Höher hinaus

Schwarz und Weiß

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Über Sammlungen

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Was schön war” das kommt hier bei mir gerade zu kurz, zugegeben, aber bei Anke drüben kann man etwas nachlesen. Sie verlinkt dort den Text “Was ich lernte, als mein Vater starb”und zitiert eine Formulierung, die ich auch herausgegriffen hätte – “Du sitzt jetzt erste Reihe fußfrei.” Das trifft es ganz gut, wie ich seit ein paar Wochen beurteilen kann. Es ist eine etwas andere Art der Beförderung, ein Aufrücken, über das man doch länger nachdenkt.

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Ich lese in den Briefen von Brigitte Reimann, da fällt irgendwo mitten in den Sechzigern im tiefsten Ostdeutschland eine Formulierung, die mich etwas irritierte: “Ich arbeite wie ein Kümmeltürke.” Das habe ich dann natürlich nachgelesen und es ist tatsächlich eine kleine Ost-West-Geschichte. Während ich das Wort nämlich nur als ausländerfeindliches Schimpfwort parat habe, mutmaßlich Siebziger aufwärts, galt für die Reimann vermutlich eine ganz andere Wortgeschichte, siehe hier. Wieder was gelernt.

 

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#reading

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In den Tagebüchern von Sandor Márai wiederum stieß ich auf den Begriff Graphomanie, daran anliegend auf den Furor scribendi und die Hypergraphie, und wissen Sie was, die kannte ich doch tatsächlich alle nicht. Aber jetzt! Furor scribendi wenn das nicht schön ist. Sogar als Klaps. Das schreibe ich hier gleich mal an die Wand.

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Auch bei Márai: “In Massachusetts habe ich  meine alte Schreibmaschine wiedergefunden und auf die Rückreise mitgenommen. Wie wenn der entlassene Soldat sein abgeirrtes Pferd wiederfindet; ich höre, wie die Schreibmaschine vor Freude wiehert.

So nett könnte man über einen Computer eher nicht schreiben. Ein vergleichsweise seelenloser Gegenstand.

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In die S-Bahn steigt ein Mann, der die gleiche Kleidung trägt wie ich, was jetzt nicht so schwer ist, wenn ich gerade aus dem Büro komme und ein höchst gewöhnliches Mittelmaßsachbearbeitungsotufit anhabe, allerdings ähneln seine Klamotten, seine Plünnen, wie wir in Lübeck sagten, den meinen so exakt, dass ich fast etwas von ihm wegrücken möchte, um nicht Teil einer seltsamen Inszenierung zu sein. Der andere Mann bemerkt mich aber gar nicht, der sieht nicht nach links und nicht nach rechts, der holt nur seine Kopfhörer raus, over ear, wie man da präzisieren muss und versinkt sofort und so gut sichtbar in der Musik, wie man es auch nicht gerade jeden Tag sieht. Der hält nämlich auch noch seine Hände über die Kopfhörer und sieht für einen kleinen Moment, für ein paar Takte also vermutlich,  durch und durch glücklich und entspannt aus, während er doch vor einer Sekunde noch aussah wie wir alle, die wir da gerade aus dem Büro kommen. Er ist jetzt in einer ganz anderen Sphäre, er schmiegt seinen Kopf an seine Hände, er schmiegt sich eigentlich an die Töne und ist mit geschlossenen Augen weg, so gründlich ist er weg, da ist es ganz gleich, wie sehr sein Hemd meinem ähnelt. Und ich denke mir, ohne sonst etwas von ihm zu wissen, dass er in diesem kleinen Moment, während dieser paar Takte da, eindeutig besser dran war als wir anderen im Abteil.

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Sohn I lernt mit mir Französischvokabeln, minichaine, das hätte ich nicht gewusst. Eine minichaine ist eine Kompaktstereoanlage und der Sohn ist sich gar nicht sicher, was das nun ist, das ist nämlich gar kein gängiger Begriff mehr, das ist mehr so Neunziger oder früher. Die heutige minichaine ist ein téléphone intelligent. Auch noch nie gehört.

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Auf dem Fußweg geht vor mir ein Mann, der hat seine Tochter auf den Schultern, die unzufrieden quengelt und wild mit den  Armen wedelt. In den Händen hält sie einen rosafarbenen Regenschirm für Kinder, den sie dem Vater unabsichtlich mehrfach über die Nase zieht, was diesen nach einer Weile verständlicherweise etwas nervt.  Er bleibt stehen und fragt in einem Tonfall, den man als Vater geradezu brüderlich verstehen kann: “Willst du runter oder was?” Und die Kleine lacht und jauchzt und reckt die Ärmchen zum Himmel und sagt: “Nein! Ich will höher!”

Aber da muss sie dann wohl erst selber etwas wachsen, wenn sie noch höher hinaus will.

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte. 

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Papiermühlen und Fahrscheinlocken

Ein Wort aus dem Baskischen.

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Erinnerungen einer mitttelalten Westlerin an den Osten

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Auf dem Weg zur Arbeit komme ich an den Räumen einer christlichen Splittergruppe vorbei, es handelt sich dabei um eine etwas exzentrische und nicht sehr mitgliederstarke Gruppierung, die dort einen Lesesaal unterhält. Einen Lesesaal, in dem nie jemand sitzt, in dem aber mit schöner Regelmäßigkeit einige Bücher aufgeschlagen auf die Tische gelegt werden, damit es so aussieht, als ob da reger Betrieb wäre, hier und da natürlich auch ein Kinderbuch. Im Fenster zur Straße hin hängt ein Bildschirm, auf dem werden den Ungläubigen da draußen mehr oder weniger frohe Botschaften angezeigt, Gottesdiensttermine und dergleichen, sinnige Sprüche und Bibelzitate, na, man kennt das. Heute morgen leuchtete mir da folgender Schriftzug beträchtlicher Größe entgegen, als ich ins Büro hastete: “Immerwährende Strafe!”

Und okay, ich bin nun wirklich kein ausgewiesener Experte für Religion oder Marketing, aber ich möchte doch die wahrscheinliche Wirkung dieses Satzes auf die Passanten mit einem vorsichtigen “Ich weiß ja nicht” skizzieren. Als werbende Botschaft ist die Zeile vielleicht doch nicht ganz so günstig.

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Ich habe das “Irische Tagebuch” von Böll als Hörbuch gehört, fantastisch liebevoll gelesen von Jerzy May, das war viel schöner als gedacht und auch deutlich schöner als erinnert. Was auch kein Kunststück ist, denn ich konnte mich kaum an das Buch erinnern. Wann mag ich das gelesen haben, mit achtzehn Jahren oder so, in einem Land vor unserer Zeit. Ich habe eigentlich nicht einmal die leiseste Erinnerung daran, ob es mir damals gefallen hat oder nicht.

Es sind schöne Begriffe darin, etwa “Einzelsäuferkoje”, es gibt auch Sätze, die fallen mir besonders auf, etwa: “Ein Schaffner kurbelte aus seiner Papiermühle eine lange Fahrscheinlocke heraus.” Ich zitiere aus dem Gedächtnis, das Original kann leicht abweichen. Das fällt mir deswegen auf, weil ich das als Bild noch spontan umsetzen kann, meine Söhne aber könnten das nicht mehr. Papiermühle? Hä?

Und dann dieses Gefühl, deutlich über hundert Jahre alt zu sein, wenn ich mir ins Gedächtnis rufe: Ich habe sogar noch Schaffner in Bussen erlebt. Ich kenne also diese Menschen mit den Papiermühlen noch, auch die, die an den Busstationen herumstanden und aus diesem metallenen Zauberding vor dem Bauch heraus Fahrscheine drehten. Und in den Bussen hingen Aschenbecher, immer volle Aschenbecher, na, und immer so weiter. Die Erinnerungen im Museum für Kulturgeschichte. Manche sind so schräg, also aus heutiger Sicht, fast möchte man sich selbst nicht glauben.

Die Hörbücher höre ich auf Spotify, die Auswahl an Klassikern dort reicht für den ganzen Winter, alleine der Stechlin, den ich gerade angefangen habe, läuft vierzehn Stunden oder so. Der Stechlin natürlich wieder so schön, ich möchte mich geradezu suhlen im Text.

Nebenbei fiel mir ein Album auf, das möchte ich kurz und dringend empfehlen, ein fantastisches Ding, das ich lange gesucht habe. Westphal liest Benn über Jazzstücke hinweg und hinein. Da braucht man mal einen ruhigen Moment dafür, aber es lohnt sich dann. “Es gibt Melodien und Lieder, die bestimmte Rhythmen betreu’n, die schlagen dein Inneres nieder – und du bist am Boden bis neun.”


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Musik! Es muss ja nicht immer alles harmonisch sein. Fiona Apple und Andrew Bird.

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Die nächste Mühle ist meine

In der SZ wird Bill Callahan bejubelt.

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Ein Plädoyer für die Winterzeit. Jo.

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Der Herbst spielt Metalle aus, Kupfer, Bronze, Messing und Altgold mit kleinen Fehlern. Die Birke zahlt in kleinen Münzen, und wie viel sie zahlt! Die Blätter an den Essigbäumen am Ufer der Billerhuder Insel dagegen sehen aus wie mit Filzstift gezeichnete Feuerzeugflammen in Comics.

Auf dem Weg in den Garten komme ich einem kleinen Geviert am Wegesrand vorbei, da hat jemand wohl im Sommer mitten in der Brache etwas gegärtnert und es blühen dort Malven nach, ein Quadratmeter üppiges Trostlila, morgen wird alles schon auf Halbmast hängen. Müde Mücken schwanken durch den letzten warmen Oktobertag, versprengt und ohne zusammengerottete Kumpels, Flug ohne Wiederkehr.

Ich komme im Moment zu wenig raus, dabei möchte ich mir das alles so gerne genauer ansehen. Das wird aber erst wieder im November was, egal. Grau ist auch interessant, wenn es als Nebel über die Alster kommt oder über die Elbe abzieht, man weiß ja mittlerweile, dass es da etliche Schattierungen gibt. Man kann aber auch mal nachzählen, ich bin da eh beruflich vorgeschädigt.

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Ich war in der Bücherei und habe keine neuen Bücher mitgenommen, was sich auf dem Rückweg aber irgendwie seltsam falsch anfühlte und da kann man es wieder mal sehen – das Pflichtgefühl erreicht Stellen im Hirn, da kommt Entspannung gar nicht hin.

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Apropos Entspannung. Ab und zu hört man ja Sätze, die andere über einen sagen, etwa dann, wenn sie ganz direkt im freundschaftlichen Dialog geäußert werden, und so etwas ist natürlich immer sehr interessant. Selbstbild/Fremdbild, Sie wissen schon. So wurde mir neulich gesagt,ich würde mit der aktuellen Version von Frisur und Bart immer mehr wie Don Quichotte aussehen. Das war nicht abwertend gemeint, glaube ich jedenfalls, wenn ich auch nicht ganz sicher sein kann, auf welche Abbildtradition sich dieser Eindruck bezog, es gibt ja so dermaßen viele Don Quichottes in der Geschichte dieses Buches. Aber gut, ich fand den Vergleich ganz ansprechend, ich gebe es zu.

Kurz darauf hörte ich am Telefon, dass ich enorm gestresst klinge und jemand sagte mir dann auch noch beim gemeinsamen Kaffeetrinken, ich würde wohl mal Ruhe brauchen, müsse mal an mich denken.

Ich will das alles also zusammenmischen und als Anregung mitnehmen, ich lasse ja keine Hinweise aus. Ich nehme also diese Indizien und kombiniere daran etwas herum und wissen Sie was, ich habe es schon  – die nächste Windmühle ist meine, meine ganz alleine, und ich mache sie in aller Ruhe fertig.

So in etwa.

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte. 

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Ein Text von Welt

Im Vorübergehen gehört, ein junger Anzugträger am Handy: “Aber was ist, wenn diese Arbeit mich mehr frustriert, als dass sie mich weiterbringt?”

Ich habe mich aber zurückgehalten und es ihm nicht mal eben erklärt, was dann ist.

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Das Hörbuch des zweiten Teils der Reimanntagebücher habe ich durch, beim Herumsuchen nach neuem Stoff habe ich kurz Wolfgang Welt gehört: “Ich schrieb mich verrückt”, gelesen von Frank Goosen. Kurz, weil das Hörbuch so kurz war, nicht etwa, weil es mir nicht gefallen hätte. Der Sprachsound der Achtziger, es weckt Erinnerungen, und einen Satz möchte ich eben teilen, eine ganz kleine Erwähnung nur, aber was für eine. Wolfgang Welt schreibt da einen längeren Heinz-Rudolf-Kunze-Verriss, und wer damals dabei gewesen ist, der erinnert sich vielleicht noch an die Coolness, mit der man auf den Schulhöfen über diesem Sänger stand. Bei mir zumindest ist das eine recht deutliche Erinnerung an das Coolnesss-Setting dieser Zeit. Und Welt unterstellt Kunze im Laufe dieser Albumbesprechung, er würde sich, ich komme jetzt zwanglos auf eine ganz aktuelle Meldung, als “singender Erhard Eppler stilisieren wollen”, womit ich erstens dem Herrn aus der Politik eben freundlich nachwinke und mich zweitens kurz einer ausgesprochen westdeutschen Nostalgie hingebe, denn hey, unser Land von damals gibt es auch nicht mehr, und wozu ich drittens noch gestehe, gerade eben nachgesehen zu haben, ob der Kunze noch unter den Lebenden weilt.

Ja, das ist so. Dieser leicht gelangweilte Satz der Söhne, den sie immer aufsagen, wenn ich über irgendeinen aus der Musik spreche: “Und, ist der auch schon tot?”, der trifft nämlich gar nicht immer zu.

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Im Rahmen des alten Coolnessdrucks aber doch lieber andere Musik. Paul Desmond and Chet Baker. Beide schon tot, eh klar.


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Obzada

Patricia fährt alleine ans Meer und ich könnte auch schon wieder. Aber ich kann nicht.

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Wir haben noch einmal zu danken, einer freigebigen Leserin aus Berlin diesmal, für die Zusendung weiterer Federn. Schöne Notizblöcke lagen auch dabei, ferner ein Buch über Lifehacks, in das ich noch gar nicht sehen konnte, weil es sofort im Kinderzimmer verschwand.  Das übrigens schnell mal nebenbei als Tipp für die kommende Weihnachtszeit – Kinder fahren auf Lifehacks für den Alltag ab, und Bücher darüber, auch und gerade solche, die gar keine Kinderbücher sind, führen vielleicht zu unerwarteten Erfolgen mit Geschenken.

Vielen Dank also, Sohn II ist hingerissen und jetzt gut versorgt. Eine echte Vogelfeder hat er sich mittlerweile auch selbst zurechtgeschnitten, mit überraschend gutem Ergebnis übrigens, damit kann man viel besser schreiben, als ich gedacht hätte. Die Hausaufgaben fallen hier jetzt etwas retro aus und wir haben erheblichen Spaß dabei.

 

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Ich habe den ersten Band der Tagebücher von Brigitte Reimann durch und fange jetzt mit dem zweiten an: “Alles schmeckt nach Abschied”, das geht also nicht gut aus, wie man dem Titel bereits entnehmen kann. Im ersten Band noch schöne Sätze voller Leben: “Wir waren schon hellblau, als wir in die Hafenbar weiterzogen.” Und immer wieder Formulierungen, bei denen man zweimal hinsieht und sie dann sehr schön findet: “Wir gingen spazieren wie zwei alte Kolkraben.”

Ihre Schilderung eines Besuchs in Theresienstadt, sie beschreibt da das durch und durch unmögliche Verhalten deutscher Touristen, ist ein kleines Puzzlestück in der Geschichte rechten Gedankenguts, ein kleines, aber doch ein wichtiges Puzzlestück. Ich lerne nebenbei etliches über die Kulturgeschichte der DDR, wobei da allerdings auch nichts als Lücke in meiner Allgemeinbildung ist. In meiner Kindheit und Jugend gab es hinter der Grenze keinen Alltag und keine Kultur, da gab es hinter der Grenze einfach gar nichts, man kann es nicht oft genug sagen.

In ihren großen Roman “Franziska Linkerhand” muss ich dann hinterher wohl auch noch hineinsehen. Und in ihre Briefwechsel.

Das Hörbuch übrigens wird ganz großartig gelesen von Jutta Hoffmann, es ist ein Genuss.

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Sohn II war bei den Großeltern und hat dort mehrere vegetarische Brotaufstriche probiert, die seinem Geschmack aber alle nicht entgegen kamen. Sehr gut fand er dann den vom Großvater gerne gegessenen “Obzada”, und er war recht überrascht, als er von uns erfuhr, dass der in Wahrheit etwas anders heißt. Wir haben das dann aber etwas diskutiert und kamen zu dem Schluss, dass Obzada zweifellos wesentlich besser klingt als Obazda. Letzteres klingt irgendwie handgreiflich nach zermatschtem Käse, Obzada dagegen klingt kultivierter, es klingt irgendwie exquisit, fein und delikat, “reich mir mal die Obzada”, denn das Zeug muss doch wohl weiblich sein, bei dem Namen, gar keine Frage, das ist sicher eine ganz vorzügliche Crème, würdig der besten Küche. Obzada – wir lassen das jetzt so. Und benutzen das solange völlig ungeniert, bis wir damit in Bayern als seltsam auffallen. Aber da kommen wir eh nicht gerade oft hin.

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Neulich hatte es in der Nacht unfassbar stark geregnet, so stark sogar, dass wir alle davon wach geworden sind und so stark auch, dass ich überlegte, ganz ernsthaft überlegte, ob ich schon überhaupt jemals im Leben einen so beeindruckenden Regen gehört habe, es schien mir zumindest zweifelhaft. Als würde das Wasser aus einem riesenhaften Bottich über das Haus gekippt, es war eher ein enormer Schwall, keine unterscheidbaren Tropfen. Tropfen, so ein albernes Wort, das verbot sich bei dem Geräusch komplett und sofort. Da kamen keine Tropfen runter, da kamen senkrechte Wellen, wenn nicht Brecher, Kaventsmänner. So ein Regen war das.

Am Morgen war die Stadt voller Pfützen, Lachen und neuer Seen, es gab auch bisher ganz unbekannte Bäche. Auf meinem Weg zum Hauptbahnhof kam ich an eine Ampel, vor der war eine gewaltige Pfütze, so eine, in der man schon Wellengang sehen konnte, wenn der Wind darüber weg strich, so eine, über die man Bretter hätte legen müssen um trocken zu bleiben, und schmal und kurz hätten diese Bretter nicht sein dürfen. So eine Pfütze, die in den Stadtplan gehört hätte. Vor mir stand eine Frau und wartete auf grünes Licht, sie besah sich die Wasserfläche vor ihr. Ich sah sie nur von hinten, aber ich merkte an den Bewegungen ihres Körpers, dass sie etwas nach links und rechts dachte, wo und wie sie da nun am besten durchkommen könnte, denn dass diese Pfütze tief war, das sah man ihr auch an. Die Frau hatte Sneaker an den Füßen. Als die Ampel umsprang, sah ich ein kleines Zucken der Schultern, kaum wahrnehmbar, ein Durchatmen nur, dann ging sie einfach los, denn was sollte sie auch machen, sie musste doch nun einmal zur Arbeit oder wohin auch immer. Das Wasser ging weit über ihre Knöchel, da blieb ganz sicher nichts trocken. Sie ging stoisch geradeaus, mit kleinen Bugwellen vor den Schritten.

Ich machte das, was mir viel naheliegender erscheint, ich ging einen anderen Weg über die Kreuzung. Das war ein Umweg von nur einer Minute und ich blieb ganz und gar trocken, eine Ampel weiter war alles okay. Aber ich hatte volles Verständnis für die Frau, die auf diesen absolut naheliegenden Gedanken vermutlich einfach nicht gekommen ist, weil der normale Weg, ihr Weg, nun einmal durch den neuen See da führte, da konnte sie doch einfach nichts machen. Die saß dann kurz darauf sicher mit elend nassen und kalten Füßen in der Bahn und haderte mit dem Tag und dem Wetter, stelle ich mir vor.

Es ist so wahnsinnig schwer, aus Routinen auszubrechen, und man hat so viel Glück, wenn man das einmal elegant schafft, das ist sicher kein Grund über andere zu lachen, die völlig grundlos nasse Füsse haben.

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Musik! Omara Portuondo und Joss Stone.

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte. 

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Wenn Sie zum Optiker gehen

In einem Kaufhaus stehen drei Damen hinter mir auf der Rolltreppe, während wir an irgendwelchen modischen Accessoires vorbeifahren, nein, über sie hinweg fahren. Die Damen sehen, ohne das übermäßig kritisieren zu wollen, ganz so aus, als hätten sie ein ebenso bedeutendes wie auch ausgereiztes monatliches Budget für Accessoires. Die eine zeigt der anderen irgendetwas, eine Handtasche oder was weiß ich, und dann sagt sie, dass es die woanders auch in einer anderen Version gäbe, und zwar in, hier wird es jetzt heikel, weil Sie im Kopf bitte eine etwas albern französische Aussprache einstellen und das Folgende unbedingt auf der zweiten Silbe betonen müssen, Python. Also gesprochen wie Flakon oder Macron, das Muster war also schlangenhaft Python, mit einem stark nasal betonten weltfraulichen Abgang am Ende des Wortes.

Es ist nun vielleicht nur meiner mangelnden modischen Bildung geschuldet, dass ich das Wort so noch nie gehört habe, das will ich gar nicht ausschließen. Vielleicht war es aber auch einfach ein fortgeschritten affektiertes, ungeheuer albernes Wort in dieser Aussprache, zumindest klang es für mich so, ein sofort hassenswertes Wort mit zweifelhaftem Schickeria-Charme, das ich natürlich nur wieder loswerde, wenn ich es selbst irgendwo anwende, also gesprochen, versteht sich, nicht nur im Blog.

Ich muss also dringend etwas nachfragen, das es auch in der Ausprägung Python geben könnte, ich überlege noch, was das sein kann.

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Nach wie vor lese ich ab und zur Entspannung den Polizeibericht Nordfriesland, weil ich es mag, mit welchem Ernst dort vermeldet wird, dass ein Zug wieder wegen der Schafe auf dem Gleis Verspätung hatte. Diesmal waren aber Kühe die Täter, sie lungerten abseits ihrer Einfriedung auf Schienen herum und es kam, vermutlich ohne Tatütata, die Polizei. Und dann, ich zitiere: “Drei Tiere traten freiwillig den Rückweg an, eine Kuh musste durch den angerufenen Tierhalter getrieben werden.”

Was mich zur Frage bringt, man kann ja über alles mal nachdenken, ob es am Ende nicht nur bei Menschen stets etwa 25% Renitenzlinge und Quertreiber in der Gesellschaft gibt, sondern am Ende bei allem, was lebt?  Wutameisen und besorgte Bienen und abgehängte Kühe und immer so weiter, wo man auch hinblickt, ein Viertel ist schwierig.

Ich würde das auch näher erforschen wollen, habe hier aber nur Stadttauben als Beobachtungsobjekte zur Verfügung, und das ist gar nicht so einfach, da ein Viertel zu bestimmen.

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Eine Mitteilung für den Freundeskreis Zufall noch, die Meldung nämlich, dass ich diese Woche gewonnen habe. Gegen meinen wunderbaren Zufall werden Sie nicht mehr ankommen, auch wenn die Woche noch Tage übrig hat, mein Zufall ist wunderschön, dezent ist er auch, ganz klein eigentlich, aber so fein und sachte humorig, ich kriege mich gar nicht mehr ein.

Und zwar war es wie folgt. Ich gehe da so die Straße entlang und höre ein Hörbuch, es handelte sich, obwohl das gar nicht zur Erhellung der Sache beiträgt, um “Die Bullet-Journal-Methode” von Ryder Carroll, gelesen von Julian Mehne. Wobei ich mich für die Methode des Bullet-Journals nur ganz am Rande interessiere, aber es geht da ja auch um Notizen, und das wiederum interessiert mich sehr.

Ich ging gerade zu meiner Optikerin, ich war noch etwa zehn Meter von ihrem Geschäft entfernt und im Text hieß es da gerade: “Wenn Sie zum Optiker gehen …”

Und dann dieser Bruchteil einer Sekunde, in dem ich mich unwillkürlich fragte, ob mein Hörbuch mich beobachtet, subtile Paranoia will eben auch nur geweckt werden.

Also ich fand das grandios.

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Musik! Dota Kehr, Alin Coen, Mascha Kaléko

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte. 

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Das Kommen und Gehen der Federn

Den Großteil des Textes von mir gibt es heute nicht hier, den gibt es wieder drüben beim Goethe-Institut.

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Wir haben zu danken, die Söhne und ich. Sohn II hat das auch schon formvollendet mit einem handschriftlichem Brief getan (ist noch unterwegs!), ich übernehme hier die im Vergleich geradezu schnöde Blogversion, auch im Namen von  Sohn I, der jetzt, nachdem da dieses Geschenk einer Leserin kam, die Sache mit der Handschrift, dem Handlettering, der Kalligraphie auch ziemlich cool findet.

Da kamen also, nachdem ich neulich die neue Leidenschaft von Sohn II hier im Blog erwähnt habe, nicht nur mehrere gute Tipps für Läden in Hamburg, da kamen auch tatsächlich Schreib- und Zeichenfedern mit Halter, da kamen ein Kalligraphiefüller und auch eine Glasfeder, so etwas hatte ich tatsächlich noch nie in der Hand. Die Freude war enorm und wir hatten hier am Sonntag ganz ungewohnt besinnlichen Spaß mit einem Faß Tinte, vielen Federn und mit unseren mehr oder weniger schöner Schriften.

 

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Und es hat bei mir wieder etwas Klick gemacht. Denn okay, mit der Hand zu schreiben, das ist aus verschiedenen Gründen empfehlenswert und edel und hilfreich, es ist auch schön slow und alles, klar doch, ich mache es auch dauernd – aber mit einer Feder zu schreiben, die man da so in die Tinte stippt und die dann dieses herrliche, dieses wirklich durch und durch wunderbare, leicht kratzende Geräusch auf gutem Papier macht – yeah. Instant-Wellness, endlich habe ich wieder einmal etwas gefunden.

 

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Also ich habe es gefunden und auch sogleich wieder verloren, denn am nächsten Tag ging der Herr Sohn II auf Reisen und nahm alles, alles mit, den ganzen Zauber. Jetzt übe ich mich wieder in diesem Zeug da, von dem immer alle reden, Sie wissen schon, wie heißt es gleich, Geduld. Eine Woche!

 

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Musik! Eva-Maria Hagen, um noch schnell eine weitere Blätter-Version an den Eintrag mit den feuilles mortes anzulegen. Die Wolf-Biermann-Version wurde mir empfohlen, ich mag diese hier lieber.


Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Les feuilles mortes

Die Blätter färben sich, da wird es hier wieder Zeit für dieses Lied, für diese Lieder. Vorweg noch einmal einen der besten Live-Auftritte überhaupt, also aus meiner Sicht natürlich nur. Yves Montand à l’Olympia, er singt Les feuilles mortes, Text Jacques Prévert, Musik Joseph Kosma.  Das darf in diesem Blog ruhig jedes Jahr wieder vorkommen, es ist mir geradezu eine Ehre. Man beachte bitte auch seinen Gesichtsausdruck direkt nach dem Lied, also da, wo man normalerweise schon hektisch weiterklickt.


Die englische Version des Liedes, Autumn leaves, ist weltweit sicher der bekanntere Song, textlich ist diese Version allerdings deutlich schwächer und platter, es ist eher ein Liedchen. Ein immerhin schönes Liedchen, das dann aber doch. In der englischen Version ist der jeweils andere Part gegangen, fortgegangen, hat also jemanden verlassen, in der französischen Version hat das Leben lautlos und sanft getrennt. Das Meer verwischt die Spuren der getrennten Liebenden am Strand, da ist keine Rede davon, wer was war und was getan hat. Die Rede ist nur davon, dass derjenige, der singt, nichts vergessen hat. Das beweist gar nichts oder doch nur, dass zwei einmal geliebt haben, dass es einmal gut war und nicht mehr ist. Aber wie es zu Ende ging – wer weiß. Das verbleibt ohnehin oft im Ungewissen, man kennt das.

Goethe hat zwei Versionen von “Willkommen und Abschied” geschrieben, das ist das berühmte Gedicht mit dem Gassenhauer-Anfang “Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde!” In der ersten Version endet es mit:

“Du gingst, ich stund und sah zur Erden

Und sah dir nach mit nassem Blick …”

In der späteren Version heißt es:

“Ich ging, du standst und sahst zur Erden

Und sahst mir nach mit nassem Blick …”

So ist das mit der Wahrheit, mit den Erinnerungen, mit der Dichtung und mit dem Lauf der Jahre, in diesem Beispiel ist schon alles. Wobei man, ganz egal, wie man die Änderung interpretiert, den endgültigen Schlusssatz des Gedichtes immerhin stehen lassen kann, er ist auch in beiden Versionen gleich:

“Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!

Und lieben, Götter, welch ein Glück!”

Und die Zeit so: Warte, ich mach mal Herbst.

Ich habe eine Playlist bei Spotify mit den Versionen der Feuilles mortes, die mir besonders zusagen. Die Zusammensetzung wechselt jährlich, immerhin ist kein Herbst wie der andere. Es gibt noch wesentlich mehr Aufnahmen, man könnte das Lied tagelang hören, inklusive sehr schlechter Versionen, nur noch geeignet für Fahrstühle in hauptsächlich geschäftlich frequentierten Hotels am Rande von Industriegebieten in uninteressanten Städten

Man kann, wenn man viele Versionen eines Liedes hört, enorm viel entdecken, ich mache das gerne. Etwa das ganz leichte und mutmaßlich sogar absichtliche Schwächeln der Stimme an der einen Stelle da bei Frank Sinatra. Oder das ein wenig feinere Modulieren bei Édith Piaf, wenn sie aus dem Englischen ins rettende Französische wechselt. Man kann auch einfach staunen, etwa wie seltsam überorchestriert und aufgeschmalzt die ansonsten doch sehr respektable Version von Udo Jürgens ist. Man kann sich in einen anderen Zeitgeist denken mit der etwas nervösen, dann aber unterm Strich doch sehr coolen Version von Paul Desmond, man kann die leicht verwackelten Konsonanten bei Chantal Chamberland anmerken, das wie immer kuscheldeckenhafte Timbre von Bing Crosby. Bei Keely Smith fragt man sich, wann denn die Geschwindigkeit des Songs wohl anziehen wird, ist da doch auch der hibbelige Turbogatte, also Louis Prima, mit an Bord, und dann dauert es immerhin ganze zwei Minuten, bis er im Hintergrund loslegt und natürlich legt er noch los. Und wie gut bitte, wie unfassbar gut, aber das frage ich mich bei jedem Hören, war denn Vince Gueraldi? Wie depressionsfördernd traurig ist die entsetzlich klare Version von Eva Cassidy, schon gar wenn man ihre im wahrsten Sinne todtraurige Geschichte kennt?

Den deutschen Part übernehmen in diesem Jahr Hildegard Knef, Hannes Wader, Ina Müller (“nu wo die Sonne geiht und Schnee fallt bald”, ich hätte gerne mehr große und ganz große Stücke op Platt). Wobei ich so ein Gefühl habe, dass es die endgültige deutsche Version nach wie vor noch nicht gibt.

Und dann Cannonball Adderley, den noch als Abschlussempfehlung. Wenn Sie in einer Stadt wohnen oder wenigstens in einem Städtchen, dann gehen Sie dahin, wo abends oder zur Dämmerung noch etwas Leben um die Häuser ist. Sehen Sie mit diesem Stück auf den Ohren dem Treiben zu und sehen Sie genau hin, wie der allfällige Oktoberregen zwischen all die Beziehungen fällt – da brauchen Sie dann kein Kino mehr.

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Als es auf einmal so kalt war

Neulich, als es auf einmal so kalt war, lag ich mit einem Sohn auf dem Sofa und wir lasen. Es war schon spät am Abend, jedenfalls aus Sicht eines Kindes. Die Balkontür war einen Spalt auf, denn ich mag es, wenn die Nächte kühl sind und man endlich wieder unter Decken liegen und Tee trinken kann. Von draußen kam ein Geräusch, das da sonst nicht war. Ein dröhnendes Stampfen, ein regelmäßiges Beben, es klang nach schwerer Arbeit und es klang weit weg. Man hörte es nur, wenn man darauf achtete. Bei jedem nebenbei gesprochenen Satz war es schon weg, es ging in den eigenen Wörtern unter. Aber da, wo es herkam, da war es sehr laut, das hörte man dem dunklen Gepolter doch noch an, wenn man nur darauf achtete. Das donnernde Schlagen war schon ein gutes Stück durch die Nacht gezogen, das war nur ein Rest, der bei uns ankam, ein wolkiger Nachhall. Wie aber hört man einem leisen Geräusch eigentlich an, dass es laut war?

Wenn in Filmen, in amerikanischen Filmen, Güterzüge durch endlose Landschaften rollen, dann gibt es da immer dieses einschläfernde metallische Geratter, das kennt vermutlich jeder. So war dieser Rhythmus, ein klein wenig langsamer vielleicht. Es kam, der Wind stand wohl günstig, vom Hafen her. Je nachdem, wie der Wind gerade weht, sind wir hier auf einmal recht nah am Hafen, besonders nachts, wenn der Autoverkehr nachlässt. Dann weht manchmal das Schiffstuten so unvermittelt heran, als könnten wir gleich vor der Haustür an Bord gehen. Südwind muss das dann wohl sein, ein seltener Wind. Südwest vielleicht.

Vielleicht war es Arbeit auf einer Werft, die wir da gehört haben, Arbeit in irgendeinem Hafenbetrieb, das Verladen von Containern, das wäre dann eine Erklärung wie in einem Hamburgbilderbuch. Vielleicht waren es auch nur Güterzüge, die den Hauptbahnhof querten. Wobei aber kein Zug so lang sein kann, wie dieses Geräusch war. Vielleicht haben sich Hafenarbeit und Züge und wer weiß was noch auf eine Art durchmischt, dass es nur zufällig diesen Rhythmus ergab, der dann ganz lange hielt, ein Zufall auf Dauer, gekommen um zu bleiben. Autos mit Sirenen fuhren vorbei und webten helleren Fäden in das nachtdunkle Wummern. Polizei, Feuerwehr, Krankenwagen, was auch immer, jedenfalls fuhren die in Angelegenheiten, die waren viel dringender als meine. Und als sie weg waren, wieder dieser dumpfe Rhythmus.

Ich lag nur da, legte das Buch weg und hörte in die Nacht. Ich fragte den Sohn: “Hörst du das auch?” Und dann lagen wir beide da und staunten und hörten das Maschinenherz der Stadt. Irgendwo von der Elbe her, von wo auch sonst.

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Ansonsten viel Unblogbares.

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Musik! Dota Kehr, Felix Meyer, Mascha Kaléko.

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Ganz klein und kaum hörbar

Im Garten gab es heute zwei unreife Himbeeren, sonst nichts mehr. Die letzten Tomaten sind wohl komplett chancenlos bei den Temperaturen, ein übriggebliebener Hokkaido wird aber vielleicht doch noch etwas, auch der Topinambur und der Feldsalat sind nicht ganz verloren. Die Zucchinipflanze müht sich noch, sieht aber schon nach Siechtum aus. Und später natürlich noch die Pastinaken, viel später, im Februar oder so. Im Wintergarten. Heute am Morgen nur ein Grad, im Grunde ist schon Winter.

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Wenn ich im Garten in der Laube sitze und die Augen schließe, erinnert mich das dezente Knacken der Balken, das im Garten nie endende Geflüster kleiner und kleinster Geräusche, das Knacken, Knarren, Kratzen und Scharren rings um die Hütte an irgendeine ähnliche Wahrnehmung in der frühen Kindheit. Ich komme nicht darauf, was, wie und wo das genau gewesen sein kann, im Wohnwagen an der Ostsee vielleicht, das war dann noch Jahre vor der Grundschule. Ich erinnere mich an das Gefühl, nicht an die Kulisse. Es lässt sich nicht ergründen, ein Dämmern vor dem Mittagsschlaf, so etwas in der Art, aber es geht auf jeden Fall um eine Erinnerung an ein Alter, in dem Momente noch riesige Bögen spannen konnten und auch die Zeit selbst noch unvorstellbar groß war, in der das Jetzt noch jung wie ich und endlos war, der Vorrat an Sekunden und Minuten noch so gut wie unverbraucht. Und ich lag da und lauschte auf die Langsamkeit. Ich lauschte, wie eine Fliege gegen die Scheibe flog, wie trockene Blätter fielen oder dünne Zweige im Wind wogten, ich lauschte, wie irgendetwas ganz Kleines etwas kaum Hörbares machte, ich weiß es nicht genauer. Aber eines weiß ich doch, das war sehr schön und es ging immer, immer so weiter, es hörte einfach nicht auf. Aber irgendwann dann doch.

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Ich habe Etty Hillesum durchgelesen und nehme mir jetzt die Tagebücher von Brigitte Reimann vor: “Ich bedaure nichts, Tagebücher 1955-1963”. Also von extremer Not und Religion und Literatur zu Liebe, Lust und Schriftstellerei, der Wechsel fällt drastisch aus, zeitlich immerhin ist der Anschluss gar nicht so unpassend. Die Tagebücher der Reimann gibt es auch auf Spotify, sehe ich gerade.

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Auf Postern an Kreuzungen wird für einen Auftritt der Kelly Family geworben, die kennen die Söhne nicht und fragen also nach. Ich zeige ihnen auf dem Handy den uralten Videoclip von David’s song (“Who’ll come with me”), jenes Filmchen also, in dem noch der Vater zu sehen ist, das zieht aber nicht so richtig: “Ah okay, das ist mehr so Klassik.” Da winken sie schnell ab.

Immerhin kann ich noch mit der alten Geschichte punkten, dass ich eine von denen mal kennengelernt habe, weil ich mit ihr gemeinsam in einer Talkshow war, das immerhin findet doch ein wenig Anerkennung. Ein ganz klein wenig. Na, man nimmt, was man kriegen kann.

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Musik! Heute empfohlen von der Herzdame, die gerade auf einem Konzert von denen war: Nouvelle Vague.

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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