Die Vergangenheit der Ziegelsteine

Pardon, wo war ich? Na, es ist ja auch egal. Die unblogbaren und mir daher durch die Bank eher suspekten Themen hatten kurz mal gewonnen, ich agierte aus der Defensive und kämpfte mich gerade erst mühsam von dort wieder zurück aufs Schlachtfeld, das Alltag zu nennen wir uns längst angewöhnt haben. Wenn aber nahezu alles unblogbar ist, worüber schreibe ich dann noch?

Ich gehe einfach in den Garten und harke Laub. Das ist unverdächtig und es sind doch eh die einfachen Dinge, auf die es ankommt. Es muss noch gar kein Laub geharkt werden, es liegt so viel nicht herum, ich möchte aber Laub harken. Also zumindest ein wenig, denn lange halte ich das wegen der stark heruntergerockten Armgelenke eh nicht durch. Es ist so ein Regentag mit plötzlichen Sonnendurchbrüchen, der nasse Rasen gleißt und blitzt und beim Harken kollern die glänzenden Früchte des Weißdorns lustig herum. Edelsteinrot und in üppiger Fülle springen sie vor dem Rechen herum, Sekundenreichtum. Ein letzter wurmdurchlöcherter Apfel fällt und rollt ganz freiwillig in Richtung Kompost, ein Bild, ein Bild, der Herbst läuft von ganz alleine korrekt ab. Im Flieder hängt ein Hokkaido wie ein Lampion, der hat sich da heimlich hochgerankt und ist erst jetzt in ganzer Pracht zu sehen, er war den Sommer über im Laub verborgen.

Ich ernte endlich den Sellerie, der sieht prächtig aus, jedenfalls von oben betrachtet. Unten dann aber nicht mehr, unten ist gar nichts dran, es ist längst alles weggefressen worden, von wem auch immer. Ich wiege den Strunk in der Hand und murmele: „Sellerie oder nicht Sellerie, das ist hier die Frage.“ Beim Gärtnern gerät einem alles zur Dichtung und zur Metapher, alte Regel.

Auf der Trauerweide sitzt ein junger Eichelhäher, der den arttypischen Warnruf übt. Er bekommt ihn aber nicht recht heraus und wirkt ein wenig verzweifelt, weil das nicht klappt, immer wieder krächzt er energisch und hüpft dabei durchs Geäst herum, aber wie eine Warnung klingt das wahrhaftig nicht, was er da von sich gibt. Es klingt eher nach einem Hals-Nasen-Ohren-Problem. Zwei Elstern sitzen oben auf der Birke und sehen skeptisch auf ihn herunter.

Es liegt ein leicht erdiger Geruch in der Luft, ein ganz feiner Oktoberduft, bis ein Nachbar irgendwo doch wieder grillt und alles nur noch nach Wurst riecht.

Ich sehe auf die gemauerte Wand der Hütte im nächsten Garten, mir fällt eine Geschichte ein. Es ist eine Geschichte ohne Auflösung, ich sage das lieber vorher. Ich saß einmal in einem Wartebereich, es ist ganz unerheblich, welcher genau das war. Dort unterhielten sich neben mir ein Junge und sein Vater, und der Junge war, der Eindruck drängte sich nach ein paar Minuten auf, obwohl ich gar nicht bewusst zuhören wollte, sehr intelligent. Er sprach so, als sei er seiner Altersstufe um etliche Jahre voraus, er machte sich tiefschürfende Gedanken und er stellte seinem Vater viele Fragen, recht interessante Fragen. Ich bekam mit, dass es um religiöse Vorstellungen ging, um Gotteskonstrukte und um das Weiterleben im Jenseits, bzw. um den Tod ohne Jenseits und warum Menschen überhaupt sich so etwas wie Religionen ausdenken.

Da kam dann schließlich auch die Frage vor, als was man überhaupt wiedergeboren werden kann, also wenn man denn daran glaubt, und es war bald so, dass es eher um die Fantasie des Jungen ging, als noch um die korrekte Beantwortung seiner Fragen. Man wird als Mann oder Frau wiedergeboren, als Tier oder als Insekt, und geht das auch als Gegenstand oder so etwas, als Welle, als Pflanze? „Wieso denn als Gegenstand“, fragte der Vater, und ich fand die Frage vollkommen berechtigt. Ich habe noch nichts davon gehört, dass man als Gegenstand wiedergeboren werden kann, in keiner Religion. Aber was weiß ich schon.

„Wenn man als Gegenstand wiedergeboren werden kann …“ überlegte der Sohn und dachte heftig nach. „Dann möchte ich ein Ziegelstein sein“., kam es schließlich und ich musste mich beherrschen, nicht selbst sofort das zu fragen, was der Vater fragte: „Wieso jetzt als Ziegelstein?“

„Dann könnte man mich mehrfach verwenden“, sagte der Junge und versank wieder in tiefem Nachdenken. Der Vater dachte jetzt auch nach, genau wie ich. Es ist ein paar Monate her und ich denke immer noch ab und zu darüber nach. Wieso möchte man mehrfach verwendet werden und wieso als Ziegelstein? Die Mauer an der Hütte des Gartennachbarn besteht aus schönen roten Ziegeln, die erinnern mich immer an Lübeck, also an meine Heimat. Wer weiß, was diese Ziegelsteine mal waren.

Ich möchte dann bitte als Füller wiedergeboren werden. Dann wäre ich angenehm altmodisch, würde sehr gut aussehen und könnte weiterschreiben.

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Es ist nichts passiert, es gab nichts zu sehen

Am Feiertagsmorgen ist es grau und frühherbstkalt, es nieselt es etwas und die Ringeltaube sitzt zur Unzeit schon auf dem Balkongeländer, nass und windzerzaust, ihr Gefieder sträubt sich unordentlich in den Böen. Sie sitzt und guckt empört. Wozu man wissen muss, dass dies ihr Standardgesichtsausdruck ist. Eine gewisse matronenhafte Empörung sehe ich dort immer und bei jedem Wetter. Ob sie tatsächlich ihrer routinemäßigen Seelenlage entspricht, das konnte ich bisher nicht recht ergründen, wir reden nicht viel miteinander. Der Vogel sitzt dort jedenfalls und sieht empört durchs Fenster ins Wohnzimmer und zu mir, und es ist mit dieser dauergekränkten Ringeltaube nun so, dass ich unwillkürlich ein schlechtes Gewissen bekomme, wenn ich auf diese Art durchdringend angesehen werde. Was habe ich jetzt wieder falsch gemacht? Irgendwelche unverarbeiteten Reste aus der Kindheit werden da bei mir angesprochen. Das kannste auch keinem Therapeuten erzählen, ich habe ein Problem damit, wie Tauben gucken. Aber egal, ich habe auch gar nichts falsch gemacht, glaube ich jedenfalls, es ist alles da, Futter en masse, Wasser auch. Was soll ich noch alles tun, ich weiß es nicht. Die Taube aber sieht mich an und denkt: Wie kann er nur. Also sie denkt das nicht wirklich, nehme ich an, aber es sieht ungemein überzeugend so aus. Der Blick irritiert mich nachdrücklich, ich sehe lieber auf meinen Bildschirm, die Taube strengt mich heute doch etwas an. Ich tippe etwas, aber ich spüre die ganze Zeit ihren Blick durch die Scheibe und ich wende mich schließlich von ihr ab.

Am Nachmittag sehe ich aus dem Küchenfenster, da sitzt die Ringeltaube unten im großen Holunderbusch und pickt Früchte. Ganz oben sitzt sie, wo die Zweige schon dünn werden und wo sich Meisen, Zaunkönige und Spatzen deutlich eleganter halten können als sie, aber egal. Sie hat Hunger und es ist noch reichlich da. Der Wind aber hat den ganzen Tag über weiter aufgefrischt und er greift auf einmal von unten in den Busch und schüttelt ihn wild durch, als würde er Vögel ernten wollen. Die Zweige oben geraten enorm in Bewegung und da passiert der Ringeltaube ein ungeheuerliches Missgeschick, etwas, das eigentlich dem losen Gesindel der Meisen vorbehalten ist, sie hängt nämlich auf einmal über Kopf am Zweig. Und für diesen Moment bin ich absolut sicher, dass die Empörung, die ich auf ihrem Gesicht immer sehe, ihrer Gefühlswelt voll und ganz entspricht. Ja, das ist Empörung und für den Bruchteile einer Sekunde hängt sie da und hält sich stoisch fest und denkt mir großer Wahrscheinlichkeit etwas wie „Wie soll ein Vogel das ertragen“, bevor sie dann wild flatternd und etwas unbeholfen ihre Position verändert, sich flügelschlagend nach oben rettet, aufgeplustert hinsetzt und die kleinen Vögel um sie herum mit weit aufgerissenen Augen so dermaßen durchdringend ansieht – keiner von denen wird etwas von dieser unsäglichen Entgleisung gesehen haben, so viel steht fest, es ist nichts passiert, es gab nichts zu sehen.

Aber wenn ich am frühen Abend an den Büschen mit den kleinen Nestern drin vorbeigehe, höre ich die Meisen vielleicht immer noch leise kichern.

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Links am Morgen

Das Wort Matthäus-Effekt war mir nicht bekannt, der im Text erwähnte Matilda-Effekt auch nicht.

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Einiges über die Dunbar-Zahl

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Ich weiß gar nicht recht wieso, aber ich hänge gerade in den Sechzigern fest, also in meinem Geburtsjahrzehnt. Ich vertiefe mich auch etwas in die Nachkriegszeit davor, ohne ein Ziel dabei zu haben, nur ein vages Interesse. Es ergibt sich dabei ganz zwanglos die Gelegenheit, westdeutsche Kulturgeschichte etwas aufzuarbeiten, man hat ja Bildungslücken, da passen mehrere Regalmeter an Büchern rein. Von ostdeutscher Kulturgeschichte ganz zu schweigen, wie heute natürlich besonders zu erwähnen ist.

Hier ein Interview von Friedrich Luft, damals Großkritiker, mit Peter Ustinov. Was für ein Sympath. Also der Ustinov. Und interessant, was er über Brecht sagt. Man müsste mal wieder ins Theater gehen, nicht wahr, und da fällt mir ein, ich hatte da ohnehin etwas vor.

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Passend dazu noch die Lektüre, die ein wenig querfliegende Lektüre, zugegeben, der Tagebücher von Hans Werner Richter. 1966 staunt er über den aus seiner Sicht erneut aufkommenden Rechtsradikalismus, über das wiedergekehrte Faseln von Volk und Vaterland, und er fragt, wie das denn um Himmels willen wieder groß werden könne. Man liest es heute und nickt dabei, die Frage ist einem vertraut.

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Links am Morgen

Pardon, die Überschrift lügt, es ist nur ein Link – und der Text ist auch noch von mir. Ich habe für das Goethe-Institut einen enorm herbstlichen Text geschrieben. Featuring, wenn auch äußerst diskret, Isa.

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Echoes in the wind:

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Links am Morgen

Wenn ich als Kundin zu meinem Schuster gehe und Schuhe auf die Theke stelle, die er besohlen möge, macht er mich erstmal nieder.

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Ich habe ein weiteres Interview mit Golo Mann gesehen und für interessant befunden, es ist in mehreren Teilen erschienen.


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Auf dem Weg zur Arbeit höre ich “Wolfszeit” von Harald Jähner. Ich bin nicht Geschichtsexperte genug, um es fundiert beurteilen zu können, es sind aber auf jeden Fall genug Aspekte drin, die ich nicht gekannt habe, so dass es unterhaltsam für mich ist, auch wenn das Wort nicht recht zum Inhalt passt. Das Buch ist bei Spotify verfügbar.

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Schreiben auf der Flucht, 1940 und heute – eine Sendung (Audio) über Anna Seghers Roman Transit und das heutige Marseille.

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Lächeln und winken

Währenddessen sind die Schulinhalte immer noch wie früher. Ein Sohn schreibt eine Arbeit in NT, Naturwissenschaft und Technik. Auf Französisch, wie der andere Sohn gerade lernt, SVT, nämlich die Science vom Leben und von der terre. Wieder was gelernt, wieder was gelernt, ich lerne hier jeden Tag etwas, es ist so schön. Wobei sich SVT und NT nicht ganz entsprechen, ich weiß, regen Sie sich nicht auf. Man muss gerade bei Schulthemen immer gelassen bleiben, das ist ganz wichtig.

In NT müssen sie jedenfalls Laub bestimmen können, das gab es in der Grundschule auch schon einmal. Jetzt aber natürlich auf viel höherem Niveau, weswegen auch das Wort Blattspreit dabei vorkommt. Das ist ein wunderbares Wort, ich nehme mir sofort vor, es in einem Blogpost vorkommen zu lassen. Irgendwann einmal. Der Sohn muss auch Laubformen erkennen können. “Das ist ja leicht”, sage ich, “das kann ich, das kann ich.” Denn im Grunde meines Herzens bin auch ich ein Streber, ich lebe es nur nicht so offen aus. “Sag mir einen Baum, ich zeichne dir das Laub”, sage ich und lauere schon mit dem Stift in der Hand. Der Sohn sagt: “Holzapfel”, ich sage: “Nein, sag einen anderen.” Der Sohn sieht mich zweifelnd an.

Wir gehen dann doch lieber raus. Bäume sind draußen, was sollen wir da drinnen sitzen und in Bücher und Arbeitshefte gucken. Ab in die Natur! Frische Luft, Bewegung und Vatersohnzweisamkeit, das bedient gleich drei Wünsche auf einmal, wer kann dazu schon nein sagen. Wir gehen zur nächsten Kastanie am Straßenrand und stöbern durch die Blätter am Boden. Die Blätter machen größtenteils einen fortgeschritten überfahrenen, zugekackten oder zertretetenen Eindruck. “Früher”, sage ich, “früher war das Laub aber schöner.” Ich biege mir einen Zweig zum Krückstock und fuchtele damit herum. Wir nehmen das beste der schlechten Blätter mit und eilen der nächsten Eiche zu, wir sammeln ein weiteres lausiges Blatt und auch eine Frucht, die “einem napfförmigen Becher” entwächst, wie wir alle noch aus der Schulzeit wissen und jederzeit parat haben. Das ist eine Eichel, wer isst eine Eichel und warum eigentlich nicht wir. Exkurs über Wildschweine und das Eichhörnchen, der Sohn gähnt.

Dahinten steht eine riesige Platane. Platanen sind schwierig, die können wir uns nicht merken. Also die Rinde schon, glatt und mit so Tarnfleck, das ist einfach, aber das Laub? Fast so schwierig wie Ahorn, der auch noch in mehreren Sorten vorkommt, die sich nur in gemeinen Details unterscheiden, welche sich niemand merken kann. Und diese Platane hier, die hat also Ahornlaub. “Befremdlich”, sage ich und drehe ein Blatt in den Fingern, “sehr befremdlich.” “Ist es wie auf der Flagge von Kanada”, fragt mich der Sohn, und das hat er von mir. Immer schicke Merksätze verwenden, immer alles runterbrechen auf einfache Formeln. “Ja”, sage ich, “ganz eindeutig.” “Na dann”, sagt der Sohn.

Wir sehen uns die Rinde an, es ist eine Platane. Wir sehen uns das Laub an, es ist Ahorn. Der Sohn sagt wir könnten Platanen vielleicht lieber doch später googeln. 

Menschen gehen vorbei und lächeln uns zu. Wie wir da stehen und die Früchte der Bäume sammeln und im Laub stöbern, Vater und Sohn, das scheint ein geradezu lieblicher Anblick zu sein, alle lächeln uns zu. Ich lächele auch und winke, denn man muss das Gute immer verstärken, alte Regel. “Hier liegt auch eine Nuss”, sage ich, “eine richtige Haselnuss.” Die Nuss ist noch im Dings, also in dem grünen Dings, das bestimmt auch wieder einen Spezialnamen hat, den wir aber beide nicht wissen. Wenn man die Nuss aus dem Dings quetscht, dann tritt ungemein viel Wasser aus, das wusste ich nicht. Der Sohn quetscht und fragt, ob man damit irgendwas anfangen könne. Ich googele Haselwasser – umsonst, das gibt es nur als Schnaps, das ist etwas anderes. Aber es klingt sehr gut. Haselwasser, Haselwasser, das ist ein so dermaßen tolles Wort, man müsste etwas auf den Markt bringen mit diesem Namen, es wäre bestimmt ein Erfolg, aber man kommt ja zu nichts.

Ich googele, da ich schon das Handy in der Hand habe, auch gleich die Platane einen Meter weiter. Google sagt, die sei eine “ahornblättrige Platane.” Das ist doch unfair, denke ich, das ist ja wohl total unfair und was kommt denn noch, eichenblättrige Buchen und lindenrindige Ebereschen oder was, das kann man doch nicht alles lernen, wo kommen wir dahin. “Eberesche gleich Vogelbeere”, sagt der Sohn, da habe ich wohl laut gedacht. 

“Du weißt genug”, sage ich, “wir können zurück.”

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Dämlich vor der Tür

Vor ein paar Wochen hat ein Sohn seinen Haustürschlüssel verloren, was bei uns wegen der Sicherheitsschließanlage des Hauses ein größeres Problem ist, das ganz verblüffend teuer werden kann. Der Schlüssel tauchte dann nach ein paar Tagen wieder auf, es war aber bis dahin etwas nervenzerreibend. Kurz darauf schloss der Schlüssel des anderen Sohnes nicht mehr richtig, er klemmte und steckte fest, er ging nur noch, wenn man wild daran herumprobierte, als würde man gerade etwas ungeschickt bei uns einbrechen wollen. In der Woche danach war dann mein Exemplar dran, das Schloss hakte und ging manchmal nicht mehr auf, es wurde unangenehm spannend für mich, nach Hause zu kommen, mal kam ich rein, mal nicht. In den Jahren davor gab es hier nicht ein einziges Mal ein Problem mit irgendeinem Schlüssel.

Ich habe über diese nicht mehr ganz zufällig wirkende Häufung jetzt wirklich intensiv nachgedacht, und ich möchte den wie auch immer gearteten höheren Mächten doch ein wenig beleidigt mitteilen, dass ich die verdammte Türmetapher erstens einfach nicht verstehe, dass ich zweitens für meinen Geschmack nun ausreichend lange darauf herumgegrübelt habe, aber dummerweise einfach nicht darauf komme, wie das korrekt zu deuten ist. Und wenn diese Nummer jetzt im Ernst so etwas ist wie damals im Deutschunterricht das mit Kafka und dem Türsteher da, dann brauche ich jetzt bitte – genau wie damals! – einigermaßen dringend etwas hilfreiche Sekundärliteratur, denn ich stehe offensichtlich gewaltig auf dem Schlauch.

Und so viel steht jedenfalls fest, die Tür ist zu, die ist so etwas von zu, das ist es also nicht.

Ansonsten bin ich mir, Stand Montagnachmittag, noch nicht sicher, ob diese Woche ernst gemeint sein kann. Ich beobachte das weiter, während ich in geradezu unfassbarer Selbstbeherrschung den ersten Lebkuchen der Saison verzehre, nur einen wohlgemerkt, denn das packungsweise Vertilgen von Herzensternenbrezeln ist ernsten Zeiten vorbehalten und siehe erster Satz dieses Absatzes. Es ist kompliziert.

Ich habe das Interview von Günter Gaus mit Golo Mann bis zum Ende gesehen, daraus noch einen schönen Satz: Die Resignation ist eine schwere Versuchung für mich, der ich Widerstand leisten muss.“ Wer kennt es nicht.

 

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Links am Morgen

Die Links sind heute audiolastig, ich habe am Wochenende etwas Hören nachgeholt. Aber erst zweimal Text:

Der Zeit enthoben

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Schwimmende Kamele – ein langer Text, da sollte man sitzen dabei. Aber auch interessante Bilder, falls Sie gerade keine Zeit haben.

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Twitter und Facebook auf Abwegen (Audio)

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Der Mythos vom Verschwinden der Arbeit (Audio)

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Wolfgang Büscher über “Heimkehr” (Audio)

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Ein Interview mit Zoe Beck (Audio)

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Romy Schneider und Michel Piccoli. Hatte ich schon einmal, ich weiß, aber das war eine andere Aufnahme.

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Eine Dankespostkarte

Rückseite

Ich habe zu danken, erstens für die überaus freundliche und dazu auch noch mit viel Aufwand verbundene Zusendung von „On looking“ von Alexandra Horowitz. Das ist Fachlektüre für Menschen, die um den Block gehen. Die Autorin hat ihren Gang um den Block in New York mit etlichen Experten gemacht und versucht, dabei von deren Kenntnissen zu lernen, sie hat sich mit Insektenforschern, Schriftkundigen, Kleinkindern, Ärzten und anderen Profis mehr unterhalten, jede und jeder natürlich mit einem ganz anderen Blick auf das, was da ist. Und darüber wollen wir ja schreiben, ne. Also ich jedenfalls.

Genau passend dazu kamen drei kleine Notizbücher von Field Notes, das sind solche, die in die Innentasche des Sakkos passen. Die sind auch wichtig, denn ohne die kann man ja nicht rausgehen. Also ich jedenfalls nicht. Ganz herzliche Dank für die Sendungen!

Vorderseite

Das Bild ist ein, zwei Wochen alt. Es war deutlich wärmer als es an diesem kühlen Herbstmorgen ist, an dem ich nun schreibe. Es war noch sommerlich da draußen und sommermodisch liefen die Menschen noch herum. Das hat sich mit dem heutigen Tag für Hamburg erledigt und ist nun Vergangenheit, der Sommer 2020 ist passé, been there, done that. Aber an diesem Tag, um den es hier geht – das war noch schönstes T-Shirt-Wetter, da waren die Annehmlichkeiten eines gelungenen Septembers noch überall zu spüren. Über der Schrebergartenanlage hing eine tief entspannte und ruhige Atmosphäre, einige Rosen blühten noch, das war also diese zögernde Stunde, von der man in den Gedichten liest und die Waage war angehalten.

Ich lag auf dem Rasen und sah so vor mich hin, denn ich beschäftige mich in diesem etwas seltsamen Jahr intensiv mit dem Nichtstun. Sie können in Ratgebern zur besseren Lebensführung oft lesen, dass man in jedem Jahr etwas lernen soll, und ich habe beschlossen, mich in diesem Jahr intensiv um Nichts zu kümmern. Also um das Nichts, um die leeren Momente, um die Pausen, um den Weißraum. Kein leichtes Thema, ich weiß, aber ich kann etwas tricksen, denn immer, wenn ich nichts mache, fällt mir etwas ein – und dann schreibe ich das einfach auf und mache dann zwar nicht nichts, aber die Ideen kommen doch aus dem Nichts und das will ich gelten lassen. Man muss sich Regeln erfinden, mit denen man gut leben kann. Wo war ich?

Ich lag da also auf meiner Liege in dieser ausgesprochen milden Nachmittagssonne, als das Eichhörnchen an mir vorbeiging. Das Eichhörnchen, das natürlich eines von vielen gewesen sein könnte, aber ich denke es mir immer als nur eines, als das Eichhörnchen vom Dienst, es ist ein personalisiertes Eichhörnchen. Es verhielt sich an diesem Tag etwas seltsam, denn es ging tatsächlich langsam. Das machen die sonst bekanntlich nicht, Eichhörnchen haben es immer eilig, man sieht sie nur springend, laufend, rennend, rasend, kletternd oder hüpfend, aber so ohne jede Eile schlendernd, das war ungewöhnlich. Es war, so schien es mir, tief in Gedanken. Es ging quer über den Rasen vom Weißdorn zur Weide und nickte mir im Vorbeigehen nur flüchtig zu, es hatte kein Interesse an Smalltalk oder Austausch. Es kletterte gemächlich die Weide hoch, auf der es gar nichts verloren hatte, da es dort nichts Eßbares finden würde. Es setzte sich dort oben aber auf einen Ast und sah weiter ausgesprochen nachdenklich aus, es arbeitete erheblich in seinem Kopf. Ich glaube eigentlich nicht, dass Eichhörnchen oft in Ruhe nachdenken, womit ich der Art aber keineswegs zu nahe treten möchte. Es war einfach ungewöhnlich.

Wäre es nicht schön, fragte ich mich, wenn man das auch könnte. Einfach umstandslos einen Baum hoch, wenn man mal gründlich nachdenken muss, und sich dann alles in großer Ruhe von oben besehen. Wir als Menschen denken ja mehr von unten her und dann auch noch in die Tiefe, der Ansatz ist vielleicht ganz verkehrt?

Ich lag da und sah hoch zum Eichhörnchen, das Eichhörnchen saß oben auf seinem Ast und sah über mich hinweg. Wir dachten uns beide unsere Teile und machten nichts und das Licht im Garten war ausgesprochen golden. An einem der untersten Äste der Weide waren ein paar Blätter, die wurden gerade gelb. Irgendwann sah ich wieder hoch, da war das Eichhörnchen nicht mehr da. Vielleicht aber sah auch das Eichhörnchen irgendwann runter, und ich war nicht mehr da. Wer wird es so genau nehmen.

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Das also auch noch

Ich gehe mit einer Freundin aus, wir gehen in eine Bar. Die Szene spielt noch in den Sommerwochen, bevor Barbesuche in Hamburg auf einmal nicht mehr empfehlenswert erschienen. Hinterm Tresen steht ein ausgesprochen unglücklich aussehender junger Mann in einem grauen Pullover. Ein verwaschener und seltsam konturloser grauer Pullover ist das, eine Jeans trägt er dazu, viel unauffälliger kann man nicht herumlaufen. So werden in deutsche Krimis Nebenfiguren angezogen, die ausdrücklich unbedeutsam sein sollen, die das Hintergrundgeschehen darstellen sollen, die eine halbe Zeile Text bekommen, und das ist dann schon viel. Sie schweigen aber auch oft, so wie dieser Mann da vor uns. Der steht da nur und guckt leidend. In eine Bar scheint er nicht recht zu passen, er wirkt eher so, als hätte man irgendwo anders gerade ausgeschnitten und dann fälschlich hier eingeklebt. Collagentechnik, so etwas macht man in der Schule irgendwann in Kunst, Verfremdungen, und manchmal ist das dann lustig.

Ich möchte mich darüber aber nicht lustig machen, keineswegs. Ich erzähle das nur, weil es war. Ich habe alles im Kleiderschrank, um das Outfit dieses Mannes täuschend echt nachzustellen. Und ich würde, je nach Tagesform, auch seine Ausstrahlung ganz gut hinbekommen, so viel schauspielerisches Selbstbewusstsein darf gerade noch sein.

Meine Freundin bestellt zwei Heißgetränke. Der Mann guckt betroffen. Heißgetränke, was soll ich noch alles machen, so sieht sein Blick aus. Meine Freundin macht etwas, was ich niemals tun würde, aber es wirkt bei ihr ganz natürlich, vielleicht auch ein wenig ironisch mütterlich, jedenfalls aber naheliegend. Sie beugt sich nämlich vor und fragt besorgt: „Ist es schlimm für dich, dass du das jetzt machen musst?“

Die Frage ist vollkommen berechtigt, so wie der eben noch geguckt hat. Der Mann ist jetzt aber beleidigt und guckt nicht nur unglücklich, sondern auch noch gekränkt. Unsere Heißgetränke macht er dennoch, widerwillig und langsam.

Er schiebt uns die Getränke hin, dann steht er wieder leidend da und guckt unbestimmt in die Gegend. Ein anderer Gast bestellt ein Bier bei ihm und da nickt er gottergeben, ja, ein Bier, ihm bleibt wirklich nichts erspart. Er sieht auf seine Uhr, der Abend ist noch lang.

Vor vielen Jahren, das war noch im letzten Jahrhundert und auf den Bürotischen lagen morgens also Zeitungen neben Aschenbechern, hatte ich im Büro mal eine Kollegin, die sang hinter ihrer Schreibmaschine oft leise vor sich hin. Man verstand es nur, wenn man direkt neben ihr stand, es war eine Art Mantra, wenn auch in Frageform: „Warum nur, warum muss alles so sein?“ Immer wieder sang sie das, ein fast tonloses Geträller für Eingeweihte. Und es war etwas im Blick dieses Mannes in der Bar – das Fragemantra fiel mir auf einmal wieder ein, ich hatte es längst vergessen. Warum ist es nur so und ist es schlimm für uns. Naheliegende Fragen.

Pardon, dieser Text hat gar keine Pointe, merke ich gerade. Warum nur, warum?

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