Was hilft

Es ist schon eine Weile her, ich komme nämlich wirklich zu gar nix, da bat mich das Nuf in diesem Artikel von ihr um eine Antwort auf mehrere Fragen. Mache ich morgen, dachte ich. Mache ich nächste Woche, dachte ich kurz darauf und mache ich bald, dachte ich dann in der Woche darauf. Wie das immer so geht.

Da sie mir aber heute noch einmal ein Stichwort an den Kopf geworfen hat, werde ich doch endlich einmal anfangen, die Fragen zu beantworten – und zwar einzeln. Die sind nämlich komplex und passen alle nicht gerade leicht in einen Satz. Ich beginne heute mit der Frage “Was hilft Dir in anstrengenden Zeiten?”

Die Frage wurde im Elternkontext gestellt, die bezieht sich also auf den familiären und beruflichen Gesamtstress, den man als Mutter oder Vater täglich erlebt. Sie nannte als Beispiel die Autonomiephase und den Schlafmangel, ich würde das aber gerne steigern, denn es braucht da keine Beispiele für Phasen. Es gibt, wenn man das einmal ehrlich betrachtet und den rosafarbenen Feenglitzerstaub aus den Elternblogs pustet, verblüffend wenig wirklich entspannte Eltern. Vielleicht ändert sich das noch mit älteren Kindern, mag sein, ich werde dann berichten. Aber fast alle Eltern, die ich kenne, haben einen Beruf und die Familie oder einen Beruf und ein zu groß geratenes Hobby. Oder sonstige Extraverpflichtungen. Oder auch einen Beruf und die dauernd nagende Sehnsucht nach einer weiteren Beschäftigung, sei es im Nähzimmer, am Klavier oder auf dem Fußballplatz, das sollte man auch nicht unterschätzen. Im Grunde haben berufstätige Eltern nie Zeit, sehr selten Ruhe, Muße schon gar nicht und Wellness ist ein Begriff aus dem Reisekatalog, mehr nicht. Wenn man zwei Kinder hat, dann haben diese sehr schnell jeweils zwei Nachmittagstermine in der Woche, wenn man selbst auch etwas macht und der Mann oder die Frau auch, dann hat man also ganz fix acht Termine in der Woche zu regeln, aus denen auch zwölf werden können, wenn man sich am Wochenende etwas vornimmt. Und wer macht das nicht.

Zwölf Termine, von denen vielleicht kein einziger zuhause stattfindet, wo es praktisch wäre, sondern in mehr oder weniger entlegenen Stadtteilen, Schwimmhallen, Schulen usw. Wenn Eltern über Termine reden oder versuchen, sich mit anderen Eltern zu verabreden, enden die Gespräche oft in hysterischem Gelächter und einem abschließenden Verweis auf das nächste Jahr, und das klingt jetzt nur nach Satire, das ist aber gar keine. Tatsächlich wacht man so gut wie nie auf und denkt: “Ach, heute mache ich mal irgendwas. Oder nichts. Mal sehen.” Was vermutlich ein guter und wohl auch gesunder Gedanke wäre. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern. Nein, man wacht auf und denkt: Wenn ich jetzt in einer halben Stunde dies schaffe, könnte das noch klappen, so dass dann hinterher jenes knapp funktionieren könnte… und immer so weiter. Na, und was hilft nun?

Mir hilft tatsächlich dieses Blog. Mir hilft auch Twitter, mir helfen auch Facebook und Instagram, mir helfen alle sozialen Medien, in denen ich Scherze machen kann. Ich glaube tatsächlich, dass sie mich schon mehr als einmal nervlich gerettet haben. Während viele diese Medien lediglich als Zusatzbelastung und Zeiträuber zu erleben scheinen, finde ich sie befreiend, erleichternd und entspannend. Weil ich versuche, die Pointen im Leben zu bemerken und zu teilen. Und ich versuche das nicht nur nebenbei, ich versuche das mit einiger Leidenschaft und Beharrlichkeit. Ich zerbreche mir den Kopf, wenn etwas nicht lustig ist, ich möchte unbedingt herausfinden, ob nicht doch etwas daran sein könnte, was unter einem bestimmten Blickwinkel für Heiterkeit sorgen könnte. Ihre und meine, versteht sich, wobei meine gar nicht so nebensächlich ist. Wenn ich mich irgendwo unmenschlich langweile, dann wird vielleicht wenigstens ein Tweet daraus? Das muss doch gehen? Wenn ich in unmenschlich öder Gegend bin, ergibt sie vielleicht wenigstens ein brauchbares Foto? Wenn wir uns in dieser Familie hier alle wieder einmal in die Haare kriegen, weil die Zeit hinten und vorne nicht reicht und alle hektisch werden – ich kann mich vielleicht wenigstens in einem Blogartikel darüber amüsieren. Und mich darüber lustig machen. Über mich, über das Leben, über die Ansprüche, über alles.

Ich treibe das natürlich bis zum Exzess und ich habe Gott sei Dank auch die richtige Familie dafür. Ich bin der Typ, der mitten in einem erbitterten Ehestreit an den Computer springt, weil der Dialog mit der Herzdame gerade unerwartet eine prächtige Pointe ergeben hat, und nach all den Jahren weist sie mich jetzt auch schon mal darauf hin, wenn ich unaufmerksam war und eine Stelle verpasst habe. Bei uns enden Ehekrisen regelmäßig in Artikeln oder Kolumnen und warum auch nicht, irgendwo müssen sie ja enden.

“Seid zur Heiterkeit bereit”, hieß es früher bei Bugs Bunny. Tatsächlich ist das eine Aufforderung, der man nicht immer einfach so nachkommen kann. Niemand ist immer heiter, ich nicht und das Leben auch nicht. Aber so lange man nicht gerade von den ganz großen Dramen erwischt wird, hilft es doch sehr, nach den Scherzen zu suchen, die im Alltag versteckt sind wie früher die kleine Maus auf den Kinderseiten der Brigitte. Und geteilte Scherze wirken besser, viel besser.

Und wenn ich völlig zerwühlt vom hektischen Alltag, aufgerieben zwischen mehreren Deadlines, Terminen und Verabredungen, mit den Söhnen streitend und der Herzdame hinterherfluchend, vor der Eingangstür der Wohnung stehe, den Schlüssel nicht finde und die Apfelsaftflasche dabei aus dem Rucksack fällt und auf den Fliesen zerschellt, während drinnen das Telefon klingelt – natürlich kann man daran komplett wahnsinnig werden. Man kann aber auch darüber schreiben. Und dann geht es schon wieder.

 

Junges Glück, älteres Glück

Auf dem Ferienbauernhof an der Küste auf Eiderstedt waren vierzehn Kinder. Zur Freude der Söhne waren es größtenteils Mädchen im passenden Alter. Mädchen, mit denen sie sich bestens verstanden haben, Mädchen, die sie toll fanden, schön, nett und was man will, da passte wirklich alles. Die Söhne sind fast 5 und fast 7, es ist nicht selbstverständlich, dass sie Mädchen auch nur ansehen. Da hatten wir also großes Glück, der Urlaub war dadurch geradezu unfassbar erholsam. Die Kinder waren mit den Kindern beschäftigt, Erwachsene wurden nur noch zur Zubereitung der Verpflegung benötigt, ansonsten war man weitgehend entbehrlich. Wenn ich nachsehen ging, saß Sohn I flüsternd mit einem Mädchen im Stroh, Sohn II lief mit dem wilden Kampfruf „Knutschen! Knutschen!“ einer kleinen Schönheit quer über den Hof in den Stall nach. Idylle pur also, Bullerbü mit Liebe. Als wir abreisten, sammelten die Söhne die Telefonnummern von fünf Mädchen ein, bevor sie ins Auto stiegen und wild winkend auf ihren Kindersitzen saßen.

Ich sah mir das im Rückspiegel an und erinnerte mich an die Kinderzeit, in der man in der Liebe alles noch vor sich hatte und allem mit froher Erwartung entgegentrat. Die Zeit, in der das Kennenlernen nur zehn Minuten dauerte, und in der mit jedem Menschen eine neue Aufregung und Verrücktheit ins Herz und ins Leben wirbeln konnte. Das war schon schön, damals. Wann hat das eigentlich aufgehört? Ich reagiere mittlerweile doch etwas gemächlicher auf neue Menschen.

Ich saß vorne neben der Herzdame, ich konnte mich schon nach den ersten Kilometern nicht mehr an die Namen der Mütter der Mädchen erinnern, die ich auf dem Hof kennengerlernt habe und mit denen ich gerade eine ganze Woche verbracht hatte. Die Herzdame und ich sahen uns an, wir fuhren zufrieden und entspannt nach Hause. Doch, es ist alles gut so, wie es ist.

Und ich muss mich schließlich auch gar nicht an die Namen der übrigens sehr netten Mütter erinnern. Ich hab ja ihre Nummern gespeichert. Die Kinder sind natürlich noch viel zu klein für eigene Handys.

(Dieser Text erschien in einer etwas kürzeren Version als Kolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)

 

Kurz und klein

 

Anders Anziehen

Es folgt ein Gastbeitrag von Patricia Cammarata. Die kennen Sie entweder von ihrem eigenen Blog oder von ihrem letzten Artikel bei mir – nämlich hier. Sie schreibt eine Reihe, in der es darum geht, was sich für Erwachsene durch Kinder ändert. Jetzt ihr neuer Text:

Ich sitze in einem Meeting und langweile mich ein bisschen. Neben mir sitzt eine Frau in einem schwarzen Kostüm. Sie trägt dazu eine weiße, gebügelte Bluse. Ich schaue auf ihre rechte Hand und finde einen Ehering. Sie hat ungefähr mein Alter. Bestimmt hat sie Kinder. Sehr brave, unkomplizierte Kinder? Sonst fände sie nicht Zeit ihre Blusen zu bügeln. Oder sie verdient gut. Dann gibt sie ihre Blusen in die Reinigung. Das kostet pro Bluse um die sieben Euro. Das ist eine Menge Geld. Aber Blusen werden immer handgebügelt – im Gegensatz zu Männerhemden – die werden auf eine Puppe gezogen und von unten trocken und glatt gepustet. Weil das halbautomatisiert ist, kann man Hemden schon für unter zwei Euro waschen und bügeln lassen.

Ich schaue auf ihren Blazer. Makellos schwarz. Also schwarz schwarz. Ich schaue auf meinen Blazer. Er ist auch schwarz. Mit Mustern. Wohlwollend könnte man sagen „meliert“. Er ist wirklich mehliert. Das ursprüngliche Wort „meliert“ kommt aus dem Französischen von „Melange“ und bedeutet gemischt, aus verschiedenfarbigen Fasern gemischt. Mein Blazer hingegen hat Mehlflecken. Viele kleine, glücklicherweise mehr oder minder regelmäßige Flecken. Würde die Dame neben mir mein Blazermuster näher betrachten, dann würde sie Abdrücke kleiner Fingerkuppen entdecken. Heute Morgen ging es nämlich heiß zu. Ich hatte vergessen Brot einzukaufen und deswegen habe ich schnell Waffeln zum Frühstück gebacken. Ich bin extra um 6 Uhr aufgestanden, damit mir die Kinder nicht helfen. Aber ich war offenbar zu laut, denn zehn Minuten später standen zwei enthusiastische Kinder in der Küche und unterstützten mich bei der Mehlzerstäubung. NATÜRLICH hatte ich meinen Blazer um 6.10 Uhr nicht an. Wir aßen, putzen uns die Zähne und zogen uns an. Ich ziehe mich grundsätzlich ca. 20 Millisekunden bevor wir das Haus verlassen an. Die Kinder standen schon im Flur und ich wollte die Tür schließen, als dem Jüngsten einfiel, dass es dringend nochmal Pipi müsse. Wir warteten geduldig. Überraschenderweise kam das Kind dann mit einer überzähligen Waffel wieder aus der Wohnung zurück. Ehe ich eine Schutzdecke über das Kind werfen konnte, reichte es mir die Waffel: „Für disch, wenn du Hunger hast, Mami“

Ich versuchte Abstand zu wahren und streckte ihm mit spitzen Fingern meine mit einem Taschentuch geschützt Hand entgegen, um die Waffel entgegen zu nehmen und in meiner Handtasche verschwinden zu lassen. „Isch will disch küssen!“, sagte das Kind und machte einen Schritt auf mich zu. Ja und was soll man da machen? Bussi, Bussi rufen, auf dem Absatz kehrt machen und das Treppenhaus runter laufen? Ich habe natürlich versucht das Kind nur mit den Lippen zu berühren, aber es erwischte mich am Kragen, zog mich mit den Patschehändchen ran und umarmte mich. Als wir uns wieder voneinander lösten, war ich ein schwarz-weiß gefleckter Mehl-Leopard (Mehlopard). Ich klopfte, rubbelte und strich den Stoff aus, aber das Mehl war am Ende immer noch zu sehen. Lediglich besser verteilt.

Ich kenne das. Das ist immer so. Ich habe IMMER Flecken. Immer. Ich kann tun was ich will.

Mir hat vor der Geburt der Kinder niemand gesagt, dass das so ist. Postnatal habe ich viele Kleidungsphasen durchschritten. Vor der Schwangerschaft habe ich ungefähr 50% meines Einkommens für Kleidung ausgegeben. Ich besaß die prächtigsten Kleider. Ich besaß Anzüge in allen Farben des Regenbogens. Sogar weiße. Blusen! Geblümte! Gepunktete! Gestreifte! Zu jedem Outfit das passende Handtäschchen und die wunderschönsten Schuhe.

Dann gebar ich ein Kind. Ein Kind der Kategorie „Spuckkind“. Das sind Kinder, die Unmengen Milch erbrechen. Ich habe das nicht empirisch belegen können, aber ich bin der festen Überzeugung, dass sie mehr Milch spucken als sie trinken können. Ich stillte das Kind, klopfte den Rücken, es spuckte Milch. Ich bewegte das Kind, es spuckte Milch. Ich schaute das Kind an, es lächelte und spuckte Milch. Ich setzte mir das Kind auf die Schulter, es spuckte mir glucksend Milch in die Haare. Ich hatte immer Milchflecken. Ich zog also nur noch die ältesten und ausgeleiertsten Klamotten an. Übergangsweise. Ich hatte Hoffnung, dass es mit dem Breizufüttern besser würde. Es wurde nur bunter. Orange, grün, mischkostfarben.

Nach 18 Monaten hatte ich es satt, immer in Sackleinen rumzulaufen. Ich zog wieder hübschere wenngleich gut zu reinigende Kleidung an und fand mich mit den Flecken ab.

Das ist mein Kompromiss. Ich sehe einigermaßen gut gekleidet aus, aber ich bin immer fleckig. Seitdem schaue ich mir andere Eltern immer ganz genau an und habe erkannt, dass die meisten Menschen mit Kindern eigentlich genauso aussehen wie ich. Sie tragen ihre Flecken mit Würde. Nur eine sehr kleine Gruppe von Eltern ist perfekt und SAUBER gekleidet. Ob die einen Trick haben oder ob sie einfach nur Eltern sind, die nur getrennt durch eine Glasscheibe an ihren Kindern teilhaben (immerhin könnte man durch eine Glasscheibe mit winzigen Löchern noch vorlesen, Gute Nacht Lieder singen oder Kasperletheater spielen) – ich weiß es nicht. Ich denke, es wird mir immer ein Geheimnis bleiben.

Und wenn der Fleck mal zu groß ist, einfach schnell ein Kotztierchen drauf machen.

Fleckige Grüße

Patricia

Patricia Cammarata ist IT-Projektleiterin, Psychologin und Mutter. Seit Mai 2004 bloggt sie unter dem Pseudonym dasnuf. In ihrem Blog erzählt sie einer langen Familientradition folgend gerne Geschichten. Es fehlt ihr gelegentlich an Ernsthaftigkeit, aber so ist das eben, wenn man morgens gemeinsam mit den Kindern Clowns frühstückt.

Woanders – diesmal mit dem Sport, Yolo, dem Journalismus und anderem

Sport: Ein Link zur Beruhigung all jener, die genau wie ich eher keine spitzenmäßigen Langstreckenläufer sind. Weniger reicht auch. Meine Rede. Ich schaffe es immer noch nicht ohne Gehpause ganz um die Alster – und es macht nichts.

Feuilleton: Das Nuf zur Philosophie des Yolo-Akronyms.

Irgendwas mit Medien: Ein paar lesenswerte Anmerkungen zu Programmierarbeiten für journalistische Projekte. Zur Abwechslung sind auch die Kommentare einmal lesenswert.

Reise: Sieh die Welt ist ein neues Reportage-Magazin.

Feuilleton: Percanta veröffentlicht das Weltkriegstagebuch ihres Urgoßvaters.

Familie: Carola hilft einfach mal.

Küche: Und mir hat Carola auch geholfen, nämlich mit diesem Rezept für eine Mangold-Quiche. Gute Sache. Solange man nicht die Söhne fragt, die kleinen Banausen.

Familie/Feuilleton: Zum Einschlafen zu singen. Die Stimme kennt man doch? Genau.

Hamburg: In meinem Wirtschaftsteil geht es oft um Urban Gardening, hier im Lokalteil machen wir das dann aber lieber wieder platt. Da könnte ja jeder kommen! Hier muss alles seine Ordnung haben.

 

 

Kurz mal in die Stadt

Obwohl wir sehr nah an der Hamburger Innenstadt wohnen, also nah an den großen Einkaufsstraßen, sind wir da ziemlich selten. Mir ist es dort zu voll und zu wuselig, ich gehe auch nicht gerne zum Shopping, ich gehe überhaupt nicht gerne in große Geschäfte, schon gar nicht in Bekleidungsgeschäfte. Heute war ich dennoch kurz in der Spitalerstraße, ich war da mit der Herzdame verabredet. Natürlich war es besonders voll, es ist Wochenende, es ist Ferienzeit, das Wetter war auch gut. Hamburg ist voll von Touristen, rappelvoll, so voll wie sonst nur zur Weihnachtsmarktzeit.

Um zur Spitalerstraße zu kommen, gehen wir durch den ebenso vollen Bahnhof. Sohn I trottet neben mir her. Im Bahnhof fangen plötzlich Männer an in einer fremden Sprache zu schreien und halten Plakate hoch, verteilen Zettel an Passanten und setzen sich dann mitten in den Weg. Man sieht schon die Bahnpolizei am Ende der Halle anrücken, die Sicherheitsleute in den Geschäften ringsum lehnen in den Türen gucken skeptisch. “Eine Demo”, sagt Sohn I fachkundig, “wegen des Krieges da bestimmt.” “Ja”, sage ich, wobei ich gerade nicht deuten kann, worum es da wirklich geht, um welches Land, um welchen Krieg, es kommen immerhin mehrere in Betracht. Auf dem einen Schild stand womöglich etwas mit Kurdistan, ich konnte es kaum erkennen.

Ein paar Meter weiter ein Junggesellinnenabschied, alberne Outfits und die mit dem Verkaufskörbchen und den Hasenöhrchen vorneweg. Angeschickerte junge Damen, hysterisch kichernd, da machen wir einen großen Bogen. Da machen genau genommen sehr viele Menschen einen großen Bogen. Vielleicht ist es irgendwann so weit, dass alle Menschen einen großen Bogen machen? Das wäre mal eine schöne Aussicht.

Vor dem Bahnhof ein Mann im Anzug mit Megaphon, er hat ein Buch unterm Arm, singt und spricht ins Megaphon und geht hektisch auf und ab. Niemand hört ihm zu. “Einer von denen mit Gott”, sagt Sohn I und interessiert sich nicht weiter für den Prediger, der jetzt in gebrochenem Deutsch “er ist King, er ist König” singt und dabei immer wieder nach oben zeigt, wo gerade ein Flugzeug über ihn hinwegzieht. Aber das ist wohl nur Zufall, nicht Gott.

Am Anfang der Spitalerstraße steht dann schon der Jesusbrüller, wie er in dieser Familie genannt wird, das ist der vermutlich dienstälteste Laienprediger der Stadt, den kennt wahrscheinlich jeder Hamburger. Ein großer Typ mit beeindruckend lauter Stimme, der den Namen Jesus immer so norddeutsch ausspricht, dass es wie Jejsus klingt. Er predigt so engagiert, dass er völlig durchgeschwitzt ist. Wenn man den Jesusbrüller beim Bäcker beim Kaffee trifft, ist er eigentlich ganz nett und wirkt ziemlich normal. Wenn man aber einmal gehört hat, was er über Schwule predigt, dann möchte man ihn lieber nicht mehr treffen. “Der Jesusbrüller”, sagt Sohn I, “wie immer.”

Gegenüber vom Jesusbrüller ein Infostand von Falun Gong, dieser religiösen Bewegung aus China. Eine Frau und ein Mann meditieren mit taichi-ähnlichen Bewegungen, daneben mehrere Poster mit ziemlich blutigen Foltermotiven, es geht um die Verfolgung der Religion in China. Das müssen Kinder nicht sehen, ich ziehe den Sohn weiter.

Straßenmusik, ein junger Mann bearbeitet seine Gitarre. “Aber nicht sooo gut”, wie Sohn I befindet. Geld möchte er da lieber nicht geben. Wir überlassen es den Söhnen, wem sie Geld geben wollen. Ob Bettler, Künstler, Musikanten, das können sie selbst entscheiden, wer etwas Kleingeld bekommt.

Ein erhöhter Glaskasten, in dem ein Mann sitzt, der ein Mädchen auf dem Schoß hat und ihm vorliest. Die beiden sind echt, sie haben sehr wenig an und sie ignorieren die zahllosen Menschen, die in den Kasten sehen, in dem sie sitzen. Grimms Märchen werden da vorgelesen, den Buchtitel kann man erkennen. An dem Glaskasten hängen Zettel, ich frage den Sohn, ob wir hingehen und ich vorlesen soll. Er winkt ab: “Das ist dann sowieso wieder Kunst, Papa”, sagt er.

Da braucht er keine Erklärung, Kunst ist eben Kunst und Kunst ist oft, wenn es interessant aber irgendwie sinnlos ist. Denn das hat er schon gelernt: die Erklärungen, die an der Kunst dranhängen, die bringen ihn meistens nicht weiter.

Schon wieder Straßenmusik, zwei junge Mädchen singen. Der Sohn sieht nachdenklich zu, wie die Münzen in die Mütze fliegen, die vor ihnen liegt. Da kommt schon etwas zusammen. “Du brauchst nur zwei Akkorde und drei Freunde”, sage ich aufmunternd. “Denk mal drüber nach.” Er nickt: “Yeah.” Es war dann wohl doch nicht verkehrt, ihm die alten Aufnahmen der Beatles zu zeigen.Er geht näher ran und wirft noch einen Blick in die Mütze. Wirklich nicht schlecht. Hinter ihm der Lego-Laden. Er denkt nach.

Na, mal sehen. Auch zwei Akkorde muss man erstmal lernen. Und das wäre immerhin schon einer mehr als ich jemals gelernt habe, glaube ich.

 

 

Rigatoni mit Tomaten-Auberginen-Sauce und Mozzarella

(Es folgt ein weiterer Beitrag meiner aus Frankreich zugeschalteten Nudelsachverständigen Micha (mehr zu Micha siehe hier). Micha schreibt aus Frankreich, das Rezept ist aus England, die Küche aus Italien, man müsste eigentlich die Europa-Hymne vor dem Lesen des Beitrags laufen lassen. Und falls Sie genau wie ich beim Lesen über das Wort „Schnäker“ stolpern – ja, das gibt es wirklich. Wieder was gelernt.)

Und nun Micha:

Micha

 

Jeder, den ich über mein Foodblog kennenlerne, weiß vorneweg eines über mich: ich koche gerne. Genau. Völlig richtig. Kochen ist sinnlich. Es riecht, es schmeckt, alles geht durch die Hände, es ist abwechslungsreich und man kann die Kreation direkt mit seiner Umgebung teilen. Ich wüßte wirklich nicht, warum jemand nicht gerne kochen sollte.

Allerdings bedeutet das nicht im gleichen Moment, dass ich IMMER gerne koche. Dank unseres Lebensentwurfs sind wir 3 Monate des Jahres auf Reisen und unterwegs werde ich bekocht. Das tut meinen Ambitionen in der Küche gut. Wieder zuhause genieße ich, selbst entscheiden zu können, was auf den Teller, beziehungsweise in den Topf kommt. Zusammen mit den Vorgaben des Gartens.

Nudeln

Außerdem koche ich auch nicht überall gerne, sondern am liebsten in meiner eigenen Küche: im Regal alles, was ich brauche, frische Kräuter vor der Tür. Und ja, auch für andere zu kochen ist nicht zwingend meine Parade-Disziplin. Nachher habe ich Schnäker am Tisch sitzen, die dieses und jenes nicht mögen. Oder Allergiker. Oder – die schlimmste Sorte – Appetitlose, die vorneweg mit der Gabel trocken stochern. Oder Schlinger, die keinen Unterschied zwischen Chips und Nudeln machen. Nee, so wird das nix mit freier Entfaltung und munterer Geselligkeit am Tisch…

Leider (!) kenne ich die Buddenbohms nicht persönlich. Aber der Maximilian hat mir ja nicht umsonst die Pasta-Rubrik zugeschoben. Meine Chancen auf eine appetitliche Runde stehen gut bis sehr gut. Für heute habe ich mir fürs Bekochen ein Jamie-Oliver-Rezept rausgesucht. Der hat schließlich doppelt so viele Kinder wie der Maximilian – worauf ich ohne Umschweife auf die Potenz seiner Rezepte schließe. Mit den Gemüsen des Sommers, Tomate und Aubergine, die unser Garten gerade üppig anbietet, kann man im Grunde auch nix falsch machen (außer s.o.).

Jamie schreibt dazu: „Ungewöhnlich ist, dass Mozzarella aus Kuhmilch verwendet wird, der fester ist als der in Italien übliche Büffelmozzarella. Er kommt in Stücke zerzupft im letzten Moment unter die Pasta und schmilzt zu köstlichen Käsefäden, die am Löffel hängen bleiben – herrlich!“

Also allen Appetitlichen sollten *Käsefäden* ein Stichwort sein…

Nudeln

Zutaten:

1 reife, feste Aubergine

Bestes Olivenöl

2 Knoblauchzehen, fein gehackt

1 Zwiebel, geschält, fein gehackt

800g Eiertomaten beste Qualität aus der Dose

(m: halb frische Tomaten/ halb ofengeröstete Tomaten)

1 EL Balsamicoessig (m: Orangen-Balsamico-Reduktion)

Salz, Pfeffer

1 Chilischote, gehackt (m: Harissa)

1 Bund frisches Basilikum, die Blätter zerzupft

(die Stängel aufheben für die Sauce)

4 EL Sahne (m: 2 EL Mascarpone)

500g Rigatoni oder Penne

200g Mozzarella aus Kuhmilch

1 Stück Parmesan zum Reiben

Frische Auberginen fühlen sich fest an. Bei einer solchen Frucht ist es nicht nötig, die in Scheiben geschnittene Aubergine einzusalzen, um Bitterstoffe herauszuschwemmen. Sollte die Aubergine allerdings bereits braune Samenstränge haben, dann diesen Zwischenschritt einlegen. Ansonsten die Aubergine oben und unten kappen, die Enden wegwerfen, und den Rest der Aubergine in Würfel von 1cm schneiden.

Die Auberginenwürfel einige Minuten bei mittlerer Hitze in einer großen Pfanne in etwas Olivenöl solange braten, bis sich die ersten goldbraunen Stellen zeigen. Dann Zwiebel hinzugeben und diese glasig dünsten. Kurz vor Ende ebenfalls den Knoblauch untermengen. Die Tomaten unterrühen. Mit Balsamicoessig, Salz, Pfeffer, eine Prise Zucker und Harissa bereist zum ersten Mal abschmecken. Die Stängel des Basilikums in der Sauce mitziehen lassen und ca.15min köcheln lassen bis die Auberginen beinahe zu einem Mus verkocht sind – dann die Stängel wieder entfernen. Die Sahne, bzw. Mascarpone unterrühren.

Währenddessen in einem großen Topf reichlich Salzwasser zum Kochen bringen und die Rigatoni al dente kochen und nicht zu trocken abschütten. Die Pasta zurück in den Topf geben und mit etwas Olivenöl vermengen.

Die Tomatensauce unter die Pasta heben und nochmals mit Salz, Pfeffer und eventuell Balsamico abschmecken. Den zerzupften Mozarella zusammen mit den Basilikumblättern erst kurz vor Servieren unter die Pasta mischen. Damit hat man den Käsefäden-Effekt auf seiner Seite. Der Kuhmilchmozzarella soll sein feines Milcharoma an die Sauce abgeben (was super zu Tomate und Aubergine passt) und mit dem Fädenziehen genau dann beginnen, wenn man die Gabel in die Pasta steckt. Vorher noch anständig mit frisch geriebenem Parmesan bestreuen – und genießen.

Auberginen

 

Eiderstedt

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Na gut, von Eiderstedt ist gar nicht viel zu sehen, zumal der Blick weg von der Halbinsel geht, hinaus auf die Nordsee, die irgendwo da ganz weit hinten ist. Und die man nur sehen kann, wenn man auf den Deich klettert und auf der Krone steht, so wie die Jungs hier am Eidersperrwerk. Und die Deiche sind natürlich auch nicht überall geteert. Die Wolken sehen nach Regen aus, es gab aber keinen. Es ist wirklich kein idyllisches Eiderstedtbild.

Aber irgendwie doch.

 

Quivit

Sollten Sie jetzt gerade bei der Überschrift bereits eine brauchbare Assoziation gehabt haben – ich gratuliere zu Ihrer Belesenheit. Ich hatte bis vor ein paar Tagen gar keine Vorstellung von diesem Wort, das hat sich erst im Urlaub auf dem Bauernhof auf Eiderstedt geändert, da allerdings gründlich. Da habe ich, es wurde bereits in der letzten Leseliste erwähnt, die Märchen von Andersen wieder einmal gelesen, zum ersten Mal seit der Kindheit nehme ich an.

Bei Andersen gibt es das Märchen vom Däumelinchen, es ist eines der Märchen, die mir gar nicht mehr präsent waren. Es handelt von einem kleinen, einem sehr, sehr kleinen Mädchen, das von allerlei Tieren nacheinander geraubt wird. Die Tiere wollen sie jeweils behalten und heiraten, es handelt sich aber um eher grässliche Geschöpfe wie Kröten und Käfer. Sie flieht also ein ums andere Mal. Sie flüchtet sich schließlich kurz vorm Kälte- und Hungertod zu einer Feldmaus, bei der sie Nahrung erhält. Allerdings will die Feldmaus sie mit ihrem Nachbarn, einem unsympathischen Maulwurf verheiraten. In der Höhle des Maulwurfs liegt ein toter Vogel, eine Schwalbe. Däumelinchen lehnt bedauernd den Kopf an den Vogel und merkt, dass er noch lebt, er ist vor Erschöpfung abgestürzt, auf dem Weg in den Süden. Sie pflegt ihn heimlich und hilft ihm durch den Winter. Schließlich verhilft die wiederbelebte Schwalbe ihr im nächsten Herbst zur Flucht in den sonnigen Süden, wo sie sich prompt in einen attraktiven Blumenengel verliebt. Sie winkt der Schwalbe zum Abschied zu und, ich zitiere:

“Lebe wohl, lebe wohl”, sagte die kleine Schwalbe und flog wieder fort von den warmen Ländern, weit weg nach Deutschland zurück; dort hatte sie ein Nest über dem Fenster, wo der Mann wohnt, der Märchen erzählen kann, vor ihm sang sie ihr “Quivit, quivit!” Daher wissen wir die Geschichte.”

Das also las ich abends im Bett und am Morgen wachte ich auf, weil es über mir verblüffend laut “Quivit, quivit!” rief. Ausgesprochen fröhlich klingende Rufe waren das, munter und hochgestimmt und sie kamen von zwei Schwalben, die durchs offene Fenster ins Schlafzimmer geflogen waren und jetzt auf der Tür saßen und sich prächtig zu amüsieren schienen: “Quivit!”

Wie man sich vorstellen kann, hörte ich ihnen einigermaßen angestrengt zu, man will ja in solchen leicht surrealen Momenten weder zu sehr an seinem Verstand zweifeln, noch die entscheidende Inspiration für das nächste Buch verpassen, versteht sich. Sie blieben aber nur bei “Quivit”, mehr haben sie mir nicht erzählt. Vielleicht bin ich einfach nicht Märchenerzähler genug.

Und es gab übrigens auch gar keinen Grund an meinem Verstand zu zweifeln, die Schwalben kamen immer wieder, sobald wir die Fenster aufmachten. Sie flogen ins Schlafzimmer und ins Wohnzimmer, sie drehten äußerst elegante Kurven, pausierten auf Regalen und Türen, schienen sich manchmal leise und wie gurrend zu unterhalten, als würden sie die nächsten Manöver absprechen, jubilierten dann wieder im Losfliegen ihr “Quivit!” Flogen raus und flogen rein, es war mehr ihre Wohnung als unsere, obwohl sie doch auch nur Saisongäste waren. Aber eben schon wesentlich länger und häufiger als wir, das merkte man.

Sie waren auch gar nicht scheu. Man konnte ganz nah herangehen, bevor sie vom Regal hüpften und abhoben. Wenn eine Schwalbe losfliegt, dann wirft sie sich hoch in die Luft und lässt sich dann ein klein wenig stürzen, die Brust ganz vorgereckt, die Flügel nach hinten gezogen, sie stürzen und fangen sich dann sehr elegant wieder auf, drehen ab und ihre Rufe klingen, als würden sie lachen. Es scheint ihnen Spaß zu machen, wie sie sich in die Luft hineinstürzen. Bei Andersen steht die Schwalbe für die Lebensfreude, für die Lust am Sommer und an der Sonne, am Licht. Würde man sich als Erzähler so freudig und rückhaltlos in den Stoff stürzen, man würde vielleicht viel mehr erzählen? Ich habe dann auf Facebook geschrieben:

“Ich bin also gerade auf Eiderstedt in einer Wohnung, durch die Schwalben fliegen. Ich möchte hier bitte sitzenbleiben und einen sehr luftigen Roman schreiben.”

Und da schrieb gleich jemand drunter, dass das schon einmal ein guter Anfang sei. Aber was soll’s, die Schwalben haben mir ja mehr nicht erzählt. Schade eigentlich. Oder muss man sich für solche Erzählungen erst etwas näher kennenlernen? Sollte ich für das nächste Jahr gleich wieder diesen Hof buchen? Ich muss nachdenken.

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