Bekleidet vor die Tür

Am Sonnabend war ich in der Stadt, da ich beim saisonalen Umräumen des Kleiderschranks etwas viel aussortiert habe, was zwar korrekt war, durch ist durch, was aber doch größere Lücken hinterlassen hat, die es nun wieder zu schließen gilt. Man muss doch ab und zu bekleidet vor die Tür, Sie kennen das.

Die Stadt war, und ich verstehe es immer noch nicht, voll wie in der schlimmsten Weihnachtszeit. Menschenmassen, Geschiebe, Gedränge, ein Volksauflauf vor Schaufenstern und in Passagen und Kaufhäusern. War das jetzt wieder so, weil ich so dermaßen tief im Mainstream bin, dass ich alles genau dann mache, wenn es alle machen, und die mussten da also auch alle ihre Schränke und Kommoden wieder auffüllen? Oder was sonst? Ich habe keine Ahnung, ich staunte nur die ganze Zeit über die Fülle. Manchmal merke ich doch, dass das hier eine Millionenstadt ist, etwa wenn mir etwa 100.000 Menschen gleichzeitig vor den Füßen herumlaufen.

Ich war in Bekleidungsgeschäften, ich habe Sachen anprobiert. Ich hatte schon ganz vergessen, wie furchtbar anstrengend ich das finde. Ich mag keine Sachen anprobieren, ich kann diesen Spiegelblick nicht, ich finde dabei alles an mir furchtbar, sowohl die Textilien als auch mich selbst. Ich gucke auch schon so, dass alles furchtbar sein muss, mir kann also überhaupt nichts stehen, ziehen Sie mal die schlechte Laune in Person elegant an. Es ist kompliziert. Überall stehen Menschen im Weg, es ist in jedem Laden zu heiß und zu eng und das Licht ist zu grell und allen passt irgendwas mit „skinny“ oder „slim“, nur mir nicht, wie lebe ich eigentlich.

„Nimm doch eine Nummer größer“, sagt die Herzdame. „Hast du mich gerade dick genannt“, frage ich.

Im Grunde gehe ich nicht gerne offline Klamotten kaufen, bei aller Nostalgie, die damit mittlerweile und seit Corona erst recht verbunden ist. Ich bestelle sie aber auch nicht gerne online, denn dann klingeln hier wieder fremde Menschen zur Unzeit und bringen Pakete, wenn es gerade nicht passt, oder sie klingeln einfach nicht, und das passt dann aber auch nicht. Meine Sachen müssten im Schrank einfach bei Bedarf nachwachsen, das wäre mir recht, aber so weit ist die Welt noch nicht, ich weiß. Da mal bescheiden bleiben.

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Am Montagmorgen zerplatzen reihenweise Termine, alle wegen Corona bei den Beteiligten. Ja, ist denn schon wieder … Aber nein. Sicher ist es nur der übliche Stichprobenfehler. Er ist es doch?

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Light up your face with gladness

Am Sonnabend gehe ich zum ersten Mal in diesem Jahr ohne Winterjacke Brötchen holen, im altbewährten 12-Grad-Sakko, es ist ein befreiender Moment. Ein Milestone, wie man im Bürokontext vermutlich sagen würde, aber wer möchte so nach Feierabend schon reden. Man muss sich etwas konzentrieren, dann kann man es sich zu einem festlichen Akt machen, dieses erste Mal ohne Winterklamotten, ein auf die eigene Person zugeschnittenes Frühlingsfest ohne kalendarische Festlegung, es fällt in allen Jahren und Gegenden, auch bei allen Menschen verschieden aus. Ich habe Shuffle-Glück und höre gerade, als ich das sehr gut finde, dieses sich geradezu verdächtig munter gelaunt anfühlende Herumgehen in leichterer Kleidung und etwas wärmerer Luft, zwischen zwei Regenschauern und heftigen Sturmböen, „Smile“ von den eher unterschätzten Peddlers.

Es ist noch besser, wenn man es ziemlich laut hört, es hat einen wunderbar belanglosen Text: „Light up your face with gladness, hide every trace of sadness, although a tear may be ever so near.“ So etwas kann man nur in guter Stimmung mitsingen, und nur in aller Dezenz, die im öffentlichen Raum selbstredend ohnehin stets geboten ist.

Am Tag davor gab es auch so einen Playlist-Zufall, da ging ich gerade zu einem Geschäft und verwarf auf dem Weg dorthin den Plan für das Abendessen und das damit verbundene Einkaufen, drehte um und wollte spontan doch zu einem anderen Geschäft, und im Moment der Wende, in dieser kleinen und eigentlich auch sinnlosen, jedenfalls aber völlig unbedeutenden Kurve auf meiner alltäglichen Strecke, fing dieses Lied hier an: „Die schönsten Wege sind aus Holz“, von Annett Louisan. Ich fühle mich immer, wenn Situation und Musik oder Hörbuchteil so exakt zueinander passen, als hätte ich gerade etwas richtig gemacht, und das ist zwar vollkommener Unsinn, aber es ist andererseits auch wieder besser als gar kein Erfolg.

„Ich bog falsch ab, naja, was soll’s

Die schönsten Wege sind aus Holz.“

Die Herzdame hatte ebenfalls ihren höchst speziellen Moment der Synchronizität. Sie liest im Blog meist etwas nach meinem Schreiben, wobei dieses „etwas“ mal ein Jahr meint, mal nur wenige Wochen. Sie kommt eben zu nichts, ich kenne das, immerhin liest sie überhaupt. Im Moment liest sie den Januar nach, war gerade bei diesem Artikel, las die Eichelhäher-Erwähnung und wer landete in der Minute erstmals auf dem Balkongeländer? Genau. Zu und zu schön, sowohl der Moment als auch der Vogel, der aus der Nähe eine ziemliche Freude ist. Die Vögel der hier verfügbaren, nussknackenden und heimischen Sorten sind jetzt wohl vollzählig angetreten, wollte ich fast schreiben, dabei muss es doch angeflattert heißen.

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Ein Hinweis für den Freundeskreis Neurodivergenz, es gibt bei arte in der meist interessanten Reihe „Ich …“ einen Halbstünder über Autismus.

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 18.2.2023

Alu über schier unendliche Schwierigkeiten. Sie erwähnt da an einer Stelle, dass sie Deutsch spricht, dahinter steht das fortwährende Staunen, wie Menschen in diesem Staat denn bloß größere Probleme bewältigen sollen, die vielleicht nicht perfekt Deutsch sprechen. Darüber habe ich auch schon oft nachgedacht, und an dieser Sollbruchstelle habe ich auch schon Menschen im Umfeld scheitern sehen, etwa im schulischen Kontext oder auch in Verbindung mit Krankenkassen, Pflegebescheiden etc. Der Staat und auch weitere Systeme sind da denkbar unbemüht, das kann man kaum anders sagen. Oder nein, sie sind um Komplikationen bemüht, so ist es richtig. Simplification ist eine sehr, sehr böse Sache, die gilt es zu vermeiden.

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Die Kaltmamsell über die frühere Rente und die Zahlungen. Ich muss mich auch damit befassen, ich gehe mal die letzten Zahlen suchen. Meine Aversion gegen ein weiteres Thema mit -zig anhängenden To-Dos ist zwar groß, aber es nützt ja nichts. Ich bin 56, und da verhält es sich mit der Rente wie auf einer Seereise, wenn das Land am Horizont auftaucht und im Dunst vorerst noch kaum zu erkennen ist, aber die ersten Mitreisenden zeigen schon darauf und rufen etwas – es dauert wirklich noch eine Weile, bis man im Hafen ist, aber man hat das Ziel eben doch schon vor Augen und behält es auch für den Rest der Fahrt im Sinn. Den Geldgedanken spinnt sie dann hier noch weiter mit der Frage, wer wovon lebt (mit vielen interessanten Kommentaren darunter), und das wiederum setzt sich bei Frau Casino fort, ebenso bei Frau Brüllen.

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Christian macht sich Gedanken zum sozialen Pflichtjahr. Ich bin ebenfalls dafür und dagegen, ich finde es sehr schwierig. Ich wüsste nicht einmal, was ich für die Söhne richtig finden würde, dabei stünde einer schon verblüffend kurz davor, gäbe es so ein Jahr schon.

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Meike über die romantische Anziehungskraft in Zeiten des Patriarchats, also in unseren Zeiten.

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Blumen am Mittwoch

Etwas von der Arbeit im Brotberuf überrollt worden. Danach eingekauft und die Familie bekocht und festgestellt, dass Tag und Kraft und Denkvermögen komplett verbraucht waren. Diese Vollzeitnummer in nur einem Beruf könnte ich mir ernsthaft auf Dauer gar nicht mehr vorstellen. Viel zu zehrend ist das, auch wenn es hier und da Spaß macht und interessant sein kann, schon klar, was aber auch allzu oft nur im Bereich des Möglichen verbleibt. Wenn man wie ich mehrere Berufe und Familie und Interessen und sonst was hat, ist es immer ein Jonglieren mit etlichen Tellern. Manchmal ist das Gesamtkonzept etwas sportlich anstrengend, manchmal wirkt es unmöglich und manchmal läuft es auch routiniert durch, manchmal denkt man sogar für einen Moment: „Jetzt habe ich es raus!“ Da liegt man dann mit großer Sicherheit falsch, wie ich nach nun vielen Jahren Erfahrung damit sagen kann.

Am Dienstag habe ich hier morgens verwelkte Blumen festgestellt, was dann ein besonderes Problem ergab. Denn routinemäßig würde ich verwelkte Blumen selbstverständlich durch neue Exemplare ersetzen, es war aber dieser alberne Valentinstag und ich hätte dann also zu den Männern gehört, die am Valentinstag Blumen kaufen, wo ich doch wahrheitsgemäß zu den Männern gehöre, die dauernd Blumen kaufen, die ich zwar jeweils der Herzdame überreiche, die ich aber, wenn ich mal so unromantisch sein darf, womöglich auch ohne Frau an Bord kaufen würde, weil Blumen nämlich schön sind und ich es gut und erstrebenswert finde, wenn die im Wohnzimmer stehen. Am Valentinstag aber keine Blumen zu kaufen, nur weil Valentinstag ist, das ist ja auch eine verdrehte Form des Sich-Fügens, das ist auch wieder der Beweis, dass man einen Umstand auch nicht in Ruhe ignorieren kann, wenn man ihn erst einmal wahrgenommen hat. Man hat aber auch Probleme!

Egal. Blumen am Mittwoch gekauft. So. Dem habe ich es aber gegeben, dem Valentinstag! Es hat doch alles, wenn man es recht bedenkt, seine ausgesprochen kindische Seite, man kann noch so alt werden.

Beim Bäcker gab es „Valentin Herzen“, mit ohne Bindestrich. Drei sprachliche Änderungen, die zu meinen Lebzeiten aufgetreten sind und die mit großer Sicherheit vollkommen normales Allgemeingut werden:

  • Das Verschwinden vom Genitiv
  • Aus „Ich gehe ins Kino“ wird „Ich gehe Kino“
  • Aus Valentin-Herzen oder Valentinsherzen werden völlig unverbundene Valentin Herzen (wie deep ist das denn).

Das ist nun einmal so. Sprache ändert sich, ob ich das nun doof oder lustig oder sonst wie finde. Richtiges Empörpotenzial sehe ich da für mich nicht mehr, ich habe es ja auch mit Mühe verwunden, dass man jetzt Potenzial schreibt, nicht mehr Potential oder Fantasie statt Phantasie, was noch schwerer zu ertragen war. Alles längst verwunden, Krämpfe und Kämpfe von gestern! Und das so ungemein strittige Gendern hat für mich übrigens weder als Leserin noch als Autorin irgendeinen Krawallfaktor. Ich habe mich da, versteht sich, gerade mitgemeint.

Tulpen, übrigens. Es gab Tulpen.

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Einfache Wenn-Dann-Beziehungen

Ich gehe auf dem Weg zum Einkauf am Spielplatz vorbei, von dem eine Mutter gerade ein Kind wegzieht: „Wenn du nur Streit anfängst, dann können wir hier eben nicht hingehen!“ So einfach, nicht wahr. Klare Regeln, Konsequenzen, simple Wenn-Dann-Beziehungen. Davon abgesehen, dass man in solchen Fällen als unfreiwilliger Zeuge die möglicherweise doch komplizierte Vorgeschichte nicht ergründen kann, möchte ich diese Simplizität manchmal gerne auf alles anwenden, nicht nur auf kleine Kinder, die sich auf Spielplätzen danebenbenehmen. Auch auf Erwachsene, es gibt so dermaßen viele Gründe dafür. Sofort und als dringlichste Maßnahme alle E-Roller aus dem Stadtbild entfernen: „Wenn ihr die nicht ordentlich abstellt, dann könnt ihr damit eben nicht spielen!“ Danach dann die meisten Menschen aus den Autos und von den Fahrrädern zerren: „Wenn ihr euch nicht an die Regeln haltet, dann könnt ihr damit eben nicht fahren!“ Alle diese Fahrgeräte erst einmal drei Wochen wegsperren, dann weitersehen. Erst einmal alle ausgiebig Besserung geloben lassen, mit zitternden Unterlippen und viel bitte, bitte, es muss schon ernst gemeint sein, ich muss das auch erkennen können. Nicht mehr so nachgiebig sein. Wind von vorn, wie der olle Kempowski gesagt hätte. Dann vielleicht – natürlich erst nach langer Überlegung! – doch noch einen Versuch machen, einen einzigen, das dann ausgiebig betonen: „Aber nur auf Probe!“ Den Verkauf von Nikotin und Alkohol ebenfalls im ganzen Stadtgebiet untersagen: „Wenn ihr hier überall die Reste liegen lasst, dann können wir das eben nicht mehr kaufen!“

Sollen sie doch jammern und heulen. Ich habe es ja alles schon sehr oft gesagt und sie lernen es doch sonst einfach nicht, was soll man denn machen. Erziehung fühlt sich manchmal auch wie Notwehr an, da muss man eben strenger werden.

Ich zähle jetzt bis drei, und dann steht hier aber kein einziges Auto mehr im Halteverbot. Kein. Einziges. Haben wir uns verstanden.

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Tief im Herzen verankert

Ich war beim Friseur, ich habe meinen Kleiderschrank aufgeräumt und umsortiert, es ist Saisonwechsel. Sehr befriedigend ist es, wenn da alles Naht auf Naht liegt, Kante auf Kante, ein Anblick, als habe man – endlich, endlich! – alles im Griff, den Schrank, die Klamotten, das Leben. Dazu der erneuerte Haarschnitt, für einen Augenblick doch einmal dieses bestärkende Gefühl, für etwas gerüstet und bestens vorbereitet zu sein. Und sei es nur für den nächsten Tag. Ach was, für den Nachmittag, immer bescheiden bleiben.

Die Essensplanung steht auch bis zum 15. März, jeder sucht sich eben seine alltagsstabilisierenden Faktoren und bastelt und schraubt nach Kräften daran herum. Bei anderen ist es, sehe ich gerade, der Geschmack von Käse auf frischem Brot, und das geht auch. Heute gibt es hier Backfisch im Brötchen, entnehme ich meiner Liste. Das können Sie jetzt prima in Ihre Hamburg-Klischees einbauen, auch das ist eine Form der Ordnung.

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Am frühen Morgen nun mehr Vogelstimmen da draußen, der Chor vergrößert sich gerade, die Amsel ist jetzt in der Frühschicht dabei und unterlegt das Rotkehlchen und die Meisen. Im Drogeriemarkt haben sie die Stände mit den Ostersüßigkeiten aufgebaut, in den Foodblogs erscheinen erste Spargelrezepte, die sind allerdings noch nicht recht umsetzbar.

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In den Nachrichten las ich am Wochenende eine Meldung zum weiteren Ausbau der Wintersportgebiete in Thüringen, es ging da um Kritik, weil es in diesen Regionen künftig eher weniger oder auch keinen Schnee mehr geben wird, der Klimawandel. Der Ministerpräsident von Thüringen wies die Kritik zurück, denn, so sagte er, die Gegend sei eine Legende und außerdem tief in den Herzen verankert und das sei da auch schon seit hundert Jahren Wintersportort. Alle drei Argumente sind ein Fall von „Thema verfehlt“, wie Ihnen vielleicht auffällt, sie stehen in keinem logischen Bezug zur Kritik. Ich finde es von den Medien nicht richtig, solche Argumente ohne Einordnung abzubilden, es hat eine Beliebigkeit, die ich abstoßend finde. Man kann die Argumente immerhin hervorragend übertragen, auf alles. Wir können nicht aufhören, in den Urlaub zu fliegen, denn das Fliegen ist Legende, wir fliegen seit hundert Jahren und es ist tief in unseren Herzen verankert. Wir können nicht aufhören, riesige Fleischberge zu grillen oder Unmengen Benzin zu verbrennen, denn wir grillen und knattern seit hundert Jahren, das Grillen und auch der Geruch von Diesel sind Legende, sie sind tief, so tief in den Herzen verankert. Und immer so weiter. Ich werde auch weiter bloggen, denn ich blogge seit hundert Jahren.

Ach, was rege ich mich auf.

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Ich habe mit einem mathematisch begabten Sohn für eine Arbeit geübt. Es macht mich regelmäßig so fertig, ich möchte mir danach sofort einen schlichteren Beruf suchen. Wege fegen oder so. Aber nur gerade Wege bitte, ohne komplizierte Kurven.

Im Ernst jedenfalls finde ich es immer wieder faszinierend, wie wenig man sich das Denken der anderen vorstellen kann, weil man eben nicht so denkt, nicht so denken kann. Wie ist es denn bitte möglich, bei Multiplikationen im fortgeschritten mehrstelligen Bereich das Ergebnis einfach zu „sehen“? Einfach so? Für mich ein Fall von *hexhex*, für ihn aber: „Äh, ist doch logisch.“ Und er sieht mich an und versteht nicht recht, was ich nun wieder nicht verstehe.

Ich fange dann an

in Reimen zu sprechen

Wie um mich zu rächen

für den Mangel an Talent

den das Kind da benennt,

denn das Denken in Gedichten

das kann er mitnichten.

Und dann fragt er: „Wie machst du das denn!?“, und ich denke halbwegs getröstet: „Wieso, das ist doch einfach.“ So geht es hier zu.

Aber, Begabung hin, Begabung her, das Erbgut ist doch unverkennbar – wir sitzen jedenfalls beide vor den Textaufgaben und rätseln vollkommen unangemessen lange und intensiv, was uns die Autoren denn nun damit wieder sagen wollte und warum denn bloß. Wir beschweren uns dann stundenlang über die unsäglich bekloppte Blödheit der Beispiele, statt etwas zu lernen oder einfach alles stumpf abzuarbeiten, es ist immer wieder das Sequel zu meiner Schulzeit. Wir wissen beide, dass wir da gleich ticken, wir sagen zwischendurch verschwörerisch: „Vater und Sohn, ne.“

Aber es hilft ja nix. Die Textaufgaben sind tief in den Herzen der Schulbücher verankert.

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Frostfreie Tage voraus

Morgens stabile Plusgrade, immer auch das Positive wahrnehmen, sicher doch. Also für das  Gefühl, nicht für den Klimawandel, versteht sich. Frostfreie Tage voraus, und dann ist gleich schon März. Am Sonntag gehe ich in den Garten, eine Stunde Weg ist das, und ich mache die kleine Wanderung zum ersten Mal in diesem Jahr. Vorbei auch an neuen Geschäften, guck an. Kaum geht man irgendwo zwei, drei Monate lang nicht vorbei, schon ist da wieder etwas anders. Beständigkeit stellt man sich so auch nicht vor, wir leben in unruhigen Zeiten. Ich sehe auf der Parzelle nach der Hasel, nach der Forsythie, nach dem roten Hartriegel, auch nach der rekordfrühen und gelbknospenden Kornelkirsche, nach der Magnolie mit ihren pelzigen Flauschtrieben. Kleine Bestandsaufnahme des allgemeinen Knospenfortschritts, wohlwollendes Abnicken der allseitigen Bemühungen, yes, you can. Auf dem Weg dorthin prüfe ich aber auch die Beete in den Parks, ich sehe nach den Narzissen und nach anderem, die Triebe am Straßenbegleitgrün nicht zu vergessen, alles einmal wieder würdigen. Der Himmel ist dabei grau wie immer, es nieselt, aber es ist doch so etwas in der Luft, eine vage Ahnung nur, und die reicht ja bekanntlich.

„Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.“

Hofmannsthal war das, 1892, da war das nämlich auch schon so, wenn auch vermutlich nicht im Februar.

Einen Buntspecht höre und sehe ich nach etwas Suche sogar, die Kohlmeisen singen überall aus Leibeskräften, am Wegesrand einige Winterlinge. Zwei blühende Gänseblümchen finde ich, drei weißumflorte Zierkirschen, natürlich das übliche Rudel Schneeglöckchen im Garten neben dem noch schlafenden Weißdorn. Viel mehr sehe ich noch nicht, aber immerhin. Zwei leuchtend rote Tupfen im schwarzen Beet: Da rührt sich mein Rhabarber und testet mal die Luft, ob da vielleicht bald schon was geht.

Auf dem Weg wird mir dieser Song von Brandi Carlile zugeshuffelt, und ohne groß auf den Text zu achten, er passt zur Stimmung dieser Wegstrecke, ich kann sehr gut zu ihm gehen, was mir immer ein besonderer Genuss ist, wenn der Rhythmus mit dem Gang harmoniert. Er läuft dann einfach auf Repeat weiter. Wenn etwas gut ist, das dann gleich beibehalten, alte Regel:

Die Herzdame ist mit dem Auto in den Garten vorgefahren und lässt sich währenddessen von einer Fachberaterin lange über den Gehölzschnitt im Frühjahr aufklären. Sie hat das Thema für sich reklamiert, ich erwähnte es vermutlich schon irgendwann, der Mensch sucht sich Aufgaben. Sie markiert bei der langen Unterweisung alles, was in den nächsten Wochen geschnitten werden muss, mit hölzernen Wäscheklammern, Zweige und Äste. Die Gewächse sehen dadurch nun etwas eigenartig igelig aus, werden aber sicher sehr kundig behandelt und wir haben danach mehr Obst, so der Plan.

Ja, mach nur einen Plan.

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 12.2.2023

Jochen über den Stellenabbau bei Gruner & Jahr. Ich gehöre gewissermaßen und in erweiterter Betrachtung zu den Schuldigen, ich kaufe keine Magazine, schon seit vielen Jahren nicht mehr, und im Netz spielen die betroffenen Titel eher keine Rolle. Das einzige Magazin, das uns hier erreicht, ist der stets dünne Gartenfreund, die Zeitschrift des Schrebergartenverbandes (Titelstory der aktuellen Ausgabe: „Erbsen aus dem eigenen Garten“), die man als Mitglied routinemäßig und unweigerlich bekommt. Sonst nichts. Ich lese online und Bücher, dazwischen ist nichts mehr, und ich sehe im Moment nicht, dass sich das noch einmal ändern wird.

Manchmal trauere ich der Zeit nach, als ich manche Magazine, etwa den Spiegel, noch früher sogar den Stern, noch gut und sogar spannend fand, aber das ist dann nur so ein wehes Nostalgie-Momentchen. Es ist auch schon lange her und die Menschen, die damals auf den Titelseiten waren, sind vermutlich in der Mehrzahl schon tot. Es ist eine dieser Westdeutschlanderinnerungen, man fühlt sich allmählich museal damit. Damals, als man Spiegel und Zeit und Süddeutsche und beim Arzt auch Geo las, und dabei das befriedigende Gefühl hatte, alles richtig zu machen, auf der richtigen Seite zu sein, korrekt informiert zu sein. In einem Land vor unserer Zeit.

Na, vielleicht erlebe ich doch noch ein Revival. Ich war neulich auf einer geselligen Veranstaltung im kleinen Kreis, bei der die Gastgeberin Langspielplatten aufgelegt hat. Manches kommt doch wieder.

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Bei diesem Post über den Titel gestolpert. Ich sollte so etwas bewohnen, sollte ich nicht?

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Gaga über Tagebücher und Blogs. Ich führe kein Tagebuch mehr nebenbei, die Unvollständigkeit der beiden Seiten hat mich irre gemacht, ich bin zu ordnungsverliebt für so etwas. Ich hatte immer das Gefühl, ich müsste beide Notate passend zusammenbringen, wie bei einem Puzzle. Das war selbstverständlich Unsinn, aber eben Gefühl, was willste machen. Ich beschränke mich aufs Bloggen, habe nunmehr nur noch eine unvollständige Seite zu befüllen und lasse also viel weg. Ein erheblicher Teil des Alltags steht hier nicht, ich finde das für mich richtig so. Ich schreibe mir mein Leben zurecht. Wie vermutlich alle, die schreiben.

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Variationen und Wiederholungen

Phänologischer Kalender: Mehr lilafarbene Krokusspitzen im Stadtteil, an allen Stellen, die überhaupt dafür in Betracht kommen. Das sind allerdings gar nicht so viele, abseits der Flächen unten an der Alster, es gibt hier kaum Vorgärten. Vorm Balkon lärmende Baumfällarbeiten über zwei Tage, die alte und vermutlich viel zu schräg über einem Fußweg stehende Birke am Kirchenbüro ist weg. Die kleinen Kinder auf dem Spielplatz standen mit offenem Mund und sahen dem Mann zu, der oben auf der hoch ausgefahrenen Arbeitsplattform mit der Kettensäge hantierte und den Baum Ast für Ast zerlegte, der dann auch den Stamm kappte, stückweise immer tiefer. Das Haus, vor dem diese dichtbezweigte Birke wie ein geschlossener Vorhang wirkte, es steht nun nackt und einsehbar wie ein Puppenhaus da. Man sieht am Abend in Fenster, in die man noch nie sehen konnte. Die Menschen in den Räumen wirken auf einmal seltsam exponiert und gehen wie auf einer sorgsam ausgeleuchteten Bühne durch ihre Räume. Jetzt nimmt er ein Buch, jetzt setzt er sich hin. Jetzt geht sie von Raum zu Raum, jetzt sagt sie etwas zu ihm, was ist das für ein Stück.

Ein neuer Baum wurde bisher nicht in das Loch gepflanzt, aus dem man in langer Arbeit auch den Stumpf gefräst hat, man hofft wieder so vor sich hin.

In den Foodblogs ein Rezept für Valentinstagherzen, die genau so aussehen wie die Plätzchen zu Weihnachten, nur hat man sie vor dem Backen in Herzchenform gedrückt. Denn so gehen wir durchs Jahr, indem wir diesem und jenem immer mal wieder eine leicht andere Form aufdrücken, von Monat zu Monat. Die Plätzchen etwa verfertigen wir erst als Sternchen, kurz darauf als Herzchen, dann schon als Häschen und kurz darauf lassen wir sie einfach rund und belegen sie mit einer Erdbeere, einigen Johannisbeeren und immer so weiter. Variationen und Wiederholungen.

In den Timelines werden währenddessen noch variantenreich Minustemperaturen vermeldet, begeistert klingen die Nennungen nicht mehr.

Burt Bacharach ist gestorben. Er hat einmal gesagt, Alfie sei von all seinen Liedern sein Lieblingssong, und er hatte wirklich reichlich Auswahl.

“What’s it all about, Alfie?Is it just for the moment we live?What’s it all about when you sort it out, Alfie?Are we meant to take more than we give?Or are we meant to be kind?

And if only fools are kind, AlfieThen I guess it is wise to be cruelAnd if life belongs only to the strong, AlfieWhat will you lend on an old golden rule?”

Es gibt auf der Seite Songfacts eine schöne Erklärung zu der Song-Zeile „What will you lend on an old golden rule“: The line, „What will you lend on an old golden rule“ is one that has baffled many listeners, including Barbra Streisand, who during rehearsals in 1999 refused to sing it until someone could explain to her what it meant. Her A&R man, Jay Landers, took action, calling the song’s lyricist, Hal David, who was in China but got back to him right away (the prospect of Streisand singing his song was apparently quite an enticement). When asked about the line, David replied, „It doesn’t mean anything.“ He was simply filling in words to Bacharach’s melody, figuring he would change it later. Bacharach liked it though, so they left it in. When Landers got off the phone, he told Streisand, „It’s one of those lines that’s open to interpretation.“ That was good enough for her.

Man findet Streisands Version selbstverständlich auf Youtube, wie auch die unglaubliche Ursprungsversion von Cilla Black, die bekannte Aufnahme von Dionne Warwick, etliche Cover und eine herzbewegende Interpretation von einer Whitney Houston mit sehr sichtbaren Problemen.

Hier aber der Meister selbst:


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Hier bin ich Buddenbohm

Ich habe gestern auf Mastodon geschrieben:

„Insgesamt, so dachte ich gerade, habe ich bei fast allem schon einmal lieber mitgemacht. Und das hat so gar nichts mit depressiver Verstimmung zu tun, mehr mit dem Lauf der Welt, der Gesamtsituation und Erfahrungen.“

Und, ohne mich unnötig verallgemeinern zu wollen, denn dazu habe ich kaum Anlass, ist es zumindest bezogen auf soziale Medien vielleicht doch ein verbreitetes Gefühl, ich las in meiner Timeline immerhin einiges in dieser Richtung. Man war schon einmal begeisterter dabei, engagierter. Vielleicht gilt das wieder nur in meiner Altersklasse, oder vielleicht ist es doch gängiger, ich weiß es nicht und ich habe auch gerade keine aktuellen Studienergebnisse dazu gesehen. Aber ich wäre nicht überrascht.

Und auch sonst: Wenn ich die freie Wahl hätte (die ich keineswegs habe, wer hat sie schon), ich würde jetzt an etlichen Stellen lieber mein Ding machen. Und zwar nur mein Ding. Kein Gruppending, Konzernding, Gesinnungsding, Richtungsding, Großstadtding, nicht einmal Socialmediading, in mir sperrt es sich gerade gegen vieles. Interessante Sache, da mal noch mehr drüber nachdenken. Ein dezent abgewandelter Bartleby: „Ich möchte lieber was Eigenes.“ Sollten das allerdings viele Menschen gerade denken – man würde unweigerlich doch wieder mitmachen. Auch faszinierend. Und dass das Eigene am Ende auch wieder nicht recht sein könnte, nicht einmal mir – ja, geschenkt. Es ist eh hypothetisch.

Das Blog wenigstens, es fühlt sich weiter durch und durch nach meiner eigenen Sache an. Das Blog ist in dieser Hinsicht also in Sicherheit. Hier bin ich Buddenbohm, hier darf ich‘s sein.

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Gestern und vorgestern war mir durchgehend so bibberkalt wie sonst den ganzen Winter nicht, es halfen weder Heißgetränke noch Heizungen, Pullover oder Decken. Ich denke, ich bin mittlerweile reif für die nächste Jahreszeit. Ab Sonnabend wird es wärmer, sagt der Wetterbericht, das ist also bedarfsgerecht.

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Phänologischer Kalender: In den Foodblogs erschien heute das erste Bärlauchrezept.

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Etwas vom E.T.A Hoffmann gehört und dann doch wieder abgebrochen. Es ist draußen schon zu hell für den Herrn und seine Spukhäuser, der braucht eindeutig eine novemberige Kulisse. Dann den Zwerg Nase von Wilhelm Hauff gehört, daraufhin das Märchen und den Dichter strebsam wie stets in der Wikipedia nachgelesen und dabei Wort das Suzeränität gelernt (es kommt im Text eine Pastete Souzeraine vor, eine ironische Ableitung dieses Begriffs), von dem ich noch nie etwas gehört hatte. Es ist nämlich tatsächlich so, dass Märchen bilden.

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