Gelesen – Alex Capus: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer

Da wird das, was ich beim letzten Capus schon geschriebe habe, noch einmal geradezu lehrbuchmäßig durchdekliniert, dieser fließende Übergang zwischen Geschichte im historischen Sinne und Geschichte im Sinne von Literatur. Es geht etwa um den Atomphysiker Felix Bloch, also um jemanden, der historisch sehr greifbar ist, es geht aber um auch um Stücke seines Lebensweges, die keineswegs für uns greifbar sind. Es geht um ein junges Mädchen (übrigens das Kopftuchmädchen auf dem Umschlag, man kann so etwas ja nicht oft genug betonen), das Sängerin werden möchte und Spionin gegen die faschistischen Mächte wird, es geht um einen Jungen mit Extrembegabung in der Kunst, der ein großer Fälscher wird, alle drei Personen sind historisch belegt. Sie leben zur selben Zeit, sie laufen sich nicht oder vermutlich nicht über den Weg, von einer winzigen Szene abgesehen, aber in der liegt es eben, dass es dieses Buch so geben kann. Capus hat einen Faible für Lebenswegschilderungen und er beschreibt sie so, dass man diese Leidenschaft am liebsten mit ihm teilen möchte, man bekommt direkt Lust, den Lebenswegen seiner Vorfahren oder anderer Figuren hinterherzudenken, das tut man vermutlich überhaupt viel zu selten. “Faktentreues Träumen” nennt das der Verlag, das ist eine ganz wunderbare Beschreibung von dem, was in den Büchern passiert.

Und die Lebenswege beschreibt Capus in einem Romandeutsch, das ich ganz wunderbar, ich möchte fast sagen vorbildhaft finde. Eine Erzählsprache, die ganz ohne Marotten auskommt, mit einem Maß an Deutlichkeit und Plastizität, das mir für solche historisch-erzählenden Zwecke ideal erscheint. Nie zu viele Details, nie zu wenig Information. Das muss man auch erst einmal können, ich bewundere das. Hier ein Video, in dem Alex Capus etwas über das Buch und seine Schreibweise erzählt.

Und der nächste Capus ist schon in Arbeit, es ist mir ein Fest. Da geht es dann um Herrn Stevenson, den mit der Schatzinsel.

Gelesen – Alex Capus: Fast ein bisschen Frühling

Das Buch spielt 1933. Zwei Arbeitslose aus Wuppertal möchten auf dem Seeweg nach Indien, überfallen zum Zwecke der Spesenregelung eine Bank, was nicht ganz ohne Opfer über die Bühne geht. Sie kommen auf ihrer Flucht nur bis Basel, das freie Reisen durch Europa und den Rest der Welt war auch damals nicht ganz einfach. In Basel ergibt sich eine kleine Liebeskomplikation mit einer Schallplattenverkäuferin, die zum Erwerb sehr vieler Tangoplatten und etlichen abendlichen Spaziergängen zu dritt am winterlichen Rheinufer führt. Bis die beiden mehr Geld brauchen. Ein Buch über das Scheitern und über das Schicksal, eine bittere Sache, sehr leicht erzählt, ein Tango von einem Roman. Kurz und gut und schön und ein wenig schmerzhaft.

Eine teils wahre Geschichte, was eigentlich vollkommen egal ist, bei Capus aber doch auch den Reiz ausmacht, diese Mischung aus Fakten und Hinzu- und Drumherumdichtung, da muss man ihn wohl als Großmeister betrachten. Ich habe sonst überhaupt keine Neigung zu historischen Themen in modernen Romanen, Capus würde ich aber jede Story abkaufen, selbst wenn es um wallonische Wanderbuchhalter im ausgehenden Spätmittelalter gehen sollte, er würde schon etwas daraus machen, da bin ich mir sicher.

Vielen Dank!

Ich weiß allerdings gar nicht, an wen der Dank zu richten ist, der Sendung an die Söhne lag kein Zettel, kein Brief, kein gar nichts bei. Herzlichen Dank also an X, die oder der den Söhnen “Weltraumkrümel” von Craig Thompson geschickt hat, ein wunderbar dicker Comic aus dem Reprodukt-Verlag. Deutsche Fassung von Matthias Wieland. Die Söhne sind schon komplett von der Vorstellung überwältigt, was so ein dicker Band für eine Arbeit gemacht haben muss, sie wissen ja, wie endlos lange sie selbst manchmal für ein großes, buntes und detailreiches Bild brauchen. Und dann so viele davon? Und auch noch mit Geschichte und Text? Und das hat alles ein Mensch gemacht? Völlig unfassbar.

Der Reprodukt-Verlag, das kann man ruhig noch einmal betonen, macht wirklich tolle Comics, auch für Kinder.

12 von 12 im April

Was 12 von 12 ist, das setze ich jetzt einfach mal als bekannt voraus, alle anderen Beiträge aus vielen, vielen Blogs gibt es wie immer hier drüben.

Ich stelle beim Anziehen fest, dass meine Lieblingsjeans etwas spannt. Das könnte daran liegen, dass ich den Söhnen bemerkenswert viele Schokoladenostereier gestohlen habe, was tut man nicht alles für die Gesundheit des Nachwuchses, die essen ja viel zu viel Zucker. Ich beschließe sofort, nicht mit der S-Bahn zur Arbeit zu fahren, sondern wieder täglich zu Fuß zu gehen, das fällt dann quasi unter Spocht.

Der Weg führt durch das Tier- und Pflanzenparadies Hamburg-Hammerbrook, hier im Bild ein Bürobautenpfau und darunter eine Brachfläche, die gerade von gewiss hochinteressanten Kräutern, Stauden und Büschen erobert wird. So geht es hier zu, hier ist es sehr schön.

Nicht im Bild, da auf der anderen Straßenseite, ist eine neue Reklametafel für ein Landbier, dessen Namen ich schon wieder vergessen habe. Irgendwas in einer historisierenden Buddel, im Hintergrund ist da ein lauschiges Fachwerkhaus am munteren Bächlein abgebildet. Das ist amüsant, so ein Plakat in Hammerbrook, denn es hängt hier vielleicht, weil es funktioniert. Kaum sitzt der Mensch in glitzernden Büropalästen, träumt er schon wieder von der Fachwerkbutze, in der er, säße er noch darin, von glitzernden Büropalästen träumen würde. Zur Überprüfung der These müsste man jetzt neben dem idyllischen Fachwerkhaus in ruhiger Lage nach dem Plakat für hypermoderne Büromöbel suchen, aber wer hat Zeit für so etwas.

Ich arbeite friedlich vor mich hin, bis mich eine Bildungseinrichtung wegen eines kranken Kindes anruft, was gefühlt zum 10. Mal in 14 Tagen passiert, der reale Wert kann etwas abweichen. Es ist alles nur eine Phase, und diese ist gerade etwas schwierig. Die Herzdame oder einer der Söhne, irgendwer schwächelt zur Zeit immer. Nur ich arbeite unentwegt vor mich hin wie ein Duracell-Hase. Ich verlasse also fluchtartig das Büro und bringe ein krankes Kind nach Hause, die Betreuerinnen geben mir “Sickness bags” für den Weg mit, sie wissen auch warum. Aber interessant, dass so etwas in Schulen vorrätig ist, wieder etwas gelernt.

Ich bette den Sohn auf das Sofa, kranke Kinder liegen hier aus strategischen Gründen nie im eigenen Bett, da kommt man nämlich, Stichwort Hochbett, zu schlecht dran, ich erspare allen die schrecklichen Details, die sich daraus bei gewissen Krankheitsbildern ergeben könnten.

Zu diesem Zweck betrete ich das Wohnzimmer, was ich sonst eher selten tue, denn vor dem Wohnzimmer steht mein Schreibtisch, und an dem komme ich normalerweise nicht vorbei. Ich stelle überrascht fest, dass im Wohnzimmer hübsche Deko steht, dass es überhaupt ganz gefällig aussieht und dass überall Wohnzeitschriften herumliegen, da könnte eventuell ein Zusammenhang bestehen. Das erklärt auch, was die Herzdame abends so macht, ich hatte mich das neulich schon mal irgendwann gefragt, als ich sie ins Wohnzimmer gehen sah. Ich kam dann aber nicht dazu, ihr hinterherzugehen, man kommt ja eh zu gar nix.

Das Kind liegt also auf dem Sofa, ich brumme beruhigend, wie es nur Väter und Katzen können, und blättere nebenbei in einer dieser Wohnzeitschriften. Da gibt es einen Artikel über die allerbesten Einrichtungstipps. Einer bezieht sich auf Boxspringbetten, die neuerdings alle haben, nur wir wieder nicht. Schlimm! Die müsse man jedenfalls vor dem Kauf “beherzt” testen, steht da. Und zwar nicht wie Sie jetzt denken, nein, sondern durch, so wörtlich, “wütendes Herumwälzen” der potentiellen Käufer. Vielleicht sollte ich öfter Wohnzeitschriften lesen, sie sind schon irgendwie lustig. Ich werde mir noch tagelang vorstellen, wie sich Kunden in Möbelhäusern ebenso entschlossen wie wütend auf Boxspringbetten herumwälzen.

Das kranke Kind spricht nicht, das liegt entweder an den Gebrechen oder aber an den neben ihm liegenden Comicheften aus meinen Uraltbeständen, man weiß es nicht genau.

Daraufhin muss ich noch einmal los, das Notebook ist noch in der Firma, das andere Kind in der anderen Einrichtung, die Einkäufe noch in den Läden, ich renne also zwar nicht planlos, aber doch gefühlt endlos durch die Stadtteile und von Pontius zu Pilatus, wie meine Oma gesagt hätte.

Zur Beruhigung starre ich zwischendurch auf das psychedelische Spielzeug in der Vorschule, an die folgende halbe Stunde kann ich mich nicht mehr erinnern. Schlimm.

Ich bereite dem kranken Kind liebevoll ein Abendbrot zu.

Das kranke Kind bildet sich mit letzter Kraft weiter. So ist es recht.

Zwischendurch fragt er sich, wie es ist, wenn man über Kopf kotzt, da muss man als Vater sein robustes Mandat auch einmal nutzen, um das Kind von fragwürdigen Experimenten abzuhalten. Ich nutze seinen Bildungseifer aber, um wieder einmal an der Kenntnis der Uhr zu arbeiten, wobei wir praktischerweise die Kirchturmuhr vor dem Fenster als Anschauungsmaterial nutzen können. Auf dem Bild nicht zu erkennen, aber das Ziffernblatt hat römische Zahlen, was bedeutet, es gibt eine Uhrzeit erschreckenderweise in der Form 3 Uhr, 15 Uhr und III Uhr, das ist wirklich sehr, sehr kompliziert.

Ich gehe noch einmal einkaufen, weil ja immer irgendwas fehlt. An den Häuserwänden des Stadtteils spiegeln sich Themen der Weltpolitik.

Und die größte Magnolie des Stadtteils blüht. Oder, wie ein gewisses Kind sagen würde: “Jetzt biste wieder tagelang ergriffen, was?”

Danach höre ich mir mit Sohn I die Sprachnachrichten aus dem Whatsapp-Kanal von Martin Gommel an, der gerade auf dem Weg nach Idomeni ist. Martin spricht sehr ruhig und deutlich und erklärt viel, das kann man gut machen. Dazu gibt es kein Bild, aber einen Link. Nebenbei rühre ich Essen zusammen, das wird ein Curry, später. Natürlich für die Herzdame, die Herren Söhne rühren so etwas nicht an.

Und dann geht es zum Lindy-Hop. Danach bin ich dann vermutlich wieder zu fertig, um noch etwas fortzuschreiben, deswegen endet der Tag genau hier.

 

Gelesen: Christoph Peters – Kommen und gehen, manchmal bleiben

Genau genommen stimmt die Überschrift so nicht, das habe ich gar nicht gelesen. Ich habe nur die ersten drei Geschichten versucht, die waren mir etwas zu kryptisch, und ich mag keine kryptischen Kurzgeschichten. Damit liege ich nicht gerade im Trend der Zeit, ich weiß, aber was soll man machen. Ich mag einfache Geschichten, bei denen ich verstehe, worum es geht. Womöglich bin ich doch etwas schlicht, ich vermute es ja seit Jahren. Immer, wenn ich beim abendlichen Lesen nach drei Seiten “Hä?” denke, komme ich mir doof vor, und um mir doof vorzukommen, brauche ich wirklich keine Bücher. Das Buch mag dennoch gut sein, nur eben nicht für mich.

Ich habe es im Hotel auf den Hummerklippen auf Helgoland ausgesetzt, sollte jemand in der Nähe und bedürftig sein, es liegt im Raum Friedrich Hebbel.

Zugabe, Zugabe

Ich muss dringend mehr vorlesen, und zwar den Söhnen. Erwachsenen lese ich bekanntlich auch gerne vor, aber da gibt es überhaupt keinen Zeitdruck. Geschichten von mir kann ich irgendwem irgendwann vorlesen, wann immer ich irgendwo zu einer Veranstaltung eingeladen werde, das passt schon. Aber bei den Kinderbüchern im Regal, da gibt es erheblichen Zeitdruck, wie ich gerade gemerkt habe.

Die Söhne haben ein verblüffend großes und volles Bücherregal im Kinderzimmer, das liegt auch daran, dass sie zu Weihnachten in wunderbarer Tradition Geschenke von den LeserInnen dieses Blogs geschickt bekommen, und das sind oft Bücher. Außerdem schicken ihnen manchmal Verlage etwas zu, und in unserem Stadtteil werden oft Bücher verschenkt und liegen zum Mitnehmen am Straßenrand, da kommt mit der Zeit etwas zusammen. Als ich sechs oder acht Jahre alt war, da gab es in meinem Kinderzimmer nicht annähernd so viele Bücher, wir hatten ja nichts. (Das von obligatorischem Krückstockfuchteln begleitete “Hat es uns geschadet!?” werden Sie sich an dieser Stelle schon selber gedacht haben, nicht wahr. Recht so.)

Ganz unten im Kinderzimmerbücherregal gibt es einen Sockelbestand an Bilderbüchern, für die beide Söhne schon zu alt sind, die aber doch noch geliebt werden und zum gelegentlichen Durchblättern vorhanden sein müssen, etwa die hier schon oft behandelte Riesenbirne von Jakob Martin Strid. Darüber gibt es Sachbücher, Was ist was und dergleichen, dann die Leselernbücher von Sohn I, mit denen fängt Sohn II gerade an, wie für kleinere Brüder typisch startet er früh damit. Daneben viele klassische Geschichte, also Lindgren, Krüss und Konsorten, sowie auch modernere Autoren, die ich noch nicht näher kenne. Und auf dieses Regal bezieht sich das oben erwähnte Alarmsignal, denn auf meine Frage, ob ich vielleicht mal Urmel vorlesen sollte, murmelte Sohn I mit der ganzen Lässigkeit des Achteinhalbjährigen: “Nee, dafür bin ich doch zu alt.”

Über das Urmel ist er schon weg, na klar. Wenn man bei Harry Potter und Superheldencomics und Starwars angekommen ist, dann zieht Urmel wohl nicht mehr richtig. Und wenn Sohn I schon darüber steht, dann will Sohn II das auch nicht, das ist naheliegend. Es sind aber noch eine ganze Menge Bücher ungelesen übrig, die ziemlich genau auf eine etwa sechs- bis achtjährige Zielgruppe passen, die müssen jetzt zügig abgearbeitet werden, bevor die Herren Söhne schon sieben und neun Jahre alt sind, was für sie dann gefühlt schon acht und zehn sein wird, also quasi fortgeschritten jugendlich, so läuft das heute doch.

Deswegen saß ich gestern mit den Jungs auf dem Bett und las gleich ein halbes Buch am Stück vor, manchmal muss man eben Strecke machen. Es gab “Angstmän” von Hartmut El Kurdi, mit Illustrationen von Karsten Teich. Ein Buch über die neunjährige Jennifer, die zum ersten Mal einen ganzen Abend und sogar eine Nacht allein zuhause verbringen muss, was eine prima Gelegenheit ist, um alle verbotenen Sachen zu machen, zu denen sie bisher noch nicht gekommen ist. Dummerweise bekommt sie etwas Angst, so ganz alleine in der Wohnung ist es doch seltsam, und das wird auch nicht besser, als sie jemanden im Wohnzimmerschrank husten hört. Das ist Angstmän, der größte Superheldenschisshase um Universum, der nur durch einen Fehler bei der Bedienung seines Teleporters im Schrank gelandet ist. Angstmän hat quasi vor allem Angst, am meisten aber vor Pöbelmän – und der ist leider auch nicht weit.

Die Geschichte ist perfekt für die Altersgruppe der Söhne, das macht Spaß und man kann zwischendurch hervorragend abschweifen und etwa selbst über verbotene Dinge nachdenken, die uns wirklich Spaß machen würden, so etwas gehört beim Vorlesen auch dazu. Wir wissen noch nicht, wie das Buch ausgeht, nach etwa der Hälfte können wir es aber alle drei eindeutig empfehlen.

Als ich das Buch zuklappte, rief Sohn I begeistert “Zugabe! Zugabe!”, Sohn II stimmte sofort ein. Ich saß minutenlang vor klatschenden und schreienden Kindern, die immer lauter Zugabe riefen. Das ist schon schön, so ein euphorisches Publikum zu haben, denn das hat man im Alltag leider nicht dauernd, dass so freudig aufgenommen wird, was man gerade anbietet. Solche Momente muss man sich ab und zu bewusst machen, dann mag man seine Familie gleich noch mehr. Ich habe mich darüber jedenfalls so gefreut, ich werde heute gleich den Rest des Buches vorlesen.

Und es hat meiner Freude auch nicht geschadet, dass Sohn II seinen großen Bruder irgendwann mitten im Jubel leise nebenbei fragte: “Sag mal, was ist eigentlich ne Zugabe?”

Gelesen: Tove Jansson – Das Sommerbuch

Deutsch von Birgitta Kicherer.

Tove Jansson kennt man vielleicht von den Mumins, das hier ist aber ein ganz anderes Werk. Das habe ich an den ersten beiden warmen Tagen des Jahres ziemlich schnell gelesen, quasi als literarischen Sommer-Trailer, kurz bevor es wieder aprilhaft abkühlte.

Ein Buch über eine Großmutter und ihre Enkelin auf einer kleinen, einer sogar sehr kleinen Insel mit einem natürlich auch kleinen Haus darauf. Es passiert nicht allzu viel, es wird ein wenig geredet, es wird ein wenig von Insel zu Insel gerudert, es wird ein wenig herumgegangen. Es findet viel Natur und Alltag statt, es sommert betont finnisch. Die Großmutter ist dabei keine übermäßig idyllische Person und auch schon ein wenig gebrechlich, die Enkelin kommt fast ohne kindliche Süße aus, daraus entsteht eine sehr wahrhaftig anmutende Konstellation, alle Kitschrisiken, die sich aus dieser Paarung ergeben, werden souverän umgangen. Am Ende ist man dann dennoch gerührt von dem Ganzen, das ist auch eine Kunst.

Ähnlich wie bei Brakker ist die Sprache klar und leicht, auch dieses Buch hat man schnell durch. Für den nächsten Inselurlaub unbedingt zu empfehlen.

Gelesen: Gerbrand Bakker – Birnbäume blühen weiß

Deutsch von Andrea Kluitmann.

Wenn man eines nicht sein möchte, dann Romanfigur bei Gerbrand Bakker. Was nicht gegen das Buch spricht, ich mag seine Bücher alle sehr. Aber man weiß, es wird in der Regel nicht gut gehen, man weiß, da wird wieder jemand in bemerkenswert klarer Sprache gen Untergang geführt, wie auch immer der genau aussehen wird. Griechische Tragödienkonstellationen im Alltag der Neuzeit, nein, das kann nicht gut ausgehen. Aber man kann vielleicht etwas lernen, dazu sind Dramen ja da. Na, zumindest im früheren Theater. Es geht um den Umgang mit Schicksalsschlägen, die Mutter verschwindet, der Vater hat mit den Söhnen einen selbstverschuldeten Autounfall, der nicht ohne fatale Folgen bleibt. Das ist harte Kost in einem ganz schmalen Band. Ich finde Bakkers Themen ganz furchtbar und sein Schreiben so gut, dass ich kein Buch von ihm auslassen kann.

Und, das ist auch bemerkenswert, ich habe erst nach der Lektüre mitbekommen, dass das ein Jugendbuch sein soll. Weder ist mir das ausgefallen, noch wäre ich je darauf gekommen. Ich finde es jetzt immer noch eher abwegig, aber das spricht am Ende auch für das Buch. Wirklich ein gutes und hartes Buch. Jugendbuch hin oder her. Und als Wartezimmerlektüre beim Kinderarzt vollkommen ungeeignet, by the way. Sohn I saß neben mir und las ein Lustiges Taschenbuch mit den Erlebnissen von Donald Duck, das war für Stimmung klar besser. Vorsicht bei der Buchauswahl!

Helgoland – Die Häuser

Helgoland

Man besucht Helgoland wegen des Meeres, wegen der Vögel, wegen der Robben und Seehunde, wegen der Ruhe, wegen der Luft. Man fährt vermutlich eher nicht wegen der Architektur hin, dabei ist das für Menschen mit Interesse an Kulturgeschichte und Städtebau absolut zu empfehlen.

Helgoland

Helgoland

Man sieht es beim ersten Besuch vielleicht gar nicht, weil man eben dauernd auf das Meer guckt, auf die Vögel, auf die Robben und Seehunde, in die Luft. Oder, wenn man es doch sieht, fällt es einem vielleicht gar nicht auf. Man übersieht es so leicht, dass man da durch eine Art Zeitkapsel geht, dass man auf einmal mitten in den 50er Jahren steht, in der Wiederaufbauphase der alten Bundesrepublik. Dass fast jedes Gebäude noch aus dieser Zeit kommt, weil die ganze – komplettt verwüstete – Insel damals in einem Gesamtverfahren neu bebaut wurde, dass es sich dabei um eine bis in jede Farbschattierung durchdachte Angelegenheit handelte (durchdacht übrigens von Georg Wellhausen). Eine Mustersiedlung nach historischem Straßenplan, fast ohne jeden Autoverkehr, ohne große Erweiterungsmöglichkeiten, mit ziemlicher spezieller Versorgung, unter extremer Windbelastung. Und das alles auch noch als sozialer Wohnungsbau – was für eine faszinierende Aufgabe.

Helgoland

Helgoland

Helgoland

Wenn man öfter auf der Insel ist, sieht man das bei jedem Besuch besser. Man sieht, was gemeint war, was daraus geworden ist, was geblieben ist. Wenn man Zeit hat, sollte man auch einmal abseits der Haupteinkaufsstraße durch die Gassen gehen und dem Plan ein wenig nachspüren. Das geht auch sehr gut bei schlechtem Wetter.

Helgoland

Helgoland

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Helgoland

Helgoland

Helgoland

Helgoland

Helgoland

Helgoland

Hier ein alter Film aus den 60ern (übrigens voller deutscher Kopftuchfrauen), das ist schon beeindruckend, wie viele Häuser und Ansichten sich nahezu unverändert erhalten haben. Dank an Friedemann für den Fund.

Alles wird einfacher

Im Hotel auf den Hummerklippen auf Helgoland haben Isa und ich also zur Eröffnung abends gelesen. Isa hat natürlich aus “Der Pfau” gelesen, Vogelkundliches ist auf dieser Insel auch wirklich sehr naheliegend. Ich habe etwas gemacht, was ich noch nie gemacht habe, ich habe aus einem unfertigen Manuskript gelesen, eine geradezu nervenzerfetzend aufregende Angelegenheit. Ich bin so etwas wirklich nicht gewohnt, ich lese sonst immer gut abgehangene Texte, die schon mehrere Leute gut gefunden haben. Und weil jetzt in der Zeitung steht, dass da später ein Buch mit dem Arbeitstitel “Alles wird einfacher” draus werden soll, schnell zwei Anmerkungen zu diesem Artikel. Das noch fertig zu schreibende Buch spielt nicht auf Helgoland, es spielt nur immerhin teilweise auf Helgoland, ich habe eines der entsprechenden Kapitel gelesen. Es kommen aber auch zwei, drei andere interessante Gegenden auf dem Festland vor, denn im Gegensatz zu mir kommt die Hauptfigur etwas herum. Sie hat auch gar keine andere Wahl und gute Gründe, die Stadt zu verlassen, wobei ihr das erst einmal nicht viel bringt, aber egal. Und es soll 2017 nicht erscheinen, es wird, so sagte ich in gebotener Zurückhaltung, vor 2017 nicht einmal fertig, denn ich komme ja bekanntlich zu nichts. Das aber gründlich.