Wer immer strebend sich bemüht

Sohn I macht sich Gedanken über sein Essen. Er fragt nach, er hört zu, er lässt sich das alles erklären. Das mit der Massentierhaltung z.B. und auch das mit der Nahrungsindustrie. Wie wird das alles hergestellt? Er kann noch nicht alles verstehen, natürlich nicht, aber was er versteht – das findet er überhaupt nicht gut. Und er beschließt, was viele Kinder in seinem Alter beschließen: Er isst jetzt kein Fleisch mehr. Wenn das so hergestellt wird, nein, dann möchte er das lieber nicht. Die armen Tiere! Die Umwelt! Er verkündet seinen schnell gefassten Beschluss und geht an meiner Hand die Straße entlang, froh und glücklich, die Welt ein Stück besser gemacht zu haben. Das war doch gar nicht schwer, er ist ganz vergnügt. Bis er Hunger bekommt.

Da wird er schwach, da möchte er doch gerne und auch einigermaßen dringend etwas vom Imbiss da vorne. Mit anderen Worten, er ist jetzt ein Wurstbudenvegetarier. Voll der guten Gedanken und Absichten, stets nur seinen Idealen folgend – mindestens aber bis zur nächsten Versuchung. Es wäre jedoch ganz falsch, darüber zu lachen. Wir sind alle Wurstbudenvegetarier. Wir sind alle voll vom Wissen, wie es besser zugehen kann auf der Welt, gerechter, gesünder, friedlicher. Und nützt das der Welt? Es sieht nicht so aus. Auch unsere Ideale reichen nämlich stets nur bis zur nächsten Wurstbude, bis zum nächsten Streit oder zum nächsten „Ach, mir doch egal.“

Darüber habe ich mit dem Sohn gesprochen. Er hat darüber intensiv nachgedacht, auch mit sieben Jahren versteht man den Konflikt schon ganz gut. Und dann hat er es immerhin noch eine Wurstbude weiter geschafft. Denn der Mensch an sich, er ist wirklich immer voll der besten Absichten. Wenn er sich Mühe gibt, dann schafft er es meist noch ein Stück weiter. Und da in Kinder unsere Zukunft steckt, schafft die Menschheit das womöglich auch. Zumindest irgendwann. Zumindest theoretisch.

(Der Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)

Die Herzdame backt: Double Chocolate Muffins

Damit konnte natürlich keiner rechnen, aber wir schaffen es tatsächlich, diese Reihe fortzusetzen. Noch eine Folge und wir können schon fast von einer Rubrik reden, es ist zu und zu schön. Es gibt heute Muffins, nach einem Rezept aus einem dieser Tim-Mälzer-Hefte, also aus “Essen & Trinken für jeden Tag”.

 

Da steht im Rezept, dass man 12 Schoko-Bonbons mit Karamellkern braucht, das ist natürlich sehr dezent formuliert. Seien wir offen: Das sind Rolos. Verblüffend an Rolos ist, dass jeder, dem man von diesem Rezept erzählt, etwas sagt wie: “Rolos! Ganz vergessen! Gibt es die noch?” So ging es mir selbst übrigens auch. Aber da es sie noch gibt, wird sie irgendwer wohl auch essen. Wer mag da jetzt die Zielgruppe sein, wenn wir es alle nicht sind? Keine Ahnung. Ich bekomme sie hier nur noch in 4-Rollen-Packungen, nicht mehr in einzelnen Rollen. Man braucht allerdings nur eine Rolle, d.h. man muss ganze drei davon rezeptfrei essen, das ist natürlich schlimm, sehr schlimm.

Für 12 Muffins braucht man:

200 g dunkle Schokolade

125 g gute Butter

220 g Mehl

30 g Kakaopulver

4 TL Weinsteinbackpulver

¼ TL Salz

2 Eier

200 g Zucker

1 Pk Vanillezucker

250 ml Buttermilch

12 Rolos

1 EL Puderzucker

und Papierbackförmchen in der Ausprägung “Hello Kitty”, letztere aber nur auf besonderen Wunsch von Sohn II, der bei Dekofragen nach wie vor pink entscheidet. Andere Motive gehen sicher auch. Das Muffinblech, das es heutzutage in jedem Haushalt zu geben hat, kann man gleich mit den Förmchen auslegen.

 

Die Schokolade wird gehackt, zertrümmert und zerbröselt, da kann man nebenbei etwas Aggressionen abbauen, das schadet ja nie.

 

125 g der Schokolade mit der Butter in einem Topf langsam zu einer schlanken Masse schmelzen und dannn gleich wieder etwas abkühlen lassen.


 

Mehl, Kako und Backpulver in eine Schüssel sieben, Salz und Schokoladenrest dazugeben.


 
Eier, Zucker und Vanillezucker 5 Minuten verrühren. Die Schokobutter nach und nach dazumischen, dabei immer weiter rühren. Dann die Buttermilch ebenfalls langsam unterrühren.


 
Sollte sich ein zufällig anwesender Hund für Buttermilch interessieren, diese in einem Schälchen auf dem Boden servieren. Sagt jedenfalls Schnuffi, der Hund, in anderem Kontext auch als Sohn II bekannt.


 
Die Mehlkakaomischung zur Eierschokomischung geben und alles mit einem Kochlöffel verrühren, aber nur ganz kurz, bis die Zutaten gerade verbunden sind. Auf dem nächsten Bild ist kein Kochlöffel zu sehen, ich weiß auch nicht, warum das so ist. Eventuell hält sich die Herzdame nicht an die Anweisungen im Rezept, Nordostwestfalen sind oft eigensinnig.

 

Die Papierförmchen halb füllen, dann in jede Form einen Rolo versenken und mit dem Rest des Teigs auffüllen.



 

Das backt dann bei 190 Grad 25 Minuten und riecht währenddessen ganz hervorragend. Den Puderzucker soll man laut Rezept hinterher über die fertigen Muffins stäuben, das fanden wir entbehrlich. Unentbehrlich sind dagegen Hello-Kitty-Fähnchen für einen Teil der Muffins. Sagt Schnuffi, der Hund.


 
Die Rolos sind übrigens nach dem Backen kein richtiger Hammerspezialsondereffekt in den Muffins, sie sind eher dezent. Nett, aber dezent. Wenn man während des Backvorgangs die übrigen drei Rollen Rolos weggelutscht hat, ist das Interesse an Muffins aber ohnehin eher schwach ausgeprägt, zumindest meiner Erfahrung nach. Sie schmecken aber tatsächlich gut,und zwar so coffeeshopgut, das kann man also wirklich gerne machen. Und diese kleine Karamellüberaschung ist schon nett. Wenn auch etwas dezent. Man könnte im Rahmen eines Forschungsprojektes sicher auch zwei Schokokaramellbonbons in einem Muffin versenken, das müsste gehen.

 

Gelesen, vorgelesen, gesehen, gespielt und gehört im September

Gelesen

Erwin Strittmatter: Tinko. Darüber habe ich hier schon geschrieben.

Françoise Sagan: Ein gewisses Lächeln. Deutsch von Helga Treichl. Schon vor einiger Zeit begonnen, jetzt erst durchgelesen. Eine junge Frau betrügt ihren jungen Freund mit einem älteren Mann, der dabei wiederum seine Ehefrau betrügt, die eine Freundin der Frau ist, also eine ganz normale Geschichte. Eine ganz normale Geschichte mit wunderbar klaren Schilderungen des Hin und Hers der Gefühle. Ein wenig hoffnungslos, ein wenig bitter, ein wenig unterkühlt – und sehr, sehr verständlich. Man kann sich beim Lesen gut vorstellen, wie sie einem das Buch erzählt, die Sagan, mit leiser Stimme und betont deutlicher Aussprache. Man hört ihr den Bildungsstatus an, auch wenn sie damit nicht kokettiert. Sie sitzt in einem Pariser Café und erzählt diese kleine, einfache Liebesgeschichte, man hört ihr zu und wundert sich, wie jemand so klar erzählen kann, so reflektiert, klar und schön. Man kann sich gut vorstellen, sich ein wenig in sie zu verlieben, während sie so erzählt, und natürlich verliebte man sich völlig sinnlos und ohne jede Aussicht. Sie trinkt zwischendurch Wein, sie wird aber nicht betrunken, sie raucht, und es gehört so. Sie beendet die Geschichte mit einem Gesichtsausdruck, den man nicht deuten kann, sie sieht einen an und sagt, “So war es” und man hat eine ganz kurze Gelegenheit, etwas wahnsinnig Kluges anzumerken, etwas Kluges, das einem natürlich nicht einfällt, man ist eben nicht Sartre, was soll man machen. Sie sieht einen an und sie verabschiedet sich freundlich. Man sieht ihr die Enttäuschung nicht an, aber man fühlt sie. Sie zahlt und geht, als hätte sie es gleich gewusst. Wozu erzählt sie Fremden Geschichten? Wenn sie das nur wüsste.

So ein Buch ist das.

Pia Ziefle: Länger als sonst ist nicht für immer.

Yeah.

Das ist natürlich ein hervorragendes Buch, wie es bei der Autorin nicht anders zu erwarten war, das wird aber in Kürze zu einem separaten Blogeintrag verarbeitet. Ehre, wem Ehre gebührt. Kaufen könnten Sie es dennoch schon einmal, versteht sich.

Wilhelm Müller: Gedichte. Damit habe ich zwar gerechnet, aber ich wollte es doch einmal bestätigt haben – die Gedichte funktonieren nicht ohne Schubert. Und zwar so überhaupt nicht.

Vorgelesen

Aleksandra Mizielinski und Daniel Mizielinski: Alle Welt. Aus dem Polnischen von Thomas Weiler. Hier beim Verlag kann man eine Leseprobe ansehen, dann versteht man gleich – das ist gar kein Vorlesebuch. Das ist ein Staun- und Betrachtungsbuch für die ganze Familie, ein Fingerreiseführer, ein prächtiges Bilderbuch und eine Einladung für Eltern, zu erzählen, zu erklären, zu erinnern. Das Buch kann ich als Geschenk für Kinder wirklich empfehlen. Es zielt ungefähr auf das Vorschulalter, etwas darüber und darunter macht aber überhaupt nichts.

Johann Wolfgang von Goethe: Gedichte. Das klingt natürlich nach fortgeschrittenem Bildungsbürgertum, einem Siebenjährigen Goethe vorzulesen, aber keine Angst, ich kann alles erklären. Es ging nämlich nur um die Reime, die Sohn I gerade faszinieren und beschäftigen. Reime werden gesucht und gefunden, zu Liedern verarbeitet und umgebaut, verschoben, verbogen und versaubeutelt. “Reimt sich reimt sich auf schleimt sich”, das ist ein Satz von ihm, so etwas merkt man sich dann. Und wie sind nun aber “ganz richtige” Gedichte? Da wollte er gerne mehr von hören. Also habe ich den Goethe irgendwo aufgeschlagen und vorgelesen, sowohl die leicht verständlichen Sachen wie den Zauberlehrling als auch einfach irgendwas, es gibt ja ein paar mehr Gedichte von ihm. Wir haben uns darauf geeinigt, dass man den Sinn gar nicht immer verstehen muss, vielleicht auch nicht immer verstehen kann, so ein Gedicht aber dennoch schön sein kann – oder vielleicht nicht einmal schön, aber dennoch beeindruckend gereimt. Und das ist auch was wert, findet Sohn I. Wir haben über “Ein Gleiches” gesprochen, das war ihm dann doch etwas rätselhaft, dass dieses Gedicht so bekannt ist. An eine Holzwand hat er das geschrieben, der Goethe? Das ist cool, keine Frage. Aber ein besonders gutes Gedicht? So ein kurzes? Echt jetzt? Na, obwohl es schon schön ist, doch, doch, das klingt irgendwie – schon ziemlich gut. Aber warum? Lies noch einmal, Papa.

Demnächst dann die deutschen Balladenklassiker, die ganzen Kracher und Gassenhauer, den ganzen Endreimzauber. Der Ritt über den Bodensee, Die Brück’ am Tay, John Maynard und Konsorten. Das wird schön. Alles an Bord bringen, bevor die Schule es versaut. Oder versaut sie es heute gar nicht mehr? Ich weiß es nicht. Meine Mutter hat mir als Kind Balladen vorgelesen, ich habe es geliebt. “Oh schaurig ists übers Moor zu gehen, wenn es wimmelt vom Heiderauche” – so etwas ist mir bis heute geblieben. Einen Versuch ist es doch wert.

Gesehen

Eine halbe Dokumentation auf arte über emanzipierte Wikingerfrauen. Auf arte könnte man wohl öfter etwas sehen, aber man kommt ja zu nix.

 Gespielt

Nach den Kindergeburtstagen gab es hier einiges aufzubauen, unter anderem auch etwas von Fischertechnik. Die Bausätze entwickeln sich zu einer Spezialität von Sohn II, der anscheinend technisch und mathematisch begabt ist, es gibt eben in jeder Familie merkwürdige Vögel. Ich finde Fischertechnik toll, das Zeug wird irgendwie immer noch unterschätzt. Neu in diesem Haushalt war auch etwas von Lego Technic, das gab es bisher noch gar nicht. Das waren nur ganz kleine Kästen, aber da kann ich doch schon ahnen, wie viele Stunden bald mit den größeren Exemplaren zu verbringen sind. Ja, ja, die langen Winterabende.

Eine Carrerabahn oder, wie die Kinder sagen, eine Karrierabahn, habe ich als Kind nicht gehabt. Die habe ich damals nur bei anderen Kindern mal gesehen und nie richtig spannend gefunden. Da fahren Autos immer im Kreis, na und? Das beschreibt bis heute mein Verhältnis zur Formel 1 ziemlich präzise. Egal, die Söhne sind jetzt jedenfalls begeistert. Wobei es etwas laut und nervtötend ist, wenn die Carrerabahn zu dicht am Schreibtisch steht, da könnte man auch gleich an der Leitplanke einer Autobahn arbeiten.

Von der oben erwähnten Frau Ziefle haben die Söhne Story Cubes geschenkt bekommen, das ist ein ganz außerordentlich feines Spielzeug, pädagogisch wertvoll, literarisch anwendbar, geistig herausfordernd und alles. Da würfelt man, besieht sich die Bildchen auf den Würfeln und erzählt eine Geschichte dazu. Ganz einfach. Und die Söhne erzählen und erzählen, wild fabulierend, fernab aller Logik, sie durchbrechen Zeit und Raum und alles, was Geschichten aufhalten kann, es ist eine helle Freude. Da kann man, das ist kein Scherz, als Erzähler etwas lernen.

Mein Flughafen – Wunderwimmelbuch. Eine App von der Wonderkind GmbH, die sowieso ganz wunderbare Sachen machen. Gerade bei den Wimmelbuch-Apps sieht man deutliche Qualitätsunterschiede und man meint zumindest ahnen zu können, dass einige Entwickler wirklich Freude daran haben. Oder einfach Kindsköpfe sind, was natürlich als Kompliment zu verstehen ist. Dieses Wunderwimmelbuch macht übrigens auch Spaß, wenn man gar keine Kinder hat, längst erwachsen ist, Vielflieger und Businesskasper. Glaube ich jedenfalls. Hier bei iTunes.

Gehört

Dann des öfteren Byte.fm angemacht, den Sender hatte ich zwischenzeitlich ganz vergessen, er fiel mir erst durch einen Tweet von Markus Trapp wieder ein – vielen Dank für die Erinnerung. Auf Byte.fm macht Radiohören immerhin doch noch Spaß und man stößt tatsächlich mal auf neue Musik, der man sonst nie begegnet wäre. Man lernt etwas. Feine Sache.

Außerdem entdeckt: Dieses Video von The Peddlers, die überhaupt interessant sind, da lohnt auch die weitere Suche, auf Spotify findet man reichlich. Das hat doch was, die Musik. Hätte ich mal damals auf der Hammond-Orgel bloß weiter geübt!

Element of Crime haben ein neues Album, “Lieblingsfarben und Tiere”. Das bringt weder besonders neue Musik noch neue Ansätze, das klingt genau wie die letzten Alben auch klangen – und das ist auch gut so. EoC hat für mich EoC zu sein, ich habe manchmal das Gefühl, ohne ihre Musik würde ich überhaupt nie in Schreibstimmung kommen. Das Titellied entält den Begriff “Schwachstromsignalübertragungsweg”, das muss man auch mal ausdrücklich anerkennen. Das können nicht alle, so etwas souverän in Texten zu verbauen, das kann sonst vielleicht nur noch die Erdmöbel-Truppe, bei denen kommt immerhin in einem Song der Hauhechel-Bläuling vor, das ist auch groß. Und bei EoC ist es wie immer, beim ersten Hören denkt man na ja, beim zweiten Hören wird es schon besser und beim zehnten Hören gehört es schon zum Leben wie die Raufaser an der Wand, nur viel, viel geliebter.

Schubert/Müller/Brendel/Goerne: Winterreise. Also die Winterreise in der Version von Matthias Goerne mit Alfred Brendel am Klavier, die gefällt mir gerade am besten von den zahllosen Aufnahmen, die man finden kann. Und auch “Die schöne Müllerin”, im Grunde hänge ich da aber nur an zwei, drei Liedern aus den Zyklen fest und höre sie in Endlosschleife. “Des Baches Wiegenlied”, das löst bei mir gerade Instant-Entstressung aus, “Heran, heran, was wiegen kann” das schaukelt das Nervensystem so sanft auf ein angenehmeres Erregnungsniveau. “Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus”, das ist, als würde man sich Melancholie intravenös in den Arm jagen, da reicht ein Schuss gleich für drei Stunden Herbstseligkeit. Wenn die Familie nicht da ist, singe ich das sogar sehr bemüht mit, das muss grauenvoll sein. Aber ich höre es ja nicht, ich habe Kopfhörer auf. Hihi.

Neben Goerne sind auch die Aufnahmen von Richard Tauber faszinierend, der stets so singt, als könne er gerne auch lauter, wenn jemand dahinten vielleicht etwas nicht verstehen sollte? Immer denkt man, selbst an den lautesten Stellen, der hat doch noch Reserven. Er hat eine dermaßen lässige Gentleman-Eleganz in der Stimme, das hat wohl niemand so wiederholt. Oder doch? Was weiß ich, ich kenne mich da so überhaupt nicht aus, ich bin Banause durch und durch.

Woanders – diesmal mit Tatu und Patu, Alarmismus, Aufklärung und anderem

Familie:  Bei Planet Hibbel werden die Bücher aus der Reihe “Tatu und Patu” von Aino Havukainen und Sami Toivonen emfohlen, die bei den Söhnen hier auch sehr gut angekommen sind. Der Empfehlung schließe ich mich an.

Familie: Die Zeit über den Alarmismus in Familienfragen. Dauert sicher nur Tage, bis irgendwo ein paar sehr aufgeregte Antworten erscheinen. Weil es nicht okay ist, wenn etwas okay ist. Alte Regel.

Schule: Katrin Seddig über Aufklärung in Schulen und merkbefreite Politikerinnen.

Schule: Schlagzeilen, mit denen man auch nicht gerade rechnet – Schule errichtet Bannmeile für Elterntaxis. Ich bin ja froh, dass an unserer Schule das Bringen mit dem Auto eher unüblich ist.

Schule: Noch im Kontext all der Leselerndiskussionstexte aus der letzten Woche regt sich Herr Wolf weiter auf, lang und lesenswert, er hat da gelegentlich eine faszinierende Gründlichkeit, ich mag das.

Eine Geschichte: Frau Fragmente besucht ihren Vater im Pflegeheim.

Feuilleton: Skizzen von Hopper zu “Nighthawks”.  Ganz wunderbar. Gefunden via Kiki.

Feuilleton: Die Zeit über den Fernsehsender arte.

Feuilleton: Die NZZ hat mit Hans Magnus Enzensberger gesprochen. Er sortiert seine Bücher genau wie ich,wie außerordentlich symptahisch.

Fotografie: Eine Fotoreportage über Erdmenschen in Ulan Bator. Gefunden via Kwerfeldein.

Hamburg: OZ starb sozusagen bei einem Berufsunfall, vielleicht auch an einer Art von Wahnsinn, wer weiß. Wenn man die Kommentare unter den Nachrufen in den Onlinemedien liest, verliert man jeden Glauben an die Menschheit, aber man liest ja keine Kommentare, oh nein. In der taz ein lesenswerter Nachruf auf einen seltsamen Menschen.

 

Anmerkungen zum Ganztag

“Mama notes” schreibt in der Brigitte über die Ganztagssschule und die Bauchschmerzen, die man als Elternteil mit ihr haben kann. Das Thema bewegt natürlich alle Eltern von Grundschülern. Wir haben bisher nur ein paar Wochen Erfahrung damit, wir können das Kind noch früher abholen, bis zu den Herbstferien ist das eine Art Eingewöhnungszeit mit besonderer Flexibilität. Und da zeigt sich: Das Kind will überhaupt nicht früher abgeholt werden, das Kind will da sein, wo die anderen Kinder sind – wie es wohl alle Kinder immer wollen.

Nach der Schule sind die Kinder, wenn das Wetter es zulässt, noch draußen und ziehen in Rudeln über die Spielplätze und um die Häuser, ohne dass wir permanent hinterherhelikoptern. Das scheint hier wesentlich besser als in anderen Gegenden zu klappen, warum auch immer. Vielleicht weil es so ein kleiner Stadtteil ist, weil es ein Dorf mitten in der Millionenstadt ist. Hier rauschen zwar jeden Tag Touristenmassen durch, aber unter den Einheimischen kennt jeder jeden, das ist etwas speziell, fast wie damals in Travemünde. Wenn Sohn I hier heimlich bei Rot über eine Straße gehen sollte, ich würde es kurz darauf von einem anderen Elternteil erfahren. Weil man hier so leicht nichts unbeobachtet macht.

Auf diese Art sieht man an Sommertagen vielleicht tatsächlich nicht mehr viel vom Kind, aber das entspricht dann doch ziemlich genau dem, wie auch meine Kindheit war. Kurz reingehen, um Essen oder Wasser oder Nähe zu tanken, dann bloß wieder raus, zu den anderen. Wieder rein, wenn es dunkel wird und das auch nur gegen erbitterten Widerstand: “Es ist doch dahinten noch hell!” Im Herbst und im Winter findet dann deutlich mehr Familie statt, Brettspielsaison und Bücherabende, das war früher so, das ist heute so. Bis jetzt kommt mir das alles ganz gut vor. Wenn es nach der Ganztagsschule tatsächlich weitesgehend keine Hausaufgaben gibt, dann ist vermutlich alles in Ordnung – wenn die Kinder in der Schule genug Spaß haben.

Denn die verdammten Hausaufgaben, sie haben uns damals doch auch für ein bis zwei Stunden drinnen festgehalten, und das war weitesgehend spaßfrei, lästig und enorm langweilig. Das waren zwar ein, zwei Stunden, die man jeden Tag zu Hause statt in einer Einrichtung verbrachte, aber ganz sicher tat man das nicht freiwillig und beglückend war es auch nicht, eher im Gegenteil. Dieses Gefühl, noch 50 Lateinvokabeln lernen zu müssen, während andere schon am Strand waren, das ist definitiv eine eher unschöne Erinnerung.

Mich stört am Konzept der gebundenen Ganztagsschule in Hamburg nicht die geregelte Zeit, mich stört vor allem, dass man bei der ganzen Reformarbeit der Grundschulen nicht an Sport- und andere Vereine gedacht hat. Denn wenn das Kind stets bis sechzehn Uhr in der Schule ist, kann beispielsweise ein Schwimmvereinstermin nur um 17 Uhr stattfinden, alles andere ist bei jüngeren Kindern schlicht nicht machbar. Und wie viele Schwimmvereinstermine in Hamburg gibt es wohl um 17 Uhr? Haha, genau. Sohn I geht jetzt mit Sondergenehmigung zu einem früheren Termin. Das ist der Punkt, wo das Konzept überhaupt nicht aufgeht, wo den Vereinen aller Sportarten in Kürze deutlich Nachwuchs fehlen wird. Die Vereine, die Sportarten, die Freizeitbeschäftigungen, sie müssen alle, alle in die Schulen, sie müssen in den Ganztag, es geht sonst einfach nicht. Es kann gar nicht gehen. Was sagen Lehrer, Trainer, Vereinsmeier dazu? Sie gucken wissend und betroffen und heben die Hände zum bewölkten Hamburger Himmel. Was machen die Schulpolitiker? Sie schrauben lieber wieder an G8/G9 herum, man möchte allmählich schreiend weglaufen, wenn man die Kürzel nur hört.

Das geht vermutlich noch jahrelang so. Und das ist wirklich schade.

 

10. Hochzeitstag

Oder, wie man heute auf gewissen Portalen sagen würde: Super Herzdame, gerne wieder.

Beim Nachdenken über den Tag haben wir die Bilder vom damaligen Fotoshooting für unsere Einladungskarten wiedergefunden. Die Herzdame, damals noch als die Verlobte blogbekannt, hatte für die Session das Hochzeitskleid ihrer Mutter angezogen, ich trug ein weißes Hemd ohne anständige Manschettenknöpfe, das war damals ja quasi noch Punk.

Die Fotos kommen mir alle vor, als wäre die Hochzeit schon viel länger als zehn Jahre her. Andererseits finden wir immer noch Themen, über die wir noch nie gestritten haben, insofern kann es doch nicht so lange her sein. Zehn Jahre schon! Ist es denn zu fassen. Keinen Tag bereut, nie in Frage gestellt. Nichts, wirklich gar nichts hat sich in meinem Leben selbstverständlicher, logischer und passender angefühlt, als zu dieser Frau meine Frau zu sagen.

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Foto übrigens: Heiko.

 

Ein Update bei „Was machen die da“

… und zwar geht es nach dem Zahnarzt in der letzten Ausgabe wieder um eine Schreibtischtäterin. Wir geben uns ja durchaus Mühe, dass die Berufe dort bunt gemischt sind, ebenso die Damen-Herren-Verteilung usw., im besten Fall geht alles nett durcheinander, das ist gar nicht so einfach. Aber wir versuchen es.

In der nächsten Ausgabe, womöglich in 14 Tagen, wird es also mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht um einen Menschen am Schreibtisch gehen. Heute geht es um eine Übersetzerin, da mussten wir nicht lange suchen, da kennt Isa die eine oder andere. Wir haben Ulrike Schimming besucht, die Bücher aus dem Italienischen übersetzt, das Interview und die Fotos dazu findet man hier.

Schneekugel

 

Hochgucken: Kassandra

Die Rubrik “Hochgucken” wurde hier sträflich vernachlässigt, das muss sich wieder ändern. Es ging, das erkläre ich für die Neuzugestiegenen kurz noch einmal, um Beobachtungen von Szenen, die man sonst verpasst, wenn man auf sein Handy sieht. Die ersten Texte dazu finden sich hier. Ich habe das zunächst mit gezählten Tagen betitelt, das war aber keine sehr gute Idee, das setze ich jetzt lieber mit ganz normalen Überschriften fort.

Die Rubrik lag etwas brach, weil es Sommer war und ich im Sommer wenig S-Bahn fahre, denn ich gehe zu Fuß nur zwanzig Minuten bis zur Arbeit. Und wenn ich doch einmal gefahren bin, habe ich nichts gesehen. Also natürlich habe ich irgendwas gesehen, aber, wie Frau Gminggmangg sagen würde, ohne jedes Bemerknis, daher also auch ohne Blogartikel hinterher. Oder ich habe doch einmal etwas gesehen, kam dann aber tagelang nicht zum Schreiben und dann war es mir irgendwann zu lange her. Ich schreibe ja gerne fangfrisch. Jedenfalls im Blog. Da mir die Rubrik aber doch gut gefällt, werde ich mir mit ihr wieder mehr Mühe geben und jetzt auch Situationen aufnehmen, die nicht in der S-Bahn stattfinden. Nicht auf das Handy gucken kann man überall, sagt man. Also zumindest ab und zu, wir wollen nicht übertreiben. Und dann sieht man schon irgendwas. Wie die Szene hier, die sich in der letzten Woche vor dem Hamburger Hauptbahnhof abspielte.

Vor dem Hamburger Hauptbahnhof, auf der Seite nach St. Georg hin, liegt ein Platz, auf dem nichts ist. Auf der einen Hälfte des Platzes stehen Taxis, auf der anderen ist gar nichts. Da stehen Touristen und entblättern ratlos Faltpläne oder fotografieren den Bahnhof, da sitzen ein paar Obdachlose, leeren Bierflaschen und rauchen gesammelte Kippen, da strömen Menschen mit schnellen Schritten nach Sant Georg oder von Sankt Georg zum Hauptbahnhof. Auf der anderen Straßenseite der angrenzenden Kirchenallee ist das Schauspielhaus, da wollen auch viele hin, wenn die Tageszeit passt.

Sie passt aber nicht, es ist erst drei Uhr am Nachmittag, da gibt es noch keine Vorstellung. Zumindest nicht im Theater, denn auf dem Platz ist dann doch eine Vorstellung, und was für eine. Eine Vorstellung mit nur einer Person, die allerdings spielt, als ginge es um ihr Leben. Eine ältere Dame ist das, Wirrnis im Blick, verrutschte Kleidung, der Gesamtzustand etwas desolat. Die Bluse hängt aus der Hose. Es ist aber keine schlechte Bluse, die Frau ist nicht heruntergekommen. Ihre Haare sind zerwühlt, man sieht aber noch, sie hat durchaus eine Frisur. Vermutlich also keine Obdachlose, sicher aber eine Frau abseits der Normalität, denn sie spricht vor sich hin, ziemlich laut sogar. Eigentlich sollte man eher sagen: Sie deklamiert. Sie deklamiert einen Text, von dem man im Vorübergehen nicht alles verstehen kann, nur einige Sätze werden deutlich, es sind die Sätze, die immer wieder lauter als die anderen gesprochen werden, wobei sie die Hände ringt. Das ist ein fast ausgestorbener Ausdruck, man ringt heute nicht mehr die Hände, das ist aus der Mode gekommen. Die verwirrte Dame ringt aber ganz zweifellos die erhobenen Hände, in Sichtweite des Schauspielhauses tut sie das und bühnenreif sieht es aus.

Sie steht vor der Bushaltestelle des 6ers, der fährt in die Innenstadt. Ein Bus rollt gerade heran, da werden die beiden verständlichen Sätze lauter und lauter gesprochen, gerufen fast. Die Hände erheben sich zitternd zum Himmel, fahren immer wieder durch die ohnehin nach oben stehenden Haare, weisen auf den Bus. Ein dürrer Zeigefinger zielt auf die Wartenden an der Haltestelle und sie ruft mit bebender Stimme: “ES IST DER TOD! DER TOD IST IM BUS!”

Die Wartenden sehen sich um. Die Aussteigenden gehen auf die Dame zu, bleiben kurz vor ihr stehen. “STEIGT NICHT EIN! DER TOD IST IM BUS!” Die Dame krümmt sich, als würde ihr das Spezialwissen an den Gedärmen zerren, ein Arm schlingt sich um den Bauch, der andere fährt wieder hoch zum Himmel, kreist, sinkt nieder, bleibt auf halber Höhe und weist auf die Wartenden, die jetzt gerade zu Einsteigenden werden: “ES IST DER TOD!” Die Ausgestiegenen gehen kopfschüttelnd weiter, ein paar gehen links an ihr vorbei, ein paar gehen rechts an ihr vorbei.

Wenn es ein Hollywoodfilm wäre, man sähe jetzt die Gesichter der normalen Leute, die da einsteigen, lächelnd, plaudernd. Die Kamera würde die Busfenster entlang fahren, langsam, ganz langsam. Man sähe im Bus Mütter mit Kindern, Männer mit Zeitung, dämmernde Großmütter – und dann Jack Nicholson, satanisch grinsend und der irren Dame kameradschaftlich zuzwinkernd. In der Musik gäbe es in der Sekunde eine ganz leichte Disharmonie und man wüsste gleich, die nächsten zehn Minuten würden nicht alle überleben.

Wenn das ein schwedischer Film aus der freundlichen Ecke wäre, einer der Einsteigenden würde einen trockenen Scherz über die Frau machen, trocken aber gut, richtig gut. Die Dame, die vor dem Tod warnt, würde kurz darauf von ungeheuer freundlichen Pflegern abgeholt werden, abgeholt in ein Heim, in dem alle wahnsinnig nett wären und in dem lauter skurrile Typen leben würden, solche Typen, die für etliche kleine Geschichten gut wären. Einer der netten, aber insgeheim doch überforderten Pfleger würde sich in die etwas unscheinbare junge Frau verlieben, die ihre verwirrte Tante jeden Dienstag besucht, und darum würde es dann im Rest des Films eigentlich gehen und es ginge auch gut aus, natürlich doch.

Das ist hier aber kein Film, das ist Hamburger Wirklichkeit.Niemand achtet hier länger als eine Sekunde auf die Frau, hier gibt es genug Irre, die den ganzen Tag vor sich hin faseln, da kann man nicht jedem zuhören, wirklich nicht. Die Bustüren schließen sich, der Bus fährt ab. Die verwirrte Dame fährt sich durch die Haare, sieht zum Himmel, sie hat Tränen in den Augen, wischt sie weg. Sie schüttelt den Kopf, vielleicht fragt sie sich, wie viele sie noch verlieren soll, es hört ihr doch einfach keiner zu, sie kann machen, was sie will. Sie steht starr und guckt in den unverändert sommerlich friedlichen Himmel, an dem kein Wölkchen sich zu einem Zeichen formt, nein, ganz bestimmt nicht. Sie steht und guckt einfach nach oben, als würde sie auf etwas warten oder als würde sie im Blau oder im Flug der Tauben etwas sehen, was andere nicht sehen können. Sie steht und steht und sie guckt. Bis der nächste Bus kommt.

Dann hebt sie langsam ihren Zeigefinger.

Woanders – diesmal mit dem Schulsystem, dem Streaming, der Ilias und anderem

Schule: In der Zeit wird das deutsche Schulsystem grafisch und quasi stark vereinfacht, haha, dargestellt. Der Scherz erschließt sich nach dem Klick.

Schule/Hamburg: Noch einmal die Zeit, diesmal zum Hamburger Endlosthema G8/G9. Ich kann das Wort Reform beim Thema Schule allmählich nicht mehr hören.

Schule: Noch ein wunderbarer Artikel über die Rechtschreibung, mit historisch-fundiertem Anlauf bei Herrn Wolf. Ohnehin immer lesenswert, das Blog, abonnieren Sie das ruhig gleich.

Familie: Stock-Fotos von glücklicher Elternschaft, sehr ansprechend kommentiert. Sieht quasi aus wie bei uns allen, nehme ich stark an. It’s like they know us.

Irgendwasmitmedien: Bei Herrn Mierau geht es um Streaming und warum das kaputt ist.

Feuilleton: Der oben bereits erwähnte Herr Wolf hat die Ilias gelesen.

Feuilleton: Liisa hat Pia Ziefles neues Buch “Länger als sonst ist nicht für immer” gelesen, das ich auch gerade angefangen habe. Vermutlich bin ich hinterher genau so begeistert. Doch, ich bin ziemlich sicher. Ich komme nur schon wieder nicht zum Lesen und das finde ich wirklich furchtbar. Da stimmt doch was nicht.

Lisa kauft Blumen.