Bevor sich der Vorhang hebt

Es regnet währenddessen immer weiter, die Endlosschleife des kaum beleuchteten Winterwetters wird fortgesetzt. Die Spaziergänge sind etwas unschön in dieser Zeit und fallen sogar mir schwer, obwohl ich viel und routiniert gehe, jeden Tag. Im letzten Jahr sogar durchschnittlich 2000 Schritte mehr pro Tag, verglichen mit dem Jahr davor. Das werde ich wohl nicht weiter steigern können, mehr Zeit habe ich nicht.

Am Montagnachmittag habe ich mit der Herzdame eine Stunde auf dem Bett gelegen, aktionsmüde und etwas hoffnungslahm, ohne große Bereitschaft, mit diesem neuen Jahr etwas anzufangen. Aber das wird am 1. Januar wohl noch statthaft sein, das haben wir uns dann freundlich zugebilligt und sind einfach noch länger liegengeblieben. Mildernde Umstände, immerhin hat man wieder zwölf lange und volle Monate vor sich, das ist keine Kleinigkeit. Diese Aussicht kann man noch einmal eine Stunde veratmen, bevor sich der Vorhang hebt.

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Dienstag. Am frühen Morgen habe ich die erste Deadline des Jahres souverän gehalten. Es sind die kleinen Dinge, es sind die bescheidenen Erfolge, die uns über Wasser halten. Auch die ersten Rechnungen habe ich verschickt, immer ein tröstliches Gefühl.

Dann ins Büro. Dort war ich lange nicht mehr, im Dezember fielen die Besuche durchweg aus, es waren zu viele Krankheiten in der Stadt. Die S-Bahn nach Hammerbrook ist am Morgen so leer, wie ich es lange nicht mehr erlebt habe. Alle Welt muss noch im Urlaub sein, vielleicht aber auch im Home-Office. Lauter freie Vierer um mich herum, es ist ein ungewohnter Anblick. Die Fahrt geht durch gründliche Dunkelheit, nur wenige Bürofenster in den Verwaltungsklötzen sind erleuchtet. Eine schwarze Front sehe ich vor den Fenstern des Waggons, zappenduster ist der Bürostadtteil am Morgen der langen Winternacht.

Auch im großen Bürohaus, in dem ich arbeite, ist zunächst kaum jemand anwesend und es wird auch nach dem dritten, nach dem vierten Kaffee nicht hell, es fühlt sich an wie Nachtarbeit und die fortschreitende Dämmerung ist dann nur eine Nuancenverschiebung im Dunkelgrau, da muss man schon verdammt gut aufpassen, sonst bekommt man es nicht mit.

Seelische Eintrübung. Aber ich bin gar nicht schlecht gelaunt, stelle ich immerhin nach etwas Bedenkzeit fest, ich bin nur umfassend nicht gut gelaunt, und das ist tatsächlich etwas anderes. Das ist, mit anderen Worten, einfach Januar/Februar, das kenne ich schon. Saisonal bedingte Stimmungsrituale. Man begibt sich in den Durchhaltemodus, es wird dann von selbst irgendwann März.

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Am Nachmittag mache ich Besorgungen für meine Mutter. Ich höre dabei einen langen Podcast über den Fachkräftemangel (diesen hier) in Deutschland und nehme gelassen die Pointe zur Kenntnis, dass die Arztpraxis, aus der ich Rezepte holen möchte, wieder wegen Krankheit geschlossen hat. Passt schon.

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Im Tagesbild ein Aufkleber, den ich sicher schon einmal hatte, aber man kann ihn besonders in diesem Jahr ruhig öfter zeigen, denke ich. Im Hintergrund die Außenalster in einem etwas helleren Moment.

Ein Aufkleber auf einem Brückengeländer: "FCK NZS" - im Hintergrund die Außenalster

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Der Januar wird es richten

Am Montagmorgen, ich wache wie immer sehr früh auf, auch wenn mir deutlich Schlaf fehlt, sieht es vor dem Dachfenster aus wie immer. Die Welt ist noch da, auch die Kirche steht noch, dieses neue Jahr sieht man der Gegend gar nicht an. Nach dem gewohnten Regen sieht es schon wieder aus, und üblicher Wind kommt auf, der zum nächsten Sturm in der langen Reihe der Winterstürme werden kann. Im Wetterbericht sehe ich bereits die Warnsymbole. Ausgesprochen ungemütlich ist es.

Die Ringeltaube sitzt neben mir auf dem Dach, wie ich erst nach einer ganzen Weile merke, fast in Griffweite sitzt sie. Der Vogel fliegt nicht weg wie sonst und sieht mich nur müde an. Arg zerzaust sieht diese Taube aus. Die hatte sicher auch eine unangenehm unruhige Nacht. „Guten Morgen“ sage ich, und sie rollt indigniert die aufgerissenen Augen, als sei das mit Abstand das Allerdümmste, was jemand zu dieser Uhrzeit sagen kann.

Es sind dann, kaum dass es hellgrau draußen wird, schon die ersten Eltern mit ihren Kleinkindern auf dem Spielplatz. Sie setzen den Nachwuchs im Morgengrauen in die Schaukeln, ich höre das leise Jauchzen, als sie ihnen Schwung geben. Da sind wohl die familiären Rhythmen bei einigen gründlich durcheinandergekommen, wie immer zu dieser Jahreszeit. Na, es wird sich bald alles wieder finden. Auch die momentan ausgeprägt eulenhaften Teenager hier im Haushalt werden bald nachts wieder schlafen, nehme ich an. Der Januar wird es im weiteren Verlauf schon richten, mit seinem beinharten Alltag.

Im Hauptbahnhof später der riesige Rollkofferauflauf, es ist wieder vollkommen absurd voll dort. Das ganze Land scheint heute auf Reisen zu sein und sehr viele kommen hier durch. Von den Gleisen unten höre ich die Durchsagen mit dem so verlässlichen „Grund dafür ist …“, vielfach und variantenreich wiederholt. Vor dem Edeka, dem einzigen geöffneten Laden weit und breit, stehen sie in einer langen Schlange und schimpfen knurrend auf die jeweils anderen. Der Mensch ist dem Menschen ein Hindernis.

Es war dies das erste Silvester, das wir nicht im Viererbund begangen haben, was ich allerdings erwartet hatte. Das ist eine normale Entwicklung, kein Drama. Die Herzdame war auf einer Party, Sohn I war auf einer anderen Party, Sohn II und ich haben alles von zuhause aus nach Kräften ignoriert. Ich habe zum ersten Mal seit meiner Kindheit den Jahreswechsel erfolgreich verschlafen. Ich habe zum ersten Mal seit damals auch nicht Dinner for one gesehen. Ich bin im Moment kein Mensch, der Silvester irgendwie begehen möchte.

Aber auch das kann sich selbstverständlich wieder ändern, immer vieles für möglich halten. Der Mensch ist ein ergebnisoffener Prozess.

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Im Bild noch einmal ein Rettungsring für Sie, ich war wieder an der Alster.

Ein Rettungsring in einem Ständer am Ufer der Außenalster, der Blick geht über das Wasser Richtung Mundsburg

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Dezenz und Freundlichkeit

Leise und rücksichtsvoll anfangen. Ich habe eh noch gar nichts mitzuteilen und bin zu müde für alles, es kam hier schon wieder zu nächtlichen Ruhestörungen. Also nicht gleich voll drauf. Nicht mit dem Text, nicht mit der Begleitmusik. Nur Benny am Klavier, nicht die gewohnte große Nummer. Ein Beginn mit Dezenz und Freundlichkeit, wir müssen es so einrichten, wie wir es haben wollen.

In den Jahresschluss-Blogartikeln und den Silvester-Postings in den diversen sozialen Medien kam eine Aussage häufig vor, sicher viel häufiger als in den Vorjahren, das war der angekündigte Verzicht auf Vorsätze für dieses Jahr. Das finde ich einerseits vollkommen nachvollziehbar, die etwas fatalistisch anmutende Skepsis überwiegt eben allgemein, ist wohlbegründet und stand ähnlich auch bei mir, Sie haben es gestern vielleicht gelesen.

Andererseits ist es aber so, wenn wir alle alles nur noch auf uns zukommen lassen, dann geht es am Ende erst recht in keine gewünschte Richtung mit uns. Vielleicht müssten wir also aus kalten Vernunftgründen an diesen Aspekt doch noch einmal ran und die eigenen Zielvorgaben notwendigerweise für die kommenden Monate kalibrieren.

Da mal drüber nachdenken. Und nebenbei leise die Pippi-Langstrumpf-Titelmelodie pfeifen, denn pure Vernunft darf niemals siegen, wie sicher allgemein bekannt.

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Ich habe bis gestern noch nie von der Stadt Haren (Ems) gehört, las gestern aber, dass es dort Aufrufe zur Teilnahme an den dringenden deichsichernden Maßnahmen gegeben hat, woraufhin sich über tausend Menschen sofort gemeldet und gemeinsam 20000 Sandsäcke verlegt haben. Der Bürgermeister sprach von „zutiefst beeindruckender Solidarität.“ Was ich hier nur eben notiere, damit am Anfang etwas Gutes steht. Mir scheint, es besteht erheblicher Bedarf an solchen Nachrichten, und ich halte also kurz fest, bevor wir wieder von anderen Schlagzeilen verprügelt werden, dass beeindruckende Solidarität nicht kategorisch unmöglich ist. Ein ausgesprochen netter Gedanke, gut für den ersten Tag.

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Noch eben eine Handvoll Links:

Ankes Leseliste 23 und auch die der Kaltmamsell.

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Weitere Literatur-Links wieder beim Kaffeehaussitzer. Und hier noch eine Vorschau auf die literarische Jubiläums-Parade 2024. Ich habe mir z.B. Ruth Berlau gleich vorgemerkt, da habe ich eine klaffende Bildungslücke. Nicht genannt unter den Jubilaren dort ist Kant, der aber auch einer anderen Profession angehörte. Ich finde besonders diese Reihe der Schreibenden mit K am Anfang großartig: Kant, Klopstock, Kafka, Kraus, Kaschnitz. Ich kann mir vorstellen, dass diese Namenreihe für Menschen, die kein Deutsch können, etwas seltsam klingen muss, hart und eckig.

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Im Bild des Tages eine norddeutsch kurzgefasste Erläuterung zu Öffnungszeiten, heute gerade passend. Vor etlichen Jahren habe ich das auf Helgoland fotografiert.

Ein Schild in einem Schaufenster: "Montags dicht"

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The same procedure

Noch einen letzten Werktag absolviert. Wie immer zwischen den Jahren, Vorsicht bei der Berufswahl. Auch noch einige administrative Sachen im privaten Bereich geregelt, Familien- und Haushaltsmanagement, teils auf der allerletzten Rille. Damit begonnen, das Jahr 23 abzulegen und abzuhaken, wegzusortieren. Noch ein paar Stunden an einem anderen Projekt gebastelt, um nicht mit offenen Enden die Kalendergrenze zu passieren. Im Grunde eher irrational motiviert, aber Hauptsache Antrieb.

Alles vom Sofa aus erledigt, damit es sich nicht nach Stress anfühlt. Wie wir es uns auch im Büro gelegentlich zur Beruhigung sagen, was sich alle Menschen mit beliebigen Office-Jobs ab und zu sagen sollten: „Immerhin geht es hier nicht um Menschenleben, und es verderben auch keine Lebensmittel.“

Noch einmal für drei Tage eingekauft, zwischen den ratlosen Amateuren, die man so zuverlässig zu dieser Jahreszeit in den Geschäften sieht und unweigerlich vor den Füßen hat, zwischen den zahllosen nervös Gereizten auch, die von der Jahreszeit, dem Leben und den Festen allzu deutlich überfordert sind. Sogar im Blumenladen gab es seltsame Gespräche – also was ist mit den Leuten. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn Kundin und Floristin sich gegenseitig eine gelangt hätten, es klang kurz so, und es ging doch nur um drei banale Blümchen und ihren Preis. Herr im Himmel. Die Leute hinter mir in der Schlange fluchend und auf die eskalierende Aggression der beiden gerne einsteigend, schnell bereit. Krawallkumpel, alle miteinander.

Dann doch noch eine gute Nachricht zu einem für uns wichtigen familiären Thema erhalten, damit hat das Jahr sich wirklich enorm viel Zeit gelassen. Aber doch sehr gefreut und auch noch einmal gemerkt, wie ungewohnt gute Nachrichten sind. Die letzte Zeit war nicht eben voll davon.

Keine Vorsätze für 2024 gefasst, nicht einmal länger darüber nachgedacht. Nur den, auch im nächsten Jahr möglichst vieles mitschreiben zu wollen, vielleicht noch besser aufzupassen. Alles andere im ausdrücklich vagen Bereich belassen.

Sehr schlecht geschlafen die letzten Nächte, weil die Leute nachts vor der Haustür schon Böller zündeten und auf den Spielplatz warfen. Die Böller konnten, so urteile ich aber nur dem unfassbaren Krach nach, unmöglich legal sein.

Die Bilder aus Niedersachsen im Live-Blog des NDR angesehen, wo das alte Jahr so überaus gründlich absäuft. Bei Freunden und Familie dort nachgefragt, wo das Wasser steht. Fischer, Fischer, wie tief ist das Wasser. Ich glaube, in der Kindheit der Söhne kam dieses Spiel gar nicht vor, fällt mir gerade auf.

Auch die Nachrichten aus Niedersachsen nachgelesen, von den Leuten, die Sandsäcke stehlen, die sich den Behörden widersetzen, durch Absperrungen fahren und dann untergehen und gerettet werden müssen, die in Krisengebieten Wassersport treiben und dergleichen. Weitere Kipppunkte im gesellschaftlichen Klima vielleicht, alles spiegelt sich in allem.

Diverse Jahresrückblicke online nur mäßig interessiert überflogen, diverse Prophezeiungen für 2024 komplett ignoriert. Einfach jeden Tag gucken, was ist.

Dieses Jahr, die meisten der daran Beteiligten und auch ich haben die in sie von mir gesetzten Erwartungen nicht erfüllt, da gibt es nichts zu beschönigen. Ich nehme stark an, es gab noch kein Jahr in meiner erinnerbaren Lebenszeit, das in meinem Umfeld und vermutlich auch in weiteren Kreisen, soweit man das denn überhaupt absehen kann, in so desaströser Stimmung endete, nicht einmal in den drei Vorjahren, und diese waren doch weiß Gott heiße Kandidaten dafür.

Wir sind, wie es Kiki neulich auf Mastodon formulierte, alle an den Nervenenden etwas ausgefranst, mit der Betonung auf wir. Nicht nur ich. Nicht nur Sie, wir sind ein paar mehr. Ob wir das nun tröstlich finden oder nicht. Aber das habe ich alles schon hinreichend festgestellt, und es gibt dazu keine weiteren Ergänzungen.

Da, wo ich herkomme, da sagte man, wenn man mit etwas nichts zu tun haben wollte: „Laat mi an Land!“, also lass mich an Land. Man wollte in diesem Bild nicht mit, nicht aufs Schiff, nicht dabei sein. Man darf das so denken und empfinden, glaube ich, man muss sich das auch einmal zugestehen. Es ist kein Naturgesetz, dass man ständig mit zupackender Energie Lust auf seine Zeit haben muss, wenn sie sich doch einfach nicht anständig entwickelt. Den inneren Nörgelrentner als berechtigte und auch angemessene Figur verstehen, dennoch stets nebenbei den Rückweg zum Konstruktiven suchen. Er könnte doch irgendwo hinter einer Ecke zu finden sein, dieser Weg. Wer weiß. Und wir sollten wohl, das ist auch wichtig, trotz allem die eine oder andere positive Entwicklung im nächsten Jahr nicht für vollständig ausgeschlossen halten.

Wie auch immer. Wir legen dennoch morgen früh fahrplanmäßig ab und segeln durch das nächste Jahr. Selbstverständlich machen wir das.

Ansonsten:

Wir folgen wiederum der in diesem Blog hinlänglich etablierten Tradition: Kein Silvester ohne diese Bilder. Es handelt sich beim Folgenden also noch einmal um die längst vergilbende Erinnerung an eine norddeutsch-ausgelassene Silvesterparty in einem kleinen Ort bei Hamburg. Der Abend ist mittlerweile bereits über zwei Jahrzehnte her und längst nicht mehr wahr. Deutlich erkennt man aber die sogenannte Hanseaten-Ekstase in meinem Blick.

Denn man muss gerade die süddeutschen und vor allem die rheinländischen Leserinnen und Leser gelegentlich daran erinnern: wir hier oben im Norden, wir sind gar nicht so. Wir können auch anders.

Hanseaten-Ekstase
Gleicher Abend, nur einen Meter weiter: Die Herzdame, liebreizend wie stets und dabei auf diese einmalige nordostwestfälische Weise in strahlender Herzlichkeit ebenfalls gut gelaunt und dem Leben offen zugewandt:

Die HerzdamePassen Sie auf sich auf, kommen Sie gut rüber und bewahren Sie bitte unbedingt Haltung.

Wir sehen uns drüben, wenn Sie mögen.

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Zwischenstand

Gehört: Die Sonderfolge der Lage der Nation zum Thema Infrastruktur. Und wieder was gelernt.

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Gelesen: Weiter im Hans Sahl, Die Wenigen und die Vielen. Es geht gerade um die Machtergreifung der Nazis in den Dreißigern und die Bezüge zur Gegenwart sind wirklich etwas herausfordernd und eigentlich kaum zu ertragen.

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In einem Café, an dem ich auf den Einkaufswegen vorbeigehe, sitzt eine junge Frau an einem Fensterplatz. Sie hat ihr Notebook aufgeklappt, Spotify ist offen, und ich sehe den Titel der laufenden Playlist, auch ohne allzu angestrengt hinzusehen: „Frühlingssongs“, heißt es da. Andere Menschen sind also noch viel deutlicher fertig mit dem Winter als ich, guck an.

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Zwischenstand bei Social Media, das kann man ja in lockerer Folge für die Chronik mitschreiben, wobei es selbstverständlich bei allen etwas anders ausfallen wird: Ich bleibe auf Mastodon beheimatet, das ist meine Stammkneipe, mein Lieblingsrudel, das zweite Wohnzimmer, die Behaglichkeits-Bubble. Bluesky ist eine Ecke weiter, es ist auch recht nett, es wird von mir auch häufig besucht und es hat dieses technische Pendant zum damaligen Tweetdeck, also einen erheblichen Nostalgiefaktor in der Ansicht, was mir als ollem Veteranen natürlich sympathisch ist. Vieles ist deckungsgleich zwischen Mastodon und Bluesky, besonders in der App-Ansicht, irritierend vieles läuft auch einfach doppelt. Ich gewöhne mich daran, teile meist aber nur auf einer Plattform.

Threads läuft für mich nicht rund, was vielleicht auch daran liegt, dass den Leuten aus dem harten Kern, also immer aus meiner Sicht, dafür einfach kein Content mehr einfällt. Man möchte Postings eher nicht verdreifachen und kann seine Beiträge nicht sinnig dreiteilig aufsplitten, irgendwann reicht es auch. Mich nervt aber vor allem, dass bei Threads immer wieder hartnäckig auf das ausgesprochen krawallig eingerichtete „For you“ gesprungen wird, in der App und auch im Netz, statt mir die chronologische Timeline zu zeigen, mit denen, welchen ich absichtlich folge. Ich kann das umschalten, schon klar, aber es ist eine Art der Bevormundung, die mir den Spaß gründlich verdirbt, wie auch schon bei FB und Instagram. Ich möchte das so nicht und mache also eher nicht (mehr) mit. Auch auf Threads gibt es andererseits einige mir sympathische Menschen, die es auf Mastodon und Bluesky leider nicht gibt, und das ist dann hin und wieder doch nett.

Und auch wenn ich Mastodon, Bluesky und Threads nebeneinander öffne, erreichen sie zusammen übrigens nach wie vor nicht einmal annähernd die inhaltliche Fülle und Informationsdichte, die wir damals auf T … (der Autor geht langsam brabbelnd ab).

Na, egal. Siehe dazu aber auch Heiko Bielinski und auch Meike Stoverock, das Thema treibt uns um.

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The one on the left is on the right

Vorweg ein Dank für die freundliche Zusendung von spezieller Tinte mit Bezug auf den Nachruf, den ich im Mai für meinen Schwiegervater geschrieben hatte – das Bleu Calanque von J. Herbin aus Frankreich dürfte nahe am dort erwähnten Südseeblau dran sein. Ganz herzlichen Dank!

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Von meinen Timelines unbeachtet starb Tom Smothers, einer von den Smothers Brothers. Vielleicht ist es tatsächlich eher abgelegenes Wissen, die beiden zu kennen, aber für die Geschichte der TV-Unterhaltung und der Comedy waren sie nicht unwichtig mit ihrer seltsamen Mischung aus äußerst gekonnter Folk-Music und damals krass subversivem Humor.

Wenn Sie noch frei haben und eine unterhaltsame Stunde Geschichtsunterricht haben möchten, gucken Sie auf Youtube mal die Filmchen der beiden durch, es ist ein Fest.

Hier sind sie mit Noel Harrison und einem Lied über politische Zerrissenheit, aktuell wie immer seit jener Zeit.

Oder hier, ganz ohne Politik, aber mit einer wie immer anbetungswürdigen Esther Ofarim.

Und, noch einmal ohne Politik, natürlich die überaus tragische Geschichte “They call the wind Mariah”:

Es lohnt sich, mehr von ihnen anzusehen, die beiden waren verdammt gut und was sie in den Sechzigern gebracht haben, war außerordentlich mutig, gucken Sie etwa auch nach ihrer Version des Draft Dodger Rags, eines Anti-Krieg-Lieds von Phil Ochs, sie bringen es mit George Segal am Banjo … ach komm, das muss hier auch noch eben hin.

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In den Foodblogs folgen, wie ich sehe, nun Partyrezepte und Mitternachtssuppen auf die mehrgängigen Weihnachtsmenüs und die Unzahl der Plätzchenvarianten, und ich weiß gar nicht mehr, was danach kommt. Ist dann eine allgemeine Food-Trendpause bis zum ersten Bärlauch, war das so in den letzten Jahren? Vermutlich.

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Ich bin noch nicht dazu gekommen, neue Fotos für die attraktive Bebilderung hier zu erjagen. Es beginnt jetzt aber auch eine Zeit, in der ich ob der umwerfenden Hässlichkeit des norddeutschen Flachlandwinters wieder große Mühe habe, Motive zu sehen. Das wiederholt sich jährlich so, das kenne ich schon, nach Weihnachten bin ich seelisch fertig mit dem Winter und kann ihm kaum mehr etwas abgewinnen, das macht auch nichts. Sollte es doch noch einen attraktiven Bilderbuchwinter mit Schnee und allem geben, sehe ich vielleicht wieder mehr Motive – die Modelle der Meteorologinnen halten das im Moment immerhin ab etwa Anfang Januar für möglich. Aber dieses Elendsgrau da draußen in der urbanen Standardausführung ohne alle Extras – es reizt so gar nicht zu Aufnahmen und ich merke auch wieder, dass ich in der eigenen Wohnung einfach keine Motive sehe. Andere können das gut, die Frische Brise etwa, wie ich dort immer wieder mitbekommme, aber da habe ich wohl eine Art Aussparung im Sehvermögen.

Wobei ich es für mich schon nützlich finde, wie ich nach diesem Jahr feststellen kann, das fast tägliche Texten hier ansprechend oder zumindest irgendwie bebildern zu wollen. Es treibt mich doch öfter vor die Tür und runter in den Hafen, in die Hafencity, an die Alster usw. Selbstgewählter Druck, das passt schon so.

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Karawanen und Einzelreisende

Am zweiten Feiertag habe ich das gemacht, was an diesem Tag meiner Meinung nach vollkommen angebracht ist, also rein gar nichts. Ich habe nur herumgelegen, in Bücher gesehen, ein Hörbuch gehört und ab und zu die Vögel auf dem Balkon versorgt. Dann bin ich doch einmal zur Belebung des Kreislaufs um den Block und durch den Bahnhof gegangen, der schon voll war von Familienkarawanen auf Rückreisen. Dazwischen Einzelreisende, die auffällig oft von absurd anmutenden Gepäckmengen überfordert waren. Vor dem Bahnhof der geschlossene Weihnachtsmarkt, Touristen fotografierten noch die großen Deko-Elemente, das waren so die Weihnachtsabschlusshandlungen.

Und es regnete, natürlich regnete es doch wieder.

Vor unserer Kirche hatte jemand einen ganzen Laib Brot abgelegt, einen großen sogar, und die Schar der so beschenkten Tauben beeilte sich flügelschlagend und drängelnd, alles zu vertilgen, bevor es komplett durchgeweicht war. Feed the birds, gleich ergab es wieder einen Ohrwurm.

Ich lag ansonsten herum und las Hans Sahl, „Die Wenigen und die Vielen – Roman einer Zeit.“ Eines dieser Bücher, bei denen wir uns jetzt überlegen können, ob sie der Nachbearbeitung einer finsteren Zeit oder aber der Vorbereitung auf eine finstere Zeit dienen, und das ist eine Frage, die ich mir noch gar nicht so lange ernsthaft stelle. Ich hätte auch gerne auf den Gedanken verzichtet. Zufällig klingt vom gerade durchgehörten Hörbuch noch der berühmte letzte Satz von Fitzgeralds Großem Gatsby nach: „So stemmen wir uns voran, in Booten gegen den Strom, und werden doch immer wieder zurückgeworfen ins Vergangene.“ (Deutsch von Rainer Kaiser, im Original so: „And so we beat on, boats against the current, borne back ceaselessly into the past.”

Eigentlich nicht das, was man jetzt hören möchte. Aber welche Wahl haben wir.

Wieder früh ins Bett, nachdem die Familie selbstverständlich bekocht wurde.

Hörbuch am Abend: Eichendorff, Das Schloss Dürande. Es geht da neben den bei Eichendorff vollkommen unverzichtbaren Nachtigallen im Mondenschein um den gesellschaftlichen Umbruch und um drastische Maßnahmen, und es fühlt sich so an, als lebten wir nun in einer Phase, an die man literarisch von überall aus anschließen kann. Immer wieder die klaren Linien, die Pfeile, die Hinweise.

Es ist fast alles schon einmal aufgeschrieben worden.

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Die Figuren sind noch da

Danke vorweg für die zahlreichen freundlichen Kommentare unter den letzten Texten! Wie entspannt es sich immer alles schreibt und liest, wenn man nicht von einem Brotberuf aufgehalten wird, für den man eigentlich überhaupt keine Zeit hat. Es ist doch immer wieder zu und zu faszinierend.

Ebenfalls vorweg der Hinweis, dass die Bilder gerade alle sind. Das kommt dabei heraus, wenn man dauernd nur herumsitzt oder liegt. Mal sehen, ob ich heute wieder etwas erjagen kann.

Wo waren wir? Noch in Nordostwestfalen, es ist der erste Feiertag. Auf der Rückfahrt nach Hamburg sehen wir, wie Weser und Elbe unter den Brücken Dehnübungen machen und ihre Seitenarme aus den Betten strecken. Aber es regnet immerhin nicht mehr, der Himmel klart auf und ist hier und da sogar metallisch blau, frisch glänzend. Das habe ich schon länger nicht mehr gesehen, fällt mir dann auf. Die letzten Wochen müssen doch recht dunkelgrau gewesen sein, so ungewohnt ist dieser Anblick. Dazu milde 13 Grad, ein Fake-Frühling zieht übers Land. Auf den Koppeln entlang der Autobahn stehen die Pferde tief im Schlamm.

Wieder in Hamburg besuchen wir meine Mutter und gehen durch einen geradezu gespenstisch leeren Stadtteil, es müssen alle auf dem Land oder noch auf den Polstermöbeln sein. Kein Mensch läuft draußen herum. Wir sehen sogar, was man hier sonst nie sieht, freie Parkplätze, gleich reihenweise. Eine unwirklich ruhige Gegend um uns herum, es wird sicher so leicht keinen zweiten Tag mit diesem Effekt mehr geben. In allen Schaufenstern die Weihnachtsdeko, teils bunt illuminiert, aber es wird schon als To-Do in den Kalendern stehen, alles zügig auf Silvester umzuarbeiten. Die Luftschlangen werden längst bereitliegen und schon morgen werden auch, das kennt man aus den Vorjahren, die ersten Tannenbäume von den Balkonen fliegen, noch mit den obligatorischen Dekoresten daran. Fetzen vom Fest.

Ich gehe nach Beendigung aller familiärer und weihnachtlicher Standards, Pflichten und Freuden früher als sonst ins Bett, ich fühle mich doch noch nicht topfit. Ich mache mir ein Hörbuch an und schlafe gleich bei den ersten Minuten ein, es wird sicher ein gutes Hörbuch gewesen sein. Ich wache dann nachts auf, weil ich träume, dass mir jemand dauernd etwas erzählt, das ich nicht verstehe, und so ist es auch tatsächlich.

Am Dienstagmorgen schläft die Stadt lange. Ich höre so wenig Verkehr, dass es sich immer noch wie auf dem Land anfühlt, einmal sind es ganze fünfundzwanzig Minuten ohne ein vorbeifahrendes Auto. Ich sehe aus dem Fenster, ob die Stadt überhaupt noch da ist. Unten geht eine Frau mit ihrem Hund. Sie trägt in der einen Hand einen Coffee-to-go-Becher, in der anderen hält sie eine Zigarette, und sie diskutiert mit ihrem angeschmuddelten Westhighlandterrier, der nicht mehr weitergehen möchte. Sie macht theaterhaft übertriebene, einladende Gesten um eine Hausecke herum, als würde die Fortsetzung des Weges dort ungeahnte Sensationen für das Tier bieten.

Der Hund guckt skeptisch mit schiefgelegtem Kopf und setzt sich erst einmal hin, er ist keineswegs überzeugt. Die Frau nimmt einen großen Schluck Kaffee, den Kopf im Nacken, dann nimmt sie einen Zug von der Zigarette und sieht dem Rauch nach. Der Hund dreht sich um und ihr den Rücken zu.

Ja, die Stadt ist noch da. Die Figuren sind noch da. Die Geschichten finden noch statt und haben etwas zu bedeuten oder auch nicht. Man weiß es nicht immer.

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Ein guter Duft des Winters

Auch am Morgen des ersten Feiertages wieder der unendliche Regen an den Fenstern, Weihnachten wird schon klar ausgespült. Auf meiner Uhr sehe ich, dass es Montag ist, aber wie immer zu dieser Zeit im Jahr habe ich keinen rechten Bezug mehr zum Wochentag. Da könnte auch etwas anderes stehen, und es wäre egal.

Anfang Januar wird sich das alles dann wieder finden, und das ist auch schon gleich.

Die Familie schläft so lange und so ungewöhnlich ruhig, dass ich mich, nachdem ich seit einer Weile tippend am Schreibtisch sitze, irgendwann etwas beunruhigt frage, ob ich nicht vielleicht komplett auch aus der Uhrzeit gefallen bin, ob es vielleicht nachts um 2 ist oder so etwas, ob ich zur falschen Zeit aufgestanden bin. Auch das ist mir schon passiert. Aber es scheint alles zu stimmen, sagt das Smartphone, bestätigt der Computer, assistiert die Wanduhr, es ist sehr wohl der Morgen des ersten Feiertages, und es müsste auch bald hell werden, hellgrau zumindest, wenn draußen noch alles mit rechten Dingen zugeht. Ich müsste den Regen bald sehen können.

Nur gefühlt sitze ich zwischen den Tagen, Zeiten und Jahren, in einer etwas unwirklich anmutenden Stunde. Der alte Hund im Flur knurrt verhalten im Schlaf und dreht sich mühsam um, eine Uhr tickt im Wohnzimmer und irgendein Gerät summt dezent. Aus der Küche riecht es noch nach Rotkohl vom Weihnachtsessen. Wenn man darauf achtet, merkt man es im ganzen Haus. Es ist ein guter, heimeliger Duft des Winters, Rotkohlreste am Morgen, und ich gehe, das ist in meinem Alter wohl allmählich üblich, im Geiste vergangene Feste durch. Ich folge der Rotkohlkonstanten zurück bis in meine eigene Kindheit, bis zum Lametta der frühen Jahre. Es sind durchwachsene Erinnerungen, und auch das gehört dazu und wird sich so wiederholen.

Die Katze streicht mir beim Schreiben schnurrend um die Beine. Balu heißt sie, wie dieser Bär, der im Film von der Gemütlichkeit singt, und so, wie sie sich jetzt genüsslich neben dem Schreibtischstuhl auf meiner abgelegten Kleidung von gestern streckt, ist sie da auch nicht kenntnisfrei. Es muss schön sein, fortgeschrittene Gemütlichkeitskompetenzen zu haben, es steht der Katze auch hervorragend. Ich dagegen denke schon wieder, ich müsste irgendetwas tun. Ich gehe im Geiste schon wieder Zuständigkeiten aller Art durch und denke an morgen und übermorgen. Jede verdammte Katze kann mehr als ich.

„Bring es mir bei“, sage ich, und sie streckt sich lässig weiter und sieht mich nur nebenbei kurz an, wie man sehr dumme Schüler eben ansieht.

Festlich aussehender Kuchen auf einem Teller auf dunkelroter Tischdecke

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In fast gewohnter Weise

24.12. Die Hochwasserlage im südlichen Niedersachsen, von Nordostwestfalen aus also um die Ecke, spitzt sich weiter zu, lese ich am Morgen in den Nachrichten, in einigen Städten werden Sandsäcke ausgegeben. Wie außerordentlich grässlich, Weihnachten damit zuzubringen. Währenddessen regnet es immer weiter und wird nicht recht hell, es ist ein betont langsamer Tagesanfang.

Ich lese ein Buch, das merkwürdig gut hinter den Großen Gatsby passt, so gut sogar, als hätte ich es bewusst danach ausgesucht, was allerdings nicht der Fall ist: „Die Ziellosen“ von Anthony Powell, Deutsch von Heinz Feldmann. Ein Bericht aus einer sehr fernen, schon unwirklich wirkenden Zeit, ich habe Spaß. Es gibt von Powell auch noch den zwölfbändigen Romanzyklus über den Niedergang der britischen Oberschicht von 1920 bis 1960 (“Ein Tanz zur Musik der Zeit“), jedenfalls deckt er ungefähr diese Zeit ab, evtl. habe ich also noch mehr vor. Ich bin vor einiger Zeit dabei am Einstieg gescheitert, aber vielleicht mache ich noch einen zweiten Versuch.

Ich lese nicht ausreichend deutsche Gegenwartsliteratur, um zu wissen, ob schon fleißig und in epischer Breite der Niedergang der deutschen Wohlstandsgesellschaft beschrieben wird, ein Thema, das sich zweifellos gerade anbietet. Läuft in dieser Angelegenheit bereits ein Großprojekt? Wobei so etwas wie ein ausufernder, good old Romanzyklus dabei vielleicht längst nicht mehr das Mittel der Wahl ist, aber ich bin da gar nicht orientiert. Nun, vielleicht schreibt der Herr Gerhard Henschel seine Martin-Schlosser-Romane noch bis in die Gegenwart fort, dann wäre das umfassend erledigt und alle anderen können sich entspannt zurücklehnen. Das passt dann sicher so.

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Wir holen am Nachmittag ein weiteres Familienmitglied in Minden ab. Die Weser hat dort, so sehen wir, heute Amazonasambitionen. Sie ist weit, weit über die Ufer getreten, macht einen ausgedehnten Landausflug und ist gerade kurz davor, einen Zirkus zu verschlucken, der seine Zelte auf einer Wiese nicht weit vom Ufer aufgeschlagen hat. In den Nachrichten laufen die Berichte der Feuerwehren und Behörden aus den benachbarten Landkreisen, und es regnet immer weiter und fort.

Auf dem durchweichten Acker neben dem Haus der Eltern der Herzdame sehen wir dann gleich drei Störche, sie staksen langsam durch den Schlamm. Man hat es in manchen Zugvogelkreisen in den Zeiten des Klimawandels nicht mehr so mit der mühseligen Reise in den Süden. Es sind 12 Grad draußen, das passt schon, damit kann man im norddeutschen Dezember zurechtkommen.

Weihnachten findet dann ungeachtet des Wetters dennoch in gewohnter Weise statt, mit fast allem, was so dazugehört. Nur der Schwiegervater fehlt zum ersten Mal und ist nur noch auf Fotos anwesend. Wir stellen außerdem fest, dass alle Kinder der erweiterten Familie mittlerweile so groß geworden sind, dass die Sitzgelegenheiten im Haus nicht mehr für alle reichen. Früher saßen die zur Bescherung auf dem Boden, die Kinder, krabbelten wuselnd unter dem Baum herum oder kuschelten irgendwo auf einem Schoß, heute wundern sich die Teenager über den Mangel an Stühlen und Sesseln. Wir suchen Hocker und dergleichen zusammen.

Die Zeiten ändern sich und man improvisiert dann so herum, das gilt im Privaten wie auch im Rest der Welt.

Eine bunte Eule als Christbaumanhänger

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