Gärtnern in Zeiten des Klimawandels.
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Auf dem Weg zur Arbeit ist die Stadt so leer und ruhig wie sonst am Sonntagmorgen um fünf Uhr, es ist Ferienzeit in Hamburg. An den Straßenrändern gibt es sogar freie Parkplätze, mehrere nebeneinander, man könnte monströse Wohnmobile da abstellen. Einfach so. Möwen und Tauben stehen auf unbefahrenen Kreuzungen herum und gucken irritiert, ich radele durch eine verwunschene Welt. Bürohäuser ohne ein einziges erleuchtetes Fenster, da sind keine Sachbearbeiter drin, die die Sachen bearbeiten, die Sachen liegen jetzt in dämmerigen Großraumbüros herum. Einfach so. Der Himmel ist grau und verhangen wie früher, als es in Hamburg noch Regen gab, man hat so Erinnerungen. Es fällt nicht nur grünes Laub von den Bäumen, wie gestern, jetzt werfen auch noch die Platanen ihre Rinde ab, große Stücke, ein knuspriges Bersten und Brechen unter den Rädern, ich fahre Schlangenlinien unter Platanen, um möglichst viele Stücke zu erwischen.
Der Westwind treibt kühle Luft von der Nordsee vor sich her, mit etwas Glück fällt in den nächsten Tagen sogar der eine oder andere Schauer. Man muss es genießen, in drei Tagen kommt schon die Hitze zurück. Wenn man sehr tief einatmet und genau hinspürt, dann merkt man das Meer im Wind. Oder man bildet es sich ein, was macht das schon.
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Zur Lyrik, heute Karl Krolow, “Der Juli”. Wie gestern bei Rühmkorf wollen wir kurz ein Bild am Anfang des Gedichts auf uns wirken lassen:
Der Juli
fällt ins Haus
mit frischen Himbeeren
wie manche Brustwarzen
aufgerichtet unterm Hemd.
In meiner Vorstellung, die mit den Jahren vielleicht etwas spießig geworden ist, wenn man bedenkt, wie oft man als Vater Flecken auf Kinderkleidung zu verhindern versucht hat, zermatschen Himbeeren unter Hemden augenblicklich, das würde dann dummerweise etwas blutig aussehen. Irgendwie kein schönes Bild, das sich aus Hemd und Himbeere ergibt. Aber Obst und Körper, schon klar, da geht immer was, bei Ringelnatz etwa geht Pfirsich und Popo, warum auch nicht. Die Ähnlichkeit liegt auf der Hand oder hängt am Baum. In meiner Jugend war es mal Kult, diese berühmte Platte vom Kinski aufzulegen, Kinski spricht Villon, mit dem titelgebenden Gedicht “Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund”. Sehr exaltiert betont alles, er musste ja auch möglichst irre rüberkommen, er hatte da einen Ruf zu verteidigen. Ob er mit “Ich bin so wild nach deiner Himbeerbrust” damals wohl den gleichen Erfolg gehabt hätte? Aber dafür hätte es ja erst einmal Paul Zech einfallen müssen, dessen Übersetzung die Kinski-Texte damals folgten, wenn ich das recht erinnere. Mein Gehirn meldet gerade, die Platte wurde damals durchaus öfter aufgelegt, ich habe noch Zeilen parat: “Ich schrie mir schon die Lungen wund, nach deinem weißen Leib, du Weib …”
Na, da gab es noch kein Whatsapp, als man die Sehnsucht nach den Damen noch nächtlich unterm Mond herausbrüllte, statt ihnen einfach Nachrichten mit Herzchen-Symbolen zu schreiben. Was haben wir uns seither entwickelt!
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Der letzte Bäcker, der noch ohne bescheuerte marketingoptimierte Zwangsdialoge auskam, hat die Mitarbeiterinnen gerade nachgeschult. Jetzt fragen sie also auch in diesem Laden bei jedem Brötchenkauf, ob man denn keinen Kaffee dazu wolle. Nein, denn dann würde ich es ja sagen. Ich bin schon groß, ich kann sagen, was ich möchte. Oder dann vielleicht etwas Süßes? Nein! Nein! Nein! Brote wieder zuhause selber schmieren, es geht einfach nicht anders, diese Dialoge machen mich zu aggressiv. Aber ich sehe es schon kommen:
Ich, morgens zu mir selbst murmelnd: “Hunger. Erstmal Brot machen.”
Auch ich, weiter zu mir selbst murmelnd: “Darf es dazu auch ein Kaffee sein?”
Und dann den Kopf an die Wand in der Küche hauen, bis alles wieder gut ist.
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Sohn II möchte mit mir auf Wanderschaft gehen. Und dann irgendwo zelten, nur wir zwei. Da kann ich natürlich nicht nein sagen, aber ganz so einfach ist das auch nicht. Unser Zelt ist ein riesiges Vierpersonenfamilienzelt, das wiegt unfassbar viel und kann denkbar schlecht auf dem Rücken mitgeführt werden. Außerdem kann ich es alleine zwar auf-, aber nicht abbauen, genau genommen würde ich es eher verbrennen als noch einmal Stunden mit sinnlosen Versuchen zuzubringen, das Ding korrekt einzufalten, während der Rest des Campingplatzes sich prächtig über mich amüsiert. Es ist kompliziert.
Eventuell wandern wir irgendwann in den Ferien los, kommen irgendwo an und rufen dann die Herzdame an, sie möge uns freundlicherweise das Zelt mal eben mit dem Auto vorbeifahren. Dann schicken wir sie aber gleich wieder weg, denn das soll ja so ein Vater-Sohn-Ding sein. Am nächsten Morgen hänge ich einfach einen Zettel “Zu verschenken” ans leere Zelt und der Sohn und ich machen uns noch im Morgengrauen aus dem Staub. Ja, so könnte es gehen.
Ich hatte einmal ein Kinderbuch über so eine Vater-Sohn-Wandergeschichte, da hat der Vater, sich das eigene Bett auf der Wanderschaft mit dem Sohn jeden Abend hinterherfahren lassen, vermutlich hatte er Rücken und viel Geld, ich weiß es aber nicht mehr genau. Kennt das Buch jemand? Vielleicht erinnere ich das auch völlig falsch. Niemals einfach Zeugenaussagen glauben, auch nicht den eigenen.
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Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ich plane an der Herbstbepflanzung herum und googele Gartencenter. Ich kann die trüben Pflanzenreihen in Baumärkten nicht mehr sehen, ich bin da rausgewachsen. Ich brauche den Fachhandel.
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