Was schön war

Wir haben einen spontanen Ausflug an die Nordsee gemacht, aber das meine ich nicht. Wir haben dabei beschlossen, was wir bei jedem spontanen Ausflug beschließen, nämlich dass wir viel mehr spontane Ausflüge machen sollten, aber das meine ich auch nicht.

Wir haben in Brokdorf gehalten und die Kinder haben am Elbstrand gebuddelt, da ist nämlich sehr guter Strand und es gibt eine hübsche alte Kirche und ein nett aussehendes Freibad mit großer Rutsche und malerische Schafe auf dem Deich und alles ist ziemlich idyllisch, bis auf das Atomkraftwerk, versteht sich. Dieses Atomkraftwerk, das mich schon insofern stresste, als ich die ganze Zeit dachte, mir müsste da irgendwie spontan eine richtig gute Pointe mit Simpsonsbezug einfallen, aber mir fiel dann absolut nichts ein und das ist ja immer unangenehm, deswegen mussten wir doch schnell weiterfahren und es war eigentlich egal, weil wir ja frei hatten und keinen festen Plan, aber darum geht es auch gar nicht, das alles nur am Rande.

Wir waren wieder wie Anfänger überrascht, wie schnell wir an der Küste waren. Wir haben vergleichsweise gelassen zur Kenntnis genommen, dass da gar kein Meer war, nur eine unattraktive Ölbohrinsel ganz weit hinten im Watt. Wir haben am Deich ein improvisiertes Picknick gemacht und die Söhne haben sich kichernd von der Deichkrone hinunterollen lassen, über blühenden Löwenzahn, Gänseblümchen, Rasen und Schafmist hinweg, weil das nun einmal an der Nordsee so gehört, aber darum geht es auch nicht.

Wir haben die Seehundstation Friedrichskoog besucht, uns die Fütterung der Seehunde und Robben angesehen und den Aussichtsturm dort bestiegen, auf dem die Herzdame zuletzt war, als sie mit Sohn I schwanger war, weswegen sich der Sohn an diese Station auch gar nicht richtig erinnern konnte. Aber egal.

Wir haben in Friedrichskoog-Spitze die Inline-Skates der Herzdame und der Söhne ausgepackt. Ich habe mir mangels eigener Skates einen der Tretroller der Söhne geliehen. Dann haben wir uns eine weite Strecke gegen den wie immer ungeahnt heftigen Wind am Deich entlanggekämpft, das war anstrengend und auch ziemlich kalt. Tretrollerfahren mit starkem Gegenwind ist noch anstrengender als Inlineskatesfahren mit Gegenwind, Spaß macht das wirklich nicht und die Leute, die einem entgegenkommen, sehen einen an, als wäre man nicht ganz dicht. Strampelt da mit rotem Kopf auf einem Kinderroller und kommt nicht einmal vorwärts? Nanu. Aber dann!

Dann haben wir gewendet, als wir nicht mehr konnten. Und ich habe mein olles und sehr geliebtes Tweedjackett, bei dem ich natürlich immer in Gefahr bin, versehentlich Tweetjackett zu schreiben, dabei kann es nicht einmal online, dieses Tweedjackett jedenfalls, das die Herzdame nicht ausstehen kann, weil sie findet, dass ich darin nach Oberstudienrat aussehe, was mir aber egal ist, da so ziemlich alle anderen Menschen finden, dass mir dieser Look gut steht und auch die Herzdame sich einmal irren kann, auch wenn ihr das nicht bewusst ist, dieses Tweedjackett also, das ich ganzjährig trage und in dessen Taschen sich deswegen mehr Zeug befindet als in den Taschen der Jacken der Söhne, was wirklich etwas heißen will, denn die heben nach wie vor jede Schraube auf, die sie am Wegesrand finden, dieses ausgebeulte Tweedjacket habe ich mit der linken Hand unten am Saum gefasst und weit aufgeklappt, während ich mit der rechten weiterhin den Tretroller steuerte, denn freihändig Tretroller fahren, das geht nicht.

Und der Wind fuhr von hinten in dieses Segel und trieb mich in erheiternder Geschwindigkeit über die Deichstraße zurück, während ich in meiner oberstudienrathaften Kostümierung sinnend über das weite Land blickte, über die Dauercamper, die zahlreichen Tretautofahrer, die Minigolfer, die Spaziergänger, die Schafe und Lämmer, die Familien und Kinder. Ich stand auf dem Roller und machte gar nichts, ich hielt nur mein Segel und mein Steuer und schaute nach vorn und in die Rund, wie es bei John Maynard heißt, die Älteren erinnern sich, und für fünf Minuten, länger war das nämlich gar nicht, für nur fünf Minuten also – aber immerhin doch für fünf Minuten – war alles großartig und flott und richtig und saucool und hui und was für ein Tag. Und die Söhne waren in ihren völlig segeluntauglichen Kapuzenpullis hinter mir ein wenig neidisch, nicht auch schon zu Tweedjackettträgern herangereift zu sein, aber was zu früh ist, nicht wahr, das ist eben zu früh, manches kommt erst mit den Jahren.

Doch, die waren schon schön, diese fünf Minuten da am Deich.

Beifang vom 30.04.2017

Der letzte Beifang im April, bevor wir morgen wieder alle sinnend in den dann schon wieder grauen Himmel sehen und die einzig vernünftige Bauernregel murmeln: “Regen im Mai, April vorbei.” Die mir übrigens tatsächlich ein nordostwestfälischer Bauer auf einem Feld erzählt hat. Natürlich todernst.

Das deutsche Pen-Zentrum hat eine neue Präsidentin. Und wer hat sie gerade interviewt? Genau.

In der Zeit lobt man die Konzentration. Meine Rede, bzw. mein gebetsmühlenhaft häufig wiederholtes Genörgel: “Ich will meine Ruhe.” In Ruhe denken zu können, das ist schon ganz nett, man muss es auch nicht unbedingt “deep work” nennen. Man möchte vielleicht einfach nur nicht belästigt werden, ich finde das in Ordnung und statthaft. Was machst Du da? Ich worke deep. Herrje. Passend dazu schreibt Peter Glaser über das Abschalten im wörtlichen Sinne.

Ich kann übrigens, das ergibt sich aus der Familiensituation, für eine kurze Zeit recht gut arbeiten, wenn um mich herum Chaos herrscht, ich aber dabei über Kopfhörer Musik hören kann. Sie darf nur keinen Text haben. Oder sie muss unverständlich sein. Und da habe ich gerade eine feine Entdeckung gemacht, auf Spotify gibt es von Fabrizio de André das Album “In Direzione Ostinate et Contrario”. Der Herr war italienischer Liedermacher, seine Texte klingen so, als seien sie ungeheuer intelligent, obwohl ich natürlich überhaupt kein Wort verstehe. Doch, gelegentlich verstehe ich immerhin “amore”. Dann ziehe ich an meiner nur imaginären Pfeife, lehne mich zurück und denke kraft meiner Lebenserfahrung: “Ja, ja, amore.” De André erzählt mit sonorer Stimme, langsam und in melancholischem Tonfall, und man kann gedanklich nirgendwo einhaken. Dennoch hat man dabei das Gefühl, gehoben unterhalten zu werden. Perfekt, so muss das sein. Zum Reinhören etwa “La Ballata dell’eroe nehmen”. Oder “Via del campo”.

Apropos Familienchaos. In Richtung Nieselpriem ein herzliches “I feel you.”

Zwischendurch mal schnell Schmetterlinge legen. Hilft nicht gegen Familienchaos, aber sonst gegen alles.

Hier wird ein Trennungssong interpretiert, das kommt jetzt aber nur zufällig direkt hinter dem Familienchaos.

Und hier wird ein Buch über den Querido-Verlag vorgestellt. Querido, das war so ein Name, bei dem wir damals im Antiquariat immer etwas wacher wurden, wenn ihn ein Mensch mit Verkaufsabsichten am Telefon erwähnte. Wacher nicht nur wegen der Preise, sondern auch aus Interesse. Feine Bücher.

Gefunden via Nassrasur: Ein Wiedersehen mit The Commitments. Mustang Sally! Der Film ist auch schon etwa hundert Jahre her.

Zausel 2017

Ich bin etwas aufgeregt, ich habe tatsächlich einen Friseurtermin. Der ist zwar erst in zwei Wochen, aber Vorfreude ist angebracht. Das ist immerhin der erste Friseurtermin etwa seit dem Jahr 2002, das ist eine Weile her. Da waren einige mir näher bekannte Menschen noch gar nicht auf der Welt! So lange habe ich mir die Haare von der Herzdame mit einem Maschinchen jeweils raspelkurz oder ganz abschneiden lassen, die Älteren erinnern sich in diesem Zusammenhang vielleicht noch an die Szene mit dem Heiratsantrag, die vorübergehend zu vollständiger Glatze führte.

Und nun, im Jubiläumsjahr des Summer of love, ist es an der Zeit, wieder einmal den Look zu ändern, finde und beschließe ich. Also lasse ich wachsen und werde das von einem Profi in irgendeine Form bringen lassen. Der Weg zum Hippie führt über den Seitenscheitel. Das kann ich natürlich nicht erwähnen, ohne schnell an Maike Rosa Vogel zu erinnern, übrigens immer noch ein gutes Lied:

Wie bereits irgendwann erwähnt, muss man sich in meinem Alter ohnehin dauernd fragen, ob man noch einen persönlichen Stil pflegt oder längst altersstarrsinnig geworden ist. Daher ist es ganz gesund, hier und da etwas an den Grundeinstellungen herumzuspielen.

Ich beginne also das Projekt Frisur, ich kann sowieso nicht leben ohne irgendwelche Projekte. Und dieses hat einen wirklich charmanten Vorteil, man muss nämlich überhaupt nichts dabei machen. Man sitzt einfach so herum und verändert sich, wie deep ist das denn.

Und der Content wächst einem nebenbei auch noch zu, man kann über die Kleinigkeiten zwischendurch schreiben. So lachen sich die Söhne neuerdings jeden Morgen kaputt , nur weil ihr Vater sich die Haare bürstet. Ein Anblick, der ihnen bis vor einigen Wochen natürlich völlig unbekannt war. Es erschließt sich mir zwar nicht, was daran so witzig ist, aber bitte – Hauptsache Heiterkeit im Haus. Laut Sohn II sehe ich mit den schon etwas längeren Haaren im Moment aus wie eine haarige Melone. Ich bin gespannt, welch charmanter Vergleich ihm dann in einem halben Jahr einfallen wird. Sollte mir vor ihm eine weitere seltsame Ähnlichkeit mit Gemüse, Obst oder Viehzeug einfallen, breche ich das Projekt womöglich ab. 

Ich selbst lache eher darüber, dass ich mir mit Sohn I jetzt das Shampoo teile. Es handelt sich um ???-Shampoo, also Merchandisingzeug mit Bezug zur Hörspielserie. Nach dem Gebrauch, so steht es vielversprechend auf der Plastikflasche, löst man “aktiviert, erfrischt und mit wachen Sinnen” den nächsten Fall. Ich gehe daher jetzt morgens mit einem ganz neuen Lebensgefühl zum Schrottplatz, wollte sagen zur Arbeit. Aber im Grunde interessieren mich die drei Fragezeichen natürlich überhaupt nicht. Ich wäre eher ein dankbarer Abnehmer für literarisch gebrandetes Shampoo. Marcel Proust Hair & Body, natürlich mit leichter Feingebäcknote, und danach schreibt man dann entspannt den nächsten Band, so etwas in der Art. Doch, das würde ich kaufen. Thomas-Mann-Lotion für schönes Haar und Schachtelsätze. Oder Kafka-Conditioner für gar keinen Halt mehr, das wäre doch interessant? Aber ich repräsentiere bestimmt wieder keinen vielversprechenden Markt, schon klar. Will ich auch gar nicht, Märkte sind eh nichts für Hippies.

Egal. Peace. 

Beifang vom 25.04.2017

Gut erzählte Geschichten findet man auch an ungewöhnlichen Orten, etwa in einer Analyse der von Melania T. geposteten Fotos.

Ein Text über das Eistauchen in Finnland. Schön lang.

Da hier neulich der Polizeibericht Nordfriesland vorkam und manche vielleicht noch zweifeln, warum der Unterhaltungswert haben soll – bitte.

Frau Schmitt fährt Zug und sitzt ganz vorne. Ein Protokoll von Nora Gomringer.

Ein Interview mit Reinhard Mey.

Generell muss man auch die Wochenberichte bei Vierpluseins empfehlen. Diesmal mit einem Absatz über offensive Väter, wozu ich anmerken möchte, dass ich gerade mit einem kranken Kind eine Woche zu Hause war und damit jetzt die Mutter aller offensiven Väter bin. Nämlich.

Passend zum Wetter lese ich kühle Literatur: Agnes von Peter Stamm. Ein Buch bei dem man ausgezeichnet frieren kann, wirklich passend. Es ist ein seltsames Kompliment, aber doch, es kommt hin, denn manchmal ist ein kaltes, präzise konstruiertes Buch genau richtig, besonders wenn Kälte darin eine Rolle spielt. Dabei habe ich übrigens eine Bildungslücke geschlossen, es war mir gar nicht klar, dass es bei der Wikipedia so dermaßen detaillierte Buchbeschreibungen gibt. Abgefahren.

Der Musikclip fällt heute etwas länger aus. Erst singen Al Jarreau und Nancy Wilson, auch schon keine schlechte Besetzung, dann kommt Ella Fitzgerald auf die Bühne und singt nach ein paar Sätzen ebenfalls. Man sieht einigen prominenten Menschen im Publikum die fortschreitende Verzückung deutlich an – und man kann es auch nachvollziehen.

Hier eine schöne, interessante und treffende Überschrift

Ich mache mit Sohn I Deutsch, da er in dieser Woche nicht in die Schule gehen konnte, es muss aber dennoch etwas gelernt werden. Er sitzt neben mir und schreibt mit Bleistift in sein Heft. Ich sehe, dass sie in der dritten Klasse schon am Schreibstil arbeiten. Sie sollen passende Überschriften finden. Sie sollen nicht jeden Satz gleich anfangen, sie sollen zumindest ab und zu Satzzeichen verwenden, sie sollen Adjektive einbauen und unbekannte Wörter nachschlagen. Der Pirat vergräbt einen Schatz, der Pirat vergräbt einen wertvollen Schatz. Einen kostbaren, goldenen, großen, riesigen, tollen Schatz, was auch immer. “Ich habe ein Theaterstück gesehen.” “Ich habe ein interessantes Theaterstück gesehen.”

Das Wort interessant hätte mir ein gewisser Lehrer auf dem Gymnasium damals als Ausdrucksfehler angemerkt, sinnloses Fremdwort. “Was war denn interessant an dem Theaterstück? Haben Sie dabei vielleicht etwas gelernt, was Ihnen übrigens kaum schaden könnte? Dann war es lehrreich! Nicht interessant! Sprachfaulheit ist das! Denken Sie nach, denken Sie länger nach! Dann erst schreiben!“ Das klingt heute wie etwas aus der Feuerzangenbowle, das war aber so. Derselbe Lehrer im Geschichtsunterricht: “Sie wissen nichts von Demokratie, junger Mann, Sie faseln doch nur davon!” Aus heutiger Sicht wird dieser Satz mit jedem Jahr immer, äh, interessanter.

Die Aufforderung, Adjektive irgendwo einzubauen, ist natürlich seltsam, wenn man schon einmal ein Manuskript irgendwo eingereicht hat, aus dem dann etliche Adjektiv rausgeflogen sind. Zu blumig! Schlichter! “Es war eine dunkle und stürmische Nacht.”

Und ich sagte, er sagte, sie sagte, wir sagten. Im Deutschunterricht muss das gewandelt werden, das ist so zu langweilig, ich flüsterte, er murmelte, sie flehte, wir stellten fest und so weiter, mit beiden Händen in den Wortschatz und dann ordentlich herumwühlen. Alle modernen Romanautoren murmeln währenddessen im warnenden Chor: “Sagte, sagte, sagte.”

Aber schon richtig, erst einbauen, dann ausbauen, man bastelt so am Text herum. Mal klingt es so, mal klingt es so. Welcher Text klingt besser und warum? Lies nochmal vor. Was will man überhaupt sagen? Wie war es denn nun wirklich im Theater, worauf kam es an? Für wen schreiben wir überhaupt? Ich bin sicher, das haben wir in der dritten Klasse noch nicht so gemacht. Und ich finde es hervorragend, wie sie das heute angehen, es ist anders als bei uns, die Kinder werden mehr zum Denken verleitet. Wir haben damals in Deutsch Nacherzählungen geübt, man bekam eine 1, wenn der eigene Text genau der vorgelesen Geschichte entsprach. Einmal sollten wir uns dann doch eine Geschichte ausdenken, irgendwas, ganz ohne Vorlage. Da stand bei mir in roter Schrift drunter: “Zu viel Phantasie”. Kein Scherz. Im Grunde bin ich heute noch deswegen beleidigt.

“Papa, jetzt tippe ich meinen Text eben in Word ab, okay?”

“Nanu, warum das denn noch?”

“Hallo? Da hab ich dann doch die Rechtschreibkorrektur?”

Doch, sie lernen heute wirklich ziemlich anders. Ich finde das ja spannend.

Lamm und Skorpion

Tiere spielen in diesem Blog eher keine Rolle. Weder haben wir Tiere, noch ist in dieser Familie jemand in übertriebener Weise Fan irgendeiner Art.

Aber auch in tierfreien Wohnungen kommen Nachrichtenlagen vor, die Tiere thematisieren, in den letzten Tagen sogar gleich doppelt, siehe Überschrift. Der Skorpion befand sich hier um die Ecke in einem Hotelzimmer, genauer in einem dort abgestellten Damenschuh. Als die Besitzerin ihn morgens anziehen wollte, stach das Tier zu. Es war übrigens ein hochgiftiges Exemplar, die Dame kam in ein Krankenhaus, hat aber überlebt. Warum Skorpione Damenschuhe als Ersatzhöhle in unserem kleinen Bahnhofsviertel besiedeln, blieb dabei völlig unklar. Die Polizei fand dazu nichts heraus, den Klimawandel hat man diesmal bisher nicht im Verdacht. Interessant aber, dass der Skorpion in allen Hamburger Medien ausdrücklich in Schutz genommen wurde. In jedem Bericht wurde erläutert, dass er sich in einer eindeutigen Notwehrsituation befunden hat. Wenn jemand plötzlich mit vollem Gewicht auf einen draufsteigt, dann wehrt man sich eben. Da ist so ein Skorpion auch nur ein Mensch, Astrologen verstehen das sofort. Volles Verständnis allenthalben für das Tier also, es wurde auch nachträglich noch mit großer Zufriedenheit gemeldet, dass er glücklich und in Rekordzeit an einen neuen Besitzer vermittelt werden konnte. Es ist eben wirklich ein toleranter Stadtteil, unser kleines Bahnhofsviertel. Skorpione sind hier fremd, aber wenn sie schon einmal da sind, dann werden sie auch anständig behandelt.

Das Lamm dagegen kam im Polizeibericht Nordfriesland vor, wobei man zunächst fragen könnte, warum ich den Polizeibericht Nordfriesland überhaupt lese? Nun, zur Beruhigung natürlich. Da oben blockieren ab und zu Schafherden Züge der Regionalbahn, so etwas wird dann lang und breit gemeldet. Ich lese das ausgesprochen gerne, das hat auf mich so einen wohlig-entspannenden Landlust-Effekt, das mag ich. Oder jemand gerät am Stadtrand von Husum in eine Polizeikontrolle und hat dabei ein lebendes Lamm im Kofferraum. Das kostet 50 Euro und einen Punkt in Flensburg, um das als Warnung gleich noch erwähnt zu haben. Der Herr war, man sollte auch bei dieser Meldung um Gerechtigkeit bemüht sein, Bauer, und er fuhr das Lamm zum Tierarzt. In seinem Golf. Ich nehme an, der Kofferraum war da aus Gründen der Schafanatomie schlicht praktischer als der Beifahrersitz. Und ich nehme weiter an, dass der Fall eilig war und besser geeignete Transportmittel gerade nicht verfügbar waren, vermutlich war die Frau des Bauern mit dem Trecker zum Güllen auf dem Acker. So etwas in der Art, man muss ja nicht einmal besonders phantasiebegabt sein, um hier auf naheliegende Erklärungen zu kommen. Und dafür wird der Mann nun bestraft, ist das gerecht? Das ist Husum, das ist die klare nordfriesische Kante. Das Leben ist hart an der Küste. So spiegeln sich auch in Meldungen über Tiere die Charakteristika der verschiedenen Regionen, ist das nicht schön? Es ist.

Wie auch immer. Morgen wieder was mit Menschen.

Beifang vom 19.04.2017

Drüben bei der GLS Bank habe ich fünf Links zum Thema Architektur, ich weise besonders auf den Text zum Rasen ums Eigenheim hin. Ich mag solche Erklärungen.

Eine kleine Meldung nur, Frank Dostal ist gestorben. Den Namen hätte ich nicht parat gehabt, Sie vermutlich auch nicht. Er war u.a. der Texter von Baccara. Was mich daran erinnert, wie wir Kinder damals, etwa Ende der 70er, in den immer blau verräucherten und sowieso nie gelüfteten Kneipen, in denen die Erwachsenen Korn und Bier wegkippten, Skat spielten und würfelten, an den Tischen und an der Bar um Markstücke gebettelt haben. Mit Markstücken konnte man an der Jukebox fünf Lieder auswählen. Dann wurde der Raum, in dem es bis dahin sterbenslangweilig war, in dem man immer nur wartete, dass die Eltern endlich gehen wollten, plötzlich überraschend laut und basslastig beschallt, dann war auf einmal Disco, manchmal sogar mit spontan tanzenden Erwachsenen. Und wenn man auch ein langsames Stück ausgesucht hatte, dann fielen die sich beim Tanzen in mitunter überraschenden Konstellationen um den Hals, ein paar Minuten lang. Nach dem letzten Stück wurde es dann schlagartig wieder ruhig, Umklammerungen lösten sich, alle setzten sich wieder hin. Man bestellte allgemein erst einmal noch einen, dann gab es eine Weile nur noch Gespräche, Gelächter und die Geräusche von Flaschen und Gläsern, dann rauchte man wieder eine. Bis jemand doch noch ein paar Münzen hervorkramte und sie einem gelangweilten Kind zuwarf, hier, mach nochmal was von Boney M oder Baccara oder so. Wenn man bei der Auswahl an der Jukebox versehentlich auf die falschen Tasten drückte, kam irgendein Schrott von Peter Alexander, “Die kleine Kneipe in unserer Straße”, das war schlimm. Für die paar Münzen hätten wir übrigens auch mehrere Handvoll Erdnüsse aus dem kugeligen Automaten auf dem Tresen oder sogar einige Runden am Flipper in der hintersten Ecke der Kaschemme bekommen. Wenn man das bedenkt, dann versteht man erst, wie wichtig die Musik war. Wir haben damals eben früh gelernt, wirklich schwere Entscheidungen im Leben zu treffen.

Na, egal, das ist alles lange her. Plötzlich Lust auf Erdnüsse. Schlimm.

Osterspaziergang 2017

Die Söhne haben Inline-Skates zu Ostern bekommen, die waren lange überfällig, die alten Exemplare taugten seit Monaten nichts mehr. Mit neuen Inline-Skates muss man natürlich auch fahren. Die Sonne scheint, obwohl am Himmel schwarze Wolkengebirge in einer Geschwindigkeit verschoben werden, die man sonst nur von der Nordsee kennt. Aber wir haben Glück, wir fahren unter Wolkenlücken über nordostwestfälische Straßen. Links und rechts von uns regnet es auf den Feldern am Horizont, hinten regnet es, vorne regnet es, nein, es kübelt. Wir aber fahren durch strahlenden Sonnenschein und unter einem schmalen Streifen tiefblauen Himmels, der nasse Asphalt glitzert diamanten, die Apfelbäume am Straßenrand blühen blendend weiß, die Birnbäume dazwischen auch. Die Birken beblättern sich gerade in diesen Stunden maigrün, man kann förmlich zusehen, wie alles im Vorbeifahren immer grüner wird. Wir fahren durch knallige Farben, wir fahren zwischen den Schauern durch ein jähes österliches Leuchten. Und durch Eiseskälte, das auch.

Die Söhne fahren auf ihren Inline-Skates, ich fahre auf Schwiegermutters Fahrrad. Als die Söhne nach ein paar Kilometern – immerhin! – nicht mehr können, hängen sie sich hinten an das Fahrrad, erst Sohn I, dann Sohn II, der sich an den Bruder krallt. So ducken wir uns gegen den Nordwind und fahren als Zug Schlangenlinien über die Landstraße, weil Schlangenlinien Spaß machen und weil überall Schlaglöcher sind. Der Regen kommt von hinten näher und ich fahre ein wenig schneller, so schnell wie es eben geht, wenn zwei Kinder auf Inline-Skates an einem hängen. Sohn I I fällt auf, dass wir dabei alle drei die gleiche Haltung haben, diese unter dem Wind weggebückte Krümmung. Und er schreit von hinten, dass wir jetzt gerade wie die Entwicklungsstufen eines Pokémons aussehen, mit mir als stärkstem Exemplar. “Ist das gut?” frage ich keuchend beim Strampeln, weil ich mich mit Pokémons nicht richtig auskenne, aber ich kann die Antwort nicht hören, sie wird vom immer weiter auffrischenden und auch drehenden Wind plötzlich ostwärts verweht. Ich nehme einfach an, es ist gut: Papa ist am stärksten entwickelt.

Natürlich ist das gut, das hört man doch.

Beifang vom 16.04.2017

Im Landlebenblog geht es um den Geruch der Heimat. Mir fällt zu meiner Heimat Lübeck gar kein Stadtgeruch ein, vielleicht abgesehen vom dicken Zuckermandelduft im Verkaufsraum bei Niederegger und vom kühlen Moderhauch in den großen Kirchen, Backsteingotikaroma. Sonst verbinde ich Gerüche eher mit Travemünde, wo ich später gewohnt habe. Verrottender Tang und faulende Muscheln, das klingt nicht schön, aber das riecht wie Heimat, also gut. So riecht es auch nicht überall am Meer, wie man vielleicht meinen könnte. Die Nordsee etwa riecht ganz anders, da liegt so etwas wie Tang einfach nicht lange genug herum, durch dieses ewig unruhige Hin und Her dort.

Hier geht es um das Kochen für Sterbende.

Und hier um tote Kaninchen.

Herr Spiegel denkt wieder auf nicht witzigen Tweets herum.

Eine Kritik an der Performance von Theatern auf Instagram. Kritik an Verlagen könnte man da zwanglos anschließen. Man postet ein Cover und sagt: “Kommt im April”, dazu die Superlative vom Klappentext. Na toll. Ich würde mich über viel mehr Projekte wie den Resonanzboden freuen, da finden auch Inhalte statt. Man will doch lesen, wenn man sich für Verlage interessiert. 

Hier wird an die Legende vom heiligen Trinker erinnert, ein in der Tat wunderbares Buch von Joseph Roth. Schöne Osterlektüre auch.

Nach dem Ende eines Trinkers das Ende eines alten Hippies, wir lesen hier von einer ungewöhnlichen Beerdigung. Mit feiner Musik.

Ansonsten höre ich mich gerade in chronologischer Reihenfolge durch die Alben von Leonard Cohen (ohne die Live-Auftritte), während das Wetter in Nordostwestfalen immer schlechter wird. Und ja, ich kann das ab, niemand muss sich Sorgen machen. Es sind schöne Wiederentdeckungen dabei.