Ich glaube, es war gutes Wetter

Kodachrome

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Wie die steigenden Meere im Alltag ankommen, hier am Beispiel meiner Heimatgegend.Man bereitet sich so langsam vor, die ersten können nachsehen, wann ihre Dörfer weg sind.

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Zwischendurch ein besonderer Dank an die Leserin S.Z., aus Gründen und für Sie wissen schon. Ich freue mich.

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Und mehr Zeit ist heute nicht, war heute nicht, wie auch immer. Im Büro gewesen, Kind von A nach B gebracht, aufs Kind gewartet, dabei brav an Texten gearbeitet, die aber nicht fürs Blog waren, Kind wieder von B nach A gebracht, zack, Tag vorbei, nein, gleich noch eine Kolumne abschicken! Ich glaube, es war gutes Wetter, aber egal, der Tag war untertunnelt. Ich glaube, ich kann schon wieder Urlaub gebrauchen. Ich glaube, ich finde den Zugriff des Alltags geradezu empörend belästigend.

Aber! Es gibt auch etwas, das schön ist. Und zwar sitze ich hier gerade im Wohnzimmer, nicht an meinem gewohnten Schreibtisch, denn im Wohnzimmer ist mehr Ruhe, also zumindest nachdem ich alle anderen hinausgeworfen habe. Vor mir stehen drei bunte Tulpen, das Zeichen des Tages. Das Notebook liegt auf dem Esstisch und wenn ich hier eine Taste antippe, dann vibriert links neben mir ein metallener Kerzenständer, eher eine Kerzenschale, die da auch auf dem Tisch steht. Und dieses fein klappernde Geräusch gibt jedem Tastenanschlag so ein würdevolles Vintage-Feeling, als würde ich hier an einem altertümlichen Gerät wichtige Texte morsen oder als hätte ich wenigstens eine Steampunk-Tastatur, es klingt so, als sei jeder Buchstabe auf eine irgendwie nicht digitale Art bedeutend stop. Das ist zwar grob irreführend, aber doch sehr nett. Es sind die kleinen Dinge, ich sage es ja.

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Musik!

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Das Leben ist kein Tanzlokal

In hundert Jahren ist alles weg.

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Apropos hundert Jahre und alles weg, kennen Sie die obige Zeile auch aus Ihrer Kindheit? Heile, heile Mausespeck? Meine Mutter hat das gesungen, meine Großmütter, die Großtanten und Tanten, alle. Ein seltsamer Text, aber die Melodie war irgendwie beruhigend, ein wiegender Rhythmus. Und ich habe erst vor ein paar Jahren mitbekommen, dass dazu ein ganzes Lied mit mehreren Strophen gehört, den Text dieser Strophen kannte ich nicht. Es gibt auf Youtube eine Aufnahme von Ernst Neger, 1967, da sieht man dem Publikum an, dass nichts je wieder gut geworden ist. Nicht in Mainz und nicht anderswo.

 

“Und denk dein ganzes Leben lang

ans Lied, das dir die Mutter sang”

Das immerhin hat also geklappt, quod erat demonstrandum. Ich glaube allerdings, unsere Söhne kennen die Zeilen nicht.

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Frau Beck über Schottland. Ich weiß noch, wie ich einmal vor vielen Jahren in Schottland bei einer Familie zu Gast war, in Glasgow. Der Hausherr, der ein wenig Deutsch konnte, holte abends einen Gedichtband von Manesse aus dem Regal und zitierte in hochdramatischer Stimmlage und mit weit ausholenden Gesten Balladen von Goethe und Schiller, in der sicheren Annahme, dies müsse die deutschen Gäste ungemein erfreuen. “Bedecke deinen Himmel, Zeus!” Das war eine Form der Gastfreundschaft, die war uns vollkommen unbekannt. Später am Abend kam ein Nachbar dieser Familie dazu, er brachte sein Akkordeon mit und spielte und sang schottische Lieder, einfach so, er hatte gehört, dass Gäste aus Deutschland da seien. Wer konnte, sang selbstverständlich mit. Das war sehr schön und ungeheuer fremd und es war auch so, dass ich noch Jahrzehnte später, längst lebt der Mann mit dem Balladenbuch nicht mehr, immer noch denke, nach Schottland könnte ich ja auch einmal wieder.

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Ich kenne mich kaum.

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Beim Einkaufen im Discounter eine Szene, wie ich sie eher bei Frau Novemberregen erwarten würde. Und zwar stehe ich da in einer Kassenschlange, als mir einfällt, dass ich etwas vergessen habe. Ich schere also wieder aus und gehe zu den Regalen zurück, was normalerweise natürlich blöd ist. Heute aber gerade nicht, denn ich denke da auf etwas herum und es passt mir daher seltsam gut, in Kassenschlangen zu stehen und nichts weiter zu tun zu haben, gerne auch länger. Man kommt ja sonst nie zum Denken, wo auch. Ich hole also, was ich vergessen hatte, ich gehe zurück zur Kasse und stelle mich hinten an, was weiter vorne aber für erheblichen Unmut sorgt, denn man hat mir einen Platz freigehalten, eine für Hamburger Verhältnisse höchst ungewöhnlich Verhaltensweise mit der wirklich niemand rechnen kann. Ich lehne freundlich ab, nein danke, ich bleibe lieber hier hinten, ich habe ja Zeit, fast hätte ich gesagt: “Ich möchte hier einfach nur stehen.” Weiter große Unzufriedenhheit auf den vorderen Plätzen, also wirklich, da hält man schon mal frei und dann kommt der Kerl nicht, wo gibt es denn so etwas. Bleibt der da stehen! Man zeigt anklagend auf die einladend klaffende Lücke zwischen den Warentrennstäben auf dem Kassenlaufband, auf diese Lücke, diese entsetzliche Lücke. In die ich partout nicht will, mit meinem Toastbrot und den Eiern.

”Also sowas”, höre ich und dann noch den Satz, der das alles vermutlich erklärt, nämlich was man darf und kann und was nicht: “Sie können doch nicht einfach Zeit haben!”

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Musik. Ich muss es gar nicht immer bei einem Clip belassen, fällt mir ein, zwei können auch interessant sein, besonders wenn dazwischen eine Geschichte liegt. Im ersten Clips eines der vermutlich pornösesten Duette, die jemals aufgenommen worden sind, Rita Coolidge und Kris Kristofferson, verliebt wie sonst etwas. “I don’t wanna sleep alone” singen sie und “DAS SEHEN WIR!” möchte man antworten. Im zweiten Clip wieder die beiden, kurz vor dem Ende ihrer Ehe, dazwischen liegt der vermutlich ungeschriebene Beziehungsroman.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Tägliche Zeichen

Freitag: Es weht ein böiger Südwest und es regnet, die Jacken werden wieder geschlossen, die Schals werden wieder enger gebunden. Der Wind treibt einen leeren Kinderwagen quer über den Spielplatz und verblüffend schnell auf einen Baum zu, Eltern laufen mit dem Kind auf dem Arm hinterher. Das Hoffnungszeichen des Tages muss ich heute etwas länger suchen, ich finde es erst in der S-Bahn: Die Frau neben mir liest Wedekinds “Frühlings Erwachen”, das lasse ich durchgehen. Mit etwas gutem Willen haben wir fast Mitte Februar, es müssen jetzt einfach täglich Zeichen zu finden sein.

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Gestern habe ich hinterm Bahnhof Leute in gelben Westen gesehen, die marschierten da längs und haben etwas im Chor gerufen, was ich aufgrund der Entfernung nicht verstanden habe, es schien auch alles etwas durcheinander zu gehen. Haben wir also Gelbwestenproteste in Hamburg? Das ist mir entgangen. In den Medien steht dazu nichts, die Straße war für eine Demo auch eher abseitig, es war keine Polizei dabei, was war denn das? Nicht nur ich, noch mehr Passanten drehten sich um und blieben verwundert stehen, Fragezeichen im Blick, wie bitte? Wenn man schon protestiert, dann doch bitte allgemein verständlich. Mit verständlichen Sprechchören und eingängigen Parolen, mit großen und gut lesbar beschrifteten Pappplakaten oder vernünftig hoch gehaltenen Bettlaken und Polizei vorweg und so, wie es sich gehört. Also wirklich.

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Ein freundlicher Hinweis, Geschichten und Gedichte zu lernen.

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Das Blog schwächelt technisch, groteske Ladezeiten, da stimmt etwas nicht. Ich arbeite daran. Also ich habe eine Mail an jemanden geschrieben, der sich damit hervorragend auskennt und hoffe so vor mich hin, meine ich.

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Musik! Song for whoever. Noch so ein Ding von damals. Und falls sich auch von diesen Herren einer in den letzten dreißig Jahren politisch oder sonstwie falsch verhalten hat, es entzieht sich leider komplett meiner Kenntnis.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Komm, Kasper!

Fünf Bücher leben wieder.

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Und heute ist einer dieser Tage

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Bei der GLS Bank habe ich etwas über das Rad im Winter geschrieben und zusammengestellt.

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Ein Beitrag geteilt von Deutschlandfunk Kultur (@dlfkultur) am

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Ich finde die in vielen Blogs beantworteten 1.000 Fragen oft eher nicht so interessant, sei denn, die Kaltmamsell beantwortet sie mit kalter Präzision.

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Alle mit dabei. Ich bin ja nicht der einzige Mensch, der über Hamburger S-Bahnen schreibt.

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Im Vorbeigehen gehört: Eine Frau beschreibt einer anderen einen Mann mit den Worten: “Er ist mehr so der Chillo.” Man sieht ihn förmlich vor sich, wie er da irgendwo entspannt herumhängt.

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Im Hauptbahnhof kommt mir am Morgen eine schwankende Dame entgegen, die ist vermutlich nicht betrunken, die ist vermutlich nur unfassbar müde. Sie sieht nach einem Alter aus, in dem viele Menschen nicht mehr arbeiten, diese Dame aber doch noch. Sie sieht so aus, dass gewisse Boulevardzeitungen sie bei einem pressetauglichen Vorkommnis reflexmäßig als Oma beschreiben würden, in diesem Fall vermutlich als Sicherheitsoma, denn sie trägt die Uniform eines privaten Sicherheitsdienstes und kommt, das kann man sich leicht zusammenreimen, gerade von der Arbeit, von der Nachtschicht. Und sie ist so müde, dass man es auf zwanzig Meter Entfernung schon sieht, sie ist so unfassbar bleiern müde, dass man selbst diesen unendlich schweren Zustand geradezu körperlich spürt, wenn man sie ansieht. Sie ist so redlich müde, dass man ihr unbedingt ein baldiges Bett und angenehme Träume gönnen möchte. Sie gähnt und ihr gänzlich unverstecktes Gähnen auf der letzten Rille wirkt so dermaßen ansteckend, das setzt sich durch den ganzen Bahnhof fort und noch weiter in die Züge, es wirkt vielleicht immer noch quer durch Hamburg, auch jetzt noch, mehr als zwölf Stunden später. So ein Gähnen war das.

Ich hatte bis vor einiger Zeit einen Nachbarn, der arbeitete auch als Rentner bei einem Sicherheitsdienst und schob da Nachtschichten. Er hatte immer einen großen schwarzen Hund dabei, der ging mit ihm die ganze Nacht Patrouille. Der Hund hieß Kasper und war so unlustig, wie man sich berufstätige Hunde nur vorstellen kann, dieser Hund meinte alles ernst. Der Hund war dann irgendwann weg, der Nachbar ist bald darauf gestorben. Die Söhne hatten immer etwas Angst vor den beiden. Er war ein Mann, der fast nie gesprochen hat, dieser Nachbar, nie mehr als: “Komm, Kasper!”

In der S-Bahn am Morgen hustet eine ältere Dame ihre Lunge in ein Taschentuch, und zwar tut sie das in einer Intensität, dass etliche Umstehende einigermaßen verzweifelt woanders hinsehen. Das hilft allerdings nur begrenzt, denn dicht neben der älteren Dame mit dem Bröckchenhusten sitzt eine Grundschülerin, die mit entsetzlicher Gelassenheit einen Wackelzahn im Mund hin- und herklappt, sicherlich damit er sich endlich ganz löse. Mir geht es wie vielen Reisenden, wie der Hamburger Verkehrsverbund uns Menschen in den S- und U-Bahnen und Bussen hartnäckig nennt, obwohl wir nur Stadtteile wechseln und von Reisen höchstens träumen, mir geht es wie den anderen, wollte ich sagen, mir menschelt es in diesem Waggon entschieden zu viel und ich freue mich endlich doch einmal, in Hammerbrook schon wieder auszusteigen zu dürfen. Auch mal schön!

In der S-Bahn am Nachmittag, zurück von der Arbeit, sitzt mir ein Rentnerpaar gegenüber, sie sieht etwas auf dem Handy nach, liest und sagt dann zu ihrem Mann: “Also hiernach ist Labskaus jedenfalls keine Vorspeise.” An dieser Stelle grüße ich ausdrücklich alle Touristen, die sich etwas trauen und sich einlassen, und sei es nur auf Labskaus. Nur Mut!

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Musik! Holding back the years. Die Älteren erinnern sich.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Drei Stunden anders

Gestern habe ich noch Scherze über den Frühling gemacht, heute ist er dann unvermittelt tatsächlich da. Genau drei Stunden lang schlendert er durch die Stadt und sieht sich mal unverbindlich um, späterer Einzug nicht ausgeschlossen. Zehn Grad hat er dabei, das ist doch was, und ein Licht und eine Luft auf einmal, da gucken sich alle Menschen so um und machen die dicken Winterjacken auf und reißen sich die Schals vom Hals und die Mützen vom Kopf und strecken sich und merken, dass etwas anders ist. Und erinnern sich plötzlich vage an Nettigkeiten und bessere Zeiten und der Blumenstand an der Straße verkauft heute deutlich mehr als sonst, wirklich deutlich mehr, hast du die Tulpen gesehen, wie die leuchten.

Im Hauptbahnhof fragt eine große digitale Anzeigenwand, wie viele Autokinos es denn in Deutschland gibt, das ist wohl die Frage zum Frühling, wer weiß. Mindestens zehn Menschen sehe ich, die im Strom der 550.000 Menschen, welche täglich durch den Hauptbahnhof ziehen, genau vor dieser Anzeigentafel stehen bleiben und die Frage auch lesen, die Köpfe teilweise so schräg gelegt und dann ratlos hin und her bewegt , denn das weiß man natürlich nicht, wie viele Autokinos es in Deutschland gibt, woher sollte man das auch wissen, das ist eine typisch sinnlose Quizfrage. Normalerweise müsste die erlösende Antwort ein paar Sekunden später erscheinen, so geht das Spiel doch, aber das tut sie heute einfach mal nicht. Es erscheint erst die Uhrzeit und dann erscheint der Wetterbericht und dann eine Werbung und dann die Nachrichten mit dem Brexit, so lange kann ja keiner warten, also wirklich. Die zehn Leute sind längst weg und fahren S- und U-Bahn in Stadtteile mit Doppelhaushälften, Carports und allem und denken jetzt vermutlich den Rest des Tages über die Anzahl der Autokinos nach. Später nerven sie ihre Partnerinnen und Partner mit der Frage oder sie sind Single und murmeln die Frage in einer leeren Küche, googeln das dann endlich am Abend und wer weiß, vielleicht geht wenigstens einer von diesen zehn Leuten noch in diesem Sommer zum ersten Mal tatsächlich in ein Autokino, weil ihn oder sie der Gedanke einfach nicht mehr loslässt, das könnte doch sein, dass da jemand endlich einmal hingeht, so halb ironisch, versteht sich, weil Autokino doch irgendwie seltsam ist. Aber noch bevor der Film auch nur halb vorbei ist, wird in genau diesem Auto selbstverständlich schon heftigst und mit großer Ernsthaftigkeit geknutscht. Und dabei bleibt es auch nicht und wir waren dann also heute ganz am Anfang dieser Geschichte dabei, ist das nicht schön? Herzchenkonfetti regnet herab, Musik mit vielen Streichern, Abblende.

Es sind übrigens zwanzig Autokinos, falls Sie sich das jetzt auch fragen, und keines ist auch nur annähernd in meiner Nähe. Da kann ich ein ganz ruhiges Gewissen haben, in den knapp bemessenen drei Stunden des Hamburger Frühlings heute hätte ich ganz gewiss keines erreicht, was aber nichts macht, denn für Frühlingsgefühle brauche ich mittlerweile sowieso deutlich mehr als drei Stunden und ich kenne mich da zwar nicht aus, aber ich nehme stark an, dass in Autokinos sowieso nur im Sommer Vorführungen stattfinden.

Egal. Morgen wird es schon wieder kälter. Aber schön war es schon. Drei Stunden lang.

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Musik!


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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Was das Ding ist

Sven kuschelt mit Franzbrötchen. Nanu!

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Simone über Musik und die Folgen. Und ein Ja zur Frage im letzten Satz. Was sonst.

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Als die Hölle aufging

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In der U-Bahn sitzt mir ein türkischsprachiges Mädchen gegenüber, Teenager-Alter. Die benutzt eine fürchterliche Phrase, die heute allgemein üblich ist, sie beginnt ihre Sätze dauernd mit “Das Ding ist …”. Allerdings kommen danach bei ihr türkische Satzfortsetzungen, wodurch man als ohnehin unfreiwilliger Zuhörer ohne Türkischkenntnisse nie erfährt, was denn nun das Ding ist und man fragt dann ja nicht nach, nein, das tut man nicht. Sie spricht überhaupt nur Türkisch, wenn man von dem häufigen unvermittelt eingeschobenen “Das Ding ist …” mal absieht. Das Ding ist nämlich, dass sich “Das Ding ist” in ihr Türkisch geschlichen hat, wie das Okay oder das Ciao z.B. ins Deutsche. Und das ist doch tatsächlich ein Ding.

Es sei denn, aber das kommt mir eher unwahrscheinlich vor, Dasdingis wäre ein türkisches Wort. Kann das sein? Nein, es klingt nicht so. Dasdingis klingt, wenn es denn überhaupt ein einziges Wort sein soll, am ehesten wie ein mongolischer Vorname, Dschingis und Dasdingis, das könnte hinkommen. “Dasdingis, bringst du mir bitte noch Milch und Katzenfutter mit?” Na, ich weiß ja nicht.

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Ich war auf einer Lesung von Andreas Moster, er las aus “Wir leben hier, seit wir geboren sind”. Isa hat einmal darüber geschrieben und ja, das ist richtig gut, das wollen Sie also auch lesen.

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Zum phänologischen Kalender: Freundliche drei Grad am Morgen, der Himmel zeigt ein Streifenmuster in attraktivem Graublaurosamix, vor dem Hotel nebenan steht ein rauchender Tourist in kurzen Hosen und offenem Übergangsjäckchen. Es wird.

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Musik! Sophie Hunger.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Zwieback in Milch

I’m going to write about monsters.

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Im Vorübergehen gehört, vor einem Schaufenster in Eppendorf: “Ja, hier kannste solche Preise erzielen, das ist eben die richtige Lage dafür. Wenn du das bei uns machst, da lachen doch alle. Und wie die lachen.”

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Gerbrand Bakker schreibt in “Jasper und sein Knecht”, dass er seine Bücher eher für sich selbst geschrieben habe, seine Blogeinträge aber für die Leser, was für eine interessante Einteilung. Na, meine Bücher sind aus Blogartikeln entstanden, ich kann da nicht mitreden.

Außerdem erzählt er, dass er einmal auf einem Literaturfestival im Souterrain eines Antiquitätenladens eine Stunde gegen Honorar geschrieben habe, wobei das Geräusch der Tastatur per Lautsprecher als Happening auf die Straße übertragen wurde, während er da vor sich hin tippte und sich von Minute zu Minute immer mehr für Aufgabe begeisterte. Er empfand sich, so schreibt er, während er da saß und öffentlich schrieb, als endlich deckungsgleich mit sich selbst. Und das wiederum kann ich nachvollziehen.

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Apropos Schreiben, bei dieser Neujahrsvorsatzaktion kam auch der Wunsch, ich möge wieder anderes schreiben als nur Blogartikel, und ich nehme das mit den Vorsätzen ja ernst. Damit habe ich also auch begonnen. Keine Ahnung, ob da in diesem Jahr etwas dabei herauskommt, vielleicht dauert es auch zehn Jahre, bis da etwas vorzeigbar ist, bloß keinen Terminstress. Aber hey, der Versuch zählt, finde ich, mehr kann man bei Vorsätzen sowieso nicht verlangen. Ich habe erst einmal drei Wochen darüber nachgedacht, was ich vor zwei Jahren – oder wann das genau war – mit dem Manuskript da eigentlich vorhatte, dann habe ich mich mühsam, viel zu mühsam an das Passwort der Datei erinnert und mit Todesverachtung ein paar der damals geschriebenen Seiten gelesen. So etwas kann sehr, wirklich sehr herausfordernd sein, mir wurde so heiß dabei wie anderen beim Sport. Es gab da eine Stelle, an der bin ich spontan hängengeblieben, mir schien dort etwas zu fehlen, ein mir wichtiges Bild. Dunkel erinnerte ich mich, das schon einmal irgendwo beschrieben zu haben, vermutlich im Blog, wie das bei mir so ist, da landet ja das meiste. Jedenfalls fing ich damit einfach an, mit genau diesem Bild, es ist eines, das ich seit Jahren im Kopf habe und deswegen flott runterschreiben kann, und es lief auch ganz gut, ein leichter und einladender Einstieg. Fast erstaunlich gut lief das sogar. Ich fügte also diesen ungemein wichtigen Absatz ein, las ihn noch einmal durch und fühlte mich gleich viel besser, das ging doch! Das war wie mit dem Fahrradfahren! Tippeditipp! Dann las ich weiter und war etwas überrascht, denn den gleichen, fast den selben Absatz habe ich auch vor zwei Jahren schon geschrieben, der kam direkt zwei Zeilen tiefer. Nicht im Blog, nein, im Text, den ich gerade geöffnet hatte.

Ich will es positiv sehen, es zeigt immerhin, dass ich noch wie vor zwei Jahren schreibe. Ob das Geschriebene nun gut ist oder nicht, egal, es ist immerhin konsistent. Auch was wert!

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Ein Sohn liegt müde neben mir im Bett, streckt sich und ist gerade im Begriff, zur Nachtruhe ins Kinderzimmer zu wanken, sagt mir aber noch, dass er sich gerade so wohl fühle wie Zwieback in Milch. Ist das nicht schön? Für mich klingt das ganz außerordentlich schön und außerdem ziemlich unerreichbar, denn mich so wohl zu fühlen wie Zwieback in Milch, das kriege ich nicht mehr hin, schon lange nicht mehr.

“Darf ich den Satz bloggen?”

“Ja, der war ganz gut, ne?”

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Ich arbeite seit 1987 in der Firma, in der ich immer noch arbeite. Gerade habe ich erfahren, dass wieder einer der Geschäftsführer von damals gestorben ist. Die sind dann jetzt mittlerweile fast alle tot, die alte Garde ist nicht mehr. Es ist heute nicht mehr üblich, so lange in Firmen zu arbeiten, es ist auch nichts wert, aber es hat doch seine interessanten Seiten. Zum Beispiel kann man dann wissen, wie sich ein Mensch, der vor dreißig Jahren einmal eine wichtige Rolle gespielt hat, vielleicht heute noch dezent auswirkt. Manchmal stelle ich mir Organigramme vor, die das berücksichtigen, mit zartgrauen, kaum sichtbaren Linien in die Vergangenheit, dreidimensionale, hochkomplizierte Modelle durch die Zeiten und Ebenen, kaum lesbar, kaum zu deuten.

Es ist ein wenig schade, dass es solche Gebilde nicht gibt.

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Trinkgeld Januar 2019, Ergebnisbericht

Die Herzdame hat die Schuhe bereits hier erwähnt, daran waren Leserinnen maßgeblich beteiligt. Ansonsten ist nicht viel passiert, das liegt am etwas ereignisarmen Wintermonat und auch daran, dass fast alles, was ich unternommen habe, in diesem Monat nichts gekostet hat. Das ist ja auch mal nett, dann bleibt mehr für die nähere Zukunft. Immerhin bin ich aber mit dem Geld nach Berlin zu den Goldenen Bloggern und zurückgereist, das ist doch etwas, ich habe hier auch entsprechend berichtet. Zum Verbrauch von Spesengeldern kam es dabei diesmal nicht, Sie erinnern sich, es war gegen zehn Uhr abends schon alles zu. Schlimm.

Die Gartensaison nähert sich langsam (sehr langsam), das will ich auch nicht vergessen, ich habe also ein noch im Winter zu verwendendes Biomittel gekauft, das den Pfirsich retten soll. Keine Ahnung, ob es das dann tatsächlich auch tut, ich bin neu in dem Gewerbe und darf Fehler machen. Sehr befreiend!

Noch etwas Buchzuzwachs aus der Büchergilde Gutenberg: Ein Erzählband von Hans Fallada, “Junge Liebe zwischen Trümmern”, das sind Geschichten von ihm, die man bisher nicht in Buchform kannte, Zeitschriftentexte und dergleichen. Das Buch ist noch auf dem Postweg, ich berichte später.

Wie immer: Ganz herzlichen Dank für jeden in den Hut geworfenen Euro! Ich freue mich über jede einzelne Münze und die Buchführung ist mir in jedem Monat ein Fest, ein großes.

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Hey, hallo!

Diese jungen Menschen, die auf Beute lauernd an der Straße stehen und für wohltätige Organisationen werben, weil man da Mitglied werden soll, weil man irgendwas abonnieren oder spenden oder wenigstens unterschreiben soll, sie werden immer freundlicher, auf diese falsche, künstlich antrainierte Art, die uns damals schon bei den Bäckereifachverkäuferinnen so auf die Nerven ging und immer noch geht. Diese jungen Menschen springen den Passantinnen in den Weg und rufen mit nicht auszuhaltender Privatradiomoderatorenfröhlichkeit: “Hey, hallo! Schön dich zu sehen! Wie geht es dir? Hast du ein paar Minuten für mich?” Und ich möchte ihnen reflexmäßig und in kommunikativer Notwehr meine Einkäufe über den Schädel ziehen, aber das macht man ja nicht, erstens weil man es nun einmal nicht macht und zweitens, weil sie immerhin für eine anständige Organisation da stehen und nicht für Mineralölkonzerne oder andere Firmen der Finsternis. Aber egal, ich möchte sie anbrüllen, gefälligst die Klappe zu halten, ich möchte sie verscheuchen, loswerden oder wenigstens ignorieren können, aber das geht ja nicht, weil sie wie übergriffige Schachtelteufel unbarmherzig grinsend vor einem auftauchen, ich finde es grauenvoll, es gibt einfach kein Entkommen mehr vor ihrer inszenierten Kumpelhaftigkeit.

Was aber ganz seltsam ist, sie sind alle gleich, immer sind es die gleichen sympathisch aussehenden jungen Menschen mit den verwuschelten Haaren, sie reden auch alle genau gleich. Es muss also ein einheitliches, genormtes Schulungskonzept geben, für das sie in Massen rekrutiert werden und in dem dieses “Hey, hallo!” trainiert wird, aber wie stellt man sich das denn bloß vor? Zwanzig junge Menschen, es sind ja immer sehr junge Menschen, sitzen in einem Kreis um einen Trainer und rufen immer wieder gemeinsam “Hey, hallo!”, bis es endlich fröhlich und jubelnd genug klingt, Gospelchor nichts dagegen. Und dann üben sie “Sich in den Weg stellen” und “Schon von weitem angrinsen” und “Richtig locker winken” und dergleichen, bis sie irgendwann fit für die Straße sind.

Vielleicht sind die jungen Leute auch gar nicht freiwillig in diesen Kursen, vielleicht hat sich ihnen erst ein paar Tage vorher jemand plötzlich in den Weg gestellt und in bester Jahrmarktslaune “Hey, hallo!” gerufen, an die nächsten zehn Minuten können sie sich komischerweise gar nicht erinnern, aber sie haben jedenfalls irgendwas unterschrieben und nun stehen sie da plötzlich im Kreis, sie wissen gar nicht, wie ihnen geschieht und eine Woche später lungern sie schon frisch ausgebildet und im buntbedruckten Sweatshirt einer Wohltätigkeitsorganisation in der Fußgängerzone herum und es werden immer mehr und noch mehr, jede Woche werden es mehr, bis sich die ersten versehentlich im Gedränge gegenseitig in den Weg springen, begeistert “Hey, hallo!” rufen und sich dann in endloser Folge immer wieder vorgestanzte Dialoge aufsagen, aus denen es einfach kein Entkommen mehr gibt, bis sie irgendwann dehydriert umfallen, und dann kann man endlich wieder in die Stadt gehen, ohne alle zehn Meter angelabert zu werden.

Das wird schön.

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In der bitteren Kälte des Wintermorgens

Ich gehe früher zur Arbeit als sonst, es ist ungewöhnlich viel zu tun. Ich gehe so früh, dass noch kaum jemand unterwegs ist. Vor einer Bäckerei steht eine verlumpte Bettlerin in der bitteren Kälte des Wintermorgens und hält einen Becher bittend vor sich hin, ich krame in den Hosentaschen nach Kleingeld. Und ich habe meinen eher flüchtig gewonnenen Eindruck von ihr gerade noch rechtzeitig revidiert, sonst hätte ich der jungen Bäckereifachverkäuferin, um die es sich in Wahrheit handelte und die, in eine dieser Draußensitzdecken gehüllt, mal schnell vor der Tür eine rauchen wollte, doch glatt ein paar Münzen in ihren dampfenden Latte Macchiato geworfen. Denn auch bei dieser guten Tat, die jeden Tag fällig wird, gilt: Es ist kompliziert.

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Ich lag gestern am späten Abend schon im Bett, es war etwa halb zwölf, als eine Reisegruppe unter meinem Fenster vorbei vom Hotel zum Bahnhof rollkofferte. Wobei es natürlich geraten ist, dass sie zum Bahnhof wollten, aber wohin sonst. Es ist genau genommen auch geraten, dass sie aus einem Hotel kamen, aber woher sonst. Ich bin nicht aufgestanden und habe nachgesehen, es war eine recht eindeutige Geräuschlage, viele Stimmen, viele Koffer, Reisegruppe, man kennt das. Die Sprache vermutlich asiatisch, die Stimmlagen eher hoch, es hörte sich etwas comichaft an, dieses plaudernde Satzgewirr auf der Straße. Wäre ich aufgestanden und hätte ich nachgesehen, der Anblick wäre denkbar unspektakulär gewesen, zwanzig Touristen mit Rollkoffern eben. Das Geräusch ist mittlerweile so gewöhnlich in unserem kleinen Bahnhofsviertel, da sieht keiner mehr hin.

Aber wenn das nun jemand gehört hätte, der gar keine Rollkoffer kennt, jemand aus dem neunzehnten Jahrhundert etwa, wie auch immer der es in die Gegenwart geschafft haben könnte, ein Zeitreisender vielleicht, wenn es also jemand gehört hätte, der bei diesem speziellen, fast unverwechselbaren Rollgeräusch nicht sofort Koffer und Geschäftsreisende oder Touristen assoziiert hätte, dann, das fiel mir gestern plötzlich auf, hätte es so geklungen, als hätten da etwa zwanzig Menschen, wegen der hohen Stimmlagen vielleicht sogar recht kleine Menschen, gemeinsam etwas verdammt Großes mit vielen Rädern die Straße entlang geschoben.

Das jedenfalls ist der Grund, weswegen ich gestern ziemlich spät noch kichernd im Bett lag und mir vorstellte, wie zwanzig koboldhafte Wesen ein seltsames Ungetüm vom Ausmaß eines trojanischen Pferdes vier Stockwerke unter meinem Bett die Straße entlang schoben.

Und nur in einem fantasylastigen Jugendbuch würde diese Szene jetzt weitergehen mit: “Und dann sah ich etwas vor meinem Fenster.”

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Musik! Der letzte Auftritt von Otis Redding. Den nächsten Tag haben die meisten in diesem Clip nicht überlebt.

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