Beifang vom 16.12.2016

Das Plattdeutsche erholt sich. Es sollte sich noch viel mehr erholen, es ist eine so herrlich defensive Sprache. Im Plattdeutschen beleidigt man eher gemütlich und überhaupt ist man tendenziell unaufgeregter. Man kann das auch testen und mal zwei, drei Seiten Platt laut vorlesen – es macht einen ruhiger, das ist geradezu regionale Sprachwellness. Die Herzdame und ich können leider nicht flüssig op Platt vertellen. Unsere Vorfahren sprachen auch ziemlich verschiedene Ausprägungen, die einen nordwestfälisch, die anderen lübsch/mecklenburgisch, da gibt es erheblich abweichendes Vokabular. Aber wir bauen immerhin viele Einzelstücke im Alltag ein. Wir haben auch jahrelang an der Bettkante plattdeutsche Schlaflieder gesungen, so etwas bleibt nicht ganz ohne Wirkung. Auf die Frage “Wo ist Mama” kann die Antwort deswegen hier schon mal “De Olsch is in de Köök” lauten, auch aus Kindermund. Und das ist gut so.

Ein paar Gedanken zum Thema Armbinden.

In einer Diskussion auf FB hat mich Isa an diesen Text zum Weihnachtsmann und zum Glauben von mir erinnert, den ich längst vergessen hatte, was schreibt man nicht alles. Aber weil er gerade so gut passt, verlinke ich ihn noch einmal.

Wer Kinder hat, die ein Skateboard haben, möchte vielleicht dieses kleine Motivationsvideo vorführen (via Fakeblog auf Twitter):

Beifang vom 13.12.2016

Schwarze Pädagogik an Hamburger Grundschulen. Oder wie wir hier sagen: Alle bekloppt.

“Wie Lieb und Treu und Glauben verschwunden aus der Welt …” Heute hat Heinrich Heine Geburtstag, da kann ich doch noch einmal eines meiner liebsten Lieder von ihm teilen, auch wenn es hier schon einmal vorkam – es ist auch schon eine Weile her. Das Lied ist hervorragend unter der Dusche zu singen, da hat man dann am frühen Morgen schon die Sache mit dem Weltschmerz von der To-Do-Liste abgefrühstückt. Und wie so teuer der Kaffee! Und wie so rar das Geld! Ja, das auch noch. Ich liebe das Lied.

Beifang vom 12.12.2016

Die Geschichte von dem Typen da, mit der perfekt sitzenden Frisur.  Und dann direkt danach: “Ach, Basmaji.

Ich glaube, ich habe schon den ersten guten Vorsatz für das nächste Jahr, es ist ein Vorsatz der äußerst raffinierten Selbstoptimierung durch das Erschaffen von Gelegenheiten: Ich werde mehr draußen herumgehen, fast hätte ich gerade laufen geschrieben, aber Gott bewahre.  So geht das nämlich, das mit der stetigen Verbesserung.

Holstein steigt aus” ist eine Geschichte über eine letzte Dienstfahrt, und wer einmal Nachtzug gefahren ist, wird sie mit nostalgischem Bedauern lesen.

Mein Text gestern entstand übrigens direkt nach dem Hören dieses neuen Liedes der geschätzten Judith Holofernes, durch welche assoziative Verknüpfung auch immer. Schönes Lied.

Dezembermorgen, Stadtmitte

Es ist gerade erst etwas hell geworden, du machst das Fenster auf und steckst den Kopf raus. Die Wintermorgenluft fährt dir wie ein kalter, nasser Waschlappen durchs Gesicht. Alles ist grau und unerfreulich da draußen, kein Mensch ist zu sehen. Alles ist hässlich und grau in diesem Schlechtwetterlicht, unansehnlich und verbraucht, aber nicht mit diesem charmanten Used-Look verbraucht. Das ist nicht vintage, das ist einfach nur gammelig. Gammelige Häuser und Wege, da blättert die Farbe ab, da kommen Bodenplatten hoch, da liegt Hundescheiße. Man müsste schon eine beträchtliche Menge Schnee drüberstreuen, um wieder ein nettes Straßenbild vor sich zu haben. Es schneit aber nicht. Es ist auch gar nicht winterkalt, es ist einfach nur unerfreulich kalt.

Auf dem Spielplatz unter dem Fenster laufen Eichhörnchen hin und her, sammeln Nüsse und klettern Bäume hoch und runter. Halten zwischendurch kurz inne und sehen sich um, Näschen im Wind. Die sehen natürlich possierlich aus, wie sie da so Eichhörnchendinge treiben. Als Eichhörnchen kannste machen, was du willst, da biste immer possierlich, bei jedem Wetter, bei jeder Müdigkeit, in jeder Stimmung.

In den Zweigen im Gebüsch am Rand des Spielplatzes turnen zwei Meisen herum, die sind Kohl oder Blau, das weißt du schon wieder nicht, das kannst du dir einfach nicht merken. Du müsstest es googeln, dann wüsstest du es wieder einen Moment lang, aber eigentlich musst du überhaupt nichts. Macht ja auch keinen Unterschied, ob nun Kohl oder Blau, dazwischen liegen nur ein paar Buchstaben. Selbst wenn du das wüsstest, was da richtig ist, wüsstest du ja immer noch nicht, ob das überhaupt einen Unterschied macht. Leben die anders, die Kohl oder Blau? Wie? Und was würdest du mit der Erkenntnis anfangen? Das weißt du auch nicht, das müsstest du alles nachlesen, aber hey, bist du Ornithologe oder was. Du schüttelst den Kopf, trinkst einen Schluck Kaffee und kannst die Meisen auch einfach Meisen sein lassen.

Die Meisen sehen natürlich auch possierlich aus, wie sie da so Meisendinge zwischen den wippenden Zweigen treiben. Alle Lebewesen, die du da draußen siehst, sehen possierlich aus. Nur du nicht, wie du dich da so im Fensterglas spiegelst. Du bist nur teilweise draußen, nur mit deinem müden Kopf, den du durch das Fenster in den klatschnassen Morgen geschoben hast. Die Eichhörnchen sehen mit schiefgelegtem Kopf zu dir hoch, die Meisen sehen mit schiefgelegtem Kopf zu dir hoch, possierliches Tiergesindel beim Frühsport.

“Guck mal schnell”, sagt die eine Meise ganz leise zur anderen, “guck doch mal! Da ist ein Menschenmännchen am Fenster und guckt aus dem Bau! Ein altes Männchen, guck! Es legt den Kopf schief und guckt so herum, wie possierlich! Um diese Uhrzeit sieht man sie sonst kaum.” “Was für eine Menschenart ist das?” fragt die andere Meise. “Ein Belgier”, sagt die erste Meise, die einen leichten Hang zum Angeben hat. “Ich kann mir das nie merken”, sagt die Meise, die gefragt hat, kneift die Augen zusammen, sieht noch einmal genauer hin und schüttelt den Kopf. “Und jetzt ist er auch schon wieder weg.”

Du machst dir mehr Kaffee.

Beifang vom 10.12.2016

Der Comiczeichner Marcel Gotlib ist gestorben, dessen kaum bekannte Witzbold-Hefte mir damals den wunderbaren Bereich des völlig absurden Humors im Comic erschlossen haben. Hier ein Nachruf. Die Hefte müsste ich mir mal wieder kaufen, die wären auch was für Sohn I, zumal ein Jojo drin vorkommt.

Frau Novemberregen über Industrieschnee.

Kiki bloggt ihre guten Vorsätze. Und ich bin bei der Nummer 1 in ihrer Liste tendenziell bei ihr, obwohl das manchmal schwer sein wird. Das gilt auch für andere Themen, etwa für reaktionäre Männer, die über alleinerziehende Bloggerinnen herfallen und ähnliche Vögel, sie haben alle schon viel zu viel Aufmerksamkeit und Visits und Links. Man muss diese Themen nicht vollkommen ausblenden, manchmal ist es sicher passend, darüber zu schreiben, aber das permanente Jonglieren damit ist für mich einfach nicht mehr richtig. Noch so eine Frage der Aufmerksamkeitsökonomie, siehe bei Crawford.

Ein großartiger Kommentar zum Wort des Jahres. Ein wirklich sehr guter Kommentar, der hätte von mir sein können. Ich schreibe auch immer großartige Kommentare.

Sankt Georg hilft – zum Beispiel Hakim von der Theatergruppe Karoon

(Zu “Sankt Georg hilft” gab es lange kein Update mehr, aber es passiert dennoch weiterhin etwas. Ich habe bei Hakim nachgefragt.)

Hakim

Hakim ist mein Name, ich komme aus dem Al-Ahwaz. Vielleicht fragen Sie sich, was das Al-Ahwaz ist? Das ist ein Land, das vom Iran besetzt wurde, es liegt zwischen dem Irak, dem Iran und dem Golf. Ich bin jetzt seit vier Jahren in Deutschland und ich arbeite als Berater für Ausbildung bei der ASM (Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Migranten). Und ich betreue – nein, das will ich so nicht sagen, ich helfe Freunden. Wir haben einen kleinen Verein und zwei Gruppen gegründet, eine Musikgruppe und eine Theatergruppe. Warum mache ich das? Weil ich selber immer noch Flüchtling bin, so steht es auch in meinem Pass.

Um mit Menschen Kontakt zu haben, musste ich Deutsch lernen, als ich hier ankam, das war der einzige Weg. Bevor ich Deutsch gelernt habe, hatte ich hier sehr wenig Kontakt, das ging einfach nicht. Und genau so geht es anderen Flüchtlingen auch. Ich wollte aber etwas mit dieser Lücke machen, die es nun einmal gibt, bevor man eine neue Sprache kann.  Ich selbst kann Farsi, Arabisch und Afghanisch sprechen. Meine Muttersprache ist Arabisch, aber wir mussten dort alle Farsi lernen.  Ich habe mich gefragt, was können denn die Flüchtlinge überhaupt machen, die noch kein Deutsch können?  Der eine sagte: Musik. Der andere sagte: Theater.

Theatergruppe Karoon

Wir machen das jetzt seit ein paar Monaten, in der Theatergruppe sind auch Menschen aus anderen Ländern, Eritrea, Afghanistan, Iran, Irak und auch aus Deutschland. Man muss doch aktiv sein, ich selber kann überhaupt nicht ohne Aktivität sein. Wir wurden zwar von unseren Ländern rausgeschmissen, aber manche von uns haben studiert, manche haben berufliche Erfahrungen. Wir müssen hier mit einfachen Sachen wieder anfangen, um weiter etwas zu tun. Und dabei dann etwas lernen. Vielleicht kommt irgendwann ein weiterer Deutschkurs, ein Integrationskurs,  aber man kann bis dahin doch auch schon etwas lernen. Einfache Sachen eben. Ich hatte vorher gar nichts mit Musik oder Theater zu tun, ich war Professor für Agrarwissenschaft. Das werde ich hier so leicht nicht wieder werden können, mein Deutsch ist dafür auch nicht gut genug [Anmerkung MB: Hakim spricht druckreif].

Theatergruppe Karoon

Ich habe hier Leute kennengelernt, die ihre Probleme irgendwie zeigen wollten, aber sie konnten das nicht. Daher hatten wir die Idee, Theater zu spielen. Ohne Sprache. Lachen können alle Menschen, das geht immer. Wir haben dann einfach angefangen, zum Beispiel mit Szenen, wie man sich auf Deutsch vorstellt. Viele Flüchtlinge möchten gerne etwas mitteilen, können aber nicht. Und da wollten wir etwas tun.

Theatergruppe Karoon

Die Leute aus meiner Heimat haben es besonders schwer mit den Sprachkursen, weil viele kein Arabisch gelernt haben und auch kein Farsi, nur einen Dialekt. Es sind mehr als hundert Familien aus meiner Heimat hier in Hamburg, und wir versuchen, die Leute von uns, die schon etwas geschafft haben, erklären zu lassen, wie das ging. Besonders den Jugendlichen. Da sind auch Menschen dabei, die schon in der Bildung gearbeitet haben, Lehrer und so weiter.

In unserem Theaterstück geht es also um einen Deutschkurs. Wir haben für die Proben Unterstützung von “Sankt Georg hilft” bekommen, da wurden die Fahrkarten bezahlt, damit die Darsteller zu den Proben fahren konnten. Wir wollen mit dem Stück zeigen, welche Gründe es gibt, warum Deutschkurse manchmal nicht so funktionieren, warum einige von uns nicht gut und nicht schnell lernen können.

Theatergruppe Karoon

Es gibt aber erst einmal nur eine Aufführung, wir sind eine Gruppe ohne Erfahrung. Wie gesagt, wir wollten einfach nur etwas machen. Aber wir hoffen, dass wir z.B. an Schulen auftreten können.

(Wenn sich jemand für Aufführungen interessiert – bitte einfach per Mail bei uns melden, Adresse siehe Impressum, wir leiten weiter. Außerdem ist die Truppe auf der Suche nach einem Proberaum – wer etwas weiß oder hat, gerne auch melden. Sankt Georg hilft nimmt weiterhin auch gerne Spenden an und verteilt an verschiedene Projekte – wie etwa dieses.)

Beifang vom 05.12.2016

Big Data im deutschen Wahlkampf. Ich lachte.

Ein ziemlich spannender Artikel über Virtual Reality. Technikangstartikel sind doof, diesen hier fand ich aber lesenswert. Wobei eine Gefahr im Text gar nicht benannt wird, die mir gerade in einem Kaufhaus aufgefallen ist. Dort haben Kunden VR-Brillen probiert. Es wird bisher kaum thematisiert, aber man muss es doch einmal sagen: Wer eine das halbe Gesicht verdeckende VR-Brille aufsetzt und dann mit halboffenem Mund absonderliche Gesten und Turnübungen vollführt, die vielleicht virtuell in einem Game irgendeinen Sinn haben, nicht aber für Außenstehende, und wer dabei fast zwangsläufig auch noch mit ausgebreiteten Armen in der Gegend herumtappt wie ein betrunkener Bär mit besonders abgefahrener Schlafmaske, der wirkt auf die Betrachter der Szene wie ein Bekloppter. Ein Bekloppter mit cooler Ausrüstung zwar, aber doch ziemlich zweifelsfrei ein Bekloppter.

Meike Lobo über Dunbar und das Ich in der Gesellschaft. Die Zahl, um die es da geht, fand ich immer schon faszinierend, die spielt auch im wirtschaftlichen Zusammenhang eine Rolle. Es gibt die Hypothese, dass Unternehmenseinheiten, die diese Größe nicht überschreiten, besser funktionieren als andere, das ist auch überhaupt nicht abwegig. Und wenn irgendein neues Social-Dingsbums im Internet zum neuen Hype wird und ich mich da anmelde, dann habe ich da in der Regel etwa 150 Leute, die ich schon aus den anderen Netzwerken kenne und die dort meine ersten Kontakte sind. Mit der Zeit werden es vielleicht mehr, aber der harte Kern, das sind ziemlich genau diese 150. Und das ist dann wohl mein Stamm, in diesen digitalen Zeiten. Zu dem übrigens auch Frau Lobo gehört. In einem Kommentar unter dem Text von Meike Lobo wird Erich Fromms „Haben oder Sein“ erwähnt, das habe ich nie gelesen. Sollte man das tun?

Ansonsten ist es kalt draußen, man braucht etwas Wärmendes. Einen Drink auf Bertolt, einen auf Kurt und einen auf Jim.

Was schön war

Ich wohne zwischen diversen Hotels, darunter auch solche mit etlichen Sternen. Wenn ich morgens zur Arbeit gehe, überholen mich links und rechts menschliche Rollkofferzugpferdchen (das Wort habe ich irgendwoher, aber ich komme nicht mehr darauf, wo das war) im zügigen Trab, das ist normal. Die müssen von den Hotels zum Bahnhof, zum Zug, zum nächsten Einsatzort, zur Arbeit, wichtig, wichtig. Wenn man einen Film über erfolgreiche Consultants drehen würde, man könnte sie alle vom Fleck weg casten, die mich da überholen, immer die gleichen Anzüge, Kostüme, Frisuren, immer die gleichen Rollkoffer.

Seltener kommt es vor, dass mir so ein Exemplar entgegenkommt. Aber das passiert auch, da strebt dann jemand vom Bahnhof zu den Hotels, das erste Meeting dort in den Konferenzräumen findet vielleicht in aller Frühe statt. Und fast immer ist es so, dass diese Menschen es dann sehr eilig haben, also geradezu panisch eilig. Denn ich bin um kurz vor acht auf Straße, das ist aber vermutlich auch die Uhrzeit, zu der das wichtige Meeting pünktlich beginnt. Da muss man also die Beine in die Hand nehmen, wenn der Zug etwa Verspätung hatte oder die Deppen im Back-Office sich beim Fußweg wieder dezent verkalkuliert haben.

Ich biege um die Ecke zum Bahnhof, da kommt mir eine junge Dame im Businesskostüm entgegen, dem Sound der Pumps nach zu urteilen in der anatomisch überhaupt nur möglichen Höchstgeschwindigkeit. Sie zieht den obligatorischen Rollkoffer mit beiden Händen hinter sich her, er ist etwas ungewöhnlich groß und schwer, da ist sicher nicht nur ein Notebook drin, eher auch noch ein Beamer und Gott weiß welches Gerät. Sie wirft sich nach vorne, sie trabt im Stakkato. Einen gestreckten Galopp lässt die Kleidung nicht zu, außerdem ist der Boden etwas glatt. Sie trägt das Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden und der wippt im Laufen, ein Band darin leuchtet rot in den grauen Werktagswintermorgen. Und für eine Sekunde sieht es aus wie ein Rollenspiel, Frau vor Sulky, Mensch im Gespann. Die Absatzgeräusche auf dem Kopfsteinpflaster wie albernes Kokosnussgetrappel, das Rattern des Koffers wie Kutschenimitat im Kinderhörspiel, hüh, mein Pferdchen, lauf, lauf.

Die Grundschüler hier im Stadtteil spielen das mit nie nachlassender Begeisterung in den großen Pausen auf dem Hof, die ziehen Tretautos und Schülerinnen hinter sich her, trabend und wiehernd, sie laufen im Kreis und scharren mit den Hufen, wenn man sie irgendwo stehen lässt. Manchmal bekommen sie von den kleinen Kutschern auch ein Zuckerchen, das sie noch nicht Bonus nennen.

Und aus reiner Aversion dagegen, selbst auch so albern eingespannt zu sein, bin ich dann nicht ins Büro, sondern erst einmal ins Café gegangen. Ich habe dort in bockiger Langsamkeit einen Kaffee getrunken, die Wand angeguckt und sonst überhaupt nichts gemacht. Lange. Also genau einen Kaffee lang. Und das war schön. Ein Trotzkaffee, warum auch nicht.

Danach musste ich natürlich wie irre zur Arbeit rennen, eh klar. Aber egal. Diese zehn Minuten waren schön und ungeheuer selbstbestimmt. Sie werden das sicher verstehen, so unter uns Autonomen.

Noch einmal zu Filterblasen

In meiner Filterblase wird ein Artikel über Filterblasen wieder und wieder ventiliert, der Filterblasen als überschätzt darstellt. Auch nicht unkomisch. Aber der Blasentext erinnert mich daran, dass ich mit den Blasenspiegelungen der letzten vier Wochen noch gar nicht fertig war, da muss ich noch etwas anlegen. Vorweg ein kurzer Hinweis auf einen Umstand, den viele Menschen offensichtlich gerade vergessen oder verdrängt haben. Als ich in der Oberstufe war, galt das Lesen von Zeitungen und Zeitschriften als erwünscht, schick und gebildet und bürgerlich engagiert, wir haben das also alle gemacht. Die meisten lasen – wie auch ich – den Spiegel und die Zeit und gelegentlich die SZ, eine Regionalzeitung gab es zuhause damals sowieso. Einige seltsame Vögel, deren Eltern in der falschen Partei oder in seltsamen Berufen waren, lasen auch die FAZ oder gar die Welt. Da guckten wir dann auch gelegentlich rein, das war der berühmte Blick über den Tellerrand und im Feuilleton war das manchmal sogar interessant, ansonsten aber eher verstörend. Das waren also etwa sechs Medien, dazu kamen die abendliche Tagesschau und noch ein paar andere Sendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wie Monitor etc. Aus heutiger Sicht war das alles recht eng, wir fühlten uns damit natürlich total weltläufig und bestens informiert, Topchecker durch und durch. Wie man in der Oberstufe eben so ist, ganz egal in welchem Jahrzehnt.

Durch die sozialen Medien habe ich allein im letzten Monat mit mindestens 400 Seiten Kontakt gehabt, es ist ganz interessant, wenn man das einmal ein paar Wochen zählt, was man da eigentlich konsumiert. Mal habe ich dort nur ein paar Zeilen quergelesen, mal habe ich mich sofort festgelesen. Einiges habe ich daraufhin abonniert, einiges auch irritiert gleich wieder geschlossen. Manches war mir zu rechts, manches zu links, manches zu langweilig, zu moralisch, zu kapitalistisch, zu revolutionär, zu ignorant, zu arrogant, zu doof und immer soweiter. Einige Artikel fand ich so gut, die habe ich dann hier im Beifang oder im Wirtschaftsteil gezeigt. Aber einige davon habe ich dort eingebaut – und dann doch wieder herausgenommen, weil ich noch vor der Veröffentlichung im Blog einen anderen Text gefunden habe, der besser war, der dem ersten widersprochen hat, der ihn sogar komplett widerlegt hat, der mich irritiert hat. Und das ist doch ziemlich gut so, wenn ich das mit meinem Medienkonsum von etwa 1985 vergleiche. Es ist heute ganz eindeutig reicher, bunter, vielfältiger, es ist in alle Richtungen offener. Blase hin oder her. Und es werden mir auch dauernd Texte auf den Bildschirm geweht, die meiner politischen Meinung sehr klar widersprechen, schon weil zwanzig Leute auf Twitter oder sonstwo aufgeregt schreiben: “Guck mal, guck mal, wie doohoof!” Und dann gucke ich vielleicht sogar.

Anmerken wollte ich zu meiner Blasenspiegelung auch noch, dass von meiner Twitter-Liste “Irgendwasmitmedien”, auf der jetzt über 1.000 Journalisten aus mir genehmen Medien sind (also nicht von der Bild z.B.), tatsächlich die New York Times die am häufigsten genannte Quelle im November war. Deutlich vor SPON, das ist ziemlich krass und ich nehme an, es wird sich nicht wiederholen. Ich werde aber auch nicht mehr zählen, das dauert alles zu lange.

Auf Platz drei, das war noch ein Hammer, ist schon Übermedien, die ich daher für in der Zielgruppe spektakulär erfolgreich halte. Dann die SZ, die Washington Post, die Zeit, die FAZ, der Falter aus Österreich, der NDR, The New Yorker, die Welt, der Tagesspiegel, die Tagesschau. Man merkt vielleicht: Leute, die bei Medien arbeiten, verlinken auch gerne klassische Medien. Buzzfeed, Niemanlab, Turi2, Correctiv, The Atlantic, Horizont und t3n. Alles in allem recht klassisch orientiert, kaum Blogs in der ganzen Liste, was bei der großen Anzahl von Medienblogs in Deutschland doch etwas erstaunlich ist. Es kommen schon Blogs vor, aber sie sind vergleichsweise weit unten im Ranking.

Das von diesen JournalistInnen im November am meisten verlinkte Blog ist übrigens kein Medienblog, es ist das von Journelle, was ein wirklich wunderbares Beispiel dafür ist, dass man auch als Bloggerin mit einem knackigen Text zu aktuellen Problemen in der deutschen Presselandschaft ziemlich umfangreich wahrgenommen wird. Das wird meiner Meinung nach manchmal unterschätzt.

Nachtrag: Siehe zum Thema Filterblasen auch Felix Schwenzel.

Beifang vom 02.12.2016

Die Kaltmamsell erwähnte hier das Wort Crooning, zu dem man vermutlich eine gewisse Vorstellung hat, in der Frank Sinatra oder Bing Crosby vorkommen dürften – es ist aber auch interessant, das einmal en detail in der Wikipedia nachzulesen. Da kann man noch etwas lernen. Ich zumindest habe das nicht ganz so genau gewusst.

Noch schnell ein ganz kurzer und eher eher tröstlicher Rückgriff auf den November, also auf damals, vor zwei Tagen. Der November wirkt bei mir noch etwas nach, ich war gestern mit einer langjährigen Freundin aus, um auf all das Scheitern in diesem Jahr anzustoßen, wir hatten beide Gründe, wer hätte sie nicht. Das könnte doch eine wunderbare Tradition werden, so an der Nahtstelle zwischen November und Dezember: Ein kleines “Fail-Better-Drinking”, mit ein paar gepflegten Drinks auf all das, was man in diesem Jahr versemmelt, an die Wand gefahren, ruiniert, verloren und vergeigt hat, auf das, was man warum auch immer doch wieder nicht angefangen, nicht gemacht oder nicht gewagt hat. Ein Drink, ein Toast, “To absent chances” oder so, und dann kann man mit all dem auch friedlich abschließen und sich voller Schwung in die nächste Runde werfen. Je länger ich darüber nachdenke, desto besser gefällt mir der Gedanke. Ich mag Rituale, an irgendwas scheitert man eh immer und gemeinsam trinkt es sich schöner. Den Termin für 2017 könnte man eigentlich schon festlegen, da ist man dann auch gleich wieder konstruktiv. Vielleicht sogar in größerer Runde?

Dahinter passt natürlich nur noch ein Lied mit einer ausdrücklich positiven Botschaft, nicht wahr. Überzeugend vorgetragen von einer sozusagen bunten Truppe voller Anmut und Fröhlichkeit. Anmoderiert von Ray Cokes, die Älteren erinnern sich. Und wer hat’s geschrieben? Der Nobelpreisträger himself, genau. Schon wieder was gelernt.


Und morgen finde ich dann auch wieder Links ohne jeden morbiden Beiklang, ich bin da voller Zuversicht.