Gelesen – J.L. Carr: Ein Monat auf dem Land

Deutsch von Monika Köpfer.

Das Buch ist überall schon besprochen worden, ich sah gerade eben diese freundliche Rezension und möchte nur schnell etwas anfügen, nämlich ein dezentes “Husch, husch!”

Weil man sich etwas beeilen muss und dann gerade noch etwas hi  nbekommt, was sich vermutlich lohnt. Dem aktuellen Wetterbericht nach ist es noch etwa eine Woche lang Hochsommer, ist es nur noch ein paar Tage lang August im September. Und dieses Buch ist ein Augustbuch, ein ausgesprochenes Spätsommerbuch, im Park zu lesen, im Garten oder am Waldrand, zur Not auch auf einem Balkon mit ein paar Blumentöpfen.

Wenn der Sommer mit jedem Tag etwas mehr kippt, wenn die ganze Pracht schon gilbt und die Vögel längst ziehen, obwohl die Sonne noch brennt, wenn es abends manchmal schon strickjackenkühl wird und es morgens nach Herbst riecht, und wenn der Sommer bald nur noch erinnert wird, aber nicht mehr wärmt, dann ist dieses Buch aber so etwas von perfekt.

Ich bin ja ein großer Freund des situativ korrekten Lesens, und bei diesem Wetter, mit etwas Ruhe und zumindest ein wenig Grün – es ist ein ganz dünnes Buch, man schafft es leicht in den wenigen Tagen oder Stunden, die uns noch bleiben, bevor man im September schon den Oktober fühlt und dann reflexmäßig gleich den November mitdenkt und für ganz andere Bücher bereit ist. Das wollte ich doch schnell noch empfohlen haben.

Vorgelesen – Dave Shelton: Bär im Boot

Übersetzt, und zwar saugut übersetzt, wirklich fluffig übersetzt von Ingo Herzke. Ein höchst bemerkenwertes Kinderbuch, ich werde es ein wenig lobpreisen müssen.

Ein Junge steigt zu einem Bären in ein Boot, er möchte auf die andere Seite – und der Bär rudert los. Und herrlich kinderbuchuntypisch wird das nicht weiter erklärt. Man erfährt nicht, warum der Junge wohin will, was auf der anderen Seite ist, wovon das überhaupt die andere Seite ist, wieso der nicht sehr große Junge alleine unterwegs ist, warum es normal ist, dass der Bär reden kann, nichts, nichts, nichts wird erklärt. Der Junge setzt sich hin, der Bär rudert. Er rudert ein kleines, altes, nicht eben vorzeigbares Boot, die Harriet. Und bald ist links Meer, rechts Meer, hinten Meer, vorne Meer, unten Meer und obendrüber ein endloser blauer Himmel, und mehr ist da nicht, rein gar nichts.

Im Boot liegt nicht allzu viel herum, da sind auch keine reichlichen Vorräte, da ist nur eine verdächtig gleichmäßig blaue Seekarte mit einem unbestimmten Fleck darauf, und unter einer Sitzbank gibt es noch ein paar äußerst befremdlich belegte Sandwiches. Und ein wenig ruderboottypischer Kram, aber das ist nicht viel. Der Bär und der Junge sind sich zunächst nur mäßig sympathisch, aber da sind ja nur die beiden, also reden sie manchmal miteinander. Und bald müssen sie auch etwas mehr machen, als nur rudern und reden, denn sie kommen einfach nirgendwo an, obwohl der Bär äußerst empfindlich auf den Vorwurf reagiert, sich womöglich verirrt zu haben. Auch ein Bär hat eine Kapitänsehre.

Und weil im Boot nicht viel passiert, aber die Situation doch irgendwie bedrohlich ist, bekommt der Autor das einigermaßen spektakuläre Kunststück hin, die Handlung gleichzeitig ermüdend und spannend zu gestalten, was ich für eine starke Leistung halte. Für Jungs, die in Kürze einschlafen sollen, ist das die ideale Mischung, das schraubt einen durch die immer gleiche Szenerie in den Schlaf – und durch die unklare Aussicht auf das Ende in Träume von Möglichkeiten. Perfekt.

Und das Buch bekommt es außerdem ganz wunderbar und ohne jede Zeigefingerheberei hin, dass es schon bald nicht mehr um das Ankommen geht. Ganz wie im richtigen Leben, nicht wahr, man lebt ja in aller Regel nicht freudig dem Ende entgegen und ist begeistert, dort möglichst früh anzukommen (ja, es gibt Ausnahmen, schon klar, wir alle wissen das, aber wir reden hier von einem Kinderbuch). Man lebt so vor sich hin, man rudert so vor sich hin, man kümmert sich um das Essen und um seinen Schlafplatz, ob nun mit oder ohne einen Bären. Und wenn ein Bär dabei ist, dann lernt man den mit der Zeit eben besser kennen und kommt irgendwann schon darauf, warum das eine ziemliche gute Idee ist, das geht einer gewissen Bloggerin übrigens ganz ähnlich [Link kaputt].

Das war ein Buch, mit dem wir plötzlich in einer erzähltheoretischen Diskussion landeten, weil die Söhne dann doch wissen wollten, wieso der das so erzählen kann, so ganz ohne etwas zu erklären, das ist doch ungeheuerlich. Als vorlesender Vater möchte man da leise lächelnd den Satzanfang “Als der kleine Junge eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte …” irgendwo einbauen, so schön ist das, über dergleichen mit den Kindern reden zu können. Was kann man erzählen, was darf man als ErzählerIn, wieso ist etwas spannend, das gar nicht klar ist und kann man Realität und Phantasie wirklich einfach beliebig mischen und immer wieder anders arrangieren, wo bleibt da die Logik und ist die eigentlich zwingend in Büchern – das Vorlesen war mir wirklich ein Fest, und zwar ein großes.

Wir haben bei Büchern jetzt ein neues Kriterium, wir bestimmen Anfänge nach “Das ist ein Bär-im-Boot-Anfang” oder eben nicht, und das ist eine sehr gute und weise Unterscheidung. Und ich freue mich noch im Nachhinein, dass mein aktuelles Manuskript so einen “Bär-im-Boot”-Anfang hat und die Hauptfigur außerdem von bärenhafter Figur ist, was allerdings reiner Zufall ist. Wenn man denn an Zufälle glaubt.

Das Buch ist für Kinder ab etwa acht Jahren. Und ganz ausdrücklich ist es auch für Mütter, Väter, Patentanten und -Onkel, Großeltern und andere Erwachsene mit oder ohne verfügbare Kinder.

Eltern! Blog Award

Kurz nachdem ich diesen Text hier veröffentlicht hatte, bin ich auf den Blog-Award von Scoyo gestoßen. Und da ich den Text ausnahmsweise mal richtig mochte, was mir bei eigenen Produktionen eher selten passiert, habe ich ihn da eingereicht – obwohl das hier nur teilweise ein Elternblog ist, obwohl es im Artikel um ein eher ernstes Thema geht, obwohl Humor bei so etwas meistens das leichtere Spiel hat – ganz ähnlich wie bei Lesungen.

Nun hat die Jury dieses Blog Awards den Text von mir freundlicherweise in die Endrunde befördert (herzlichen Dank!), und jetzt können LeserInnen weiter abstimmen (bitte hier entlang), wer dort gewinnt. Und die Preise können sich sogar sehen lassen, das ist auch schön und keineswegs der Normalfall, wenn es um Blogtexte geht.

Ich freue mich also, wenn Sie da mitmachen und abstimmen, wobei es natürlich auch andere großartige Texte gibt, etwa von Patricia. Aber natürlich sollte man sich alle ansehen, eh klar.

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So …

… und nun ist auch erst einmal Schluss mit den Feiereinträgen, die fast nur aus einem Bild bestehen, weil ich einfach zu nix komme, schon gar nicht zu einem Text.

Aber es ist vielleicht besonders für langjährige LeserInnen interessant zu sehen, dass auch Sohn II jetzt ein Schulkind ist. Wir Eltern zumindest kommen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus – und das gilt vermutlich auch für die Großeltern und die Patentante, denen für die Betreuung des Sohnes in den Ferien und in den letzten Tagen übrigens ganz besonderer Dank gebührt. Es gibt noch eine weitere Patentante, der auch zu danken ist, aber die kann man mangels Blog leider nicht verlinken. Stimmt gar nicht, fällt mir gerade ein, sie kam ja bei mir einmal vor – merci Patricia.

Mehrere Gründe

Ich wollte ein Dokument am Computer öffnen, einen normalen Text, gar keine technische Besonderheit. Die Datei ging nicht auf, die Meldung am Bildschirm sagte: “Diese Datei kann nicht geöffnet werden. Das kann mehrere Gründe haben.” Das ist eine dieser Fehlermeldungen aus der Hölle, ein Hinweis, der einem absolut nichts sagt. Es ist ein Gipfel der Nullinformation, eine Veralberung erster Klasse, eine Verhöhnung der Menschen vor den Geräten, vermutlich überhaupt nur zu dem Zweck geschrieben, Anwender zielgerichtet in den Wahnsinn zu treiben. Wer auch immer den Satz einmal kichernd geschrieben und im Programm verewigt hat, er lacht vermutlich immer noch, wenn er sich die Gesichter der Lesenden vorstellt, wie sie zornbebend mit der Faust auf den Schreibtisch hauen und irgendwann den Kopf auf die Tastatur sinken lassen. So ziemlich alles im Leben “kann mehrere Gründe haben”, danke, wir wissen das. Man liest es, man flucht, man nimmt es hin, was soll man auch sonst machen. Man startet neu.

In einem anderen Kontext wird dieser Satz noch auffälliger, man könnte sich ja versuchsweise auf diese Art im Büro krankmelden: “Ich kann heute nicht kommen. Das kann mehrere Gründe haben.” Das klingt nicht, als sei der Satz gut für die Karriere, man könnte es aber noch steigern und das dranhängen, was Computermeldungen auch als Ergänzung hinterherschieben, die so unschuldig klingende Frage: “War diese Information hilfreich?” Wenn man sich das so als Telefonat am Morgen vorstellt, dann wird einem erst klar, wie irre diese Dialoge mit der Software sind. Man sollte sich das ab und zu bewusstmachen, bevor sich diese Formulierungen irgendwann noch in unser Leben schleichen: “Ich liebe dich. Das kann mehrere Gründe haben. Möchtest du abbrechen?”

(Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten)

 

Was schön war

Als die Herzdame und ich in Berlin waren, haben wir einen Zettel mit Empfehlungen dieser erfahrenen Spezialexpertin abgeklappert, und es sagt vermutlich einiges über unser gemeinsames Arbeitsethos aus, dass wir ihre Empfehlungen einfach alle befolgt haben, von vorne bis hinten. Am letzten Tag, kurz bevor wir in den Zug zurück nach Hamburg stiegen, liefen wir noch durch Berlin-Mitte und absolvierten dort den letzten Besuch. Barcomi’s, das ist eine Location, deren Inhaberin wohl eine Berühmtheit ist, sie hat mehrere Bücher geschrieben etc., in Foodkreisen kennt man sie, soweit ich es verstanden habe. Ich kannte sie nicht, das heißt aber rein gar nichts, ich kenne mich da nicht aus.

Ein schick restauriertes Hinterhaus, irgendwas zwischen Kontorhaus (wie man in Hamburg sagen würde) und Fabrikhof, wirklich attraktiv. Wir konnten draußen sitzen, zwischen schönen bis sehr schönen Menschen, die gerade vom Vorsprechen für irgendwas kamen oder aus New York oder von irgendeinem Deal in einer attraktiven Branche. Falls man ein Klischee von Berlin-Mitte entwickeln möchte, einfach da mal ein, zwei Stunden sitzen und zuhören, das ist zielführend. Man kann in diesem Café, Diner, was auch immer es nun ist, jedenfalls, und das ist wirklich löblich, einen Kuchen-Probier-Teller bestellen, dann erhält man mehrere kleine Stücke. Ist das nicht eine hervorragende Idee? So einfach. So naheliegend. Und ich habe das, soweit ich mich erinnere, noch nie vorher in irgendeinem Café erlebt. Das könnte man meinetwegen sofort überall einführen. Kuchen wie auf Tapas-Platten, von allem etwas, ich fand das sehr überzeugend. Ich meine, man hat ja auch ein gewisses Recherche-Interesse als Tourist, man will doch etwas kennenlernen. Das jedenfalls war schön, ein Kuchenteller mit reichlich Auswahl. Und sehr gutem Kuchen, eh klar, besonders dieses Schoko-Chili-Zeug. Und der New York Cheesecake.

Auf der Toilette des Etablissements steht mit zaghafter Schrift und dünnem Edding eine schüchterne Beschwerde an der Wand, der Höhe nach zu urteilen brav im Sitzen geschrieben: “Alle mainstream!”

Welcher leise Rebell mag da mit bebend vorgeschobener Unterlippe den Stift gezückt haben, um doch einmal irgendwo ein Zeichen zu setzen? Inmitten von Models, Schauspielern, Schriftstellerinnen, Feuilletonlieben der einen oder anderen Art, Businesskaspern und Edel-Expats saß da einer und fühlte sich allein auf dem rechten Weg und ach so außen vor, und so sehr fühlte er das, dass es an die Wand musste, als Protest auf allerdings kleinster denkbarer Flamme. Ungefähr so geistreich, als würde man auf dem Neuen Wall in Hamburg vor den Geschäften stehen und mit schüchtern erhobener Faust “Das ist aber kein Heavy Metal” murmeln, um einmal ganz unvermutet Isabel Bogdan zu zitieren, siehe ihr Buch “Sachen machen”, dort die Wacken-Geschichte.

Laienpsychologisch würden einige vielleicht auch eine enttäuschte Sehnsucht unterstellen, da gehörte womöglich jemand nicht dazu, da gehörte jemand vielleicht nicht zum gepflegten Mainstream, dem es im Barcomi’s ganz offensichtlich saugut geht, und gut angezogen ist er auch, er sitzt bequem und parliert geistreich, er zahlt flotte Preise und wohnt in der Nähe oder in San Francisco, er hat Arbeit und auch sonst keinen Mangel, es ist nicht alles schlecht in diesem Mainstream, wirklich, man könnte auch verstehen, wenn er auf andere anziehend, nicht abschreckend wirkt.

“Alle mainstream!” Ja, Mensch. Rock’n Roll sieht anders aus, wie Rainald Grebe sang, in der Tat. Aber gutes Essen gibt es, gar keine Frage.

 

Ich hatte keinen Edding dabei, ich hätte sonst ein kuchensattes “Begrabt mein Herz an der Biegung des Mainstreams” unter den Klospruch des zaghaften Rebellen geschrieben. Nächstes Mal. Wenn ich es mir dann noch leisten kann.

 

Kurz und klein

Wir fälschen eine Tarte und geben an

Ich erwähne auf Twitter manchmal nebenbei, was ich hier abends in der Küche produziere. Das führt gelegentlich zu Nachfragen, so geschehen etwa bei der Feigen-Ziegenkäse-Rosmarin-Honig-Tarte. Die, um es gleich vorwegzunehmen, keine Tarte ist, ich weiß, aber es klingt eben besser als das schnöde deutsche Wort Blätterteig. Eine Tarte ist per definitionem aus selbstgemachtem Mürbeteig, ja, ich weiß – und ich ignoriere.

Feigentarte

 

Es gibt auch eigentlich gar kein Rezept, wenn man die Zutaten aufgezählt hat, ist man fast schon fertig, dann riecht es schon gut aus dem Backofen, auch wenn die Kombination in dieser Folge irgendwie fast nach einer Bio-Eissorte in Berlin-Mitte oder angrenzenden Stadtteilen klingt. Eine Kugel Feige-Ziegenkäse-Rosmarin-Honig, bitte! Sehr gerne, der Herr.

Wir rollen heute also nichts zu Kugeln, es geht weder um Eis noch um ein Rezept aus Österreich. Wir rollen vielmehr aus und belegen flach. Dazu brauchen wir:

Blätterteig aus dem Kühlregal

Ziegenfrischkäse in der Rolle

Feigen (zwei, drei)

Rosmarin, frisch

Honig in geringer Menge

Schmand in geringer Menge

Sehr schnell erklärt, sehr schnell gemacht. Den Blätterteig dünn mit Schmand bestreichen, man soll davon nicht satt werden, es geht nur um diese leichte und dezente Frische im Geschmack. Den Ziegenkäse in Scheiben schneiden und die Scheiben auf den Teig legen. Ich bevorzuge dabei eine Rolle, die nicht ungeheuer aromatisch ist, das findet man so meist bei den eher günstigen Produkten. Eine Rolle ist dabei überhaupt nur aus praktischen Gründen erforderlich, Scheiben sehen eben nett aus. Bei mir können die Scheiben ruhig etwas dicker sein.

Die Ziegenkäsescheiben mit dünnen Feigenscheiben belegen, wobei es zweckmäßig ist, keine überreifen Feigen zu kaufen, die kann man nicht schneiden, weder dünn noch überhaupt, man matscht nur sinnlos herum, das verdirbt die Stimmung.

Rosmarin, der bei uns nur noch Großmarin heißt, weil wir ihn in Südtirol in unfassbarer Größe gefunden haben, geradezu baumgleich, ich hatte tatsächlich keine Ahnung, dass der so groß werden kann. Zerhacken und locker über die Scheiben streuen, das kann ruhig etwas mehr sein und ich habe den begründeten Verdacht, dass Thymian auch gut funktionieren würde, mir fehlt da aber die Erfahrung. Den Honig in Tröpfchen über alles schlenkern, wirklich wenig, wirklich zurückhaltend, das wird sonst dramatisch zu süß, aber eine Ahnung von Honig ist schon nett.

Nach Packungsangabe in den Ofen, also vermutlich zwanzig Minuten bei 200 Grad, zack, fertig. Sieht gut aus, schmeckt großartig, macht deutlich etwas her, ist in gesamt 25 Minuten zu schaffen. Ein Blech für zwei Normalhungrige, das gehört für uns genau so zur Feigensaison.

That was easy! Und jetzt, wo ich schnell noch etwas im Internet nach ähnlichen Rezepten herumsuche, sehe ich gerade das hier. Eventuell war das einmal die Originalquelle? Das kann durchaus sein. Und da heißt es Quiche. Na, Hauptsache edel.