …

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Der Faschismus hat keinen moderaten Flügel. Haben schon alle verlinkt, macht aber nix.

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Ich habe mir weiter Daudets “Briefe aus meiner Mühle” vorlesen lassen, aber das Buch entfernte sich langsam von mir, da es draußen mit dem September über Nacht kühler und sogar etwas regnerisch geworden ist, es im Text aber weiterhin heiß und sonnig glühend blieb. Na egal, ich höre das jetzt zu Ende und suche mir danach vielleicht etwas, das besser zu diesem Monat passt. Ich habe so die Vermutung, es wird ein Hörbuchherbst, warum auch nicht, das hatte ich noch nie. Und im November, im November passt dann auch wieder der Anfang von Moby Dick, darauf freue ich mich schon. Der Anfang ist sensationell, was für ein Einstieg, denn lasse ich mir dann gleich mehrfach vorlesen. Zumal ich hier ja in einer besonders angenehmen Lage bin, denn ich kann mir diesen Anfang vorlesen lassen und direkt danach mal eben runter zum Hafen gehen, das ist sehr, sehr gut und stimmig. Und ungefährlich ist es auch, man kann heute vermutlich gar nicht mehr mal eben irgendwo anheuern, man kann nur lässig auf eine Hafenfähre springen und vielleicht noch La Paloma pfeifen. 

Zuerst aber kommt noch eben Alexander von Humboldt, habe ich gerade beschlossen, mit seinen Ansichten der Natur (gelesen von Wolfgang Bütttner), da kann man sich Südamerika vorstellen, wie es nicht brennt. Das Problem dabei ist, man bekommt wahnsinnig Lust auf Natur und Gegend und Landschaft, muss also rausgehen. Gut und schön, aber wann?

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Musik! Die Piaf in toller Qualität. L’amour, ganz wichtiges Wort, das hatte der Sohn noch gar nicht, glaube ich. Aber récréation kam schon vor, da sind wir dann schon wieder bem Stressmanagement. 

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Hör mal, hör mal

Ich lerne gerade erhebliche Mengen Vokabeln, also eigentlich nicht ich, eher die Söhne, mein Lernen ist da nur ein Nebenbeigewinn. Ich frage ab und sage vor und schreibe auf und lasse buchstabieren und bilde lustige Beispielsätze, was man eben so macht. Dauernd fallen mir dabei zu allen möglichen Vokabeln Songs ein, in denen das zu lernende Wort im Refrain oder sonstwie prominent vorkommt, und dann kennen die Kinder den Song natürlich nicht, weil der wieder von Dean Martin oder von Jacques Brel oder so ist. Dann spiele ich ihnen den Song vor und sage “Hör mal, hör mal, da kommt es, jetzt, hörst du?”, und die Söhne gucken mich groß an und sagen ratlos: “Na und?”

Da steht man dann mit seinen musikalischen Erinnerungen und sharing ist gar nicht immer caring.

Comment soll der Junge lernen, also das französische comment, nicht das englische, comment wie in „Comment te dire adieu“ sage ich sofort und da guckt er schon wieder so. Schlimm.

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Hier ein Gespräch mit Thomas Bauer (Audio), dessen Buch über den Verlust der Mehrdeutigkeit ich mit großem Interesse gelesen und erhellend gefunden habe, es waren einige wirklich originelle Gedanken darin, fand ich. Ich habe dieses Interview auf der Autobahn zwischen Nordostwestfalen und Hamburg gehört, weswegen der  Rest der Familie unfreiwillig ebenfalls zuhören musste; ich habe aber nach all den Jahren mit Leo Lausemaus und Konsorten auch ein gewisse Bedürfnis nach Revanche, das gebe ich gerne zu. In dem Interview wird irgendwann die Würde des Menschen erwähnt, wozu es von der Rückbank den Kommentar “Ah, Artikel 1” gab, woraus ich zufrieden schließe, dass die Söhne in den Schulen also tatsächlich etwas lernen. Schön!

Kurz darauf sind dann alle im Auto eingeschlafen. Also alle außer mir.

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Ein langer Artikel über Plastik im Boden und im Salat und überhaupt. Am Wochenende haben wir zufällig im Heimatdorf der Herzame gesehen, was für eine Plastikorgie ein Bauernhof heute sein kann, das Zeug wird da in so krassen Mengen eingesetzt, man kann seine Bilderbuchvorstellung vom Land unmöglich noch im Kopf behalten. Aber wenn Sie jetzt in einen Buchladen gehen und sich die Bilderbücher dort ansehen, da werden immer noch drei freilaufende Hühner von der rotbäckigen Bäuerin mit der Hand gefüttert und das herrlich dreckige Schwein strahlt durch den heimeligen Holzzaun und die taufrisch geerntete Karotte wird sanft in den Korb aus Weidengeflecht gebettet und per Kutsche oder immerhin Oldtimer-Traktor von dem Bauern mit dem lustigen Strohhut auf dem Kopf gemütlich in Ihren Edeka gefahren, es ist allerliebst. Man liest das kleinen Kindern an der Bettkante vor und zeigt die gefälligen Illustrationen und  leistet damit seinen Beitrag zum Erhalt des Systems, denn es ist ja alles gut, und wie gut das ist. Guck, das niedliche Kälbchen, guck, die goldenen Strohballen, sag, wie macht der Hahn? Und wenn er dann Kikeriki macht, dann können wir schon Bauernhof, hurra. Es ist eine so festgefahrene und für die Ewigkeit aufgeschriebene Kollektivlüge, sie ist unbedingt zu hinterfragen, und wenn man das nur lange genug tut, dann kommt man vermutlich darauf, dass es die schlicht auch deswegen gibt, damit wir sie selbst immer weiter an schöne Bilder glauben können. Vielleicht ist das sogar der Hauptzweck und diese Bilderbücher retten uns somit immer wieder das nächste Schnitzelchen.

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Der Obstanbau im Alten Land und der Klimawandel.

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Irland und der Klimawandel.

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Über autofreie Straßen, Stadtviertel, Innenstädte. In der Hamburger Innenstadt gibt es jetzt auch ein autofreies Sträßchen, das sehe ich mir demnächst mal an. Und in Ottensen geht auch etwas los, sogar ein paar Straßen mehr, und da war ich ohnehin schon lange nicht mehr.

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Aber wie willst Du den Leuten erklären, dass man auf unserem Planeten nicht mehr wird leben können? Das kann man sich eben nicht vorstellen. Und deswegen ist es so schwer den Menschen die Konsequenzen begreifbar zu machen.”

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Und manche halten es nicht mehr aus. Ich finde das verständlich. Und hoffe sehr, die Pause hört auch wieder auf. Denn eine Pause ist ja kein Ende.

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Musik! September! Da haben wir doch so eine Tradition, die Älteren erinnern sich.

Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank!