Kurz und klein

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Gerade wenn man älter wird, muss man sich genau beobachten, denn so viele werden leicht irre, wenn sie älter werden. Sie werden schrullig, seltsam, wunderlich, jeder kennt reihenweise Beispiele von älteren Verwandten, Freunden, Kollegen, sie sind überall. Diese seltsamen Vögel, hinter deren Rücken man milde den Kopf schüttelt. Möchte man da dazugehören? Möchte man, so viele Jahre nach dem letzten Schulbesuch, doch wieder verhaltensauffällig werden?

Na, ganz sicher doch. Aber bitte nur in dieser romantischen Version der leicht exzentrischen, dennoch unbedingt charmanten Art, die man aus freundlichen Filmen und amüsanten Romanen kennt, das ist ganz wichtig. Ich werde heute 49, ich werde nächstes Jahr 50, da heißt es also achtsam zu sein und ggf. auch den Anfängen zu wehren. Und nur jene schräge Dinge zuzulassen, die in den eigenen Plan dieses leicht exzentrischen, aber doch genau richtigen Verhaltens bei beginnender Seniorität passen. Ich zum Beispiel interessiere mich seit diesem Jahr überhaupt zum ersten Mal im Leben für das Thema Reisen, das finde ich aber inhaltlich okay, damit kann ich noch prima leben. “Mein Mann geht jetzt öfter vor die Tür.” Klar, das kann man machen.

Ich habe mich, da wird es dann schon entschieden seltsamer und spannender, gerade auch für meinen ersten Lindy-Hop-Kurs angemeldet, das geht demnächst los. Der zweite Frühling, oder wo ist man da überhaupt in der Zählung? Galoppierende Torschlusspanik?

Die Herzdame tanzt Lindy Hop sehr, sehr gut, sie macht das schon seit über zwei Jahren. Da habe ich einiges aufzuholen, wenn mir das denn überhaupt gelingen kann. Bis dahin gehen wir eher zu verschiedenen Events, das spart auch den Babysitter, man muss die Vorteile sehen. Und besser getrennte Tanzkurse als überhaupt keine offene Beziehung?

Tatsächlich kam es so: Immer, wenn ich die Herzdame zu ihren Kursen oder Partys begleitet habe, fand ich es etwas seltsam, dass die da alle zu meiner Musik tanzen. Und es kam mir mit der Zeit immer unpassender und geradezu ungeheuerlich vor, dass die sich da alle zu dieser Musik, die ich doch schon mein Leben lang gerne und dauernd höre, elegant und passend und lässig bewegen können – und ich überhaupt nicht. Und da ich mich sportlich sowieso nicht zu etwas anderem durchringen kann und auch nach langem, langem Nachdenken so gut wie alle Sportarten doof finde, langweilig und desaströs uninteressant, gibt es hier also in Kürze, nach einer dezenten Pause von acht Jahren, doch wieder Tanzcontent. Es ist in der Tat ein wenig her, dass die Herzdame und ich uns mit Standard-Latein abgemüht haben, aber ein paar Stammleser werden sich doch noch erinnern, nehme ich an.

Da wir damals aufgehört haben, gemeinsam zu tanzen, als der Bauch der schwangeren Herzdame sie aus den ersten Kurven beim Jive getragen hat, kann man das zeitlich leicht bestimmen, da muss ich nicht einmal nachrechnen. Acht Jahre. Doch so viel. Ich weiß nicht, wie lange es dauern kann, bis wir wieder gemeinsam auf eine Tanzfläche gehen, bis ich also wieder halbwegs mit ihr mithalten kann, aber es ist wohl doch damit zu rechnen. Das soll dann so aussehen. Also in etwa. Grobe Richtung.

Ich mische also wieder einmal ein neues Themenfeld ins Leben und selbstverständlich auch ins Blog. Ich laufe schon seit Wochen mit der passenden Mütze zum Swing herum, denn man muss ja immer vorne anfangen, und ich finde die Szene auch modisch übrigens sehr sympathisch. Aber ist das noch okay? Oder werde ich schon drollig?

Ich denke ernsthaft drüber nach. Aber so lange noch keine Harley vor der Tür steht, komme ich mit meinem Selbstbild noch ganz gut zurecht, glaube ich.

Nachtrag: Allerdings hat mir die Herzdame zum Geburtstag ein Longboard geschenkt, quasi die Harley unter den Boards. Es ist kompliziert.

Die Herzdame backt: Eierlikörkuchen vom Oberglunigerhof

Herzdame

Auf dem Oberglunigerhof in Südtirol gab es jeden Morgen zum Frühstück unter anderem gleich zwei selbstgebackenen Kuchen, wie überhaupt, ich erwähnte es bereits, das Frühstück dort super war. Unter diesen Kuchen war auch ein Eierlikörkuchen, der uns besonders gut schmeckte, er sah außerdem überhaupt nicht kompliziert aus. Die Herzdame hat Frau Platter, die Chefin des Hofs, um das Rezept gebeten, das sie uns dann mit der Hand eben notiert hat, ich weiß nicht, woher es ursprünglich stammt.

Der Kuchen ist in der Tat ganz einfach, aus Sicht von Frau Platter, die jeden Tag backt, sogar so einfach, dass auf dem Rezept, direkt nach den Zutaten, als Handlungsanweisung einfach steht: “Kuchen backen”. Über diese Textstelle im Rezept freue ich mich schon seit Wochen. Man stelle sich das in Kochbüchern oder -Apps vor, erst eine ellenlange Zutatenliste und dann darunter ganz lapidar: “Gericht kochen”. Ist das nicht wunderbar?

Herzdame an Backofen

Auf Nachfrage erfuhren wir dann natürlich noch die richtige Backzeit und die Temperatur – unter Menschen, die wirklich aus dem Handgelenk backen können, braucht man solche Angaben vermutlich gar nicht. Aber wir sind ja nur Laien, wir können hier nur Sachen ablesen und nach Vorgabe zusammenwerfen. RaspelschokoladeWir brauchen:

80 Gramm Butter

100 Gramm Zucker

5 Eier

200 Gramm gemahlene Mandeln

100 Gramm dunkle Raspelschokolade

1 TL Backpulver

2 Esslöffel Rum

1 Gläschen Eierlikör

Rum und Eierlikör

Durch dieses Rezept haben wir jetzt auch Rum im Haus, und sogar die Marke, die es schon in meiner Kindheit gab. Dann kann es bei uns im Herbst also endlich einmal Grog geben! Das habe ich schon seit Jahren immer wieder vorgehabt und doch immer wieder verpasst. Mein Lübecker Bruder schreibt im Herbst und im Winter ab und zu etwas vom Grog, den er gerade trinkt, dann denke ich jedesmal, das mache ich auch bald, habe dann aber keinen Rum im Haus, denke, den müsste ich mal kaufen und zack, ist es schon wieder Frühling. Aber in diesem Herbst! Es wird mir ein Fest. RumIch schweife ab, pardon. Wir waren bei: “Kuchen backen”.

Herzdame an Rührschüssel

Und zwar, nachdem man die Zutaten verrührt und in eine gefettete Springform gegeben hat, bei 170 Grad für 35 Minuten, es ist tatsächlich pappeinfach. Bitte nur beachten, die Schokolade erst ganz zum Schluß einzurühren. Herzdame an TeigEin Kuchen für jederzeit also, für ganz schnell, für immer wieder. Wenn auch nicht für Kinder, aber irgendwas ist ja immer.

Herzdame an Rum

Bleibt noch die Frage, was denn nun “ein Gläschen” ist, also welche Größe das hat. Was meint die Südtirolerin, wenn sie von Gläschen spricht, was hat sie da im Sinn? EierlikörUnd ist es vergleichbar mit dem Gläschen einer Nordostwestfälin oder dem eines Hanseaten? Wir haben uns nach längerer Diskussion vor dem Küchenschrank für etwas deutlich über Schnapsglas entschieden, und geschmacklich scheinen wir da auch richtig zu liegen.

Eierlikörkuchen

Der Kuchen schmeckt, obwohl er so einfach ist, ganz hervorragend, er ist sehr fluffig und doch reichhaltig, wir haben ihn jetzt schon dreimal gemacht, das sagt ja auch etwas aus. KuchenFrau Platter hat ihn nach dem Backen mit Sahne und Eierlikör verziert, wir haben ganz banal Puderzucker genommen – noch einfacher.

Sehr guter Kuchen

Und warum haben wir die Rezepte für die anderen Kuchensorten nicht mitgenommen? Schlimm! Herzdame

 

Roter Hahn

Und überhaupt: Berge

Meran2000 Wegweiser

Wenn man in die Berge reist, also etwa nach Südtirol, dann gibt es im Vorwege nicht nur die schon besprochene Zwangsreaktion “Festes Schuhwerk!”, nein, es gibt auch noch eine andere Reaktion. Bei einem gar nicht so kleinen Teil der Freunde und Bekannten stößt man mit solchen Reisen nämlich auf komplettes Unverständnis und auf Abwehr.Weil die Berge im Weg herumstehen, weil es da eng ist, weil man Platzangst bekommt, nicht wieder weg kommt, man fühlt in den Gespächen manchmal geradezu, wie die Berge manchen Menschen seelisch auf die Pelle rücken. Als hätten sie ihre Kindheit in engen und dunklen Tälern verbracht. Dabei kommen diese Menschen aus Lübeck oder Minden oder Rostock. Seltsam.

Ich war vor dieser Reise aber noch nicht in den Bergen, zumindest von kurzen Ausflügen abgesehen, ich wusste also gar nicht, wie ich das da finden würde. Die Herzdame war eher skeptisch, schon wegen der Schuhsache, die Söhne fanden die Berge aber bereits als Idee super, denn Berge, darauf müssen wir noch zurückkommen, klingen immer nach Klettermöglichkeiten. Ich war einfach neugierig. Und ich habe dann, auch mit dem Gedanken an die Gespräche vor dem Urlaub, genau darauf geachtet, wie die Berge nun sind. Wie sie auf mich wirken, wie das mit den Beklemmungen ist, mit der Masse von Stein, die da einfach so im Weg herumliegt. Wobei genau das auch der Punkt ist, den ich eher nicht nachvollziehen konnte. Ich fand, die Berge sahen nicht nach “im Weg” aus, eher einfach nach Wegen.

Und zwar nach vielen und interessanten Wegen, nach spannenden Wegen, ich habe das vermutlich auch ein wenig aus der Perspektive der Söhne gesehen. Man sieht auf die Berge und man sieht all die Straßen, Feldwege, Pfade, Wälder, Höfe, Wiesen, die da an die Hänge drapiert worden sind, und das sieht, zumindest in Südtirol, doch sehr einladend aus. Und nicht unüberwindlich, das schon gar nicht, man sieht ja, dass die Berge dauernd überwunden werden. Von Wanderern, Radfahrern, Autos, es bewegt sich dauernd etwas über diese Berge und Hänge da.

Die Berge sehen für mich eher so aus, dass man neugierig wird. Das ist so eine Art Kinderneugierde, da merkt man den inneren Siebenjährigen, der das alles recht aufregend und abenteuerlich findet. Wie es wohl nach der nächsten Kurve ausssieht? Nach dem nächsten Wald? Hinter der Biegung dieses Bewässerungsgrabens, nach dem Weinberg da? Kann man den Hang da hochklettern, den Baum, den Skilift? Und dann? Wo ist man dann? Und kann man nicht noch höher? Ich fand die Berge viel abwechslungsreicher, als ich sie mir vorgestellt hatte, ich fand sie auch einladender und auf eine ziemlich bezaubernde Art wimmelbuchmäßig unterhaltsam. Das ging auch der Herzdame so, wir waren beide etwas überrascht von der fortgeschrittenen Hübschigkeit der Landschaft.

Und so vieles, was da gefunden werden kann. Mehr jedenfalls, als man in ein paar Tagen schaffen kann, wir reisten mit dem deutlichen Gefühl wieder ab, überhaupt nicht fertig mit der Gegend zu sein.

Und wäre es nicht so heiß gewesen, ich hätte schon Lust gehabt, überall länger herumzulaufen, auch völlig ziellos. Man braucht ja gar kein Ziel, wenn man nicht sieht, wie der Weg nach fünf Gehminuten weitergeht. Das ist ein wenig wie ein Spaziergang durch eine fremde Stadt, da kann man sich auch so treiben lassen, von Ecke zu Ecke, von Viertel zu Viertel, es könnte überall gleich etwas kommen, was man interessant findet.

So ähnlich kam uns das in Südtirol vor. Nicht eng, das ist nicht einmal anähernd das richtige Wort. Es war eher interessant verwinkelt.

Tatsächlich fand ich es da sogar so interessant, dass mir in dieser Landschaft sehr viele Ideen kamen. Ich hatte zwar Urlaub, aber Projektideen am laufenden Band. Geschichtenideen, Artikelansätze und so weiter, ich hätte da auch tausend Bilder machen können, Interviews und was weiß ich, ich hatte sogar wieder große Lust, etwas zu zeichnen, ich fand die Gegend wirklich anregend. Mir fiel dort dauernd ein, was ich alles machen könnte.

Direkt nach der Südtirolreise waren wir auf Eiderstedt an der Nordsee. Das ist das landschaftliche Gegenteil, die Antithese zu den Alpen. Oben enorm viel Blau, unten ein schmaler grüner Strich, zack, fertig ist die Landschaft. Da kommt man zur Not mit nur zwei Pinselstrichen aus, und der Eiderstedter guckt das Bild an und sagt: “Ach guck, die Heimat”. Guckste nach links, siehste meilenweit gar nichts, guckste nach rechts, sieht es auch so aus, so ist das da, und irgendwo ein Leuchtturm. Das ist eine sehr klare Angelegenheit, das schafft Luft im Kopf. Und dort fiel mir dann dauernd ein, was ich alles lassen könnte. Auch recht, gar keine Frage.

Westerhever

 Für eine vernünftige und gründliche Studie dieser Effekte müssten wir im nächsten Jahr eigentlich in umgekehrter Reihenfolge erst nach Eiderstedt und dann direkt nach Südtirol reisen, um zu sehen, was das so herum seelisch bewirkt. Und dann die beiden Jahresergebnissse vergleichen, den jeweiligen Output und die Kennziffern für Produktivität, Kreativität … kennen Sie eigentlich dieses seltsame Gefühl, wenn Aspekte des Berufs manchmal so ins Private hineinragen? Das ist auch nicht immer schön. Aber wenn ich hier schon beim Controlling lande, dann sage ich im nächsten Text etwas zu den Preisen in Südtirol. Und in Hamburg.

Roter Hahn

 

12 von 12 im August

(Am 12. eines Monats wird der Tag in 12 Bildern dokumentiert, Sammelstelle für alle Beiträge dieser Art wie immer hier.)

Die Kinder sind bei den Großeltern, das passiert bei uns nur selten, ein wirklich ungewöhnlicher Zustand. Da kann man also Sachen machen, die man sonst nicht macht, das verschafft einem ein wenig mehr Spielraum und Freiheit, sollte man meinen. Gestern Abend war ich daher nach 20:00 noch draußen, also nach der regulären Kinderinsbettzeit. Überascht festgestellt, dass draußen um diese Uhrzeit noch alles voller hellwacher Erwachsener ist, die Geschäfte noch aufhaben und die Straßencafés noch voll sind. Interessant! Und ich kann die ganze Woche da mitspielen!

Tatsächlich spielt der Alltag da aber leider nicht mit, Termine wachsen auch ohne Kinder einfach aus dem Boden. Das Büro hat mich auch wieder gebucht, und so ein Beruf stört die Freizeitgestaltung doch ungemein. Von ungeahnten Möglichkeiten kann also gar keine Rede sein. Aber! Es gibt doch etwas! Denn, und das ist wirklich großartig, ohne Kinder an der Hand kann ich draußen endlich einmal so schnell gehen, wie ich will. Also sehr schnell. Ich habe seit sieben Jahren das Gefühl, immer mindestens ein Bleigewicht hinter mir herzuziehen, bei fast jedem Gang. Das gehört zu den Sachen, an die ich mich als Vater tatsächlich nie gewöhnt habe, es macht mich immer noch wahnsinnig, langsam zu gehen. Also bin ich heute ohne Kinder in Roadrunnergeschwindigkeit aus dem Haus und los, ich grüßte langsamere Passanten mit einem frohgemuten “MEEEEPMEEEEP!”, wurde aber nur seltsam angesehen. Schlimm.

Schuhe auf Pflaster

 

Außerdem konnte ich mir, das ist auch wichtig, ohne Kinder beim Bäcker kaufen, was ich wollte, wie so ein Erwachsener. Ohne Ausreden, ohne Geheimnisse, ohne pädagogisch wertvolle Tiraden. Schokobrötchen – und niemand bekam etwas ab. Es sind die kleinen Freuden!

Schokobrötchen

 

Auf dem Weg zur Arbeit dieser Mülleimer, dieser wunderbare und sehr deutsche Mülleimer, den ich eigentlich noch ein zweites Mal hätte fotografieren müssen. Nämlich am Mittag. Aber da standen, kein Witz, schon drei andere Handyfotografen davor und machten Bilder, denn im Laufe des Vormittages hatten Passanten recht kunstvoll Müll auf dem Deckel gestapelt, Schachtel auf Becher auf Schachtel auf Dose, ein Gesamtkunstwerk, wirklich sehr, sehr ordentlich. Hamburg bleibt ganz gewiss sauber.

Mülleimer

 

Die Herzdame war heute auch nicht da, sie ist im Krankenhaus und schlägt sich seit mittlerweile zwei Tagen mit einer eigentlich eher harmlosen Zahn-OP herum. Die Geschichte ist so absurd, die müsste sie tatsächlich selbst einmal verbloggen. Nebenffekt: wer nicht da ist, der macht keine Unordnung. Keine Kinder, keine Frau, die Wohnung sieht hier aus wie geleckt. Detail Kinderzimmer:

Kinderzimmer, aufgeräumt

 

Ich schaffte am Nachmittag immer noch weitere Ordnung, auch die Küche wurde auf Vordermann gebracht. Hier liegt jetzt alles korrekt im Schrank oder im rechten Winkel oder in Reih und Glied, es ist ein Traum.

Ordentliches Obst

 

Weil alles so ordentlich war, traute ich mich aber nicht mehr, etwas zu machen. Ich hätte ja Gegenstände verschieben oder schmutzen können. Allein der Gedanke! Außerdem fehlten mir allmählich die Söhne und die Herzdame, ich bin das nicht gewohnt, so ohne Familie. Ich saß also nur etwas ideenlos herum und sah die Wand an. Schöne Wand immerhin, machte auch einen aufgeräumten Eindruck. Sehr gut.

Wand

 

Eigentlich hätte ich ich weiter an der Südtirolreise und überhaupt noch mehr über den Urlaub schreiben müssen, in dem ich mich selbst übrigens erfolgreich dazu bekehrt habe, dauernd alles mit der Hand zu notieren. Das habe ich tatsächlich den ganzen Urlaub über durchgehalten, das ist interessant. Es stimmt nämlich, dass man sich Dinge besser merken kann, wenn man sie mit der Hand notiert, auch ohne sie später nachzulesen. Aber davon abgesehen gibt es deutlich mehr zu erzählen, wenn man sich Notizen im Alltag macht. Das mache ich jetzt also so weiter. Theoretisch. Notizen aus den letzten drei Tagen: keine einzige. Da muss ich wohl wieder erst streng mit mir werden.

Notizbuch

 

Zwischendurch erfuhr ich, dass die Herzdame noch eine Nacht im Krankenhaus bleibt. Es wurde immer seltsamer, so ganz ohne Familie. Zog kurz in Erwägung, die Bügelperlen einfach mal selbst auszukippen, einfach für das vertraute Gefühl.

Bügelperlen

 

Schlimm. Darauf ein Trostbier.

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Dann telefonierte ich mit den Söhnen und fragte, wie sie sich bei Oma benehmen. Nach längerer geflüsterter Diskussion einigten sie sich auf “wir sind ganz okay”, mit einem sehr, sehr leise nachgeschobenen “meistens”.

Telefon

 

Zeit für den Abendspaziergang, der Schrittzähler war noch unter 10.000, das ging natürlich nicht, das muss auch seine Ordnung haben. Beim Herumlaufen wieder festgestellt, dass es an der Alster schon auch ganz hübsch ist.

Alster

 

Und gleich dann mit Buch ins Bett. Gutes Buch übrigens, sehr angenehm erzählt, es geht um Schweizer mit ziemlich besonderen Lebensläufen. Sehr fluffige Lektüre. Aber ganz ohne Störung durch die Familie zu lesen – ich weiß ja nicht. Das ist irgendwie nicht mehr mein Ding.

Alex Capus: Himmelsstürmer

 

 

Kurz und klein

Schloss Lebenberg in Tscherms/Südtirol

Die Urlaubsberichte hier haben sich etwas verzögert, da wir zwischendurch auf Eiderstedt waren. Auf der Halbinsel Eiderstedt in Nordfriesland gibt es so viel Netz wie auf dem Mond, vielleicht auch etwas weniger, es würde mich überhaupt nicht wundern. Weswegen der Urlaub hier im Blog immer noch mit Ladehemmung beim zweiten Tag Südtirol hängt und ich jetzt eine kleine Aufholjagd starte, um irgendwann auch wieder in der Gegenwart anzukommen.

Wobei nach Südtirol aber natürlich noch Eiderstedt gewürdigt werden muss, wie auch überhaupt besprochen werden muss, was so gegensätzliche Reisen direkt nacheinander nun bedeuten. Sind wir jetzt auf Normalnull? Oder völlig verwirrt? Es ist, das kann ich vorwegnehmen, kompliziert.

Schloss Lebenberg Tscherms

Das Schloss Lebenberg also, um wieder im Süden fortzusetzen, das uns bei der Anreise in Tscherms so transsilvanisch anmutend im Abendlicht entgegenleuchtete, es sah im Vormittagssonnenschein gar nicht mehr sehr beeindruckend aus. Etwas kleiner als gedacht. Etwas weniger spektakulär. Und gar nicht unheimlich. Das war ein Schloss, von dem man, wenn man direkt davor stand, gar nicht mehr so viel erkennen konnte. Mauern eben, gar nicht mal so hoch, nicht einmal aus Kindersicht. Ein weiter Blick ins Tal von den Zinnen des kleinen Vorhofs, der Blick war wirklich gut. Aber guten Blick hatte man da am Berg von überall, dafür brauchte man eigentlich gar kein Schloss. Eine kleine Tür, ganz unscheinbar, da stand etwas dran. “Nächste Führung um 11:45”, das konnte Sohn I uns vorlesen. Mit der Hand geschrieben, Kreide auf Tafel, saubere Handschrift. Ein leerer und schmuckloser Vorraum, da warteten noch zwei Touristen. Sitzen und warten also, immerhin nur zehn Minuten, da hatten wir Glück.

Dann ging die Tür zum Inneren des Schlosses endlich auf, langsam ging sie auf, und natürlich, sie knarrte ein wenig, das konnte auch gar nicht anders sein. Ein alter Mann kam heraus, er ging ganz langsam, er hatte alle Zeit der Welt. Aus Sicht der Söhne war er uralt, versteht sich. Er sah uns an, er sah die anderen beiden Wartenden an, er wirkte ein wenig, als würde er überlegen, ob sich eine Führung für uns denn auch lohnen würde. Sahen wir überhaupt interessiert genug aus? Er guckte eine Weile von Besucher zu Besucher und nickte schließlich. Dann beugte er sich zu den Söhnen, sah sie auch lange an, beugte sich dann ein wenig zu ihnen hinunter und fragte endlich höflich und mit leiser Stimme, in einem etwas leierndem Tonfall, den man wohl unweigerlich annimmt, wenn man schon Tausende von Menschen durch ein Schloss geführt hat und immer wieder gleichförmige Sätze von sich gibt, jeden Tag, immer noch einmal: “Was wünschen die jungen Ritter? Was ist Euer Begehr?”

Und damit hatte er sie. Von diesem Moment an hörten sie ihm gebannt zu, ganz egal, ob er während der Tour durch das Schloss von längst ausgestorbenen Adelsgeschlechtern sprach, von der Renaissance, von Schlossgeistern, Hieb- und Stichwaffen, gotischen Schränken, dem Rokoko oder mitttelalterlichen Fresken. Immer wieder wandte er sich während der Führung an die Jungs, sprach sie direkt an, ohne seine Erwachseneninhalte dabei abzuwandeln, aber er nannte doch immer wieder ihre Namen, die er freundlich erfragt hatte, er wies sie immer wieder leise und nebenbei darauf hin, womit sie später in der Kita und in der Schule vielleicht angeben könnten. Die Söhne waren hingerissen und fühlten sich sehr ernstgenommen. Man durfte im Schloss natürlich nichts anfassen und auf nichts herumturnen, es war zur Abwechslung einmal überhaupt kein Problem. Sie liefen lammfromm dem alten Mann hinterher, der so viel über das Gemäuer zu berichten wusste. Und das sind so die Überraschungen im Urlaub, Man denkt vielleicht, ach, Besichtigung nur mit Führung, wie langweilig ist das denn? Innen auch noch Fotoverbot? Muss das denn? Und dann ist es eine großartige Stunde, die man hinterher nicht missen möchte. Und von der die Söhne noch wochenlang reden werden.

Das Schloss Lebenberg ist in Reiseführern gar nicht so prominent, ich möchte dennoch dazu raten, es zu besuchen. Es ist ein immer noch bewohntes Schloss, aber der Teil, den man mit Führung besichtigen kann, ist rappelvoll mit Kunst und schon hinter der ersten Tür steht man vor ganz unvermuteter Pracht. Man fühlt sich dem gegenüber ohne Anke Gröner etwas hilflos, aber da muss man durch. Kunst aus etlichen Jahrhunderten, das Schloss ist alt. Und ohne dass ich es erklären könnte, man hat ja schon etliches an Kunst im Leben gesehen – das waren Stücke, die mich ansprachen. Das war eine Gesamtauswahl, die mir Geschichten erzählen wollte, das waren redende Dinge. Manchmal sagt einem ein ganzes Museum nichts, manchmal spricht eine kleine Sammlung Bände. Schloss Lebenberg Tscherms

Bei den Beschreibungen muss ich ohne Bilder auskommen, Fotos konnte man nur im Innenhof machen. In der kleinen Kapelle hängt in einem Fenster ein Bild des aufgebahrten Jesus. Es hängt seit Jahrhunderten vor einem Nordfenster, es wurde nie restauriert. Der Jesus leuchtet aber bis heute golden, einfach durch das Tageslicht, das durch ihn fällt, und er leuchtet so golden, als wäre es eine höchst effektvolle und sehr moderne Lichtinstallation. Er strahlt aus sich, man möchte wetten, dass dahinter etwas leuchtet, etwas ganz Starkes sogar – aber da ist nichts, nur der taghelle Norden. Auf die Gläubigen früherer Generationen muss das Bild mächtig Eindruck gemacht haben.

Ein gotischer Schrank steht da in einem Saal, gotische Schränke sieht man selten, man hat eher die Truhen aufbewahrt. Gotische Truhen kennt vermutlich jeder, gotische Schränke nicht unbedingt. Und, es kommt einem etwas irre vor, der Schrank sieht so absurd modern aus, den könnte man auch im Stilwerk in Hamburg bestellen, der ist allerneuestes Design. Etwas roh, etwas unbehauen, etwas schräg, urwüchsiges Holz mit deutlicher Maserung. So etwas sieht man in Modern-Living-Magazinen, das nimmt man bei der Homestory eines Architekten nebenbei wahr, das steht da im Arbeitszimmerhintergrund oder auf irgendeinem Instagrambild aus einem Coffeeshop in New York. Wir standen eine ganze Weile kopfschüttelnd vor dem Schrank, der Schrank war unglaublich.

Daneben ein Klappbett. Man muss nicht glauben, Klappbetten seien eine Erfindung von Ikea, Klappbetten sind uralt. Und das Prinzip ist immer gleichgeblieben, nur die Nupsis verändern sich vermutlich stetig und passen dann nicht mehr. Das war damals schon schlimm, es ist heute noch genau so schlimm.

Ein Reisebett aus dem Mittelalter, und man sieht den designgeschichtlichen Weg zur faltbaren Campingliege deutlich vor sich, wie in einem Bilderbuch der Möbelgeschichte. Man sieht aber auch die Knechte, die das Trumm damals tragen mussten. Und den Familienvater, der heute fluchend das Campingzubehör im Kombi verstaut.

Beim Verlassen eines Saals drückte der Schlossführer die Klinke der Tür betont langsam, dann drückte er sie noch einmal und noch einmal, bis alle es gesehen hatten – das Schloss der Tür war feinste Schmiedekunst, uralt. “Nie repariert”, sagte der Schlossführer, während seine Hand die Klinke streichelte, “geht wie am ersten Tag. Geht auch in hundert Jahren noch.” Und er sagte es so, als sei er all die Jahrhunderte dabei gewesen, als hätte er die Tür jeden Tag mehrfach geöffnet und geschlossen. Und als würde er das noch sehr lange machen wollen. Vermutlich verachtet er alle Schließmechanismen jüngeren Datums und geht überhaupt nur widerwillig durch moderne Türen.
Schloss Lebenberg Tscherms

Im Garten draußen ein ungeheuerlicher Maulbeerbaum, warum ist der so groß? Man weiß es nicht, da rätseln auch Experten, es muss am Mikroklima liegen, niemand kann es erklären. Maulbeerbäume werden nicht so groß. Der Maulbeerbaum war für Seidenraupen da, man wollte damit einmal in der Gegend das große Geld machen. Etwas später kamen die Südtiroler aber darauf, mit anderen Bäumen das große Geld zu machen, das hat dann viel besser funktioniert und die Apfelbäume stehen bis heute überall. Der Innenhof sieht so gut erhalten mittelalterlich aus, der ist oft als Filmkulisse zu sehen. Weihnachten gibt es im Ersten wieder einen Märchenfilm, der gerade dort abgedreht wurde. Ich habe vergessen, welches Märchen es war.

Wieder drinnen ein seltsam frisch wirkender Rokokosaal mit lachsrosafarbener Tapetentür, wie gerade eben erst von behandschuhter Damenhand leise geschlossen, während hinten noch das Cembalo verklang. Passt Cembalo überhaupt zu Rokoko? Was weiß ich denn. Mit Kunstgeschichte habe ich mich schon lange nicht mehr befasst, es ist eigentlich bedauerlich.

Es ist andererseits aber auch völlig egal, ich wollte nur sagen, das Schloss lohnt sich, auch wenn es in manchen Reiseführern nur gerade für eine Randbemerkung reicht. Ein kleines, prächtiges Schloss. Nur mit Führung. Und Fotografieverbot innen.

Macht nichts.

Roter Hahn

Porträt des Autors als Trottel

Man wird erstaunlich schnell zum Trottel, wirklich, das geht ganz fix. Man muss nur mal kurz nicht aufpassen, eine Entwicklung verpassen, etwas nicht interessant finden, irgendwo nicht mitmachen – und zack. Gerade lächelte man noch über Ältere, die nicht wissen, wie ein Computer angeht, schon ist man selbst der Ausgelachte. Dafür reicht es schon, ein paar Jahre das Auto nicht zu wechseln.

Wir haben uns im Urlaub in Südtirol einen Mietwagen genommen, der viel neuer als unser Auto war. Genau genommen war das Auto topaktuell, frisch vom Band. Mit jedem technischen Schnickschnack, den man sich nur vorstellen kann. Auch mit dieser Kamera hinten, die einem beim Rückwärtsfahren vorne über einen Bildschirm anzeigt, was hinter einem passiert. Das ist toll, man könnte damit lange Wege rückwärtsfahren, einfach nur, weil es jetzt so leicht geht. Man macht es dann doch nicht, aus dem Alter ist man raus, aber manche Sachen sind schon nette Erfindungen, gar keine Frage.

Dann haben wir aber gemerkt, dass wir dieses ach so tolle Auto leider nicht abschließen konnten. Keine Chance. Da konnten wir drücken und schließen, was immer wir wollten, das Auto blieb unbeeindruckt offen. Erst das satte Klicken für das Schließen, dann hat es sich sofort, noch ein Klicken, selbst wieder geöffnet. Wir standen wie komplette Idioten abends vor dem Auto, ich überlegte schon, im offenen Auto zu nächtigen, damit es wenigstens nicht nachts geklaut werden konnte. Bis uns jemand, der sich damit auskannte, endlich sagte, dass dieses Auto die Türen nur abschließt, wenn man sich mit dem Schlüssel weit genug davon entfernt. Das haben wir natürlich gemacht. Wir haben die Schritte gezählt und dann die Kinder doch lieber nochmal zum Auto zurückgeschickt, um an allen Türen testweise zu rütteln. Mehrmals. Der Autoexperte neben uns hat sich kaputtgelacht.

Es ist im Grunde keine Frage, ob man ein Trottel ist. Die Antwort ist immer: ja. Es ist nur die Frage, wann und bei welchem Thema.

(Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)

Obergluniger – Schloss Lebenberg in Tscherms – Waalwege

Tscherms

Der bereits erwähnte Oberglunigerhof hat, das ist natürlich eminent wichtig und wurde noch gar nicht gewürdigt, WLAN in jedem Winkel. Arbeitsplatz in Tscherms, Obergluniger

Wie man überhaupt in Südtirol dauernd Netz hat, sowohl durch gewöhnliche Großprovider als auch durch freie WLAN-Varianten, die dort einfach so funktionieren. In jedem Dorf. Und sogar oben auf dem Berg, in beträchtlicher Höhe, da starrt man staunend auf sein Handy und lädt Bilder hoch zu Instagram. Mal eben. Wenn man also zwischendurch auch einmal etwas arbeiten muss, und wer müsste das nicht, ist Südtirol als Urlaubsziel eine ziemlich sichere Bank.

Kein Vergleich jedenfalls zum netztechnischen Gegenteil Eiderstedt, das mich jedes Jahr wieder in den Wahnsinn treibt, wenn ich einen Text abgeben muss und dafür kurz Netz brauche – aber nicht finde. Nirgendwo. Nicht im Watt, nicht auf dem Deich, in keinem Dorf und auch nicht in Sankt Peter-Ording auf der Promenade. Es ärgert mich jedesmal wieder. Bei uns gilt jedenfalls: wenn ich Netz habe, ist der Urlaub für alle anderen viel entspannter.

Vorlesen in Tscherms, OberglunigerAuf dem Oberglunigerhof hatte ich, auch das ein vernünftiger Grund, noch einmal hinzufahren, die vermutlich schönsten Arbeitsplätze, an denen ich je etwas getippt habe. Tscherms, OberglunigerInmitten des wahnsinigen Blütendufts, mit Blick auf Bergpanorama und ganz hinten Meran, mit Blick auf Pool, mit Blick auf Pfirsichbäume, Apfelbäume, Wein, beschattet von einem Kakibaum, der gelegentlich eine noch unreife Frucht mit einem satten PLOPP neben mich fallen liess, als würde er zu einem Absatz raten. Wobei ich erst eine Expertenmeinung einholen musste, um den Baum als Kakibaum zu erkennen. Und der Bauer mich vollkommen verblüfft fragte: “Das sehen Sie nicht?”

Tscherms/OberglunigerEs wurde abends kaum kühler, man konnte einfach immer weiter draußen sitzen und schreiben und lesen. Es wurde nur dunkler und der Duft um einen herum änderte sich ab und zu, je nachdem, wie der Abendwind gerade um den Berg kam. Mal etwas mehr Lavendel darin, mal etwas mehr Apfel, mal Wiese bei Nacht, mal Pflaume, mal Erdbeer. Wir waren auf einem Bio-Wein- und Obsthof, der Bauer baut dort 20 Sorten Obst an. Das sind, wie Sohn I nach längerem Nachdenken befand, “viel mehr als es gibt”. Das Obst wächst dort an jeder Ecke, das Obst gibt es marmeladisiert auch zum Frühstück.

Frühstück

 

Die Höfe in Südtirol bieten häufig auch Frühstück an, das scheint dort notwendig zu sein, habe ich gehört. Die Touristen wollen das so, sie wollen den Hof mit Hotelfunktion. Da die norddeutschen Höfe häufig oder meist kein Frühstück anbieten, müsste das heißen, dass die Touristen das hier nicht wollen, es ist doch eine seltsame Welt. TschermsDas Frühstücksbuffet hatte natürlich nicht die hoteltypische Größe, das machte aber überhaupt nichts. Die Zutaten waren nämlich besser, und zwar um Klassen besser. Es gab Käse, der mit dem durchschnittlichen Lidl-Käse in Business-Hotels nichts zu tun hatte, es gab anständige Wurst, es gab selbstgebackenen Kuchen, selbstgemachte Marmelade, frisch gemachtes Rührei, Holundersaft vom Hof, ebenso Himbeersaft, Johannisbeesaft, Apfelsaft, es gab ein Frühstück, das ich so gerne jeden Tag hätte. Auf einen der Kuchen kommen wir übrigens später noch zurück, bzw, kommt die Herzdame noch zurück.

Nach dem ersten Frühstück wollten wir mal eben zum Schloss Lebenberg hoch, das so verlockend nah aussah, nur ein wenig den Berg hoch. In gerader Strecke wäre man in fünfzehn Minuten dagewesen, man denkt so etwas als Norddeutscher dauernd. Es ist eben wirklich beeindruckend, wie lange man im Gebirge für alles braucht, wie unerreichbar das Naheliegende ist. Ich schreibe diesen Eintrag auf der nordfriesischen Halbinsel Eiderstedt, wo man bekanntlich am Morgen sehen kann, wer am Nachmittag zu Besuch kommt. In Südtirol kann man am Morgen sehen, wo man sich in drei Minuten verlaufen wird. Auch schön!

Es war ein außerordentlich heißer Morgen, auch heiß für Südtiroler Verhältnisse. Und nicht nur wegen der bereits erklärten Schuhsitiation, auch wegen des Wetters war vollkommen klar, Wandern fällt aus. Aber einen Spaziergang, den mussten wir natürlich machen. Wir gingen also ein Stück den Berg hoch, fanden am Straßenrand ein einladendes Schild, das auf einen schmalen Wanderweg zum Schloss verwies und bogen dem folgend querfeldein ab. Dann bog der Weg ab, dann bogen wir noch einmal ab, dann bog der Weg wieder ab und dann waren wir, große Überraschung, nicht ganz da, wo wir hinwollten. Wobei wir das, was wir erreichen wollten, auch gar nicht mehr sehen konnten. Das war irgendwo anders. Wir gingen teils unter Wein, das gab also etwas Schatten, es ging aber ziemlich fortgeschritten bergauf und man kam einfach nicht vom Fleck.

Die Kinder waren selbstverständlich nach zehn Minuten beleidigt und konnten nicht mehr, blödes Herumlaufen, wo ist der Pool, wir können nicht mehr, wann sind wir da, Hunger, Durst, ich muss mal, alles.

WeinBis wir an einen Waalweg kamen. Da floss ziemlich kaltes Wasser ziemlich schnell, da konnte man also sowohl die Füße hineinhalten als auch Stöckchen schwimmen lassen, die dann in rasender Fahrt um die nächste Kurve des Weges sausten, wie Kanus im Wildwasserbach. Waalweg TschermsDa hatten die Söhne plötzlich wieder Kraft und Ausdauer und Motivation und liefen bergauf und bergab wie die Gemsen, immer auf der Suche nach noch besseren Schiffchen, Landeplätzen, Abbiegungen, Brücken und Tunneln.

Waalweg Tscherms

Man kann an den Waalwegen gut sehen, wie Bewässerungsanlagen funktionieren, das nehmen die Kinder als Fachwissen nebenbei mit. Das finden sie auch alles ganz logisch, wenn man es ihnen zeigt, das könnten sie auch so bauen, eh klar. Mit genug Zeit. Und wenn man schon keinen Springbrunnen findet, dann setzt man sich eben in einen Bewässerungsgraben, das geht auch, sie haben das getestet. Wir fanden einen kleinen Wasserfall, einen wirklich ganz kleinen. Es war aber der erste Wasserfall im Leben der Söhne, es war also der größte, den sie je gesehen haben. Und so wirkte er dann auch auf sie. Eben noch der knallheiße Wanderweg, auf dem die Sonne wirkte, als bekäme man mit glühender Bratpfanne kräftig einen übergezogen, jetzt plötzlich ein kühles Waldstück, schattig, feucht, voller gluckernder Geräusche und Gesprudel. Wir fanden eine schmale Brücke, die hoch über den Bach führte, das war eine kleine Brücke über wildes Strudeln, das war alles sehr abenteuerlich aus ihrer Sicht. Das war ein Ausflug in ein ganz, ganz kleines Stück Bergwelt – und da war für sie schon alles dabei. Das war auch eine Erkenntis dieser Südtirolreise: man braucht sich eigentlich gar nicht groß um Ausflüge kümmern. Man kann auch einfach losgehen, man findet schon etwas. Um die Ecke.

Tscherms

Dann standen wir endlich vor dem Tor des Schlosses, zu dem ich im nächsten Artikel etwas mehr sagen werde, ich bin hier gerade irgendwie etwas vom Ziel abgekommen. Egal, das passt schon.

Roter Hahn

Gelesen, vorgelesen, gesehen, gehört im Juli

Mascha Kaléko: In meinen Träumen läutet es Sturm. Gedichte und Epigramme aus dem Nachlass. Das Gesamtwerk von Mascha Kaléko hat man leider geradezu bestürzend schnell durchgelesen. Und wäre es doppelt so umfangreich, man würde das immer noch denken. Und auch wenn es dreifach, vierfach wäre. Man legt die schmalen Bände nicht gerne weg.

Mascha Kaléko

Alex Capus: Mein Studium ferner Welten – ein Roman in 14 Geschichten. Geschichten aus einer Kleinstadt in der Schweiz. Die Hauptfiguren tauchen immer wieder in neuen Zusammenhängen auf, werden älter und ändern sich, die Stadt bleibt immer die kleine Stadt, eng und begrenzt. Da kommt nicht jeder raus, und wer rauskommt, der kommt womöglich zurück und weiß nicht recht, wie das zuging. Die kleine und namenlose Stadt bindet die Erzählungen und die Menschen. Ganz leichte Geschichten sind das, der Erzählstil wirkt angenehm mühelos, die inhaltliche Schwere trifft einen etwas unerwartet und ganz ohne dramatische Momente, es sind die Kleinigkeiten und Selbstverständlichkeiten des Älterwerdens, der Liebe, der Sinnfindung. Sehr gerne gelesen. Und gleich mehr von Alex Capus bestellt.

Alex Capus

Wolfgang Büscher: Berlin – Moskau. Eine Reise zu Fuß. Das Buch hat etliche Preise gewonnen, was ich auch vollkommen richtig finde. Und statt weiterer Anmerkungen bietet es sich bei diesem Buch an, den ersten Absatz zu zitieren, der Autor geht los, er macht sich zu Fuß auf den Weg nach Moskau.

“Eines Nachts, als der Sommer am tiefsten war, zog ich die Tür hinter mir zu und ging los, so geradeaus wie möglich nach Osten. Berlin war ganz still an diesem frühen Morgen. Alles, was ich hörte, war das Pochen der Schritte auf den Dielen, dann Granit. Eine Süße lag in der Luft, das waren die Linden, und Berlin lag wach, aber es hörte mich nicht. Es lag wach wie immer und wartete wie immer und hing wirren, gewaltigen Träumen nach, die aufblitzten wie das Wetterleuchten dort über dem Häusermassiv. Es hatte geregnet die Nacht, ein Bus fuhr vorüber, seine Rücklichter zogen rote Spuren über den nassen Asphalt. Verkehr kam auf, in den Alleen schrieen die Vögel, zitternd sprang die Stadt an, bald würden die Angestellten in breiter Formation in ihre Büros fahren. Damit hatte ich nichts mehr zu tun.”

Da möchte man doch weiterlesen, möchte man nicht? Ab und zu hat das Buch einen unüberlesbaren Stich ins Esoterische, das wurde von Kritikern teils bemängelt. Aber wer weiß, wenn man zu Fuß nach Moskau gehen würde – ob man selbst ohne Stich ins Esoterische dort ankommen würde?

Auch in diesem Fall gleich das nächste Buch bestellt: Wolfgang Büscher: Deutschland, eine Reise, mein nächstes Buch auf dem Handy. Er ist für dieses Buch einmal um Deutschland herumgegangen. Ich bin noch auf den ersten Seiten, da schwimmt er erst einmal quer durch den Rhein. Das würde ich eher nicht tun, aber ich würde, ich rede davon schon gebetsmühlenhaft, wirklich gerne einmal die ganze deutsche Küste ablaufen. Abwandern. Abbloggen. Sie wissen schon. Egal.

Vea Kaiser: Blasmusikpop oder wie die Wissenschaft in die Alpen kam. Meine Urlaubslektüre in Südtirol. Ich hatte einen ganzen Stapel Bücher dabei, aber mehr habe ich gar nicht geschafft, es gab da so viel Gegend zu gucken, das war mir tatsächlich wichtiger. Das Buch habe ich als E-Book auf dem Handy gelesen, ein schickes Foto gibt es davon also nicht. Das ist ihr Debütroman, eine Coming-of-age-Geschichte aus einem abgelegenen Bergdorf, mit ordentlich Comedy und Drama dabei, mit liebevoll ausgestalteten Nebenfiguren, mit sehr viel Schwung und irvinghaften Schlenkern – ein großer Spaß für den Urlaub, besonders natürlich in den Bergen. Auch von Vea Kaiser gleich das nächste Buch besorgt.

Vorgelesen

Die Herzdame liest gerade aus der Jim-Knopf-Reihe von Michael Ende vor, das wird jeder kennen, das kann man beim Zuhören quasi mitsprechen.

Michael Ende, Jim Knopf

Ein ähnlicher Effekt auch bei Mark Twains Tom Sawyer, das wir allerdings in der Ausgabe “Kinderbuchklassiker zum Vorlesen” von Arena lesen, nacherzählt von Elke Leger, mit Bildern von Markus Zöller. In dieser Ausgabe kann Sohn I leichter auch mal alleine lesen.

Tom Sawyer

Weiter gelesen wurde außerdem in Kirsten Boies Seeräuber Moses, das kam hier schon vor. Es ist ein Buch von ordentlicher Dicke, das dauert eine Weile.

Kirsten Boie, Seeräuber Moses

Und zum ich weiß nicht wievielten Male las ich die Riesenbirne von Jakob Martin Strid, die hatten wir hier auch schon öfter. Das absolute Lieblingsbuch von Sohn II, und zwar mit weitem, weitem Abstand vor allen anderen Büchern. Das Buch bricht alle Vorlesewiederholungsrekorde in diesem Haushalt.

Gesehen

Nichts. Macht nichts.

Gehört

In diesem Monat ist nur ein einziger Ohrwurm hängengeblieben, er ist von Ernest Ranglin. Das Stück fällt beim ersten Hören gar nicht so auf, schleift sich aber nach einer Weile schön ein. Netter Sommersound. Infos zu Ernest Ranglin hier.