Kurz und klein

Die Herzdame backt: Katharine Hepburn’s Brownies

Herzdamenhände

Die Herzdame hat Brownies nach einem Rezept aus “Süßer Sonntag” von Ilse König, Clara Monti und Inge Prader gemacht, einem ausgesprochen attraktiv aufgemachten Backbuch, das sinnvoll nach den Tageszeiten eines Sonntags sortiert ist, wann soll man auch sonst zum Backen kommen.

Backbuch

Das beginnt also etwa mit Brötchen für Frühaufsteher, geht weiter mit Zubehör für den Langschläfer-Brunch, über Desserts für den Mittagstisch und dann zum Sonntagskaffee mit und ohne Gesellschaft usw. Bis hin zu “süßen Traumbringern”, warum auch nicht. In der letzten Kategorie auch die Madeleines à la Proust, die wären auch einmal einen Versuch wert. Vielleicht schreibe ich danach ein paar weitere Bände Erinnerungen?

Die Herzdame backt

Das in diesem Buch gefundene Brownie-Rezept stammt aus einem historischen Interview mit the one and only Katharine Hepburn, die ihre drei goldenen Lebensregeln einmal so definiert hat: “Dont, put too much flour in your brownies – Never quit – Be yourself.” Eine interessante Zusammenstellung, keine Frage.

Backbuch

Das Rezept ist charmant simpel, man braucht fast nichts und das hat man in einem gut sortierten Haushalt auch noch sowieso vorrätig. Die Zutatenmenge ist für eine Form von 22 X 22 cm.

Nämlich 100 Gramm Wal- oder Pekanüsse

120 Gramm Butter

60 Gramm ungezucktertes Kakaopulver

2 Eier

200 Gramm Zucker

2 EL Mehl

1 Pkg. Vanillezucker

1 Prise Salz

Der Ofen wird auf 165 Grad vorgeheizt. Die Nüsse zerkleinern.

Nüsse

Die Butter mit dem Kakao über einem Wasserbad schmelzen und glattrühren, das bitte unbedingt gründlich. Sehr gründlich. Wirklich gründlich.

Topf mit Kako und Butter

Die Eier nacheinander unterrühren, dann Zucker, Mehl, Nüsse, Vanillezucker (ich habe gerade reflexmäßig Vanilleeis geschrieben, schlimm) und Salz unterheben. Sollte ein Mann mit Kamera im Raum sein, stellt man sich gerade hin und guckt dabei in die richtige Richtung, eh klar.

Herzdame mit NüssenHerzdame

Man braucht übrigens Nerven wie Drahtseile, wenn man im neuen Kleid und ohne Schürze einen solchen Teig rührt.

Rührschüssel

Was Nordostwestfälinnen können, das können nur Nordostwestfälinnen. Das Kleid ist übrigens (keine bezahlte Werbung) von King Louie.

Die Masse in eine Form geben. Oder, wie wir hier sagen: alles auf ein Backblech verteilen. Also sofern man denn die Masse vom Löffel bekommt.

Herzdame mit TeigHerzdame mit TeigTeig

Im Ofen etwa 20 Minuten backen.

Herzdame an Herd

Zack. Einfacher kann man nicht an Brownies kommen, das Rezept ist also der Knaller, wenn man notfallmäßig schnell irgendwo Kuchen liefern oder vorrätig haben muss. Und sie schmecken verdächtig ähnlich wie die Exemplare aus dem Coffeeshop um die Ecke.

Und hier wird es ausnahmsweise auch einmal Zeit für ein “Making of”-Foto. Denn wir sind spät im Herbst, das Tageslicht wird denkbar knapp und die Foodbloggerei wird immer herausfordernder. Da muss die Herzdame schon etwas Einsatz zeigen, um die fertigen Brownies am langen Arm in den letzten Lichtrest des verdämmernden Tages zu halten.

Making of "Die Herzdame backt"

Aber ohne Foto vom fertigen Produkt geht es ja nun einmal nicht.

Brownies

Und ohne wenigstens einen Blick auf die namensgebende Schauspielerin kommen wir hier natürlich auch nicht raus.

Ein Dank und zwei Premieren

Wir haben zu danken, und zwar nicht persönlich, sondern im Namen der zahlreichen Menschen hinter den Aktionen von “St. Georg hilft”. Der herzliche Dank geht an die Mitarbeiter des Hotels LE MERIDIEN aus unserem Stadtteil.

In dem Hotel wurde das Restaurant Le Ciel wegen Umbau geschlossen, der letzte Abend dort war für die Mitarbeiter des Hotels reserviert. Sie haben dabei gesammelt und die Summe dann für die Hilfsaktionen im Stadtteil gespendet, weil sie gerne Angebote in der Nähe unterstützten wollten, support your local supporter sozusagen.

Und so kam es zu zwei Premieren, ich habe zum ersten Mal einen Termin als Symbolscheckübergabefotograf gehabt und die Herzdame zum ersten Mal einen als Symbolscheckempfängerin. Dabei habe ich übrigens nebenbei auch gelernt, dass Banken solche Symbolschecks tatsächlich vorrätig haben. Aspekte des Alltags, über die man schon nachdenkt, seit Wim Thoelke damals mit diesen Dingern vor der Kamera stand.

Zweitausendfünfhundert Euro haben wir also heute abholen dürfen, im Bild hier die Herzdame, Andreas Kirsch (links), der General Manager des Hotels und Gunter Marwege (rechts), unser Nachbar und Pastor der Kirche vor unserer Haustür. Die Kirchen sind hier sehr stark engagiert bei den Hilfsangeboten.

Symbolscheckübergabefoto

Wenn man einmal maximale Aufmerksamkeit haben und sehr viele Passanten mit verdrehten Hälsen sehen möchte, dann kann man mit einem Symbolscheck unterm Arm durch den Stadtteil gehen, das funktioniert wirklich gut.

Und da wir das jetzt gelernt haben, sind wir jederzeit bereit, weitere Symbolschecks für „St. Georg hilft“ irgendwo abzuholen. Mail genügt, wir kommen quasi sofort. Das Geld verwandelt sich z.B. in die heiße Suppe, die täglich am Bahnhof an die durchreisenden Geflüchteten ausgegeben wird. Es wird kälter draußen, und all die Menschen brauchen eine warme Mahlzeit.

 

Wie es so ist

Das ist gar noch so einfach zu beschreiben, aber eben kam ich doch darauf, wie es so ist, da fiel mir ein Bild dafür ein, ich komme gleich darauf. Es ist nämlich turbulent mit Schwächen im Zeitmanagement, um es mal wetterberichtsmäßig vorweg abzukürzen. Aber worauf ich eben kam, als ich in diversen Blogs diese ganzen Einträge aus der Rubrik der Monatspläne las, also was mache ich im November, was uns im November erwartet, was wir Schönes im November vorhaben usw., diese Einträge mit Kuschel-Atmosphäre, in denen die Bloggerinnen – diese Monatseinträge kommen irgendwie immer nur von Frauen, warum auch immer – auflisten, was und wie sie im November dekorieren werden, was sie sich an Vergnügen leisten werden, worauf sie sich freuen, wohin sie reisen werden, wen sie besuchen wollen und und und … also worauf ich gerade kam, das ist einfach: Wenn ich mich jetzt feierlich mit einem spätherbstlichen Tee hinsetze und über so einen Text nachdenke, wenn ich jetzt anfange, dem November nachzuspüren, den inneren November einfangen zu wollen, wenn ich mich auf diesen Monat erst einmal gefühlig einlassen soll, um ihm ganz gerecht zu werden, dann ist der November vorbei, bevor der Text fertig ist. Denn er ist ja tatsächlich gleich vorbei, gefühlt endet er etwa morgen, maximal aber in zwei bis drei Tagen und dann ist auch schon wieder Weihnachten, aber das war mit dem Text dann noch gar nicht gemeint. Schlimm.

Ich muss über Zeitmanagement nochmal nachdenken, glaube ich. Und vielleicht doch mal über das Bremsen im Alltag.

Kurz und klein

Gelesen, vorgelesen, gesehen, gehört im Oktober

So, Oktober vorbei, habe ich gerade beschlossen. Ich habe in diversen Resten gelesen, die immer noch unvollendet hier herumliegen, nachdem sie irgendwann, vielleicht schon vor Monaten, hier behandelt und abgehakt worden sind. Ich bin ein ganz übler Durcheinanderleser, wirklich schlimm. Wieder sehr angetan von dem Laxness übrigens, das ragt weit heraus, das Buch. Leider ist es geradezu unanständig klein und eng gedruckt, da hilft auch die Gleitsichtbrille nicht mehr.

Bücherreste

James Salter: Lichtjahre. Deutsch von Beatrice Howeg

James Salter ist ein Großer, man kann das überall nachlesen, zu diesem Buch etwa in ausführlichen und auch lesenswerten Rezensionen hier und hier. Großrezensionen, da darf dann auch nicht jeder ran, wenn ein Salter zu besprechen ist. Und dass der Herr schreiben kann, überhaupt keine Frage. Allerdings möchte ich mich hier einmal als eher unbedarfter Leser outen. Ich habe zwar reichlich Sekundärliteratur in meinem Leben gelesen, ich finde das alles schon interessant, was Literatur alles kann und macht und soll, ich habe aber tatsächlich bis heute noch nie Lust entwickelt, beim Lesen eines Romans tiefgründig auf den Zeilen herumzudenken. Wenn ich lese, dann lese ich. So von Zeile zu Zeile und immer weiter. Und wenn ein Roman mit Bedeutung aufgeladen ist bis zum Anschlag, wenn man das Gefühl nicht los wird, dieses so prall  vollgepumpte Buch könnte einem in der Hand zerplatzen und einen dabei überall mit Sinn bekleckern – dann mag ich das eher nicht so.

Sohn I spielt gerne diese Jump&Run-Spiele, bei denen man Figuren durch virtuelle Landschaften steuert, und wenn sie über oder auf die richtigen Stellen hüpfen, dann bekommt man Punkte, es blinkt und piept. So ist das auch beim Lesen von Salter, als Leser folgt man den Zeilen und alle paar Sätze kommt eine Stelle, die erkennt man dann vielleicht sogar, hurra, eine Stelle, volle Lotte Bedeutung, Anspielung, Sinn und Tiefe – und im Hirn  blinkt und piept es, man kann sich zehn Punkte gutschreiben und am Ende des Buches hat man einen feinen High Score und darf eine Rezension schreiben, die sich noch tiefer in den Sinnberg schraubt als der Roman, quasi Ehrensache.  What a mess! Nach der dritten Bedeutungsstelle auf zwei Seiten möchte man das Buch mit “Ist mal gut jetzt! Ja, du bist ein Topcheckerbuny, aber erzähl halt mal weiter!” ” anbrüllen, zumal auch die beste Formulierung manchmal nicht über eine gewisse Kalenderspruchhaftigkeit der Erkenntnisse hingwegtäuschen kann.

Und das ist der Grund, warum ich die Romane der großen Alten aus den USA eher nicht so gerne lese, denn das gilt auch für einige andere sehr bekannte Namen von dort.

Bov Bjerg: Ohne Brille kann ich rechts und links nicht unterscheiden

Das gibt es nur als E-Book, um das nur herum stellen Sie sich bitte neckisch in die Luft gemalte Anführungszeichen vor, wir verstehen uns. Kein schickes Bild also. 26 Geschichten aus dem Repertoire von Herrn Bjerg, ich mag sie alle, ich mag aber auch Herrn Bjerg, ich bin da voreingenommen. Ich habe ihn auch schon einige dieser Texte lesen hören, das möchte ich übrigens noch einmal sehr und dringend empfehlen. Wenn Sie den Herrn Bjerg irgendwo live erleben können, dann  gehen Sie da ruhig hin, das ist immer super. Und in dem E-Book sind also 26 saugute Texte, eh klar. Unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Kreisverkehrs in der Provinz, so etwas ist ja auch wichtig.

Am 01.11. – also quasi gleich! – können Sie den Herrn Berg übrigens in Hamburg erleben, zur Vorstellung seines Romans Auerhaus tritt er da mit Robert Stadlober und Andreas Spechtl im Polittbüro auf dem Steindamm auf. Ich bin auch da und sehe mir das an, das wird mit Sicherheit großartig.

Bov Bjerg    Foto: Milena Schlösser

Alex Capus: Mein Nachbar Urs

Mein Nachbar Urs

Der Autor hat sechs Nachbarn, alle heißen Urs, so ist die Schweiz. Über einen darf er nicht schreiben, es ist also ein fünfursiges Buch. Und es war meine Weltflucht des Monats, das ist ein äußerst nettes Buch, das perlt so vor sich hin. Etwas bloggig manchmal, was ich komplimenthaft meine, das muss man wohl ergänzen. Alltagsszenen und Gespräche, genau mein Ding. Wieder gedacht – mehr Capus lesen. Der kann es einfach. Gleich noch drei Bücher besorgt, er hat erfreulich viele geschrieben. Obwohl er Kinder hat. Nanu!

Franz Hohler: Das Ende eines ganz normalen Tages

Das sind Miniatiuren und kurze Geschichtchen, die allerdings so weit heruntergebrochen sind, dass nichts mehr übrig ist, was den Druck wert gewesen wäre. Minimalismus ist das eine, aber das hier ist hier ein einziges “Was soll das denn?” Wieder weggelegt.

Franz Hohler

Franziska Wilhelm: Meine Mutter schwebt im Weltall und Großmutter zieht Furchen

Damit bin ich nach den ersten dreißig Seiten nicht warm geworden, und dann lese ich Bücher nicht weiter. Wobei es nicht so ist, dass mir irgendwas ausdrücklich nicht gefallen hätte, ich glaube das Buch ist vollkommen in Ordnung, womöglich ist es sogar gut. Vielleicht passte es einfach nur gerade nicht.

Franziska Wilhelm

Matthias Wegehaupt: Schwarzes Schilf

Schwarzes Schilf

Bankmitarbeiter wird entlassen und geht aus dem Büro, fährt direkt nach Usedom und mietet sich ein Segelboot, sticht in See, fährt immer weiter aufs Meer hinaus. Redet dabei mit sich selbst. Eigentlich reizvolle Idee, aber schon die Art, wie die Finanzwelt nur als ziemlich schlicht gearbeitete Kulisse und Plastikversion des Bösen in die Geschichte geschoben wird und per Schlagwort hin und wieder Alarm verbreiten soll – “Hegdefonds!” – nein. Ganz so einfach geht das dann doch nicht, finde ich. Wieder weggelegt. Ich hatte aber auch einen ungnädigen Monat, das ist ja furchtbar, merke ich gerade.

Kurt Tucholsky: Schloss Gripsholm

Eigentlich dachte ich, dass der Herr doch wieder in die Zeit passen müsste, gerade mit seinen politischen Texten, aber dann bin ich in der Gesamtausgabe doch wieder erst einmal bei Gripsholm hängengeblieben ist. Weil der Anfang so schön ist.”Gib mal ‘n Kuss auf Lydia!” Hach. Man möchte sich immer noch aus dem Stand ebenfalls in die Dame verlieben, und dann ist es wohl ein gelungener Liebesroman, mehr Beweis braucht es da nicht.

Wolfgang Büscher: Drei Stunden Null – Deutsche Abenteuer

Deutsche Abenteuer

Lohnt sich schon wegen einer bedrückend plastischen Schilderung des Untergangs von Breslau im Zweiten Weltkrieg. Die Geschichte kannte ich so nicht. Und Geschichten aus der Geschichte erzählen, das kann der Herr. Die Umwanderung Berlins fand ich dann eher entbehrlich, dennoch alles gerne gelesen.

Kathrin Passig/Aleks Scholz: Verirren – Eine Anleitung für Anfänger und Fortgeschrittene

Damit bin ich noch nicht allzu weit gekommen. Ich fand allerdings schon auf den ersten Metern etwas irritierend, dass der Stil stellenweise doch sehr nach Sascha Lobo klingt, der an dem Buch aber gar nicht beteiligt war. Nun hat der Herr aber mit der Dame bekanntlich durchaus schon gemeinsam geschrieben, damals. Ob sie dabei stilistisch verschmolzen sind? Man weiß es nicht. Aber auch das ein charmantes Nebenbeibuch.

Verirren

Karl Ove Knausgård: Sterben. Deutsch von Paul Berf

Sterben

Ich bin noch nicht sehr weit, noch unter hundert Seiten, das ist bei dem monströsen Gesamtwerk über mehrere Bände natürlich nicht allzuviel. Ich habe ein paar Rezensionen und Diskussionen gelesen, in denen es länglich darum ging, ob das denn nun Romane sind oder nicht. Da wurden noch einmal Gattungsbegriffe durchdekliniert, da wurde die Wirklichkeit einer Biographie gegen den höheren Zauber der Fiktion ausgespielt, da wurde sogar noch einmal gefragt, was Dichtung denn nun sei – und ich habe nach einer Weile gemerkt, dass mich die Fragestellung gar nicht interessiert. Und mich interessiert auch nicht, ob da auf dem Cover nun dieses Wunderwort Roman steht oder nicht. Ein Buch ist gut erzählt oder nicht. Und es ist gut erzählt.

Oktober – Gedichte. Ausgewählt von Evelyne Polt-Heinzl und Christine Schmidjell

Oktobergedichte

Herrje , jetzt habe ich in der Reihe doch tatsächlich den August und den September ausgelassen, schlicht vergessen. Schlimm! Der Oktoberband ist natürlich erwartungsgemäß erfreulich, der Monat gibt ja wirklich genug her.

Fröstelnd geht die Zeit spazieren.

Was vorüber schien, beginnt.

Chrysanthemen blühn und frieren.

Fröstelnd geht die Zeit spazieren.

Und du folgst ihr wie ein Kind.

Das ist ein Vers aus dem auch in der Sammlung enthaltenen Oktobergedicht von Kästner, die Zeile “Und du folgst ihr wie ein Kind” ist schon erlesen schön, wenn man es recht bedenkt. Wie überhaupt seine Jahreszeitengedichte (Erich Kästner: Die 13 Monate, großartiges Büchlein, ich habe irgendwann schon einmal darüber was geschrieben) ein wunderbarer und schon schmerzlich melancholischer Genuss sind. Man sollte da nicht hineinsehen, wenn man in kippeliger Stimmung ist und womöglich schon Alkohol getrunken hat und keiner da ist, in dessen Arm man sich fallen lassen kann. Es zieht einem sonst eventuell die Schuhe aus, das schmale Werk. Man kann das Buch in Minuten lesen, aber es kann einen für Stunden fertig machen. Kästner in einem anderen Gedicht, “Herbst auf ganzer Linie”:

Das Jahr vergeht in Monatsraten.

Es ist schon wieder fast vorbei.

Und was man tut, sind selten Taten.

Das, was man tut, ist Tuerei.

Wir wollen an dieser Stelle einen auf den ollen Kästner trinken, was? Prost, meine Damen und Herren.

Vorgelesen Robert L. Stevenson: Ein Junge wird entführt

Ein Junge wird entführt

Die Geschichte von David Balfour. Das haben wir uns alle im Auto vorlesen lassen, und zwar in der alten Hörspielfassung des NDR. Die Geschichte kam gut an, sowohl bei den Kindern als auch bei den Erwachsenen. Das Stück wird empfohlen ab acht, Sohn II mit seinen sechs Jahren fand es aber auch super und überhaupt nicht zu schwer. Den Track gibt es übrigens auch komplett auf Spotify. Mir fiel beim Hören zum ersten Mal auf, dass es mindestens zwei Erzschurken in der englischen Literatur mit dem Vornamen Ebenezer gibt, den Onkel von David und natürlich Scrooge. Und beide mit Läuterung kurz vor Schluss. Sollte man selbst Ebenezer heißen, man kann auf ein gutes Ende hoffen.

Joanne K. Rowling: Harry Potter und der Stein der Weisen – übersetzt von Klaus Fritz

Die Meinungen darüber, wann es richtig ist, Harry Potter vorzulesen, gehen weit auseinander. Ich glaube, Sohn I ist mit acht Jahren alt genug für Band 1 und habe also bei der Gelegenheit auch endlich selbst die ersten Zeilen Harry Potter gelesen, ich hatte das bisher nicht einmal in der Hand gehabt. Fantasy interessiert mich einfach nicht. Das liest sich aber doch recht nett, fand ich dann. Wie ein paar Millionen anderer Menschen vor mir auch, schon klar. Ohne Kinder würde ich es dennoch nicht weiterlesen, aber nun, ich habe hier neugieriges Publikum. Ich habe bei der Gelegenheit auch in der Wikipedia etwas über Harry Potter nachgelesen und mich darüber amüsiert, dass ich das in groben Züge alles auch ohne eigene Lektüre schon weiß. Das ist ähnlich wie bei Star Wars, ich habe nie einen Film gesehen, kenne aber die Handlung in groben Zügen und alle wichtigen Figuren. Popkultur, die unweigerlich einfach so in einen hineinsickert, durch Infoschnipsel, Gesprächsfetzen, Trailer, Merchandising … faszinierend, wie gut das funktioniert.

Dagmar Chidolue: Millie an der Nordsee. Mit Bildern von Gitte Spee

Millie an der Nordsee

Es gibt eine ganze Reihe Millie-Bände, Madame ist äußerst reisefreudig. Dieses Buch haben wir tatsächlich vor einer Weile an der Nordsee, in einer Husumer Buchhandlung gekauft. Wenn man Kindern etwas Wissen über Ebbe, Flut, Robben, Krabben etc. vermitteln möchte, und wenn die Kinder etwa sechs oder acht Jahre alt sind – das passt. Liest sich sicher auch gut vor einem entsprechenden Urlaub, hier gab es gerade von den Söhnen den Wunsch, das Buch noch einmal zu lesen. Gute Vorlesekapitellänge, auch immer wichtig. Die Handlung ist eher schlicht, aber die Infohäppchen kommen gut an.

Adam Blade: Beast Quest (1) – Ferno, Herr des Feuers – Übersetzt von Petra Wiese

Beast Quest

Noch eine Fantasy-Saga mit -zig Bänden, allerdings viel leichter zu lesen als Harry Potter und damit theoretisch verlockender für Zweitklässler. Das hat praktisch aber nicht geklappt und wir verzeichnen hier eine wichtige Premiere, bei diesem Buch hat Sohn I nämlich erstmals festgestellt, dass das Buch nicht richtig toll geschrieben ist. Im Vergleich mit Harry Potter etwa. Adam Blade ist in Wahrheit ein Autorenkollektiv, und die schreiben tatsächlich simpel und geradeaus und vorhersehbar – und das merkt man eben auch mit acht Jahren schon. Das haben wir also wieder weggelegt. Und dann doch lieber mit Harry Potter weitergemacht.

Gesehen

Nichts. Macht nichts.

Gehört

Theodor Fontane: Effi Briest, gelesen von Julia Jentsch

Das gibt es auch bei Spotify. Effi Briest mögen viele überhaupt nicht, weil es ihnen von der Schule gründlich verleidet wurde, bei mir ist das Gegenteil der Fall. Ich hatte da in der Oberstufe einen Deutschlehrer, bei dem wir das Buch mit seinen verschiedenen Verfilmungen verglichen haben, was ich ungeheuer interessant fand. Wie kann man eine Geschichte verstehen, wie wird aus einem Text überhaupt ein Bild, war das Bild von dem Dichter auch so gemeint, kann man das wissen und was an dem Text ist eigentlich verbindlich, was darf man mit ihm machen, wenn man interpretiert und in andere Medien umsetzt? Das war das beste halbe Jahr, das ich im Deutschunterricht erlebt habe.

Ich höre ansonsten in der Musik, eh klar, weiterhin altes Zeug, das zu meinen Lindy-Hop-Stunden passt. Wobei es ja so ist, dass man, wenn man die Tanzschritte auch nur halbwegs drauf hat, zu dieser Musik durchaus sehr schwungvoll abgehen kann. Allerdings guckt die Herzdame immer wie Keely Smith, wenn ich etwas lockerer werde, ganz seltsam. Keely Smith war eine Weile lang die Frau von Louis Prima, sie ist in diesem Video links im Bild.

Das liebste Übungsstück zum Tanzen in diesem Monat war aber Bad Leroy Brown, hier in einer Version von Frank Sinatra.

Und was ich bisher gar nicht wusste, es wird auch kaum jemanden interessieren, aber hey, das ist mein Blog, ich kann hier machen, was immer ich will, tolle Sache – was ich also bisher gar nicht wusste: Frank Sinatra und Louis Prima sind zusammen aufgetreten und es gibt Aufnahmen davon. Hammer.

Und wenn man alte Musik hört und Swing tanzt, dann kommt man an Fats Waller nicht vorbei.

Amos Milburn ist auch interessant, da kann man erstaunliche Dimensionen des Lässignebenbeiklavierspiels entdecken, es ist wirklich faszinierend. Der Herr hat etliche Lieder über alkoholische Getränke geschrieben und ging mit einer gewissen Folgerichtigkeit auch an diesen zugrunde, ein wunderbarer Titel ist etwa “One Scotch, one Bourbon, one beer”. Er war ansonsten wichtig für die Entwicklung des Boogies und gilt als Vorbereiter des Rock’n Rolls. Hier ein Lied ohne Alkohol im Titel:

Und sonst noch: Diana Krall, z.B. Wallflower. Schön laid back. oder wie man das nennt. Mir fehlt nur der Kamin zur Musik.

Kleine Szenen (6)

Ich lese Meldungen in den Refugee-Support-Gruppen auf Facebook, da geht es oft auch um den Hamburger Hauptbahnhof. Bei der Deutschen Bahn haben jetzt mehrmals Menschen angerufen und sich beschwert: Wenn die Suppe der Hilfsinitiativen aus dem Stadtteil hier an die Geflüchteten ausgegeben wird, dann bilden die Hungrigen vor dem Versorgungsstand im Zelt auf dem Bahnhofsvorplatz eine Schlange. Und diese Schlange ist anderen Menschen im Weg, die müssen dann nämlich darum herum gehen. Und so geht es ja nun nicht.

Immer wieder fallen mir, wenn ich morgens durch den Bahnhof zu meiner S-Bahn gehe, in den Grüppchen der Geflüchteten, die da hinter den Helfern her zu einem Gleis gehen, Menschen auf, die weniger Gepäck dabei haben als die Hamburger Büroangestellten auf dem Weg zu ihrem Schreibtisch. Und Menschen mit viel Gepäck, also etwa mit einer Menge, die wir nach Mallorca mitnehmen, sieht man fast gar nicht.

Ein kleines Mädchen aus, na, sagen wir Syrien, füttert Tauben vor dem Bahnhof, lacht und freut sich, weil die Vögel tatsächlich kommen und an ihren Krümeln picken, die sie aus einem Brötchen zupft. Gibt es Tauben in Syrien? Ich habe keine Ahnung. Neben dem Mädchen stehen zwei vermutlich deutsche Rentnerinnen, kopfschüttelnd: Taubenfüttern! Das auch noch!

Ein erstaunlich warmer Herbstabend, nachdem es hier schon früh im Jahr ziemlich kalt, nass und gemein war. Aber heute geht man noch einmal entspannter durch den Abend, freundliche elf Grad, überhaupt kein Wind, die Schultern lockern sich wieder, manche laufen ohne Jacke herum. Am Nachmittag war ein merkwürdiges Licht in der Stadt, fahle Sonne, die Herbstblätter leuchteten darin noch heller als sonst, überall Straßen mit Goldrand. Auf dem Bahnhofsvorplatz liegen jetzt am frühen Abend wieder Menschen einfach auf dem Boden und schlafen eine Stunde oder mehr, bis der nächste Zug nach Norden fährt. Manche schlafen da mit ihren Kindern im Arm. Anorak, Mütze, zwei Decken, das geht. Bei diesem Wetter muss man sich nicht für ein paar Stunden ein Dach suchen, ein Zelt, einen Platz in irgendeiner Einrichtung. Man muss niemanden um etwas bitten. Man kann einfach irgendwo ein wenig schlafen. Für den nächsten Tag ist schon wieder Regen angesagt.

Ohne Titel

Ich gehe um die Alster, es ist ein Sonntagvormittag. Dunkle Wolken ziehen über die Stadt. Aber es riecht noch nicht nach Regen, die Luft ist oktoberklar und zwischen den Wolken bricht alle paar Minuten die Sonne hervor, dass die alten Bäume am Alsterufer im Licht plötzlich aufflammen, jähes Gold, unfassbares Rot. Die Alster liegt dunkelblau, darüber Wolken, die sich immer höher türmen. Jetzt ist eine Wolkenlücke mitten über dem Wasser, dass die Sonnenstrahlen wie schräge Säulen zu den Ufern streben, ein kathedralenhafter Anblick wie aus einem völlig überzeichneten Stadtwerbeprospekt. Ein Windhauch geht durch die Bäume, aus deren sachte bebenden Zweigen sich Laub löst, als würde alles auf einmal losgelassen, immer noch mehr und noch mehr kommt da herunter, obwohl es doch nur ein Windchen war. Die Bätter kapriolen durch die Luft, sie lassen sich Zeit bis zur Landung. Der Herbst wirft mit Gold, es regnet maßlose Pracht auf die Spaziergänger, die stehenbleiben und mit offenem Mund nach oben sehen, weil es ein so überaus perfekter Herbstmoment ist. Sie sehen nach oben in die trudelnden Blätter und dann wieder nach vorne über die Alster. Paare rücken enger zusammen, Handyfotos, zeigende Finger, sprachloses Staunen, es ist schön, es ist so schön hier, guck doch mal, wie schön. Ja. Die Menschen gehen weiter, sie gehen langsam durch all die Schönheit, man hat Zeit und ist beglückt. Man trägt neue Herbstmode und sieht aus wie frisch renoviert, die Kulisse ringsum könnte in keiner Oper ansprechender oder üppiger sein und der Wein an den alten Villen im Alstervorland färbt sich auch diesem Jahr wieder äußerst geschmackvoll rot, auch darauf zeigt man. Wie er das immer hinbekommt, so genau richtig rot zu werden, man könnte heute jede Mauer, jedes Blatt und jeden Zaun für so ein Landlustmagazin fotografieren. Von irgendeinem Elend, von irgendeiner Krise sieht man hier nichts, gar nichts.

Ohne Titel

Ein junger Vater kniet in der Wandelhalle neben seinem etwa sechsjährigen Sohn. Sie knien vor einer Steckdose unter einer Treppe, sie laden da ein Handy auf. Vor ihnen liegen noch mehr Handys, ein ganzes Bündel verwirrter Ladekabel. Der Vater erklärt dem Jungen gerade ein Spiel auf dem Handy, der Sohn ist hochkonzentriert und ganz offensichtlich sehr begeistert. Er legt sich auf den Bauch, man sieht seine Aufregung an den wild zappelnden Füßen. Der Vater sieht ihm eine Weile zu, ob auch alles funktioniert, ob der Kleine alles verstanden hat, sagt noch einen Satz, zeigt noch einmal aufs Display, dann steht er auf und streckt sich. Genau wie ich den Söhnen etwas auf dem Handy zeige. Nur nicht mitten im Bahnhof, abends um halb zehn.

Für die Hilfsinitiativen hier im kleinen Bahnhofsviertel kann man weiterhin spenden. Für die Suppe, die den Geflüchteten am Bahnhof gereicht wird, für so elementar Wichtiges wie Trinkwasser, für die Nachtquartiere, für etwas Hilfe auf dem Weg. Spendenbescheinigung auf Wunsch möglich! Vielen Dank.

 

Doppeldank

Gleich zwei Postsendungen haben uns erreicht, wir haben zu danken – und zwar einerseits  der Leserin I. aus Irland für die Oliver-Twist-CD, die Sohn I bereits mit „sehr gut, krasse Geschichte“ beurteilt hat. Mal sehen, ob ich ihm demnächst noch mehr Details entlocken kann.

Oliver Twist (Hörbuch)

Und zum  anderen für den Comic „Q-R-T“ von Ferdinand Lutz, den uns der Leser D. geschickt hat. Mit Begleitbrief in bemerkenswert schöner Handschrift, das gibt’s ja heute kaum noch. Die Besprechung erfolgt im November durch Sohn I, auch wenn ein Buch natürlich kein Elektrospielzeug ist, aber da sind wir flexibel.  

Q-R-T Comic

Ganz herzlichen Dank!

Kleine Szenen (5)

Auf dem Bahnhofsvorplatz steht eine geflüchtete Familie, der kleine Sohn ist etwa drei, vier Jahre alt. Sie sind alle müde und verfroren, der Sohn ist aber so müde, dass er kaum noch stehen kann. Er gähnt unentwegt, die Auge fallen ihm dauernd zu, er steht schwankend und taumelnd hinter seinem Vater. Dabei hält er sich an einem der Riemen fest, die von dessen Rucksack herabbaumeln. Seine Hand klammert sich an diesen Riemen, der Vater steht und spricht mit einem der Helfer vor den Versorgungszelten. Er tastet ab und zu nach hinten, ob der Junge noch da ist, streicht ihm kurz übers Haar. Der Junge lehnt den Kopf an den zum Vater hochgereckten Arm und macht die Augen kurz zu, wieder auf, wieder zu, dann bleiben sie erst einmal zu. Der Winterjackenärmel ist weich wie ein Daunenkissen, er würde so gerne schlafen, sicher hat er schon viel zu lange nicht mehr geschlafen. Er schreckt zusammen, wenn sein Arm sinkt, wenn seine Finger sich vom Riemen lösen, den er immer weiter umklammert, ganz, ganz fest. Der Vater geht weiter, hinten auf dem Platz wird Kaffee ausgegeben. Der Kleine trottet hinterher, immer dem Vater nach, dem Rucksack nach, dem Riemen nach, dem eigenen Arm nach, dabei muss man die Augen gar nicht lange aufmachen, immer nur hinterher, er kann mit geschlossenen Augen gehen, er ist so unendlich müde. Es ist schlimm, nicht schlafen zu können, aber es ist noch schlimmer, diesen Riemen loszulassen, durch den er mit seinem Vater verbunden ist, mit den Geschwistern, mit der Familie. Wer weiß, was alles weg ist, wenn er auch nur kurz loslässt.

Ich gehe mit Sohn I am frühen Morgen aus dem Haus, er muss zur Schule, ich ins Büro, wir gehen ein Stück gemeinsam. An einer Hauswand sehen wir ein neues Graffiti, es ist ein ungelenk gesprühter Schriftzug PKK, daneben Hammer und Sichel in der gekreuzten Version, an die man sich als Erwachsener noch dunkel erinnert. Der Sohn fragt etwas erstaunt, ob das Zeichen da ein Buchstabe sei, den würde er ja gar nicht kennen. Ich erkläre ihm die Sache mit dem Hammer und den Arbeitern, mit den Bauern und der Sichel. Er fragt weiter und weiter nach, wir kommen irgendwie auf Monarchie und Revolution und Republik und Kommunismus, auf absolute Herrscher, hungernde Weber und Arbeiter, reiche Fabrikanten und Gutsherren. Es ist ganz erstaunlich, wie viele Themen auf wenige Meter Schulweg passen, wenn jede Antwort immer noch eine Frage erzeugt. Im baufälligen Gemäuer meiner Allgemeinbildung zieht es bei dem Gespräch allerdings eiskalt durchs morsche Gebälk, hier und da wackelt ein Ziegel, und es wird reichlich Staub in lange verschlossenen Kammern aufgewirbelt. Ich denke hektisch nach, wer war wann und was, was kam wovon und seit wann ist das eigentlich so und wie kann ich das erklären, kann ich überhaupt irgendwas erklären? Wie war das denn damals noch im Schulbuch? Und was hat das mit heute zu tun, mit der PKK in der Türkei, mit den Parteien in Deutschland? Der Sohn und ich landen kurz vor dem Schultor bei den Rechten und den Linken, ich erkläre ihm, wieso die so genannt werden und dass es damals, als das alles in Frankreich anfing, um ganz andere Themen ging, zumindest auf den ersten Blick. Auf den zweiten vielleicht schon nicht mehr. Oder? Europa diskutiert gerade wieder über Grenzen und es ist der Tag mit dem Beschluss zur Vorratsdatenspeicherung in Berlin, das Volk im Generalverdacht. Im Grunde ist es ein schlechter Witz, wie alles zusammenhängt. Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten, man möchte direkt lossingen. Ich höre mich über geschichtliche Zusammenhänge reden, ich müsste aber selbst mal wieder dringend darüber nachdenken. Vielleicht wäre es angebracht, wieder in ein Geschichtsbuch zu sehen, man sollte sich nichts auf sein Halbwissen einbilden. Der Sohn fragt nach den Rechten und den Linken, er findet es blöd, dass die Rechten böse sind. Denn als Rechtshänder findet er rechts eigentlich okay. Es wäre ihm lieber, wenn man die Rechten die Linken nennen würde.

Die Söhne reden beim Einschlafen über Flüchtlinge, über die Spendenaktionen bei Edeka und Budni. Die Lage am Bahnhof ist hier dauernd Gesprächsthema, weil man die Menschen vor unserer Haustür nun einmal nicht übersehen kann. Sohn II sagt: “Man kann für die Flüchtlinge Sachen kaufen und dann spenden. Aber wenn man alles klauen würde, das wäre mehr Robin Hood.”

Ich gehe mit der Herzdame auf den verregneten Wochenmarkt und frage Händler mit wetterbedingt novembriger Laune nach Gemüsespenden für die Suppenaktion. Für die Welcome Soup St. Georg, die hier von Eltern und anderen jeden Tag hundertliterweise zubereitet wird, damit die durchreisenden Flüchtlinge am Bahnhof etwas Heißes essen können. Da muss man sich schon ein wenig überwinden, einfach so fragen zu gehen, das macht man sonst nicht. Können wir den Chef sprechen? Können Sie noch einmal etwas spenden? Für die Suppenküche? Bitte? Lächeln, weiter lächeln, fragende Blicke aushalten, die Herzdame kann das viel besser als ich, das ist nichts für mich. Aber die Händler machen mit.

Ich gehe abends über den Steindamm, ich habe hier schon einmal über diese Straße geschrieben, die nicht wie andere Straßen ist. Es ist kalt und es regnet, ich habe eine Mütze und eine Kapuze auf, ich sehe wie durch einen Tunnel, immer nur einen schmalen Ausschnitt der Straße im Blick. Nasses Gemüse und Obst in Auslagen ziehen durchs Bild, viel mehr Sorten als in jedem deutschen Supermarkt, die Schilder daran handgeschrieben in verschiedenen Sprachen, etliche versteht man nicht, einige sind längst im Regen verlaufen. Es gibt in diesen Läden Gemüse, das ich noch nie gegessen habe, eingeflogen aus Afrika oder Indien oder woher auch immer. Riesige Früchte, auf deren Namen ich nicht komme, und seltsames Grünzeug, was ist das, Tang? Irgendwelche Schlingpflanzen? Keine Ahnung. Türkische Imbisse, einer nach dem anderen, immer noch einer, Läden nur für türkisches Gebäck, Regalmeter um Regalmeter nichts als Kekse und Kuchen. Dann ein afghanisches Restaurant, ein indischer Laden, es gibt noch kein Restaurant mit syrischem Essen. Das wird aber sicher nicht mehr lange dauern, und die syrische Küche soll gut sein. Diese Straße ist wohl das, wovor die Demonstranten in Sachsen und anderswo solche Angst haben, diese Straße sieht nicht aus wie die durchschnittliche Einkaufsstraße in einer deutschen Kreisstadt. In dieser Straße kann man gut einkaufen.

Im Drogeriemarkt im Hauptbahnhof stehen drei vermutlich arabische Männer vor dem Regal mit den hundert Sorten Zahnpasta. Einer hält eine Packung in der Hand, die anderen sehen ihm über die Schulter, während er das Ding hin und her dreht und versucht, etwas darauf zu entziffern. Sie sprechen kein Englisch und kein Deutsch und kein Französisch, helfen kann ich ihnen nicht, wobei ich auf Französisch auch nur sinnlose Sätze wie etwa “es ist kalt heute” und “der Bahnhof ist groß” sagen könnte. Die Männer sehen auf die Packung, schütteln den Kopf, sie wissen nicht recht. Einer greift nach der nächsten Packung. Die ist genauso rätselhaft. Sie diskutieren leise, sie sehen alle Packungsseiten an, sie sehen sich an, sie kommen zu keinem Schluss. Es ist schwer. Alles ist schwer.

Für die diversen Hilfsgruppen in unserem kleinen Bahnhofsviertel kann man weiterhin spenden. Geld für eine heiße Suppe, für ein Nachtlager im Stadtteil, für etwas Versorgung der Menschen auf der Flucht.