Jetzt erleben wir uns mal selbst

Jesus und der Kaffee im Indoorspielplatz.

***

Wenn der Ehemann nicht als erste Person eingetragen wird, stürzt das System ab und die Finanzamts-Mitarbeiter müssen alle Informationen von Hand erneut in das System eingeben.

***

In der Zeit gab es ein Interview zum Thema Zeitempfinden, da muss ich etwas anmerken. Und zwar gleich zum Anfang, wo es heißt: “Fünf Menschen steigen in den Bus, setzen sich, holen wie einstudiert ihre Smartphones raus und starren auf die Displays, bis sie wieder aussteigen.” Das wird kurz darauf – natürlich! kritisiert, die armen Menschen, die kommen auf diese Art ja nicht zu sich selbst, empfinden nichts mehr, denken nichts mehr usw., man kennt das. Und das ist natürlich Unfug, schon historisch betrachtet. Es gibt ja durchaus Menschen, die sich an die Zeit vor den Smartphones noch erinnern können, als sei es gestern gewesen sogar, viel länger ist das ja auch nicht her, wenn man mal kurz in etwas größeren Maßstäben denkt: “Fünf Menschen steigen in den Bus, setzen sich, holen wie einstudiert ihre Zeitungen und Bücher raus und starren auf die Seiten, bis sie wieder aussteigen.” Liebe Kinder, so war das wirklich. Wir haben alle dauernd irgendwas gelesen, fast wie heute, nur war es eben gedruckt. Aber wir haben auch im Zug gelesen, auf dem Klo, im Bett, auch in Kassenschlangen, auch in Wartezimmern und auf Parkbänken. Wir haben nicht, nein, wirklich nicht jede Minute ohne Beschäftigung dazu genutzt, uns zu fühlen, tiefer zu empfinden, geistreich zu sein, im Kontakt mit uns zu sein, wir haben nie, nie, nie gedacht, boah, Langeweile, voll schön, jetzt erleben wir uns mal selbst, hurra. Wir haben aber sehr oft gedacht: Verdammt, ich habe kein Buch dabei. 

Die Zeitungen werden dann im Interview auch noch erwähnt, aber die Parallele wird abgeschwächt. Ich sehe es nicht ganz ein, glaube ich.

 

***

Zwischendurch einen herzlichen Dank an die Leserin P.B., die Sohn I ein Buch über griechische Mythologie geschickt hat. Großartig und sehr passend, das kam genau rechtzeitig!

***

Wie neulich berichtet, schraube ich gerade am Biorhythmus herum, um wieder etwas mehr Abend für mich zur Nutzung zu gewinnen, das klappt auch schon recht erfolgreich und sogar etwas einfacher als gedacht, das ist auch mal schön. Ich habe das aber zum Anlass genommen, auch an anderen Momenten und Szenen des Alltags herumzuspielen, das mache ich ab und zu ganz gerne und manchmal mit überraschenden Erkenntnissen. Ich setze mich also zum Arbeiten einmal woanders hin, ich arbeite zu anderen Zeiten oder mache andere Dinge irgendwie so, dass sie von der jahrelang eingeübten Routine abweichen. In der Herzdame habe ich da eine engagierte Mitspielerin, die mag das auch. Was geht noch, was geht anders, was geht am Ende sogar besser?

Heute bin ich nach dem Büro nicht nach Hause gefahren, ich bin in die Zentralbücherei gegangen um dort zu schreiben. Immerhin ist dort eine sehr motivierende Atmosphäre, wie schon mehrfach beschrieben, es ist alles voller lernender, lesender und schreibender Menschen. Mit Betonung auf “voller”, es war nämlich in dem ganzen Riesenbau kein Platz für mich frei, außer einem Stuhl in der Cafeteria, da war es mir eigentlich zu laut. Aber da habe ich mich dann dennoch hingesetzt und genau sechzehn Minuten lang begeistert und hochmotiviert geschrieben. Dann gab der Akku des Notebooks plötzlich den Geist auf und eine freie Steckdose gab es weit und breit nicht.

Aber egal, ich hörte über mein Handy Musik und als ich vom schlagartig schwarz gewordenen Bildschirm hochsah, ging eine Frau mit Baskenmütze gerade die Treppe hoch, und zwar ging sie exakt im Takt der Musik in meinen Kopfhörern durch den Bildausschnitt, eine Filmszene mit Soundtrack war das, sie trug sogar einen Stapel Bücher aus der Requisite auf dem Arm, sie sah ernst und klug und sehr inszeniert aus und ihr Kopf verschwand genau in dem Moment aus dem Blickfeld, als mein Lied ausklang. Es sind die kleinen Dinge und Momente.

Aber aufschreiben konnte ich das dann natürlich nicht mehr. Egal, ich versuche es wieder.

Einen Tisch weiter saß ein kleiner, ein sehr kleiner Junge, der heulte und heulte, weil er etwas essen oder trinken wollte, das er dummerweise nicht beschreiben konnte. Die Mutter und die Verkäuferin an der Kuchentheke gaben sich alle Mühe, die dringenden Wünsche zu verstehen, sie hielten alles mal kurz hoch und fragten immer wieder nach, diesen Keks, diesen Kuchen, nein, es gelang ihnen einfach nicht, auf das Richtige zu kommen, das Elend war enorm.

Da habe ich mich zu ihm runtergebeugt und gesagt: “Weißte was, mein kleiner Freund, es ist kein Trost, aber auch mit über fünfzig Jahren hat man es dummerweise noch nicht auf der Reihe, seine Wünsche immer ausreichend klar zu formulieren, so dass man von allen verstanden wird. Das bleibt so.”

Nein, das habe ich natürlich nicht gesagt, schon gut.

***

Musik! Tom Jones und Joe Cocker. Warum auch nicht.

***

Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

************************

Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhanden Hut werfen, der heute wieder wie ein gegenwärtiger Hut aussieht, na, eher wie eine Wintermütze. Auch Details immer saisonal anpassen! Vielen Dank!

************************

 

Im Admiral Benbow

Auf besonderen Wunsch eines einzelnen Sohnes lese ich Stevensons Schatzinsel abends im Kinderzimmer vor. Allerdings habe ich sie gerade erst selbst als Hörbuch konsumiert, es ist mir beim Lesen also alles merkwürdig vertraut und mir kommt die kleine und etwas heruntergekommene, seit vielen Jahren schon windschiefe Schenke auf der Klippe, der “Admiral Benbow”, wie sie auf dem im Sturm schaukelnden Schild über der Tür genannt wird, geradezu unangenehm vertraut vor, denn ein allzu idyllischer Ort ist sie ja nicht. Ich kenne den dort residierenden seltsamen Vogel, vor dem seiner unbändigen Wut wegen alle Angst haben und der sich – ob zu Recht oder nicht! – Kapitän nennen lässt, schon viel zu gut. Ja, mir ist, als würde ich selbst da schon seit Tagen und Wochen immer wieder aus dem Fenster der Spelunke sehen und voller Angst warten, dass auf dem Weg zum Haus dieser einbeinige Seemann auftaucht, von dem der Kapitän immer faselt, wenn er genug getrunken hat. Denn dass er auftauchen wird, daran besteht ja wohl kein Zweifel. Und dann?

Johohooo, und ne Buddel voll Rum. Vielleicht sollte ich beim Vorlesen einen Grog trinken, dieses Getränk ist mir schon seit Ewigkeiten nicht mehr untergekommen, fällt mir gerade auf, das ist auch so eine Kindheitserinnerung. Der Grog der Erwachsenen im Winter, mit den klingelnden Glasstäbchen zum Umrühren, Wasser kann, Zucker darf, Rum muss. Lange her, wie gesagt.

Da ich kein Lehrer bin und die Söhne schon etwas größer sind, können wir nach dem Vorlesen einfach aus Spaß noch etwas über das Gelesene reden, ganz ziel- und planlos, das ist sehr schön. Es fällt etwa auf, dass der Ich-Erzähler seinen Vater auf den ersten Seiten ziemlich sang- und klanglos sterben lässt, eine unwichtige Randfigur, die sonst der Spannung nur im Weg herumgestanden hätte. Erzähltechnisch ist das verständlich, für junge Zuhörer ist es aber ein beachtliches Unding, ich meine, da stirbt immerhin ein Vater, das ist eine größere Sache, wieso ist es im Buch keine? Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu? Darüber kann man ja mal reden.

Es gibt noch mehr spannende Frage, wie etwa sieht es im Admiral Benbow eigentlich aus? Das wird nämlich kaum beschrieben, wo kommen dann die Bilder im Kopf also her? Weiter: Im Buch steht nach dem Zwischenfall mit dem Mann, den sie den Schwarzen Hund nennen, dass am unteren Rand des Wirtshausschilds eine Kerbe von einem gewaltigen Säbelhieb des Kapitäns zu sehen sein soll, und zwar ist sie da zu sehen bis zum heutigen Tag. Als Erwachsener liest man glatt darüber hinweg, als Kind kann man aber schon einmal fragen: Stimmt das? Und wenn man schon dabei ist – was stimmt denn da überhaupt und macht es etwas aus? Gab es den Admiral Benbow, gab es diese Klippen, gab es den Ich-Erzähler, gab es irgendeine Figur aus dem Buch, was denn nun davon? Gab es wenigstens die Stadt Bristol? Und da hat man dann eine dieser Nahtstellen zur Fantasie erwischt, die gab es nämlich tatsächlich, die gibt es auch noch. Was aber beweist das für den Rest des Buches?

Wir reden auch über die Klippen, auf denen die Kaschemme steht, wie hoch mögen die wohl sein, wie sehen die eigentlich aus? Auch das steht da nicht. Wir waren alle niemals in Bristol, wir kennen also die Gegend dort nicht, aber wir kennen das Brodtener Steilufer hinter Travemünde, das könnte man als Bild nehmen. Oder nein, noch viel besser – wir kennen alle Helgoland, und das sind doch richtige Klippen, lebensgefährlich steil runter und steinern. Da ist auch die unten wütende Nordsee, das nehmen wir. So also entsteht ein Bild und dann sieht man schon wesentlich genauer, wo der Schwarze Hund nach dem wüsten Streit mit dem Kapitän die Klippen entlang flieht, man spürt den auffrischenden Wind von der See her und sieht weit draußen die Segel, denn auch das kennen wir von der Insel und apropos Insel, das Buch heißt die Schatzinsel, es muss also demnächst irgendwie losgehen, zur See, zur See, so viel ist auch klar. Ein ganz linearer Spannungsaufbau ist das, keine Sprünge zwischen Zeitebenen, keine komplizierte Rahmenhandlung, es ist eine altmodische Geschichte, sie geht grandios ab.

Wenn man in der Gegenwart als Erwachsener gerade von den zahlreichen skeptischen Texten zum Spiegelskandal kommt, von all den misstrauischen Vorsichtsmaßnahmen gegen Geschichten, von den gerade tieffliegenden Warnungen vor allzu viel Dichtung, dann kann man sich hier endlich wieder vor einen Erzähler stellen und aus ganzem Herzen sagen: “Ja, ich will.” Und dann holt er tief Luft und gießt sich einen Rum ein und erzählt das alles bis zum Ende durch und es ist wie früher ganz und gar herrlich, weil es nämlich in schönster Weise funktionieren kann, das mit den Geschichten. Das darf man bei all der Kritik am Erzählen im Moment auch nicht vergessen, nicht wahr.

***

Die Musik muss heute ohne Bewegtbild auskommen, ich brauche nur mal eben den Text. Die Ballade von den Seeräubern: “Sie lieben nur verfaulte Planken, ihr Schiff das keine Heimat hat.”

***

Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

************************

Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhanden Hut werfen, den Sie sich heute bitte als etwas speckigen Dreispitz vorstellen müssen, mit einer arg zerzausten Feder daran gesteckt und die Krempe, sie ist an einer Seite abgerissen und hängt seltsam herunter. Wir wollen ja im Bild bleiben. Vielen Dank!

************************

Behandschuhte Finger weisen vage ein Stockwerk

CamPatri. Ich kann mir keine solche Methode wie dort im Text ausdenken, denn ich müsste sie dann Budmaxi nennen, und wie klingt das denn.

***

Wie eine alte römische Münze hängt der Mond am Himmel über der Häuserzeile, eine dünne Scheibe angefressenen Kupfers, erodiert und irgendwie uralt, schrundig, löchrig, dünn, als hielte den Himmelskörper nicht mehr viel zusammen, als könnte man bald durch das abgegriffene Material die Sterne dahinter leuchten sehen.

***

Arno Schmidt über die löcherige Gegenwart, Bezüge zum täglichen Bloggen lassen sich leicht schnitzen, wenn man das möchte.

***

Zwei hochbetagte Damen gehen vor mir her durch den bemerkenswert kalten Großstadtsonntagmorgen, eine stützt sich auf die andere. Sie gehen langsam und vorsichtig. Beide sind so hochbetagt, dass ihre feinen Pelzmäntel eventuell noch aus einer Zeit stammen, in der ihnen niemand einen Vorwurf für den Erwerb und das Tragen von Pelzmänteln gemacht haben wird, und diese Zeit ist, wie wir alle wissen, schon eine ganze Weile her. Pelzmäntel sind mittlerweile zu Recht ein ungewohnter Anblick geworden, wann sieht man die schon. Wintersonne lässt dichtes Fell fein glänzen, silbrige Effekte auf dunklem Grund. Das Bild der beiden Damen erinnert mich an die Mäntel meiner Mutter, als ich noch Kind war. Da trug man noch Pelz, damals in den 70ern, Nerz, Nutria, Biber, Fuchs und weiß ich was, sogar die Männer trugen Pelzmäntel in dieser Zeit, es fiel nicht einmal auf. Die Pelzmäntel der Mutter fanden wir Kinder sehr kuschelig. So kuschelig fanden wir die, dass ihr späterer Verbleib des Öfteren beruhigend verkündet wurde: “Du erbst mal den, du den …”. Diese Pelze gibt es längst nicht mehr, Menschen halten im besten Fall länger als Mäntel.

Die eine Dame jedenfalls da vor mir, sie trägt zum Mantel eine passende Mütze aus dem gleichen Pelz, zeigt im Vorbeigehen auf ein Haus, behandschuhte Finger weisen vage ein Stockwerk: “Da wohnt einer meiner schönen jungen Männer.”

“Ach”, sagt die andere ohne auch nur hinzusehen, und in diesem “Ach” liegt keine Überraschung, kein Interesse, keine Regung, es muss irgendwie ganz normal sein, dass da einer der schönen jungen Männer der anderen Dame wohnt.

Und mehr werden wir dazu nicht erfahren.

***

Ich war am Nachmittag kurz im gefrorenen Garten, da war alles knackig eingezuckert wie die Ränder der Gläser bei manchen Cocktails, Sohn I hat das in der Hecke fotografiert:

 

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

 

Ein Beitrag geteilt von Jojo (@jojostgeorg) am

Das weiße Gras bricht gläsern, wenn man drüber läuft, die toten einjährigen Stauden in den Beeten stehen schwarz und starr. Sogar die Magnolie lässt die wie immer voreiligen Knospen vorerst lieber nicht weiter wachsen, alles zieht sich zusammen und schrumpft tief in sich hinein. Einzig der Grünkohl steht in aller Pracht und hält eisern und grün durch. In der Hecke sitzt ein winziger Vogel ganz still und äugt, was wollen die jetzt wohl hier, die Menschen? Alles ruht und wartet und verharrt, alles sagt: “Mach nichts.”

Und das habe ich dann auch gemacht.

***

Später am Tag, das Licht wird schon knapp. Über der Elbe liegt eisiger Nebel, er wabert in die Hafencity und weiter in die Neustadt. Er enthauptet die Kirchen in den Hafenvierteln, er verwischt die Takelage der Rickmer Rickmers an den Landungsbrücken. Der Elbphilharmonie mümmelt er den prächtigen Aufbau weg, Architektur in heller Auflösung. Den wimmelnden Touristen kriecht der Nebel durch Ärmellöcher und Reißverschlüsse in die Kleidung, da kann die Outdoormode mal zeigen, was sie wirklich drauf hat. Und viel ist das manchmal wohl nicht, so wie überall gefroren wird.

Auf einer Brücke über einem Fleet steht ein Mann, der hält in der einen Hand einen ganz kleinen Hund, in der anderen sein Handy. Er versucht, ein Selfie mit Hund zu machen, er sagt immer wieder “Guck mal! Guck doch mal!” zu dem Hund, wobei er mit dem Kinn energisch zum Handy zeigt und den Hund neben sein Gesicht hebt. Der Hund versteht natürlich überhaupt nichts, er leckt das so interessant wippende Kinn ab und guckt Herrchen an, das ist bei Hunden ja meistens auch richtig so, das weiß er. Heute aber nicht! “Guck doch mal! Na, hier!” Herrchen wackelt fuchtelnd mit dem Handy und sagt dabei immer unfreundlicher “Hier!” Der Hund denkt sich vermutlich, dass er ja hier ist, das wird doch schon passen oder was jetzt, er kann immerhin nicht wissen, das hier heute woanders ist. Es passt jedenfalls nicht. Herrchen stöhnt und rollt die Augen. Der Hund guckt den windschnellen Möwen nach, die über ihm durch den späten Nachmittag ziehen, die Elbe entlang nach Westen. Herrchen schüttelt jetzt den Kopf und murmelt halblaute Unfreundlichkeiten, vermutlich beschimpft er den Hund ob seiner unfassbaren Dummheit, dabei ist er es doch, der dumm ist. Dann steckt er das Handy grummelnd wieder weg. Der Hund guckt nach unten und sieht sich nach anderen Hunden um, denn auf dem Arm beim Menschen, das ist heute irgendwie nichts, so viel steht fest.

***

Musik! Let’s dance.

***

Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

************************

Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhanden Hut werfen, vielen Dank!

************************

Die Herzdame backt: Saftiger Schokoladenkuchen

Schokoladenkuchen

In unserem kleinen Bahnhofsviertel gibt es ein portugiesisches Café, wo sich gefühlt schon seit 100 Jahren eine Kaffeegruppe aus Müttern aus dem Stadtteil trifft. Immer freitags, oft auch donnerstags oder montags und nicht selten auch dienstags und mittwochs. Immer in der Zeit zwischen Kinderwegbringen und selbst zur Arbeit gehen. Auf einen Galao und einen kurzen Schnack – die Themen sind vielfältig.

Hin und wieder kommt dann noch der Freitagabend dazu, dann gibt es Wein und Sagres, um das Wochenende einzuläuten. Inzwischen gibt es auch Männer in der Kaffeegruppe, zum Beispiel meinen. Und mit jedem neuen Schuljahr kommen auch noch weitere Eltern dazu.

Seit cirka zwei Jahren gehöre auch ich der Runde an. Und es ist mir ein liebgewordenes Ritual, nach einem meist hektischen Morgen mit der Familie noch mal kurz runter zu kommen, bevor es dann ins Büro geht.

Letztens gab es etwas zu feiern und dazu habe ich den Lieblingsschokoladenkuchen von Sohn 1 mitgebracht. Sohn 1 bestellt diesen Kuchen zu wirklich jedem Anlass bei mir, der Kuchen ist auch meistens als erstes weg.

Da dachte ich, warum den Kuchen nicht mal zu einer Erwachsenenveranstaltung mitbringen – natürlich mit buntem Dekor. Leider hat ihn dann bei der Party fast niemand gegessen, vielleicht war er zu bunt. Wer weiß… Ich hatte dann auch keine Lust ihn wieder mitzunehmen und habe mich ohne Kuchen davon gemacht. Aber offensichtlich wurde er dann doch noch gegessen, jedenfalls wollten bei der nächsten Kaffeerunde plötzlich alle das Rezept.

Ein Löffel Kakao

Hier liebe Kaffeegruppe (und alle anderen), für Euch:

Ihr braucht:

  • 300 gr Butter
  • 8 EL Kakao
  • 350 gr Zucker
  • 250 gr Mehl
  • 1 TL Natron
  • 1 Prise Salz
  • 2 Eier (M)
  • 150 gr Schmand
  • 60 ml Milch
  • 200 gr Puderzucker

Und los geht es:

Die Herzdame fettet eine Form

200 gr Butter, 4 EL Kakao und 200 ml Wasser unter Rühren kurz aufkochen. Dann abkühlen lassen und den Backofen auf 200 Grad vorheizen.

Die Herzdame

Mehl, Zucker, Natron und Salz vermischen. Dann Schmand und Eier, sowie die abgekühlte Kakaomasse dazugeben und verrühren. Den Teig in eine gefettete Springform geben und im unteren Ofendrittel ca. 30 Minuten backen.

Dann abkühlen lassen und den Kuchen mit einem Zahnstocher mehrfach einstechen, laut Rezept. Ich perforiere ihn quasi, damit der Schokoladenguss richtig einzieht und dadurch so saftig wird.

Herzdame an Ofen

Dann die restliche Butter, den restlichen Kakao, sowie Milch und Puderzucker im Topf mischen und vorsichtig unter Rühren aufkochen.

Die Hälfte des Gusses über den Kuchen gießen, dann abkühlen lassen.

Guss tropft vom Löffel

Zum Schluss noch mal den restlichen Guss erwärmen und über den Kuchen gießen. Und buntes Zuckerdekor nicht vergessen, das knackt so schön beim Kauen und gibt dem ganzen noch so eine Crispy-Note.

Die Herzdame

Im Übrigen empfiehlt es sich, den Kuchen entweder komplett in der Form zu lassen oder zumindest bis zur ersten Hälfte des Gusses. Normalerweise nehme ich den Ring der Springform erst ab, wenn der Guss komplett fest ist. Heute habe ich für Fotozwecke den Kuchen gleich auf eine Tortenplatte gesetzt und begossen. Das war keine gute Idee …. Richtig fotogen ist er jetzt nicht mehr.

Schokoladenkuchen von oben

Aber geschmeckt hat er dann trotzdem.

Das Kleid ist leider auch nicht besonders fotogen, ich müsste erst ein neues kaufen, so lange wollte ich meine Kaffeegruppe nun nicht warten lassen. Außerdem ist es wahnsinnig bequem und die seitlichen Taschen sind super.

Die Herzdame

Das Rezept war mal der Kuchen des Monats in der Zeitschrift „Für jeden Tag“, aber fragt mich bitte nicht, in welcher Ausgabe oder in welchem Jahr.

Die Schuhe der Herzdame

Die Schuhe vom Backofenbild habe ich übrigens u.a. von dem Leserinnengeld bezahlt. Vielen Dank nochmal an alle!

************************

Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhanden Hut werfen, herzlichen Dank!

************************

Leihhunde und Wanderärzte

Zur Kulturgeschichte des Winters.

***

Zur Situation des norddeutschen Frühlings.

***

Eine Hütte unter dem zweiten L. Das im Artikel erwähnte einzige Album kann man auf Spotify hören, ganz seltsames Zeug. Oder, wie Sohn I sagte: “Was ist das denn nun wieder?”

***

Döblin lesen.

***

Die Haustierfrage halte ich zwar in unserem Fall für prinzipiell unlösbar, es gibt hier aber Menschen im Haushalt, die das anders sehen.

Am nächsten Wochenende haben wir einen Leihhund, mal sehen, was das bewirkt. Also bei den Kindern, bei mir bewirkt das gar nichts, so weit ist es schon klar.

***

Sven hat es neulich schon erwähnt, in Hamburg gibt es bald Moia. Ich komme darauf, weil in der S-Bahn per Plakat Fahrerinnen für den Dienst gesucht werden, ein Job, für den ich sicher eher nicht geeignet bin. Ähnlich wie Sven leuchtet es mir auch nicht recht ein, was das Angebot sein soll, eine Mitte zwischen Bus und Taxi? Also ich verstehe schon, dass es genau das sein soll, aber wo ist denn da der Bedarf? Ich nehme stark an, dass es Belege aus der Marktforschung für diesen Bedarf geben wird, aber es gibt ja so Fälle, da steht man als Laie eher ratlos davor. Ich z.B., um naheliegend anzufangen, ich habe keinen Bedarf. Um mich herum ist der Nahverkehr so eng ausgebaut, ich bin im letzten Jahr nicht ein einziges Mal mit dem Taxi gefahren, es war alles ganz bequem anders möglich. Ich komme einfach auf keine Strecke durch die Stadt, die mir sofort als sinnvoll für Moia einleuchten würde.

Geschäftsreisende der unteren Karrierelevel haben oft kein Budget für ein Taxi, die sollen gefälligst mit dem ÖPNV fahren, vielleicht wird da Moia freigegeben, hofft man darauf? Das wird aber ein zäher Prozess, da geht es um Konzernrichtlinien, das ist alles nicht einfach. Es gibt natürlich auch gar nicht wenig Menschen, die benutzen den öffentlichen Nahverkehr wegen der anderen Menschen nicht, mit denen man da unweigerlich in Kontakt kommt, Plebs und Pöbel, was da eben alles so herumfährt. In so einem Moia-Ding sitzen deutlich weniger Menschen, aber ich möchte annehmen, dass der Smalltalldruck darin viel höher als in einer U-Bahn ist, das würde mich wiederum stören. Wie in diesen Bahnabteilen mit Kennenlernzwang, Sie kennen das. Also diese Nahverkehrsverweigerer, die fahren doch lieber weiterhin Taxi, wenn sie gerade kein eigenes Auto haben, glaube ich.

Aber wieso soll es überhaupt eine tolle Idee sein, 500 Autos mehr durch Hamburg fahren zu lassen, nach der ursprünglichen Planung sollten es sogar tausend sein? Tausend! Wie immer bei Zahlen gilt, dass man sich das bitte einmal vorstellen muss, tausend Autos mehr, so etwas braucht unbedingt ein Bild. Stellen Sie sich einfach vor, die kommen aus einer riesigen Tiefgarage, ein Wagen nach dem anderen, und alle scheren sie in den Verkehrsstrom ein, der hier, wie in jeder Großstadt, ohnehin mehr steht als fährt. Ein toller Plan.

Also meine Vorstellung der Verkehrswende ist das irgendwie nicht.

Und in einem Medienbericht stand, dass die Algorithmen des Navigationssystems es hinbekommen sollen, dass ein Moia-Fahrzeug niemals entgegen der Wunschrichtung eines von maximal sechs Fahrgästen fahren wird und dass es auch niemals kurz vor dem Ziel eines Fahrgastes von dessen Idealroute weg abbiegen wird. Ich bin kein übertriebener Technikskeptiker, aber ich glaube, das muss grandios an der Wirklichkeit des Stadtverkehrs scheitern. In unserem kleinen Bahnhofsviertel etwa, das ausschließlich aus Einbahnstraßen besteht – ich weiß ja nicht.

***

Noch ein Werbeplakat: Der Landkreis Harburg, das ist eine Gegend südlich der Elbe, sucht Hausärzte. Das fand ich bemerkenswert, ich habe noch nie ein Plakat gesehen, mit dem Hausärzte gesucht werden. Über dreißig sollen dort wohl fehlen, ich habe es gerade nachgelesen.

Und schon wieder bin ich nicht die Zielgruppe! Denn es steht zwar nicht auf dem Plakat, aber ich nehme doch stark an, dass man etwas Medizin studiert haben muss, um eine solche Stelle halbwegs akzeptabel ausfüllen zu können. Nein, die Zielgruppe für diese Werbung werden sicher durchziehende Wanderärzte sein, wer sonst.

***

Ich habe meine Standardsuchmaschine versuchsweise mal auf Qwant (hier erwähnt) umgestellt, die ersten Versuche sind gar nicht schlecht.

***

Ich habe mich außerdem gerade mit der Blinkist-App amüsiert, mit der man Sachbücher als Extrakt konsumieren kann. Damit schnurren Psychoratgeber mit klingenden Titeln auf banale Kalenderweisheiten zusammen, es ist im Grunde recht entlarvend und auch spaßig. Bei anderen Fachbüchern, etwa aus dem Bereich Geschichte, finde ich das aber im Ergebnis in einigen Fällen gar nicht so schlecht.

***

Ich war auf einer Veranstaltung der Regionalwert AG in der Hobenköök, da ging es natürlich um landwirtschaftliche Produkte aus der Region. Für die Regionalwert AG kann ich übrigens völlig hemmungslos werben, immerhin bin ich da Inhaber. Also nicht DER Inhaber, versteht sich, sondern nur EIN Inhaber, und das auch nur im unteren Promillebereich, aber hey – wen interessieren Details.

Auf den Nachmittag in der Hobenköök komme ich noch zurück, ich brauche offensichtlich immer etwas länger, um über Events aller Art zu berichten. Vorerst wollte ich ein ungewöhnliches Produkt empfehlen, das mir dort begegnet ist. Besonders den Leserinnen aus Norddeutschland, die es in der sowieso empfehlenswerten Markthalle der Hobenköök kaufen können. Ich bin nun mit großer Sicherheit kein Gourmet, aber ich hatte da genug ambitionierte und erfahrene Fachleute um mich herum, die meine Meinung bestätigt haben: Dieser Apfelketchup hier ist der Hammer. Ich spreche bestimmt selten Empfehlungen wegen des tollen Geschmacks von irgendwas aus, aber das Zeug – probieren Sie das mal, wenn Sie da rankommen können. Das ist auf eine sehr spezielle Art grandios.

***

Musik! Anita O’Day mit That old feeling.

 

***

Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

************************

Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhanden Hut werfen, vielen Dank!

************************

Madame, ich lieb‘ Sie

Eine Fahrt mit dem Taxi.

***

Auch Christian denkt über das Aufräumen nach. Ich bin währenddessen bei meinen Mails angekommen und lösche mich durch den elefantös großen Ordner mit der etwas vagen Bezeichnung “Ablage”. Und ich liebe es.

***

Sascha Lobo über die Medien und über das, was mich seit 2015 irre macht.

***

Der erste Tonfilm in Deutschland. Ich mag die Textzeile: “Madame, ich lieb´ Sie seit vielen Wochen, wir haben manchmal auch davon gesprochen.” Lieder meines Lebens. Und diese Kalenderblattreihe beim Deutschlandfunk da, die finde ich übrigens gut, die lese ich jeden Morgen.

***

Stefan war in Äthiopien.

***

Zeichen der Zeit: Am Nachmittag schlingert ein kleines Mädchen auf einem Laufrad über den Bürgersteig vorm Supermarkt und skandiert immer wieder in beträchtlicher Lautstärke: “Osterei! Osterei!” Und am Morgen ist auf dem Weg zur Arbeit erstmals wieder etwas Helligkeit am Himmel nicht völlig auszuschließen. Soviel zum Thema Frühling, ich komme sicher darauf zurück, ich warte nur eben den Schneeschauer da draußen ab.

***

Ansonsten verbleibe ich wegen überbordender Müdigkeit heute in geradezu unangemessener Kürze, diese Woche hat irgendwie einen Tag zu viel für mich. Oder für alle, wenn ich mich so umsehe.

***

Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

************************

Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhanden Hut werfen, vielen Dank!

************************

Hier ist ein guter Ort

Es interessiert irgendwie keinen, aber wir haben ein Problem. Oder ein paar mehr, denn was wurde gestern noch so gemeldet? Die Ozeane erwärmen sich schneller, das Eis schmilzt immer flotter weg, der Permafrostboden – na, und immer so weiter. Business as usual.

***

Eine Album-Besprechung, es geht um Nick Drake. Nanu! Wenn Sie Nick Drake nicht kennen, ändern Sie das bitte.

***

In den Kommentaren zum letzten Beitrag ging es um den von mir zitierten Satz zu Magdeburg und Hamburg, das verstehe ich, es war ein harter Satz. Das Thema lässt mich immer wieder ratlos zurück, schon weil ich im Empfinden deutscher Gemeinsamkeiten ganz unabhängig von Ost und West irgendwie nicht sehr fit bin. Ich bin norddeutsch, d.h. ich fühle mich auch in Hessen fremd, also fremd im Sinn von: “So geht zuhause aber nicht.” Ich weiß tatsächlich nicht, ob es aus Hamburger Sicht weniger Gemeinsamkeiten mit Magdeburg als mit, was weiß ich, Passau gibt, ich weiß nicht, woran ich das bemessen soll und ob es sich überhaupt lohnt, darüber nachzudenken. Soziologisch gewiss, soziologisch ist das alles interessant, persönlich eher nicht. Lauenburg liegt auch an der Elbe, die Gemeinsamkeiten mit Hamburg dürften sehr überschaubar sein, zumindest waren sie es bei meinem letzten Besuch dort. In Magdeburg war ich noch nie.

Der dahinterstehende Gedanke des Redners an dem Nachmittag der Veranstaltung jedenfalls, der war vermutlich eher eine Bitte darum, aus ostdeutscher Sicht korrekt und sorgfältig wahrgenommen zu werden, also im Sinne von “Interessiert Euch wenigstens für uns”, auch das war ein Satz, der da wörtlich fiel. Und das wiederum finde ich berechtigt, gerade bezogen auf mediale Aufmerksamkeit. Es gab vor einiger Zeit einen Artikel, ich glaube in der Zeit, über Ungerechtigkeiten und Dramen in der Nachwendezeit, der wurde viel herumgereicht und da waren viele im Westen ganz überrascht, das habe man ja gar nicht gewusst und ach guck, da gab es ja voll die Probleme, in diesen neuen Ländern da. Diese Reaktionen waren teils haarsträubend, denn natürlich hat man das gewusst, man wollte sich eben die ganze Zeit nicht weiter interessieren.

Das aber aus der Transformationszeit nach der Wende auch die heutigen Probleme resultieren, das ist, so verstehe ich es jedenfalls, eine Erkenntnis, die im Osten so gut wie jede und jeder hat, die im Westen aber eher bis heute nicht ankam, da denkt man eher “Na ja, da war eben DDR”, und das ist geradezu beleidigend verkürzt, to say the least.

Ich weiß aber nicht, was ich daraus ableiten soll, ich weiß auch nicht, was jetzt die richtigen politischen Maßnahmen wären, das ist nicht mein Metier. Aus ostdeutscher Perspektive, auch das wurde gesagt, kommt eh das meiste als Belehrung an, Belehrungen liegen mir fern. Es wurde geraten, sich abseits der negativen Schlagzeilen für die östlichen Regionen zu interessieren, es wurde geraten, die Multiplikatoren, die dort nicht dem rechten Rand zuzurechnen sind, nicht alleine zu lassen.

Und wie geht das? Es wurden Benefizveranstaltungen erwähnt, die etwa in von Rechten überfallenen Restaurants in Chemnitz stattfinden, das geschieht natürlich in allerbester Absicht – aber auch so etwas setzt das Thema doch immer weiter im negativen Kontext fort, denke ich mir, man bleibt dabei im Rahmen, den man sich keineswegs gesucht hat, den haben andere angefertigt. Es ist sehr kompliziert.

Ruben Herzberg erwähnte noch eine Frage, die vielleicht zum Schluss führt, die Frage nämlich, wo man denn noch hingehen könne. Weil es doch wieder Menschen gibt, die Angst haben, die an andere Länder denken, die quasi auf gepackten Koffern sitzen, in Frankreich übrigens noch viel mehr als bei uns. Und er sagte, die Antwort müsse unbedingt sein: “Hier ist ein guter Ort.”

Am guten Ort zu arbeiten, das ist dann vielleicht das, was wirklich wichtig und womöglich auch machbar ist? Unter dem Motto “Das Netz ist ein guter Ort” ist ja auch schon manches passiert, einige werden sich gewiss noch erinnern. Und “Hier ist ein guter Ort”, das gilt natürlich in Magdeburg und in Hamburg. Das gilt, wo jemand gegen den Hass ist. Vielleicht sollten wir uns einfach alle ein wenig um diesen Satz kümmern.

Aber was weiß ich schon.

***

Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

************************

Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhanden Hut werfen, ganz herzlichen Dank!

************************

Gemeinsamkeiten an der Elbe

Im Vorübergehen gehört: Eine Frau, die in einer osteuropäischen Sprache telefonierte, die viel sprach, alles in dieser Sprache, bei der ich mir nicht sicher bin, welche es wohl genau war, Russisch war es eher nicht. Es gab jedenfalls nur einen einzigen deutschen Satz in ihrem Redestrom, der war plötzlich gut zu verstehen. Vielleicht gab es keine Entsprechung dafür in der anderen Sprache, das kann ja sein, vielleicht ist dieser Satz aber auch einfach sehr deutsch, ich weiß es nicht: “Die Realität sieht anders aus.”

***

Am Nachmittag hingen die Herzdame und ich mit einem Sohn längere Zeit über dem Stammbaum der griechischen Götter, die Welt dieser Mythen ist in der Schule gerade Projektthema. Und während ich sonst bei vielen Schulthemen erstaunt bin, wie viel ich längst vergessen habe, bei den griechischen Göttern – man muss sich auch mal loben können! – kenne ich mich nach wie vor geradezu hervorragend aus. Zuständigkeiten, Verwandtschaften, Abstammungen, Geschichten, römische Entsprechungen, das habe ich mir als Kind anscheinend alles für die Ewigkeit eingeprägt, warum auch immer. Und mein ganzes Leben lang konnte ich mit diesem Wissen rein gar nichts anfangen, jetzt endlich kann ich einmal damit glänzen. Was wieder bestätigt, dass man manchmal nur ein paar Jahrzehnte warten muss, schon weiß man, wozu etwas gut war.

***

Noch einmal zu dieser Veranstaltung vom Auschwitz-Komitee. Ich habe bei der Vorstellungsrunde einen Namen nicht mitbekommen, den Namen des Moderators, ich nehme aber an, es war Detlef Garbe, der Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Was mich wieder daran erinnert, dass ich da seit Ewigkeiten schon einmal hinwollte, das werde ich jetzt dieses Jahr endlich machen. Anwesend war auch Ruben Herzberg, ein ehemaliger Hamburger Schulleiter. An seiner letzten Schule, sie ist nicht weit von hier, hängt eine Gedenkplakette für die Kinder vom Bullenhuser Damm, der ist nämlich auch nicht weit von hier. Eine vollkommen unerträgliche Geschichte, die vom Bullenhuser Damm, wenn man sich einmal damit befasst hat. Es gibt da diesen Satz (steht nicht im Wikipedia-Artikel) des SS-Mannes, der die Kinder erhängt hat, diesen grauenvollen Satz, in dem er den Mord schildert und sagt, er habe die Kinder wie Bilder an die Wand gehängt, dieser Satz verfolgt mich seit Jahren.

Ruben Herzberg wurde in Israel geboren. Seine Eltern waren im Dritten Reich aus Deutschland geflüchtet und sind später zurückgekehrt, und dieser Ruben Herzberg war es, der da auf dem Podium das Adorno-Zitat von der Erziehung brachte, ich zitiere es hier etwas länger als er es tat: “Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, dass ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen. Ich kann nicht verstehen, dass man mit ihr bis heute so wenig sich abgegeben hat. Sie zu begründen hätte etwas Ungeheuerliches angesichts des Ungeheuerlichen, das sich zutrug.” Geschrieben 1966, das ist so alt wie ich. Das Zitat ist bekannt, aber man kann es wohl nicht oft genug wiederholen und sich gelegentlich auch fragen, was man selbst als Erziehender eigentlich dazu beiträgt.

Ruben Herzberg: “Die Aufgabe ist immens und sie wächst.”

Als jene sehr rechte Partei im letzten Jahr ihr Denunziationsportal gestartet hat, bei dem man Lehrerinnen und Lehrer anschwärzen sollte, die aus Sicht dieser Partei im Dienst eventuell etwas zu gute Menschen sind, hat das Lehrerkollegium seiner ehemaligen Schule einen offenen Brief dagegen geschrieben, ich habe den auch gesehen und mich sehr darüber gefreut. David Begrich von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus in Magdeburg wies dann darauf hin, dass dies allerdings eine Reaktion war, die in einigen Landesteilen schon gar nicht mehr möglich ist, weil dort zu viele Menschen zu viel Angst haben, und zwar nicht einfach so, sondern aus nachvollziehbaren Gründen. Wie auch diese Podiumsdiskussion in einigen anderen Städten nicht ohne erhebliche Sicherheitsvorkehrungen hätte stattfinden können, die Veranstalter wären dort mit dem Vorhaben eventuell sehr alleine gewesen.

Dieser Diskussionsteil endete mit dem Satz: “Hamburg liegt an der Elbe, Magdeburg auch, da enden dann schon die Gemeinsamkeiten.

***

Bei dieser Sache mit den Vorsätzen für 2019 wurde mir u.a. vorgeschlagen, ich solle mehr rausgehen, nicht nur aus der Komfortzone, sondern auch sonst. Ich solle mich auch mal um andere Themen und Menschen kümmern, so in der Richtung. Das läuft an. Der Terminkalender füllt sich und ich will sehen, wie mir das mit den Berichten gelingen kann. Ich mache das jedenfalls gerne, wollte ich sagen, und ich danke noch einmal für all die Vorschläge.

***

Noch etwas Musik. Josh Rouse mit Julie.

***

Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

************************

Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhanden Hut werfen, ich werde es in der nächsten Zeit hauptsächlich für Veranstaltungen und dabei anfallende Spesen ausgeben. Vielen Dank!

************************

Was Konsens ist

Ich war auf einer Veranstaltung des Auschwitz-Komitees anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945: “Gemeinsam gegen den Hass”. Das war eine Podiumsdiskussion unter dem Motto “Erinnern heißt handeln”, mit Esther Bejarano, Regula Venske und anderen. Ich komme später noch darauf, wer da noch war, ich habe viel mitgeschrieben, aber es passt nicht alles in einen Blogeintrag, es passt auch nicht alles in einen Tag.

Es gab da vor der Veranstaltung einen kleinen Skandal in der Stadt, denn die Hamburger Hochbahn (= U-Bahn) wollte die Werbeplakate dafür, anders als in den Vorjahren, nicht mehr aufhängen, weil es für diese Veranstaltung keinen parteiübergreifenden Konsens gab. Darüber könnte man lange nachdenken und diskutieren, es eröffnen sich schon nach wenigen Gedankengängen immer mehr Unwägbarkeiten und man kommt auf immer mehr Einwände – man kann aber auch, wie Esther Bejarano, diesen Ansatz kurz mit “Die ticken doch nicht ganz richtig” zusammenfassen. Aber so wirken sich eben gewisse Parteien und Diskussionen auch in dieser Stadt aus, wir wollen das nicht übersehen. Der Skandal wurde dann noch geklärt, man hat sich auf höchster Ebene gerade noch auf genügend Konsens in Hamburg geeinigt, um Gedenkveranstaltungen dieser Art bewerben zu können.

Mit dieser Erzählung fing der Nachmittag an. Wie gesagt, in Kürze mehr dazu, ich berichte hier so nach und nach.

***

Ich treibe das im letzten Beitrag angesprochene Aufräumen jetzt noch weiter und sehe auch Online- Ablagen durch, etwa Twitter, wo ich schon seit etlichen Jahren dauernd irgendwas schreibe. Vielleicht will ich davon ja gar nicht alles behalten? Ich lese also rückwärts – und es passiert Merkwürdiges. Es gibt da Tweets, etwa aus dem letzten Winter, bei denen würde ich wetten, sie sind aus diesem Winter. Also nicht im Sinne eines vagen Verdachts, eher mit einem ganz sicheren Gefühl, das war doch gerade erst, das ist doch frisch. Eine seltsame Verzerrung der Erinnerung, bei Blogtexten habe ich das nicht. Wie das wohl kommt?

***

Bei der GLS Bank habe ich etwas zum Thema Flut und steigende Meere zusammengestellt.

***

Über verschwindende Läden, das hatten wir ja neulich auch hier im Blog.

***

Über Marie Kondo (da ist sie schon wieder) und sinnloses Shopping.

***

Das hier ist wegen des geschichtlichen Bogens bemerkenswert, man muss sich nur mal kurz daran erinnern, wie die allerersten Grünen in den Bundestag einzogen, noch mit den Topfblumen dabei, das war sehr damals, in einem ganz anderen Land, in einer anderen Zeit, 1983 war das. Und jetzt, wenn man das wieder vor Auge hat, das hier: Bonn will sich Biostadt nennen.

***

Musik! Sinatra mit Moonlight in Vermont in einer großartigen Aufnahme.


***

Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

************************

Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhanden Hut werfen, ganz herzlichen Dank!

************************

Die schlechte Laune des Januarfebruarmärz

Ich möchte etwas zu dieser Netflixaufräumserie sagen, über die gerade alle reden. Wobei ich erwähnen muss, dass ich die überhaupt nicht gesehen habe, aber es wurde über sie so dermaßen viel gesagt und geschrieben, es haben so dermaßen viele Menschen Statements zu ihrem eigenen Aufräumverhalten abgegeben, es kommt mir gerade so vor, als hätte ich sie gesehen.

Wir haben hier die aufgeräumteste Wohnung, die man sich nur denken kann, everything sparks joy und so, denn ein Sohn hat gerade eine Abstellkammer als Rückzugsraum bezogen, die wir für diesen Zweck erst einmal leer räumen mussten. Die Abstellkammer ist sehr groß, sie ist eigentlich eher eine Art Abstellsaal, und sie war auch sehr voll. Sie war der stets vollgemüllte Abgrund dieser Wohnung, der Hort des Verdrängten, von diesem Abgrund aus griff dann das große Aufräumen auch auf alle anderen Räume über. Wir haben hier also enorm viele Dinge und Dingelchen bewegt, sortiert, weggeworfen, verkauft, das hat den ganzen Dezember bestimmt, die langen Winterabende, Sie wissen schon. Die Herzdame hat, um nur ein Beispiel zu nennen, etwa fünf Abende damit verbracht, Playmobilkleinteile zu sortieren, Sets nach Jahren der intensiven Nutzung wieder fertig zusammenzubauen und schließlich verkaufsfertig zu machen, eine völlig irre Arbeit. Aber es ist tatsächlich alles vollbracht. Das war so einer dieser Großpläne, die man lange, lange vor sich herschiebt, der ist jetzt nach Jahren der eleganten Verdrängung endlich durch und komplett erledigt. Wir könnten uns jetzt etwas anderes in der Art vornehmen, ein Haus bauen oder so.

Und das ist auch alles recht schön so, es ist befreiend und ein wenig belebend, wenn man das Ziel der perfekten und stets nur vage angepeilten Ordnung tatsächlich einmal zu hundert Prozent erreicht. Man muss aber einige Menschen sicher auch warnen, so etwas zu veranstalten. Denn eine bewältigte Aufgabe dieser Größenordnung, die auch noch ein für jeden sofort sichtbares Ergebnis hat, die hat fast unweigerlich einen gewissen Druck zur Folge. Man setzt sich nach getaner Arbeit in die aufgeräumteste Wohnung aller Zeiten, man setzt sich aufs eigene Sofa und damit mitten hinein in einen Idealzustand – und dann muss man auf jeden Fall das handlungseinleitende “So” vermeiden. Denn der ungewohnte Zustand der Wohnung legt nachdrücklich nahe, dass jetzt noch mehr anders wird, die unordentliche Gefühlslage etwa oder der Alltag, es fühlt sich alles ganz so an, als könne jetzt sofort etwas losgehen oder eintreten.

Das aber ist natürlich nicht der Fall, und damit muss man umgehen können. Man hat eben einfach nur aufgeräumt, esoterischer wird es nicht und weitere Offenbarungen bleiben mit großer Sicherheit aus. Man wird kein anderer Mensch, ein besserer schon gleich gar nicht. Man sitzt und guckt und staunt, Ende der Geschichte. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann haben sie wieder Unordnung gemacht. Oder einfach nur Abendbrot, was ja ganz ähnlich ist.

Für mich war dieser Erwartungsdruck aber sowieso kein Problem, denn ich bin im Januarfebruarmärz wegen des nach Weihnachten schlagartig sinnlos gewordenen Winters traditionell schlecht gelaunt, mich erschüttert gerade gar nichts, auch keine Hoffnung auf ein anderes Leben durch eine neue Lagerungsart der Socken. Meine Stimmung ist stabil grau, dem ersten Quartal angemessen und auf eine saisonal korrekte Art dunkel, das ist gut für das seelische Immunsystem und schützt vor jeglichem Erwartungsklimbim. January expects that every man will do his duty.

***

Bei diesem Hacker- oder Doxing-Skandal da gerade, ist Ihnen auch aufgefallen, wie viele Kommentatorinnen und Kommentatoren den Täter beleidigt haben? Und zwar durch die Bank beleidigt im Sinne einer Herabsetzung aufgrund seines Alters und seiner Wohnsituation, irgendwo wurde er sogar mehrfach als “Bübchen” bezeichnet. Der Mann ist zwanzig Jahre alt, die Bezeichnung scheint mir ziemlich abwegig. Ich habe den leisen Verdacht, dass da die alternde Gesellschaft reflexhaft einen jungen Menschen beleidigt. Wie alt muss man denn neuerdings wohl werden, um kein Bübchen mehr zu sein? Dreißig? Das ist dann verdammt eine lange Pubertät.

Oder ist das nur die Enttäuschung in den Redaktionen, dass es keine noch größere Story ist, eine mit deutlich mehr Kawumm, also mit dem russischen Geheimdienst und der Mafia und natürlich China und allem und scharf? Es war aber nur ein womöglich rechtsdrehendes Bübchen. Mich stört diese Wortwahl sehr, sie ist irreführend.

***

Ich habe neulich auf Twitter nach neue Blogs gefragt, die Resonanz war nahezu inexistent. Die Frage bleibt für mich aber interessant, deswegen wiederhole ich die Bitte hier. Wenn Sie neue Blogs kennen, Gründungsjahr 2018 oder so, die Sie auf die eine oder andere Art bemerkenswert finden, dann schreiben Sie doch bitte einen Kommentar mit Link. Ich möchte gerne ein paar Neuzugänge lesen.

***

Der Spieler

***

Der Überkanzler hat ausgedient

***

Texte über die Probleme beim Spiegel kann vermutlich schon keiner mehr sehen, aber einer geht noch, nämlich der hier über das Wahrscheinliche in der Erzählung. Oder in der Reportage.

Recht weit oben im Text steht eine Definition der Literatur, danach erkennt man Literatur an ihrer Selbstreferentialität und an ihrer Mehrdeutigkeit. Ich möchte dazu bekennen: Das sagt mir auch nach längerem Nachdenken nichts. Die Schlussfolgerung des Textes im letzten Absatz allerdings, die finde ich wichtig und auch naheliegend.

***

Ich war mit der Herzdame auf dem Neujahrsempfang der Grünen im Hamburger Rathaus, in dem es sehr schöne Säle mit sehr schlechter Akustik gibt, noch schlechter sogar als im Dom der Hamburger Katholiken, und das will wirklich etwas heißen. Es wurden Reden geredet, von denen ich so gut wie nichts verstanden habe, aber um die Reden geht es den meisten bei so etwas ja eh nicht, es geht eher um das Soziale.

Mein Höhepunkt des Sozialen war dann, als ich kurz neben dem Hamburger Ersten Bürgermeister stand und wir beide zusahen, wie die Herzdame mit einem anderen Mann  tanzte, wozu er, also der Bürgermeister, nach ein paar Sekunden “Oha” bemerkte. Ich nickte, und das war erst einmal mein Smalltalk-Highlight des Jahres, bitte sehr, stets bemüht. Für seine treffende Bemerkung gab es übrigens auch allen Grund, denn die Herzdame tanzte Shag.

Tänze kamen hier lange nicht vor, deswegen kurz zur Erinnerung, Shag ist so etwas hier:

Man erkennt es vielleicht, Shag hat eine solch unfassbare Geschwindigkeit, ein durchschnittlicher Büromensch muss bereits nach etwa zwanzig Schritten wiederbelebt werden. Es ist aber auch einer der lustigsten Tänze überhaupt. Wenn Sie mal die Chance auf einen Shag-Einsteiger-Workshop haben, gehen Sie da unbedingt hin, das ist ein Erlebnis. Der Muskelkater hinterher ist allerdings eventuell der erste im Leben, bei dem Sie sich krankschreiben lassen möchten. 

***

Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

************************

Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhanden Hut werfen, vielen Dank!

************************