Wir passen uns an

Wir gehen zum Corona-Test. Wir gehen durch Straßen, da muss man auf der linken Seite eine Maske tragen, auf der rechten aber nicht. Auf anderen Straßen muss man die Maske an Werktagen tragen, auf wieder anderen aber an Sonn- und Feiertagen. Man muss schon ein wenig aufpassen, wenn man alles richtig machen möchte.

Die Tests finden in einem umgebauten Laden statt. Läden braucht gerade keiner, Tests aber schon. Es ist alles sehr gepflegt und stylish, die Frau am Empfang hat weißgefärbte Haare, die passen zu ihrem weißen Schutzanzug und ich bin in einem Film. Es ist alles überzeugend, ein Dystopie-Setting. Ich bin in einer anderen Welt. Alles ist surreal, Tests in Umkleidekabinen, Gegenstände in Körperöffnungen, sekundenschnell vorbei, superfreundliche Menschen im blauen Plastikdress, überfreundlich jedenfalls für Hamburger Verhältnisse, hier, das können Sie dann scannen, wir wünschen ihnen schöne Ostern, dort geht es raus, und man nimmt das alles so hin, die ganze absurde Szene. Man nimmt erstaunlich vieles einfach so hin. Das ist unsere Hauptbegabung, weit vor der ach so tollen und immer gehypten Intelligenz, die zurzeit ohnehin nicht überzeugt, wenn man uns in der Gesamtheit ansieht, schlau geht doch anders. Nein, wir nehmen hin und passen uns an, das ist wichtiger. Wir wachen auf und die Welt ist eine andere, egal, wir justieren die Einstellungen und machen weiter. Wie die Ratten und die Kakerlaken, unsere Brüder und Schwestern im Geiste. Wir kommen durch.

Die Tests waren dann negativ, was ja positiv ist, in diesen seltsamen Zeiten.

Ich sehe am Abend mit der Familie die Serie Magnus Trolljäger bis zum Finale (ARD Mediathek). Die erste Folge davon hatte mir nicht gefallen, ich hätte da abgebrochen, immer bin ich zu ungeduldig für alles. Die anderen wollten aber weitermachen und sie lagen auch richtig. Die Story entwickelt noch einen komplett irrwitzigen Humor, das war gut und ablenkend. Jugendfrei ist das allerdings nicht, es gibt in einer Folge triebgesteuerte Fabelwesen, die sich entsprechend verhalten, das muss zum Aufklärungshorizont des Nachwuchses passen. Und es war wieder Norwegen, wie bei den Beforeigners. Seltsam. Jetzt gezielt nach norwegischen Produktionen sehen? Oder auf Skandinavien verallgemeinern?

Ich mache mit Sohn I Französisch. In Hamburg gibt es keine Ferien, in Hamburg gibt es weiterhin Klassenarbeitsersatzleistungen, ein Wort mit so zackigem Klang, man möchte beim Schreiben eine Uniform anziehen und danach Vollzug melden. Es geht um Objektpronomen. Wir gucken ein Video dazu, ich weiß auch nicht alles. In dem Video heißt es, der wichtigste Satz zu diesem Thema sei „Je t’aime.“ Ich finde das sofort einleuchtend. Ich liebe dich und du bist mein Beispiel für ein Objektpronomen, also wenn das nicht überzeugt? Gib mir Grammatiknamen, ja, dekliniere mich … pardon, es geht gleich wieder. Bitte, beuge mich, so hieß es damals bei Morgenstern.

Ich träume nachts von Heinz Eckner, was auch immer mein Unterbewusstsein mir damit sagen will. Heinz Eckner, wissen Sie noch, der war immer bei Rudi Carrell dabei. Der war nett, ich glaube, das war seine Hauptfunktion. Er führte Kandidatinnen von links nach rechts und zurück und machte bei Sketchen mit. Ich stelle mir vor, dass Heinz Eckner bei uns im Flur steht und mich von Zimmer zu Zimmer führt, wenn ich etwas machen möchte oder muss, so freundlich untergehakt und heiter plaudernd. Kommen Sie, Herr Buddenbohm, wir gehen da eben rüber zur Home-School. Der Gedanke gefällt mir. Sehr.

Am Ostermontag greift der Wind unter die Dachfenster, und Regen klatscht er so laut dagegen, dass ich noch im Bett den ausgesprochen gemütlichen Gedanken habe, dass heute wirklich kein Wetter für Menschenansammlungen ist. Das ist kein Tag für Masseninfektionen, gesundes Wetter ist es also. Und der Regen trommelt und trommelt immer wilder, als Cool Jazz geht das längst nicht mehr durch, wahre Sturzbäche sehe ich auf der Scheibe, das ist alles gut so. Ich könnte gleich in den Garten fahren und zum Pfirsich „Siehste!“ sagen, aber so rechthaberisch bin ich auch wieder nicht.

Ich gehe Brötchen holen. In der Bäckerei stehen fünf Menschen in der Schlange, alle sind sorgsam auf Abstand bedacht. Sie bewegen sich betont vorsichtig umeinander herum, da passen überall 1,50 Meter dazwischen, locker passen die. Neulich die Szene im Discounter, das war doch noch das Gegenteil. Da war wüstes Gedränge. Es ist aber dieselbe Stadt, es liegen nur zwei Tage und ein paar Meter und keine neuen Nachrichten dazwischen. Man sieht nicht, wie es ist, es sind alles nur Ausschnitte, Geflacker. Eine Ecke weiter ist es anders.

Was steht in den Nachrichten, da noch schnell nachsehen und neue Wörter einsammeln: Die Impf-Rakete und die Impf-Offensive stehen da. Man bekommt fast Angst vor herumfliegenden Spritzen, nicht wahr.

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Links am Morgen

I’m speaking

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Petra ist gestorben, in meiner Timeline fehlt jemand. Wenn ich mir eine jenseitige Timeline vorstelle – sie füllt sich allmählich.

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Eine Impfung

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100 Dinge, die bei der CO2-Wende schieflaufen

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Aber der Rückstau

Am Karsonnabend, wenn der überhaupt so heißt, gehe ich noch einmal einkaufen. Der Laden ist brechend voll, niemand hält irgendwo Abstand, es ist alles egal, egal. Man muss doch für zwei Tage einkaufen, die Lage ist also furchtbar ernst, das geht vor. In den Regalen sieht man hier und da klaffende Leerstellen. Davor werden Mutmaßungen angestellt, ich höre etwa, dass das alles an dem Schiff da liege. Aber das sei doch wieder flott, sagt eine, aber der Rückstau!, sagt die andere und einer nickt zustimmend und einer schüttelt sichtlich amüsiert den Kopf, aber jedenfalls gibt es keine Sahne und kein Vollwaschmittel und keinen Dosenmais. Diese Lücken, diese entsetzlichen Lücken, die Leute murren und knurren. Wann kommt das denn wieder rein? Das wissen wir doch nicht! Und Schnelltests? Also hier nicht.

Im Garten aber blüht der Pfirsich. Ich diskutiere das mit ihm und weise ihn nachdrücklich darauf hin, dass das zu früh sei. Ich zeige ihm auch gleich den Wetterbericht auf dem Handy, die Schneesymbole, die Minusgrade, alles ab morgen schon, sage ich nachdrücklich, Graupel auch und eiskalter Regen. In den Boulevardmedien ist sicher schon die Rede von einer Polarpeitsche oder wie das da heißt, ich sehe lieber gar nicht erst nach. Der Pfirsich hebt unbeeindruckt pinkfarbene Schönheiten zum Himmel und entfaltet sie langsam vor dem allzu überzeugenden Blau. Man kann nun einmal nicht allen helfen.

Meine Mutter ruft an, es geht ihr nicht gut. Es geht ihr so dermaßen überhaupt nicht gut, dass ich ihr lieber einen Krankenwagen rufe. 112, das letzte Mal habe ich das gewählt, als die Wohnung unter uns brannte, das ist ein paar Jahre her. Ich sage, worum es geht, der Mensch in der Notrufzentrale sagt: Gut, schicken wir da mal einen Wagen hin, und dann will er auch schon auflegen. Ich sage, dass es vielleicht zweckmäßig wäre, den Namen der betroffenen Person zu erfragen, nein? Weil man ja irgendwo klingeln muss? Jo, sagt der Mensch, gute Idee eigentlich. Ich gebe den Namen meiner Mutter durch.

Zwei Stunden später ist klar: Lungenentzündung, Covid-19. Und daran ist übrigens etwas beunruhigend, was Sie vielleicht auch beunruhigen könnte oder sogar sollte, meine Mutter ist nämlich so ziemlich der kontaktloseste Mensch, den man sich nur vorstellen kann. Jedes Klosterleben ist übertrieben gesellig gegen ihren Alltag. Und dennoch. Da mal drüber nachdenken!

Wir checken den Kalender, wer hat wen wann gesehen. Wir können an der Infektion eigentlich weder beteiligt gewesen sein noch sie abbekommen haben. Eigentlich. Wir vereinbaren Testtermine für den Ostersonntag, so füllt sich das Festtagsprogramm.

In Hamburg gilt ansonsten seit Freitag Ausgangssperre. Habe ich das also auch einmal erlebt, das kannte ich bisher nur aus Filmen und Romanen. Die Sperre folgt exakt meinem Biorhythmus und gilt von neun Uhr abends bis fünf Uhr morgens. In dieser Zeit würde mich eine Ausgangspflicht wesentlich mehr stören, in dieser Zeit bin ich normalerweise nicht in diesem Draußen und will da auch nicht hin. Das Für und Wider der Ausgangssperren ist mir daher vollkommen egal, ich kann mich auch nicht um alles kümmern und das ganze Herummeinen kostet am Ende auch Kraft. Mein Herummeinen richtet sich daher heute nur gegen gewisse Vorgänge in Stuttgart, das allerdings gründlich. Was erlauben Staat? Wie können solche Demos möglich sein?

Ich liege um zehn Uhr immerhin noch wach im Bett und lausche interessiert in die Dunkelheit. Es ist tatsächlich so wenig zu hören wie sonst nur auf dem Land. Keinerlei Renitenzgeräusche von irgendwem. Osterruhe, kein Verkehr, keine Spaziergänger, keine Gespräche von der Straße, kein Hundebellen aus der Ferne, keine Schiffssirenen aus dem Hafen, keine Züge vom Hauptbahnhof, keine Musik aus irgendeiner Wohnung, gar nichts. Nur meine Atemzüge, fast schon unheimlich. Dunkeltuten, wie wir hier sagen.

Irgendwo denkt jemand nach, stelle ich mir vor. Aber ich nicht, ich schlafe früh.

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Es gibt Tomaten

Gestern habe ich eine Frau beim Discounter gesehen, die direkt hinter der Kasse eine Packung Tomaten aufriss und sich das ganze Pfund dann Stück für Stück in den Mund schob, gierig, schmatzend und mit einer seltsam routiniert wirkenden Raufrunterbewegung der Hand an der Maske. Nicht die kleinen Cocktailtomaten, nein, schon die mittelgroßen Exemplare. Maske rauf, Tomate rein, Maske runter, das Kauen, das Schlucken, gleich noch einmal, zügig lief das. Das Wort Futterluke drängte sich mir auf. Dabei war sie tief über ihren Einkaufswagen gebückt, damit es nicht jeder sofort sah, was sie da machte. Zwischen den Bissen redete sie leise vor sich hin und mit sich selbst, eine feucht tomatisierte Aussprache. Kein Einkauf mehr ohne Menschen, die irgendwie auffallen. Aber wer weiß, was andere von mir denken, da also immer vorsichtig sein.

Ich habe später versucht, ob diese ewige und wirklich lästige Müdigkeit nicht endlich erledigt ist, wenn ich den Mittagsschlaf einfach direkt nach dem Aufwachen wiederhole. Schafft zwei, drei, viele Nickerchen! Aber egal, das war nicht der Fall. Immer gleich müde aufwachen, immer schade denken, ich bin ja schon wieder wach. Vielleicht würden zwanzig Nickerchen helfen, eine lange Perlenkette von Mittagsschlafvarianten. Vielleicht müsste ich eine ganze Woche einfach liegen bleiben, vielleicht länger, es würde mich nicht wundern. Ich werde auch damit ja nicht alleine sein. Ich lag herum, es bildeten sich um mich herum To-Dos aus dem Nichts. Die Herzdame ging vorbei und sagte: „Wir müssen noch …“, ich sagte: „Nein.“ Bei nächster Gelegenheit wiederholen wir das andersherum, wir kennen alle Parts im Drehbuch längst auswendig.

Einmal wieder aufstehen und voller Enthusiasmus denken, jetzt geht es aber los! Aber vielleicht ist man über diesen Punkt auch einfach irgendwann rüber und es geht gar nicht mehr los, es geht einfach immer nur weiter, das kann auch altersbedingt sein. Ich weiß es nicht recht, ich müsste wohl mehr darüber nachdenken. Aber erst lege ich mich noch etwas hin.

Im Garten blühen währenddessen übrigens die Narzissen, eine strammstehende Reihe leuchtend gelber Blüten vor der Laube. Diese Reihe ist sehr gerade und gleichförmig, sie sieht aus, wie kleine Kinder Blumen vor ein Häuschen malen. Zwei Stifte nur, gelb und grün, und alle Blumen dann exakt so wie die anderen. Genau so habe ich die auch mal gemalt, ich weiß es sogar noch. Wenn noch mehr Kinderbilder Wirklichkeit werden, dann ist hier auch irgendwo das Meer, das nehme ich als guten Gedanken des Tages.

Ein königsblaues Meer, und alle Wellen sehen gleich aus. Der Himmel dann aber weiß, das hebt sich besser ab.

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Dank, 17

Längst hätte ich mehreren Leserinnen danken müssen, aber mir fallen dummerweise gerade keine Postkartenbilder ein, es ist etwas verhext. Heute beende ich diesen beklemmenden Rückstau, das geht so nicht weiter. Ich danke jetzt einfach so, das geht immerhin auch.

Und zwar danke ich für einen Hammer (und was für einen, der Paketbote hatte Mühe!), den sich die Herzdame sehr gewünscht hatte. Dieses Glitzern in ihren Augen hätten sie sehen sollen, als sie den Vorschlaghammer ausgepackt hat, es war zu und zu schön. Ich danke aber auch für ein Headset und für ein Portemonnaie mit XXXtentacion-Aufdruck (für Sohn I), für Backzubehör und eine Backform für die Laube, für kalifornischen Goldmohn und für Tee, für ein Unkrautsieb und, wie toll ist das denn, für ein Mixtape! Das hat mir tatsächlich jemand aufgenommen und zugeschickt, ich bin ganz hingerissen. Das letzte Mixtape habe ich Anfang der Neunziger bekommen, glaube ich. Sehr toll!

Dieses Blog wird heute übrigens, es ist kein Aprilscherz und hat eigentlich gar keinen Bezug zum ersten Absatz, siebzehn Jahre alt, darüber kann man auch kurz nachdenken. Denn wenn man jetzt siebzehn Jahre zurückdenkt, dann führt kein Weg mehr an der Erkenntnis vorbei, dass es schon verdammt lange her ist, dass ich mit dem Bloggen begonnen habe. So lange ist es her, einiges aus dieser Zeit kommt mir allmählich etwas unwirklich vor. Einiges auch dabei, bei dem ich sagen muss: Wir waren so jung! Jedes Wort einzeln betont und im Kopf natürlich gleich den Aznavour, quasi unvermeidlich. Aber so jung war ich auch wieder nicht.


Falls Sie schon so lange mitlesen, es gibt da zwei, drei Menschen, von denen ich das sogar weiß, dann sind wir gemeinsam ein gutes Stück älter geworden. Da kann ich auch einmal für das Lesen an sich danken, nicht für Geld oder Geschenke. Ohne Leserinnen wäre es alles nichts und ein inniger Spezialdank geht an die 35 Menschen, die mich in der ersten Woche damals gelesen haben, die Zahl weiß ich sogar noch. Ohne die hätte ich nicht weiter gemacht. Heute sind es ein paar mehr, aber der Gedanke ist geblieben: Wie toll ist das denn, das liest ja sogar jemand.

Vielen herzlichen Dank dafür, ich find es sehr entgegenkommend, dass Sie hier lesen. Und motivierend finde ich es natürlich auch. Und, ja, oft auch geradezu erbaulich.

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Staub steigt auf

Die Wände wurden in zwei Räumen neu gestrichen, es lief alles großartig, pünktlich und wie geplant. Ein gutes Gefühl, es wurde endlich etwas erreicht. Ich trage gefühlte zehntausend Gegenstände zurück in die Küche, wie viele Flaschen Balsamico kann der Mensch besitzen, habe ich einen Kaufzwang oder was. Alles ausmisten, alles durchsehen, alles wegwerfen. Das ist ohnehin befreiend, das sollte man öfter machen. Aber wenn man dafür immer erst die Wohnung renovieren muss, das geht auf die Dauer ins Geld. Schlimm.

Ich trage eine leere Obstschale durch die Gegend und habe auf einmal deutlich im Ohr, wie meine längst verstorbene rheinische Verwandtschaft die genannt hätte, nämlich Schälschen, mit einem für norddeutsche Ohren ungewohnt klarem Ä. Ich höre das genau, es ist fast ein wenig unheimlich, so deutlich höre ich das, eine weibliche Stimme im Raum, obwohl ich gar nicht beschwören könnte, dass die Vokabel wirklich richtig ist. Hätten sie tatsächlich Schälschen zu der Schale gesagt? Ich denke doch und zack, höre ich es noch einmal, sehe ich Wohnungen vor mir, Gesichter, einen Frühstückstisch im Sonnenschein, einen Südbalkon, Häuser mit Fachwerk und Schiefer an den Wänden, alles längst untergegangen. Nein, die Häuser gibt es noch, nehme ich an.

Ich wische ein Regal ab, ganz oben. Es sieht da aus, man macht sich keinen Begriff. Die Herzdame und ich sind eher klein, die Söhne sowieso, ab etwa 1,80 Meter findet diese Wohnung für uns gar nicht statt, das bildet sich entsprechend ab. Sieht ja keiner! Mir fällt meine ebenfalls längst verstorbene Großmutter aus Lübeck ein. Wie sie mich einmal in meiner ersten eigenen Wohnung besucht hat, die natürlich nur ein Zimmer war, und zwar ein WG-Zimmer im Zustand der fortgeschrittenen jugendlichen Verwahrlosung. Weil Punk und Jugend und was ist schon dabei, dazu Alkohol und mir doch egal und die Liebe, die Liebe, man hat so Phasen. Und meine Großmutter sah sich um. Sie sah diese vermutlich filmreif heruntergekommene und vergammelte Bruchbude, sie sah leere Flaschen, volle Aschenbecher, herumliegende Platten und Kleidungsstücke, vor Tagen abgefressene Nudelteller mit Ketchupspuren, und sie bemerkte freundlich, sie war immer freundlich, nach einem langen Blick durch das ungelüftete Elend, ich könne doch wohl hier und da mal mit einem feuchten Lappen drübergehen.

Was einem so einfällt, während man die Möbel abwischt. Mit dem Staub steigt die Familiengeschichte auf, wer braucht Madeleines dafür. Ein feuchter Lappen tut es auch. Er passt in meinem Fall auch viel besser, in meiner Kindheit wurden keine Madeleines gereicht.

Plötzlich Hunger auf Bienenstich. Das war noch Kuchen mit Substanz.

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Karo Vier

Einmal einkaufen, alles drin. Nur anders, als man es erwartet. Das Kassensystem lädt nicht recht, die Kassiererin sagt: „Es geht nur Barzahlung, bitte keinen Karten, das klappt gerade nicht.“ Die Kundin sagt: „Das wollen wir doch mal sehen!“ Und stopft ihre Karte ins Lesegerät rein. Das ist so eine allgemeine Haltung gerade, nicht wahr? Das wollen wir doch mal sehen. Wenn Sie das und das machen, dann steigt das Infektionsrisiko … Das wollen wir doch mal sehen. Wenn dies, dann das … Das wollen wir doch mal sehen. Einfache Logik hilft nicht mehr weiter. Schade eigentlich, einfache Logik war oft gut.

Ein anderer Laden, die Kassiererin spricht mit einem abgehetzten Mann, sie fragt ihn, ob es denn beruflich wenigstens ruhig bei ihm sei, so kurz vor Ostern. Der Mann lacht laut auf und sagt, dass er im Krankenhaus arbeite, und ruhig, haha, da könne er aber lachen, könne er da, und er lacht immer weiter, ruhig, nee, nee, was eine Vorstellung!

Auf der Straße vor dem Laden gackerndes Jungvolk mit Bubble-Tea-Bechern in der Hand und Pokémon-Go auf dem Handy, vielleicht entwickelt sich jetzt alles zurück. Der Verstand, die Trends, die Moden, der Geschmack, einfach alles. In einem Kinderzimmer hier laufen dauernd Hits aus den Achtzigern, es passt alles zusammen.

Wenn du Bubble-Tea trinkst, dann ist das aber nicht gut für die Zähne. Das wollen wir doch mal sehen!

Unter einem Busch am Straßenrand liegt eine Spielkarte. Ich hebe sie im Vorbeigehen auf, es ist eine Karo Vier. Ich weiß rein gar nichts über Kartendeutung, ich lese das also erst einmal auf dem Handy nach, und guck an, Karo Vier ist super. Eine Sekunde später kommt schon eine sehr freundliche Mail, danke übrigens, die Dame liest mit. Dann noch eine Mail, auch die ist gut. Jetzt bei jedem Spaziergang nach Spielkarten gucken, warum auch nicht. Ich will nichts verpassen und suche eh dauernd irgendwas, Licht, Zeichen, Auswege, Szenen, Motive, Abwechslung.

Oder gleich Spielkarten selber verteilen, nicht immer so passiv denken! Porträt des Autors als selbstwirksamer Spielkartenverteiler. Ich habe den Joker übrigens immer sehr gemocht, also die Karte als Kind, noch bevor ich den aus dem Comic überhaupt kannte. Der ist eigentlich ein Narr, der auf der Karte, richtig? Das passt schon. Wissen Sie noch, wie Handke diesen Schwachsinn von sich gegeben hat, er käme von Tolstoi und Homer her? Ich komme eher von den Narren her. Ich komme von Engelbert dem Blöden her, falls Sie den noch kennen, der auf einen Haarkamm biss, Rattenfängerlieder blies.

Wie zum Teufel bin ich jetzt darauf wieder gekommen?  Ich habe nicht die leiseste Ahnung.

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Links am Abend

Hundert Jahre Einsamkeit

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Der Herr Glumm hat endlich ein Buch draußen.

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Auch Frau Novemberregen wundert sich über das Draußen.

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Eine große, schwere Elfe

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Über Virginia Woolf

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Wieder draußen gewesen

Vor Ikea – wir waren nicht bei Ikea, wir fuhren da nur vorbei – liefen zwei Austernfischer über das allmählich frühlingsfrisch aussehende Grün am Parkplatzrand. Austernfischer, die sehen nach Eiderstedt und Helgoland und Meer und Urlaub aus, gleich habe ich das Rauschen der Wellen im Kopf, wenn ich die sehe, gleich habe ich diesen Geruch in der Nase, Tang und Muscheln und See. Muscheln werden die Vögel vor Ikea sicher nicht finden, was essen die denn hier? Regenwürmer. Ich bin Beifahrer, ich lese Austernfischer selbstverständlich umgehend in der Wikipedia nach und stoße dabei auf das schöne Wort Wurmgrunzen. Ich bin davon sehr angetan, wobei die englische Variante des „Worm Charming“ doch etwas netter klingt. Wurmgrunzen, das hat so einen Stich ins Brutale, hören Sie das auch? Die neue Singer-Songwriter-Playlist ist das reinste Wurmgrunzen, auch als Beleidigung geht das problemlos durch.

Komm, wir gehen zum Wurmgrunzen, das klingt erst einmal nicht so einladend, glaube ich, in der Beziehungsanbahnung ist das vermutlich nicht vielversprechend. Man muss das im Kopf aber immer erst einmal etwas durchprobieren, so ein neues Wort. Meine Hobbys sind Sticken und Wurmgrunzen. Faszinierend, nicht wahr.

Neben Ikea der Baumarkt, da spielten wir zum ersten Mal dieses Click & Collect-Spiel, wir waren damit vermutlich recht late to the party. Ich finde das Prinzip großartig, denn ich mag weder volle Läden noch mag ich den Onlinehandel. Diese neue Erfindung ist für mich die perfekte Mitte, sie ist genau das, was mir immer gefehlt hat. Ich kann online aussuchen, ich kann zum Laden, wann immer es mir passt, die Ware wird mir fast wortlos herausgereicht. Gerne wieder, gerne nur noch so. Ich muss nicht mehr durch riesige Hallen gehen, sinnlos suchen und schließlich einen der stets fluchtbereiten Angestellten fragen, wo denn bloß die Schlumpfdengel liegen. Alle Produkte im Baumarkt klingen für mich wie Schlumpfdengel, pardon, und nein, ich weiß nicht was das ist, das ist ja das Problem. Nur online kann ich Schlumpfdengel einigermaßen sicher eingrenzen und finden.

Und niemand liefert uns bei Click & Collect etwas zur Unzeit nach Hause und klingelt, während ich dusche oder koche oder schlafe oder einen Call habe. Wenn ich es einmal komplett durchdenke, es gibt im Grunde keine Phase im Laufe des Tages, zu der es mir recht wäre, wenn hier jemand klingelt. Klingeln passt mir grundsätzlich nicht, Klingeln stört per definitionem. Eines meiner allerwichtigsten Erziehungsziele ist, dass die Söhne Schlüssel benutzen und endlich nicht mehr klingeln.

Und niemand hinterlegt bei Click & Collect ein Paket in einem dubiosen Laden in einer unbeleuchteten Seitenstraße am Rande des Viertels oder bei Nachbarn, mit denen man gerade aus Gründen nicht reden möchte. Ich bin sehr zufrieden, gar keine Frage. Es gibt auch keine Zufalls-und Beifangkäufe mehr! Das spart also sogar noch Geld, wie toll ist das denn.

Können nicht bitte alle Läden auch in Zukunft dauerhaft so freundliche und hocheffiziente Rausreichluken haben, ich wäre da ein verlässlicher Stammkunde.

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Ein, zwei Minütchen

Ein kleiner Beleg dafür, was ein Jahr Pandemie mit einem macht, also zumindest mit mir macht. Die Herzdame und ich waren am gestrigen Abend zu zweit, beide Söhne waren gründlich woanders. Wir haben auf der Fahrt nach Hause überlegt, wie lange wir wohl nicht mehr alleine waren, wie viele Monate wir schon nicht mehr kinderfrei hatten. Es muss zuletzt irgendwann im September oder August des letzten Jahres gewesen sein, darauf kamen wir nach intensiver Grübelei, und das ist lange, lange her und eigentlich schon nicht mehr wahr. Seitdem: Immer volle Besatzung hier, immer alle Mann an Deck, immer reichlich Leben in der Bude, Rückzug so gut wie unmöglich, störungsfreie Zonen nicht auffindbar. Jeden Tag, jede Woche, jeden Monat. Repeat.

Das ist eine enorm lange Zeit, so lange haben wir das zuletzt in der Babyzeit erlebt, und in der findet man ja alles noch schön und interessant, also bestenfalls.

Wir schlossen die Wohnung auf und was ich jetzt erzähle, ist vielleicht ein wenig peinlich, vielleicht ist es aber auch nachvollziehbar, denn da wo Sie sind, da war und ist ja auch Pandemie, da waren und sind ja auch besondere Umstände und vielleicht haben Sie sogar auch Kinder und prinzipiell gerne einmal Ihre Ruhe, das könnte ja alles sein. Vielleicht sind Sie auch sonst ein verständnisvoller Mensch, warum sollte ich überhaupt von etwas anderem ausgehen. Jedenfalls gingen wir in die Wohnung und für einen kleinen Moment, sagen wir für ein, zwei Minütchen, ging ich in eines der leeren Kinderzimmer und dachte in geradezu seliger Begeisterung: „Wow, ein Zimmer nur für mich. Wie toll ist das denn.“

Und dann erst fiel mir ein, dass es vielleicht ein ebenso höflicher wie auch erfreulicher Plan sein könnte, den Abend mit der Herzdame gezielt in einem Raum zu verbringen, denn wir konnten ja endlich, endlich vollkommen ungestört und gänzlich enthemmt und sogar mit beliebigem Zeitverbrauch Erwachsenendinge tun. Also etwa die Buchhaltung machen oder Rechnungen schreiben oder was man so macht, wenn man nach langen Entbehrungen tatsächlich einmal nur zu zweit ist. Es kann dabei natürlich auch sinnlicher zugehen, man kann also, was weiß ich, auch das Essen für die nächsten Wochen planen oder was einem so einfällt. Entdecke die Möglichkeiten! Aber kurz, wie gesagt, ganz kurz wäre ich fast falsch abgebogen.

Das hat mit ihren Folgen die Pandemie getan.

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