Meist trüb

Ein paar Tage zurück. Über den Kirchhof vor unserer Haustür wabert beißender Rauch durch einen dunkelgrauen, durchnieselten Dezembernachmittag. Eine große Feuerschale hat man dort aufgestellt, kleine Holzkistchen werden darin verbrannt, als ich vorbeigehe. Vielleicht sind es solche, in denen manchmal die Mandarinen in Supermärkten liegen, sie sehen beim flüchtigen Hinsehen so aus. Um die qualmende Schale herum stehen etliche Menschen. Allerdings stehen sie da nicht, um sich zu wärmen oder weil etwas gefeiert wird.

Sie stehen dort für die Essensausgabe an, die hier wöchentlich in der Kirche stattfindet. Es ist die übliche, seit Jahren so furchtbar lang gewordene Schlange der Bedürftigen, ich berichtete vielfach.

Sie stehen da in einem Bogen um die Feuerschale herum. Es ist ein scheußlicher, aber immerhin warmer Dezembertag, die üblichen 12 Grad, das Durchschnittswetter. Die Leute werden heute kein wärmendes Feuer auf dem Kirchhof brauchen, denke ich mir. Aber riechen werden sie alle unweigerlich, penetrant wie die Räucherware vom Fischmarkt, denn sie können dem Rauch in der Warteschlange nicht entkommen. Sie stehen zu lange in den stinkenden Wölkchen, die zwischen ihnen verwehen, sie können ihre Plätze in der Schlange nicht aufgeben. Es wird gut gemeint sein, das große Feuer, davon gehe ich aus. Aber ob es auch gut ist, da bin ich nicht sicher.

Aber das nur als Bild am Rande. Ich muss es ab und zu erwähnen, wie es hier zugeht. Denn bei Ihnen, was weiß ich, geht es irgendwie anders zu.

Sie haben vielleicht in den letzten Tagen eine Meldung gesehen, in der unser Stadtteil auch überregional erwähnt wurde. Es sind selten erfreuliche Meldungen, wenn so etwas vorkommt, es war auch diesmal keine. Da ging es um eine Kita, die ihr Außengelände gerade mit Stacheldrahtverhau gegen Junkies etc. zu schützen versucht. Das ist hier um die Ecke.

Und ich bin gerade, Sie müssen sich hier eine kurze Pause vorstellen, dort vorbeigegangen. Ich dachte, ich mache Ihnen reportermäßig ein Bild davon. Das habe ich dann aber gelassen, denn es standen Typen vor der Kita, die man lieber nicht fotografiert. Aber dieses Bild, das es nun nicht gibt, es passt auch.

Es ist ansonsten norddeutsch dezembrig in Hamburg, also eher hässlich. Schwer ist es, in dieser Zeit des Jahres, im durch und durch unschönen Stadtwinter, irgendetwas Reizvolles, Attraktives zu entdecken, während man durch die Straßen geht (andere haben es gerade etwas leichter, wie etwa Anke). Ich müsste aber neue Fotos machen, denke ich mir. Zu viele meiner Vorratsfotos sehen jahreszeitlich schon falsch aus, das stört mich.

Neue Bilder braucht das Blog. Ich gehe wieder raus, ich gehe gucken.

Ich sehe aber hartnäckig nichts. Also nichts, das ich abbilden möchte. Ich komme gegen den winterbedingten Filter in meiner Wahrnehmung nicht an, ich kann Schönes im Moment nicht erkennen. Der trostlos ghettohaft herumfliegende Müll fällt mir nur auf. Die unzähligen falschparkenden Autos. Das Elend der Obdachlosen, die durchnässten Schlafsäcke in den Hauseingängen, die zerfledderten Kartonbetten. Die Bettelnden am Straßenrand usw. Das möchte, kann und darf ich alles nicht abbilden.

Das Wetter zieht uns hier etwas herunter in diesen Wochen, nicht nur mich. Und man lässt sich auch ziehen. Das bringt diese Zeit so mit sich, immer wieder, und es klingt auch schlimmer, als es ist. So geht der Winter hier nun einmal, man kennt es nicht mehr anders. Wann war das damals mit dem Alstereis, mit diesem letzten Winteralstervergnügen. Mit den vielen gutgelaunten Menschen auf Schlittschuhen unter der Wintersonne am Nachmittag, mit den Glühweinständen auf der weiten weißen Fläche, wann war denn das.

Da waren die Kinder noch … der Autor zeigt mit einer Hand irgendetwas ungefähr in Kniehöhe an, fährt dann doch etwas höher, grübelt, weiß es nicht recht, schüttelt den Kopf, winkt ab. Früher eben, es war einfach früher. Da war es hier jedenfalls auch im Winter einmal schön, in jenem Jahr. Da sah es gut aus, zumindest unten an der Alster. Was sagt der Wetterbericht gerade, ostwärts abziehende Schauer, dahinter neu aufkommender Regen, vereinzelt Graupel und Schneeregen, meist trüb.

Na, es passt schon alles zusammen.

Im Bild heute ein U-Bahngleis im Hauptbahnhof. Auch so ein Festival des Frohsinns.

Die menschenleere Haltestelle der U2 im Hauptbahnhof, nur ein Mann sitzt auf einer Bank und lässt den Kopf hängen.

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Sonderspiegelung

Vielleicht haben Sie über die Feiertage Zeit für einen längeren Text? Wenn Sie sich nebenbei die Zeit mit irgendwelchen Apps vertreiben, dann sind Sie schon im Thema. Dann sind Sie auch schon betroffen. Ed Zitron schreibt in ausgiebiger Wut, mit vielen Beispielen, Belegen und Bezugspunkten, auch mit erschreckend vielen Ausläufern in andere Themenbereiche über die Rot Economy. Warum alles so schlecht ist und warum die Meinung der Kundschaft keine Rolle mehr spielt: Never forgive them.

They have twisted and broken and hyper-monetised everything — how you make friends, fall in love, how you bank, how you listen to music, how you find information.”

Ich fand es lesenswert.

Und sicher fallen nicht nur mir beim Lesen der Überschrift spontan die Meldungen zum Oxford word of the year 2024 ein, also die Meldung zum brain rot.

Aber schön immerhin, um noch einen positiven Aspekt bemüht dranzuhängen, dass ich beim Abarbeiten meiner gespeicherten Links gut vorankomme. Am Ende bekomme ich zumindest diese Schubladen doch noch alle zu in diesem Jahr.

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Ich hatte einen Termin zur Verlängerung meines Personalausweises, dabei mussten auch neue Bilder gemacht werden. An einem neuen Automaten in den Räumen der Behörde, der die Höhe der Kamera roboterhaft selbst einstellte und mir sinnige Anweisungen per Display gab. Es war ausreichend narrensicher für mich.

Das fertige Bild baute sich schließlich erstaunlich langsam vor mir auf, nachdem ich alle Anweisungen befolgt hatte. Bevor das Endergebnis in Farbe auf dem Monitor gezeigt wurde, gab es zunächst eine vorläufige Schwarzweißversion, die da zögerlich, stockend und wie im Internet früher einmal, also Zeile für Zeile und von oben nach unten erschien. Erst stark verpixelt, dann allmählich klarer.

Ich stand dann einen Moment etwas entgeistert vor dem Gerät. Denn das Bild zeigte, als es endlich bei Kinn und Bartlinie angekommen war und das Gesicht vollständig freigab, nicht etwa mich, wie ich selbstverständlich erwartet hatte. Es zeigte vielmehr in aller Deutlichkeit meinen Vater. Meinen Vater, der mich aus dem Schattenreich, in dem er seit einigen Jahren weilt, ernst ansah.

Der gerade erst hier im Blog erwähnte Stephen King hätte vermutlich etwas daraus machen können, dermaßen klar und überzeugend war dieser Eindruck. So überraschend war diese überzeugende Ähnlichkeit, die mir vor gewöhnlichen Spiegeln im Alltag nie bewusst wird. Der Augenblick kam dann, und da sollte ich sicher dankbar sein, ohne weitere und vertiefende Horror- oder Fantasy-Effekte aus, ich muss hier nicht das Genre wechseln.

Es reichte aber immerhin für eine ungeplante Gedenkminute, und warum auch nicht. Man muss die Feste feiern, wie sie fallen.

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Kulturvorhaben

Hamburg gibt mehr Geld für Kultur aus. Die geplagten Menschen aus Berlin möchten diesen Absatz vielleicht überspringen? Ich könnte es verstehen, man muss seine seelische Stabilität manchmal auch zu schützen wissen.

Davon abgesehen: Auch die guten Nachrichten mitnehmen und prominent hier einbauen. Frohsinn verbreiten und Aussicht auf Gelingendes. Auch einmal mit etwas einverstanden sein, es kommt selten genug vor. Und, versteht sich, diese mit meinen Steuern ausdrücklich gerne finanzierte Kultur dann im Gegenzug auch besuchen, ansehen und erleben.

Um das ansonsten eher dämonisch am Kalenderrand erscheinende nächste Jahr wenigstens mit einem konstruktiven Gedanken anzugehen, mit immerhin einem mehr als keinem. Wenn wir sonst schon bei nahezu sämtlichen Themen mit bedauerlicher Sicherheit eher zum Heulen und Zähneklappern, zum Händeringen und Haareraufen übergehen werden. Zwischendurch können wir hier immerhin ins Theater, ins Konzert, ins Museum gehen.

Ich werde es jedenfalls so machen, das ist zumindest der Plan. Ich werde mich passend verhalten und mein Kulturbudget ebenfalls erhöhen. Das wird in Zeiten der massiv bedrohten Demokratie ohnehin angemessen zu sein.

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Gehört, und es passt im weitesten Sinne noch in den Zusammenhang: Eine Sendung beim Deutschlandfunk über die Evolution der menschlichen Gewalt: Weshalb Krieg uns nicht in den Genen steckt. Ein Titel, bei dem man zunächst spontan widersprechen möchte, sofern man die Weltlage am Rande zur Kenntnis nimmt. Es geht um patriarchale Strukturen und ihre verheerende Wirkung auf die Gesellschaft. Es geht in biologischer Hinsicht um unsere verwandten Primaten, und es geht auch wieder um die Mutter fast aller unserer Probleme. Also um die neolithische Revolution, in der unsere Vorfahren die selten dämliche Idee hatten, den Besitz und die Arbeit zu erfinden.

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Ansonsten gerne gesehen: Diese Doku auf arte über Cary Grant. Ein schüchterner Mann voller Selbstzweifel und schlimmen Ängsten, man sah es ihm nicht eben auf den ersten Blick an.

Außerdem gesehen: Eine weitere arte-Sendung, diesmal über Italo Svevo, dessen Zeno Cosini ich viel zu spät, erst in diesem Jahr gelesen habe. Der Herr ist interessant, seine Bücher sind es auch. Fast noch interessanter kam mir in dieser Sendung aber Triest vor, seine Stadt.

Besonders faszinierende Bilder sah ich da, ungeheuer anziehend. Man könnte glatt meinen, dort einmal hinzumüssen, um etwa zehntausend Fotos zu machen. Aber ich habe ja, siehe oben, schon einen anderen Plan.

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Ansonsten Urlaub

Frau Büüsker wie immer lesenswert, diesmal über die CO2-Lobby und das Flüssiggas.

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Bei den Blättern gibt es einen freigeschalteten Artikel von Michael Tomasky (Wikipedia über ihn) aus der November-Ausgabe. Es geht um  die rechten Medien in den USA, um ihre entscheidende Rolle bei der Wahl. Es geht auch darum, dass erstaunlich viele Menschen die Logik dahinter nicht verstehen, wohl auch nicht verstehen wollen. Und ich habe oft, viel zu oft den Eindruck, dass auch in Deutschland nicht gesehen wird, wie sehr und vor allem wie unrettbar uns die gemeinsame Informationsbasis, die als verlässliche Wahrheit über viele Jahrzehnte zumindest galt, in den letzten Jahren abhandengekommen ist.

Es wird dramatisch unterschätzt, wie weit diese Verlagerung der Information schon gediehen ist, auch bei uns. Insbesondere mein ansonsten stets und so verlässlich topcheckendes Online-Umfeld hat hier eine beachtliche Verdrängungsleistung, die mich oft wundert. Ein echter Bubble-Effekt, nehme ich an.

Ergänzend noch einmal Michael Tomasky in The New Republic, mit ein paar weiteren Aspekten.

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Ich habe ansonsten Urlaub, also sehe ich wieder den Sender arte leer und versuche darüber hinaus, einigen der in den letzten Wochen gespeicherte Links nachzugehen. Hier noch etwas nachlesen, dort etwas nachhören. Es hat sich einiges angesammelt, es ist nicht alles schon nach 14 Tagen komplett veraltet.

Zwei Dokus habe ich über Autoren gesehen, deren Werke ich nicht, nicht mehr oder noch nicht (wer weiß) lese. Zum einen etwas über Tolkien und seine erfundenen Welten, seine Inspirationsquellen und seinen Lebenslauf. Ich bin nie recht mit ihm warm geworden, ich habe seine Bücher nicht oder zumindest nicht durchgelesen. Mich hat nie eine Fantasy-Welle voll und ausreichend lange erwischt, jedenfalls nach der Kindheit nicht mehr.

Ich kenne auch von den so berühmten Verfilmungen seiner Bücher nur Teile. Die ich dann eher langweilig fand, Menschen und andere Wesen ziehen von Schlacht zu Schlacht und hin und her, von links nach rechts durchs Bild und umgekehrt, dann wieder Schwertkampf, repeat. ich habe aber dennoch die relevanten Hauptfiguren und auch die wichtigsten Handlungsstränge recht sicher parat. Ich verstehe also Anspielungen und Vergleiche, wovon es im Alltag nicht eben wenig gibt. Siehe auch Star Wars oder Harry Potter, mit diesen Werken verhält es sich ähnlich.

Immer wieder finde ich das faszinierend, etwas zu kennen, ohne es zu kennen, ohne es durch Lektüre gelernt zu haben. Einfach nur, weil es im Laufe des Lebens ohne jedes Bemühen in mich eingesickert ist, durch die zahllosen Spiegelungen in der Popkultur, durch Parodien (Die Star-Wars-Reihe etwa damals in den Mad-Heften), durch Smalltalk etc.

Und ich mag bei Tolkien seine Verstiegenheit in exzentrische Themen. Es ist mir grundsätzlich sympathisch, dass sich jemand eigene Welten ausdenkt und Sprachen erfindet, in alte Schriften abtaucht und Jahre mit Mythen verbringt, ich mag solche Formen der Besessenheit.

Zum anderen sah ich eine Sendung über Stephen King, Das notwendige Böse. Horrorbücher sind auch nicht mein Lieblings-Genre, ich habe kaum jemals etwas aus dieser Rubrik jemals gelesen, auch fast keine Filme dieser Art gesehen. Immerhin aber habe ich vor Jahren einige Kurzgeschichten von King konsumiert und auch sein Buch über das Schreiben („Das Leben und das Schreiben“), welches ich, wenn ich es richtig erinnere, gut fand.

Ich schätze außerdem seine Meinungen zu Politik und Religion. Ich kann gut nachvollziehen, wie er dabei die Verbindungslinie zum Horror zieht, ich teile diese Sichtweise. Und ich folge ihm in den sozialen Medien. Es ist immerhin gerade besonders interessant, einige Stimmen aus den USA mitzubekommen, die bei der aktuellen Nummer „kissing the ring“ nicht mitmachen.

Es ist aber sowieso eher egal, ob ich die Bücher der beiden Herren nun lese oder nicht. Dokus über Schreibende finde ich fast immer interessant, sehe ich fast immer mit Sympathie und hoffe auch meistens, irgendetwas dabei zu lernen.

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Im Bild eine Farbansicht aus vergangenen Tagen, mit unwirklich blauem Himmel. Gefühlt ist es Monate her, dass wir hier so etwas über uns gesehen haben.

Blick über die Außenalster von St. Georg aus, blauer Himmel darüber, Winternachmittagslicht

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We’ll have to muddle through somehow

Jemand spielt Klavier im Haus, ich höre es beim Tippen. Es ist etwas dezenter als sonst. Ich weiß daher nicht recht, ob der gleiche Nachbar wie immer spielt oder ob die Musik nicht doch von weiter unten kommt. Ob es am Ende ein neues Klavier im Haus gibt, denn nach dem übenden Kind klingt es auch nicht. Die Melodie kommt nur dünn und dezent durch die Wand. Sie bleibt auch teilweise im Mauerwerk stecken, es fehlen einige Verbindungen im Auf und Ab der Melodie. Ich brauche eine Weile, um das Stück zu erkennen. Es wird das gleich folgende Lied sein, ja, ich bin mir fast sicher.

Ich zeige Ihnen die nicht eben aufheiternde Originalversion mit weinendem Kind, vielleicht ist sie nicht so bekannt:

Wie jemand auf Youtube in den Kommentaren schreibt, erschien der Film mit dieser Szene darin 1944, im Jahr 1943 wurde gedreht. Man muss also wieder den historischen Kontext mitdenken, bevor man im üblichen, routiniert gegenwärtigen Zynismus auf die Textzeile: „Next year all our troubles will be out of sight“ mit einem abfällig gezischten „Ja, von wegen!“ reagiert. Es passt dann nicht mehr recht, so zu reagieren, wenn man das Entstehungsjahr bedenkt. Das Publikum hatte damals noch ganz andere Probleme als wir.

Es kommt allerdings schlimmer. In der ersten Textversion des Liedes hieß es in der ersten Version der Verse noch, halten Sie sich fest:

Have Yourself a Merry Little Christmas
It may be your Last.
Next Year we may all be living in the past”

So rabenschwarz und geradezu erschütternd war es zunächst gedacht. Fast wirkt es wie eine Parodie, obwohl es die eigentliche Idee ist. Judy Garland hat beim Dreh auf Änderungen bestanden, der Text kam ihr zu furchtbar vor, sie wollte diese Zeilen so nicht singen. Und Frank Sinatra forderte Jahre später für seine so berühmt gewordene Aufnahme noch einige weitere Anpassungen. Der Text wurde also in Etappen aus der depressiven, verzweifelten Stimmungslage gehoben, in die er einmal gehört hat.

Weswegen wir auch das in der Originalversion so bemüht tapfere und tränendrückende „From now on, we’ll have to muddle through somehow” eher nicht mehr als Textzeile kennen. Auch diese Zeile wurde durchgetauscht, sie wurde sicherheitshalber ausgewechselt gegen das aufmunternde, allerdings auch etwas lau und konventionell anmutende „So hang a shining star upon the highest bough.“

Aber man könnte an dieser Stelle des Liedes, man könnte gerade in diesem Jahr zumindest in Gedanken doch kurz in der Originalversion des Textes mitsingen, nicht wahr. Sie wirkt dermaßen aktuell.

“From now on, we‘ll have to muddle through somehow.”

Falls Ihnen das aber zu flach vorkommt, berufen Sie sich einfach auf Charles E. Lindblom, der das Konzept des Mudddling Through in der Organisationsheorie dargestellt hat. Es kommt immer gut, wenn man etwas mit Namen und Quellen versehen kann.

Und falls Ihnen der Begriff zunächst allzu negativ vorkommt, ich habe sicherheitshalber noch einmal nachgeschlagen. Die englischen Wörterbücher deuten den Ausdruck allesamt eher positiv. Er wird auf ein erreichbares Ergebnis und auch auf ein Gelingen bezogen.

To muddle through meint in diesem Sinne kein Scheitern in Zeitlupe, sondern vielmehr einen Erfolg, der langsam und auf Nebenstrecken, auf verschlungenen Pfaden und ohne definierte Etappen oder Zeitplan erreicht wird.

Und das ist zumindest für mich vielleicht nicht der schlechteste Plan für das kommende Jahr.

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An allem vorbeidenken

Gestern also die Vertrauensfrage im Bundestag. Ich hätte mir die Debatte als Urlaubs-Entertainment live ansehen können, aber ich habe ein dermaßen großes, in den letzten Jahren auch leider immer weiter eskaliertes Problem mit dem Fremdschämen, ich halte so etwas nicht mehr aus. Körperlich unangenehm ist es, da hinzusehen, da zuzuhören. Es ist wie mit den Talkshows, die schaffe ich auch nicht, und es ist mir ein Rätsel, wie Sie das immer alle aushalten und es als Abendunterhaltung halbwegs entspannt hinnehmen können.

Jedenfalls der Bundestag, natürlich doch kurz reingesehen. Was für überaus unangenehme Menschen treten da auf, was für unangenehme Verhaltensweisen und Reden bekommt man mit. Was für übertrieben gut sichtbare Charakterdefizite werden da in albernem Stolz präsentiert. Dazu diese kaum noch verbrämten Lügen, der überall durchscheinende Populismus. Die so flotte Abkehr von allem, was noch als glaubwürdig und wenigstens im Ansatz ethisch motiviert durchgehen könnte.

Mir reicht es dann schnell, ich möchte das nicht sehen. Ich finde es schon fordernd, davon zu lesen.

Am besten an allem vorbeidenken. Oder auch manchmal zurückdenken. Sich dann aber wieder stets bemüht aufsagen, dass früher auch nicht alles besser war und versuchen, sich das zu glauben. Danach erneut um die so unangenehmen Menschen und Themen in der Gegenwart irgendwie herumdenken.

Im Grunde also eher ratlos hin- und herdenken Man hat es wahrhaftig nicht leicht.


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Wenn Sie auch genervt sind von der Zerspanung der Social-Media-Timelines in drei oder noch mehr verschiedene Plattformen, Openvibe ist vielleicht die richtige App. Das Tool fasst alles zusammen in eine Ansicht, und man kann dann heiter ignorieren, was von welcher Plattform herkommt. Weil es einen im Grunde auch nicht interessiert. Also mich jedenfalls nicht.

Gefunden habe ich das Werkzeug via Markus Trapp auf Bluesky. Ich habe allerdings nicht recherchiert, ob die App und die Macher dahinter in jeder Beziehung okay sind, ich habe also schon wieder ein to-Do.

Man möchte einfach nur sitzen, und sie wachsen einem dennoch so zu, diese To-Dos, ich sage es ja.

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Wir werden es immer schon gemacht haben

Die Herzdame und ich waren im Kirchenkonzert, es gab das Weihnachtsoratorium von Bach. Ich erfinde mir oder uns damit gerade einige Traditionen neu, womit man zu beliebigen Zeitpunkten anfangen kann. Keineswegs muss man dabei nur auf die Vergangenheit bauen. Dazu kann ich ebenfalls eine Rainald-Grebe-Liedzeile mitsummen, fällt mir ein: „Wahre Schönheit kommt von innen, kann man jederzeit mit beginnen.“ Aber das nur am Rande.

Zwei Traditionen lege ich jedenfalls ab 2024 fest, wir wollen es mit der Anzahl auch nicht übertreiben. Zwei brandneue Traditionen erscheinen mir plausibel und machbar. Das Brahms-Requiem im Michel und ein Weihnachtsoratorium von Bach also. Es gibt in keiner Stadt mehr Aufführungen dieses Oratoriums als in Hamburg, las ich irgendwo, es ist also nicht besonders schwierig, einen passenden Termin zu finden.

Jetzt muss ich beides lediglich fünf, sechs Jahre durchhalten, schon wird es eine ehrwürdige Tradition sein. So läuft das nämlich: „Das haben wir schon immer so gemacht.“

Dieses Konzert hätte in der evangelischen St. Jacobi-Kirche stattfinden sollen, ich berichtete, die aber wegen dringender Renovierungsarbeiten spontan geschlossen werden musste. Eine andere christliche Fraktion, die katholische Variante, bot Hilfe und Raum an, man plante hopplahopp um, das Konzert konnte dann im Mariendom in unserem kleinen Bahnhofsviertel stattfinden, fast vor unserer Haustür.

Das katholische Christentum ist mir noch deutlich fremder als das evangelische, aber dass die beiden Glaubensgemeinschaften sich heute gegenseitig freundlich bei der Kirchenmusik aushelfen, statt sich in offener Feldschlacht umzubringen wie früher, das immerhin ist ein mittlerweile gut abgesicherter geschichtlicher Fortschritt. Der auch, soweit ich weiß, nicht gerade von irgendwelchen Irren wieder zurückgedreht wird. Und das muss man ausdrücklich würdigen in diesen Zeiten.

Denn Fortschritt, da stehen wir ja drauf, in unserer progressiven Bubble.

Die Front des Mariendoms am Abend

Den Mariendom hatte ich vor diesem Abend etliche Jahre nicht mehr besucht. Zuletzt mit den Söhnen, als sie noch klein waren. Irgendwann bei einem Pflichttermin sicherlich, vermutlich auch um Weihnachten herum, noch in der Kindergartenzeit. Sicher führten sie dort damals irgendwas auf, ein Krippenspiel oder weiß der Kuckuck was. Ich weiß es nicht mehr, wir wissen es nicht mehr, diese Auftritte verschwimmen alle längst im Rückblick.

Ich konnte mich an die Gestaltung des Innenraums der Kirche jedenfalls überraschend wenig erinnern. Es kam mir alles erstaunlich fremd darin vor, ganz so, als sei ich ein staunender Tourist auf der Durchreise und nicht etwa ein Nachbar. Als sei ich zum ersten Mal in diesem Dom. Was im besten Fall aber nur heißt, dass ich damals, vor zwölf Jahren oder wann auch immer das war, nur Augen für die eigenen Kinder und ihre Freunde hatte. Guck mal, guck mal, jetzt machen sie dies, jetzt machen sie das.

Der Herzdame ging es ebenso wie mir, wir nahmen es erfreut als beiderseitige Bestätigung, genau so wird es also gewesen sein. Und ich fand dann, dass es ausgezeichnet zum Basteln von neuen Traditionen passt, sich nebenbei noch eben die Vergangenheit schön zu deuten.

Es ist nur konsequent. Bei der Gelegenheit muss dann Jan Johansson noch einmal ran, es passt so gut. Man darf das leise mitpfeifen, auch oder gerade am Montagmorgen:

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Fonda, Redford, Simenon

Zwei arte-Dokus habe ich gerne gesehen, eine über Henry Fonda und eine über Robert Redford. Beide mit viel Bezug zur Geschichte der USA und auch zu den Veränderungen in der Gesellschaft im letzten Jahrhundert, wie sie sich in ihren Filmen und Rollen spiegeln. Es geht bei beiden Schauspielern auch um Ideale und Anstand. Um altmodisch gewordene Begriffe also, durch deren Benutzung man sich mittlerweile recht eindeutig als aus der Welt gefallen und gestrig deklariert.

Robert Redford lebt noch, er ist ein alter, amerikanischer Mann. Und man kann sich nicht genug darüber wundern, dass ein Land einen Typen wie ihn und gleichzeitig den neugewählten Präsidenten hervorbringen kann, einen anderen alten, amerikanischen Mann. Auch wenn er etwa zehn Jahre jünger ist.

Was für eine kaum noch glaubwürdige Distanz zwischen den beiden liegt, in welch verschiedene Universen sie gehören. Es ist eine Distanz, die schon wieder etwas kinomäßig anmutet. Ich werde diese Bezüge zum Medium Film offensichtlich nicht mehr los, und aus guten Gründen nicht. Sie ergeben sich so in diesen Zeiten, in denen die stark überzeichneten James-Bond-Bösewichte, die uns jahrzehntelang kaum glaubwürdig vorkamen, die auch gar nicht glaubwürdig sein sollten, mitten unter uns und äußerst unangenehm real sind.

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Ich hätte, was die Sprache und den Erzähltonfall betrifft, gerne noch mehr Herta Müller gehört. Ihr „Die Nacht ist aus Tinte gemacht“ hat mir sehr gefallen, aber inhaltlich überfordern mich ihre Werke gerade etwas. Man muss dem Erdulden von negativen Themen auch Grenzen setzen, solange man es noch kann. Was nichts an ihrer Berechtigung ändert, und ein anderes Mal wird es sicher wieder passen.

Kurzentschlossen bin ich erst einmal zu leichterer Lektüre gewechselt, zu Maigrets Memoiren von Simenon, gelesen von Walter Kreye. Deutsch von Hansjürgen Wille, Barbara Klau und Bärbel Brands.

Das ist, wenn Sie sich für Literatur, für das Schreiben und auch für das schwierige Verhältnis von Fiktion und Realität interessieren, ein erhellendes und faszinierendes Buch. Simenon treibt darin gedanklich einiges auf die Spitze und findet schöne Drehungen. „Die Wahrheit wirkt nie wahr“, lässt Maigret etwa den Herrn Simenon an der einen Stelle sagen (ja, tatsächlich so herum). Es ist ein komplizierter Sachverhalt für alle schreibenden Menschen, aber es ist so.

Walter Kreye hat ein Interview gegeben, als er die sämtlichen Maigrets neu eingelesen hat. Er stand, so erzählt er es, gerade auf einer Leiter am Bücherregal in seinem Wohnzimmer, direkt vor den sämtlichen Simenons, er streckte die Hand nach einem Band aus, als der entscheidende Anruf mit der Frage kam, ob er nicht die Krimi-Reihe von Simenon komplett einlesen wolle.

Kann das denn sein, klingt das wahr? Für Sie vielleicht nicht?

Für mich als Vielschreiber, der im Geiste dauernd die Begebenheiten des Alltags mitschreibt und die Wirklichkeit dabei manchmal etwas verharmlost, weil sie zu drastisch und zu überzeichnet ist und daher erstaunlich oft unglaubwürdig wirkt, klingt das wahr. Denn ich weiß, so geht es zu.

Aber in einer Welt, in der die James-Bond-Bösewichte als reale und sogar wählbare Personen herumlaufen, müssen wir das Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit ohnehin komplett neu bewerten.

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Im Bild die Herzdame, die Wirklichkeit mittels Fotofilter in Fiktion verwandelnd. Wenn man erst einmal darauf achtet …

Die Herzdame, von hinten fotografiert, wie sie am Fischmarkt steht und über die Elbe mit dem Smartphone fotografiert. Später Nachmittag, es dunkelt schon, beleuchtete Fähren auf der Elbe, Hafenkräne im Hintergrund.

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Eine Frage des Timings

Am Freitag war ich dann noch einmal im Home-Office. Es waren die allerletzten Stunden der Saison, die ich da am Schreibtisch saß. Während die Herzdame schon im Urlaub war, woran ich aber lieber nicht zu konzentriert dachte, das alte Neidproblem rumorte im Hinterkopf. Wenigstens hatten die Söhn Schule, und sie haben sie auch in der nächsten Woche noch. Das ist das für mich erreichbare Mindestmaß an ausgleichender Gerechtigkeit beim Thema Ferien und Urlaub.

Ich arbeitete mit leider unbefriedigenderen Ergebnissen als erwartet, mit mehr Komplikationen und Verwirrungen auch. Es war mir alles am Ende etwas zu unordentlich, und ich habe die Arbeit mit jenem nicht so guten Gefühl beendet, mit dem man morgens etwa aus dem Haus geht, ohne das Bett gemacht zu haben. Sie kennen das vielleicht. Mir war auch so, bildlich gesprochen, als gingen nicht alle Schubladen zu, als stünde noch dreckiges Geschirr in der Spüle, als hätte niemand die Fransen des Teppichs gekämmt etc.

Als Kind hatte ich eine Weile lang tatsächlich diesen Teppichfransentick, fällt mir dabei wieder ein. Die mussten stets gerade ausgerichtet liegen, das war anstrengend und kostete mich Zeit und Nerven. Weil es den ignoranten Erwachsenen vollkommen egal war, die trampelten da dauernd drüber und verwüsteten alles, die fanden meine Bemühungen eher erheiternd. Unordnung und frühes Leid, das ist ein Buchtitel, den ich immer wieder zitieren kann, bei erstaunlich vielen Themen.

Natürlich ist sie längst überwunden, diese Tic-Phase. Was allerdings nur heißt, dass ich nie wieder Teppiche mit Fransen in meinen Wohnungen gehabt habe. Aufpassen bei allem!

Wie auch immer. Richtig ist sicher, dass ein ordentliches Ende in meinem Job ohnehin nur begrenzt erreichbar ist. Das muss man aushalten, das muss man alles veratmen können, auch die Entropie im Office Management. Letztlich arbeite ich mit Menschen, und da ist man schon beim Kern des Problems. Wenn nicht beim Kern aller Probleme.

Dann am Nachmittag, viel später als geplant, das Notebook zögerlich zugeklappt. Mit einem leicht wahnhaften Gedanken daran, am Montag trotz Urlaub doch noch einmal kurz … mich dann aber entschieden zur Ordnung gerufen. Contenance, Herr Buddenbohm, Contenance.

Seit dem Herbst war deutlich mehr Werk als sonst, es war etwas fordernd, to say the least. Viel gemacht, an vielen Themen und auch ungewöhnlich lange, sogar zu befremdlichen Tageszeiten. Und dummerweise nicht nur im Brotberuf, es folgte wieder alles dem so überaus unerbittlichen Gesetz der Serie.

Hab drei Bestseller geschrieben

Und vier Staudämme gebaut

So viel Käse gerieben

So viele Ohren abgekaut“

Rainald Grebe hat das einmal schön zusammengefasst und besungen, wie es sich anfühlt, wenn es einem so ergeht. Ich fühle sehr mit dem „nimmermüden Hammerwerfer“ im Text des Liedes, der sich da noch im Kreis dreht, der sich immer noch im Kreis dreht, auch jetzt gerade noch.


Na, egal. Jetzt für einige Zeit einiges fallenlassen. Mich selbst etwa und sicher auch einige Themen.

Was mir umso leichter fallen wird, als ich beim finalen und geradezu feierlichen Zuklappen des Firmennotebooks kurz noch darüber nachdachte, was eigentlich dieses komische Gefühl sein könnte. Dieses etwas unangenehme und belastende Gefühl, das ich aus Zeitgründen schon den ganzen Tag verdrängt hatte. Das ich jetzt doch einmal erkunden musste, und dann kam ich auch schon drauf, nach nur wenigen Momenten des etwas dümmlichen Hinfühlens: Halsschmerzen. Ach guck.

Meine Tanzpartnerinnen damals beim Lindy-Hop konnten es nicht durchgehend alle bestätigen, ich weiß, aber ich bin mir doch recht sicher: Timing kann ich.

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Nach bewährtem Muster

In den Nachrichten las ich Meldungen vom schwachen, eher enttäuschenden Weihnachtsgeschäft, die Handelsverbände beschwerten sich. In der Stadt sehe ich die Bestätigung dazu nicht. Das ausbleibende Geschäft drückt sich nicht in geringeren Besuchszahlen in den Haupteinkaufsstraßen aus. Die Leute kommen immer weiter in die Stadtmitte, in Scharen und in Massen kommen sie. Zwischen dem Bahnhof und dem Rathaus ist es dermaßen voll, dort steckt wie in jedem Jahr während der Öffnungszeiten der Märkte und Geschäfte ein kompakter Menschenauflauf fest und rührt sich kaum noch vorwärts, man kommt nicht mehr durch.

Vielleicht aber erwerben sie dort alle nur ein, zwei Becher Glühwein, nur eine Bratwurst und ein kleines Tütchen gebrannte Mandeln. Vielleicht sehen sie sich die Ware in den Läden nur an und vergleichen die Preise. Das mag sein, das ist sogar wahrscheinlich.

Und, wenn man einmal darauf achtet, eine Beobachtung aus den Vorjahren bestätigt sich erneut. Es tragen wenig Menschen Tüten, Taschen etc. in den Händen. Vergliche man die heutige Vorweihnachtsmenschenmenge mit einer von vor zehn, zwanzig Jahren, ich bin sicher, man würde so viel mehr Gekauftes in den Händen der Passanten auf den Bildern von damals sehen. Das ganze Zeug eben, das heute per Paket herumgefahren und ausgeliefert wird, während die Konsumenten nahezu unbelastet auf den Weihnachtsmärkten stehen.

Filmszenen fallen einem vielleicht ein. New York in der Weihnachtszeit, die schwer bepackten Menschen vor den Geschäften. Drei große Pakete auf den Armen, schon in Geschenkpapier, an den Händen noch die baumelnden Taschen. Es fällt ihnen etwas herunter, sie können sich nicht danach bücken, sie müssten dafür erst alles ablegen. Jemand sammelt im Vorbeigehen das Teil für sie auf, flüchtige Blicke, dann ein Lächeln, zwei Sätze – man lernt sich kennen und schon zwei Szenen später wird daraus eine romantische Komödie nach bewährtem Muster. Man kennt das.

Bilder, die man parat hat. Die man in seiner Vorstellung auch weiterhin beliebig oft abspulen kann, so oft hat man sie gesehen. Aber da draußen sind sie kaum noch wiederholbar, wir sind längst weiter.

Man merkt es auch an den Dingen, die wir nicht mehr bemerken, wie an diesen fehlenden Taschen, Tüten und Paketen. Für die Einstiegsszene der romantischen Komödie müsste man heute, um halbwegs im Bild zu bleiben, einen betont attraktiven Menschen Pakete aus dem Weihnachts-Online-Shopping ausliefern lassen. Dann wird bei einem anderen, zufällig ebenfalls ungeheuer attraktiven Menschen geklingelt, der duschbedingt gerade eher wenig anhat, es ist auch in diesen Filmen alles drastischer und schneller geworden. Zwei, drei Sätze an der Tür und boom, noch 85 Minuten bis zum Happy End.

Na, Hauptsache es gibt eines.

Die große Uhr in der Wandelhalle des Hamburger Hasuptbahnhofs vor Weihnachtsbeleuchtung

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