Ich stelle mir vor – Anmerkungen zum quintessentiellen Schreiben

Seine eigenen charakterlichen Vorzüge sollte man nur selten oder gar nicht in Texten erwähnen, und wenn man es aus wie guten Gründe auch immer doch tut, sollte man die Gelegenheit nutzen, sie gleich zu hinterfragen. So bin ich, diese Erwähnung gestatte ich mir auch nur, weil sie gleich zum eigentlichen Inhalt führen wird, weitgehend neidlos was den Besitz oder das Vermögen anderer Menschen betrifft; es mag aber sein, dass diese Neidfreiheit nur ein Mangel an Vorstellungskraft ist. Vielleicht fehlt mir schlicht die Fantasie, mir die Vorzüge einer Villa im Grünen gründlich genug auszumalen, vielleicht fehlt mir nur die Kreativität, auf immer andere Arten des Geldausgebens zu kommen, diese vorfreudig herbeizusehnen und dann auch schwelgend zu genießen, vielleicht ist meine Bescheidenheit also im Grunde etwas dumpf. Das ist selbstverständlich möglich, deswegen will ich mit dieser Neidlosigkeit keinesfalls angeben, ich nehme sie nur einfach zur Kenntnis wie andere Eigenarten auch, etwa meine völlig unspektakuläre Neigung zum Mittagsschlaf. Das ist eben so bei mir.

Ich erwähne den Neid hier nur, weil er mich bei einem Thema dann doch umtreibt, weil ich wieder und wieder daran denke und darauf herumdenke, weil ich mir den Kopf zerbreche und zugeben muss, dass ich bei einem Thema gerne etwas erreichen möchte, das ich wohl nicht erreichen kann, was andere aber in diesem Bereich durchaus können, und das ist dann wohl Neid. Nicht auf Besitz, aber doch auf ein Können. Und zwar geht es mir da um das quintessentielle Schreiben. Damit meine ich diese summarischen Listen, die manche Menschen in ihren reiferen Jahren verfassen und die in reichlich durchdachten Zeilen eine Art Bilanz dessen darstellen, was sie erkannt und durchdrungen haben. Manche schreiben das als Rat für die Kinder auf, für die Nachwelt ganz allgemein, manche halten Reden im Tedx-Stil oder bei Abschlussveranstaltungen an Universitäten. Es ist beliebt, die Schlüsse zu nummerieren und dabei auf eine als schön empfundene Zahl zu kommen, etwa zehn goldene Regeln für dieses oder jenes. Und die liest oder hört man dann so und denkt sich, alter Schwede, das ist mal gut. Und durchdacht und weise und angemessen, das ist ja überaus respektabel. Natürlich denkt man das nicht in jedem Fall, ganz und gar nicht, aber manchmal eben doch und das sind dann die Fälle, da sitze ich davor und will dringend auch. Und kann doch nicht.

Ich will auch, weil ich immerhin zwei Söhne als sinnvolle Empfänger für so etwas habe. Ich habe außerdem ein gewisses Alter, ferner beschäftige ich mich beruflich mit dem Schreiben, mit Kolumnen gar, ich müsste doch nach all den Jahren als Mensch, Vater, Autor auch etwas …

Und dann stelle ich mir vor, es käme eine Anfrage. Ich soll bei einer Abschlussveranstaltung vor Studentinnen der Fachrichtung XY also eine Rede … und da wird mir spontan schon mulmig zumute. Nicht wegen des Publikums, das könnte ich ab, soviel Rampensau muss sein. Nur wegen der Inhalte. Was habe ich jungen Leuten denn zu sagen, was wirklich wichtig ist, fundamental und durch und durch von Bestand? Ich sitze und komme auf nichts.

Ich stelle mir vor: Ich habe einen ganzen Sonntag Zeit, einen ganzen grauen Wintersonntag lang. Er ist vollkommen terminfrei und steht mir vollkommen zur Verfügung, niemand stört, die Familie ist ausgeflogen, niemand ruft an oder whatsappt. Ich bin alleine und denke in aller Ruhe über ganz große Dinge nach, ich schreibe einige Zeilen am Testament oder so etwas in der Art. Ich nehme schließlich ein Blatt, denn großes Denken fühlt sich in Handschrift gleich noch viel grundsätzlicher an, und will endlich, endlich doch einmal meine Ratschläge für die Söhne aufschreiben. Sagen wir zehn, das machen andere ja auch so, man muss nicht immer alles neu erfinden.

Ich gestatte mir nach reiflicher Überlegung einfach meine eigene Furcht vor dem Thema nicht mehr, ich nehme es nicht mehr hin, dass mir ad hoc nichts einfällt. Ich setze mich an den Tisch und schiebe Blatt und Füller zurecht, ich warte ein wenig, denn ich habe ja Zeit. Stundenlang! Ich mache mir einen Kaffee oder einen Tee, ich setze mich bequem. Ich nehme dennoch dabei Haltung an, ich mische Bequemlichkeit und Haltung, wie es mir angemessen erscheint, ich denke in komfortabler Position nach. Ich denke und grüble und zermartere mir das Hirn und lasse dann aber wieder los, ich gehe um den Block und betrachte die Sache dabei wieder gelöster, man hat ja so Tricks und Werkzeuge, man ist ja längst kein Anfänger mehr.

Ich frage mich unentwegt, was wirklich und wahrhaftig Bestand hat. Was für das Leben wichtig war und ist, was wahr ist und bleibt, was auch der nächsten Generation noch nützen kann. Was ich erkannt und verstanden habe.

Ich stelle mir vor, dass ich nicht nachsehe, was andere da geschrieben haben, jetzt nicht mehr. Ich habe nicht einmal einen Browser am Computer geöffnet, stelle ich mir vor, nein, noch besser, das Gerät ist nicht einmal an. Jetzt zählt nur noch mein eigenes Hirn, ein Abschreiben wie in der Schule ist heute nicht mehr statthaft. Hier geht es ja um etwas, das ist keine beliebige Albernheit. Ich stelle mir immer weiter vor, wie ich da sitze und denke und aus dem Fenster sehe, dann wieder auf das leere Papier. Wie ich durch das Wohnzimmer gehe und auch einmal in die Küche, wie ich in den Kühlschrank sehe und mich sofort zur Ordnung rufe und wieder hinsetze, denn ich habe mich soweit im Griff und falle nicht mehr auf alles herein. Ich stelle mir vor, wie ich den Füller in die Hand nehme und mir ernsthaft denke, dass ich tatsächlich etwas schreiben muss, dass Ausflüchte keinen mehr Sinn haben, dass es etwas geben muss und dass die größte Hürde das erste Wort ist, danach wird es schon gehen, danach geht es doch immer. Was ist wichtig? Was ist wahr?

Ich stelle mir vor, dass ich den Füller gegen eine Feder tausche und also ein Tintenglas öffne, das ist noch so ein Trick. Einfach mal am Werkzeug herumspielen, manchmal bringt das nämlich etwas. Ich stelle mir vor, wie ich die Feder in die Tinte tauche, wie ich mich noch einmal entschlossen zusammenreiße. Wie ich schließlich eine Schönschrifteins auf das Papier zeichne, daneben ansetze und endlich einen ganzen Satz formuliere.

Ich stelle mir vor, wie ich gleich danach zweifelnd aufstehe und unzufrieden herumgehe, wie ich an die Decke gucke und dann sinnend auf das Bücherregal. Ich stelle mir vor, wie ich mir eine Jacke anziehe und lieber noch einmal runter an die Alster gehe, in der Hoffnung, dort auf weitere Ideen zu kommen, auf überhaupt irgendwelche Ideen.

Ich stelle mir vor, wie ich die Wohnung verlasse und abschließe, wie das Blatt Papier mit dem einen Satz da weiterhin auf dem Tisch liegt. Und weil ich mir ja vorstellen kann, was immer ich will, lasse ich mein nur vorgestelltes Ich aus der Wohnung gehen und sehe mir aus einer anderen Ich-Perspektive – es ist kompliziert! – das Blatt jetzt genauer an. Ich beuge mich darüber und lese den Satz, auf den mein vorgestelltes Ich da mit erheblicher Mühe und nach langer Zeit gekommen ist. Ich lese den Satz, er lautet: “Erst aussteigen lassen.” Ich hebe die Augenbrauen und sehe aus dem Fenster. Ich sehe mir sachte kopfschüttelnd selber nach, wie ich da immer weiter grübelnd runter zur Alster gehe.

Und sehen Sie, genau deswegen fange ich mit solchen Listen gar nicht erst an.

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Mehrere Jahre schön

Es blinkt

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Ich habe den Böll durchgehört, bei dem ich doch mehr und mehr Probleme mit der Stimme von Heinz Baumann hatte, weil das nun einmal eine dermaßen markante Stimme ist, dass man ihn dauernd spielend vor sich sieht, was aber bei den Ansichten eines Clowns gar nicht mal so rollenkonform ist.  Danach das “Kalte Herz”, das Herz von Marmelstein, wie es im Text heißt, vom ollen Hauff, denn mir ist gerade nach kürzeren Stücken (gelesen von Dieter Eppler). Das Kalte Herz war interessant, weil es sich in der Erinnerung beim Hören so abspulte, dass ich dem Text jeweils einen kleinen Abschnitt voraus war, die ganze Geschichte aber nicht bis zum Ende hätte aufsagen können. Als es begann, na klar, da wusste ich wieder, wo das Glasmännchen auftritt, wo der Holländer-Michel und wie – aber eben immer nur so zwei Seiten voraus, also wenn es ein gedrucktes Buch gewesen wäre. Erinnerung ist doch eine höchst merkwürdige Funktion.

Jetzt die “Halligfahrt” von Storm, gelesen von Sven Görtz, da geht es über Rungholt, das ist auch schön. ich räume jetzt bei Spotify einige Geschichten und Novellen ab, die langen Stücke fühlen sich schon wieder wie eine Terminserie an, das gilt es zu durchbrechen.

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Apropos Erinnerung, ich habe neulich über diese plötzlich erinnerte Schulstunde geschrieben, in dieser Reihe kam mir gerade ein Stück Waldweg in den Sinn. Vor etwa 25 Jahren bin ich dort entlang gegangen, es war kein spektakulärer Spaziergang und es gab kein spektakuläres Ziel, es war einfach ein gewöhnlicher Nachmittagsgang mit Hund, aber zack, jeder Ast war wieder da, jede Pfütze auf dem Pfad, jede Wolke am Himmel, ein Erinnerungsblubb erster Klasse, das perlte einfach irgendwann so nach oben. Ich könnte nicht einmal ansatzweise benennen, warum mir das einfiel, dieses Wegstück da im Wald vor Hamburg. Es ist im Grunde ein Knaller, man möchte sich dauernd selbst belauern und abwarten, was da alles noch so kommt. Nein, möchte man nicht. Na, es ist so gemischt.

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Weil die Herzdame neuerdings bei der Hamburger Messe beruflich waltet, gehe ich da jetzt öfter hin, gehen wir künftig alle öfter hin, nehme ich an. Da können wir uns Sachen begucken, die außerhalb unserer Interessen liegen, das ist ab und zu auch mal gut, sagt man. Und in meiner Komfortzone kamen bisher z.B. keine Kristalle vor.

Weswegen wir also auf der Mineralien-Messe waren, auf die Idee wären wir sonst kaum gekommen und ich habe auch eine Weile nachgedacht, mache ich das wirklich? Steine ansehen? Echt jetzt? Aber schließlich habe ich doch dem Neuen eine Chance gegeben, dem Abwegigen und dem Exotischen.

Schon beim Reinkommen war dann klar, diese Messe war erheblich größer als ich dachte, ein Riesending, es ist wohl auch deutschlandweit oder europaweit eine Nummer von Rang, auch mit internationalem Publikum. Das ahnt man ja nicht! Im Publikum fielen mir einige Menschen mit etwas bunterer Kleidung auf, als es dem gedeckten Hamburger Winterdurchschnitt entspricht, das habe ich erst nicht verstanden. Bis mir klar wurde, dass die Heilsteinfraktion bei so etwas auch vertreten ist, da gibt es also eine Schnittmenge zur Esoterikkundschaft und die leuchtet dann da so bewusstbunt aus der Masse heraus. Daneben die Interessenten für Fossilien, das dann eher Nerd-Typen im ehrwürdigen Lateinlehrerlook, außerdem die Schmuckpartei in geschäftlich seriöser Gewandung. Es brauchte eine Weile, diese Mischung zu verstehen, aber ich finde Publikum immer interessant. Viele Kinder waren da übrigens, es gab auch Kinderprogramm in der Messehalle und gar nicht so schlecht. Das kann ich gleich als vielleicht überraschenden Tipp einbauen (keine bezahlte Werbung, nein), da kann man mit Kindern gut hingehen, das funktioniert bestens.

Ich kann das an den eigenen Söhnen belegen, die eher desinteressiert da reingrummelten und dann nach etwa einer halben Stunde zusehends auftauten. Was vor allem an den zahlreichen Drusen lag, die man da an einigen Ständen auch mit interessanten Maschinen knacken konnte, Überraschungseier in ganz unerwarteter Version und mit Inhalt, der manchmal nach märchenhaftem Reichtum aussah. Nach einer Stunde konnten die Söhne schon etliche Halbedelsteine benennen, das Expertentum wächst einem in dem Alter noch im Vorbeigehen zu, es ist immer wieder faszinierend.

Da lagen auch Exponate, die ich in dieser Art noch nie gesehen hatte, irre Farben und Formen, Natur ist doch immer wieder krasses Zeug. Ein Riesenstück, “The flower of Urugay”, war ein Wahnsinnsamethystgebilde wie aus einem Fantasyfilm, geradezu unglaubwürdig riesig und bunt, ein Stück von einem Film-Set, ausgedacht von durchgeknallten Designern, so hätte man wetten können. Diese Riesendruse wurde dort separat vorgeführt, mit Showcharakter und Soundtrack und allem. Das hätte es aber nicht gebraucht, das Ding war an sich bizarr genug. So ein Gebilde wird im Grunde schon dadurch verkitscht, dass man es zeigt, der eigentliche Knaller ist doch, dass es so etwas überhaupt gibt, dass so etwas im Ernst vorkommt. Dass so etwas irgendwo da draußen herumliegt, irgendwo im Dunkeln funkelt, dass so etwas möglich ist. Sobald man das in eine Messehalle trägt, wirkt es irgendwie gemacht und inszeniert. Dabei ist es nur geworden, was doch wesentlich mehr Würde hat.

In einer Vitrine lag auch mein Lieblingsstück, ein aus Bernstein gedrechselter Füllfederhalter aus einem vergangenen Jahrhundert, bei dem auch Sohn II befand: “Den kann man bestimmt mehrere Jahre schön finden.” Der war aber gänzlich unverkäuflich. Schwein gehabt!

Eine heilsteinkundige Verkäuferin wies uns auf die beruhigende Wirkung von Amethyst hin, Amethyst am Bett, so sagte sie, das würde schon wirken! Ich hatte kurz lebhafte Wahnvorstellungen von großen Amethystbrocken, quasi als Leckstein neben den Kopfkissen der Söhne angebracht, denn Schlaf ist hier gerade so ein Thema.

Ich musste aber keinem Kind etwas aufdrängen, die entwickelten ganz unbeeinflusst lebhaftes Kaufinteresse, hatten interessante Feilsch-Erlebnisse mit ihnen weit, weit entgegenkommenden Messeverkäufern kurz vor Schluss der Veranstaltung und was soll ich sagen, wir gingen mit erstaunlich viel Gewicht nach Hause und im Kinderzimmer funkelt es jetzt erheblich.

Ob nun der Amethyst an sich wirklich beruhigend ist, ich weiß es nicht und habe Zweifel. Aber abends so in das glimmende und seltsam bewegliche Funkeln zu gucken, wenn nur noch ganz wenig Licht im Kinderzimmer ist, fast gar keines mehr, wenn nur so der eine und eher hauchfeine Strahl von der Lampe im Flur noch etwas mit den Kristallen anrichtet, das gerade eben noch zu erkennen ist – das beruhigt jedenfalls auch, wie hier schon erfolgreich bewiesen wurde.

Vermutlich wirkt das natürlich nur zwei bis fünf Tage lang, aber hey – bei Schlafmangel ist man irgendwann über jeden kleinen Erfolg froh.

Druse übrigens, ein Wort, das ich zwar auf Anhieb verstanden habe und auch korrekt zuordnen konnte, das ich aber vermutlich doch nicht im aktiven Wortschatz spontan parat gehabt hätte. Auch habe ich das über Jahre nicht gehört, über viele Jahre vermutlich nicht. Und dann komme ich nach der Messe nach Hause, werfe mich mit Rühmkorfs Tagebüchern aufs Sofa, schlage auf und lese dort wie folgt: “ “Die große Druse Nacht, ich steif wie ein Kristall in meinem Bett.”

Manchmal ist es schon schön im Freundeskreis Zufall. Was mir übrigens ernsthaft fehlt: Eine App, mit der ich im Werk einer Autorin oder eines Autos schnell nach einem bestimmten Begriff suchen kann. Mal eben so den ganzen Benn durchflöhen, ob da nicht vielleicht irgendwo die Amaryllis vorkommt. Oder den Rühmkorf nach Rungholt befragen, so in der Art. Wobei das klassische Durchblättern auch reizvoll ist, ja, ja, schon gut, ich grüße auch Leserinnen aus der Analogfraktion.

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Wir haben das nie gesagt

Ich habe erneut zu danken, denn wir haben Pflanzensamen aus Portugal zugeschickt bekommen, viele sogar! Außerdem ganz außer der Reihe ein Dank an die Trinkgeldgeberin gestern mit den herzwärmenden Komplimenten, die haben mir nämlich heute den Tag gerettet, das aber auch gründlich. Merci bien!

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Ohne jeden erinnerbaren Anlass fiel mir neulich auf, dass niemand mehr Apfelsinen und Pampelmusen sagt, und weil ich ja alles gleich nachschlage, weiß ich jetzt, dass das -sine in der Fruchtbezeichnung von China kommt. Wieder was gelernt! Chinaäppel sind das quasi. Im Grunde klingt es ja interessanter als Orangen, aber irgendwie auch uncool, zugegeben. Und Pampelmusen, das habe ich nicht gewusst, sind gar keine Grapefruits, sondern Grapefruits sind eine Kreuzung aus Pampelmuse und Apfelsine. Wie isses nun bloß möglich! Man kauft ja ganz falsch ein!

Wenn ich mich richtig erinnere, was natürlich zweifelhaft ist, denn man erinnert wie man will, wie man einmal gewollt hat und wie es einen gerade umtreibt, dann war zu der Zeit, als in der Fernsehwerbung für Saft noch der leibhaftige Onkel Dittmeyer aus dem Grün der Plantage sprang, um kleine Kinder belehrend anzureden, noch von Apfelsinensaft die Rede. Aber das ist lange her.

Apfelsine. Wenn man länger über das Wort nachdenkt, wird es immer seltsamer, und wenn ich es oft genug wiederhole, gucken die Söhne schon wieder mit diesem besonderen Blick zu mir rüber. Apfelsine. Am Ende haben wir das alle nie gesagt. Und Pampelmuse, also wirklich. Das kann eh nie ernst gemeint gewesen sein.

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Der Weihnachtsmann, ich möchte niemandem unnötig Hoffnung machen, zog gestern am frühen Abend mit erheblicher Schlagseite durch die allgemein als etwas anstrengend empfundenen Straßenzüge unseres kleinen Bahnhofsviertels. Er grummelte unverständlich vor sich hin, rauchte und hielt eine Flasche Bier in der Hand, die er überraschend sorgsam vor einer Kneipe für Menschen mit überdurchschnittlicher Tankkapazität abstellte, bevor er schwankend die drei Stufen zum Schankraum hinunterstieg und dort die Tür öffnete. Ob das noch etwas wird bis zum 24.?

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Musik! Jasper Steverlinck.

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Trinkgeld November, Ergebnisbericht

Ich hatte noch eine Zuweisung mit farblichem Betreff, denn die Leserinnen sind ja kreativ, was das angeht. Umgesetzt habe ich bisher nur die Farbe Gelb, wenn auch ehrlicherweise in etwas, das bei genauerer Betrachtung höchstens als chamois durchgeht, drei kleine Notizbücher von Field sind das geworden. Wenn auf Sohn II und mich gerade keiner aufpasst, kaufen wir nämlich unentwegt Notizbücher, es ist daher doch ganz gut, dass es so etwas wie die Ganztagsschule und Büros gibt, da sind wir für eine Weile in Sicherheit.

Passend zu diesem Posten ging auch etwas Geld in Schreibwerkzeug aller Art, denn die Bücher müssen natürlich befüllt werden, wozu wir mit einiger Dringlichkeit Kalligraphiefüller und Fineliner und Rollerballdinger und so etwas brauchen. Habe ich erzählt, was der Arzt fand, als er den Gips um die rechte Hand von Sohn II nach drei Wochen wieder öffnete? Ein Füller fiel ihm entgegen, das erlebt er auch nicht jeden Tag, Der Sohn sagte nur: “Man braucht überall welche”, und so ist es ja auch.

Ich habe ferner nach längerer Pause mal wieder in eine Foto-App auf dem Smartphone investiert, in eine, die nicht so fummelig ist, Really Nice Images heißt sie und ich habe sie bisher zu wenig getestet, um sie schon guten Gewissens empfehlen zu können. Sie ist auf jeden Fall schlicht, das ist schon einmal gut, das wollte ich so.

Das Buch des Monats war TABU II, also das Tagebuch von Peter Rühmkorf, das wurde hier bereits erwähnt. Es gab aber auch ein E-Book, welches ungeheuer gut in die Saison passt, nämlich “How to do nothing” von Jenny Odell. Man soll sich ja da weiterbilden, wo man thematisch nicht eh seit Jahren zuhause ist, nicht wahr.

Weiter war ich schon wieder im Theater, fand das Stück aber so grauenvoll grottenschlecht, dass ich nicht einmal Lust hatte, auch nur eine abschätzige Zeile darüber zu schreiben. Ich mag eh keine Verrisse, es gibt bei weitem genug Häme im Netz, da fehlt mein Anteil sicher nicht. Ich nehme aber als Lehre des Abends immerhin mit, dass meine Aversion gegen gewisse Institutionen des Hamburger Theaterlebens aus meiner Sicht, und nur um die geht es, nach wie vor völlig berechtigt ist und ich also gewisse große Häuser auch künftig einfach auslassen kann. Und das ist auch eine Erkenntnis, die spart sogar Geld. Positiv gesehen könnte ich andere Häuser dafür ja öfter aufsuchen, fällt mir gerade auf. Manchmal denke ich etwas langsam, pardon.

Die Söhne gingen im November leer aus, da wird aber ein Betrag zugunsten eines Weihnachtsgeschenks in den Dezember transferiert, denn nach alter und ausgesprochen schöner Tradition liegt hier immer etwas von den Leserinnen und Lesern unter dem Tannenbaum, ich werde dann berichten.

Es ist nicht alles ausgegeben worden, es ist noch Geld übrig, etwa für den Weihnachtsmarkt, das gedenken wir heute gründlich umzusetzen. Ja, mach nur einen Plan!

Ich sehe gerade die Betreffliste durch, das ist immer ein großer Spaß, da ist zum Beispiel noch etwas für den Garten, für “etwas mit Wasser”, für den Herbst (verpasst, es ist plötzlich schon Dezember, das bleibt also liegen bis zum nächsten September), für Schabernack, für Unsinn und Verwegenes, für Blogsport und mehr – Sie sehen, es gibt da noch Einsatzmöglichkeiten, die ich im November leider aus zeitlichen Gründen nicht auflösen konnte. Aber ich finde, das macht nichts. Vergessen wird hier nichts, alles ist wohl eingetütet und wird bei passender Gelegenheit zielsicher ausgespielt, und wenn es Monate oder gar Jahre dauert. Über Schabernack etwa muss ich sicher lange nachdenken, ich bin natürlich zu seriös für so etwas. Echtjetztmal.

Wie immer, ganz herzlichen Dank für jeden eingeworfenen Euro und auch für jeden Cent, danke auch noch einmal für die beiden Sendungen per Post! Weltbeste Leserinnen, ich freue mich über jeden einzelnen Betrag wie Bolle, aber das wissen Sie ja.

Apropos Bolle, bei dem Rühmkorf fand ich eine Erwähnung des Supermarktes Bolle, den es früher in Hamburg gab, das hätte ich ohne dieses Buch glatt komplett vergessen. Lesen ist super. “Ich gehe mal zum Bolle”, Sätze aus der Steinzeit.

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Aber schön war er schon

Vorweg ein Dank in die Runde der Leserinnen und Leser, es haben uns zwei Sendungen erreicht. Gartenkalender waren darin und ein Anzuchtset für “flippiges Gemüse”, ich finde, das passt ausgezeichnet zu uns. Herzlichen Dank!

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Im Wartezimmer, in dem ich wegen eines Sohnes sitze, nicht wegen eigener Probleme, fasst mir ein anderes Kind, vier Jahre wird der Junge etwa alt sein, unaufgefordert sein Lieblingsbuch zusammen. Er hat das schon oft gelesen, denn er ist oft in dieser Praxis und er lässt es sich jedesmal vorlesen, wie ich dem Gespräch zwischen ihm und seiner Mutter entnehme, immer wieder nur dieses Buch, die Mutter lacht etwas gequält. Ich kenne das Buch nicht, es kam in unserem Kinderzimmer nicht vor, aber die Zusammenfassung des Jungen ist schon einmal herausragend und vielleicht reicht das ja auch einfach so, eine bündige Geschichte, über die man mal nachdenken kann, der Literaturschnipsel des Tages:

“Es war einmal ein Regenbogenfisch. Der hatte keine Freunde, aber schön war er schon.”

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Nachzureichen ist noch, dass ich neulich mit einem Sohn in der Kunsthalle war, in der es gerade eine Impressionismusausstellung gibt. Das war eine völlig verfehlte Unternehmung, da wir beide schlecht gelaunt waren, insofern kann ich nicht recht beurteilen, wie die Ausstellung ist, wir waren eher mit der Stimmung in uns, nicht mit der auf den Gemälden beschäftigt, wobei letztere doch schöner gewesen wäre. Na, man macht Fehler. Erwähnenswert aber, dass uns ein Bild im grummeligen Vorbeigehen besonders auffiel, der Sohn fragte knurrend, wer das gemalt habe: “Manet!” Ein paar Meter weiter ein anderes, der Sohn fragte, wer das gemalt habe: “Monet!” Und dann die nachvollziehbare Enttäuschung, dass das nächste Bild nicht von Minet oder Munet war.

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Ich habe gestern zwischen zwei Vorhaben zehn Minuten auf dem Sofa gesessen und die Meisen auf dem Balkon beobachtet, wie sie da an den nach ihnen benannten Bällen herumturnten. Mir fiel auf, was nur auffällt, wenn man länger hinsieht, nämlich wie irrsinnig unentspannt diese Vögel sind, wie hektisch, unruhig, gestresst, getrieben, flatterhaft und angespannt sie wirken. Wie felsenhaft ruhig man als Mensch auf dem Sofa dagegen wirkt, egal, wie getrieben man gerade ist, man bewegt sich doch mit großer Sicherheit weniger, man ist im Vergleich, also nur im Vergleich, versteht sich, doch gelassen wie eine Buddha-Statue im Vorgarten.

Das jedenfalls war der entspannte Moment der Woche, es ist eben alles relativ.

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Der Trinkgeldbericht zum November folgt in Kürze

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Und hier selbstverständlich noch der durch den Titel ausgelöste Ohrwurm.

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Entgleisungen

Der Tag ist mir seltsam entgleist und verlief ganz und gar nicht wie vorgesehen, heute daher nur eine Beobachtung im Vorübergehen, heute nur schnell ein junger Mann für Sie.

Der steht vor dem Hauptbahnhof, wo die Menschen stehen, denen noch viel mehr entgleist ist als nur ein Tag, und er ist erkennbar fortgeschritten alkoholisiert. Er dreht sich mit halb geschlossenen Augen auf der Stelle im Kreis, nicht allzu schnell, denn das würde sich mit dem Promillegehalt im Blut nicht vertragen. Er hat die Arme weit ausgebreitet, so kreiselt es sich wohl etwas besser in stark schwankendem Gelände. Er dreht und dreht und deklamiert dabei in leicht breiiger Ausdrucksweise: “Ich bin ein Rap-per …” wobei man sich das nicht allzu flott gesprochen vorstellen darf, eher im Gegenteil, und die Pause zwischen den letzten beiden Silben ist geradezu herausfordernd lang, die beiden Ps kennen sich nur von ferne. Der Mann dreht sich weiter und denkt vermutlich dabei nach, intensiv denkt er nach, bis er seinen Text endlich nach mehreren Umdrehungen mit einem nicht ganz astreinen Reim, fortsetzt, den man im Rap-Kontext aber locker wegstecken kann: “… und liebe Hamburger Wet-ter.”

Dann schließt er die Augen ganz, hebt das Gesicht zum lichtgrauen Himmel und dreht sich nur noch stumm. Sicher wartet er auf die Inspiration für weitere Verse, so viel Zeit habe ich aber heute nicht, ich muss weiter. Ich bin ein vielbeschäftigter Familienvater und kann mich nicht nebenbei auch noch wertschätzend um so besinnliche und zeitlich herausfordernde Künste wie etwa Deutsch-Rap kümmern, das ist eher etwas für jüngere Menschen mit Tagesfreizeit.

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Beleidigte Ringeltauben und Krähengeschwätz

“Bei den Eskimos gibt es einen Brauch, bei dem man seinen Ärger ablässt, indem man in gerader Linie durchs Land läuft, bis einen die Empfindungen verlassen haben, die Stelle, an der der Ärger überwunden ist, wird mit einem Stock markiert, der das Ausmaß oder die Dauer der Wut bezeugt.” (Zitiert nach Rebecca Solnit, die wiederum Lucy R. Lippard zitiert in “Wanderlust – Eine Geschichte des Gehens”, Deutsch von Daniel Fastner.) Das stelle ich mir schon seit Tagen vor, wie ich hier irgendwann im Dezember aus der Wohnung stürme und immer geradeaus gehe, bis mich die Empfindungen der Wut und der Unzufriedenheit mit diesem seltsamen Jahr irgendwann verlassen haben, wie ich dann schließlich dort nach beträchtlicher Wanderung einen Stock in die Erde ramme –  und die Leute, die da an der Stelle vorbeikommen und den Stock sehen, die sprechen sämtlich schon Dänisch.

Andererseits kann ich so etwas aber auch wie gewohnt vor einer Tastatur verarbeiten, nehme ich an.

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Am Abend begegnet mir in der Wohnung ein Sohn, der nur einen Strumpf anhat, was ihn überhaupt nicht zu stören scheint und was er auch nicht zu ändern gedenkt. Nun geht mich das gar nichts weiter an, ob das Kind einen oder zwei Strümpfe anhat, es kann hier selbstverständlich jeder nach seiner Fasson Strümpfe tragen, aber faszinierend ist doch, wie sehr die Empfindung einer schier unerträglichen Ungleichheit und Asymmetrie einfach durch bloße Ansicht in mir zu gären beginnt und mir schon die Vorstellung, ich könnte selbst auch nur einen Strumpf anhaben, stundenlang sogar, seelisch ernsthaft zu schaffen macht, also im Ernst, es kann doch der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn die Kinder sich nicht richtig anziehen können. Man macht was mit.

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Ich habe im letzten Text etwas über plötzlich auftretende Erinnerungen geschrieben, passend dazu fiel mir gerade Sarah Kirsch in die Hände, “Krähengeschwätz”, ich zitiere: “Eines Nachts, als der Vollmond erglühte, später sein Licht weit in die Ebene goss, unaufhaltsam, auch mir ins Gesicht schien, und ich im unruhigen Halbschlaf überlegte, wie ich dem Esel sein Schrot darreichen könnte, ohne dass die zahlreicher werdenden Schafe sich daran vergriffen, da sah ich plötzlich die Pferde der Kindheit aus der Vergessenheit treten mit ihren Namen, den umgehängten Futterbeuteln, das Maul darinnen nach vierzig Jahren.” Solche Zeilen versteht man mit jedem Jahr besser.

Es ist überhaupt schön, einmal wieder die Prosa von Sarah Kirsch zu lesen, sich noch einmal etwas mehr Natur in den Wortschatz zu schaffen und es weiter anzupeilen, auf ihre Art, so in etwa zumindest, schrullig zu werden. Der Mensch braucht Ziele, ich sage es immer wieder. Beim Lesen der Kirsch sitzt ungeheuer passend eine Ringeltaube auf dem Balkongeländer und guckt so dermaßen beleidigt und enttäuscht, passiv-aggressiv gurrend ins Wohnzimmer, gleich springe ich auf und streue ihr reichlich Futter hin, das ist dann so die Versöhnung mit dem Draußen im Advent.

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Ladies and gentlemen, Martha Wainwright.

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Aus der Kreidezeit

Es ist bekannt, dass man sich mit dem Älterwerden auf einmal wieder an längst verschüttete Begebenheiten und Gefühlszustände erinnert, dass dies teils auch völlig unvermittelt und in beeindruckender Bildfülle geschieht. Nicht bekannt ist vielleicht, in welch schmerzhafter Intensität das stattfinden kann. So habe ich beim Lesen, nein, beim Hören des Professors Unrat einfach durch herumgaloppierende Assoziationen eine geradezu beängstigend real wirkende Rückblende zu einer Mathestunde erlebt und auf einmal wieder einen Tafelzirkel unangenehm deutlich in der Hand gehabt. Kennen Sie die Dinger noch, diese unhandlichen Riesenteile, mit denen man da korrekte Kreise beträchtlicher Größe ziehen sollte und die so leicht abrutschten, die man aber andererseits auch beim Herumtoben ganz gut als Waffe einsetzen konnte, wenn der Lehrer nicht im Raum war jedenfalls? Und daneben das Geodreieck in ähnlicher Größe, natürlich auch als Schild geeignet?

Ich habe also absurd deutlich gespürt, wie dieses Ding sich an der Tafel anfühlte, ich habe gesehen, wie die schlecht abgewischte Tafel aussah, Kreideschlieren von vor zig Jahren, was man alles so abgespeichert hat. Ich habe dabei aber auch den Klassenraum hinter mir gerochen, erschütternd überzeugend mit einem leichten Anflug von nassem Tafelschwamm und Lehrer-After-Shave. Die 7. Klasse war das, weit über 30 Kinder damals, entsprechend auch die Luft im Raum, schon fast ranzig zu nennen, dazu noch die schnatterhafte Geräuschkulisse wieder im Ohr gehabt und das Körpergefühl erlebt, die Größe, bzw. eher das Kleinsein, und überhaupt alles so unfassbar präzise vor mir gesehen und wahrgenommen, bis zu den Pausenbrotkrümeln auf dem Boden, wirklich absurd, Drogen überhaupt nichts dagegen.

Ob man sich aber ausgerechnet daran so deutlich erinnern will, an eine Mathestunde bei Herrn W. in der 7., an sein sardonisches Grinsen, wenn man wieder einmal etwas nicht gewusst hat, das fragt ja keiner, das muss man dann einfach so hinnehmen, bitte sehr, eine randomisierte Auswahl aus dem Speicher, nimm das.

Ich weiß jetzt jedenfalls auch wieder, welchen Pullover Martina in der zweiten Reihe in dieser Stunde angehabt hat, ich könnte das Muster aufzeichnen, und ich weiß auch, wie sich dieser Pullover angefühlt hat, denn in der Pause vor der Stunde hatten wir wild herumgetobt und auch diese Erinnerung an die zwanzig Minuten vor dem Augenblick lag in der Erinnerung, wenn ich also in der Rückblende noch weiter zurück gedacht hätte – meine Güte.

Jetzt bloß kein Kleingebäck irgendwo hinein stippen.

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte. 

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Insektenhaftes Gezappel

Auf dem Weg zur Arbeit komme ich an einem Fitness-Center vorbei, nein, ich bleibe sogar davor stehen, denn da ist eine Ampel, die ist immer rot. Ich stehe da also an der riesigen Kreuzung inmitten ausgesprochen unerfreulicher Architektur und gucke in den ersten Stock des Fitness-Centers gegenüber. Da gucken alle unwillkürlich hin, die da stehen, denn da oben drinnen bewegt sich was in wirrer Unordnung und alles ist hell erleuchtet, während man sonst in den Büros und Läden ringsum zu dieser Zeit erst wenige Lichter sieht, der Tag beginnt noch.

In dem ersten Stock laufen Menschen entschlossen über Rollbänder, steigen schwitzend auf Stepper oder wie immer die genau heißen, da rudern sie wild und machen Gott weiß welche Übungen, die ich gar nicht mehr korrekt Geräten zuordnen kann, bei mir sind Fitness-Center eine ganze Weile her. Da drinnen geht es jedenfalls bewegt zu, alles ist schnell, alles läuft, hoppelt, hüpft und zuckt und springt.

Mir fiel in dieser Woche zum ersten Mal auf, dass die Bewegungen der Figuren da oben eine ausgesprochen insektenhafte Anmutung haben, wenn man nicht genau hinsieht, wenn man nur so aus dem Augenwinkel wahrnimmt, was da alles hektisch durchs Bild flackert. Wenn man als vorbeikommender Riese das Dach des Fitness-Centers mal eben abnehmen würde – aber nein, man kann das auch andersherum denken. Wenn man im Garten einen Stein aufhebt und die Asseln darunter in wilder Bewegung sieht, vielleicht sind die gar nicht in Panik. Vielleicht machen die gerade Sport.

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Ich habe das Büro bereits gegen Mittag verlassen, weil ich hexenschussbedingt eher zur Erheiterung der Kolleginnen und Kollegen im Großraumbüro beitrug als zum sinnigen Fortgang der Arbeit.

Zu Hause, bevor ich zur Unzeit ins Bett sank, habe ich noch gelassenen Gemüts Einladungen zu Weihnachtsfeiern in den Müll versenkt, denn das immerhin habe ich in den letzten Jahren gelernt, Weihnachtsfeiern sind eine Erfindung des Teufels und den Dezember terminlich zu verschlanken, das ist eine hohe Kunst, in der ich gewisse Ambitionen habe, wenn schon sonst nirgendwo mehr.

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Ein neues Hörbuch gehört, Heinrich Bölls “Ansichten eines Clowns”, auch so eine Bildungslücke. Da gibt es eine Stelle, an der der Erzähler die Cognakflasche “zurück in den Eisschrank stellt”. Gab es tatsächlich mal eine Zeit, in der man Cognak eisgekühlt getrunken hat? Hatte Böll keine Ahnung? Der Ich-Erzähler nicht? Spinnen die Rheinländer? Wegen solcher Stellen verpasse ich dann grübelnd glatt die nächsten zehn Minuten des Textes. Schlimm.

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Musik! Die Tipps in den nächsten Tagen mal wieder von Sohn I. Fleur East mit Sax. Musik, zu der sie in der Schule im Dance-Kurs tanzen.

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte. 

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Eine leergesungene Grille

Ich lese in Peter Rühmkorfs Tagebuch und zitiere einen ziemlich novembertauglichen und also eher grauschwarzen Ausschnitt aus dem Jahr 1971 über biografisches Schreiben, man könnte sich noch, der Zeit voraus greifend,  irgendwas mit Blogs dazu denken, wenn es denn beliebt:

“Weiß genau, warum ich vor solchen Bilanzen immer einen gewissen Bammel gehabt hab: es hat nicht nur mit Biografie, es hat auch mit Zugrabetragen zu tun. Ameisen, die eine leergesungene Grille zu Grabe tragen. Nebenher der aus dem gleichen Impuls gepeiste Versuch, ein Tagebuch zu führen: noch fallfrisches Laub zusammenharken und darauf hoffen, daß sich aus welken Blättern ein Komposthaufen bildet. Während das Weltkind immer lustig in den Tag rein lebt und seine Schritte nicht zählt, denken Chronist und Tagebuchschreiber immer heimlich an die Nachwelt: eine Festschrift in eigener Sache, die sich andersherum als Testament lesen läßt. Heute morgen anfallsweise alte Briefe sortiert und dabei viele Schrecken bekommen. Daß man so etwas einmal gewesen sein soll – diese sich selbst in diesem kleinen Rahmen noch blähende Imponierfigur. Hochfahrenheit und Wichtigtuerei bis tief in die Syntax. Kein Triumph. Nur Elend.“

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Ansonsten bin ich gerade mit Hörbüchern glücklich liiert, nach dem seligmachenden Stechlin den geradezu grandios von Dieter Mann gelesenen Professor Unrat von Heinrich Mann, und das ist dann übrigens so dermaßen gut gelesen, das hat schon einen nicht unerheblichen Erlebnisvorteil gegenüber dem gedruckten Buch.

Man kann natürlich auch inhaltlich eine Linie zwischen den beiden Büchern ziehen, vom untergehenden preußischen Landadel zum Kult der wilhelminischen Strenge und zur moralischen Abgrenzung der besseren Gesellschaft, doch, das passt schon. Dazwischen hatte ich neulich ja die Reimann, die über das nochmalige und sie überraschende Erstarken der preußisch-militärischen Tradition in der DDR schrieb und jetzt, um mir noch eben einen passenden Abschluss des Fontane-Jahrs zu inszenieren, höre ich die “Birnen von Ribbeck”, das ist ein Roman von F.C. Delius, gelesen von Christian Brückner.

Ein Roman, in dem das sattsam bekannte Birnengedicht zur Abwechslung als Übergriff ausgedeutet wird, wie überhaupt die Geschichte des Dorfes als eine Geschichte von vielen Übergriffen dargestellt wird und die Pointe, dass dieser Roman von Delius natürlich nur ein weiterer Übergriff ist, die ist nun wirklich nicht schlecht.

Gerne gehört, das alles, es sei alles auch ausdrücklich empfohlen (sämtlich bei Spotify verfügbar).

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Ferner gibt es ein neues Album von Leonard Cohen, eine echte Nanu-Nachricht, wie isses nun bloß möglich? Und ist es gut? Spoiler: Ja, ist es. Und das Wetter passt hervorragend zu neuen Songs von ihm, wie schön und gelungen ist bitte das Timing.

 

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Sohn II fragte mich nach all den Schlüssen an meinem Bund. Ich habe sie dann Stück für Stück erklärt, dieser ist für die Haustür, dieser ist für die Bürotür und immer so weiter, irgendwann wunderte ich mich aber über seinen Blick, der ganz so aussah, als hätter er zumindest leise Zweifel an meiner geistigen Gesundheit. Ich spulte im Geiste ein paar Schlüssel und Erklärungen zurück, fand aber nichts, was bemerkenswert irrsinnig klang, also zumindest nicht aus meiner Sicht. Da der Sohn aber immer irritierter aussah, fragte ich irgendwann nach, Kommunikation soll ja manchmal helfen, habe ich gelesen. Und tatsächlich, es stellte sich heraus, dass er meine vollkommen harmlose Formulierung “und dass sind meine beiden Laubenschlüssel” als philosophischen Affront missverstanden hatte, als väterlichen Kulturspaß der allerdämlichsten Sorte, als typische Erwachsenenüberheblichkeit belehrender Art, was er verstanden hatte, das war nämlich: “Und das sind meine beiden Glaubensschlüssel”, was für ihn in der Tat ein zureichender Grund war, an meinem Verstand und meiner Vorbildfunktion erheblich zu zweifeln.

Wir haben es geklärt und können bei nächster Gelegenheit in Frieden weiter philosophieren.

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Auf dem Weg zur Arbeit sehe ich am frühen Morgen einen jungen Mann, der in einen Mietsmart steigt. Er setzt sich, er schnallt sich an, er fummelt an den Knöpfen vor sich herum, dann schmettert dröhnend laute Musik aus dem kleinen Auto, Musik, die er sicher voll aufgedreht hat. Und vielleicht ist es ja eine besonders gute Art, einen Montag zu beginnen, man müsste es einmal probieren. Das Stück jedenfalls, dass man recht weit hören konnte, das war dieses:

 

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte. 

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