Lübeck, Postkartenschnipsel

Ich fuhr mit dem Zug nach Lübeck und nach wenigen Stunden zurück, ein Abendtermin in der Heimatstadt. Beide Züge fuhren auf die Minute pünktlich, waren nur mäßig voll, sauber und mit funktionierenden Toiletten ausgestattet. Das Personal war nett, die Sitznachbarinnen schweigsam, die digitalen Anzeigen korrekt, gerne wieder. Für einen Blogbeitrag gibt eine dermaßen gut laufende, bzw. rollende Bahn allerdings wenig her. Es war alles okay, das kann man fast einsilbig abtun: Jo. Dazu ein beifälliges, anerkennendes Nicken, das war es dann schon.

Nur der junge Mann neben mir, der leise telefonierte und mit dem Menschen am anderen Ende zweifelnd diskutierte, ob die Elbe auch durch Dresden fließe oder nicht, der ist vielleicht eine Erwähnung wert. Zumal er in fast rührendem Lokalpatriotismus endete mit: „Aber dann ist sie da bestimmt schmaler als in Hamburg!“

Ich hörte mich, immer noch angeregt durch die Truffaut-Sendung im Deutschlandfunk, während der beiden Zugfahrten durch einige Playlists mit französischen und italienischen Soundtracks zu älteren Filmen. Durch Stücke, die nicht zur Landschaft da draußen passten, nicht zu den wenig attraktiven Unterwegsbahnhöfen Bad Oldesloe oder Reinfeld. Michel Legrand in der norddeutschen Tiefebene, das ist eine Verbindung, für die man mehr Fantasie braucht, als ich an dem Tag zur Verfügung hatte.

Am Bahnhof Lübeck-Moisling, der mir auf der Strecke neu war, da hielt früher kein Zug, da gab es gar nichts, wie ich schon wieder krückstockfuchtelnd anmerken möchte, stand groß „Kill your ego!“ auf die Lärmschutzwand gesprüht.

Aber welches, fragten sich die Stimmen in meinem Kopf, als wir dort vorbeifuhren, eine kurz aufflammende interne Debatte. Wer ist hier eigentlich was, wer hat daran den größten Anteil und wer muss dann zuerst raus. So stellt man sich Zen-Momente auch nicht vor.

Kurz und nur im Vorbeifahren, aus dem Auto meines Bruders heraus, habe ich dann später die Lübecker Sehenswürdigkeiten gesehen. Die bekannten Kennzeichen der Stadt, das Holstentor, die alten Häuserzeilen an der Trave, die Salzspeicher etc., die Türme. Die Bilder, die Sie vermutlich auch im Kopf haben, wenn Sie an Lübeck denken, selbst wenn Sie die Stadt nicht näher kennen. Backsteinfassaden, Treppengiebel, so etwas.

Ich sah den Turm der Marienkirche, neben der ich einmal gewohnt habe, deren Glocken mich an Sonntagen geweckt haben. Den Turm der Jacobikirche, in der ich getauft wurde. Postkartenschnipsel mit Bezug, die nebenbei anfielen.

Das könnte man sich alles auch wieder einmal in Ruhe ansehen, dachte ich, es ist ausreichend lange her. Na, irgendwann einmal.

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Am Montagmorgen merke ich, dass wir am Wochenende größere Mengen Gartenerde mit den Schuhen in der Wohnung auf dem Parkett verteilt haben. Es ergibt ein etwas rustikales Gehgefühl, wie in einem Ferienhaus an der Nordsee in Strandnähe kommt mir dieses Knirschen vor, es hat auch etwas. Es führt aber zu früher Hausarbeit, so beginnt die Woche wieder mit rastlosem Fleiß und Emsigkeit, eine Hausfrau aus dem letzten Jahrhundert ist nichts dagegen. Man muss sich Punkte geben, wo man nur kann.

Die Wetter-Apps versprechen uns sieben Tage Regenwetter. Der Freundeskreis Schrebergarten guckt enthusiasmiert und lehnt sich etwas zurück. Es wird wachsen, es wird alles wachsen.

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Die Hummeln sind unruhig

Die neulich erwähnte Lange Nacht über Truffaut war interessanter, als ich zunächst erwartet hatte. Ich bin nicht einmal ansatzweise ein Filmkenner, ich kenne mich mit dem Thema nicht aus. Ich habe sicher weniger Filme gesehen als Sie, aber diese Sendung war hervorragend gemacht. Eine gute Wahl der Interviewpartnerinnen, es war unterhaltsam und lehrreich, ich möchte das ausdrücklich bejubeln. Ich finde es angenehm, wenn ich in Themen so hineingelockt werde und eher wider Erwarten hängenbleibe.

Jetzt fehlt mir allerdings komplett die Zeit, die Truffaut-Filme noch einmal anzusehen. Dabei wäre es doch angebracht.

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Im Garten röten sich die Erdbeeren und die Kirschen, die Johannisbeeren auch, und von denen schmecken einige schon nach den nächsten Monaten. Es geht auf den Juni zu und man sieht es. Ich drehe Rhabarberstängel ab, es wird Kompott geben, wie in einem Kindheitssommer. Nur dass mir niemand mehr Nachtischschüsselchen reicht, ich muss es alles selber machen. Ich könnte, ein norddeutscher Proust-Verschnitt der eher unbeholfenen Art, die Siebziger aus einer gläsernen Schale Rhabarberkompott auferstehen lassen. Es fällt mir beim Pflücken auf, als die Assoziationen vor sich hin eskalieren und meine Großmutter und Dosenmilch auftauchen. Aber auch das ist natürlich wieder eine Zeitfrage.

Die Äpfel in unseren Bäumen haben schon etwa Golfballgröße erreicht und Zucchini und Kürbis fangen an, sich planmäßig etwas Raum in den Gemüsebeeten zu greifen. Die Bohnen entdecken kletternd das lockende Oben.

Die Lupinen bauen ihre Blütentürme in anspruchsvollem Design auf, während die deutlich verspätete Pfingstrose endlich eine derartig abgefahrene Extravaganz aus Pink und Gold demonstriert – da kommt keine andere Pflanze in diesem Garten mehr mit. Sie hat eine konkurrenzlose Divenrolle

Es grummelt, es blitzt in der Ferne, irgendwo weit hinten in Rothenburgsort, im Nachbarstadtteil. Es dunkelt finsterbewölkt am frühen Nachmittag, es tröpfelt, dann rauscht Regen auf. Die Vögel in den Büschen klingen auf einmal dschungelhaft, wie es nur in Gewitterluft möglich ist, ein schmelzendes, seufzendes Trillern in Alt-Stimmen. Sie klingen in solchen Stunden nicht wie die Vögel von hier.

Der Regen zieht zügig durch, die Sonne holt sofort wieder auf, es ist eine Luft wie in der Sauna und die Mücken starten einen Großangriff auf unsere Arme und Gesichter. Die Herzdame kriecht durch die Stauden und filmt etwas für Instagram. Die Herzdame sitzt zwischen nassen Sommerfliederzweigen vor einem umsummten Salbei und sagt: „Die Hummeln sind unruhig.“ Da haben wir schon wieder ein Lied gewonnen, und es passt sogar recht gut.

Und erst Stunden später fiel mir dann die naheliegende Frage ein – sind Hummeln jemals nicht unruhig?

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Mit fragendem Blick nach oben

Teile des Landes gingen wieder derartig im Regen unter, dass von neuen Rekorden die Rede war. Die Medien schrieben immer noch und immer wieder von „Jahrhunderthochwasser“ und kaum jemandem schien etwas aufzufallen, (hier Frau Büüsker wie immer lesenswert über Hochwasserschutz). In Hamburg waren die Niederschläge der letzten Tage eine eher flickenteppichhafte Veranstaltung. Es schauerte prompt an unserem Garten vorbei, es gewitterte weitläufig um den Garten herum. Es nieselte auf der anderen Seite der Bille und es schüttete zu weit nördlich in der Stadt, da dann prompt als Starkregen.

Von einer fairen Verteilung der Niederschlagsmenge übers Stadtgebiet konnte keine Rede sein. Es schien eine Art Glückspiel zu sein, und das richtige Los hatten wir diesmal nicht. Einmal sah ich Regen, der ein paar Parzellen vor unserer aufhörte, wie abgestellt. Nur als ich kurz zuhause Wäsche auf den Balkon zum Trocknen stellte, da gab die eine Wolke über mir nach. Es war dermaßen erwartbar.

Man möchte man wieder alles persönlich nehmen, mit fragendem Blick nach oben und klagenden Gedanken. Man versteht in solchen Momenten intuitiv, wie Religionen einst entstanden sind. Das Numinose als Beschwerdeannahmestelle gedacht, viel mehr Theorie braucht es vermutlich nicht und ein großes Stück der Menschheitsgeschichte ist schon bündig erklärt.

Ich setze ein paar vergessene, längst allzu langstielig vorgekeimte Kartoffeln im Beet nach, die wir noch in der Laube gefunden haben. Ich sehe dabei, dass der Boden nur zweifingerbreit von kurz durchwehendem Regen angefeuchtet wurde. Darunter ist alles staubtrocken, pulveriges Erdmehl. Und im Rasen um mich herum sitzt der Gilb.

Unsere Regentonnen sind leer und die Radieschen hatten während des Wachstums in den letzten Wochen nicht genug Wasser, man schmeckt es. Die Bitternis des versäumten Gießens, da geht es auch um den Fleiß und den Einsatz der Gärtnerinnen. Man verzehrt das Ergebnis der Handlungen, die man unterlassen hat. So ein Garten kann zu seltsam anmutenden Sätzen führen, aber wie für alle Gartenmetaphern und -bilder gilt auch hier, dass alles übertragbar ist.

In der Kafka-Biografie lese ich, dass er sich auch mit so etwas intensiv beschäftigt hat. Mit Gemüseanbau, mit Obst und Gärten, mit der Landwirtschaft etwa, die seine Schwester Ottla betrieb. Das habe ich nicht gewusst. Ich hatte ihn als Bild eher ausschließlich im Büro, an einem Schreibtisch in städtischer Umgebung im Sinn. Jetzt kann ich ihn mir auch am Beet vorstellen, beim Gießen, beim Jäten. Kafka in den Kartoffeln, warum auch nicht.

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Hammer Kirche

Den mittleren Band der Kafka-Biografie habe ich beendet, den dritten und letzten Band habe ich gerade angefangen. Die Begeisterung hält auch bei diesem über die ersten hundert Seiten hinaus an. Ich habe lange nicht mehr so viel am Stück gelesen, das gefällt mir und das tut mir gut. Es ist entschieden besser für die Nerven, merke ich, stundenlang Bücher zu lesen, als am Smartphone und an den Nachrichten zu hängen oder in der Freizeit zu arbeiten, es ist doch ein signifikanter Unterschied. Ab und zu muss man sich selbst wieder über die einfachsten Dinge belehren, streng und ermahnend.

Und ich glaube, ich habe bisher noch keine umfangreichere Biografie als diese gelesen.

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Das „Hammer“ in der Überschrift bezieht sich auf den Hamburger Stadtteil Hamm, nicht auf das Werkzeug. Ich sollte es für Menschen, die nicht von hier sind, wohl dazuschreiben. Man assoziiert sonst in vollkommen falscher Richtung.

An der U-Bahnstation Hammer Kirche gibt es eine Unterführung der eher trostlosen Art, blass weißgelb und krankenhaushaft gnadenlos gekachelt. Eher unangenehm lang, öde und grell neonbeleuchtet, nicht einmal durch Werbung belebt. Da gehe ich durch.

Vor mir her geht ein Paar weit im Rentenalter. Er laut ächzend am Rollator, langsam, jeder Schritt ein Akt und vermutlich schmerzhaft. Sie daneben, humpelnd, auch nicht wesentlich besser in Form, aber doch noch ein wenig fitter als er. Sie kämpfen sich vorwärts, es sieht gequält und nach erheblicher Anstrengung aus. Wenn die beiden nach Hause kommen, von ihrem vermutlich nur kurzen Ausflug, werden sie erschöpft sein und wieder etwas geschafft haben, das sieht man ihnen deutlich an. So ein kurzer Ausflug reicht dann vermutlich für einen Tag.

Der Tunnel macht am Ende einen Knick, dann kommt der gerade neu eingebaute Fahrstuhl, und der ist außer Betrieb. Hamburg hat mehr Fahrstühle und Rolltreppen an den Stationen als etwa Berlin, viel mehr sogar, aber sie sind oft außer Betrieb. Merkwürdig oft. Und dann oft lange.

Ich biete den beiden an, seinen Rollator die Treppe hochzutragen. Sie sagen nein, sie wollen doch Fahrstuhl fahren, es gibt doch jetzt endlich einen Fahrstuhl. Sie können die digitale Anzeige, dass der Fahrstuhl nicht fährt, nicht lesen, merke ich, vermutlich ist die Schrift auf dem Display zu klein. Endlich verstehen sie es, nachdem sie vergeblich die Knöpfe gedrückt, gewartet und mich irritiert angesehen haben. Sie sagen: „Wie kann es denn sein!“, als sei es eine unerhörte Begebenheit, dass ein Fahrstuhl an einer U-Bahn-Station nicht geht. Wo gibt es denn so etwas.

Ich trage ihnen dann den Rollator die Treppe hoch. Ich gehe ihnen mit der Gehhilfe voraus nach oben, sie mühen sich hinter mir her, die Stufen lauter Herausforderungen. Und ich höre noch, wie er tatsächlich zu ihr sagt: „Das ist ein netter junger Mann.“

Eine Rolle, in der ich lange nicht mehr war, glaube ich. Und ich ergänze selbstverständlich, wie es sich für meine Generation gehört, im Geiste den Text: „Was der sich alles merken kann.“ Ich sage es nicht laut, aber mir wäre gerade danach, passagenweise dieses alte Lied zitieren, leg die Musik von damals auf.

Mit den Textschnipseln von damals im Kopf gehe ich danach weiter durch Hamm, unter den alten Platanen an der Hammer Landstraße entlang, in Richtung Billerhuder Insel, zum Garten. „Hier links ist eine Kirche, sie wurde erbaut in der Vergangenheit“, heißt es in dem Songtext von Max Goldt.

Wenn Sie sich für Kirchenarchitektur interessieren, fällt mir am Rande ein, die Hammer Kirche, an der ich da vorbeigehe, ist etwas Spezielles.

Ich habe aus dieser Zeit, 1982 war das, als das Lied von Foyer des Arts erschien, noch eine erstaunliche Menge Lyrics irgendwo im Hirn, jederzeit abrufbar.

Verse, die lange auf Einladungen warten, auf irgendwelche banalen Zeichen im Alltag, um sich endlich einmal wieder komplett abzuspulen und für ein paar Stunden aufzuleben, um zumindest leise und unauffällig doch noch einmal gesungen zu werden.

Und ich weiß bis heute nichts weiter über Erlangen, abgesehen von diesem Lied. Prägende Erfahrungen.

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Reeperbahn

Auf dem Weg durch Sankt Pauli, siehe gestern, gingen die Herzdame und ich auch ein Stück über die Reeperbahn, wo ich also ebenfalls lange nicht war, und wo sich an dem aufgeführten Stück nichts geändert hat. Der gleiche alkoholbetriebene Tourismusbetrieb wie immer, das gleiche zusammengebrochene Elend am Straßenrand, die Armut, das Trinken im Endstadium. Die feiernden, johlenden Fußballfans in lauten Gruppen auch, die üblichen schwankenden Touristen aus England und anderen Ländern. Ich höre Dänisch, ich höre Schweizerdeutsch, ich höre Sprachen, die ich nicht erkenne.

Die gleichen eher angespannt aussehenden Reisenden aus der Provinz, teils im eng zusammengehenden Familienverband. Auf der Suche nach dem, was es dort nun alles ausmachen soll, dieses Legendäre, das Berühmte, das eben, von dem sie alle immer reden.

Sich immer wieder umsehend, was ist es denn nun eigentlich. Sind wir zu früh und wo gehen wir rein, einen Reiseführer in der Hand. Auch heute noch sieht man sie vereinzelt in Buchform, diese Reiseführer, und ein älterer Mensch hält tatsächlich einen Stadtplan, die kreuzenden Straßen darauf mit der Beschilderung abgleichend, über die Lesebrille hinweg.

Das gleiche Gedränge wie früher auf dem Fußweg vor den Lokalen, die teils noch so heißen, wie sie immer schon hießen. Also wie sie in meiner Wahrnehmung immer schon hießen. Die gleichen Menschenmassen, die Horden, das Geschiebe. Die Torkelnden im Weg, die fetten Imbissgerüche über allem, das Erbrochene an den Ecken auch, die Glasscherben. Die aggressiven Streitgeräusche aus einer Kneipe, vielleicht ein Schlägereibeginn, die Polizeisirenen. Das schrille Lachen der jungen Freundeskreise. Zehn singende junge Männer in den gleichen, lustig sein sollenden T-Shirts.

Die kreisenden Piccolöchen und Bierflaschen in Betriebsausflugs- und Rentnergruppen. Irgendwo weiter hinten warten die Reisebusse, die Fahrer lehnen rauchend in den offenen Türen, es ist ein warmer Abend.

Wie bei uns im kleinen Bahnhofsviertel ist das alles, nur drastisch gesteigert. Der ganze Tourismus- und Szene-Viertel-Wahnsinn im Quadrat und mit deutlich mehr Promille und dazu noch mit blinkenden Neonschriftzügen an den Fassaden. Und mit den rufenden Koberern, die vermutlich eine bessere Menschenkenntnis haben als wir alle.

Es ist, ich muss erst rechnen, über zwanzig Jahre her, dass ich aus Gründen des Entertainments selbst nachts auf der Reeperbahn war. Es ist gefühlt ein Leben her. Wie Erlebnisse und Kapitel aus einem vorhergehenden Band einer mittlerweile recht umfangreichen Romanreihe, so fühlt es sich an. Damals kamen noch Figuren in den Handlungssträngen vor, die längst keine Rolle mehr in meiner Lebenserzählung spielen. Die teils schon beerdigt sind. Oder die weggezogen sind nach Berlin, Köln, aufs Land in Schleswig-Holstein, elbaufwärts und wer weiß wohin. Die womöglich schon vergessen sind oder deren Rolle ein unklar offenes Ende beim Abgang hatte. Was wurde eigentlich aus der und aus dem. Es kommen Gesichter vor, da bin ich mit den Namen nicht mehr sicher, irgendwas mit J vorne vielleicht, aber so hießen sie ja alle. Die zwanzig Julias, die man kennenlernte.

Und mit der einen wichtigen Figur, die über alle Bände in der Geschichte blieb, gehe ich heute Arm in Arm dort entlang. Und die Herzdame und ich reißen uns dabei zusammen und führen nur ein kurzes, eher betont beiläufiges Weißt-du-noch-Gespräch. Es bleibt alles im Rahmen. Wir verlieren uns nicht in Nostalgie, es trägt uns nicht fort und durch die Jahre.

Wir haben es im Griff, zumindest für einen Moment. Und so schlecht war der nicht, dieser Moment.

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St. Pauli, Heiligengeistfeld

Ich hörte auf dem Weg in den Garten und zurück die lange Nacht über Alice Munro beim Deutschlandfunk (2:37). Es gab dazu mehrere Empfehlungen auf verschiedenen Kanälen. Vielen Dank für die Hinweise! Ich habe nebenbei gemerkt, dass ich die Lange Nacht versehentlich nicht als Podcast abonniert hatte, da gibt es wieder herrlichen Nachholbedarf. Gleich noch diese Folge über Truffaut angefangen, auch interessant. Es ist alles wieder üppig angerichtet, ich liebe es.

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Gesehen habe ich diese Doku auf arte über Gregory Peck. Man kann sich während der Sendung immer wieder die Frage stellen, wie unfassbar gut ein Mann aussehen kann, ich finde das einigermaßen beeindruckend. Was für ein Gesicht.

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Apropos „Präsentationsfilmchen aus der Stadtentwicklung“, die ich im letzten Eintrag hier erwähnte – ich kam neulich durch Sankt Pauli, wo ich länger nicht war. Wo ich erstaunlich lange nicht war, wie geht das eigentlich zu – aber egal. Ich sah dort jedenfalls den auf einmal fertiggestellt wirkenden Bunker auf dem Heiligengeistfeld aus der Ferne, mit seiner etwas gigantomanisch anmutenden, neuen und begrünten Überbauung auf dem Dach. Ich weiß nicht, wie fertig er tatsächlich ist und ob er schon eröffnet wurde, aber ich war überrascht von der stark veränderten Silhouette des Riesengebäudes, die ich anders, nüchterner in Erinnerung hatte. Die hatte ich noch in der nackten, ausgesprochen trostlosen Nachkriegsoptik abgespeichert.

In meinem Kopf sah es dort weiter so aus wie in den letzten Jahrzehnten. Ein Bunker wie andere, nur erheblich größer. Ich hatte das spektakuläre Neue dort bisher nicht wahrgenommen. Ich kannte das nur als animierte Grafik im NDR aus der Planungsphase des Umbaus. Also von damals, als zu Beginn der Baumaßnahmen darüber berichtet wurde. Wann immer das genau gewesen sein mag. Durch die Coronajahre ist mein Zeitempfinden endgültig geschrottet worden, denke ich oft. Alles war irgendwann, und wie erstaunlich vage kann man Jahre empfinden.

Seit ich mit den Söhnen jedenfalls nicht mehr zum Hamburger Dom gehe, um sie dort in Karussells zu setzen, komme ich nicht mehr routinemäßig mehrmals im Jahr an diesem Bunker vorbei. Und zack, sieht es dort alles anders aus. Es ist manchmal ein wenig erschreckend, es fühlt sich an, als sei das alles es über Nacht geschehen, wie hingezaubert. Der ganze Betonklotz ein magischer Trick, was natürlich Unsinn ist.

Ich glaube, ich habe diese Stadt lange als etwas Statisches empfunden und sie auch so gesehen. Zumindest als etwas, das sich nur in Zeitlupe verändert, in einem Tempo, bei dem ich im Geiste mitgehen kann. Jahrzehntelang wird das so gewesen sein. Diese Stadt hatte die meiste Zeit ein Tempo, das exakt zu meinem Erleben zu passen schien. Hamburg war eben Hamburg, mein Bild, meine Stadt, eine feste Größe.

Erst in den letzten Jahren habe ich begonnen, die Dynamik der Entwicklung immer öfter zu sehen, die Veränderungsgeschwindigkeit des Stadtbildes und der Struktur, die Bewegung darin. Erst in den letzten Jahren fing es an, dass ich von Veränderungen überrascht wurde. Wie sieht es hier denn aus, wo ist denn dieses Gebäude hin, was steht denn da auf einmal, wo geht es denn da jetzt längs. Das war doch früher anders, da war doch keine Straße, und hier ging es doch linksherum, da wo das Kino war, wie hieß es noch.

Entweder ist auch dieses Erleben und Wahrnehmen lediglich eine Frage der Lebensphase oder es ist tatsächlich etwas schneller und eskalierender in dieser Stadt geworden – oder wir können alles, auch die veränderte Wahrnehmung unserer Umgebung, auf die Pandemie und die besonderen Umstände, Verhaltenweisen, Umbrüche und Zeiten schieben, die damit verbunden sind. Ich bin nicht sicher.

Aber im Zweifelsfalle wird alles zutreffen, eh klar.

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Hafencity

Ich war auf einer Party in der Hafencity und habe den Ausblick dort gemocht, das ist auch eine Erwähnung wert. Denn während ich sonst erhebliche Schwierigkeiten mit diesem immer noch unangenehm neu und mir zu steril wirkenden Stadtteil habe, während ich mit der arg unterkühlten, zu eng hingestellten und mir allzu geradlinig vorkommenden Bebauung dort eher in nörgelrentnerischer Manier nicht einverstanden bin, gab es an diesem Abend einen Ausblick vom Partyraum aus, einen Ausblick über ein Fleet hinweg und auf etliche Kräne an aufstrebenden Hochhäusern, auf gerade erst fertiggestellte Neubauten und auch auf die im Moment berühmteste Ruine der Stadt, auf den unfertigen Elbtower also, mit seiner etwas seltsam anmutenden Schrägung im offenen Betongerippe, so seltsam ermüdet weggeknickt wirkend … also es hatte als urbanes Ensemble doch etwas.

Dazu gab es im Panorama einen schmalen Streifen Park, eine stadtplanerische Alibibepflanzung, der man ebenfalls noch ansah, wie neu diese künstliche Oase angelegt war. Saisonal standen die jungen Bäume und das selbstverständlich ordentliche Gras dort in satter Frühlingsfarbe … also es war gar nicht schlecht gemacht.

Die Sonne ging gerade unter und über den Hochhäusern zogen schnell dunkle Regenwolkengebirge aus Südelbien heran. Das Architekturensemble leuchtete im letzten Licht vor dem schwarz werdenden Hintergrund dramatisch auf. Das Wasser im Fleet davor schimmerte für einen Moment so metallisch, dass das üppige Moos an den alten, morschen Duckdalben wie neongrün leuchtend wirkte. Nichts anderes war alt im Bild, nur diese Dalben standen in und für die Vergangenheit. Es sah alles verdammt gut aus in dieser Beleuchtung, in dieser einen Stunde.

Und am Wasser entlang ging natürlich in genau diesem Moment ein Liebespaar, Arm in Arm, wippender Sommerkleidsaum und alles. Ich sah die beiden von hinten, von mir weg und langsam in die weitere Perspektive gehend. Wie konnte es anders sein, wirklich routinierte Regiearbeit der Realität das alles wieder … also wirklich.

Es sah insgesamt etwas zu perfekt aus. Wie im Präsentationsfilmchen eines Stadtentwicklungsbüros, der in einem Konferenzraum auf einer lokalpolitischen Veranstaltung der Presse vorgeführt wird, nur war es deutlich kunstvoller gemacht, cineastischer. Es sah auch nach Bombast und Metropole aus, dieser animierte Bildausschnitt vor mir. Alles hatte einen gewissen Charme, der auf eine noch viel größere Stadt verwies. Eher weit über das Hamburg der Gegenwart hinausreichend, es war der Blick auf ein Modell. Es war mehr ein Blick auf eine Möglichkeit, nicht auf die Wirklichkeit.

Und für einen Moment, immerhin, für einen Moment war ich doch einmal einverstanden mit der Gegend dort. Man hat so gnädige Augenblicke.

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Tito, Aracataca

Aus Bildungsgründen habe ich ein weiteres Zeitzeichen gehört. Wobei ich nach etlichen Folgen wiederholt bemerke, dass mich Geschichte und Soziologie bei dieser Art von Schlaufunk-Sendungen stets am verlässlichsten interessieren. Es ging diesmal um Tito (14 Minuten). Ich hätte bei einem Test zum Thema nicht einmal schlecht abgeschnitten, wenn ich das einmal streberhaft anmerken darf. Ich denke es leider ohnehin nicht eben oft, denn die Allgemeinbildung ist doch eher loses Flickwerk, bei genauerer Betrachtung. Aber Geschichte hat eben mit Geschichten zu tun, das erleichtert das Lernen und Merken ungemein. Fand ich schon in der Schule.

Nur lose assoziativ verbunden habe ich kurz darüber nachgedacht, dass man den Satz „Wir gehen zum Jugoslawen“, der für mich und für Sie vermutlich noch eine recht präzise zu beschreibende Gastro-Erinnerung ist (nur westdeutsch?), mit schnell abrufbaren Geschmacks- und Geselligkeitserinnerungen, jungen Menschen wie etwa meinen Söhnen erst erklären müsste. Und so kurz wäre diese Erklärung dann gar nicht, wenn man es einigermaßen treffen will. Bei Sven Regener etwa, fällt mir ein, kommen solche Sätze in seinen Romanen vor. Und da, wo Sie und ich vermutlich noch recht genau wissen, was gemeint ist und wofür es steht, müssen nachfolgende Generationen sich erst etwas erarbeiten.

Der Grillteller Dubrovnik in der deutschen Literatur des letzten Jahrhunderts, auch das wird dann ein Seminarthema, so geht das zu.

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Einen Artikel im Guardian über Aracataca habe ich gelesen. Das ist der Ort, der die Kulisse von „Hundert Jahre Einsamkeit“ war, also das Dorf Macondo im Roman. Es geht um die aktuelle Verfilmung des Romans.

Images of Gabo’s smiling, moustachieod face are to be found on almost every street, and statues of the author and his characters are dotted around the town. The local train station has been repainted in an Instagram-friendly scheme of bright yellow, white and turquoise; the telegraph office where Gabo’s father worked is now a museum, and his childhood house has been reconstructed and filled with its original possessions.“

Alte Gebäude von historischem Wert und mit obligatorischen Reiseführererwähnungen instagramfreundlich anstreichen. Man wundert sich fast, dass es nicht schon weltweit so gemacht worden ist. Aber am Ende wird es gerade erst ein heißer Trend im Tourismus? Dann wird es ohnehin niemand aufhalten können, und das instagram-friendly scheme für die Hamburger Speicherstadt oder das Lübecker Holstentor wird schon konzipiert und angerührt. Das mal im Auge behalten.

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Es eskaliert vor sich hin

Ich bin bei der Kafka-Biografie kurz vor dem Ende des mittleren Bandes angekommen, die Beziehung zu Felice Bauer eskaliert schlimmstmöglich vor sich hin. Es ist kaum mitanzusehen, mit jeder Seite wird es übler. Und dabei ist diese Biografie von Reiner Stach so gekonnt und elegant geschrieben, dass man das alles deutlich vor sich zu sehen meint. Vielleicht sieht man es allzu deutlich, der Autor nimmt einen gekonnt mit.

Das ist manchmal denkbar unangenehm, und zwischendurch denke ich, dass das vielleicht alles falsch ist. Ein Leben so aufzudröseln, eine Psyche so zu zerlegen, Briefe zu veröffentlichen und zu analysieren, Tagebücher auszuwerten, Notizen, Zeugenaussagen, Textfetzen. All diese Lebensspuren interpretierend zu lesen und dabei zu bewerten. Es ist im Grunde, man kann auf diese Sichtweise testweise einschwenken, eher unangenehm. Was macht man da eigentlich, worin wühlt man da.

Wenn man sich nur kurz vorstellt, lediglich zu Illustrationszwecken, das eigene Leben wäre irgendwann solchen Deutungen und Nacharbeiten unterworfen, mit dem jahrelangen Studium von sämtlichen Chatverläufen und Postings etc.: Was für ein Gedanke. Wobei dann unter den gelehrten und mühsam erarbeiteten Schlussfolgerungen selbstverständlich auch mehrere Fehldeutungen wären, denn wie könnte es anders sein? Als ob mich andere verstehen würden! Und wie gravierend könnten die vor allem sein, diese Fehldeutungen. Denn es stand immerhin gar nicht alles irgendwo, vielleicht das Entscheidende gerade nicht – das ist doch furchtbar. Ein überaus gruseliger Gedanke ist das, wenn man ihn etwas ausspinnt. Und es hilft nichts, dass man dann nicht mehr dabei wäre, bei der Zergliederung nach dem Ableben, es ist dennoch auf eine gewisse Art … creepy.

Lieber nicht derart berühmt werden, dass solche Ausdeutungen irgendwann von Interesse für die Allgemeinheit sein können. Das ist vielleicht als Regel daraus abzuleiten, und das ist immerhin recht einfach zu befolgen. Denke ich so. Aber nach einer Weile lese ich dann doch wieder mit Interesse in dieser großartigen Biografie weiter. Es geht hin und her in mir und ich weiß nicht recht, was ich final von der Sache zu halten habe. Aber gut, das gilt oft, wenn nicht sogar immer.

Die Verlobung von Franz und Felice wird dann endlich gelöst, und man möchte „Gott sei Dank“ murmeln beim Lesen oder es an den Rand schreiben. Obwohl man den Ausgang der Story längst kennt und überhaupt nichts überraschend kommen kann. Aber das macht gutes Erzählen aus, dass man es dennoch denkt.

Dabei fällt mir ein – ich hatte im letzten Jahr, als ich den Briefwechsel Bachmann – Frisch las, den unangenehmen Eindruck, dass es dieses Buch nicht geben dürfte, dass diese Veröffentlichung entschieden zu weit ging. Und ich habe erst später Rezensionen von kompetenteren Menschen gelesen, die diese Position ebenfalls vehement vertraten und dafür auch gute Gründe anführten.

Es ist kompliziert, glaube ich.

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Gelesen: Einen Artikel im Guardian über Menschen, die sich malen lassen. Es geht in dem Text nicht um prominente Menschen wie den englischen König. Drei interessante Bildbeispiele werden gezeigt, und man kann einmal drüber nachdenken, wofür man sich selbst entscheiden würde, in welchem Stil man sich sehen möchte.

„With selfies available to anyone with a smartphone and professional photography affordable and accessible, the desire for a painted portrait speaks to the pull of tradition and its unique process – the artist’s interpretation of the subject that often reveals more than just a likeness.“

Das ist dann, im Gegensatz zur biografischen Arbeit, eine Ausdeutung schon zu Lebzeiten. Und man kann das Ergebnis, wenn es einem nicht gefällt, dezent verschwinden lassen.

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Ostwind in der ungelüfteten Stadt

Die Paketabholgeschichte von gestern endete damit, dass ich den Kiosk doch noch fand und hineinging. Ein Mann kam aus einem Hinterzimmer. Ich sagte, dass ich eine Sendung abholen wolle. Er sah mich genauer an, nickte und sagte: „Ich weiß.“ Dann lachte er.

Ich weiß nicht, warum er lachte. Es war auch kein unfreundliches Lachen, es war eher auf die gute Art onkelhaft, und er war ein sympathischer Typ. Ein älterer Mann vermutlich arabischer Herkunft, aber das rät man immer nur. Ein gutaussehender, freundlicher, älterer Mann, eine ansprechende Figur mit ausgesprochen filmtauglichem Gesicht, beste Besetzung.

Die Geschichte, also wenn dieser Tag eine Geschichte gewesen wäre, hätte an dieser Stelle eine eher Mary-Poppins-artige Wendung genommen, denn jede halbwegs erfahrene Leserin hätte sofort gemerkt, aha, eine wichtige Nebenfigur tritt auf. Typ skurriler Ladenbesitzer, das kennt man doch. Gleich geht wieder etwas los. Wir biegen erneut ab ins Fantastische, vermutlich auf der nächsten Seite schon. Auch mit diesem Kiosk und seinem Besitzer wird es etwas auf sich haben, weißte Bescheid.

Ich habe das Paket aber einfach nur mitgenommen. Zwischen den seltsamen Momenten im Alltag wird die Wirklichkeit übergangslos wieder zur unauffälligen Wirklichkeit, gibt sich dann über längere Zeit glanzlos und täuscht bis zum nächsten beachtenswerten Vorfall graue Beständigkeit vor, als könne es nichts anderes geben. Man kennt das.

Es war auch nur das in dem Paket, was ich nach der Bestellung erwartet hatte, ein weißes Leinenhemd, die Sommerausrüstung. Es passierte nichts weiter, was mich noch einmal ins Fiktive verwiesen hätte. Oder ich müsste länger darüber nachdenken, das kann natürlich auch sein. Wer weiß, was einem alles entgeht, nur weil man nicht lange genug denkt oder nicht langsam genug schreibt.

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In der letzten Woche noch eine weitere Gartenjahrpremiere: Die Herzdame und ich fahren zum ersten Mal nach der Arbeit in den Garten und gießen. Es ist viel zu trocken, der letzte Regen ist in Hamburg lange her, das frisch gepflanzte Gemüse überlebt ohne unsere Hilfe nicht.

Auf dem Weg zur U-Bahn ist die Stadt stickig, staubig und durchglüht wie im Hochsommer. Obwohl zwischendurch ein heftiger Ostwind durch die Straßen kapriolt, schon seit Tagen ist der da und pfeift hier herum und zieht einfach nicht weiter. Er kreist durch die Stadtteile, lauert an den Ecken und heult zwischendurch in den Lüftungen auf. Er treibt leichten Müll über die Plätze, tanzende Papiertüten, leere Hundekackbeutel und all die weißen Servietten, die er von den Imbisstischen raubt.

Dieser Wind kühlt aber seltsamerweise die Stadt bei seinem Spiel nicht ab und er frischt auch nichts auf. Die ganze Stadt riecht immer weiter arg ungelüftet. Es ist ein seltsames Wetter. Es ist ungewöhnlich, es fühlt sich falsch und ungehörig an, aber es scheint niemandem aufzufallen. Etwa 26 Grad sind es an diesem Tag. Wie könnte man so einen Tag von einem Juni- oder Juli-Tag unterscheiden, von irgendeinem heißen Tag in den Sommerferien? An der Farbe der Kirschen etwa.

In unserem Garten wird der Rasen an den ersten Stellen trockengelb, sehen wir dann beim gemeinsamen Gießen. Das Jahr schreitet voran und hat mittlerweile deutliche Gebrauchsspuren und Schäden.

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Regen und Nebel dagegen in üppigster Ausprägung bei der Landlebenbloggerin.

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Jens Scholz über Trends und das Begaffen von Unfällen.

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