Drogen und Vorräte

Ich habe gelesen, dass man die Knollen der Dahlie essen kann, dass man das wohl früher auch öfter getan hat, ja, es gab sogar Überlegungen, sie kartoffelähnlich deutschlandweit anzubauen. Überraschend, nicht wahr? Geschmacklich sollen sie zwischen Spargel und Schwarzwurzel liegen. Wobei die Knollen der Dahlie tatsächlich irgendwie essbar und gemüseartig aussehen, da gibt es nichts, ich habe gerade noch einmal nachgesehen, meine Dahlie steht hier gleich neben mir. Aber immer interessant, was man alles nicht weiß. Im letzten Jahr hat es mich ähnlich überrascht, dass Menschen Hortensienblüten aus Gärten stehlen, um sie zu rauchen, denn das ist angeblich besser als gar kein Rausch (don’t try this at home, es ist wohl nicht ganz ungefährlich).

Man geht an Gärten vorbei und denkt sich: wie nett, so hübsche Blümchen in den Beeten – aber nach etwas Lektüre und Weiterbildung sieht man überall nur noch Drogen und Vorräte. Schlimm.

Gelesen habe ich das mit den Dahlien übrigens in diesem Buch, das auch sonst interessant ist und dazu noch ein paar Rezepte für die Gemüseküche mitliefert, die ich mir sofort notiert habe. Kann ich also empfehlen:

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Ich war gestern beim Stadtteilbeirat, das ist eine lokalpolitischen Spezialität in Hamburg. Da wurde nämlich ein Bauvorhaben vorgestellt, das hier ein paar Meter neben uns geplant ist, damit werden wir noch einiges zu tun haben, erst Abriss mehrerer Häuser, dann Neubau in beträchtlicher Höhe, der auch uns Licht kosten wird. Da standen also der Architekt, der Bauherr, der Bauvorhabende oder wie immer seltsam sie sich neuerdings bezeichnen, der Investor. Bzw. ein Vertreter des Investors, des Architekten, des Bauherren, eh klar. Im Publikum waren Interessierte aus dem Stadtteil, darunter Vertreter einiger Parteien, Nachbarn, Leute vom Mieterverein usw. Da werden sehr heruntergekommene Häuser abgerissen, in denen billige Wohnungen waren, es werden Wohnungen neu gebaut, die selbstverständlich keineswegs billig sein werden, wie das heute so ist, alles nur kleine 2- bis 3-Zimmer-Wohnungen, Familien sind als Kunden sowieso uninteressant. Fragen zur künftigen Miethöhe wurden tatsächlich mit Grinsen und Schweigen beantwortet. Jemand fragte nach sozialem Wohnungsbau und die Gesichter der drei Herren hätte man filmen müssen, großes Kino. Erstaunte Blicke, dann Befremden, das in eher verkniffene Heiterkeit überging, denn richtig lachen durften sie ja erst hinterher draußen, beim Bier nach dem Sozialpolitklimbim, so viel Benehmen musste schon sein. Keiner im Saal hatte eine andere Reaktion erwartet, das war auch klar, aber eigentlich kann man darüber noch einmal kurz nachdenken, dass die bloße Frage nach sozialem Wohnungsbau, nach günstigen Wohnungen, hier nur noch als Scherz durchgeht, als Politkabarett von links, als Mahnung der Sozialromantiker, dass es so etwas einmal ganz selbstverständlich gab.

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Scared is scared of all the things you like. Nicht irgendein Filmprojekt.

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Von einem Sohn gehört, dass sie in der Grundschulklasse ein Ritual haben, das sie “warme Dusche” nennen. Da wird ein Kind ausgelost und alle anderen sagen, was sie gut an ihm finden, eine Prozedur, die sie in der Klasse alle sehr mögen. Auf diese Art erfährt also jemand, dass er nett ist, lustig ist, ein toller bester Freund ist, sehr gut malen kann, gut im Tor ist, hilfsbereit ist und dergleichen mehr, da freuen sich die Ausgelosten dann hinterher noch tagelang wie Bolle über all die guten Botschaften. Natürlich gibt es auch bei den Kindern welche, die sich gegenseitig schwer unsympathisch finden, aber da werden dann Lösungen gefunden. Sie haben eine Weile drüber gegrübelt und sich etwas ausgedacht, was man in solchen Fällen sagen kann, mit einem wirklich faszinierenden Ergebnis. Das endet dann nämlich in Sätzen wie “Du hast einen schönen Ranzen.” Guck an, was Kinder heute so lernen. Stark.

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Im Wetterbericht steht – also wenn man weit genug nach unten scrollt jedenfalls – wieder etwas von steigenden Temperaturen und Regen. Guter alter Regen! Da wird einem als Hamburger sofort ganz warm ums Herz. Regen ist hier ein wichtiges Stück Heimat, für uns müsste es folgerichtig ein Regenministerium geben, da würde niemand spöttisch und herablassend nach dem Sinn fragen. Oder zumindest viel seltener und leiser als bei einem “Heimatministerium”. Ja, manchmal müssen so in die Luft gemalte Gänsefüßchen schon sein.

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Sven mit naheliegenden Gedanken zu den Fahrverboten in Hamburg, die mich zugegebenermaßen auch etwas verwirren. Kiki denkt da ebenfalls drüber nach, hat aber zusätzlich ein Chili-Rezept anzubieten, das man nachkochen kann. Immer auf den Mehrwert achten!

Und dann noch das Neusprech-Blog zum schönen Wort “Fähigkeitslücke”.

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In Kürze übrigens wird es abends wieder lieblichen Amselgesang geben, akustischer Schmelz über Dächern im warmen Abendrot, auch wenn man es sich gerade noch überhaupt nicht vorstellen kann. In ein paar Wochen nur! Und welches Lied fällt uns bei Amselgesang ein? Genau.

 

Die Herzdame: Experiment Tag 1

Ein Text von Maret Buddenbohm, auch bekannt als die Herzdame, hat zwei ganz neue Kinder.

Die Söhne mit dem iPad

Kurz vorweg, wir freuen uns, dass wir das Familienmagazin der Süddeutschen Zeitung als Werbekunden für diese Reihe gewinnen konnten, siehe ganz unten.

Freitag nach der Schule berufen der Gatte und ich den Familienrat ein und stellen den Söhnen unser Experiment vor. Erst mal etwas gelangweilte Blicke, an der Stelle mit „unbegrenzte Medienzeit“ dann leuchtende Augen. Und beim Hinweis zu „Eigenverantwortung“ Schulterzucken und Gähnen.

Alles in allem aber zwei durchaus interessierte Experiment-Teilnehmer. Und je länger wir darüber sprechen, desto mehr bringen sie sich mit ein, was für unsere Kinder eher ungewöhnlich bei einem Familienrat ist. Normalerweise kann sich Sohn 1 dabei vor Müdigkeit kaum auf dem Stuhl halten und Sohn 2 macht demonstrativ desinteressiert etwas anderes und hört gar nicht erst zu.

Die Möglichkeit, viele Dinge selbst zu entscheiden, also ohne elterliche Vorträge, scheint sie offensichtlich sehr zu motivieren. Sohn 2 äußert dann doch etwas sorgenvoll seine Bedenken, dass er möglicherweise zu spät zur Schule kommen könnte und wir ihn bitte weiterhin morgens ermahnen sollen. Wir können uns dann aber darauf einigen, dass ich ihn ab und zu freundlich auf die Uhrzeit hinweise, mich dann aber nicht weiter aufrege und ihn ansonsten alleine machen lasse.

Auch bei anderen Themen kommen wir überein, dass der Gatte und ich den Kindern freundliche Empfehlungen geben, sie dann aber selbst entscheiden lassen, ob sie denen nachkommen wollen oder nicht.

Zum Thema „Hilfe im Haushalt“ halten wir fest, dass wir Eltern um Hilfe bitten, sie aber ebenfalls entscheiden, ob sie Lust dazu haben oder nicht. Wenn wir allerdings am Ende vor Erschöpfung umfallen, weil wir alles alleine machen mussten, können sie nicht erwarten, dass wir noch irgendwas für sie tun.

Gesunde Zähne, gesundes Essen, ausreichend Schlaf, saubere Wäsche, gute Noten – das sind alles Entscheidungen, für die die Söhne eine Woche lang selbst verantwortlich sein wollen.

Und das geht dann tatsächlich auch gleich gut los. Der Gatte und ich verteilen den restlichen Tag nur freundliche Hinweise und die Söhne überschlagen sich vor verantwortungsvollem Verhalten.

Sohn 2 hat am Ende des Tages eher weniger Medienzeit als mehr, obwohl er sich durchaus mehr hätte gönnen können. Ganz ohne Gezeter der Eltern. Er hilft mir auch ganz freiwillig beim Wäsche aufhängen. Und als wir aus dem Keller wieder in die Wohnung kommen, putzt sich Sohn 1 schon die Zähne und hat abends (!) freiwillig (!) eine Bürste in der Hand, mit der er sein Vogelnest auf dem Kopf bearbeitet.

Sie bieten an, alleine ins Bett zu gehen und als Sohn 2 auch noch seine Haare gebürstet haben möchte, übernimmt das Sohn 1. Ich bin wirklich fassungslos, zwei Brüder, die sich gerade ziemlich doof finden, einträchtig im Wohnzimmer sitzend und Haare bürstend.

Als ich mich dann ins Bett zurückziehe und langsam in den Schlaf sinke, höre ich sie noch lange einträchtig reden, was sie schon seit ewigen Zeiten nicht mehr getan haben.

Es ist schon interessant, was so ein bisschen mehr Freiheit ausmachen kann. Das sind nicht meine Kinder! Aber wie lange das anhält – warten wir es ab.

Pia Ziefle hat ähnliche Probleme und einen etwas anderen Ansatz. Auch sehr interessant.

Hier noch mal alle Berichte des Experiments:

Einleitung | Tag 1Tag 2 | Tag 3 | Tag 4 | Tag 5Tag 6Tag 7 | Tag 8 | Fazit

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Da die Söhne Hauptfiguren dieser Blogartikelreihe sind, mittlerweile aber schon ziemlich gut mitlesen können und eine genaue Vorstellung davon haben, was sie von sich im Netz lesen wollen und was nicht, werden diese Artikel vor Veröffentlichung mit ihnen besprochen und lektoriert. Auch wenn ich es richtig blöd finde, wenn ein guter Witz von ihnen gestrichen wird und rausfliegt.

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Um der Verdummung durch zu viel digitale Medien entgegen zu wirken – der Sponsor dieser Reihe ist die SZ Familie.

Slieken im Snee

Ein Sohn war im Ohnsorg-Theater und hat dort fast alles verstanden, auch Vokabeln, die er bisher gar nicht kannte. Etwa Slieken für Schleichen, solche Begriffe. Wieso versteht er das so spontan? Alle Kinder kamen da wohl nicht mit bei dem Stück. Das hat ihn überrascht und er erklärt sich das jetzt so, dass er Plattdeutsch eben von Natur aus verstehen kann, weil so viele seiner Vorfahren Norddeutsche waren.

Jo, so is dat wohl.

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Ich habe wieder um einen Gastbeitrag im Blog der GLS Bank gebeten, diesmal hat Alu von Große Köpfe über Arbeit geschrieben, bitte hier entlang.

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Schnee am Montagmorgen, viel Schnee sogar. Jetzt ist Dienstag, der Schnee ist immer noch da. Das ist auch alles durchaus von einer gewissen Hübschigkeit da draußen, zugegeben, aber ich sehe mir das dennoch lieber durchs Fenster an. Oder auch gar nicht. Und Sohn II fragte mit skeptischem Blick und einem vorsichtigen Finger im Schnee: “Das war früher also öfter so? Wirklich?”

Denn das kann er sich einfach nicht vorstellen. Seine Jahreszeiten sind nicht meine Jahreszeiten, das ist auch einmal festzustellen, dazwischen liegen mittlerweile erhebliche Differenzen, wir assoziieren ganz verschiedene Naturerlebnisse damit. Er kennt ja nicht einmal diese endlosen Rodelnachmittage, an denen wir damals, längst durchgefroren wie die Eiszapfen, immer noch nicht reingehen wollten, obwohl es schon desaströs dunkel wurde, aber wir mussten doch unbedingt noch einmal und dann auch noch einmal den Hügel runter, auf dem Rücken, auf dem Bauch, im Sitzen vorwärts und rückwärts und hockend ging auch irgendwie und kniend! Und stehend! Nein, das ging nicht. Aber probiert haben wir es mit großer Selbstverständlichkeit. Oft. Und auf dem viel zu späten Heimweg haben wir dann bitterlich geheult, weil die kalten Füße so verdammt wehtaten und die Handschuhe längst nass waren und auch sonst überhaupt nichts mehr wärmte und auch weil der Weg für heutige Verhältnisse sportlich weit war, da wurde ja noch nicht hinterhergehelikoptert, von niemandem. Nein, diesen Spezialspaß aus dem letzten Jahrhundert kann er sich noch nicht einmal ansatzweise vorstellen, der Sohn. Egal, Opa erzählt vom Winter, und da bin ich noch gar nicht bei 78/79 angekommen, das kann hier eh keiner mehr hören.

Sohn I hat sich dagegen heute immerhin seine ganz eigene Rodelerinnerung gebastelt und ist mit dem Schlitten gegen einen Metallzaun gefahren, wonach wir den Rest des Nachmittages beim Zahnarzt verbringen durften, da er mit den Frontzähnen gebremst hat. Man macht was mit.

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Apropos Opa erzählt von früher, in der Gegenwart haben sie auch nicht mehr alle Latten am Zaun: “Gut jeder dritte Social-Media-Nutzer in Deutschland kann sich das Leben ohne soziale Netzwerke nicht mehr vorstellen.”

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Die letzte Sonntagskolumne aus der Reihe “Der moderne Mann” für die Lübecker Nachrichten abgeschickt, nach immerhin 189 Folgen wird die Folge dort beendet. Das ist einerseits etwas traurig, andererseits aber vielleicht auch ganz gut so. Denn kein Format ist für die Ewigkeit und Wechsel kann wohltuend sein. Und natürlich hat man so Platz für Neues. Also sowohl die Zeitung als auch ich.

Die Kolumne bestand immer aus 1.750 Zeichen und ich hatte einen gewissen Ehrgeiz, sie stets mit genau 1.750 Zeichen abzugeben, keines mehr, keines weniger. Das hat mir immer Spaß gemacht, am Text so lange herumzuschrauben, bis alles auf das Zeichen genau gepasst hat, das wird mir doch ein wenig fehlen. Man lernt etwas über das Texten, wenn man auf diese Art schraubt, was man im Blog oder generell online nicht lernen kann. Allerdings fand das die Familie auch oft lästig, wenn ich am Sonntag stundenlang verbissen Zeichen geschubst habe. Irgendwas ist immer.

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Zwischendurch schnell in die Bücherei gerannt und den nächsten Band von Kempowskis Echolot geholt, das liest sich nämlich überraschend schnell. Nach den Grauen von Leningrad jetzt also direkt zu Stalingrad, man träumt nicht unbedingt gut nach diesen Büchern. Schon gar nicht, wenn man einen Sinn für die Gegenwartsbezüge hat, die schier zahllos sind.

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Ich stecke musikalisch übrigens immer noch in den Achtzigern fest und gucken Sie mal, damals hatte man noch Zeit für lange Intros. Auch schön! Wobei die Stücke von der Dame sowieso vergleichsweise würdevoll gealtert sind, die muss man nicht verstecken.

 

Die Herzdame startet ein Experiment

Ein Text von Maret Buddenbohm, auch bekannt als die Herzdame, die keine Vorträge mehr halten will.

Die Söhne mit dem iPad

Im Moment haben wir zu Hause wieder eine ganz furchtbare Phase. Es klappt nichts.

Die Wünsche der Söhne (8 und 10 Jahre) und unsere Wünsche gehen gerade komplett auseinander. Die Kinder wollen mehr iPad, mehr Spieleapps, mehr Serien, mehr Fernsehen, mehr Youtube-Videos, mehr Hörspiele, mehr Abhängen, mehr Chillen, mehr Süßigkeiten, mehr Tiefkühlpizza. Außerdem lieber weniger frische Luft, weniger Hausaufgaben, weniger Lernen, weniger gemeinsame Mahlzeiten, weniger gesundes Essen, weniger Tischdeckaufgaben, weniger Spülmaschineausräumen, weniger Müllrunterbringen, weniger Zähneputzen, weniger Körperpflege. Genau genommen all das am liebsten gar nicht. Und alleine ins Bett gehen schon mal überhaupt nicht.

Die Eltern wollen logischerweise das genaue Gegenteil.

Wir alle haben es zurzeit nicht leicht miteinander. Die gegensätzlichen Wünsche führen zum Beispiel dazu, dass sich die Kinder die Freiheit nehmen, mehr Medienzeit zu nutzen als vereinbart wurde. Es reicht nicht die „eine Runde noch zu Ende“ zu spielen, nicht 5 oder 10 Minuten mehr, nicht eine Stunde mehr, nein, es ist nie genug.

Die fürsorglichen Eltern erinnern erst daran, dass die Zeit um ist. Mahnen dann, dass nun wirklich genug sei. Sagen dann auch, dass sie es richtig blöd finden, dass die vereinbarten Regeln nicht eingehalten werden. Stehen dann irgendwann zeternd und meckernd vor den Kindern, die auf Durchzug geschaltet haben, bis dann früher oder später das Wort „iPad-Verbot“ fällt. Aha! Jetzt schauen sie wenigstens mal kurz hoch. Um dann aber wieder aufs iPad zu starren. Nur eben noch die Runde zu Ende …

(Pädagogisch wertvoller Tipp übrigens: wenn man sich wieder mal kein Gehör verschaffen kann, aus welchen Gründen auch immer, einfach mal ganz leise das Wort „iPad-Verbot“ flüstern und schon hat man alle Aufmerksamkeit der Welt.)

Oder ein anderes Beispiel, die stressgeplagten Eltern bitten die Kinder: „Ihr liebsten Söhne, beste Kinder der Welt, wäret ihr so gnädig die Spülmaschine auszuräumen? Ach nein, es reicht schon, wenn ihr den Esstisch abräumen könntet. Stellt die Teller einfach auf die Spülmaschine.“ Keine Reaktion, die Kinder sitzen schon lange nicht mehr am Esstisch. Nichts regt so sehr die Verdauung an, wie eine gemeinsame Mahlzeit mit der Familie. Also am Ende wieder Vorträge über Hilfe im Haushalt und Geschimpfe. Die meisten Eltern werden das irgendwie kennen.

Mittlerweile bin ich schon selbst so richtig genervt von meinen ewigen Vorträgen. Und kann mein eigenes Gemecker auch nicht mehr ertragen. Ich will das so nicht mehr! Und der Gatte auch nicht. Deshalb habe ich ein Experiment vorgeschlagen: eine Woche ohne Vorträge und Meckern.

Eine Woche sollen die Kinder die Verantwortung für ihr Handeln selbst übernehmen. Ich mische mich nicht ein, ich rege mich nicht auf. Sie können sich so viel Medienzeit nehmen, wie sie es für richtig halten. Wenn sie nichts lernen wollen, dann eben nicht. Ich bin keine Zeitansage in Dauerschleife, wenn sie morgens zu lange trödeln, dann kommen sie eben zu spät in die Schule. Ich gehe jedenfalls pünktlich um 7:45 Uhr zur Arbeit. Wenn sie keine Lust auf Zähneputzen haben – die Quittung kommt, wenn sie das erste Gehalt gleich in das erste Implantat statt in den ersten Urlaub investieren müssen. Nicht mehr meine Baustelle. Sie haben keine Lust, mit uns am Tisch zu sitzen? Egal, so können der Gatte und ich uns endlich mal wieder in Ruhe unterhalten. Wo der Kühlschrank steht, das wissen sie ja, und Brote schmieren können sie auch. Ihre Schmutzwäsche liegt nicht im Wäschekorb? Dann kann ich sie leider auch nicht waschen. Schade für sie, weniger Arbeit für mich. Lieber Schokolade statt Apfel – egal, Kinder werden auch unter viel schlimmeren Lebensbedingungen groß.

Wenn die Wohnung mit Kinderkram zugemüllt ist – auch egal, ich rege mich nicht auf. Ich schmeiße einfach alle Sachen ins Kinderzimmer auf einen Haufen, und wie es da aussieht ist mir sowieso egal. Hauptsache MEIN Wohnbereich ist ordentlich und ich kann mich wohlfühlen. Zum Gute-Nacht-Kuss komme ich pünktlich um 20:15 Uhr nach der Tagesschau, WENN die Kinder dann komplett bettfein im Bett liegen. Und über löchrige Socken und nicht angezogene Winterjacken rege ich mich ohnehin schon lange nicht mehr auf.

So die Theorie … Natürlich müssen sie nicht alles allein machen. Wir werden weiterhin für sie einkaufen, kochen und dergleichen, aber uns eben eine Woche lang auch nicht mehr Arbeit machen und aufregen als nötig.

Was meint Ihr, klappt das?

Es war tatsächlich Zufall, aber dieses Experiment passt hervorragend zum Interview des Gatten drüben bei Patricia.

Hier noch mal alle Berichte des Experiments:

Einleitung | Tag 1Tag 2 | Tag 3 | Tag 4 | Tag 5Tag 6Tag 7 | Tag 8 | Fazit

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Da die Söhne Hauptfiguren dieser Blogartikelreihe sind, mittlerweile aber schon ziemlich gut mitlesen können und eine genaue Vorstellung davon haben, was sie von sich im Netz lesen wollen und was nicht, werden diese Artikel vor Veröffentlichung mit ihnen besprochen und lektoriert. Auch wenn ich es richtig blöd finde, wenn ein guter Witz von ihnen gestrichen wird und rausfliegt.

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Um der Verdummung durch zu viel digitale Medien entgegen zu wirken – der Sponsor dieser Reihe ist die SZ Familie.

Von Fichten verfolgt

Ein fehlendes Bett.

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Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das Wort Sitkafichte bis vor ein paar Tagen überhaupt noch nicht kannte, dann kamen diese Nadelbäme bei mir im Wirtschaftsteil vor (hier der Artikel über Irland) und jetzt begegnet mir die Art schon wieder. Und zwar in einem Artikel über den Beginn des Anthropozäns: Der einsamste Baum der Erde. Das Anthropozän ist demnach ungefähr so alt wie ich, was sagt mir das jetzt?

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Kurz in den Garten gefahren, der ist zwei Stadtteile weiter, also quasi irgendwo da draußen, und es ist immer wieder faszinierend, wie sehr es anderswo Winter ist, nur bei uns nicht. Da lag reichlich Schnee und alles sah nett aus, hier war am Nachmittag alles grau wie immer. Die Stadtmitte hat eben auch Nachteile.

Im Garten steht erwartungsgemäß nach wie vor der Bagger sinnlos herum. Sohn II will da jetzt einen Zettel mit einer Frist dranmachen, und wenn die Frist verstrichen ist, gehört der Bagger ihm. Das gute Kind.

Garten im Schnee

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Hier noch eine typisch hamburgische Aufforderung zum Widerstand und nein, da ist kein Schreibfehler drin.

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Auf der Straße steht der stadtbekannte Jesusbrüller und predigt vehement wie immer, die Leute weichen ihm eilig aus. Mir fällt zum ersten Mal auf, dass er die Bibel so hält, wie die jungen Leute ihre Handys halten, so ans Kinn gehoben und dann hineinredend, als sei das ein Empfangsgerät. Da er aber seine wüste Rede niemals unterbricht, um einmal zuzuhören, wirkt das ein wenig so, als würde er endlos und aufgebracht auf seinen Gott einreden, er ist der besorgte Gläubige vom Dienst mit der schier endlosen Sprachnachricht.

Nun bin ich kein religiöser Mensch, aber ich würde doch generell davon abraten, auf Gott einzureden wie auf einen lahmen Gaul, in welcher Religion auch immer. Das interessiert den Jesusbrüller aber natürlich nicht, denn er hat ja Recht, heiliges Recht sogar, und er schimpft immer weiter in seine Bibel, jedes Hallelujah eine beleidigte Belehrung. Ich weiß ja nicht recht, ich kenne mich auch nicht aus, aber das geht doch besser und sympathischer.

Was in Altona auffällt

Am Nachmittag bei einer politischen Veranstaltung gewesen. Da war ich der einzige Teilnehmer, die Veranstaltung ist nämlich erst im nächsten Monat, wie mir allerdings erst einfiel, als es da verdächtig menschenleer aussah. Egal, wenigstens einmal draußen gewesen! Wenigstens wieder einmal in Altona gewesen, lange nicht mehr gesehen. Wenn ich schon einmal da bin, kann ich mich ja auch etwas umsehen, dachte ich. Da stand in einer kleinen Nebenstraße eine einsame blühende Kirsche, liebliches Rosa, leuchtend und frisch, das war die erste Kirschblüte in diesem Jahr, an der ich vorbeikam. Und hätten die Blüten Ärsche gehabt, sie hätten sie sich abfrieren können, so kalt war das da. Mehr ist mir in Altona nicht aufgefallen.

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Mit einem Gelstift, einem Kalligraphiestift und einem Füller seitenlang probegeschrieben, ich mache ja keine halben Sachen. Stabilo Worker, den hatte hier jemand in den Kommentaren empfohlen, der ist tatsächlich deutlich besser als andere Stifte – aber leider nicht gerade hübsch anzusehen. Orange fällt doch eher unter Problemfarbe, nicht wahr, ich habe immerhin die Siebziger erlebt, ich weiß Bescheid. Mit dem Kalligraphiestift wiederum sieht vermutlich jede Schrift plötzlich interessant aus, und alles, was man damit schreibt, wirkt mit so schick aufgeedelten Bögen und Schwüngen irgendwie voll deep, das ist auch ein spannender Aspekt. Tatsächlich gefällt der mir gar nicht schlecht. Von Staedtler und nein, ich habe keine Kooperationen welcher Art auch immer mit Schreibgeräteherstellern.

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Ein seit Tagen spürbares Unwohlsein und rätselhaftes Desinteresse an Nahrungsmitteln plötzlich als Zahnschmerz identifiziert, manchmal habe ich bei so etwas eine bemerkenswert lange Leitung. Montagmorgen gleich mal zur Fachfrau! Immer mutig voran.

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Der Salat aus der Voranzucht ist währenddessen teilweise vergeilt, daher habe ich ihn sofort als Microgreen bezeichnet (“Dein Name sei Microgreen!”) und auf der Stelle verspeist. Man muss da etwas findig sein, wenn man gärtnert, und Microgreens sind sowieso total in, die macht gerade jeder. Und guck an, das schmeckt ja überraschend stark, selbst wenn es nur winzige Blättchen sind. Gleich neue Samenkörnchen nachgeworfen.

Das Basilikum kommt jetzt auch reihenweise. Wenn es so weiter wächst, ich könnte schon einmal Tomaten und Mozzarella kaufen und vor den Anzuchttöpfchen warten.

Außerdem Gemüseschutznetze gekauft, was etwas absurd ist, da ich noch gar kein Gemüse habe, es aber schon schützen kann. Bin ich auf dem Weg zum Helikopter-Gärtner?

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Die Herzdame schreibt gerade einen Blogartikel nach dem anderen (demnächst hier auf diesem Sender!) und reagiert zunehmend gereizt auf Störungen aller Art, weil sie doch so sehr versucht, sich zu konzentrieren. Ich muss mich ungeheuer zusammenreißen, nicht dauernd “KANNSTE ENDLICH MAL SEHEN, WIE DAS IST!” zu rufen und sie alle drei Minuten anzutippen, anzusprechen, anzurempeln. 

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Am späteren Abend war ich noch einmal unterwegs und kam durch den Hauptbahnhof. Und obwohl ich es gewohnt bin, durch den Hauptbahnhof zu gehen und all die Problemfälle dort zu sehen, ist mir dort noch nie eine solche Menge sichtbar leidender Menschen aufgefallen. So viele, die schief im Leben stehen, eine solche Heerschar Gescheiterter und Gefallener. Das war wie inszeniert, alle gecastet für eine dystopische Großstadtszene, immer noch eine und noch einer. All die Bresthaften, die Geschlagenen, die von der Gesellschaft oder vom Leben zerschlissenen und aufgebrauchten, die Krüppel, die Aussortierten, die Weggelaufenen. Die Kranken, die Aussätzigen, die Halbtoten. Die Alkoholiker, die Junkies, die Süchtigen aller Art. Die Obdachlosen, die Heimatlosen, die Haltlosen. Die Einäugigen, die Einarmigen, die Einbeinigen, die Könige aller Art unter anderen.

Die Irren, die Erleuchteten, die Verblendeten, drei sangen sogar von Hare Krishna, das habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gehört, irgendwo standen natürlich auch die mit dem Wachtturm. Wenn man sich hier lange genug umguckt, stehen sie immer irgendwo daneben, halten ihre Heftchen hoch und versuchen, einen Blick aufzufangen. In Dreiergrüppchen stehen die da, immer Rücken an Rücken. Sie halten sich für gerettet, die eilenden Passanten denken vermutlich eher das Gegenteil, aber allzulange denkt man da sowieso nicht drüber nach. Man kann sich nicht mit jedem Irrsinn beschäftigen, wo soll das hinführen, man muss sich auch selber retten. Und im abendlichen Hauptbahnhof sind sich alle Menschen gegenseitig eh nur Bilder im Vorübergehen. Seltsame, verstörende Bilder und wer weiß, wie man selbst gerade auf andere wirkt, immer Vorsicht an der Selbstbild-/Fremdbildkante.

Daran gedacht, wie ich 1987 in Hamburg ankam, in diesem Hauptbahnhof.

Kurz und klein

Eins, zwei, Polizei

Vielen Dank für die zahlreichen Kommentare zur Schreibgerätefrage gestern, es waren sehr sinnvolle Hinweise dabei. Überhaupt großartig, wie das hier mit den Kommentaren läuft, ich freue mich jeden Tag.

Ich teste mich dann mal da durch … wobei so ein Kolbenfüller von Montblanc vermutlich schon fortgeschritten exzentrisch wirkt. Egal. Und wenn Sie jetzt auch gerade Lust auf Schreibgeräte bekommen – ich bin eben ein Infüllencer.

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Goethezitate – aber mit lol am Ende. Wie heißt es auf Twitter immer: Genau mein Humor.

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Gegen die Lausemaus. Unterschreibe ich sofort.

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Frühmorgens gehe ich zum Bahnhof, da stehen zwei von der Polizei hinter einer hölzernen Fahrradgarage und lugen immer so mit langen Hälsen um die Ecke, dass man sich gleich denkt, die beobachten da doch bestimmt irgendeinen schlimmen Finger. Oder mehrere. Weswegen auch alle Passanten total unauffällig stehenbleiben und genau dahin gucken, wo auch die Polizisten hingucken, dann wieder prüfend auf die Polizisten. Blicklinie peilen, dann wieder da hinten hinsehen. Da sieht man dann aber nur eine ganz normale morgendliche Straßenszene und fragt sich daher unwillkürlich, welche dieser kreuz und quer einhergehenden Figuren zweihundert Meter weiter denn nun verdächtig sind. Und weswegen? Was haben sie wohl vor? Und merken die eigentlich nicht, dass da jetzt schon eine kleine Menschentraube gespannt herüberstarrt, alle sehr gut zu sehen, also alle außer den beiden von der Polizei, versteht sich, die verstecken sich ja. Die Rentnerin da vor dem Kiosk, wer weiß. Alles nur Tarnung, die späht da doch was aus, der Rollator ist am Ende nur Requisite. Oder die Grundschüler, die da so brav an der roten Ampel warten. Wer weiß, was die im Ranzen haben! Also ich weiß es, weil einer von ihnen mein Sohn ist und ich ihm eben noch ein Frühstücksbrot in den Ranzen gestopft habe, aber das weiß der Rest ja nicht. Würde ich den Sohn nicht kennen, er käme mir gewiss auch verdächtig vor. Schon diese verstrubbelten, ungebürsteten Haare! Bei Boygroups z.B. weiß man ja, die mit den unordentlichen Haaren, das sind immer die, auf die man besonders aufpassen muss.

Geht es den kriminellen Elementen etwa am Ende um die Sparkasse an der Ecke gegenüber? Aber die hat noch gar nicht auf, das wäre doch blöd bei einem Überfall, müsste man erst die Tür wegsprengen, was ein Aufwand.

Ein Polizist und eine Polizistin, sie hat einen blonden Pferdeschwanz, er hat eine Durchschnittskurzhaarfrisur und keinen Bart. Er ist etwas größer als sie, sie sehen aus wie Herr und Frau Mustermannn in Uniform, im Grunde sehen sie aus wie ausgedacht. Stehen da und gucken hinterm Holzverschlag hervor wie zwei Figuren auf einer Illustration in einem Kinderbuch. Auf dem alten Einband von “Emil und die Detektive” stehen die Kinder genau in dieser Pose hinter einer Litfaßsäule, ich habe das gerade noch einmal nachgesehen, wirklich exakt so. Die Polizisten sehen aus wie zwei Nebenrollen aus der Fernsehserie Großstadtrevier, wie zwei Schauspieler im Theater, in einer modernen Inszenierung des Hotzenplotz vielleicht.

Die Passanten gehen dann irgendwann weiter, man kann ja um die Zeit auch nicht ewig warten, wer da nun was macht, man muss doch zeitig ins Büro oder wo man sonst so arbeitet. Man arbeitet jedenfalls nicht hinter hölzernen Fahrradgaragen, das machen nur die von Polizei und es hat ja Gründe, dass man einen anderen Job hat, die Entscheidung ist durch und lange her, für Detektivspiele ist es nun zu spät. Schon auch schade! Aber es steht dann morgen eh in der Zeitung oder im Internet, was da nun wieder war. Wenn es denn was war.

Und mir fallen natürlich schon wieder die Achtziger ein.

Irgendwo bellte ein Kind

Wenn ein Kind nachts wie ein alter Hofhund bellt, ist es am nächsten Morgen vermutlich krank, alte Regel. Das Home-Office übernimmt aber diesmal die Herzdame, ich fahre also wie immer ins Büro, und irgendwann endet sicher auch diese Virus-Saison. Die Etappen Magen-Darm und HNO haben wir hoffentlich in Kürze bald abgehakt, wobei wir Eltern diesmal gar nicht alles mitgemacht haben, vielleicht ist das alles daher gar nicht richtig gültig und geht in eine Wiederholungsrunde, man wundert sich über gar nichts mehr. Das Kind liegt vier Stunden etwas schlapp herum, steht dann geheilt wieder auf und will sofort zum Sport. Wir Erwachsenen würden da vermutlich drei Tage brauchen. Oder mehr.

In den Wetterberichten geht es derweil bemüht hysterisch um den “Arctic Outbreak” und den heranbrausenden “Tiefkühlhammer” aus Sibirien, um den “Frostschock am Wochenende”, man möchte ab und zu gerne beruhigend auf die Texter der Wetterschlagzeilen einwirken. Tatsächlich ist es draußen ein wenig frischer als sonst. Aber hey, es ist Winter.

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Im Büro mache ich jetzt auch wieder öfter Notizen mit der Hand, das soll ja mnemotechnisch total super sein. Ich finde das Schreiben mit einem Kugelschreiber aber ganz schrecklich, Bleistifte liegen mir auch nicht. Was nimmt man denn dann, wenn man nicht mit einem Füller schreiben möchte, was dann doch etwas affektiert wirken würde? Ich bin bei dem Thema irgendwie raus. Lesen hier so Schönschreibleute mit? Was nehmt Ihr für ein Schreibgerät, wenn es nicht so wertvoll wie ein Kleinwagen sein soll, aber doch möglichst gut?

Es ist übrigens ein wenig mühsam, sich wieder eine verbundene Handschrift anzugewöhnen, wenn man jahrelang nur so halb unverbunden mit eingestreuter Druckschrift geschrieben hat. Aber es geht! Und man schreibt dann natürlich deutlich schneller, also wenn man es geschafft hat. Die Herzdame übt währenddessen heimlich Sketchnotes, habe ich gesehen, die ist schon wieder weiter als ich. Schlimm.

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In der SZ ein Artikel über die Deutschen, ihren Autowahn und ihre Auto-Industrie. Er enthält zwar keine Überraschungen, wenn man sich für das Thema etwas interessiert, ist aber ein gut lesbarer Rundumschlag: “Der Autoexperte Stefan Bratzel beklagt die Abgehobenheit der Branche, kritisiert das jahrzehntelange Nichtstun der Politik – und erklärt, warum Autos für jüngere Menschen immer unwichtiger werden.

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Kürzlich belauschte ich ein Gespräch im Bus; zwei ältere Frauen sprachen über „diese jungen Ingenieure“. Die hätten ja zum großen Teil gar keinen Führerschein mehr, wunderte sich eine, und wollten den auch gar nicht machen; das hätte es früher nicht gegeben. Drei Kreuze, dachte ich; es besteht wieder Hoffnung.

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“Man darf einen Menschen nicht einfach verbuddeln.” Bei SPON geht es um die Beerdigung von Menschen, die keine Angehörigen haben, zumindest keine auffindbaren. Es ist zwar verdammt lange her, aber darüber habe ich auch schon einmal geschrieben.

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Garten-Update: Ich habe keine Ahnung, wie es im Garten aussieht, wir waren gar nicht da, denn vermutlich gibt es dort eh keine Neuigkeiten, der Bagger wird immer noch herumstehen. Aber auf unserer Fensterbank treibt der Salat aus der Anzucht in faszinierender Geschwindigkeit aus, ebenso der Wasserspinat. Die Chilis und die Zwiebeln warten wohl noch etwas ab. Aber langsam und zögerlich kommt da auch ein besonders mutiger Basilikum heraus und die Dahlie im großen Topf erwacht ebenfalls programmgemäß zu neuem Leben.

Ja, andere haben Dahlien, ich weiß, ganze Beete voll sogar, wir haben “die Dahlie.” Irgendwo muss man ja anfangen.

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Und der Musikclip des Tages kommt heute von Sohn I. Was junge Leute eben so hören. Verstörend.

Mathe, Tiere, Alice

Mathematik macht schlau, da geht es um das Image und den Nutzen der Mathematik. Das schlechte Image begegnet mir gar nicht mehr so oft, es ist mittlerweile schon ganz cool, auch in Mathe was drauf zu haben. Cooler als in meiner Jugend auf jeden Fall, da war Mathe nur etwas für ausgemachte Freaks, wer in Mathe gut war, der machte auch den obersten Hemdknopf zu, solche Typen. Allerdings wird heute zumindest am Anfang der Schule, in den Grundschuljahren, Mathematik auch sinnvoller gelehrt als damals. Die Söhne haben z.B. gelernt, Ergebnisse zu schätzen, das ist sinnvoll und sofort anwendbar. Wenn ich weiß, wie weit ich in einer Stunde gehen kann, dann weiß ich auch, ob ich zu einem Ziel, das 30 Kilometer entfernt ist, zu Fuß gehen will oder nicht. Ich weiß also, wie lange ich für den Weg in etwa brauche – und diese Info reicht ja erst einmal. In Hamburg kann man so etwas praktischerweise in Alsterrunden rechnen, das versteht jeder. Wenn ich weiß, was eine Tafel Schokolade ungefähr kostet, habe ich eine Ahnung, ob ich für zehn Euro eine oder zwanzig Tafeln oder irgendwas dazwischen bekomme, das klappt und hilft sofort weiter. Wenn ich Quadratmeter schätzen kann, weiß ich, wieviel Rasensaat ich für den Garten kaufen muss usw. Keinem der Söhne kommt Mathe bisher völlig sinnlos vor, davon bin ich ganz angetan.

Übrigens fiel mir neulich auf, dass heute schon Erstklässler ein recht genaues Verständnis von Prozentwerten haben, ganz anders als wir damals. Das kommt durch die Akku-Ladestandsanzeigen überall, die verstehen sie sehr gut.

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Auf dem gefrorenen Fleet vor dem Bürofenster liegen Taubenfedern, viele sogar, dazwischen blutige Reste eines Vogelkörpers und auch Knöchelchen. Welches Tier hier wohl auf dem schmutzigen Fleeteis Tauben reißt? Greifvögel in Hammerbrook, zwischen all den Büroklötzen, man kann es sich kaum vorstellen. Ratten? Möwen? Man müsste wie son Tierfilmer stundenlang aus dem Fenster sehen, die Kamera im Anschlag. Aber das fällt im Großraumbüro dann auch wieder unangenehm auf. Nix darf man, wie die Söhne sagen würden.

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Ich lese weiter im Echolot von Kempowski, eine anstrengende Lektüre, ich muss es zwischendurch etwas weglegen, weil die Inhalte kaum zu ertragen sind. Bei den Texten aus Leningrad geht es gerade auf das unvorstellbare Grauen der Belagerung zu – zwischendurch habe ich die Tagesschau gesehen, da geht es um die geplante Belagerung von Afrin. Der Mensch lernt vielleicht Mathe in der Schule, aber gesamt betrachtet lernt er gar nix.

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Endlich mal wieder Topinambur-Kartoffel-Pilz-Gulasch gekocht, ich habe vor Jahren einmal drüber geschrieben. Schmeckt super, auch im Wiederholungsfall. Ausdrückliche Empfehlung.

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Passend zum Eis überall gibt es heute Musik mit Russlandbezug. Das war damals, das waren die Achtziger und meine Güte, was fand ich die Dame schön.

Ein paar Jahrzehnte weiter singt sie es übrigens wie folgt. Sehr interessanter Vergleich.

Apropos Achtziger: Die Herren von Soft Cell geben ihr Abschiedskonzert. Und jetzt alle:

“Sometimes I feel I’ve got to

Run away I’ve got to

Get away from the pain that you drive into the heart of me

The love we share

Seems to go nowhere

And I’ve lost my light

For I toss and turn I can’t sleep at night.”

Lange her, nicht wahr.