Dinge werden geregelt

Auf dem Stadtspaziergang am Sonntagmorgen, ich gehe wieder etwas nach, begegnen mir 24 Obdachlose. Hätte ich genauer hingesehen, wäre ich nur ein wenig aufmerksamer gewesen, die Zahl wäre sicher noch höher ausgefallen.

Immer wieder in den letzten Monaten und Jahren hatte ich das Gefühl, es sei eine Höchstzahl erreicht, dann wurden es erneut mehr. Seit Beginn der Pandemie ist die Lage auf der Straße eskaliert, Sie erinnern sich vielleicht noch an die Anfänge der Entwicklung. Die Medien berichteten zunächst häufig über den sprunghaften Anstieg der Verelendung, in meinen Texten stand ebenfalls einiges dazu.

Die Schlange vor der Essensausgabe in der Kirche gegenüber wurde länger und länger, bis hin zu Bildern, bei denen man unwillkürlich an Charles Dickens denkt oder an Bilder aus der Weimarer Zeit – hungrige Menschen warten im Regen auf etwas Suppe und Brot. Mein Indikator für die soziale Not im Blickfeld vor der Haustür.

Die Lage hat sich seit den ersten Coronajahren aber nicht wieder geändert. Man muss es sich vielleicht ab und zu bewusst machen, in unserem neuen, mehr oder weniger postpandemischen Alltag, dass dieses veränderte Normal da draußen nicht sehr alt ist.

Oder, noch ein Beispiel, ich gehe zum Einkaufen, ich zähle wieder mit: Zwölf bettelnde Menschen am Straßenrand. Nur auf dem Hinweg.

Währenddessen werden in der Stadt Scheindiskussionen geführt, etwa über das Bettelverbot im ÖPNV. Darf es das nun geben oder nicht, soll es das geben. Da hat man Meinungen dazu und sagt sie auch, schreibt sie, druckt sie, sendet sie. Dabei ist es vollkommen egal, ob es da ein Verbot gibt oder nicht. Es ist sowieso nicht daran zu denken, dass so ein Verbot jemals durchgesetzt werden könnte. Hundertschaften von Kontrolleuren müssten dafür pausenlos durch die Bahnen, immer wieder durch alle Wagen geschickt werden, das ist nicht realistisch. Es ist wie mit den Zone-30-Regelungen: Es ist egal, ob es sie gibt oder nicht, es hält sich eh niemand daran.

Und ich bin wieder bei der Herbeibehauptungskultur, die ich als so kennzeichnend für unsere Zeit empfinde. Wir sagen, das Betteln sei verboten, wir sagen, man solle langsam fahren, und wir hören dann auf. Die Umsetzung interessiert nicht, es ist alles egal.

Aber man hat doch etwas geregelt, und darin liegt die Tat. So meint man.

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Hier eine zusammenhangslose Möwe. Warum auch nicht.

Eine Möwe auf dem Dach eines Alsterbootes, im Hintergrund Wolken und die Alsterfontäne

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Ansonsten ein bemerkenswert sportlicher Wochenanfang, Aufgaben dicht an dicht, oder, um es doch einmal bemüht positiv auszudrücken: Vollbeschäftigung.

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Spiegelungen und schwere Lasten

Eine Journalistin der Lokalzeitung, für die ich regelmäßig kolumnisiere, schrieb in der letzten Woche, dass man auch solche Nachrichtenlagen wie die aktuelle aufs Lokale herunterbrechen müsse. Womit sie aus Sicht der Zeitung Recht hat, und es gilt auch für mein Verständnis des Blogs. Welches keine Allgemeingültigkeit hat, Blogs können beliebig vielfältig interpretiert und jederzeit neu gedacht werden, eh klar. Andere etwa haben Anmerkungen zur Neuwahldiskussion.

Aber tatsächlich finde ich es interessant, auch mit jedem Jahr mehr, wie sich die Nachrichtenlage, die große Lage, im Lokalen und Erreichbaren spiegelt, vor meiner Haustür, in der Wohnung, im Büro, beim Discounter, im Supermarkt etc.

Und da standen sie am Freitag auch schon vor mir an der Kasse, die Interpreten der aktuellen Spiegelung. Zwei junge Männer in der Mittagspause oder Schulpause, das kann man in dem Alter nicht recht wissen. Achtzehn, neunzehn Jahre waren sie vielleicht alt, so in etwa. Sie sahen beim Warten in der Schlange auf den kleinen Pressestand neben der Kasse, auf die Schlagzeilen der Boulevardzeitung. Sie sahen den neu gewählten US-Präsidenten, und der eine sagte, anerkennend nickend:

„Trump ist der Mann, Digga, einfach der beste Mann. Erst haben sie alle gesagt, der kann nix, weißu, und dann wählen sie ihn doch. So einen braucht Deutschland jetzt auch.“

Und der andere antwortete: „Aber genau so einen, Digga, genau einen wie den. Das wär‘s.“

Denn wenn man die Spiegelungen im Lokalen beachtet, so heißt es ja nicht, dass sie einem gefallen müssen. Keineswegs heißt es das.

Eine streetartmäßiug beklebte Wand, ein Plakat zeigt das E von Edeka mit einem nachgestellten Digga

Am Rande interessant für mich, es fiel mir bei diesem Dialog auf, dass mir Schlagzeilen, also Print-Schlagzeilen, kaum noch im Alltag auffallen. Die beiden großen Läden, in die ich fast täglich gehe, haben die Zeitungen nicht mehr prominent platziert, sie sind in den letzten Jahren aus dem Blickfeld gerückt. Es schreibt sich leicht, ist aber wieder eine dickere Scheibe Kulturgeschichte.

Ansonsten wurde die aktuelle Eskalation der Politik in den Smalltalksituationen der vergangenen Woche eher lapidar erwähnt. Vor allem im Zusammenhang mit Sachen, die nicht gingen, die kaputt waren, nicht mehr liefen oder entgleisten, es gab in verschiedenen Zusammenhängen in meinem Umfeld einige davon:

Das jetzt auch noch. Na, das passt ja ins Bild.“

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In der Mönckebergstraße wurde am Sonntag weiteres Weihnachtsdekozubehör auf besonders großen Fahrzeugen herangefahren, für Weihnachten braucht es einen Schwerlasttransport. Das kann man besonders sinnreich finden, je nach Einstellung zum Fest.

In den Timelines sah ich die mehrfach geäußerte Verwunderung, wie viel Weihnachten jetzt schon stattfindet, und noch während ich das las, sagte die Herzdame, dass wir Weihnachten mal aus dem Keller holen müssten.

Meinetwegen nicht, dachte ich. Aber egal.

Am Rathausmarkt muss währenddessen jemand mit Kommandogewalt den klassischen Befehl „Hisst das Weihnachtsfest!“ ausgerufen haben, ich sah es am Nachmittag.

Aufbauarbeiten am großen Weihnachtsstern auf dem Rathausmarkt, das hohe Gestänge, auf dem er sitzt, wird montiert

Und in den Foodblogs erscheinen währenddessen mehr und mehr Plätzchenrezepte, auch der erste Grünkohl wird auf diesen Seiten bereits verarbeitet. Es gibt Kohl und Kekse in chaotischer Weltlage, denn der Mensch braucht irgendeinen Halt.

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Schließlich: Die Bedeutung des Fucks beim Feuerkissen. Ein Weiterbildungslink.

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Und damit ab in eine neue Woche. Kennen Sie L.A. Salami? Ein hervorragendes Lied für den Montagmorgen.


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Stupid mental health

Es gab, die Reihe wird fortgesetzt, eine asiatisch anmutende Hühnersuppe, frei nach dieser theoretischen Grundlage. Suppen passen in den Monat und ich kriege eh nicht mehr alle Familienangehörigen zu einer bestimmten Tageszeit zum Essen. Wir brauchen leicht aufwärmbare Gerichte, nachts aufwärmbare Gerichte. Teenagertaugliches Zeug brauchen wir, und viel davon.

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Morgens bin ich kurz in den Park neben dem Supermarkt gegangen, um nachzusehen, ob der nun endlich nach bekannter Lyrikvorgabe georgemäßig totzusagen sei. Aber es wirkte immer noch alles recht belaubt und belebt dort, es war nicht einmal alles ordnungsgemäß gelb eingefärbt, außerdem gab es spielende Kinder auf dem Basketballfeld im Bild. Also nein.

Abwarten. Der November wird schon noch aufholen, er tat es bisher immer irgendwann. Falls die Vorjahre überhaupt noch etwas beweisen, man hat mittlerweile doch einige Zweifel.

Später eine Alsterrunde. Natürlich gegangen, nicht gejoggt, ich habe mich bis dahin noch im Griff. Leer war es auf den Wegen um die Alster herum, ungewohnt leer. Lange habe ich dort nicht mehr so viel Freiraum erlebt. Einige Szenen fast ohne Menschen gab es, nur Wasservögel im Bild, Kormorane, Schwäne, Blässhühner, Stockenten.

Am jahreszeitlich angemessenen Wetter wird das Ausbleiben der Menschen gelegen haben. Am elaborierten Novembergrau, das bis in die Details des Landschaftsbildes wirkte, bis in die Gesichter der wenigen Passanten auch. An der schwachnebeligen, diesigen, feuchtklammen Luft lag es gewiss, am Ausbleiben einer lockenden Helligkeit und dann daran, dass es schon am Vormittag so aussah, als wollte es gleich wieder dunkel werden. Es lohnte sich doch kaum, da erst rauszugehen.

Wir haben diese Phase des Jahres erreicht, in der man die Unfähigkeit zum Winterschlaf wieder allgemein bedauert.

Bunte Segel auf der novembergrauen Alster

Sogar weniger enthusiastische Sportmenschen als sonst sah ich, deutlich weniger. Auch die blieben an diesem Tag zu Hause und aßen vermutlich Lebkuchen oder ähnliches Zeug, damit sie bald wieder etwas abzutrainieren haben. Wenig Joggende also, und die liefen in seltsam anmutenden Outfitkombinationen. Unten kurze Hose, oben dicke Wollmütze, oder dünnes Muskelshirt und selbstgestrickter Schal sowie wollene Fäustlinge dazu, so etwas.

Ansonsten etliche Paare mit Kinderwagen. Oft mit den Großeltern oder befreundeten Menschen dabei. Männer gingen neben Männern, Frauen gingen neben Frauen, fast unweigerlich war das so, und viele gingen schweigend. Es war, so muss es allgemein empfunden worden sein, kein Plaudertag.

Nicht wenige sahen auf ihrer Runde arg gelangweilt, übermüdet, abgekämpft, zumindest lustlos aus. Ein blasses Elternpaar mit von Gähnkrämpfen entstellten Gesichtern. Ich erinnere mich an diese Phase bei uns, und mit Grauen. Man reißt sich zusammen, man schiebt um die Alster, denn man muss ja einmal raus. Die Kinder brauchen Luft, und eine weitere Motivation gibt es da nicht, braucht man auch nicht.

Eine leere Schaukel im Alstervorland, zwei Gartenstühle daneben

Einmal etliche Gänse im Tiefflug über den jungen Familien. Ein wenig sah es für einen Moment aus wie auf einer werbenden Skandinavienpostkarte, es fehlte nur etwas Weiß im Bild, etwas Winterschönheit in der Landschaft. Damit ist aber vorerst weiterhin nicht zu rechnen.

Schließlich die paar Menschen, die allein um die Alster gingen, mit den Kopfhörern auf und in eigener Musikwelt. Die manchmal recht schnell gingen, so wie ich. Und die dabei ein bekanntes Tiktok-Meme auszuleben schienen: „I’m going on a stupid walk for my stupid mental health.“ Eine geschichtliche Erläuterung dazu noch aus Corona-Zeiten findet man hier.

Mit finsterer Miene pflichtgemäß losgestapft, weil muss ja, warum auch immer. Es gibt mittlerweile Tausende von Versionen dieser Clips, und es ist keineswegs auszuschließen, dass ich ebenfalls danach ausgesehen habe, dass ich von Entgegenkommenden derartig einsortiert wurde.

Es passte schon, im weitesten Sinne. Aber ich mag den Monat, das immerhin. Es ist mir alles recht, das Grau, die Leere, die Ruhe, die frühe Dunkelheit auch. Und die Lebkuchen.

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Winterkälte, warme Suppen

In die Reihe „Zeichen des Niedergangs“ können wir Vanessas Anmerkungen zur Buchung und Durchführung von Bahnreisen einordnen.

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Kein Trost, nirgends“, das ist vermutlich kein motivierender Teaser, aber Jonas Schaible schreibt einen lesenswerten Newsletter. Und in Zeiten, in denen es deutlich schwieriger wird, sich vernünftig zu informieren, sollten wir unsere Quellen umso mehr teilen.

Apropos teilen, neulich habe ich wieder einmal diese finnische Suppe gemacht, Lohikeitto, die ich eine Weile vergessen hatte. Es ist eine gute, einfache Suppe, und man hat nebenbei ein finnisches Wort gelernt.

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Die Gorch Fock ist in Hamburg zu Gast. Ich habe das Schiff noch nie gesehen, gehe also eben zum Hafen, um nachzusehen, ob sie planmäßig angelegt hat. Ich mache das direkt nach dem Home-Office, das ich nur mit knapper Not gegen 13 Uhr nicht an die Wand werfe. Es war insgesamt eher nicht meine Woche, um es bündig zusammenzufassen, und hanseatische Contenance ist gerade eine knappe Ressource.

Egal, freitags ab eins macht jeder seins, es gibt alte Regeln, die muss man durchsetzen.

Wo war ich. Zum Hafen, zum Hafen, denn, wie schon der deutsche Barockdichter Bernd Begemann schrieb, „in Städten mit Häfen haben die Menschen noch Hoffnung.“

Ich gehe dorthin, bevor die Massen heranrauschen, denn am Wochenende ist „open ship“ und man kann den berühmten Segler besichtigen. Aber das wird vermutlich recht voll werden, lange Schlangen wird es da geben, das möchte ich wieder nicht.

Die Gorch Fock liegt allein an der Überseebrücke, und das sei, wie jemand im Fernsehen sagte, eine besondere Ehre. Ich gehe die lange Brücke runter, die ich schon als Kind an der Hand eines Hamburger Großonkels hinuntergegangen bin, und gucke mir das Schiff an. Um mich herum bereits etliche andere Fotografen, alle frierend im Wetter, welches gut zu Nordatlantikfahrten und dergleichen passen würde. Eiskalt fährt es einem in die Jackenärmel, es beißt einem in die Ohren und die Finger waren auch schon einmal beweglicher, das geht heute einwandfrei als Winterkälte durch. Vor der Gangway ein frostblasser Marinesoldat, der freundlich Besucherinnen abwehrt, nein, heute noch nicht.

Die Gorch Fock an der Überseebrücke im Hamburger Hafen vor grauem Novemberhimmel

Das Schiff ist deutlich kleiner, als ich gedacht hätte. Das wird daran liegen, glaube ich, dass es in den Medien immer schön freigestellt gezeigt wird. Möglichst beeindruckend fährt es in den Clips dahin, perspektivisch hervorgehoben legt es irgendwo an. Tatsächlich wirkt es da an unten der Brücke eher handlich als majestätisch.

Und vorne am Bug, diese Figur – sehen Sie das auch, wonach das aussieht? Nach Playmobil? Das kann doch nicht nur mein Eindruck sein.

Die Galionsfigur der Gorch Fock

Ich mache meine zwei Fotos und gehe wieder. Ich habe eine Bildungslücke geschlossen und verbleibe mit der Frage, ob es wohl dieses unvergessliche „Klack“ gemacht hat, als man den Vogel vorne drangesteckt hat.

Aber ich will nicht spotten, pardon. Großsegler sehe ich gerne, so ist es nicht.

Dann frierend nach Hause. An der Station Baumwall steige ich in die U-Bahn, in der Fahrgäste an den Fenstern kleben und „Wo ist sie denn?“ fragen, Masten im Blickfeld suchen: “Ist sie das? Ist sie das?“

Kurz aufwärmen und dann gleich wieder zum Einkaufen gehen. Man braucht mehr Suppe in diesen Zeiten.

Blick auf die Elbphilharmonie von der Überseebrücke aus

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Sauna, Tango, Heavy Metal

Gehört: „Die glückliche Gesellschaft – kann man von Finnland lernen?“ Enthält Elemente wie etwa Saunagänge, Tango und Heavy Metal, das ist alles eher nicht mein Fall. Aber es wird auch mehr Natur genannt, um das persönliche Glück und das der Gesellschaft zu fördern, da könnte ich eher anschließen und mitmachen. Im Rahmen der Stadtnatur eben, also mit einigen dezenten Einschränkungen. Wald etwa steht mir hier nicht zur Verfügung, jedenfalls nicht mal eben so.

Aber es ist doch interessant, diese Sendung. Am Rande denke ich beim Hören die mich stets faszinierende Frage mit, warum wir, also wir als Gesellschaft, wenn nicht sogar als Menschheit, mit best practice so wenig anfangen können. Nicht im internationalen Vergleich, aber auch kaum vor Ort, etwa zwischen Bundesländern, Gemeinden etc. Selbst in Institutionen, Behörden, Konzernen, Firmen hat der Ansatz nicht die Wichtigkeit, die er aus meiner Sicht haben sollte und die in manchen Lehrbüchern steht. In der Politik schon gar nicht. Es ist meist nur eine theoretische Möglichkeit, und es wirkt oft exzentrisch, dem einmal ernsthaft und mit Ergebnissen nachgehen zu wollen. Seltsam, seltsam.

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Außerdem gehört, und gleich mehrfach, einen alten Song von der geschätzten Janis Ian. Tea and Sympathy, aus dem Jahr 1976, da war ich zehn Jahre alt. Ich finde traurige Musik oft entspannend und angenehm, nicht herunterziehend, eher im Gegenteil. Der Song enthält eine Zeile, die man, so nehme ich an, mit jedem Lebensjahr verständnisinniger und auch mit jeweils leicht variierter Haltung mitsingen kann. Sie hat mich daher gerade etwas länger beschäftigt:

„Let’s drink a toast to those who most believe in what they’ve won.”

Man kann den Satz, es bietet sich gerade mit Nachdruck an, auch beim Verfolgen der aktuellen Entwicklungen in der Politik leise mitträllern. Es passt schon.


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Den Mittwoch habe ich außerordentlich schlecht gelaunt verbracht, es wird kaum überraschen. Die Gründe dafür konnten Sie teils den Nachrichten entnehmen und werden es mit einiger Sicherheit auch getan haben. Am Nachmittag habe ich dennoch (ich vertraue in meiner Grundhaltung insgesamt eher auf den Trotz als auf die Hoffnung, merke ich, ich halte ihn für wesentlich verfügbarer und ebenso anwendbar, um sich seelisch zu stabilisieren) ein kleines Konzert in St. Petri besucht.

Etwas stolz bin ich dabei auf mich gewesen, diesen Plan tatsächlich und mit Erfolg in den doch übervollen Alltag eingebaut zu haben. Wie so ein Mensch, der Freizeitbeschäftigungen, Erholung und Kulturkonsum auseichend würdigt und dafür Raum macht.

Allerdings habe ich nicht vorher nachgesehen, was dort gespielt wurde, und das waren dann Werke eines Posaunenchores. Eines guten Posaunenchores, so ist es nicht, das habe ich durchaus hören und erkennen können, aber es ist musikalisch nicht unbedingt mein Fall.

Die Bögen über dem Altarraum von St. Petri

Und als sie abschließend eine Bläser-Version von Heal the world spielten, von einem Song also, den ich nicht ausstehen kann, weil ihn eine verrückte Nachbarin hier im Zustand der fortgeschrittenen Trunkenheit etwa einmal im Quartal stundenlang in Endlosschleife und brüllend laut abspielt, bis wir alle entnervt ans Gegenteil von heal denken … es gibt Tage, da tuste bei, wie ein anderer vor längerer Zeit oft geschrieben hat.

Aber das werden an diesem Tag etliche von uns in ähnlicher Weise gedacht haben, ich sah es in den Timelines. Es war alles etwas viel für uns, nicht wahr.

Die Elbpegelanzeige im Hamburger Hafen, Höhe Anleger Feuerschiff

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Später habe ich mich zu ungewohnter Zeit eine Stunde aufs Sofa gelegt. Um mich von allem etwas zu erholen, durch konzentriertes Hören von Händel. Der hilft immerhin manchmal, siehe auch Bach. Eine Stunde war es etwa, die ich damit verbracht habe, mich bemüht auf Schönes zu konzentrieren, mit allerdings bescheidenem Erfolg. Danach habe ich wieder in die Nachrichten gesehen und nicht recht gewusst, wie absurd ich es finden sollte, dass meine Sofazeit ausgerechnet diese Stunde war, in der es auch noch die deutsche Regierung mit ordentlichem Geschepper zerlegt hat.

Die Wirklichkeit zeigte sich also wieder mit lächerlich überzogen wirkender Dramatik und allzu plattem Script. Ich selbst darin als abgewirtschafteter Hauptdarsteller mit lächerlicher Mimik wie im Stummfilm, händeringend vor einem Bildschirm – und solche Vorgaben muss man dann ausleben. Weil sie so bedrückend alternativlos daherkommt, diese immer holzschnittartiger werdende Wirklichkeit.

Manfred Krug hat, man kann das in seinen empfehlenswerten Tagebüchern nachlesen, beim Dreh stets noch in letzter Minute die Scripte solange korrigiert, bis ihm alles wirklich passte und seinen Vorstellungen von Niveau entsprach.

Da auch mal drüber nachdenken.

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Frau Novemberregen schreibt: „Nach Berlin fahre ich übrigens zum Vergnügen, nicht zur Machtübernahme, das muss man derzeit ja dazu sagen.“

Man liest es mit leichtem Bedauern, nicht wahr, denn wie schon bei Vanessa neulich – man traut gewissen Bloggerinnen etwas zu. Denn man liest sie ja lange genug und kann es also kompetent beurteilen. Frau Herzbruch übernimmt bei denen dann die politische Kommunikation, da geht doch was.

Ich dagegen, ich bin raus. Ich möchte lieber nicht.

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Vogelfutterfestspiele

Wir haben zur Monatswende auch die Vogelfutterfestspiele auf dem Balkon wieder eröffnet und die ersten Meisenknödel aufgehängt, von denen wir immer große Mengen bestellen, riesige Eimer voll. Wir haben auch die ersten Nüsse in den Blumentöpfen ausgelegt, und wir haben dann noch etwas hinter der Scheibe der Balkontür gestanden und abgewartet.

Die Kohlmeisen haben es zuerst mitbekommen und in ihrem Clan herumerzählt, schnell eskalierende Besuchszahlen. Die Spatzen, die über den ganzen Winter gesehen sicher am meisten vom Futter profitieren werden, sie lassen sich noch Zeit. Die Bande treibt sich gerade woanders herum, aber sie werden schon bald auftauchen und dann große Mengen konsumieren, nehme ich an.

Krähen und Elstern kamen noch nicht, sie sind auch in diesen Tagen weit und breit nicht zu sehen. Der Eichelhäher aber flog mit großer Selbstverständlichkeit vorbei und nahm sich eine Nuss. Als hätte es keine monatelange Sommerpause gegeben, keine Unterbrechung der normalen Abläufe.

Übrigens kam nur er immer wieder regelmäßig zum Nachsehen. Den ganzen Sommer über hat er uns fest im Programm behalten, all die futterlosen Monate lang. Ein fixer Kontrollpunkt in der Wiedervorbeiflugroutine war und ist unser Balkon für ihn. Alle drei Tage etwa hat er den Balkon abgecheckt, ob da nicht vielleicht doch … Kurz hat er jeweils die Blumentöpfe inspiziert, dann noch eben ein Rundumblick, auch sicherheitshalber den Boden unter den Möbeln kurz angesehen, dann schon weiter: Es hätte ja sein können. Wo einmal etwas war, könnte immerhin wieder etwas sein. Auch wir Menschen kennen das, etwa aus der Geschichte.

Es ist offensichtlich ein Vogel mit Pflichtgefühl und ehernen Routinen, ich finde das sympathisch. Es klingt etwas an in mir, wenn ich das beobachte. Dieses stoische Festhalten an Gewohnheiten, bis sie erneut zum Erfolg führen. Oder endlich einmal. Länger aushalten als andere, immerhin auch eine Strategie.

Geduld, Beharrlichkeit und Durchhaltevermögen. Man sieht es dem Vogel nicht auf den ersten Blick an, dass er sein Verhalten an diesen Charaktereigenschaften ausrichtet. Eigentlich sehen eher die Krähen in ihrem seriösen Schwarz nach diesen längst unmodern gewordenen Tugenden aus, nicht aber der schillernde Häher. Mit seinen doch etwas geckenhaften Verzierungen im Federkleid und dieser zappelig anmutenden Kopfhaltung, die zunächst auf einen unsicheren Kandidaten tippen lässt.

Allerdings, das muss ich auch sehen, wird das Verhalten des Eichelhähers nicht belohnt. Nicht eine Nuss mehr gewinnt er am Ende durch sein eisernes, trotziges Beharren auf eingespielten Verhaltensweisen. Die Spatzen, die Blaumeisen oder die Rotkehlchen, die jetzt gerade vielleicht im Vorbeiflug von irgendeinem Vogelkumpel hören werden, dass da auf diesem Balkon wieder Futter liegt, die ihr Leben lang fest auf diese Beiläufigkeit, auf diesen Zufall und auf sonst gar nichts vertrauen, die damit gut durchkommen, die werden mindestens die gleiche Beute machen wie er. Oder sogar mehr. Weil er doch heute noch dringend siebzehn andere fest eingespeicherte Standorte prüfen muss, und vielleicht vergeblich. Während sie sich hemmungslos den Bauch vollschlagen, wo nur gerade etwas liegt, und solange es dort liegt.

Da auch mal drüber nachdenken. Aber erst, wenn ich dafür Zeit habe, vorher kommen noch siebzehn andere To-Dos.

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Im Bild Hammerbrook, das kam schon erstaunlich lange nicht mehr vor. Heute mal wieder dorthin, quasi routinierter Vorbeiflug.

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Heranrollende Gemütlichkeit

Vorweg einen herzlichen Dank an die großzügigen Menschen, die in den letzten Tagen deutlich mehr als Kleingeld in den Hut geworfen haben. Noch mit äußerst freundlichen Zeilen dabei – ich freue mich! Es belebt die Motivation für den November, der, wie es aussieht, nicht eben der netteste Monat des Jahres für mich werden wird. Obwohl ich doch nichts gegen ihn habe, eher zum Freundeskreis gehöre, es mutet etwas ungerecht an.

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Mit der Herzdame am Montagabend die Termine bis Weihnachten sortiert. Wir haben in diese Restzeit von 2024 dummerweise auch Vorsorgetermine und ähnliches hineingeplant, damals am Jahresanfang. Als man alles irgendwohin packen wollte, möglichst weit weg. Nach Durchsicht haben wir hysterisch lachend festgestellt, dass das alles nicht gehen kann.

Und dass wir es alles dennoch machen, das haben wir dann auch festgestellt. Denn was soll man auch machen.

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Gehört: Einen unterhaltsamen Podcast (16 Minuten) über den Hit von Alphaville damals: Forever young – „Wenn wir gewusst hätten, dass diesen Song irgendwann die halbe Welt kennen würde, wir hätten es verbockt.“ Auch das habe ich bereits mehrfach notiert, ich weiß, aber man kann den Podcasts über Musik, Stars und Hits beispielhaft alles entnehmen, was man über Kreativität, Erfolg, Arbeit und Glück nur lernen kann, glaube ich.

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Währenddessen, kaum bloggt man ein, zwei Tage nicht, ist viel passiert, was das Voranschreiten des Jahres betrifft. Wir haben die ersten Mandarinen gegessen, ein wichtiger Schritt. Siehe auch erste Erdbeeren, Pflaumen etc.

Es gab den ersten Abendspaziergang, bei dem eine dickere Jacke doch die bessere Wahl gewesen wäre. Es gab das erste Laubharken im Garten, noch nie haben wir so spät im Jahr damit begonnen. Und es war dann nicht einmal viel, was da zusammenkam. Es hängt noch eine üppige Menge in den Bäumen, die Birke etwa ist noch halb bekleidet und wird demnächst erst Arbeit machen. Aber egal, man kann hervorragend Musik hören bei dieser Beschäftigung und sich mit den Pflichten arrangieren.

Und, um allfälligen belehrenden Kommentaren vorzubeugen, für die Igel, die es in Schrebergärten meist noch zahlreich gibt, haben wir gesorgt. Sie haben in unserem tendenziell unordentlichen, also als romantisch zu bezeichnenden Garten ausreichend Laubhaufen und Zonen, in denen sie nicht gestört werden.

Zwei, drei Weihnachtsmärkte wurden in der Stadt eröffnet. Weitere werden angekündigt, es geht schnell voran. Hier und da liegen Bretterstapel in den Fußgängerzonen bereit, das wird in Kürze alles routiniert verschraubt und aufgerichtet. Kaum anders als ein Bücherregal von Ikea, wenige Stunden wird es nur dauern. Die Gemütlichkeit auf Rädern wurde überall bereits herangerollt und ausgeliefert. Sie steht bald in überaus erwartbarer Form bereit, mit Glühweinduft und allem.

The same procedure, bis hin zum obligatorischen Glühweinvergleich über alle diese Märkte in den lokalen Medien, um den journalistischen Nachwuchs auch einmal vor die Tür zu bekommen. Man kennt das.

Bretterstapel vor der Rindermarkthalle, der Weuhnachtsmarkt in Einzelteilen

An den Fassaden der großen Kaufhäuser hängen die Neonzeichen der Zeit. Wenn man genau hinsieht, kann man bereits Merry Christmas in zig Sprachen, geschweifte Sterne, stilisierte Tannenbäume und dergleichen erkennen. Noch blass, aber demnächst wird das alles bunt leuchten. Auch der Winterdom wird aufgebaut, das jährliche Finale der öffentlichen Groß-Events in der Stadt. Das Riesenrad steht bereits, die Achterbahn Wilde Maus ist fast fertig, letzte Schrauben werden angezogen.

Dekoelemente von Fahrgeschäften auf dem Dom, noch auf einem Anhänger, ein Kassenhäuschen, eine große Plastikhand mit dem Peace-Zeichen und "Woodstock"-Aufschrift auf dem Handrücken

Dezenten Nachtfrost gab es zum ersten Mal in den Randgebieten der Stadt, auch in den Gärten an der Bille.

Und am Sonntagmorgen sah ich auf den Wiesen unten am Alstervorland auch den ersten Raureif, Winter will es wirklich werden.

Raureif auf den Wiesen im Alstervorland

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Bückware von Buddenbohm

Instagram benachrichtigt mich in strengem Tonfall, sie hätten ein Bild von mir „herabgestuft. “ Was für eine Wortwahl, warum nicht gleich deklassiert. Es werde meinen Followern nur noch angezeigt, heißt es, wenn sie länger scrollen. Es wird also in digitaler Übertragung gewissermaßen zur Bückware. Ein Grund für das etwas tantenhaft anmutende Verstecken des Bildes wird auch angegeben. Das Bild enthalte nämlich, und es fehlt nur der Hinweis, ich solle mich gefälligst schämen, Nacktheit oder sexuelle Handlungen.

Und damit ich mich nicht vor meinen eigenen, allzu expliziten Schundbildern erschrecke, oder vielleicht auch, damit ich nicht noch durch eigene Werke unnötig erregt werde, wird mir das schweinische corpus delicti in dieser Nachricht lediglich verpixelt angezeigt. Damit ich eine Ahnung bekomme, worum es gehen könnte.

Das Bild, ich sehe es mir genauer im Original auf meinem Smartphone an, zeigt das bekannt obszöne Hamburger Rathaus. Mit diesem phallischen Turm, der sich da aus der Mitte des Baus steil und geil nach oben reckt … ich sehe es gleich ein, es geht wirklich zu weit. Im Grunde ein starkes Stück, so etwas im öffentlichen Raum frei verfügbar zu machen. Neben dem Rathaus, als hätte es das noch gebraucht, die schwellenden, üppigen Rundungen der lasziv weißmarmornen Bögen der Alsterarkaden. Und zwischen dem strotzenden Rathaus und dem vielfach wogenden Busen der Säulengänge ergießt sich zu allem Überfluss die Kleine Alster ins Bild, als hätte es mehr Symbolik gebraucht.

Ebenfalls im Bild zwei Baukräne, die sich wie langfingrig auf die steinerne Erektion des Rathauses zubewegen. Dazu in der Mitte noch eine wehende Flagge in obszönem Lustrot, in sinnlicher Drehung windet sie sich im Wind. E-kel-haft, das alles.

Demnächst besser nur noch Flachbauten fotografieren. Oder Discounter von hinten, Tiefgaragen unter Einkaufszentren, neue Sachlichkeit, so etwas.

Man kann, sehe ich dann, über ein Formular melden, dass man da etwas anders sieht als die automatisierten Moralwächter bei Instagram. Dann muss man aber auch angeben, warum man da zu einer anderen Einschätzung kommt. Okay, denke ich mir. Alles abstreiten und dann mal sehen, wie weit man kommt. So gelingt immerhin vieles im Leben, und es ist auch eine ausgesprochen moderne Herangehensweise. Ich klicke also trotzig an, dass ich das Bild für regelkonform halte. Die Regeln werden mir kurz gezeigt, ich habe sie gar nicht gekannt oder bisher immer überlesen, in meiner geistigen Zügellosigkeit. Ich lese sie also nach, und immerhin sind bei mir keine Nippel abgebildet, denke ich. Damit komme ich vielleicht durch.

Jetzt brauche ich noch einen Grund für meinen Protest. Es werden etliche Möglichkeiten aufgelistet, die alle nicht recht zutreffen. Ich wähle schließlich: „Das Bild ist in meiner Region nicht anstößig.“ Aber wie weit diese Region wohl reicht? Weiß ich wirklich, was in Mecklenburg oder Bremen als anstößig gilt? Ich kenne kaum Menschen aus Bremen, wenn ich es mir genau überlege.

Zweifelnd schicke ich das Formular ab und stelle mir vor, wie irgendwo auf der Welt ein moderierender Mensch sich mein Bild eine halbe Sekunde ansieht und es dann routiniert freischaltet, was auch ziemlich schnell so passiert. Ich nehme weiter an, dass er dabei etwas freischaltet, was eine sogenannte AI vorher gesperrt hat, was mir nicht für das I in ihrer Bezeichnung zu sprechen scheint.

Das ist jetzt auch ein Job, und vermutlich kein allzu schöner: Auf denkbar geringem Niveau in Vollzeit intelligenter als eine Software zu sein. Ich vermute, es wird nicht wenig von diesen Jobs geben, jetzt schon oder in der nächsten Zeit, bevor auch die später einer weiteren AI-Ausbau-Stufe zum Opfer fallen werden.

Man kann sich diese Jobs kaum gut oder halbwegs fair bezahlt vorstellen. Das AI-Korrektorat wird Bezüge zum weltweiten Prekariat haben und gute Geschichten kann ich mir um Zusammenhang mit diesem Thema nicht vorstellen. Eher die Wiederholung von seit der Industrialisierung bekannten, recht üblen Geschichten aus der Arbeitswelt.

Aber wie auch immer. Das Bild wird nun nicht mehr herabgestuft. Läuft alles bei mir, das nehme ich nun als Motto mit in eine weitere übervolle Woche. Sie merken, die Blogeinträge werden im Moment für meine Verhältnisse unregelmäßiger, es geht hier bei diversen Themen gerade etwas wild zu.

Egal, wir tragen alle Helme auf dieser Baustelle, die Sicherheitsvorschriften werden beachtet.

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Hier auf dem Foto, ohne jeden sinnvollen Zusammenhang zum Text oben, die Sachlage beim Wein an der Kirchenmauer gegenüber. Aber es ist schon wieder ein paar Tage her, dass ich dieses Bild aufgenommen habe, ich müsste dringend wieder nachsehen gehen.

Ich sage es ja, man sitzt nur so da, und es fallen einem To-Dos ein. Seien sie nun ernsthaft begründet oder nicht. Aus dem Nichts fallen sie einem ein.

Weinlaub an Kirchenmauer

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Dämonen, Jacobi und Schubert

All die Tage jetzt, ich lag mit der Annahme der flächigen Ausbreitung im Kalender richtig, am Abend die Kostümierten zu Halloween im Hauptbahnhof und in den Bahnen. Mit einem Schwerpunkt am kalendarisch korrekten Abend, das dann doch.

Wobei ich „Kostümierte“ schrieb, das ist einzuschränken. Denn viel Aufwand wird nicht betrieben, zwei, drei Versatzstücke in Schwarz, ein weiß geschminktes Gesicht und etwas Theaterblut – darauf kann man sich mehrheitlich einigen, das ist es aber auch schon. Und viel ist das nicht, wenn man es kritisch betrachten möchte. Ein Minimalismuskarneval der novembrigen Art. Und es schadet auch den Rollen, wenn man als Wesen aus dem Reich des Bösen und der Nacht eine Schüssel mit Partysalat oder zwei Flaschen Prosecco achtsam vor sich herträgt, es mindert doch etwas die Wirkung.

Zwei Bemerknisse zu Halloween noch. Zum einen war es im kalten Licht der Wandelhalle im Bahnhof nicht nur einmal so, dass mir Menschen mit kalkweißen Gesichtern entgegenkamen, die ich schon mit „da, wieder welche“ geistig abhaken wollte, um dann im Näherkommen festzustellen, dass sie nicht geschminkt waren. Die sahen einfach so aus. Die gehörten so, da musste nicht erst Weiß aufgetragen werden. Es waren nur die Müdigkeit, die Mühen des Alltags, die Sorgen, die Pflichten und das kalte Licht der Läden. Im Grunde auch gruselig genug.

Zum anderen ging ich am Abend wieder an der Eisbahn in Planten un Blomen vorbei. Auf der es lebhaft zuging, viele kreisende Menschen auf Kufen, laute Musik. Und zwischen den erwachsenen Freizeitwintersportlern ein kleines, schwarzes, kaum auszumachendes Wesen mit weit wehendem dunklem Umhang. Schneller als manche der Großen, durch die langsamen Erwachsenen kurvend. Wie ein huschender, schattenartiger Dämon, der die Menge aus der Nacht heraus umspielte, so wirkte das kostümierte Kind auf dem Eis.

Dieses schwarzwehende Cape auf Wichtelhöhe in der bunten Menge, das hatte etwas. Mitten im Leben sind wir von unseren kleinen Dämonen umfangen.

Ein Fleet in der Hamburger Speicherstadt am Abend

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Heute ist Allerseelen, wieder ein besonderer Tag.

Ruh‘n in Frieden alle Seelen,

Die vollbracht ein banges Quälen,

Die vollendet süßen Traum,

Lebenssatt, geboren kaum,

Aus der Welt hinüber schieden

Alle Seelen ruh‘n in Frieden“

Das ist von Johann Georg Jacobi, aus dem Jahr 1776. Ich würde das Gedicht kaum kennen, wenn es nicht Franz Schubert vertont hätte. Der Herr Jacobi war bei seinen Dichterkollegen nicht gut angesehen, ich zitiere aus der Wikipedia:

Auch Goethe kritisierte Jacobis Gedichte und schrieb deren Erfolg v. a. seinen weiblichen Verehrern zu, die ein Gedicht schön finden „und denken dabei bloß an die Empfindungen, an die Worte, an die Verse. Dass aber die wahre Kraft und Wirkung eines Gedichts in der Situation, in den Motiven besteht, daran denkt niemand. Und aus diesem Grunde werden denn auch Tausende von Gedichten gemacht, wo das Motiv durchaus null ist, und die bloß durch Empfindungen und klingende Verse eine Art von Existenz vorspiegeln.

Wie modern diese Stelle mit der „null“ klingt, nicht wahr, wie aktuelle Jugendsprache. Davon abgesehen, und ob das Motiv im Gedicht nun null ist oder nicht, das Lied ist gut gealtert, immer noch hörenswert und die ersten beiden Zeilen kann man sich im Grunde jeden Abend vorsagen, wenn man noch so einen Tag absolviert hat:

„Ruh’n in Frieden alle Seelen, die vollbracht ein banges Quälen.“

Ich mag die Zeilen. Alle Strophen des Gedichtes, es wird nicht vollumfänglich gesungen, kann man hier nachlesen.

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Giese, Bach, Pärt, Reger

Die sicherlich wichtigste Nachricht gestern, von den überregionalen Medien kaum beachtet: Die geschätzte Vanessa geht in die Politik und wird Bürgermeisterkandidatin für Haltern am See. Auch der amtierende Bundeskanzler war einmal ein Bürgermeister, ältere Hamburgerinnen erinnern sich, es ist ein erwiesen bewährter Karriereweg. Ich würde, mehr Respekt kann ich kaum zum Ausdruck bringen, für Vanessa sogar SPD wählen und wünsche von Herzen viel Erfolg und gutes Gelingen.

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Ein feiner föderaler Spaß ist oder war es ansonsten mit diesem Reformationstag, mit diesem Allerheiligentag. Die einen Bundesländer nehmen diesen, die anderen jenen, andere keinen von beiden. Im deutschsprachigen Ausland auch ein unheiliges Durcheinander. In der Schweiz hat der Reformationstag ein anderes Datum als bei uns und dergleichen Komplikationen mehr. Bei Allerheiligen sind sich ebenfalls nicht alle einig, was für ein heilloses Tohuwabohu.

Unterm Strich aber, bei welchem Termin auch immer, ernste Themen am Übergang zum November. Es wird am Ende schon passen.

Ich habe Kolleginnen, die haben da, wo sie wohnen, einen Feiertag, und ein paar Meter weiter, wo das Büro ist, dummerweise nicht. Da grämt man sich etwas, stelle ich mir vor. Was aber jahreszeitlich passt und für einen angemessenen Gesichtsausdruck zum Monatswechsel sorgt, insofern ist es sinnvoll eingerichtet. Denn ja, im November soll man so gucken, dafür ist er da. Monate auch mal ernst nehmen!

Wieder nachgelesen, an der Einführung des Reformationstages 2017, 2018 in Norddeutschland gab es Kritik. Diese Debatte ist mir damals entgangen. Vermutlich fand ich es nicht weiter lesenswert, nur der freie Tag wird mir recht gewesen sein. Heute würde ich bei solchen Debatten genauer mitlesen, die Interessen mäandern durch die Jahre.

Immerhin habe ich richtig geraten, dass der Termin dieses Feiertages sich auf das Annageln der Thesen bezieht. Aber sicher wäre ich mir auch dabei nicht gewesen, Allgemeinbildung ist doch immer eine wackelige Angelegenheit.

Passend zum Thema war ich am Mittwoch bei der Stunde der Kirchenmusik in der Hauptkirche St. Petri. Ich habe mich dafür vom Home-Office losgerissen und das Einkaufen und Kochen ausfallen lassen, der Termin passte nicht recht in den übervollen Tag.

Ein altes Schild in einer Kirchenecke abgestellt, es weist auf die Stunde der Kirchenmusik in St. Petri hin

Alles dennoch machen, wie ich manchmal und nicht umsonst betone.

Durch einen Kommentar hier wurde ich neulich darauf hingewiesen, dass es kostenlose, regelmäßige Konzerte nicht nur in St. Jacobi gibt. Vielen Dank noch einmal, das war ein sinnvoller Hinweis für mich.

Denn das habe ich alles nicht gewusst, das mit diesen Konzertterminen in den großen Kirchen, aber für mich ist es großartig. Ich bekomme die Musik auf diese Art ohne Gottesdienst und andere Rituale etc. geboten, wie fein ist das denn. Ohne Ihrer Welt- und Himmelsanschauung zu nahe treten zu wollen, falls Sie bei den christlichen Religionen loyales Mitglied sind – ich interessiere mich ausschließlich für die Musik und einige andere Aspekte in Malerei und Dichtkunst. Nicht aber für den Rest, pardon.

Auch dieses Kirchenkonzert war gut besucht, ich bin mit meinen womöglich ausgefallenen wirkenden Interessen nicht allein. Aber das ist man ohnehin nie.

Ein erleuchtetes Fenster von St. Petri, etwas Grün davor, Pflanzen an der Kirchenmauer

Ich lasse mich eben gerne und gründlich beorgeln. Ich kann auch gut zu gregorianischen Gesängen im Home-Office sitzen, und hier läuft gerade, während ich dies notiere, eine jahreszeitlich ungemein passende Playlist namens „Medieval and sacred Chants.“ Aber Predigten hören oder an Gebeten etc. teilnehmen etc. – nein danke, ich möchte lieber nicht. Kulturreligiös bin ich, mehr nicht. Und vielleicht bin ich es nicht nur, sondern immerhin, es ist alles eine Frage der Betrachtung.

Es gab an diesem Tag etwas bewährten Bach, etwas modernen Arvo Pärt und dazwischen Max Reger, und schön war das wiederum. Der Pärt-Teil (Trivium, falls Sie sich da im Gegensatz zu mir halbwegs auskennen) hätte mir im Streamingdienst nicht spontan gefallen, denke ich. Aber in der Kirche, von der großen Orgel, in dem großen Raum, vor den gotischen Fenstern, hinter denen es früh dunkel wurde – das hatte dann doch etwas.

Bei Max Reger bin ich mir noch unsicher. Ich muss das nachhören, ich nahm es als Hausaufgabe mit. So wachsen einem unvermittelt kulturelle To-Dos zu, kaum dass man irgendwo hingeht. Und sie stören mich nicht einmal, im Gegensatz zu manchen anderen. Na gut, im Gegensatz zu fast allen anderen, um es genau zu benennen.

Es gibt wieder einen Geschichtsbezug bei dieser Veranstaltungsreihe, habe ich noch gesehen. Die Stunde der Kirchenmusik entstand direkt nach dem letzten Krieg, da so viele andere Orgeln und Kirchen in der Stadt komplett zerstört waren. Also ähnlich aussahen wie die Gedächtniskirche St. Nikolai, ebenfalls in meinem Spaziergangsrevier, hier im Bild.

Der Innenraum der zerstörten St. Nikolai

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