Kurz und klein

Wir fälschen eine Tarte und geben an

Ich erwähne auf Twitter manchmal nebenbei, was ich hier abends in der Küche produziere. Das führt gelegentlich zu Nachfragen, so geschehen etwa bei der Feigen-Ziegenkäse-Rosmarin-Honig-Tarte. Die, um es gleich vorwegzunehmen, keine Tarte ist, ich weiß, aber es klingt eben besser als das schnöde deutsche Wort Blätterteig. Eine Tarte ist per definitionem aus selbstgemachtem Mürbeteig, ja, ich weiß – und ich ignoriere.

Feigentarte

 

Es gibt auch eigentlich gar kein Rezept, wenn man die Zutaten aufgezählt hat, ist man fast schon fertig, dann riecht es schon gut aus dem Backofen, auch wenn die Kombination in dieser Folge irgendwie fast nach einer Bio-Eissorte in Berlin-Mitte oder angrenzenden Stadtteilen klingt. Eine Kugel Feige-Ziegenkäse-Rosmarin-Honig, bitte! Sehr gerne, der Herr.

Wir rollen heute also nichts zu Kugeln, es geht weder um Eis noch um ein Rezept aus Österreich. Wir rollen vielmehr aus und belegen flach. Dazu brauchen wir:

Blätterteig aus dem Kühlregal

Ziegenfrischkäse in der Rolle

Feigen (zwei, drei)

Rosmarin, frisch

Honig in geringer Menge

Schmand in geringer Menge

Sehr schnell erklärt, sehr schnell gemacht. Den Blätterteig dünn mit Schmand bestreichen, man soll davon nicht satt werden, es geht nur um diese leichte und dezente Frische im Geschmack. Den Ziegenkäse in Scheiben schneiden und die Scheiben auf den Teig legen. Ich bevorzuge dabei eine Rolle, die nicht ungeheuer aromatisch ist, das findet man so meist bei den eher günstigen Produkten. Eine Rolle ist dabei überhaupt nur aus praktischen Gründen erforderlich, Scheiben sehen eben nett aus. Bei mir können die Scheiben ruhig etwas dicker sein.

Die Ziegenkäsescheiben mit dünnen Feigenscheiben belegen, wobei es zweckmäßig ist, keine überreifen Feigen zu kaufen, die kann man nicht schneiden, weder dünn noch überhaupt, man matscht nur sinnlos herum, das verdirbt die Stimmung.

Rosmarin, der bei uns nur noch Großmarin heißt, weil wir ihn in Südtirol in unfassbarer Größe gefunden haben, geradezu baumgleich, ich hatte tatsächlich keine Ahnung, dass der so groß werden kann. Zerhacken und locker über die Scheiben streuen, das kann ruhig etwas mehr sein und ich habe den begründeten Verdacht, dass Thymian auch gut funktionieren würde, mir fehlt da aber die Erfahrung. Den Honig in Tröpfchen über alles schlenkern, wirklich wenig, wirklich zurückhaltend, das wird sonst dramatisch zu süß, aber eine Ahnung von Honig ist schon nett.

Nach Packungsangabe in den Ofen, also vermutlich zwanzig Minuten bei 200 Grad, zack, fertig. Sieht gut aus, schmeckt großartig, macht deutlich etwas her, ist in gesamt 25 Minuten zu schaffen. Ein Blech für zwei Normalhungrige, das gehört für uns genau so zur Feigensaison.

That was easy! Und jetzt, wo ich schnell noch etwas im Internet nach ähnlichen Rezepten herumsuche, sehe ich gerade das hier. Eventuell war das einmal die Originalquelle? Das kann durchaus sein. Und da heißt es Quiche. Na, Hauptsache edel.

50

Und tatsächlich fühlt es sich dann nicht wie irgendein Geburtstag an, man kommt an der Wirkung der runden Zahl doch nicht recht vorbei. Man bilanziert also ein wenig, man wägt ab, man denkt an alte Pläne und überlegt deren Verfallsdatum, man stellt sich ein gemischtes Zeugnis aus, guckt noch strenger als sonst in den Spiegel und skizziert versuchsweise neue Pläne, denn man könnte ja noch dieses oder jenes, warum denn nicht, die Fünfzig ist ja nun wirklich keine Hundert. Aber man müsste dann auch mal.

Und man denkt unwillkürlich auch auf dem Großen und Ganzen herum, es ist wohl ein Alter, in dem man das ohnehin wieder einmal tun sollte, und die Nachrichtenlage das Jahres bot dazu bisher auch weiß Gott Grund genug. Man denkt hin und her, an gestern und morgen, an Liebe und Zeit und Sinn und an die Kinder und was man morgen nun wieder kochen soll und dass gleich schon wieder Weihnachten ist. Und mit fünfzig Jahren weiß man allmählich auch, welche Richtung beim Denken über wirklich wichtige Dinge zu bevorzugen ist, welches Muster nach vorläufig bestem Wissen und Gewissen der Weisheit letzter Schluss ist, was vergeht und was wiederkommt.

“Nichts bleibt, mein Herz. Und alles ist von Dauer”, so hat das Erich Kästner in seinem August-Gedicht gesagt, in dem Buch “Die dreizehn Monate”. Ein ganz schmales, sehr durchdachtes Buch, ein wenig bitter vielleicht, weit fortgeschritten melancholisch in jedem Fall, dabei außerordentlich nett und mitfühlend, als berührte einen ein guter Freund leicht und aufmunternd im Vorbeigehen an der Schulter. Ein Buch über die Monate und die Zeit und die Wiederholungen, ein Buch über das Älterwerden, fast jede Seite ist großartig, nur beim April hat er keine Lust oder keine Idee gehabt. Na, das macht nichts. Wer hat schon Lust auf alle Monate, mir wäre vermutlich zum Februar nichts Nettes eingefallen.

Wie denkt man nach der wiederholten Lektüre des Buches, wie denkt man, wenn man fünfzig Jahre alt wird, welche Richtung ist die richtige – oder doch immerhin die einzige zu der man immer wieder findet? Es gibt da eine ganz einfache Antwort, und sie ist sicher nicht die schlechteste, wie ich mittlerweile glaube, sie klingt nur so: Im Kreis. Man muss sich damit anfreunden, dann geht es. Sehr gut sogar. Flott durch die Kurven sozusagen.

Wenn Sie im Laufe des Tage ein passendes Getränk in die Finger bekommen sollten, wir können hier jederzeit gerne virtuell anstoßen. Auch wenn ich heute noch durch Berlin laufe und mir die Stadt ansehe. Es ist ja mittlerweile schon wieder uncool, aber ich mag Berlin doch sehr, ich finde es anregend und belebend. Die Reise war ein äußerst sinnvolles Geburstagsgeschenk der Herzdame, manchmal hat sie ziemlich gute Ideen.

Prost! Sehr schön, dass Sie hier sind, vielen Dank fürs Lesen! Es ist mir ein Fest und eine Freude, immer wieder.

Was schön war

Ich habe den Verdacht, dass dieses Format auf mittlere Distanz am besten funktioniert. Wenn ich an den Tag denke, an dem ich gerade schreibe, fällt mir nichts ein, das ist zu dicht, das muss sich alles erst setzen. Wenn ich an Tage denke, die sehr lange her sind, ist es wieder ein Fall von “Opa erzählt vom Krieg”, das will ja auch keiner. Aber wenn ich ein paar Tage zurückdenke, dann fallen mir sofort Szenen oder Bemerknisse ein, die ich schön fand, und die ich auch nicht schon zehnmal erzählt habe.

Ohne Titel

In Südtirol, oberhalb von Lana, weit oberhalb sogar, auf einem Wanderweg entlang der Hänge voller Obstbäume. Es ist heiß und irgendwo sitzt eine einsame und vermutlich deswegen sehr laute Grille. Es ist nur eine, aber sie ist weit zu hören, weiter jedenfalls, als ich es bei Grillen überhaupt für möglich gehalten hätte, weiter, als ich es je bei einer Grille gehört habe. Schmetterlinge schaukeln durch die Hitze. Äpfel, viele Äpfel, manchmal Pflaumen, selten Birnen, warum essen die Menschen eigentlich so wenig Birnen? Oder wachsen die in Südtirol nur nicht so gut? Sie stehen hier jedenfalls ganz dicht neben den Äpfeln, man könnte sie fast damit vergleichen, aber das darf man ja nicht. Eidechsen auf den Mauern am Wegesrand, kaum hat man sie gesehen, sind sie auch schon wieder weg, ein Huschen im Augenwinkel. Die Söhne laufen durch die Reihen der kleingehaltenen Bäume und pflücken unter Absingen einer der vielen Hamburger Hymnen ein paar Äpfel. Und das macht einen als Norddeutschen dann doch etwas heidikabelnostalgisch – so wollte man früher auch nie werden! -, was soll man machen. Wenn die eigenen Söhne “Klauen, klauen, Äppel wolln wir klauen, ruckzuck übern Zaun” singen und in die Äste greifen und “ein jeder aber kann das nicht, denn er muss aus Hamburg sein” mit fröhlichem Lokalpatriotismus schmettern, die Hosentaschen voller Äppel, das hat schon was, das kann man ja auch einmal zugeben.

Wie es übrigens auch etwas hatte, als dieses Lied vor ein paar Wochen auf einem Straßenfest in unserem kleinen Bahnhofsviertel gesungen wurde, von einem Kinderchor aus einer Kita und einer Vorschule hier. Da standen zehn, zwanzig Kinder auf der Bühne, alle etwa fünf Jahre alt. Kinder aus etlichen Nationen, mit verschiedenen Hautfarben und verschiedenen Hintergründen (“Ach was”, möchte man da als literaturaffiner Mensch kurz und loriotsicher zwischenrufen, schon klar). Und wo auch immer die Kinder oder ihre Eltern oder Großeltern herkamen, aus München, Rio, Danzig oder sogar aus Bremen, jetzt sind sie eben aus Hamburg und singen auf Plattdeutsch das Lied von dem Jung mit dem Tüdelband und von der Deern mit dem Eierkorv, weil das hier nun einmal dazugehört. Es gibt auch schlechtere Traditionen in der Stadt.

Das Lied wurde 1917 im Bieber-Café zuerst aufgeführt, das war bei uns um die Ecke, im Bieber-Haus gleich neben dem Bahnhof. Die Gebrüder Wolf wurden später von den Nazis verfolgt, einer starb im Lager, einer floh nach Shanghai. Das Bieber-Café, meines Wissens war es ein Tanzcafé, gibt es längst nicht mehr, aber im Bieber-Haus wurden bis vor einiger Zeit die vielen Menschen betreut, die in den letzten Monaten vor anderen Regimen und vor Kriegen wiederum zu uns geflohen sind. Und die Kinder neulich sangen das Lied nur ein paar Meter weiter. Man merkt manchmal, wie die Geschichte Pointen setzt und Fäden durch die Jahrzehnte spinnt.

Gelesen – Petra Gust-Kazakos: Ganz weit weg – Leselust und Reisefieber

Petra Gust-Kazakos ist vielleicht von ihrem Blog bekannt, es ist dieses hier. Sie hat ein Buch über Reisen und Bücher geschrieben, ich habe es auf der Zugfahrt von Hamburg nach München gelesen, was natürlich, bei aller Bescheidenheit, ein äußerst cleverer Schachzug von mir war. Denn besser kann ein Buch für so eine Zugfahrt in Länge und Inhalt kaum passen, machen Sie das also ruhig nach.

Allerdings hatte die Lektüre auch Nachteile, die sollen hier nicht verschwiegen werden. Denn es geht in dem Buch um andere Bücher, und ich bin leider äußerst anfällig für die bei solcher Lektüre entstehenden Wünsche. Weswegen jetzt noch rund zehn weitere Titel auf meiner ohnehin ellenlangen Buchwunschliste stehen, es ist wirklich schlimm.

Und wieder gemerkt: Ich habe eine seltsame Schwäche für Sekundärliteratur. Ich lese ausgesprochen gerne, was andere über Bücher schreiben und an ihnen herumerklären, wenn sie Geschichten dazu erzählen und Hintergründe schildern. Ich habe dabei gar keinen Ehrgeiz, etwas zu lernen, ich finde es tatsächlich einfach unterhaltsam. Und ich lese so etwas sogar so gerne, dass ich es so gut wie nie dazu kommen lasse, weil ich sonst vermutlich gar keine Romane und Erzählungen mehr lesen würde, um die es doch eigentlich immer geht. Romanführer und dergleichen fallen für mich klar unter Suchtmittel.

Vom Zerstreuen der Sorgen

Kennen Sie das Gefühl, vollkommen unnötiger Weise Angst vor etwas Neuem gehabt zu haben, vor einer Änderung, vor einer Herausforderung? Natürlich kennen Sie das, wir alle kennen das gut. Denn wir neigen dazu, uns lieber ein paar Sorgen mehr zu machen, selbst wenn sie vermutlich eher irrational sind. Das fühlt sich immer noch tausendmal besser an, als allzu sorglos in irgendein Unheil gerannt zu sein, nicht wahr? Wir sind so. Es gibt so ein unangenehmes Trottelgefühl, irgendein Risiko nicht bedacht zu haben, frohgemut gegen irgendeine Wand gelaufen zu sein. Ganz komisch, unberechtigte Sorgen fühlen sich lange nicht so dumm an wie unberechtigte Freuden. Die Bilanz nach jedem großen Schritt fühlt sich wesentlich sauberer an, wenn wir uns vorher ordentlich gefürchtet haben.

Und man findet wohl nie im Leben das rechte Maß, man kann sich nie leicht entscheiden, welche Dimension von Sorge die genau richtige ist. Also man selbst kann das für sich nicht. Andere können das manchmal schon für einen. Ein kurzes Gespräch unter Freunden und zack – alle Sorgen und Bedenken weg. Das fühlt sich sehr gut an, jemandem so helfen zu können, man sollte das oft versuchen, es macht wirklich Spaß, wenn man Sorgen wegfliegen sieht. Ich hatte da gerade ein Gespräch mit einem Sechsjährigen, einem Kumpel meines Sohnes. Der steht gerade vor seiner Einschulung, und da macht man sich natürlich Gedanken. Da hat man vielleicht auch ein paar Befürchtungen. Schule, da hört man ja so viel! Er sagte: “Vor Mathe habe ich keine Angst. Mathe ist leicht, Mathe ist ja nur Rechnen. Aber Mathematik – da wird es bestimmt richtig schwer.”

Und da habe ich seine Sorgen mal eben zerstreut, es kostete mich nur einen Satz. Wenn es doch bloß immer so einfach und klar wäre.

(Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten)

Was schön war

In meiner aktuellen Versuchsreihe, asiatische Bratnudeln so hinzubekommen, dass sie so junkfoodmäßig gut wie am Imbiss oder sogar noch besser schmecken, habe ich einen Zwischenerfolg mit einem Bratnudelrezept aus dieser App (nein, keine bezahlte Werbung), in der die Sauce nämlich aus  2 TL Reisessig, 2 TL Honig, 4 EL Sojasauce und 2 EL Sesamöl besteht. Sesamöl, darauf war ich noch nicht gekommen, Sesamöl bringt die Sache deutlich nach vorne. Manchmal ist es ja einfach.

Aber es geht womöglich auch noch besser. Ich brate weiter.

Krückstockgefuchtel

Früher war nicht alles besser, früher gab es aber einiges noch nicht, das wird man ja noch feststellen dürfen. Und vielleicht ist es ohnehin spannend, ein wenig mehr Aufmerksamkeit (fast hätte ich Achtsamkeit geschrieben, so weit kommt es noch, Maximiliano Buddenbohmelho, Gott bewahre!) auf die kleinen Änderungen im Alltag zu richten, vielleicht mache ich das jetzt öfter, man will doch merken, wie die Gegenwart einen allmählich überrollt.

Vermutlich betrifft die im Folgenden geschilderte Form des Genervtseins von speziellen Phänomenen der Gegenwart noch gar nicht so viele Menschen, sie ist mir aber in letzter Zeit gleich zweimal aufgefallen. Ich hatte das hier schon einmal ansatzweise, in den Bergen von Südtirol gab es eine Fortsetzung.

Bäume auf dem Vigiljoch

 

Da sind wir mit der Seilbahn auf einen Berg gefahren, in ein hochgelegenes Wandergebiet, bekannt für uralten Baumbestand, flechtenbehangene Lärchen, sehr schön und märchenhaft, wirklich bemerkenswerte Bäume. Eine autofreie Zone, Naturschutz und alles, da geht man hin, wenn man seine Ruhe haben will. Und dort, ausgerechnet über diesen wirklich entlegenen Waldwegen, ließ jemand eine Drohne über uns fliegen. Nicht speziell über uns, aber doch über den paar Wanderern im Gebiet und damit immer wieder auch über uns. Ob man nun zwischen den Bäumen stand oder am Seeufer entlangging oder über eine Alm, immer wieder war dieses Ding in mäßiger Höhe hinter uns her. Eine motorisierte Drohne mit beständigem Surren, ziemlich laut sogar, ein Geräusch, das man unmöglich romantisieren kann, wir sind hier ja nicht bei Star Wars.

Und wenn man da so in prächtigster Landschaft steht, umgeben von uralten Bäumen, noch älteren Bergen und seltenen Tierarten wie etwa dem Auerhahn, den man zwar nicht sieht, von dem man aber doch weiß, dass er dort noch vorkommt und man ihn also immerhin jeden Moment sehen könnte, wenn man so naturbegeistert, wie man es als überzeugter Städter eben sein kann, sich entschlossen erholungswillig in grandioser alpiner Kulisse umsieht, dann ist das Allerletzte, was man braucht, ein permanent brummender Motor mit Flügeln, der einen von oben verfolgt, wohin man auch geht. Das Erlebnis wird damit ziemlich gründlich versaut.

Weswegen wir auch eher nicht nach Auerhähnen oder Gämsen Ausschau hielten, sondern zu viert kreative Gewaltphantasien über Drohnenabwehr austauschten. Man kann da auf viele Ideen kommen, allerdings sind sie durchweg nicht recht anwendbar, wenn man nur Wanderstöcke und Tannenzapfen zur Hand hat, auch wenn man damals noch so viel MacGyver gesehen hat.

Gab es in Deutschland wohl schon erste Fälle von mit Steinen oder großen Ästen oder sonstigen rustikalen Mitteln vom Himmel geholten Drohnen, weil jemand einfach seine Ruhe wollte? Das wird auf jeden Fall so kommen.

Komm an den Tisch …

Ich habe in Südtirol zehn Tage lang im Garten am Hang geschrieben, an einem kleinen Tisch neben dem Pool, in dem sich die Söhne bemerkenswert ausdauernd amüsierten. Da saß ich auf einem wackeligen alten Stühlchen aus morschem Holz, mit abblätternder roter Farbe und verrostetetem Gestänge. Der Tisch stand unter einem jungen Obstbaum, ein längst sonnenverblichenes Wachstuch lag darauf und WLAN gab es ganz und gar nicht, nur meinen Text, das kann tatsächlich auch einmal hilfreich sein.

Bauernhoffassade in Lana

 

Und weil hin und wieder kaum zu deutende Musik von irgendwo vorbeiwehte, hatte ich zehn Tage lang immer mal wieder den ollen Degenhardt im Kopf, mit “Komm an den Tisch unter Pflaumenbäumen”, das ist ein Lied, bei dem man den weiteren Text auch besser nicht mehr nachlesen sollte, du meine Güte.

Aber es ist und bleibt doch ein schöner Anfang: „Komm an den Tisch unter Pflaumenbäumen, der Hammel ist gar überm Lauch. Paprika soll uns im Halse brennen, der reife Kartoffelschnaps auch …“ – den kann man sich ja ein paar Tage lang ausleihen, um einer Nostalgie zu frönen, die sich auf etwas bezieht, was man selbst gar nicht erlebt hat. Leihnostalgie, geborgte Romantik, warum auch nicht, dazu ist Musik ja da, auch nur ganz vage vorüberwehende. Man hat ja auch nicht neben Alice gewohnt oder jemals irgendwas in Lindenbäume an Brunnen geschnitzt, nicht wahr, und dennoch erwischen die Lieder den einen oder anderen.

Zehn Tage lang dachte ich zwischendurch jedenfalls immer wieder, dass ich vermutlich noch nie im Leben an einem Tisch unter Pflaumenbäumen gesessen habe, schon gar nicht mit Freunden, schon gar nicht mit Hammel und Paprika und Schnaps, solche Landlustepisoden habe ich immer eher vermieden. Und wenn man ausreichend nostalgisch eingestimmt ist, dann denkt man so etwas mit ein wenig Wehmut, denn es gibt auch eine Nostalgie des Nichterlebten, in der man sich natürlich mit jedem Lebensjahr mehr und länger suhlen kann. Ein paar Tage lang macht das auch durchaus Spaß. Und dann ist man aber froh, wenn man in diesem Gefühl nicht hängenbleibt.

In einem anderen Teil des Gartens stand ein alter Pflaumenbaum, stattlich und üppig tragend. Der Boden darunter voller gefallener Früchte, mit Wespengewimmel und süßlich faulem Geruch. Ob man da nun unbedingt sitzen muss – ich weiß ja nicht. Und Hammel schmeckt eh nicht jedem, sagt man.

Geschrieben im erstaunlich herbstlichen Hamburg, mit Regen vor dem Fenster, am eigenen Schreibtisch. Und das ist auch gut so.

Gelesen – Florian Wacker: Albuquerque

Ein schön gestaltetes Buch, endlich mal wieder. So eines, das man richtig gerne in die Hand nimmt, das sich gut anfühlt. Schmal aber wertvoll, was dann auch äußerst geschmackvoll zu den enthaltenen Kurzgeschichten passt.

Kurzgeschichten mit, das muss man gleich lobpreisen, Heldinnen und Helden, die nicht Schriftstellerinnen, Werbetexter, Fotografen, Künstler oder Onlinemarketingirgendwasse sind, sondern Busfahrer und Straßenbauarbeiter und Damen an der Hotelrezeption und Menschen auf der Flucht. Geschichten jenseits der Schreibtischwelt also. Das gibt es immer noch zu selten in der deutschen Gegenwartsliteratur, jedenfalls in dem Teil, den ich mitbekomme. Man denkt ja immer nur in Ausschnitten, die können auch täuschen, schon klar.

Es sind Geschichten in einer hard-boiled Tradition, deren Ursprünge man gleich zu erkennen meint, wobei ich über so etwas aber nicht lange nachdenke, das hält nur vom Lesen ab. Ich bin hier nicht im Studium und muss den Aufbau der Geschichten also nicht mit Herrn Carver abgleichen. Eher härtere Geschichten von eher größeren Schatten über Alltagssituationen mit herben Helden jedenfalls. Ich mag das, große Empfehlung, sehr gerne gelesen.

Das Bild im Hintergund von Sohn II, Ehre, wem Ehre gebührt, ich habe es nicht so mit dem geduldigen Ausmalen.

Auf Amazon stellt ein Leser in einer Rezension etwas überrascht fest, dass die Geschichten nicht pointenorientiert sind – als ob Kurzgeschichten zwingend mit einem heiteren Knaller enden müssten. Nanu. Es kann schon angemessen und fein sein, wenn das nicht so ist.

Zu lesen ist das Buch vorzugsweise an einem Tag mit eher schlechterem Wetter. An einem Tag, an dem man morgens zum Himmel guckt und dann etwas resigniert den Kopf schüttelt, die gibt es hier ja in jeder Jahreszeit, diese Tage, der Spätherbst wäre aber doch ideal. So ein Tag etwa eine Woche vor dem ersten Schnee, an dem man ihn schon zu riechen meint. Aber es ist nur so eine Ahnung und man weiß eigentlich nicht recht. Siehe hier.

Ich habe das Buch unter einem Dachfenster gelesen, auf das der friesische Nordseeregen trommelte, das war auch gut.