Heute außen herum

Donnerstag, der 12. Oktober. In der Innenstadt hängt alles voll mit Naziparteiplakaten, ich sehe es beim abendlichen Spaziergang am Mittwoch und ich würde lieber daran vorbeisehen; aber es sind wirklich viele. Irgendwo dazwischen ein einsames SPD-Plakat, schon in sich zusammengesunken, wie die ganze Partei. Dann ein durchgeknallter Messias-Verschnitt, geifernd, brüllend und mit den Händen und der Bibel fuchtelnd steht er da und wettert auf Passanten ein. Etwas weiter wieder wie immer der auf der Kiste und mit dem Plakat, das in wirren Worten zur Umkehr mahnt, wohin auch immer. Jeden Tag steht der da, das ganze Jahr, bei jedem Wetter, und immer guckt er enttäuscht, sicher weil niemand umkehrt. Ein Straßenmusiker flötet im Sitzen am Wegesrand ohne erkennbare Melodie auf einem Plastikinstrument, er macht eher ein nervtötendes Dauergeräusch als Musik. Ein anderer geigt gekonnt und wirbt auf Flyern für seinen Instagram-Auftritt. Teenie-Mädchen stehen kichern vor ihm, er redet nach einem Stück auf Englisch mit ihnen. Junkies wanken hier und da durch die Menge und betteln mit erhobenen Bechern, ein Mann mit verbogenen Gliedmaßen schiebt sich auf einem Skateboard sitzend vorwärts, die verkrüppelten Füße schleifen über das Pflaster. In einem Deko-Laden hängt schon ein leuchtender, funkelnder Schriftzug: „It’s Christmas time“ und in den Hauptbahnhof eilen gerade Bundespolizisten im Laufschritt, es kommen immer noch mehr nach. Da gehe ich dann heute lieber einmal außen herum.

Spaziergänge durch diese Stadt sind auch nicht immer erholsam, das wollte ich nur eben sagen. Aber an der Binnenalster der Ausblick.

Zwei Schiffe der weißen Flotte auf der Binnenalster vor herbstlich graudunklem Himmel, im Hintergrund das Finnlandhaus und die Alsterfontäne, ein ICE auf der Brücke fährt gerade zum Hauptbahnhof, eine rot leuchtende Hamburgflagge

Ich melde mich am Morgen krank, ich lege mich wieder hin, nachdem alle aus dem Haus sind und der Morgen geregelt. Wieder in den Schlaf fallen wie ein Lot in unsicheres Gewässer, es war wohl nötig. Von draußen erst Baustellenlärm, the jackhammer’s digging up the sidewalks again, man müsste Tom Waits dabei hören. Dann die selbstverständlich benzinbetriebenen Laubbläser auf dem Spielplatz. Es liegt kaum Laub dort, es fällt ja nichts, aber Termin ist Termin, muss man sich wohl vorstellen, und sie gehen also weisungsgemäß im Kreis und blasen Staub. Dann der haltende Lieferwagen mit den Getränkekisten vor der Tür, hinter dem alle hupen, man hat es hier nicht so mit der Ruhe. Dazu noch die Türklingel, Pakete für die Nachbarn, Werbung, sonstige Postdienste und auch die verrückte Nachbarin. Ich stelle dann die Klingel aus.

Ein Tag im Dämmerzustand, Batterien neu laden. Es gelingt so leidlich.

Die Herzdame ist währenddessen wieder auf Dienstreise, diesmal in Soltau, neulich war sie in Ulm, davor in Dortmund, alles so Städte, über die man in einem Quiz irgendwas wissen müsste, aber sich doch nicht ganz sicher ist. Ich lese über Soltau in der Wikipedia nach:

„In Soltau kam es kurz vor der Befreiung der Stadt durch alliierte Truppen im April 1945 zu einem Verbrechen an entflohenen KZ-Häftlingen. Diese hatten sich aus einem zerbombten Güterzug in Soltau befreien können. In den folgenden Tagen wurden über 100 von ihnen durch Angehörige der Wehrmacht, SS, der örtlichen Hitlerjugend sowie von einigen Soltauer Bürgern gejagt, eingefangen und anschließend an Ort und Stelle oder an Sammelplätzen im Stadtgebiet erschlagen bzw. erschossen. Unter Lebensgefahr unterstützten einige wenige Bürger Geflohene mit Nahrungsmitteln und Kleidung. Gerichtsverfahren gegen Beteiligte in der Nachkriegszeit endeten mit Freisprüchen aus Mangel an Beweisen. Zur Erinnerung an diese in Soltau ermordeten Menschen wurde 2007 nahe der Tötungsstelle ein Mahnmal aus acht Musterstelen des Berliner Holocaust-Mahnmals errichtet.“

Musterstelen an der Tötungsstelle, wie intensivdeutsch klingt das denn.

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So trotten die Füße ergeben

Mittwoch, der 11. Oktober. Zunehmendes Unwohlsein ohne bemerkenswerte Symptome, eher einfach so, als sei die Batterie komplett alle oder als habe die Schwerkraft in letzter Zeit erheblich zugenommen. Was mich allerdings auch nicht mehr wundern würde. Einfach nur eine weitere fatale Entwicklung, man nimmt es dann so hin, was soll man auch machen.

Aber apropos Schwerkraft.

Wir haben das Schweben verlernt,
Weh uns, wir kleben am Weg.
Vom Leuchten der Sterne entfernt,
Die Flügel gesenkt und träg,
So trotten die Füße ergeben.
Ach, Liebster, bevor es zu spät,
Versuchen wir’s, uns zu erheben.

Die Kaléko war das, von der ich jetzt auch gerne mehr lesen würde, wenn das Buch mit ihrem Gesamtwerk nicht dummerweise in der Laube liegen würde, wie auch der ganze Trakl, der jetzt doch ebenfalls herbstbedingt dringlich wird. Ich werde am Wochenende also in den Garten müssen, um die Bücher zu holen, denn auch Lyrik ist ein Rückzugsort, und so etwas braucht man jetzt. Ich zumindest.

Das vorhin zitierte Gedicht (Für Chemjo zu Pessach 1944) gibt es auch wunderbar vertont von Dota Kehr, auf ihrem sehr, sehr empfehlenswerten Album „Kaléko.“

Ansonsten Office-Office. Auf dem Rückweg nach Hause erwische ich eine Stunde des plötzlichen Temperaturrückgangs, kühler weht der Wind. Ich habe es heute mit den Gedichten und Liedern, und was da von West über uns kommt, das hat in den Böen eine erste Ahnung von Winterjackenwetter.

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Im Bild heute wieder einmal die liebliche Architektur Hammerbrooks. Das Bild täuscht nicht, dieses Gebäude ist tatsächlich tiefschwarz, und man möchte lieber nicht wissen, was im Kopf von Leuten vor sich geht, die so etwas entwerfen und dann ernsthaft denken: Sieht doch gut aus. Die Zentralen von Berufsgenossenschaften findet man hinter diesen Fassaden, sie gehören wohl, zumindest dem baulichen Anschein nach, zur dunklen Seite der Macht. Nanu.

Büroarchitektur in Hammerbrook, die Fronten eines schwarzen Kastens, finster und abweisend aussehend

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Der Wind um die Häuser und Häfen

Dienstag, der 10. Oktober. Ich höre auf meinen Wegen ein neues Hörbuch, die Deutschstunde vom Lenz. Ein Buch, an dessen Handlung ich mich ausnahmsweise sogar noch einigermaßen erinnern kann, ich werde es mit etwa 18 Jahren gelesen haben, damals als dickes dtv-Taschenbuch. Ich wusste allerdings nicht mehr, dass Lenz recht ansprechend beschreibt, ich kann es daher diesmal kulissen- und stimmungsbetont hören, es geht mir nun mehr um die Bilder, wie etwa der Polizist vom nördlichsten Posten Deutschlands da bei „barschem Nordwest“ mit aufgeblähtem Umhang über den Deich gegen den Wind radelt, als warum er das tut und mit welchen Folgen für den weiteren Verlauf der raumgreifenden Handlung.

Und da ich abends noch im Erskine Childers lese, Rätsel der Sandbank, das ebenfalls in Norddeutschland spielt, in ähnlichem Nordwest, habe ich auch da wieder einen Literaturakkord, denn der Childers schreibt noch geradezu munter auf die großen Kriege des letzten Jahrhunderts zu, der Lenz dann langsam und schwermütig von ihnen weg, und sie tun es beide, während der Wind um die Häuser und Häfen heult, die sie in ihren Texten vorkommen lassen.

Die Herzdame hat am Wochenende im Heimatdorf Sachen aus ihrer Kindheit wiedergefunden, etwa einen Nicki-Sport-Pullover, den trägt sie jetzt und es ist merkwürdig, den zu berühren, wie lange habe ich so etwas nicht gefühlt. Nicki-Stoff, der nach vielen Waschgängen und langem Liegen im Schrank etwas hart geworden ist der dann aber doch geschmeidig und plüschig wird, wenn man ihn trägt. Und dann diese engen Bündchen, die man damals noch an den Pulloverärmeln (und an den Schlafanzügen) hatte, dazu dieses Achtzigerjahreblau, man könnte sich erinnernd ins Textil fallen lassen.

Der Pullover hat am Bauch eine heute eher seltsam anmutende Tasche mit Reißverschluss, da hat man damals wohl die Monatskarte reingetan. Oder das Telefongeld, ein längst seltsam gewordenes Wort.

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Im Bild das Ufer der Bille an der Grenze zwischen Rothenburgsort und Hamm.

Ein lilafarbenes Hausboot vor grauem Himmel über Hamburg-Hamm

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Saisonanfang

Montag, der 9. Oktober. Ich stolpere am Sonntag bei Recherchen über die Seite eines Autographenhändlers (keine bezahlte Werbung) und muss mich dann sehr zusammenreißen, dort nicht stundenlang Handschriften anzusehen. Zu und zu faszinierend finde ich so etwas, hier etwa die Abteilung Dichtung.

Vor der Bäckereikettenfiliale um die Ecke sehe ich beim Brötchenholen eine weitere Eskalation des Personalmangels, auf den mittlerweile gewohnten Schildern mit der Suche vor der Tür wird jetzt darauf hingewiesen, dass man bei der Bewerbung keinen Lebenslauf und kein Anschreiben mehr benötige, was mir ziemlich kurz vor „Kommen Sie doch bitte, bitte rein und machen Sie irgendwas bei uns“ zu sein scheint. Weiterführende Gedanken zur Zuwanderung und zu Menschen, die warum auch immer nicht arbeiten dürfen, bitte selbsttätig ausführen, man kann die logischen Brüche manchmal kaum noch ertragen und das letzte Wochenende war auch etwas demotivierend, was das Nachdenken betrifft. To say the least.

In den Timelines nach den Wahlen einige Topcheckerinnen, die genau wissen, was jetzt politisch zu tun sei, ich dagegen weiß es nicht. In den Timelines auch einige Journalistinnen, die sich mit einem Anflug von Selbstkritik nach dem Wochenende fragen, ob nicht vielleicht auch die Medien … da bloß nicht antworten. Contenance.

Die Familie kränkelt ansonsten. Am Morgen die Zustände abfragen und die Lage klären, wer kann oder muss wohin, das Virenkarussell. Ich mache dabei bisher nicht mit, merke aber die Abwehrleistung meines Immunsystems, ein Gefühl permanenter Überforderung der körperlichen Art, ohne überhaupt etwas zu tun oder zu leisten. Es passt harmonisch zur seelischen Überforderung durch die Nachrichtenlage, es ist insgesamt alles etwas anstrengend gerade, nicht wahr.

Wenigstens ist das Wetter gut, also schlecht. Es regnet unentwegt, es wird kühler, und wenn der Wetterbericht nicht täuscht, wird der Restsommer zum Wochenende hin endgültig abgeräumt. Ich friere am Montagmorgen auf dem Weg zum Büro erstmals sogar etwas und gebe daher im weiteren Verlauf des Tages Herzensternebrezeln frei, die Familie dankt es mir enthusiastisch: Saisonanfang, wir schalten um. Und in den Mails die Adventstextanfragen.

Im Gegenzug bringe ich den Ventilator und damit also den Sommer in den Keller.

Und an einem Fleet in Hammerbrook sehe ich an diesem Tag doch noch etwas buntes Laub. Allerdings sind es welkende Blätter an Kastanien, und da weiß man dann wieder nicht, ist es der obligatorische Schädlingsbefall, ist es der Herbst. Es ist auch dabei alles eventuell schlimmer als es auf den ersten Blick aussieht. Das zieht sich so durch.

An den Stromkästen im Stadtteil aber, ich nahm es neulich im Vorbeigehen auf, wird Mut gemacht.

Ein Aufkleber an einem Stromkasten: "Keine Angst, das wird schon!"

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Und die Kraniche über uns

Sonntag, der 8. Oktober. Vorweg einen herzlichen Dank an die beiden Menschen, die gestern, vorgestern etwas in den Hut geworfen haben, sehr und ungewöhnlich großzügig, ich freue mich!

Nebenbei entempöre ich meine Timelines trotz oder auch wegen der Weltlage weiter, es wird nie einen wirklich passenden Moment dafür geben. Ich trenne mich per Mausklick insbesondere von denen, die alle paar Minuten das nächste „Schlimm! Schlimm!“ zur deutschen Politik posten oder reposten, denn ich finde das zwar fast alles auch schlimm, möchte das aber nicht mehr permanent und womöglich in Großbuchstaben um die Ohren geschlagen bekommen. Ich befriede mich online ein wenig und hege mich ein.

Biedermeier-Abwägungen, versteht sich, nur nichts machen, ohne sich zu hinterfragen. Aber dann auch wieder die Nutzenfrage. Es bringt mir einfach nichts, permanent im Gefühl der Empörung zu verharren. Es ist zweifellos richtig, gegen vieles zu sein, meinetwegen auch für vieles, und das mit Nachdruck sogar, aber man kann es ja dosiert, an den richtigen Stellen und in den passenden Momenten ausdrücken und in Taten und Worte umsetzen, etwa bei Wahlen oder in Gesprächen mit den zahllosen Verwirrten. Man muss es nicht blutdruckrelevant aufwallend immer wieder mitfühlen, stündlich oder gar minütlich aktualisiert.

Aber gut, das richtige Maß muss dabei jede für sich finden, und es wird erheblich variieren, vielleicht sogar nach Tagesform. Ich fand es auf eine Twitter eine ganze Weile lang auch interessant so, in all der Hektik, Aufgeregtheit und in der rasenden Taktung, ich finde es nun nicht mehr. Man muss seine Lebensphasen auch in seinem Medienkonsum abbilden – zur Weltgeschichte passt das dann allerdings nicht zwingend.

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Am Morgen gelesen, es fügt sich gut nach dem letzten Absatz, aber das ist ein Zufall: Es gibt ein neues Buch über Adelbert von Chamisso, und schon beim Lesen der Rezension kann man etwas lernen und seine Allgemeinbildung anreichern: „Matthias Glaubrecht: Dichter, Naturkundler, Welterforscher – Adelbert von Chamisso und die Suche nach der Nordostpassage.

Und übrigens noch einmal eine Empfehlung, man kann sich auf der Seite Nachrichtentisch ein eigenes Medienmenü anlegen und recht elegant durch die Überschriften der deutschen (und anderen) Medien scrollen, nach Ressort und Region sortiert. Über die Einstellungen das Passende aussuchen, speichern und auf Auto-Update stellen, ich finde das enorm nützlich so und habe etwa die Rezension gerade eben so gefunden.

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Ich lese etwas über Ludolf Wienbarg nach, der Ihnen nicht zwingend geläufig sein muss, aber das ist der, der den Begriff „Junges Deutschland“ geprägt hat, Sie erinnern sich noch aus dem Deutschunterricht vielleicht, Vormärz etc., da war doch was. Ich komme über einen Helgolandbezug zu ihm. Er hat über die Insel geschrieben, wenn auch nicht gerade herzlich zugeneigt, er war allerdings auch nicht eben freiwillig dort, mehr der Not gehorchend. Er hat dabei auch, ich lese es wohl noch einmal genauer nach, die Anfänge des Tourismus kommentiert.

Wienbarg war später ein Opfer des Alkohols und starb schließlich in einer Heilanstalt in Schleswig, in der wegen Verfolgungswahn war, und diese Heilanstalt, das ist die, welche Sie vielleicht aus den Büchern vom Meyerhoff kennen: „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war.“

Solche Bezüge finde ich immer faszinierend, auch wenn sie sonst überhaupt nichts aussagen, es ist nur etwas, das zusammen anklingt. Ein Literaturakkord.

Das Titelblatt einer alten Ausgabe von Wienbargs "Tagebuch von Helgoland"

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Kraniche ziehen am Nachmittag rufend über das Viertel, die Menschen stehen mit den Köpfen im Nacken auf den Wegen, zeigen mit den Fingern und sehen ihnen nach, ein jähes lyrisches Empfinden auf den Gesichtern.

Na, was ich mir so einbilden möchte.

Und hier noch eben ein Bild vom Rathaus.

Das Hamburger Rathaus, die Abendsonne spiegelt sich in den Fenstern, vom Innenhof aus aufgenommen

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Währenddessen in den Blogs

Frau Herzbruch zu den Wahlen und zur Zukunft. Anderweitig: Verzweifelter Mut.

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Meike zum Doomscrolling

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Zerbrochenes Radioporzellan

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Die Fortsetzung des Autokaufs bei Vanessa. Und hier schreibt sie über die Möw-e, es bleibt elektrisch, und hier reist sie mit einer Anmutung von Derrick. Man merkt, ich bin Vanessa-Fan.

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Weiteres zu e-Autos außerdem hier: Deutsche Reichweitenangst.

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Kunst in der Regentonne

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Anke zitiert über Herrndorfs Schuhe.

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Hop Heisa, bei Regen und Wind

Sonnabend, der 7. Oktober. Ein Regentag, an dem ich mich dennoch schon morgens aufraffen und an die frische Luft begeben muss, denn es gibt die jährlich anstehende Gemeinschaftsarbeit im Gartenverein. Ich ziehe zum ersten Mal seit langer Zeit Gummistiefel an und werde schon auf dem Weg zur Insel der Gärten gründlich nass, ich gehe über die triefende Parzelle und sehe nach, ob alles okay ist. Nasse Äpfel in den Bäumen, unwirklich rotbackig leuchtend im grauen Tag, und gut schmecken sie. Überlaufende Regentonnen, gluckernd und melodiös läuft immer mehr Wasser aus dem Fallrohr nach und über den Rand.

Ein Sohn kommt dazu, um ebenfalls zu helfen. Wir gehen zum Vereinshaus, wir erfahren dort, dass die Gemeinschaftsarbeit heute wetterbedingt ausfällt. Umsonst nass geworden, aber immerhin Bewegung gehabt. Wir setzen uns in die kühle, etwas klamme Laube, der Regen prasselt auf das Dach und steigert sich. Wir warten eine Stunde ab, bis unsere Motivation endlich wieder reicht, durch den weiter stärker werdenden Regen zur U-Bahn zu gehen.

An dem hohen Holzpfahl vor unserer Hecke, über den früher einmal Telefonleitungen liefen, sitzen zwei Buntspechte auf halber Höhe und hämmern. Ganz nah sehe ich sie und denke, es hat sich also doch wieder alles gelohnt. Ein Tierfilmstandbild, zwei sehr schöne Vögel, noch nie habe ich sie so nahe gesehen. Sie machen eine Pause, sie drehen sich um und sehen mich an, was ich nun wohl mache. Ich mache gar nichts. Ich stehe da nur und werde nass, da hämmern sie schließlich weiter. Kopfarbeiter im Regen, und die Tropfen hämmern dabei fortwährend auf meine Kapuze.

Ich fahre mit der U-Bahn nach Hause. Kleine Pfützen auf dem Waggonboden vor allen Fahrgästen, jede und jeder tropft vor sich hin. Zerstörte Frisuren und durchweichte Kleidung, eine Stadt zum Auswringen.

Das Laub an den Bäumen auf dem Spielplatz vor unserem Haus sieht aus, als würde die attraktive Phase der bunten Metalle in diesem Jahr vorerst ausfallen, kein leuchtendes Messing in den Blättern in diesem Oktober, kein Kupfer, kein Gold, keine Bronze. Es ist eher ein zurückhaltendes Verblassen und Vergrauen fern aller Pracht, auch einige matt bräunliche Töne sieht man, aber das Bild wird sich in den nächsten Tagen noch ändern, hoffe ich.

Ich lese in einem Band mit Oktobergedichten, sie haben fast alle keinen Bezug zur Gegenwart ohne das flammende, leuchtende Laub. Schenk ein den Wein, den holden – das muss noch alles noch warten, auch Theodor Storm. Oder der Kästner, „Fröstelnd geht die Zeit spazieren“, es ist noch zu warm für solche Zeilen.

Die Herzdame ist konstruktiv, die Herzdame backt Eierlikörkuchen.

Ein Kuchen aus einer Springform

Ich drehe meine Einkaufsrunden durch den Regen, ich werde nass, ich ziehe mich um. Ich werde wieder nass, ich ziehe mich um, ich gehe wieder raus. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann es zuletzt einen ganzen Tag durchgeregnet hat, es muss lange her sein.

Ich lege mich aufs Sofa, ich höre den Überläufer vom Lenz durch, da geht es um den Krieg. In den Nachrichten währenddessen ein neuer Krieg, die Hamas greift Israel an, es ist keine Nachrichtenlage und kein Literaturkonsum, um an die Lernfähigkeit der eigenen Art zu glauben oder an irgendetwas Gutes im Menschen an sich.

Das Hörbuch immerhin, ich wiederhole es noch einmal, ist beeindruckend gut, man möchte Burghart Klaußner sofort einen Preis überreichen für diese beeindruckende Leistung.

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Dann trotz allem Projektarbeit besinnlicher Natur, ich lese Dinge nach. Mit welcher Ruhe im 19. Jahrhundert noch beschrieben wurde, ich find es sehr anziehend. Jemand beschreibt in einem Brief einen anderen Menschen und seine Wohnung und nimmt sich dafür drei, vier, fünf Blatt Zeit, bis er alles getroffen hat.

Es hat doch etwas.

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Ein gewendeter Kafka

Freitag, der 6. Oktober. Es herbstet weiter heran, es regnet, es windet von Nordwest, es ist, jedenfalls mit etwas Fantasie, fast kühl, ich bin so weit sehr mit allem einverstanden. Ich trinke den ersten Oktober-Tee, ich mag Tee nur in der dunkleren Jahreshälfte, es ist mir ein Fest. Ich arbeite bei Regengetrommel auf dem Dachfenster im Home-Office, es ist ausgesprochen konzentrationsförderndes Wetter für mich.

Ich stelle nebenbei fest, dass das Wochenende voller Arbeit ist, ich frage mich, wie das nun wieder kommen kann. Ich erhebe im Geiste Anklage gegen mich selbst, sollte so etwas nicht strikt vermieden werden, gab es da nicht Beschlüsse? Allerdings haben sich all diese Termine, stelle ich dann fest, eher einfach so ergeben, die habe ich gar nicht gemacht. Die flogen mir zu, die standen plötzlich fest oder fielen vom Himmel. Ich halte mich nach etwas Nachdenken für gänzlich unschuldig, ich bin mir selbst heute ein ausgesprochen milder Richter und spreche mich frei, ich bin ein gewendeter Kafka: „Jemand musste Maximilian B. entlastet haben.“

Alles heiter wegarbeiten, es wird schon, es wird schon. Zum Himmel sehen, der an diesem Wochenende verlässlich grau und nass bleiben wird, es ist eindeutig Schreibtischwetter, Sofawetter, es passt so. Wenn Sie kein Herbstmensch sind, werden Sie es natürlich nicht verstehen können, aber denken Sie sich dann einfach, ich habe jetzt das, was Sie vermutlich im Frühling haben. Jedenfalls in etwa.

Und auch die Musik passt wieder zur Atmosphäre, wenn man zum Freundeskreis getragenes Liedgut gehört, endlich wieder kann man die dunklen Playlists anwerfen, beste Laune bei trauriger Musik. Wobei der Text hier in dem folgenden Beispiel gar nicht so traurig ist, aber wirklich sehr gut anfängt: „Pretending that we meet each time I turn a corner, I walk a little faster.“

Bei Interesse am Song unbedingt auch die Erstversion von Blossom Dearie anhören.

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Der Literaturnobelpreis geht an diesem Tag an Jon Fosse, von dem ich bisher nichts gelesen habe, von dem ich nur mal gerade den Namen wusste, was aber selbstverständlich keine Abwertung ist. Er hat, so lese ich in den Meldungen zu ihm, fünf Kinder und schreibt über Einsamkeit. Da hat es jemand mit der Vereinbarkeit aber gut hinbekommen, denke ich.

(Und ich weiß ja nicht, vielleicht entwickele ich mich auch allmählich seltsam – das war eben ein Scherz, haben Sie es erkannt? In den sozialen Medien gab es zahlreiche, merkwürdig viele bierernste Antworten dazu, die mir erklärten, warum das aber doch sein könne und man auch mit Kindern … ja, ach was? Was ist mit den Leuten?)

Wie auch immer. Hier noch schnell ein Hafenbild.

Blick von den Landungsbrücken Richtung Elbphilharmonie, im Vordergrund ein Poller, übersät mit Aufklebern

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Schlicht und altmodisch

Donnerstag, der 5. Oktober. Gestern gab es eine Premiere auf meinem Arbeitsweg nach Hammerbrook, und keine der guten Art. Ich habe zum ersten Mal einen meiner gewohnten Wege durch das U-Bahn-Geflecht am Bahnhof nicht genommen, weil mir in der frühen Stunde zu viele Junkies dort komatös weggetreten herumlagen, die ich hätte umkurven oder übersteigen müssen. Wie bereits erwähnt, es eskaliert hier erstaunlich schnell.

Die Stadt hat jetzt mit viel Presse-Geklingel eine Waffenverbotszone am Hauptbahnhof eingeführt und kann daher anlasslos und beliebig Passanten auf Messer, Schusswaffen und anderes Zeug durchsuchen – ich sehe nicht recht, wie das bei den Problemen helfen soll, die ich dort wahrnehme. Um regelmäßige Messerstechereien geht es da eher nicht, und die Hilfsangebote für die Opfer von diversen Rauschmitteln und Armut wurden, soweit ich es mitbekommen habe, nicht erweitert, nicht einmal die beim Drob-Inn, obwohl das recht offensichtlich notwendig wäre. Man muss die Lage nicht erst lange studieren, um darauf zu kommen.

Ich wohne jetzt direkt neben zwei Waffenverbotszonen und find es am Rande erheiternd, dass ich als Anwohner Messer in einem geschlossenen Behältnis weiter durch meine Gegend tragen dürfte. Ich bin etwas in Versuchung, aus reiner Renitenz dauernd einen Besteckkasten mitzuführen, aber wir wollen nicht übertreiben, nicht wahr. Contenance, Herr Buddenbohm.

Ein Bürotag der nicht weiter erwähnenswerten Art war der Mittwoch mit dem täuschend echten Montagfeeling ansonsten, auch der Rest des Tages war seltsam grau und geduckt, blass, unauffällig und schnell weg. Viel eingekauft und lange gekocht habe ich, Haushaltsdinge und ergebnislose Raufaserbetrachtungen gab es. Nichts habe ich gelesen, keinen Film habe ich gesehen, kein Hörbuch gehört. Früh eingeschlafen, immerhin zum Geräusch des herbstlich heulenden Windes am Fenster, und das war dann also der gute Teil des Mittwochs, seine letzten zehn Minuten. Aber Hauptsache, es gibt einen guten Teil, nicht wahr, und bitte, da haben wir also den Achtsamkeitspart für den Freundeskreis Seelenhygiene.

Am Donnerstag dann Home-Office bei recht gelungenem Herbstwetterimitat, fast war es wie früher im Oktober. Am Morgen passend dazu gelesen: „Das typische Bild, das wir vom Herbst haben, gibt es so nicht mehr.“ Ich höre mich nebenbei durch meine Instrumental-Jazz-Playlist und trage endlich wieder einen Pullover, es sind die kleinen Dinge. Coltrane und Rollkragen heben die Laune, ich bin einfach gestrickt, altmodisch und berechenbar.

Und hier unvermittelt und grundlos ein Alsterbild. Warum auch nicht.

Segelboote an einem Steg an der abendlichen Außenalster, mit Planen abgedeckt, Sonnenuntergangslicht

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Ich habe mir ansonsten mit etwas Listengebastel und mit einigen Seiteneinstellungen Mastodon und Bluesky so hergerichtet, dass sie auch im Web auf den ersten Blick praktisch genau gleich aussehen, nicht nur in den Apps. Ich kann mir also jetzt in aller Ruhe ansehen, wie die Leute da auf nahezu vollkommen identisch aussehenden Seiten endlos über die jeweils andere Seite motzen und kann weiter zunehmend an der Menschheit verzweifeln.

Aber das würde ich ohnehin tun, nehme ich an, auch ohne diese ziemlich spezielle Online-Erfahrung mit der judäischen Volksfront und der Volksfront von Judäa, die Älteren erinnern sich.

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Rückblick, unterbelichtet

Ich habe für das Goethe-Institut noch einmal über alles geschrieben: Hier entlang.

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Ein spontaner Terminhinweis für Hamburgerinnen mit Interesse an Kunst. Kunst ist nun gewiss nicht meine zentrale Kompetenz, aber wir haben hier immerhin einen großen Rasmus Hirthe über dem Bett hängen, ein für meinen Geschmack einigermaßen spektakuläres Bild mit Bezug zum Nordseestrand. In der Hamburger Galerie Gerdes gibt es am Freitag und Sonnabend Galerierundgänge, der Künstler ist dabei erstens anwesend und zweitens super, wie ich aus Erfahrung weiß, wenn Sie hingehen, schöne Grüße. Die Uhrzeiten stehen auf der verlinkten Seite.

Und apropos Kunst, es ist bald Affordable Art in Hamburg. Da gehe ich vermutlich auch hin, so jedenfalls der Plan. Ja, mach nur einen Plan, ich weiß.

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Am Morgen gelesen: Autumn heat continues in Europe after record-breaking September.

Ich habe gestern noch im Heimatdorf der Herzdame in der Werkstatt ihres Vaters die uralte Schreibmaschine wiedergefunden, deren Tastatur ich vor Jahren einmal für den Blogheader hier aufgenommen habe. Ich wusste nicht, dass es die überhaupt noch irgendwo gibt und mich über das Wiedersehen gefreut. Das Bild begleitet mich und meine Online-Präsenz schon lange.

Die museal aussehende Tastatur einer alten Schreibmaschine der Marke Ideal

Ich habe übrigens, es fiel mir am Feiertag auf, da schon wieder so viele Rückblicke auf Jahrestage in den diversen Timelines gepostet wurden, eine ausgesprochen schwache, eine ganz erstaunlich unterbelichtete Erinnerung an die Zeit der Wiedervereinigung und überhaupt keine an diesen 3. Oktober, der dem aktuellen Feiertag zugrunde liegt. Ich habe damals insgesamt sehr wenig von allem wahrgenommen, und ich glaube, es liegt daran, dass ich in dieser Phase so gut wie ausschließlich mit Verliebtsein beschäftigt war. Es ist zumindest die einzige halbwegs plausible Erklärung, die mir einfällt, auch nach längerem Nachdenken. Mir fehlen auch Fernsehsendungen, Kinofilme und Popmusik aus dieser Zeit, nahezu komplett. Ich habe bei nichts mitgemacht, kaum aufgepasst und nichts mitbekommen, ich habe da eine größere Lücke im Erinnerungslauf. Aber ich weiß noch, auf wen sich die damalige Verliebtheit bezog, das immerhin. Und ich habe, das weiß ich auch noch, mit dem ganzen Prozess der Wiedervereinigung sehr gefremdelt, aber mich doch auch für die Menschen gefreut, die das so haben wollten, so wird es gewesen sein. Mir fehlte allerdings auch jeder persönliche Bezug in den Osten, das ergab sich erst später.

Wir sind später von Nordostwestfalen nach Hamburg zurückgefahren. Es gab Wind über Niedersachsen, fast Sturm sogar, quer treibenden Regen auch, also alles, was man früher schlechtes Wetter genannt hätte. Aber wie selten es mittlerweile Regen gibt, so selten schon, dass man es dann vom Auto aus nett und gemütlich finden kann, keineswegs lästig oder gar schädlich für die Stimmung.

In Hamburg dann einheitstagsbedingt überall Polizei und Sicherheitskräfte aller Art, greller Demokrach mit Querdenkern verschiedener Ausprägung und Putinfreundinnen, darüber wirrer Lautsprecherlärm, unverständliche Durchsagen von woher und für wen auch immer und dann die endlosen Besucherinnenströme um den Hauptbahnhof herum und in ihn hinein, außerdem Hubschrauber am Himmel. Wir waren froh, dass wir es ohne allzu langen Stau in unsere Garage schafften, denn wir mussten mitten durchs ganze Geschehen, es war mir ein wenig zu spannend.

Die Koffer ausgepackt, während wir von draußen immer weiter viel zu viel hörten.

Und wieder habe ich die Hoffnung, dass es jetzt endlich die letzte Großveranstaltung des Jahres war, aber vermutlich übersehe ich erneut irgendetwas und die Weihnachtsmärkte machen doch eh gleich auf.

Und Macron und Scholz kommen nächste Woche, fällt mir ein, das auch noch. J’en ai marre. Diese Wohnlage hier passt definitiv nicht mehr zu meiner Lebensphase, aber mal eben umziehen – naja, Sie wissen schon, wie eine andere Bloggerin schreiben würde.

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