Die Tiere sind unruhig

Weiterhin Donnerstag, der 22.6. Immer mehr Unwetterwarnungen für den Großteil der Republik, sehr viele, auf allen Kanälen. Tornadomöglichkeiten und alles. Großhagel, das ist auch so ein Wort, an das ich mich gar nicht erinnern kann. Ist es am Ende neu, und was kommt noch, Hagelbomben? An Hamburg wird das alles wohl vorbeiziehen, da ist man sich weitgehend einig. Man kann nicht alles haben, und einen Tornado möchte man auch nicht, schon gar nicht, wenn man unterm Dach wohnt. Es ist im Wetterbericht auch die Rede von „organisierten Gewittern“, das klingt nach krimineller Vereinigung, nach geplanten Angriffen und finsterster Verschwörung.

Die Menschen sind heute allesamt recht eindeutig noch verrücktet als sonst, sind also noch mehr Menschen, sind ganz bei sich selbst, das liegt sicher am Wetter. Heranrückende Unwetter machen alle komplett kirre und die Unzahl der Warnungen sowie der spöttischen oder mahnenden Kommentare zu diesen Warnungen in den sozialen Medien macht es nicht besser. Eine Stimmung da draußen jedenfalls … mehr als seltsam. Am Abend riecht es eine Stunde vor dem endlich einsetzenden Regen unangenehm schwefelig im Stadtteil, eine Luft wie zum Anzünden, satanische Düfte.

Ich gehe bei den ersten Tropfen noch einmal um den Block, ich höre mir die Musik von damals an, es kommt mir sensationell passend vor.

Es passiert dann jedenfalls nichts, wie ich hier aus späterer Perspektive ergänze, es regnet einfach nur etwas, und nicht einmal besonders viel. Mäßige Pfützenbildung auf dem Spielplatz, alles verbleibt im bescheidenen Bereich. Womit ich nicht sagen will, dass die Warnungen falsch waren, es gab andernorts weiß Gott genug Probleme, wie ich am nächsten Tag lese.

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Ansonsten können einem die Gleichzeitigkeit und die krassen Unterschiede in der medialen Bearbeitung der diversen Schiffsunglücke gerade das Hirn verbiegen, zumindest komm es mir so vor. Was für Lehrbuchbeispiele, wie außerordentlich unangenehm und wie irre teils die Kommentare, in den Leitartikeln und auch in den Timelines. In den Nachrufen wird man lesen, die Menschen an Bord der Titan seien wahre Pioniere gewesen. Meine Güte.

Titan und Adriana übrigens, die Schiffsnamen. Beide verweisen auf die klassische Mythologie, einmal Griechenland, einmal Rom. Ich hänge da keine Pointe dran, es kommt mir einfach nur bemerkenswert vor, es ist so ein Detail, das in einem Thriller wichtig wäre. Einer der Hauptfiguren würde irgendwann verlässlich einfallen, was es zu bedeuten hat.

Und apropos Mythologie. Ich teste gerade, ob eine App meine Handschrift gut lesen kann, so dass ich meine Notizen des Tages am Abend digitalisiert irgendwo einfügen kann. Ich schreibe, da ich durch die Nachrichten auf die Klassik gestoßen wurde: „Bedecke deinen Himmel, Zeus“, also den Anfang des Prometheus vom ollen Goethe. Und die App kann das auch tatsächlich lesen, obwohl meine Handschrift leider nicht zu den lesbarsten Varianten gehört. Es gibt nur einen kleinen Fehler in der Deutung, den man fast vernachlässigen kann, denn die App schreibt: „Bedecke deinen Himmel, Jens.“

Klingt doch auch gut, so leicht modernisiert. Zeus, Jens, die moderne Boomer-Variante des alten Obergottes. Gefällt mir.

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Ain’t no change in the weather

Donnerstag, der 22.6. Die Tage sind lang und schwül, das Wetter drückt und macht alles langsamer. Die Menschen da draußen, jedenfalls sofern sie nicht hinter einem Steuer sitzen, bewegen sich jetzt zögerlicher, die Gedanken auch. Es wird breiförmig und zäh, was sprudelnd und fließend war, der träge Schlamm der Einfälle. Menschen auf den Fußwegen auch, die einfach mal stehenbleiben, um zwischendurch etwas zu atmen, Menschen aus allen Altersgruppen. Wie anstrengend dieses Wetter für uns ist, wie fordernd.

Es gibt auf der Arbeit etwas, worüber ich dringend nachdenken müsste, das ist arg ungünstig. Im Sommer bitte nur Routinearbeiten und stumpfes Herumklicken, Forschung und Entwicklung dann wieder gerne ab September, Oktober. Auch der berufliche Fortschritt hat Saison oder eben nicht.

In den Wetter-Apps blitzen die Gewitterwarnungen auf, allerdings nicht bei uns. Erst einmal in Mecklenburg, obwohl da doch sonst alles später ist, auf nichts ist mehr Verlass. In Dänemark dann auch, irgendwo an der Ostsee, dicke, schwarze Wolkensymbole. Da müsste man jetzt sein, Regen am Strand, was für eine überaus attraktive Vorstellung. Ich sehe nach, was Regen auf Dänisch heißt, es heißt Regn. That was easy! Jetzt dänisch redn.

Letzte Woche habe ich einen Wolkenbruch in der Innenstadt erlebt, so einen dieser Regenfälle, die früher eher selten waren und jetzt immer normaler werden. 15 Minuten nur, aber als ob jemand oben gigantische Wannen auskippen würde, fast sofort ein Regenwasserfluss in der Spitaler Straße, springende Touristinnen, alles rennet, rettet, flüchtet. Früher hat es einfach mal kurz geregnet, hat es nicht? Heute ist es gleich ein Wetter-Ereignis, von dem man Videos macht und hinterher allen erzählt, so wie ich gerade, q.e.d. Die Leute schoben sich drängelnd und patschnass in die nächstbesten Kaufhäuser, die dann schnell viel zu voll waren, schwitzender Leiber dicht an dicht, eine Geruchswolke, in der man ohnmächtig werden konnte, und die Teenager-Mädchen neben mir sprühten noch mit Deogewölk dagegen an, irgendwas mit Kokos und Frühling. Ich kämpfte mit dem Brechreiz, denn Kokos geht nur im Curry, nicht aber als Geruch. Alles hat Grenzen.

Es ist nicht meine liebste Zeit im Jahr, Sie merken es vielleicht, aber es geht noch ein wenig so weiter.

Ain’t no change in the weather, ain’t no change in me, hat ein weiser Mann einmal gesagt und gesungen, J.J. Cale war es: Call me the breeze.

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Im Bild heute wieder Hammerbrook. Ein durchlöcherter Stadtteil mit Ewigkeitsbaustellen, es erwartet längst niemand mehr, dass dort jemals irgendwas fertig werden könnte. Es gehört da so.

Blick von der s-Bahnstation Hammerbrook auf die aufgerissene Straße und die Absperrungen

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Hitze und Hotspots

Mittwoch, der 21.6. Weitere Hitzetage folgen, mein Biorhythmus sagt, ich solle bitte zwischen 16 und 20 Uhr jegliches Funktionieren einstellen, und der Biorhythmus ist bekanntlich der Boss. Ich fühle mich jedenfalls bedeutend wohler, seit ich ihm diese Rolle zugestehe.

Nach 20 Uhr dann doch noch einmal hochrappeln für den üblichen Kontrollgang durchs Revier. Ein Coffeeshop hat aufgegeben, etwas anderes zieht dort bald ein, sehe ich, und es wird wieder irgendwas von einer Kette mit Kaffee etc. Während früher in dieser Straße einfach Cafés, Kneipen oder Restaurants aufgemacht haben, so wie überall, wird das jetzt ein All-Day-Hotspot for Breakfast, Lunch and Dinner. Auch daran merkt man, wie man altert: die gegenwärtige Sprache immer wunderlicher finden.

Das Wort Hotspot finde ich im Gegensatz zur werbenden Absicht bei diesen Außentemperaturen auch ganz und gar nicht anziehend. Eher im Gegenteil.

Am öffentlichen Bücherschrank vorbei, den jemand reichlich nachgeladen hat. Ich tausche einen Band Somerset Maugham gegen Heinrich Mann (Essays), Orwell (Essays) und Byron (Tagebücher und Briefe). Muffig riechende Taschenbücher sind es, das stört mich nicht. Daneben stand noch Theologisches und Tralala-Psychologie, Sorge dich nicht, lebe. Man muss ja nicht alles mitnehmen.

Ein Sohn kommt am Nachmittag aus der Schule und sagt „Wassermelone““, das sind so die Begrüßungen an den heißen Tagen. Ich weise stumm zum Kühlschrank. Der andere Sohn kommt auch und legt sich stumm auf sein Bett. Ich sage „Kannst du mal …“, er sagt „Nein.“

Die Herzdame kommt nach Hause, dabei wollte sie doch in den Garten. Sie hat es also nicht in den Garten geschafft, kombiniere ich sherlockmäßig mit der überschaubaren Denkreserve, die bei Hitze in meinem Hirn noch läuft. Ich umkurve die Herzdame im weiteren Verlauf dann so weiträumig, wie es die Wohnung eben hergibt, denn es ist nicht gut für ihre Stimmung, wenn sie es nicht in den Garten schafft, ich weiß das. Manchmal ist es ein Vorteil, wenn man sich lange genug kennt.

Zwischendurch frage ich mich grübelnd, wie eigentlich meine eigene Stimmung ist, aber ich glaube, ich habe heute gar keine. Es ist mir viel zu warm für Stimmungen. Bei diesem Wetter möchte ich am liebsten gar nichts an mir haben, nicht einmal Launen.

Menschen auf einer Bank vor dem Sonnenuntergang an der Außenalster

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Alchemie und Armut

Montag, der 19.6. Mittlerweile sehe ich an normalen Tagen kaum noch auf Twitter nach, was dort passiert, es ist aber, wenn ich es doch einmal tue, recht eindeutig. Neben den wenigen Menschen, die dort noch privat wie in alter Zeit Alltäglichkeiten und Befindlichkeiten austauschen, was ich ganz und gar nicht abwertend meine, herrscht dort ein verbitterter, gnadenloser Stellungskrieg mit extrem verhärteten Fronten zu politischen Themen, es ist kaum mitanzusehen. Trolle gegen Journalistinnen und auch umgekehrt, Rechts gegen Links, Nazis gegen Grüne und Geflüchtete, Konservative gegen Heizungen, SPDler aus Berlin gegen Fahrradfahrerinnen, Klimaforscherinnen gegen die CSU, die Frontverläufe sind teils kaum noch zu verstehen, aber brutal geht es jedenfalls zu, verbal brutal, es macht zuverlässig und sofort schlechte Laune. Ich bin da entwöhnt, so kann man es wohl nennen. Im Alltag brauche ich das nicht mehr.

Aber damals irgendwann, man kann es kaum noch erklären, damals war es schon schön da, und lustig auch. Eine Weile lang.

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Noch ein weiterer Arzt, der seine Praxiszeiten reduziert. Wenn man, so wie ich, für mehrere Personen aus diversen Generationen dies und das abholt und organisiert, wird es dadurch nicht einfacher, milde ausgedrückt. In Wahrheit stehe ich am Morgen laut fluchend vor einer Tür, die erst in einer Stunde geöffnet wird. Ich plane hektisch um, ich sortiere um, es ist kompliziert. Nach einer Stunde der zweite Anlauf, nun steht vor mir eine Schlange von Wartenden durchs halbe Treppenhaus. In der Praxis ist Maskenpflicht, die wartenden Menschen vor mir husten und röcheln, aber niemand trägt Maske, denn im Treppenhaus muss man ja noch nicht. Erst exakt mit dem Überschreiten der Schwelle … Manchmal ist das Thema doch noch etwas anstrengend.

Ich hole Rezepte, ich hole Medikamente, ich bringe hierhin und dorthin, ich versuche vergeblich mir zu merken, wer gerade wessen Karte hat. Es ist schon viel gewonnen, wenn der richtige Mensch das richtige Zeug bekommt, denke ich mir. Auch das ist etwas anstrengend.

Wieder zuhause. Im zweiten Stock hat uns jemand ins Treppenhaus gekackt, in ergiebiger Menge, wie ich anerkennend im Vorbeigehen feststelle. Vor der Haustür sitzt ein Junkie, der sich mit Alchemie beschäftigt. Er hat diverse Zutaten und Gerätschaften vor sich ausgebreitet und wird sie gleich unter fortwährendem Gemurmel uralter Sprüche in reines Gold verwandeln, zumindest wird er das kurz glauben. Ein paar Meter weiter liegt ein Obdachloser quer über dem Fußweg, und zwar, das ist ein wirklich bizarres Bild, im genau gleichen Winkel wie ein E-Scooter, den jemand noch ein paar Meter weiter vorschriftswidrig abgestellt hat. Gar nicht mal so schön hier, denke ich, gar nicht mal so schön hier. All das Leid, all die Menschen, denen man kaum helfen kann, denen mit den psychischen Problemen nicht, den Junkies nicht, den Armen nicht, den Obdachlosen nicht.

Anstrengend, aber als Tagesthema. Wenn nicht als Wochen-Motto, man wird sehen. Erst einmal weitermachen.

Der Sommer liefert nebenbei ein kleines Update, es gibt jetzt auch wieder diesen Regen, bei dem es nicht abkühlt. Wie man sich als Hanseat vielleicht Monsun vorstellt, so zieht der Schauer kurz vorbei und quer durch den Stadtteil, nur nicht so wahnsinnig ergiebig. Es dampft kurz, es bleibt dabei dauerhaft feuchtwarm. Viel zu warm.

Ein halb abgerissener Aufkleber mit der Aufschrift "LIEB SEIN" unter einer Brücke, gerade noch zu lesen

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Die Madeleines des 17. Juni

Noch Weiteres zum Sonnabend, dem 17.6. Ich krebse hier weiter in der Vorwoche herum. Herr Buddenbohm ging häufig nach, so darf man irgendwann abschließend werten. Es ist in Ordnung, ich füge mich dem.

Es ist ein ehemaliger Feiertag, und Sie und ich wissen natürlich noch, warum das damals so war. Die Söhne aber wissen es nicht mehr und werden es wohl auch nicht lernen, ihre ganze Generation vermutlich nicht. Selbst wenn es im Lehrplan vorkommen sollte, was ich noch nicht weiß, wird es sie vermutlich kaum interessieren. Ist das in Sachsen oder in Brandenburg anders? Auch das weiß ich nicht. Für mich war es als Kind ein wichtiger, ein sogar sehr wichtiger Tag, aber nicht wegen der historischen Ereignisse, von denen ich ebenfalls kaum Kenntnis hatte, vielleicht auch überhaupt keine, sondern wegen des Geburtstages meiner Großmutter. Die Feste bei ihr im Garten sind für mich die Essenz der Siebziger Jahre, darin ist alles enthalten und abrufbar. Immer war es gutes Wetter, immer waren alle da, waren also so viele da, wie sonst auf keiner Feier. Die große Tafel auf dem Rasen neben dem kleinen Teich. Immer gab es Kuchen und Torten, die heute kaum noch jemand macht, Frankfurter Kranz, Bienenstich und dergleichen, Kalorien im fortgeschritten unzählbaren Bereich. Bier noch von der lokalen Marke Lück (Werbeslogan: Lück muss der Mensch haben), die es dann eine lange Zeit nicht mehr gab. Irgendwann ist sie wiederauferstanden, als Craft Beer, glaube ich. Ernte 23, Lord, Roth-Händle und Stuyvesant in den Zigarettenschachteln, die zuverlässig vor fast jedem Erwachsenen lagen. Einen Zigarettenspender gab es auch, ein Ding aus Messing, das heute längst nicht mehr in jeden gepflegten Haushalt gehört. Und immer gab es irgendwann die von meiner Großmutter, durchgesagte Marscherleichterung, woraufhin die stark schwitzenden Männer sämtlich ihre Krawatten lockerten oder ihre Jacketts ablegten. Ich habe mir als Kind nicht klargemacht, dass einige der älteren Männer früher tatsächlich marschiert sind, in Russland, Frankreich, Finnland oder wer weiß wo, man sprach ja nicht darüber.

Marscherleichterung. Ein Wort meiner Kindheit.

Meine Großmutter trug eine Kette mit einem Bernstein daran, ein Insekt war darin eingeschlossen, seit Ewigkeiten. Wenn man auf ihrem Schoß saß, konnte man sich das aus der Nähe ansehen und ich weiß, während ich das tippe, mit unheimlicher Deutlichkeit, wie sich ihr geblümtes Kleid anfühlte, Dralon oder was das damals war, knisternder Stoff. Wie ihre jederzeit dick eingefetteten Hände rochen, Atrixdosen im Regal ihres Wohnzimmers, und ich sehe auch die bunten Plastikstrippen des Stuhls, auf dem sie saß. Dieses Datum hat tatsächlich gewisse Madeleine-Qualitäten für mich. Die 17. Junis der Siebziger, die habe ich mit allem Zubehör, mit allen Gerüchen und Geschmäckern eingeschlossen im Bernstein der Erinnerung, und der zwingend dazugehörige Gelbstich, der passt gut zum Jahrzehnt.

Sonntag, der 18.6. Ich sitze im Garten auf der Hollywoodschaukel, vor mir sitzen Tauben im Gras, die Wolfgang-Koeppen-Gedenkvögel. Ringeltauben sind es, und sie sitzen da, weil sie sich ein wenig ausruhen müssen. Sie essen nämlich die gerade erst erröteten Früchte der Felsenbirne, die an einem noch jungen Busch neben ihnen wachsen. Die Zweige an dem Busch sind biegsam und dünn, die Tauben aber sind, bei allem Respekt, eher stattlich gebaut. Wenn die auf so einem elastischen Zweig landen, dann haben sie ein Sport-Erlebnis wie wir Menschen vielleicht bei Jochen Schweizer, es sieht wirklich wild aus. Aber die Früchte müssen verdammt gut sein, müssen es allemal wert sein, die Tauben bleiben nämlich dran und turnen entschlossen immer weiter. Oder, wieso sollte man das ausschließen, es macht ihnen einfach Spaß, was sie da treiben.

Man hört jetzt ansonsten weniger Vögel in den Gärten singen, es ist eine andere Phase des Sommers. Nur vereinzeltes Schimpfen, Motzen und getschilptes Anpampen aus den Hecken hören wir noch, das ewige Keckern der Elstern, zwischendurch das wüste Geläster der Krähen mit ihrer unverkennbaren Lust am Ordinären.

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Am Abend Wassermelonen-Feta-Salat mit Minze. Bis August oder bis zur Wassermelonenknappheit könnte ich das pausenlos essen. Es ist ein sehr gutes Essen, es fühlt sich gesund an, man kann vollkommen ungehemmt zuschlagen. Zumal die Söhne es nicht mögen, in dem Fall ist es ein Glück für mich, denn die Gier übermannt mich dabei leicht, gerne große Mengen davon. Ich mache da nur Limettensaft dran, man findet aber auch etliche andere Rezeptvarianten mit Honig, Pfeffer, Pinienkernen und noch anderem Zeug. Das geht sicher alles, ja, ja, das brauche ich aber nicht. Vier Zutaten, kein Kochen, fertig. Nur der Feta, der sollte besser einer sein, der auch nach Feta schmeckt, da lieber mal nicht das Billigste vom Discounter nehmen, das ist zu schwach. Und wo ich so darüber berichte– ich könnte schon wieder.

Im Bild ein Fleet auf dem Rückweg vom Garten am Abend.

Blick von einer Brücke über ein spätabendliches Fleet in Hamburg-Hamm

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Tolle Tabellen

Sonnabend, der 17.6. Bei meinem bibliothekarisch anmutenden Nebenbei-Projekt stoße ich bei Recherchen in den Rumpelkammern des Webs auf so etwas wie diese Liste hier: Eine Tabelle aller Persil-Uhren in Deutschland, mit sorgsam notierten Belegen dabei, und da möchte ich doch einmal kurz jubelnd anmerken, was man in letzter Zeit oft und leicht vergisst, wie toll nämlich dieses Internet sein kann. Wie großartig, dass sich Menschen diese Mühe machen, so etwas liebevoll zusammenzustellen. Mich freut so etwas ungemein, ich liebe das. Es gibt auch eine Persil-Uhr in Travemünde, steht auf der Seite, und da staune ich doch kurz, denn die kannte ich gar nicht – sie wurde aber auch erst kürzlich aufgestellt. Okay. Kürzlich war ich nicht da. Lange schon war ich nicht mehr da.

Der Tag beginnt freundlich hellgrau. Es gibt eine kleine Pause von der Hitze in der Wohnung. Es kühlt ein, zwei Grade ab, das Atmen fällt uns wieder etwas leichter. Es hat eventuell sogar geregnet in der letzten Nacht, einige wenige Tropfen allerdings nur, keinesfalls ausreichend. Im Garten, ich habe es gestern gesehen, tragen die Kirschen das Laub auf halbmast, alles hängt traurig herunter. Einer der Bäume hat sich den Läusen und der Trockenheit sogar ganz ergeben, er hat für dieses Jahr alles von sich geworfen und verweigert nun das weitere Funktionieren, das von Bäumen allgemein erwartet wird. Nur mit viel Glück wird er im nächsten Frühling auferstehen, ich bin da nicht optimistisch. Es wäre der dritte Baum, den wir so verlieren. Eine junge Kirsche war es, schon etwa zwei Meter hoch, sehr schade.

Wir gießen noch gegen das Unglück an, wir bleiben so weit bemüht. Man sieht aber beim Rundgang über die Insel der Gärten deutlich, wer es jetzt wie oft auf seine Parzelle schafft, man sieht die Stadien der Dürre. Wenn die Urlaubssaison in wenigen Wochen losgeht, werden sicher noch mehr Opfer zu verzeichnen sein, dann wird in vielen Gärten eine Woche lang nicht gewässert, zwei Wochen nicht oder noch länger. Nicht alle finden eine Vertretung für diese angenehm entspannende Aufgabe.

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 24.6.2023

Christian, sichtlich um Ermutigung bemüht, schreibt über das Laden von E-Autos. Als Mensch, der nicht im Thema ist, verstehe ich teils einiges auf Anhieb nicht, nicht einmal die Vokabeln, aber ich bleibe bemüht und dran. Irgendwann ist man womöglich betroffen, ne. Auch die Kommentare unterm Text drüben beachten, dort liest man von weiteren Erfahrungen.

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Frau Büüsker, klar wie immer, über Heckenschnitt und Klimapolitik. Büüsker lesen bildet, falls sie noch einen Slogan braucht.

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Frau Novemberregen erklärt weiter den Kapitalismus, es kommen schlimme Wörter vor. Und hier noch weiter und bis zum Herzen des Menschen, wie schön klingt das denn, an dieser Stelle auch ein ausdrücklicher Dank für die ganze Artikelreihe.

Sie ist aber außerdem beachtlich schlecht gelaunt, es liegt nicht am Kapitalismus, und ich kann es nachvollziehen.

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Über die Linden und die Hitze, mit Erinnerungen an einen Kishon-Text, an den ich bei Hitze auch zuverlässig zurückdenke. Ich glaube, es ist auch der Text, in dem er durch Glühschaden im Hirn auf einmal nicht mehr weiß, ob es Afrika oder Arfika heißt, und ich kann auch das an heißen Tagen gut verstehen. Im gleichen Blog auch der konjunktive Kuchen.

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Über den Wert einer exzellenten Ausrüstung. Gleich mal einen weiteren Füller bestellen! Oder Tinte. Oder sonstwas. Egal.

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Über Integrationsangriffe, wieder ein frisches Wort gemerkt.

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Eine besondere Ausgabe von Nicolas Monatsnotizen, es geht um das Sterben, um das Umgehen mit dem Verlust.

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„Ich wollte darüber schon lange schreiben. Vor allem, weil mir einfach nicht in den Kopf will, wie Konservative seit Jahren immer wieder den gleichen Fehler machen, also den strategischen Fehler. Konservative hier im weiteren Sinne, aber dazu gleich mehr. Jedenfalls sind die begeisterten Reaktionen und die Tontaubheit von führenden CDU-Leuten nach dem grotesken Auftritt von Claudia Pechstein auf dem CDU-Konvent, oder wie der heißt, jetzt der Anlass. Denn dass Merz („brillant“) und Co nicht mal merken, was sie da tun, wenn sie reaktionäre, alltagsrassistische Bemerkungen bejubeln, halte ich auf der einen Seite für wenig überraschend. Auf der anderen Seite für ein Problem.“ 

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Weitere Links bei Kiki.

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Erzähl mir die Stille

Freitag, der 16.6. Die Herzdame und ich haben einen Tag Urlaub und verbringen ihn gemeinsam, ohne die Söhne, die in sturer Routine in die Schule müssen, ohne sonst irgendwen, sogar ohne To-Dos und Termine. Bis sechzehn Uhr dreißig nehmen wir beide uns frei von allem. Der Tag ist wundervoll entspannt, und nichts gibt es über ihn zu erzählen, gar nichts.

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Die Rente, die Rebellion

Die Rente, die Rebellion

Donnnerstag, der 15.6. Im Büro nehme ich Kolleginnen, die gerade in Rente gegangen sind, aus Verteilern und Listen. Das Thema bleibt bei mir jetzt im sichtbaren Bereich, es ist dauerhaft im Hintergrund der Wahrnehmung, es wird manchmal auch recht prominent. Ach guck, die ist auch schon nicht mehr da. Und oh, der geht ja schon nächsten Monat. Mein Jahrgang gehört zu den letzten der Kinderreichen, nein, ist wohl sogar amtlich das Schlusslicht, nach mir hat es sich dann ausgeboomert im Berufsleben, der Letzte macht das Licht aus.  Stimmt gar nicht, das Licht geht heutzutage selbstverständlich automatisch aus, wenn man den Raum verlässt. Sogar unsere Redewendungen sind mittlerweile veraltet und auf Dad-Joke-Niveau, merken Sie es auch. Wir können weg, ich sehe es ja ein. Oder, wie es in der Tagesschau heißt: „Was, du arbeitest noch?

Ich höre auf meinen Wegen das nächste Buch über das Jahr 1923: Volker Ullrich: „Deutschland 1923 – Das Jahr am Abgrund“. Die Bezüge zur Gegenwart beißen einen wieder förmlich beim Lesen, mich vermutlich besonders. Denn während ich von Armenspeisung und Suppenküchen lese bzw. höre, sehe ich die heutige Entsprechung vor dem Wohnzimmerfenster, wie an jedem Donnerstag. Zwar ohne die großen, leidenden Kinderaugen wie auf den dramatischen Zeichnungen von Käthe Kollwitz, es war damals fraglos noch wesentlich schlimmer, aber um Hunger und Versorgungsprobleme geht es heute doch auch, das steht leider ebenfalls fest, und vor der Kirche stehen gerade etwa 50 Menschen oder mehr geduldig an und warten auf eine wöchentliche Zuteilung. Ein paar Meter weiter die Plakatwerbung der Hamburger Tafeln an einer Bushaltestelle: „Wir haben Hamburg noch lange nicht satt.“ Spendenaufrufe, sie sind dringend notwendig. Und an einer Laterne ruft eine linke Gruppierung per Aufkleber zur Rebellion auf. Unterscheiden sich die Gruppen, die zur Rebellion aufrufen eigentlich von denen, die zur Revolution aufrufen? Das würde mich nicht wundern.

Es geht im Buch auch wieder um die galoppierende Inflation, die in den heutigen Nachrichten gerade etwas sinkt, es wird eher am Rande gemeldet. Es geht auch um das Erstarken der Kräfte am rechten Rand. Den Bezug zur Gegenwart bei diesem Thema kann man sich denken, wenn man die Nachrichten und Wahlumfragen auch nur halbwegs verfolgt, und wer würde das nicht, mit freundlichen Grüßen auch nach Schwerin, Glückwünsche für den neuen Bürgermeister. Er hatte einen Gegenkandidaten von ganz rechts, Sie werden es gelesen haben, eine Schlagzeile dazu lautete tatsächlich: „Partei greift nach der Macht.“

Immer weiter Geschichtsbücher lesen und vage hoffen, dass doch ein paar Leute irgendwas gelernt haben.

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Freie Platzwahl vor Sonnenuntergang

Mittwoch, der 14.6. Auf der Insel weit draußen sterben die Vögel, lese ich am Morgen. Es ist in der Regel ganz und gar nicht erbaulich, morgens Nachrichtenseiten aufzumachen, aber die Neugier. Was soll man machen.

Bei einem der vollkommen altersgerechten Probleme von Sohn II fragte ich mich gestern, was wohl ab und zu eine sinnvolle Frage sein kann, nämlich wie das denn bloß vor zwei Jahren bei Sohn I war, aber mit dem habe ich, so vermutete ich, gewisse Diskussionen nie in dieser Art geführt, wieso denn eigentlich nicht, oder täusche ich mich da, ich musste doch etwas grübeln. Und dann fiel es mir wieder ein: Diese Gespräche gab es nicht. Denn er hat, wie alle Kinder seines Alters, ein paar Erfahrungen einfach ausgelassen, da war Corona, und wie das war. Da war einiges etwas anders, to say the least, und ein paar jugendromantypische Eskapaden kamen bei ihm und seinen Freunden einfach nicht vor. Die dazugehörige Welt fand für sie nicht statt.

Es ist sicher sinnvoll, sich das ab und zu wieder klarzumachen, denn es ging selbstverständlich nicht spurlos an denen vorbei. An ihren Eltern auch nicht, aber das führt schon wieder zu weit.

Am Abend nach der Arbeit gehen die Herzdame und ich noch auf einen Drink raus. Das kommt bei uns ausgesprochen selten vor, wir kommen ja zu nichts. Heute aber doch einmal, und da die Herzdame an diesem Tag noch gar nicht vor der Tür war, gehen wir runter zur Alster, zum Sonnenuntergang. Auch das machen wir normalerweise nicht, denn da unten ist es uns immer zu voll, zu überlaufen, zu betriebsam, schon gar bei gutem Wetter. Wir gehen fest davon aus, auf dem Steg eh keinen Platz zu bekommen, auf diesem Steg mit der Gastronomie darauf, von der wie nicht einmal wissen, wie sie heißt, wie wir amüsiert feststellen. Wir gucken da normalerweise nicht einmal hin. Wir sind dann überrascht, dass es da eher leer ist, fast freie Platzwahl vor Sonnenuntergang, vor Alster, vor Segelbooten und Stand-Up-Paddelnden, vor Schwänen und Gänsen. Vielleicht denken heute viele wie wir und gehen gar nicht erst los, man ist immerhin nie der Einzige mit seinen so betont hochindividuellen Gedanken.

Ein Steg an der Alster, eine Bank mit Sitzpolster darauf, daneben ein Glas Bier

Windig ist es allerdings da am Wasser, wieder sehr windig, fast schon zu kalt dadurch. Die Bedienung hat Ohrenschmerzen und klagt und leidet, sie steht schon den ganzen Tag in den Böen, die mit jeder Stunde kühler werden. Sie vergräbt sich in ihre Hoodie-Kapuze und bleibt morgen vermutlich krank im Bett, zumindest dem Aussehen nach. Neben uns sitzen zwei Männer in T-Shirts und kurzen Hosen. Sie haben einen besonders exponierten Platz im, lassen sich dadurch aber überhaupt nicht stören und besprechen hochkonzentriert Softwareprojekte. Englisch mit indischem Akzent. Sie sprechen ruhig, sie lassen sich ausreden und sind überhaupt sehr höflich miteinander. Sie trinken ihr Bier dabei langsam, in kleinen Schlucken, wie pflichtgemäß. Untypische Biertrinker sind es. Man muss doch etwas trinken, denken sie vielleicht, wenn man hier schon sitzt.

Die Herzdame und ich sitzen auf diesem Steg und wir wundern uns. Wir spielen Touristen nur ein paar Meter von unserem Haus entfernt, wie gut uns das also gelingen kann.

Einfach mal rausgehen.

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