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Wir waren wegen eines Lernentwicklungsgsprächs in der Grundschule, wenn Sie das nicht kennen, erkläre ich es ganz kurz: LehrerInnen und Eltern reden mit dem Kind über seine Leistungen und /oder sein Verhalten und treffen in der Regel – oder zumindest an vielen Schulen – eine Vereinbarung, die mutmaßlich passende Ziele für das Kind beinhaltet und von diesem nach ausführlicher Kenntnisnahme und Diskussion unterschrieben wird. Und, so muss man als erfahrener Vater ergänzen, eventuell binnen 24 Stunden vergessen wird, aber egal, darum geht es gar nicht.

Das Verfahren ist nicht unumstritten, siehe dazu etwa hier in der taz, einige Punkte aus dem Artikel kommen hier unten auch gleich vor. Die Kritik kann man meiner Meinung nach nicht ganz von der Hand weisen – die guten Absichten hinter den Gesprächsansätzen allerdings auch nicht. Ich habe bei den Söhnen kein einziges Gespräch erlebt, in dem sich die Lehrkräfte nicht toll verhalten hätten, die waren bei uns alle immer sehr gut vorbereitet, haben sich viel Zeit genommen und durchdacht und freundlich argumentiert. Ich kenne auch kein Kind, das irgendwie Horror vor diesen Gesprächen hätte, auch bis dahin ist immer noch alles richtig und fein, ich bin kein vehementer Gegner dieser Gespräche.

Aber ich bin, was Entwicklungsgespräche betrifft, konzernerprobt. Ich habe viele Entwicklungsgespräche als Vorgesetzter geführt, nicht ganz so viele selbst mit meinen Chefs. Ich habe Weiterbildungen dazu erlebt, die teilweise überraschend gut waren. Ich hatte einige sehr gute Gespräche und auch etliche, die man sich hätte sparen können. Wobei mir die ganze Zeit die unübersehbaren Parallelen zwischen Konzern und Schule nicht behagen. Ich finde generell nicht, dass der Angestellte ein Leitbild für die Gesellschaft sein sollte, aber dieser Gedanke ist hier auch nicht zielführend, ich will auf etwas anderes hinaus.

In der Firma habe ich für mich irgendwann erkannt, dass ich die Ritualisierung von Gesprächssituationen eher sinnlos finde. Wenn man im Personalentwicklungsgespräch auch nur ansatzweise auf einen überraschenden Inhalt stößt, hat man im Jahr vor dem Termin wohl nicht genug miteinander geredet, das ist eigentlich einfach. Ich halte eine Kommunikationskultur in einem Unternehmen erst dann für wirklich gelungen, wenn diese Gespräche fast nichts mehr ergeben können und man sich albern vorkommt, weil man da so feierlich zu zweit im Konferenzraum sitzt. Das müsste auch in der Schule möglich sein, glaube ich. Aber auch darum geht es gar nicht.

Ernsthaft stören mich drei Aspekte. Alle sind nicht dramatisch schlimm, der letzte ist sogar eher amüsant, aber ich denke doch bei jedem dieser Gespräche wieder drüber nach.

Zum einen beinhaltet die Gesprächssituation tatsächlich ein Machtgefälle, drei Erwachsene oder mehr und nur ein Kind, das ist in der Nähe einer Tribunalsituation oder kann zumindest so erlebt werden. So etwas kann schiefgehen. Das habe ich zwar nicht erlebt, aber ich bin ziemlich sicher: Das geht in der Wahrnehmung einiger Kinder hin und wieder schief. Einfach weil die Ausgangssituation es hergibt.

Dann ist es zweitens so, dass das Kind (oder die Erwachsenen, das wird wechseln) auf ein Ziel kommen muss, was meist beinhaltet, dass irgendeine Schwäche benannt wird, an der dann angesetzt werden soll. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob Selbstoptimierung in so frühen Jahren schon verinnerlicht werden sollte. Im Gespräch wird das “Du bist okay” zwar sehr betont, das ist ganz wunderbar, in der Vereinbarung geht es aber um eine Form von “Du bist nicht okay”, die dann auch noch feierlich abgezeichnet werden soll, was in dem Alter sonst völlig unüblich ist. Das kann man hinterfragen, glaube ich.

Drittens habe ich mehrfach gehört, wie sich Schüler darüber ausgetauscht haben, was sie denn wohl am besten mal als Entwicklungsziel angeben könnten, denn man muss ja auch in jedem Halbjahr etwas anderes benennen, das ist sehr lästig. Also suchen sie sich irgendwas, das nicht wirklich wehtut, aber für Erwachsene doch toll und bemüht klingt, und was nimmt man denn da bloß? Sie haben also untereinander herumgefragt, was andere gesagt haben und wie das ankam, sie haben das ausgetauscht wie die katholischen Kinder früher die kleinen Sünden auf dem Weg zur Kirche. Und wenn man so etwas mitbekommt, dann ist das Ding doch eigentlich durch.

Denn die Kinder sind einfach zu schlau für so etwas, sie begegnen dem gar nicht programmgemäß als gläubige Adepten und strebend bemüht, sie begegnen dem mit ironischer Distanz, ganz so wie die abgeklärten Angestellten im Großraumbüro mit zwanzig Berufsjahren und mehr. Aber ob man nun als Zweit- oder Drittklässler wirklich schon parat haben muss, wie man möglichst lässig durchs lästige System kommt – da habe ich doch erhebliche Zweifel.

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Specksteinvariationen

Es gibt hier im Haushalt ein überraschend großes und auch ziemlich plötzliches Interesse an Speckstein, genauer an der Specksteinbearbeitung. Die hat ein Sohn nämlich neulich in einem Kunstraum gesehen und war sofort fasziniert, um nicht zu sagen hingerissen. Wir haben dann dort etwas Speckstein geschenkt bekommen und das Stückchen wurde mit Hingabe rundgeschmirgelt, wonach es sich übrigens tatsächlich großartig anfühlte. Man möchte es gar nicht mehr weglegen, das kunstvoll geglättete Specksteinding, eine tolle Sache.

Heute war ich folgerichtig in einem Bastelgeschäft, man gerät mit Kindern ja in die absurdesten Läden. Im Bastelgeschäft haben wir Speckstein gesucht, wobei das mich begleitende Kind das Wort vor- und zurückbuchstabierte und zerlegte und mit Reimen versah, denn wenn man schon in einem Bastelgeschäft ist, dann kann man auch mit der Sprache basteln. Kostet nix, da freut sich der Vater! Wobei mir jedenfalls auffiel, das Speckstein ein hervorragendes Helmut-Schmidt-Wort ist, ich habe gleich wieder diese Stimme im Ohr gehabt und die spitzen S-Laute, gleich wieder den Tagesschaugong gehört, “Bonn”, und dann die Kamerasicht in den alten Bundestag, Helmut Schmidt tritt ans Rednerpult und hält eine Rede über die Specksteinversorgung in der Bundesrepublik, wobei er natürlich erwähnt, dass es sich um eine Frage der S-taatsdisziplin handelt. Er sagt S-peck-s-tein und es klingt ganz normal, das gehört so, S-peck-s-tein, als hätten Hamburger Kaufleute damit schon immer gehandelt, ein seit ewigen Zeiten wichtiges Wirtschaftsgut in den Hansestädten an der Küste, irgendwie banal und doch wichtig, wie Salz oder Hafer, so ein Wort ist das doch, eine gute und vernünftige Sache, verlässlich und bodenständig, wie gute Butter oder große Kartoffeln. Jedenfalls bis der Oppositionsführer das Wort ergreift und im Pfälzer Dialekt etwas zur Specksteinfrage erwidert, wobei der Speckstein aber nicht mehr wie ein klares und irgendwie auch würdevolles Wort klingt, der Schpeckschtein klingt jetzt eher feucht und rundgelutscht, sabberwarm und tendenziell scheußlich.

So denke ich da im Laden vor mich hin, fragen Sie nicht, ich weiß ja auch nicht, was in meinem Kopf immer so vorgeht und wie es dazu kommen kann, das hat man gar nicht immer im Griff und wer geht schon geistig unbeschädigt durch seinen Lebenslauf. Ich denke also immer weiter Speckstein, ich habe einen Sprung in der Platte, die Älteren erinnern sich, während ich schon an der Kasse stehe und den Sohn bitte, mir mal den Speckstein zu reichen, den ich dabei versehentlich formvollendet hamburgisch ausspreche, woraufhin mich die Kassiererin kurz irritiert ansieht, so ein fragender Blick unter ihrem Pony hervor, hat der Typ da einen an der Waffel oder ist er es wirklich, der allerletzte Hamburger, der so s-pricht? Im Ernst?

Wie auch immer. Jetzt wird hier weiter Speckstein rundgeschmirgelt. Macht Spaß. S-paß. Egal.

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Und ich habe drüben bei der GLS Bank drei Links gepostet, bitte hier entlang. Speckstein kommt da zwar nicht vor, aber das Grundeinkommen, die Ernährungslüge und der Feins-taub.

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Kurz und klein

Goldene Schrift auf rotem Leinen

Heute nur schnell zwei Links, die Zeit reicht hinten und vorne nicht, links und rechts schon gar nicht, rien ne va plus, es gibt solche Tage, Ihr kennt das. Wobei mir auffällt, dass ich Sie hier mal sieze und mal duze und nicht recht weiß, womit das korreliert. Darauf mal achten!

Kein weiterer Inhalt diesmal also, obwohl auch heute auf dem Weg zur Arbeit Bücher am Straßenrand lagen, aber ich bin tatsächlich im Geschwindschritt daran vorbei geeilt, ich habe nur aus dem Augenwinkel gesehen: goldene Schrift auf rotem Leinen. Was immer das auch gewesen sei mag, das können wir uns jetzt denken. Sagen wir einfach, es war eine Bibel, ich habe nämlich eine Bibel mit goldener Schrift auf rotem Leinen im Regal, von der ich übrigens nicht mehr weiß, wie sie jemals in diesen Haushalt kam, vielleicht ist sie noch aus meiner Antiquariatszeit,das kann sein, aber egal.

Ich stelle mir jetzt jedenfalls vor, der Mensch, der da schon seinen Dürrenmatt und auch den Ho-Chi-Minh aussortiert hat, der hat jetzt also auch die Bibel endgültig raus und in den Regen gelegt, das muss nämlich alles weg, das war alles falsch, fort mit den Idealen und Wegweisern, das war alles nichts, der räumt gründlich auf mit dem alten Krempel und steht in seiner Wohnung vor leeren Regalen und denkt neu nach. Daneben lag noch ein potthässlicher Aschenbecher, er ist jetzt vielleicht auch noch Nichtraucher, er stellt also sein ganzes Leben auf den Kopf. Aus irgendeinem Grund stelle ich ihn mir männlich vor, merke ich gerade. Was wohl morgen da liegt?

Und dann noch Jo Lendle über eine Herausforderung der Gegenwart.

Kiki übers Tagebuchbloggen. Es passiert einfach nichts, wer kennt es nicht.

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Film ab

Am Morgen liegt schon wieder ein Buch am Straßenrand: “Revolution und nationaler Befreiungskampf”. Na, ich weiß ja nicht. Es weht ein auffrischender Wind aus Südwest um die Ecke des Blocks, und er fährt ins Buch und blättert die ersten Seiten auf, so fangen doch Filme an, das kennt man. Nahaufnahme des Titels, dann Wind und die immer schneller umschlagenden Blätter, dann Abblende und danach entspinnt sich allmählich die Handlung, Kapitel für Kapitel, am Ende klappt das Buch zu, alles schon genau so gesehen, sogar mehrfach. Da aber sonst nichts weiter passiert, gehe ich irgendwann einfach aus der Szene, ich kann da auch nicht ewig warten, dass der Regie endlich etwas einfällt, ich habe zu tun. Und der Titel des Films war sowieso nicht mein Fall, nationaler Befreiungskampf, meine Güte. Einfach mal nicht mitspielen!

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Die Herzdame und ich haben am Wochenende ein Regal hinter den Kühlschrank gebastelt und standen dann staunend eine Weile davor, denn die Idee, da ein Regal hinzubauen, die hätten wir auch gerne schon vor zehn Jahren haben können. Das Regal ist dort ebenso nützlich wie unauffällig, das passt sich ein, wie vom Architekten reingezeichnet und bestellt. Und was heißt gebastelt, wir haben es einfach nur gekauft und da aufgebaut, zack, fertig, genormte Maße, gar kein Ding. Wieso aber sind wie da nie drauf gekommen, dass dort ein Regal passt, wo wir doch seit unserem Einzug in diese Wohnung permanent über Platzmangel in der Küche schimpfen? Wir haben den Kühlschrank nur um 5 cm verrücken müssen, das war sehr einfach. Was hat man denn bloß manchmal für unbegreifliche Blockaden im Kopf? Ich gucke mir jetzt sehr misstrauisch den Rest der Wohnung an, Quadratmeter für Quadratmeter. Da geht bestimmt noch was.

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Dann den Wetterbericht gelesen. Und das, liebe Leidtragenden der Wintermonate, war ein Fehler.

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Tulpen und Toy Dolls

Im Hauptbahnhof ist es auch am Sonntagvormittag quirlig und rappelvoll, laut und etwas hektisch. Polizisten in voller Riot-Ausrüstung laufen Patrouille, warum auch immer, das kommt hier öfter vor. Vor dem Blumenstand steht ein junger Mann und besieht sich lange die Tulpen, die da in großen Eimern vorm Geschäft stehen, die bunten, gelben, rosafarbenen und roten Tulpen, die von unten zu den Passanten heraufleuchten. Er steht und guckt, mehr passiert gar nicht, er macht nichts, er kauft nichts, er ist einfach nur ein nachdenklicher junger Mann vor Frühlingsblumen. aber ich sehe im Vorbeigehen gerade noch, was auf seinem T-Shirt steht: “Existence is pain.” Aber mit ein paar Tulpen geht es dann ja vielleicht kurz mal.

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Wir haben die Söhne für ein Feriencamp angemeldet, nur für ein paar wenige Tage in den Frühjahrsferien, sie haben so riesengroße Lust darauf. Und ich? Kann ich in der Zeit vielleicht zu einem Gemüsegärtnercamp, dort ganz viel lernen und dennoch Spaß haben, mit kompetenter Betreuung, Verpflegung, Abschlussparty und tollen neuen Freunden? Nichts da. Ich mache mir dann wohl mein eigenes Camp. Camp Buddenbohm. Das mal auf ein Hemd drucken!

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Am Vormittag Mathe mit einem Kind geübt, das nach jeder gelungenen Aufgabe den Dab gemacht hat, wirklich konsequent nach jeder. Ich fand es erst ein wenig nervtötend, aber nach einer Weile leuchtete es mir doch ein, Mathe macht einfach viel mehr Spaß, wenn man die Erfolgserlebnisse so deutlich betont, das Lernen wird lebendiger und die Erfolge spürbarer. Vermutlich ist es also richtig, das alles emotionaler anzugehen, vermutlich machen wir das im Großraumbüro alle falsch, die korrekten Ergebnisse in den Exceltabellen einfach stoisch und so elend erwachsen hinzunehmen. Was sagt der Innere Zehnjährige dazu? Mehr Moves bei Mathe! Wobei der Dab die Kolleginnen dann doch irritieren könnte, glaube ich, vielleicht fange ich lieber mit einem dezenten Victory-Zeichen an. Und am besten gleich nach dem Hochfahren des Computers, man weiß ja nie, ob man danach im Laufe des Tages noch einmal Gelegenheit dazu hat.

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Schließlich haben sich mehrere Leserinnen beschwert, denn der Tom-Waits-Clip gestern hatte wohl depressiv stimmende Nebenwirkungen und hat den Abend bei manchen etwas runtergezogen. Was kann ich heute als Heilmittel anbieten? Einen Partykracher aus meiner, haha, unbeschwerten Jugend. Man kriegt gleich wieder Lust auf Dosenbier, kriegt man nicht? 1984! Da sah ich dem Sänger figürlich noch ähnlich.

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Ich kenne mich aus

Der Garten hat eine seltsame Folge für die Herzdame, denn immer, wenn sie jetzt am Sonnabend die spontane und bekanntlich einigermaßen schräge Idee hat, mal wieder zu Ikea zu fahren, ergreife ich nicht mehr die Flucht, nein, ich sage sofort und begeistert zu. Denn neben Ikea ist ein Baumarkt, und im Baumarkt ist eine Gartenabteilung, da kann ich dann ja mal gucken.

Wir haben als Ergebnis jetzt ein sehr volles Auto, die neuen Kleinmöbel sind davon nur ein geringer Teil. Wobei wir übrigens getrennt einkaufen gehen, sie in dem einen Laden, ich in dem anderen, und zwar aus Prinzip. Da die Herzdame schon damals, kurz nach Beginn unserer Beziehung, die Hoffnung aufgegeben hat, in mir einen erfreulichen Shopping-Partner gefunden zu haben, weigert sie sich jetzt kategorisch, mich in irgendwelche Läden zu begleiten, an denen ich plötzlich Interesse habe. Logisch. Man trifft sich nach einer Weile am Kofferraum wieder, das läuft sehr gut. Ich erzähle von meinen Einkäufen, sie von den ihren, wir tun beide so, als würden wir zuhören, man ist ja so weit zivilisiert. “Erfolgreiche Beziehungen für sehr sture Menschen”, vielleicht sollte ich doch mal einen Ratgeber schreiben, ich kenne mich aus.

Warum aber will die Herzdame überhaupt zu Ikea? Das gehört mit in den phänologischen Kalender, denn wenn der Winter allmählich weicht, dann will sie die Wohnung verändern, das ist immer so. Sie steht irgendwann morgens mit dem Kaffeebecher in der Hand murmelnd vor einer Wand, dann weiß ich schon Bescheid, es geht wieder um Farben. Sie steht kurz darauf mit schiefgelegtem Kopf vor Möbelstücken, da nehme ich schon innerlich Abschied vom Schrank. Man hat so seine Routinen, wenn man länger zusammen ist. Ich habe natürlich dezent darauf hingewiesen, dass wir auch ein kleines Laubenprojekt laufen haben und sie sich bitte nicht übernehmen soll, sie hat auf Übersprungshandlungen verwiesen, denn mit der Laube und dem Garten geht es ja einfach nicht weiter. Wie sollte ich da widersprechen. Der eine bestellt abends Saatgut und liest stundenlang sämtliche auffindbaren Gartenblogs, die andere malt Wände neu an und tauscht den Duschvorhang aus, es ist alles aus der Not geboren, alles nur, um den elenden Januar irgendwie herumzubringen. Womit wenig gewonnen ist, weil da noch ein ähnlich schwieriger Monat hinterherkommt. Februar, wenn man das schon hört!

Egal. Das regelt sich alles von selbst.

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Psychotricks und Probebohrungen

Am Straßenrand lag am Morgen wieder ein Buch: “Der Marshallplan und die europäische Linke”, das Exemplar war schon leicht angeregnet und im frühen Stadium der Auflösung. Inhaltlich sicher schwere Kost, wie ein bekannter Boxer sagen würde, und man kann wohl bezweifeln, dass dieses Werk noch von jemandem gerettet und begeistert gelesen werden wird. Beim Wort Marshall-Plan aber gleich wieder dieses entsetzliche Panikgefühl aus der mündlichen Abi-Prüfung Geschichte im Körper, sehr unangenehm. Nach all den Jahren! Das Abitur als Trauma betrachtet.

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Zwischendurch ein Link, nämlich ein Interview über Demographie und Religion. Ich vermeide ja das schreckliche Wort Lesebefehl, aber interessant ist das schon. 

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Gestern kurz im Garten gewesen, dort sind weiterhin keine Frühblüher zu sehen, nur an einer einzigen Stelle, an der wir allerdings ganz sicher nichts gepflanzt haben, da zeigt sich was. Spontan beschlossen, dort sehr wohl etliche Blumenzwiebeln gepflanzt zu haben. Psychotricks kann ich!

Der Abriss der Laube ist immer noch nicht weiter gediehen, nur ein paar Gehwegplatten davor wurden entfernt, das hilft so alles nicht weiter, das hätte ich auch selbst gekonnt. Der Bagger steht weiterhin dekorativ auf dem Rasen herum, wenn es noch ein paar Wochen so weitergeht, wird er einfach mit irgendwas bepflanzt. Die Verstromung der Parzelle schreitet währenddessen planmäßig voran, wir haben da in Kürze eine Steckdose mitten in der Landschaft. Ab Februar ist das also ein leerer Garten mit brachliegender Erde, ohne Laube, aber mit Steckdose. Man steht im grünen Nichts, kann dabei aber sein Handy laden, das ist so schlecht nicht. Immer schön auf das Positive achten.

Außerdem habe ich mir, famous first times, eine Bohrmaschine gekauft, um demnächst mal Hochbeete zu basteln. Die Herzdame guckt seitdem sehr besorgt, wenn ich mich dem Karton auch nur nähere. Sohn II wiederum kann nicht glauben, dass ich sie tatsächlich für mich gekauft habe, nicht als Geschenk für ihn, was doch viel logischer wäre, sagt er. Überlege noch, an welchem Möbel ich hier mal heimlich probebohre.

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Eine neue Rezension zum Buch “Die Geschichte des Gartens in fünfzig Werkzeugen”, das hatte ich hier auch schon einmal empfohlen. Auch gut für Vokabelfetischisten geeignet! Großartige Begriffe darin.

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Vorfrühling

Auf dem Weg zur Arbeit liegen wieder Bücher am Straßenrand, Dürrenmatt, Kafka und irgendwas über Microsoft Projects, dazu ein rückenschiefes Englisch-Deutsch-Lexikon. Die Taschenbuchausgabe von “Der Richter und sein Henker” ist genau die, die ich auch damals in der Schule lesen musste, da hat vielleicht jemand aus meiner Generation dann doch noch seine Schulbücher entsorgt.

Mir kommen morgens die ersten Menschen im T-Shirt entgegen, Frühlingserwachen. Ich habe gestern bereits das Ende der S-Bahn-Saison beschlossen und gehe jetzt wieder zu Fuß zur Arbeit und zurück, quer durch St. Georg und Hammerbrook, ein Weg bar jeder Schönheit und durch städtische Stiefgegenden, ungeliebt, vernachlässigt und verbaut, Einfallstraßen, Ausfallstraßen, aber hey, es geht um meine Bewegung. Neben, vor und hinter mir gehen zahllose Menschen zur Arbeit, wirklich erstaunlich viele, und sie gehen aufrechter als sonst, weil sie sich nicht mehr unter der Kälte wegkrümmen müssen, weil es gerade einmal ein paar Stunden nicht regnet und weil es auch fast schon hell ist, nehme ich an. Manche sehen geradezu gutgelaunt aus, als gäbe es in Hammerbrook Lustbarkeiten und Kurzweil, nicht nur die grauen Verwaltungszentralen großer Konzerne und acht oder mehr Stunden Bürozeit.

An der großen Kreuzung zwischen den beiden Stadtteilen nageln die Autos vielspurig an den Ampeln vorbei, über die Köpfe der dort gerade wartenden Passantenschar rauscht die aufgeständerte S-Bahn weg, es ist laut und dreckig und betonöde, aber es ist doch irgendetwas in der Luft, es ist nicht zu überfühlen, irgendwas, das die Stimmung hebt.

Und drüben auf dem brachliegenden und martialisch eingezäunten Gelände des ehemaligen Autohändlers, wo neulich noch die Obdachlosen aus Osteuropa im jetzt abgeräumten Sperrmüll übernachtet haben, da wächst ein arm Kräutchen hellgrün aus dem steinigen Boden. Ganz klein noch.

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Mit Grüßen, mit Beil, mit Messpunkt

Vorweg schon wieder vielen Dank, diesmal an die Leserin Lihabiboun, die uns Gartenhandschuhe geschickt hat. Grandios!

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Neuerdings bekomme ich Post und Mails mit seltsamen Grüßen drunter, die bekam ich sonst nicht so. Da steht z.B. “… mit Schrebergrüßen”. Oder “… mit grünen Grüßen.” Das ist doch seltsam, dieses ausgeprägte Bedürfnis, seine Vereinshaftigkeit, seine Zugehörigkeit zu irgendwas oder sogar seine Haltung in die Grußformel zu packen, das macht man doch sonst nicht? Ich schreibe im Büro jedenfalls nicht “… mit Controllergrüßen” unter meine Mails, das würde auch eher seltsam wirken. Oder ob ich meine Texte einfach mal “mit kolumnistischen Grüßen” an die Zeitung sende? Was für eine Vorstellung.

Außerdem bleibt die Frage, warum diese Spezialgrüße bei einigen Vereinen/Gruppen auftauchen, bei anderen aber kategorisch nicht. In der Lindy-Hop-Szene etwa bekommt man keine Nachrichten “mit swingenden Grüßen” drunter, auch keine Tänzergrüße oder so etwas. Wie und warum also kommen Gruppen zum eigenen Gruß? Da mal drüber nachdenken!

Mit Bloggergrüßen …

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In unserer Kleingartenanlage gibt es jetzt einen Luftmesspunkt, den man online checken kann, das sieht dann so aus, es geht um den Punkt oben rechts auf der Insel in der Bille. Sehr schick und am Puls der Zeit und so. Und gute Luft ist da! Zumindest jetzt gerade. Wenn man in die Mitte vom Stadtteil Rothenburgsort klickt, dann sieht das schon ganz anders aus, eher betrüblich.

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Heute interessante Gespräche über Beile geführt, warum auch nicht. Es wurde mir ein handgeschmiedetes Beil empfohlen, mir werden, seit wir den Garten haben, überhaupt ziemlich faszinierende Dinge empfohlen. Ich habe dann natürlich kurz recherchiert, was man darüber finden kann. Es handelt sich beim empfohlenen Produkt um ein “Sportsbeil”, das stand da wirklich so, auf der Seite eines Händlers. Und gehst Du zum Sport, vergiss das Beil nicht! Dann musste ich lange lachen über diesen trockenen Satz in einer Kundenrezension: “Ich benutze das Beil als Zweitaxt.” Ganz großes Kino. Vielleicht hat man wesentlich mehr Spaß in der Freizeit, wenn dabei eine Zweitaxt erforderlich wird? Da kann doch irgendwas mit Zweitbildschirm unmöglich mithalten! Was mich übrigens wieder daran erinnert, dass ich noch die Geschichte weiterschreiben muss, in der ich mit drei riesigen Astscheren, von denen sich eine nicht schließen ließ, in die S-Bahn stieg und alle mir sehr schnell sehr viel Platz gemacht haben, aber das ist ein anderes Thema, das gehört hier gar nicht hin. Funkdisziplin! Ein weiterer Kunde schreibt jedenfalls auf der Rezensionsseite: “Ich nehme es als Outdoor-Beil.” Was natürlich sofort zur Frage führt, was er denn im Indoorbereich nimmt und wozu, da kann man dann auch eine Weile drüber nachdenken, es ist doch immer wieder herrlich, auf welche Abwege man im Internet gerät.

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Den besten Vers mit einem Beil darin hat übrigens Bodo Wartke geschrieben, falls sie den Song versehentlich nicht kennen: “Ja, Schatz.” Man beachte auch den Wahnsinnslichteffekt gegen Ende des Liedes, wirklich beeindruckend.

 

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