Über elterliches Denken

Hier erscheinen kaum noch lustige Familientexte wie in früheren Jahren, manche werden es vielleicht bedauern. Aber das geht nicht mehr so leicht, weil die Söhne mittlerweile ein Alter erreicht haben, in dem ihre Mitschülerinnen und Mitschüler möglicherweise manchmal mitlesen, das müsste dann bei jedem Satz, bei jeder Formulierung sorgsam bedacht werden. Außerdem kann ich generell nicht mehr über sie schreiben, ohne sie vorher zu fragen, diese Abstimmung würde uns aber endlos Zeit kosten, ich schaffe das ja mit der Herzdame schon kaum. Viele Pointen landen deswegen mittlerweile eher auf Twitter als im Blog, weil man einen knappen Satz sehr wohl zwischen Tür und Angel abstimmen kann, einen langen Text aber nicht.

Vielleicht muss ich jetzt ein wenig umdenken, vielleicht sollte ich mehr und deutlicher aus der Elternperspektive heraus schreiben, wobei die Kinder dann nur noch Stichwortgeber und Nebenfiguren sind. Ich probiere das einmal an einem zwar wahren, aber auch furchtbar albernen Beispiel, bitte, ich habe Sie gewarnt. Ich seziere kurz eine abendliche Situation um ein Stichwort herum, es geht mir im Grunde nur darum, was man als Elternteil alles in welch kurzer Zeit denken kann, der Rest ist bloßes Beiwerk.

Was das Kind gesagt hat:

Die Familie sitzt beim Abendessen, es ist laut und wuselig, alle reden durcheinander, Gläser kippen, Geschirr klirrt, Besteck klappert, es ist alles wie immer, als mich Sohn I ohne jeden Zusammenhang mit irgendwas fragt: “Papa, darf ich Schaben?”

Was ich gedacht habe:

Man hat als Vater natürlich nur begrenzt Zeit, eine Kinderfrage zu durchdenken und ebenso sinnvoll wie pädagogisch wertvoll zu beantworten, man hat etwa drei Sekunden, wenn überhaupt. Danach denken Kinder schon, man würde nichts sagen wollen, dann wird es aber brandgefährlich, denn in der Erziehung gilt Schweigen bekanntlich als Zustimmung: “Du hast nicht nein gesagt!” Drei Sekunden also. Maximal. In diesen drei Sekunden ratterte in meinem Kopf in etwa Folgendes durch, und es liest sich nur so, als könne das nicht in diese Zeitspanne passen, das geht sehr wohl: “Schaben sind Kakerlaken, warum sagt der jetzt aber Schaben, wie im Biolehrbuch? Da steckt doch bestimmt wieder die Schule dahinter, das ist womöglich Sachkunde und die haben da Schaben im Terrarium oder so etwas, das würde mich überhaupt nicht wundern bei den ambitionierten Grundschulen heutzutage, kleine Forscher und so, das kennt man ja. Schaben sind doch Kakerlaken, sind sie nicht? Oder gibt es am Ende fundamentale Unterschiede, Schnittmengen, Teilmengen, was weiß ich? Was man alles nicht weiß! Später mal googeln, das! Oder hat jemand aus seinem Freundeskreis Schaben, manche züchten die vielleicht als Futter für andere Tierchen, Chamäleönner etwa, deren richtiger Plural natürlich anders lautet, aber ich kann ja wohl immer noch denken, was ich will. Oder ist die Sehnsucht nach einem Haustier mittlerweile so groß, verzehrt sich das arme Kind schon so sehr nach einem kleinen und von mir und der Herzdame stets verweigerten Freund, dass jetzt sogar schon Insekten in Betracht kommen? Kann man Schaben zähmen, gibt es possierliche Sorten? Und was braucht man für die, so einen großen Glaskasten? Da könnten wir nach Lübeck fahren und bei meinem Bruder einen erwerben, das wäre eigentlich sogar nett, hurra, ein Ausflug. Und dann hat man nach drei Wochen 500 Schaben, wie bei Hamstern, na super. Dann braucht man plötzlich dringend ein Chamäleon. Oder ist das mit den Schaben bei den Jungs in den dritten Klassen gerade in und ich bekomme wieder nichts mit, weil ich nie irgendwem zuhöre, sondern dauernd über Blogbeiträge nachdenke? Wir hatten damals ja noch Urzeitkrebse, das fanden unsere Eltern vielleicht auch absurd, das weiß ich gar nicht mehr. Oder sammeln die Kinder jetzt vielleicht Schaben, nicht mehr Pokémonkarten? Und wo überhaupt gibt es Schaben, die kann man doch nicht in der Zoohandlung kaufen? Wobei, was weiß ich schon von Zoohandlungen? Ich wüsste nicht einmal, wo eine ist. Keine Ahnung. Früher gab es mehr Zoohandlungen. Und bessere Butter.“ 

Was ich nach diesem blitzartigen und doch einigermaßen gründlichen Nachdenken in routinierter Eloquenz geantwortet habe:

“Hä?”

Was das Kind gemeint hat:

“Papa, darf ich schaben?”

Denn es ist ja so, man hört Groß- und Kleinschreibung einfach nicht. Das gute Kind wollte nicht Schaben, sondern schaben. Mit dem Ceranfeldschaber auf dem Herd, den ich bei der Zubereitung des Essens prächtig eingesaut hatte. Worauf beide Kinder übrigens ab und zu hoffen, denn das anschließende Schaben, witzigerweise jetzt wieder großgeschrieben, gilt hier, warum auch immer, als Hauptspaß für den vergnügungssüchtigen Nachwuchs. Was man vermutlich nur mit der berühmten Tomsawyeranstreichlogik erklären kann, yeah, ich darf schaben, jetzt wieder kleingeschrieben, es ist wirklich kompliziert. Ich kann mich allerdings nicht erinnern, dass mich jemals ein Kind um Erlaubnis gefragt hat. Bisher haben sie immer einfach gemacht, also nachdem sie sich um den Schaber geprügelt haben, versteht sich.

Und dann durfte der Sohn jedenfalls schaben, eh klar. Ich ging aus prinzipiellen Gründen googeln und weiß jetzt sehr viel über Schaben. Warum auch nicht. Man wird eben nicht dümmer durch Kinder. Im Gegenteil, man weiß mit den Jahren immer mehr und denkt immer schneller.

Kurz und klein

Die Herzdame liest: Schlaf gut, Baby!

Ein Text von Maret Buddenbohm, auch bekannt als die Herzdame, die gerade ein Schlafbuch für Eltern von Kindern von 0-6 Jahren gelesen hat (keine bezahlte Werbung)

Wie einige hier vielleicht wissen, gebe ich unter anderem auch Babykurse, genauer gesagt DELFI® Kurse. Eigentlich mache ich beruflich was ganz Anderes, bin da aber in der Elternzeit mit Sohn 2 so reingeschlittert. Ich habe ein Jahr Weiterbildung gemacht, seitdem bin ich montagsnachmittags glückliche Kursleiterin, während der Gatte sich um unsere Kinder kümmert. Ein großes Thema, wenn nicht das größte Thema überhaupt, ist da immer wieder das Thema „Schlafen“. Es gibt kaum eine Woche, in der nicht wenigstens eine übermüdete Mutter über das nicht ein- oder durchschlafende Kind berichtet.

Auch wir hatten mit unseren Kindern und vor allem mit Sohn 1 viele schlaflose Nächte. Rückblickend habe ich den Eindruck, dass wir uns da viel zu sehr haben von anderen Meinungen verunsichern lassen. Vor bald 10 Jahren gab es noch zu viele Eltern und Ratgeber aus der „Jedes Kind kann schlafen lernen“-Fraktion um uns herum. Für die Leser, denen das nichts sagt, es geht da um einen Ratgeber, der empfiehlt, die Kinder abends und nachts so lange schreien zu lassen, bis sie vor Verzweiflung und Erschöpfung einschlafen (die Methode ist vor allem auch hervorragend geeignet für eine gestörte Eltern-Kind-Bindung, echte und dauerhafte Schlafstörungen und den Geldbeutel der späteren Psychiater.)

Ich habe mich ständig als Versagerin gefühlt, weil mein Kind lange nicht im eigenen Bett ein- und vor allem nicht durchschlief. Gleichzeitig sagte mir mein Gefühl aber auch, dass mein Kind sich gerade nachts geborgen fühlen soll. Und dass es richtig ist, ihm die Zuwendung und den Körperkontakt zu geben, den es offensichtlich braucht. Am einfachsten war das im Familienbett, da musste ich nicht zum Stillen und Trösten ständig aufstehen. Wie viele von uns Erwachsenen schlafen wirklich gerne allein? Also ich nicht! Aber warum soll mein Baby das dann gerne tun? Vor allem wenn es am Anfang noch so hilflos ist, dass es sich nicht mal den Schnuller alleine in den Mund stecken kann? (Ja, es gibt Ausnahmen, bei Kindern wie bei Erwachsenen.)

Ich war also lange Zeit zerrissen zwischen meinem Gefühl und den Ansichten meiner Umwelt. Mit großer Freude stelle ich jetzt aber immer wieder fest, dass die Schreien-lassen-Fraktion auf dem Rückzug ist und sich der bindungsorientierte Kinderschlaf durchsetzt, zumindest in meinem Umfeld. In meinen ersten DELFI-Kursen hatte ich noch Mütter, die den anderen diese fürchterlichen Schlaflernprogramme ernsthaft empfohlen haben. Inzwischen habe ich keine einzige mehr. Im Gegenteil, mir hat eine Mutter gerade ein relativ neu erschienenes Buch empfohlen, welches sich eher mit dem Verständnis des kindlichen Schlafes und sanften Strategien beschäftigt.

Es handelt sich um das Buch „Schlaf gut, Baby! – Der sanfte Weg zu ruhigen Nächten“ von Nora Imlau und Dr. med. Herbert Renz-Polster.

Nora Imlau habe ich schon damals gerne gelesen, als ich noch die Zeitschrift „Eltern“ regelmäßig gekauft habe. Und von Herbert Renz-Polster kann ich den dicken Wälzer „Kinder verstehen. Born to be wild. Wie die Evolution unsere Kinder prägt“ nur empfehlen (auch wenn ich ihn nie zu Ende gelesen habe, weil er einfach kein Handtaschenformat hatte und ich ihn daher nicht mitnehmen konnte).

„Warum Kinder anders schlafen“

Am Anfang geht es erstmal darum, den kindlichen Schlaf zu verstehen: Fakten, Schlafzyklen, vor allem aus evolutionärer Sicht. Die Autoren werfen einen Blick zurück in die Geschichte der Menschheit, als der Schlaf noch eine gefährliche Sache war und Gefahr bestand, im Schlaf in der Höhle zu erfrieren oder vom Säbelzahntiger gefressen zu werden. Welches Baby war da im Vorteil? Gewiss nicht das, welches friedlich und alleine ohne Körperkontakt in einer Ecke schlummerte (und erfror…). Leider haben es heutige Babys noch nicht kapiert, dass sie sicher und behütet sind, auch wenn die Eltern sich jetzt lieber nebenan um den Haushalt kümmern oder ihre Ruhe wollen. Ihr biologisches Programm ist immer noch auf Steinzeit gepolt.

Guter Schlaf funktioniert nur durch Entspannung, wie wir Erwachsenen aus eigener Erfahrung wissen. Die Autoren schreiben „Der Schlaf gehorcht nicht der Anspannung, sondern der Entspannung. Ihn beeindruckt nicht das Festhalten, sondern das Loslassen“. In der modernen, hektischen Welt, in der alles auf Effizienz und Produktivität ausgerichtet ist kommen Babys einfach noch nicht mit. Wer kann sich schon entspannen beim Gedanken an einen Säbelzahntiger vorm Höhleneingang? Da bleibt man lieber wach und sorgt durch Weinen und Schreien dafür, dass ein Erwachsener einen in den Arm nimmt und beschützt.

Man darf aber nicht vergessen, dass der Schlaf bei Kindern wie Erwachsenen verschiedene Phasen durchläuft und während des REM-Schlafes (Rapid Eye Movement) Erlebnisse und Eindrücke des Tages verarbeitet werden. In der Regel werden hier alle kurz wach, Erwachsene haben aber gelernt schnell wieder einzuschlafen und erinnern sich am nächsten Tag meist nicht mehr daran. Babys müssen den Übergang von einer Schlafphase in die nächste noch lernen. Schlafen lernen ist wie Laufen lernen. Es braucht seine Zeit und man muss akzeptieren, dass es schnellere und langsamere Kinder gibt.

Mir ist es sehr wichtig, „meinen“ Müttern dieses Verständnis mit auf den Weg zugeben. Weil ich finde, dass es einen großen Unterschied macht, ob sie das Gefühl haben, das Kind schreit und will nur nicht schlafen, weil es seinen Willen durchsetzen will – oder ob sie denken, es kann einfach noch nicht alleine schlafen und will seinen Eltern seine Bedürfnisse mitteilen.

„Eine Begegnung mit Ängsten, Mythen – und uns selbst“ und „Was uns Mut machen kann“

Im weiteren Verlauf des Buchs geht es darum, den gemeinsamen Schlafstress zu reduzieren, sich frei zu machen, von den Ansichten anderer Leute oder von fremden Erziehungsidealen, was am Ende nur zu Beziehungsstress mit den Kindern führt. Gut finde ich immer wieder den Blick auf andere, ursprünglichere Kulturen. Die können z.B. mit dem Begriff „ins Bett bringen“ gar nichts anfangen, da ihre Kinder einfach einschlafen, wann und wo sie wollen. Auf dem Schoß am Feuer, an der Brust oder im Tragetuch auf dem Feld. Auch bei uns war das Jahrtausende so. Wir in den modernen Kulturen sind die einzigen, die den Knall haben, die Kinder „bettfertig“ zu machen und sie dann alleine, abgeschoben im Kinderzimmer in ihr Bett zu legen, um dann endlich Erwachsenenzeit zu haben.

Letzten Endes gehen die meisten Schlafprobleme von Eltern aus. Die Kinder wollen einfach nur geborgen schlafen. Wir sind diejenigen, die da ein Ding draus machen. Die Kinder haben keine Probleme, wir haben sie.

Die Autoren plädieren dafür, die Schuld nicht beim Kind oder sich selbst zu suchen, oft stimmen einfach nur die Bedingungen nicht und daran lässt sich arbeiten. Schuld, dass es mit dem Schlafen nicht klappt, ist niemand.

„Warum wir gegen Schlaftrainings sind“

Einfach sind die Methoden, die Programme, das Sich-bedienen-lassen aus den Bauchläden der Kenner und Experten. Der eigene Weg fordert uns ganz schön was ab, und er ist mal so, mal so, mal auf, mal ab, lebendig eben, aber paradiesisch gewiss nicht.“ So heißt es im Buch. Und genau das ist auch meiner Meinung nach das Problem. Es ist viel schwieriger, auf die Bedürfnisse aller Familienmitglieder einzugehen und tragfähige Kompromisse zu finden, als die elterliche Macht auszuspielen und die eigenen Wünsche und Vorstellungen durchzusetzen. Das gilt auch bei allen anderen Erziehungsfragen. Aus diesem Grund sterben Ratgeber und Methoden à la „Jedes Kind kann schlafen lernen“ auch nicht ganz aus: einfach macht das Leben leichter. Aber auf Kosten der Kinder.

Die Autoren erläutern die Methode, die dahintersteckt. Im Prinzip gehen alle Schlafprogramme auf Richard Ferber zurück. Man spricht hier deshalb auch von der Ferber-Methode, man „ferbert“ das Kind ein. Wobei der Herr Ferber seine eigenen früheren Aussagen heute selbstkritisch sieht. Die theoretische Grundlage basiert auf der Theorie des Behaviorismus, wodurch das Verhalten von Mensch und Tier durch die Verbindung positiven (Belohnung) und negativen (Bestrafung) Reizen verstärkt bzw. abgeschwächt oder gar ausgelöscht wird. Wer sich noch an seinen Biologieunterricht in der Schulzeit erinnert, dem werden gleich die Ratten von Skinner oder die Pawlowschen Hunde einfallen. Auf dieser Basis sollen wir unsere Kinder in einen sicheren, wohligen Schlaf begleiten und eine dauerhafte, positive Bindung zu ihnen entwickeln? Viel Erfolg!

Bevor ich mich in Rage schreibe, zurück zum Buch. Was lernen die Kinder wirklich? „Das beherrschende Motiv ist […] Stress – die Kinder werden so lange mit Frustration und ihren negativen Emotionen konfrontiert, bis sie einschlafen. […] Das Kind lernt nicht alleine zu schlafen, es wird gezwungen.“ Nun werfen die die Autoren die Frage auf: „Was bedeutet es für die Kinder, wenn ihre Eltern sie tagsüber verlässlich trösten und feinfühlig auf ihre Bedürfnisse eingehen, aber sie dann ganz anders behandeln, sobald der Zeiger der Uhr über die Acht geglitten ist?“ Kann so eine Ein-Aus-Behandlung förderlich sein? Das kann ich mir nicht vorstellen.

„Alles was wichtig ist“

Aber wenn Schlaftrainings nicht das Richtige sind, um Kinder geborgen durch die Nacht zu begleiten, was ist es dann? Nach dem Buch ist guter Schlaf vor allem eine Frage des Timings, des Settings und der Schlafqualität. Schlafen ist auch Typsache, wie bei Erwachsenen gibt es bei Kindern gute und schlechte Schläfer, Eulen und Lerchen. Das sollte man akzeptieren und individuell günstige Schlafbedingungen schaffen. Hier werden kleine Tipps gegeben, etwa das individuelle Schlaffenster auszunutzen, in dem es besonders leicht ist, in den Schlaf zu finden. Von festen Schlafenszeiten abzuweichen, wenn sie nicht zur inneren Uhr des Kindes passen und so weiter. Es muss nicht immer das eigene Bett sein. Kinder schlafen am besten da, wo sie sich wohlfühlen und nicht alleine sind. Wenn es sein muss, auch kuschelig zwischen den Eltern vor dem Fernseher. Hauptsache, es geht allen gut. Und ansonsten gerne auch tagsüber: kuscheln, kuscheln, kuscheln.

Die meisten Tipps sind kein Hexenwerk und jeder halbwegs normale Mensch könnte selbst draufkommen, man muss sich nur etwas zutrauen. Dann beschäftigen sich die Autoren noch mit dem Thema „Gewohnheiten liebevoll verändern“. Hierunter fällt auch der Dauerbrenner in meinen Kursen; das nächtliches Dauerstillen abgewöhnen. Es gibt den ein oder anderen Tipp, wie man hier schrittweise vorgehen kann und worauf man achten sollte. Zum Schluss widmen sie sich dem Familienbett, geben Ratschläge zur Sicherheit und gehen vor allem auf die Vorteile ein. In diesem Zusammenhang wird auch der plötzliche Kindstod (sudden infant death syndrome, kurz SIDS) behandelt und was man hierbei beachten sollte.

Mein Fazit

Ich finde das Buch sehr gelungen. Es sorgt für ein grundlegendes Verständnis der kindlichen Verhaltensweisen und räumt mit Mythen und Ängsten rund um den Babyschlaf auf. Außerdem macht es Mut, sich vom ewigen „Durchschlafstress“ zu befreien und liebevolle Wege zu gehen. An einigen Stellen habe ich gedacht, das habe ich doch schon mal hier und hier gelesen. Aber für Eltern, die noch unentschlossen sind, wie sie ihre Kinder in den Schlaf bringen wollen, kann man das wahrscheinlich nicht oft genug sagen. Und grundsätzliches scheint mir, gute Ratgeber zum Thema Schlafen geben keine konkreten Methoden vor, sondern versuchen, zu einer positiven Haltung gegenüber dem Kind anzuregen und für mehr Gelassenheit zu sorgen.

Ach, hätte es doch vor 10 Jahren schon mehr von diesen Büchern und Ratgebern gegeben.

Ist das noch Punk?

Bei SPON las ich ein Interview mit Bela B, es geht um die selten schwachsinnige Frage “Ist das noch Punk?” und ganz am Ende auch um das nächste Album von den Ärzten. Ich finde es immer seltsam, fast rührend, wenn ich heute Menschen in meinem Alter sehe, die ihre Punkklamotten, ihr Hairstyling, ihre Sicherheitsnadelohrringe etc. nie abgelegt haben, die immer noch so herumlaufen wie damals. Über den ersten Punk, der einen Rollator vor sich herschob, habe ich dann tatsächlich etwas länger nachgedacht, das ist noch gar nicht so lange her. Aber natürlich war dieses Nachdenken nicht ergebnisorientiert, das wäre bei dem Thema ja auch vollkommen abwegig gewesen.

Mir fällt wieder ein, wie ich als etwa Siebzehnjähriger in unserem Travemünder Appartment Besuch von einem meiner Punkfreunde hatte, von einem bemerkenswert gut aussehenden jungen Mann mit prächtigem Iro. Der Typ sah so gut aus, den hätte man vom Fleck weg für einen eher romantischen Film über Punks casten können. So eine Art strahlender Punkprinz, natürlich der Schwarm gar nicht weniger Mädchen, weswegen ich es in seinem Umfeld auch ziemlich interessant fand, ich hatte ja nix. Der stand mit mir also auf dem Balkon in der Strandresidenz, wir lehnten am Geländer und dachten über die Standardfrage nach, also über “Was machen wir jetzt”, als auf dem Nachbarbalkon die Nachbarin Hilde mit einem Glas Sekt in der Hand erschien.

Es war ein früher Abend im Sommer, nüchtern war sie um diese Tageszeit natürlich längst nicht mehr und sie winkte uns gutmütig mit dem Glas zu. Der Punk grüßte lässig mit der Bierflasche zurück, dann sahen wir alle einfach in die Gegend. Hilde hielt sich schwankend mit einer Hand am Balkongeländer fest. Es war seniorenheimmäßig ruhig um uns herum, es fing schon an zu dämmern. Wenn man da lange genug so stehenblieb, konnte man bald die Sonne hinter den Nachbarhäusern untergehen sehen. Die allerletzten Grüppchen von Badegästen gingen vom Strand zurück zu den Autos, luden das übliche Zubehör und die nach dem Tag am Meer furchtbar müden Kinder ein und fuhren zurück nach Lübeck oder nach Hamburg. Wir standen, rauchten, tranken und guckten, es war noch viel zu früh für alles. Hilde rief irgendwann “Is’ schön, nicht?” zu uns herüber. Das war einer ihrer häufigsten Sätze. Wann immer ihr wieder auffiel, dass sie nach all den irrsinnigen Arbeitsjahren in Hamburg nun wirklich jeden Tag in der Seeluft in Travemünde stand und überhaupt nichts mehr machen musste, atmete sie tief ein, so tief es nur irgend ging, bis sich ihr ohnehin nicht gerade zierlicher Körperumfang zu verdoppeln schien. Sie schüttelte breit grinsend den Kopf, sah in die Runde und fragte also “Is‘ schön, nicht?” Es gibt ein Bild der alten Simone Signoret, da steht sie mit glücklichem Gesicht an einer Promenade an welchem Meer auch immer, da ist sie von meiner Hilde praktisch nicht zu unterscheiden. Genau so sah das aus. Das Bild steht hier im Regal, eine alte Postkarte.

“Nee”, sagte mein Punkfreund leise und nur zu mir, “so schön is dat nu wirklich nicht.” Er trank einen Schluck Bier. Wir sahen über die Balkonreihen der Strandresidenz, auf jedem dritten oder vierten hingen bunte und sehr bunte Badetücher in erschlaffter Fröhlichkeit zum Trocknen über das Geländer. Unten auf dem Weg zum Eingang sah man helle Spuren und Häufchen aus dem Sand vom Strand, da hatte man Schuhe und Hosen und Taschen doch noch einmal ausgeklopft. Es roch nach Meer, Sonnenöl und gebratenem Fleisch, es war Zeit für das Abendessen. Das Licht am Horizont wurde mit jeder Minute goldener. Nichts von all dem fanden wir schön.

Hilde hat sich viel gründlicher aus dem bürgerlichen Leben ausgeklinkt, als wir es in den nächsten Jahrzehnten jemals tun sollten. Hilde hat sich konsequent totgesoffen, dabei Kette geraucht, sich einen Dreck um etwaige Pflichten geschert und das alles über weite Strecken auch noch großartig gefunden. Hilde hat alles gemacht, was ihr Spaß gemacht hat, sie hat regelmäßig Geld im Spielcasino verlottert und wenn sie am Morgen danach keine Lust auf das Aufstehen hatte, dann blieb sie eben liegen. Lag im Bett, trank und sang Lieder mit frivolen Texten aus ihrer Jugend und machte nebenbei Kreuzworträtsel. Es war ihr vollkommen egal, was andere über sie dachten, das interessierte sie nicht mehr, das Thema war durch, seit sie keine Firma mehr leiten musste. Konventionen, da lachte sie aber, und wie erstaunlich dreckig sie da lachte. Sollten andere doch denken, was sie wollten. Sie stand bei der Abendrunde mit dem Pudel an der Promenade, das Gesicht im Wind, den Blick auf das Meer, sie atmete tief durch, ganz tief. “Is’ schön, nicht?”

Mein Punkfreund ist wenig später abgehauen. Er hat die gerade erst begonnene Ausbildung geschmissen, er hat Schulfreunde zum Mitkommen überredet. Sie sind nach ungeheuer dramatischem Abschied von nicht gerade wenig weinenden Mädchen los und ab auf die Autobahn, Ziel unbekannt, Ziel auch egal, bloß weg, bloß raus aus diesem Kaff. Nach zwei Tagen kamen sie wieder, Getriebeschaden, kein Geld. Darüber sprach man dann besser nicht. Und irgendwann, nur ein paar Jahre später, wurden sie natürlich alle irgendetwas, hatten irgendeinen Beruf, irgendeine Familie, wie das so ist.

So war das damals mit dem Punk. Na, das ist nun auch schon über dreißig Jahre her.

Beifang vom 11.03.2017

Das hier sieht zwar aus wie ein speziell hamburgischer Link, denn es geht um den Autoverkehr in dieser Stadt, es ist aber für jeden interessant, der ab und zu über Verkehrspolitik und soziologische Entwicklungen nachdenkt. Mehr Einwohnerinnen, weniger Autos, nanu. Aber man staunt nur kurz, im Grunde ist es alles nachvollziehbar. Was in Hamburg für mich noch fehlt, ist eine bessere Erreichbarkeit der Ausflugsziele an den Küsten. Also etwa die S-Bahn nach Travemünde. Dieses Umsteigen in Lübeck ist doch wirklich albern.

Schon einmal zur seelischen Vorbereitung: Am 18. März ist Indiebookday. Mitmachen.

Ich habe keine einzige Folge von “Game of thrones” gesehen, fand dieses Interview aber dennoch interessant, es geht um die Bezüge zwischen aktuellen Fragen, dem echten Mittelalter und der Fantasy-Literatur.

Kulturgeschichte in der Zeit, ein Artikel über die allererste Jazzaufnahme

Und nun Musik. Das Stück fängt langsam an, bleibt langsam und hört langsam auf – und wenn man dennoch immer weiter zusieht, sitzt man irgendwann grinsend vor dem Bildschirm, weil man sich einfach darüber freuen muss, was die da können, fast neun Minuten lang. Jay McShann (Klavier) mit Plas Johnson (Sax) und Milt Hinton (Bass). Wer Spotify nutzt, findet dort übrigens auch eine großartige Version von ‘Taint nobody’s biz’ness if I do von Jay McShann. Sehr empfehlenswert.

Timm Thaler

Timm Thaler, das Kinderbuch von James Krüss, ist neu verfilmt worden, man kann sich das Ergebnis gerade im Kino ansehen. Der Film ist glänzend besetzt, im Grunde hat man schon deswegen Spaß, weil man dauernd jemanden erkennt, das geht übrigens auch den Kindern schon teilweise so. Wir waren mit vier Erwachsenen und fünf Kindern im Kino. Fünf Kinder fanden den Film langweilig bis “so mittel”, vier Erwachsene fanden ihn ganz nett bis „sehr gute Unterhaltung“. Ich setze die Geschichte von Timm Thaler unter uns Möchtegernbildungsbürgern mal als bekannt voraus, Rezensionen kann man woanders nachlesen, ich möchte nur kurz schildern, was mir am Rande auffiel.

Die von den Kindern wahrgenommene Langeweile liegt an einem etwas ruhigen Fluss der Erzählung. Dafür kann der Film eigentlich nichts, die Ruhe ist schon in Ordnung und auch passend, dafür können aber alle anderen Filme etwas. Denn die meisten oder doch sehr viele Kinderfilme sind nun einmal eher hektisch. Ich finde das natürlich schade, ich kann mit langsamen Erzählungen und weniger als -zig Schnitten pro Minute noch umgehen, aber ich bin ja auch nicht die Zielgruppe. Oder doch nur sekundär. Anders ausgedrückt – ohne Kinder wäre mir die Langsamkeit des Films gar nicht aufgefallen. Ich fand ihn am Ende sogar etwas zu schnell. Wie die Kinder von heute wohl später einen grandios langsamen Filmanfang wie in “Spiel mir das Lied vom Tod” oder ähnlichen Klassikern finden? Vermutlich schlafen sie nach zehn Minuten ein.

Für Menschen, die viel Wert auf Ausstattung und Kostüme legen, also für Menschen wie mich, geht es bei Timm Thaler etwas sehr durcheinanderig zu. Die Mode und die Kulissen meinen die Zwanziger, zwischendurch driftet es aber, besonders wenn es teuflisch zugeht und die Hilfskräfte des Bösen nachts auf Motorrädern durch die Szene brausen, recht deutlich plötzlich in die Achtziger oder in beliebige James-Bond-Filme, das habe ich nicht verstanden. Aber ich bin auch im Kino und im Theater ein krückstockfuchtelnder Ausstattungsspießer.

Die Kinder wiederum haben über die Sache mit der Wette gestaunt, dafür kann der Film wieder nix. Wenn nämlich Timm sein Lachen beim Teufel persönlich dagegen eintauscht, künftig jede Wette garantiert zu gewinnen – dann ist es doch pappeinfach, auf eine Wette zu kommen, mit der man diesen Plan durchkreuzen kann? Und nicht nur diesen einen Plan, sondern gleich noch ein paar andere? Sie kamen gleich auf mehrere Optionen, da hätte es dann übrigens auch keinen toten Vater mehr gegeben, wenn man schon dabei ist, logisch. Und nun weiß ich gar nicht recht – kam ich da als Kind damals auch drauf, als ich das Buch gelesen habe? Als ich später die Serie gesehen habe? Oder hab ich alles eher einfach so hingenommen? Hat das Buch da eine erhebliche Schwäche in der Konstruktion oder sind Kinder heute schlauer, pragmatischer, einfach weniger leicht zu beeindrucken, als wir es wohl noch waren? So leicht würde der Teufel den Nachwuchs heute mit einem so simplen Trick jedenfalls nicht reinlegen können.

Wobei, das wurde mir dann erst im Gespräch nach dem Film klar, meine Generation mit dem Teufel selbst noch mehr Inhalt verbunden hat. Da müsste man vermutlich kulturgeschichtlich weit ausholen, aber offensichtlich ist es so, dass der Teufel als Inbegriff des Bösen, als höllisches Drohszenario und Fürst der Finsternis, als Gottseibeiuns mit Heulen und Zähneklappern einfach nicht mehr recht zieht. Wir entfernen uns immer mehr von der Zeit, in der Märchen und andere uralte Geschichten noch abends am langsam ausgehenden Kaminfeuer erzählt oder vorgelesen wurden, während draußen die Wölfe am Waldrand heulten und der aufbrisende Wind mit den klappernden Fensterläden am Haus spielte, die im Licht des Vollmonds gespenstische Schatten an die Wand über dem Bettchen warfen, in dem die Kinder bebend lagen, Stoßgebete murmelnd und sich aneinander klammernd. Das war in meiner Kindheit schon weit weg, es rückt natürlich mit jeder Generation immer weiter von uns. Mittlerweile haben sich so viele Horrorfilmbösewichte in Zeichentrick-, Sammelkarten- oder Plüschpuppenversionen in den Kinderzimmern angesiedelt, da muss man schon etwas auffahren, um noch wohliges oder wirklich furchtsames Schaudern zu erzeugen. Der Teufel jedenfalls ist heute eher eine der Figuren aus dem Kasperletheater, und das ist nun einmal albern und etwas für kleinere Kinder. Da hat sich etwas verschoben, das Böse ist heute anderswo, es ist nicht mehr unten in der Hölle. Auch interessant. Wenn im Film klar wird, was dann mit gesenkter Stimme zögernd geraunt wird, nämlich dass der Baron Lefuet ja rückwärts gelesen – oha! Dann ist das bei heutigen Kindern einfach kein nennenswerter Effekt mehr.

Schön war aber, dass man im Kinosaal genau merkte, wer wie alt ist. Als nämlich Thommy Ohrner einen kurzen Auftritt hatte, hörte man von den Plätzen der Älteren ein gezischtes “Ha, da isser doch!” Und als Antwort der Jüngeren natürlich ein komplett ratloses “Hä? Wer?”

Schön auch, dass der Gruselfaktor mit Kostüm- und Bühnenzauber und filmischen special effects für Sieben- bis etwa Zehnjährige dann doch genau richtig war. Als der Teufel sich am Schluß der Handlung endlich doch noch zu Horrorfilmhöhen aufschwang und so ernsthaft böse wurde, wie es sich für den Herrn nun einmal standesgemäß gehört, da waren es die genau richtigen Effekte für das Alter der Zielgruppe, das muss man auch anerkennen. Denn leicht zu treffen ist das sicher nicht. So gruselig, dass dann doch ein deutlicher Nervenkitzel entsteht und der eine oder andere sich lieber etwas am Kinositz oder an den Eltern festhält, aber nicht so gruselig, dass die Kinder wochenlang von finsteren Träumen verfolgt werden und abends doch lieber wieder bei den Eltern schlafen gehen. Perfekt.

Schade schließlich, da bin ich bei eigenem Verschulden, dass wir es hier nicht geschafft haben, das Buch vorher zu lesen. Andere Krüss-Bücher waren in den letzten Jahren im Bettkantenprogramm dabei, dieses leider nicht. Wobei die Handlung des Films dann doch so stark abweicht (für Kenner – es fehlt der Reiseteil, es fehlt Hamburg, es fehlt der spätere Timm), man könnte fast noch einmal darüber nachdenken. Oder wetten, dass man es noch liest ….

(Regie: Andreas Dresen, mit Arved Friese, Justus von Dohnanyi, Jule Hermann, Charly Hübner, Axel Prahl, Nadja Uhl, Fritzi Haberlandt und anderen)

„Was machen die da“ ist zurück

Es war Isa und mir gestern ein Fest, ein großes Fest sogar, eine neue Folge von “Was machen die da” zu veröffentlichen. Nach immerhin einem Jahr Pause hatten wir schon fast vergessen, was für einen Spaß die Arbeit an diesem Projekt macht, wie wohltuend gut wir zusammenarbeiten können und wie interessant diese Interviews sind (und was die Passwörter zum Blog waren).

Wir haben Regula Venske in der Hamburger Zentralbücherei getroffen, sie ist Generalsekretärin des PEN Deutschland. Das ist eine dieser Einrichtungen, die man im Moment eher mehr als weniger braucht, was in diesem Fall leider kein gutes Zeichen ist.

Es war Zufall, dass der Text wegen Deniz Yücel ganz besonders aktuell wirkt, wir hatten den Termin lange vor der Eskalation geplant. Aber das Beispiel zeigt natürlich gut, worum es bei all dem geht.

“Was machen die da” wird in diesem Jahr einen wesentlich entspannteren Rhythmus als in den Anfangszeiten haben, es geht aber weiter – wir haben eine sehr feine Liste von Personen, die wir befragen möchten, wir laufen uns jetzt langsam wieder warm.

St. Georg hilft – ein ausgezeichnetes Update

Wer schon etwas länger hier liest, erinnert sich noch an die Spendenaktion “St. Georg hilft”. Zu dieser Hilfsaktion gibt es noch einmal etwas Neues, es ist erstaunlich und erfreulich. Und es ist nicht nur für die interessant, die großzügig gespendet oder sich sonst irgendwie beteiligt haben, es ist wohl am Rande auch für die interessant, die sich beruflich mit Blogkooperationen und dergleichen beschäftigen. Denn während man bei dem Reizwort Kooperation meist nur an Werbung und PR im kommerziellen Sinne denkt, ging es hier um eine Blogkooperation für einen guten und ziemlich klar definierten Zweck, es ging um eine Kooperation mit der Kirche.

Deswegen waren die Herzdame und ich gerade als Gäste der Synode in Travemünde, wir haben dort mit der Kirchengemeinde St. Georg-Borgfelde den Fundraisingpreis der Nordkirche gewonnen – von dem ich natürlich bis vor kurzer Zeit nicht einmal wusste, dass es den überhaupt gibt.

Im Herbst 2015 strandeten Hunderte, später Tausende Transitflüchtlinge am Hamburger Hauptbahnhof, die Lage der Leute war der Stadt in den ersten Wochen herzlich egal – und so lief es dann auch dort ab. Es gab keinen Strom, kein Wasser, keine Nahrung, Kinder schliefen nachts auf dem nackten Boden in der Bahnhofshalle, die Lage war ziemlich bedrückend. Im Stadtteil, dem hier immer so genannten kleinen Bahnhofsviertel, entstanden schnell Hilfsgruppen, etwa die außerordentlich erfolgreiche Welcome Soup, die den einzigen Zweck hatte, diesen durchreisenden Menschen wenigstens eine warme Mahlzeit zu geben. Tausende Portionen wurden ausgegeben, quasi über Nacht entstand eine erstaunlich leistungsfähige Infrastruktur der Hilfe, der Stadtteil vernetzte sich auf eine neue und bis dahin gar nicht gekannte Art und machte vieles möglich. Auch die Herzdame und ich fragten uns, wie wir am besten beitragen konnten.

Und dann kam es so: Die Herzdame hatte die Idee einer Spendenseite, hat diese “mal eben” aufgesetzt und “mal eben” die richtigen Leute kontaktiert, vor allem Joschi Neu vom Kirchenbüro. Denn wir dachten uns, dass es sinnvoll ist, die Spenden über eine seriöse und äußerst vertrauenswürdige Institution laufen zu lassen. Joschi hat das “mal eben” zu einem Projekt der Kirche gemacht, “mal eben” die Spendeninfrastruktur für genau diesen Zweck aufgebaut, die Herzdame hat das dann mit der Seite verdrahtet. Und ich habe das getan, was ich sowieso dauernd mache – ich habe gebloggt. Über die Situation am Hauptbahnhof, über die Möglichkeit, mit einer Spende zu helfen, über das, was mit den Spenden möglich wurde, in der Welcome Soup und anderswo. Über Helfer und Schicksale, über das, was hier los war. Ich habe also im Blog und in den sozialen Medien geschrieben und verlinkt, die Herzdame hat mit einem ernannten Spendengremium mit Bewohnern aus dem Stadtteil das Geld verwaltet, Joschi hat Spendenquittungen und Dankschreiben verschickt – und das lief. Es lief über Nacht an, es lief sensationell gut und es lief, solange es notwendig war, also bis zum dem sogenannten Türkei-Deal.

Das brachte erhebliches öffentliches Interesse, es kamen deutlich über 25.000 Euro an Spenden zusammen. Es trug dazu bei, dass die über 200 Helfer im Stadtteil monatelang ihre Arbeit machen konnten. Es machte natürlich auch deutlich, welche Weltklasseleserschaft hier mitliest, noch einmal vielen Dank an alle, die irgendetwas gespendet haben – es waren sehr viele von Ihnen.

Und dass wir dafür jetzt diesen Preis gewonnen haben, liegt wohl vor allem daran, dass wir alle genau das gemacht haben, was wir eh schon konnten. Die Herzdame konnte Technik und Vernetzung, Joschi konnte Gemeindebüro, und ich habe eben einfach nur geschrieben, ich kann nämlich sonst leider nichts. Aber das ist wohl der richtige Ansatz – wenn niemand sich verbiegt, geht es am besten. Wobei ich vermute, dass es auch deswegen gut war, weil wir so schnell waren. Wir haben die erste Idee genommen, nichts zerredet und es bei genau einem Zweck belassen. Aus diesem Grund hat nämlich auch die Welcome Soup so gut funktioniert und das war eine wichtige Lehre aus dieser Zeit – sich auf die Sachen zu beschränken, die man vermutlich richtig gut hinbekommen kann. Und darin dann immer besser werden.

Durch den Preis der Nordkirche kommen jetzt noch einmal 2.500 Euro für die Aktion dazu, das Geld wird hier nach wie vor sinnvoll eingesetzt, Integrationsarbeit ist so leicht nicht fertig

Die Preisverleihung fand übrigens im Maritim Travemünde statt und Travemünde und ich – da war doch was. Dazu muss ich dann separat noch einen Beitrag schreiben, das war, wie soll ich sagen, in dieser Hinsicht ein sensationell bemerkenswerter Abend. Aufklärung in Kürze.

Joschi Neu (rechts), die Herzdame als Zeugsvorzeigerin und ich im Maritim Travemünde.

Beifang vom 04.03.2017

Hier hätte eigentlich ein Text über den gestern gewonnenen und in Travemünde entgegengenommenen Preis stehen sollen, der ist ja erstaunlich und seltsam genug, aber da die gesamte Familie heute sowohl im Park, im Kino und dann noch bei der Hamburger Großmutter war, verschiebt sich das dezent. Ich bin außerdem danach frühlingsbedingt und Krokusse zählend quer durch die Stadt zu Fuß nach Hause gegangen und habe daher einen schweren Frischluftschock, ich brauche Ruhe. Ein paar Links gibt es dennoch, eh klar.

Was Mensch und Mörderwal gemeinsam haben – das Thema ist die Rolle der Frauen in der Frühgeschichte der Menschheit.

Ein Artikel über den “Mann ohne Eigenschaften”, mit dem ich irgendwie nie warm geworden bin. Aber nach solchen Lobeshymnen gucke ich dann doch nochmal hinein. Das ist wie mit Wein – ab und zu probiere ich mal wieder. Vielleicht schmeckt er mir ja im Rentenalter endlich. Oliven habe ich auch erst mit etwa vierzig Jahren plötzlich gemocht, man weiß nie.

Geschichten per Crowdfunding. Das wird noch mehr aufleben, glaube ich.

Bei der GLS Bank habe ich wieder drei Links zum Wochenende. Beim mittleren Link geht es um das Arbeiten in der eigenen Wohnung, also um Varianten der Home-Office-Übung. Das betrifft mich auch persönlich gerade, da in meinem beruflichen Umfeld diskutiert wird, was denn nun richtig und angemessen und optimal oder gottweißwas ist. Wer wann wohin? Mit bisher unklarer Gemengelage im Ergebnis. Bis auf weiteres gilt – ich gehe ganz gerne ins Büro und mag den Wechsel zwischen den Orten, um im Kopf umzuschalten.

Bei der Suche nach Stücken für die neue Playlist mit Arbeitsmusik, Schreibmusik, Denkmusik habe ich gemerkt, dass es kaum Videos von Vince Guaraldi gibt, hier ist er mit dem Trio und Bola Sete zu sehen. Der Clip ist dann wohl eine Rarität. Das ist so überaus gepflegte Musik, man möchte sich direkt einen Anzug anziehen, sich nach einem Cocktail umsehen und dann mit einer Dame im Abendkleid ein hochgeistiges Gespräch anfangen, über Casual Jazz auf Playlists oder so.

Kurz und klein