Munro, Heinz

Es starb hochbetagt Alice Munro. Hier ein Nachruf in der FAZ, hier einer im Guardian und in diesem Blogtext ist das sehenswerte Video eines halbstündigen Interviews mit ihr verlinkt. Wie sympathisch ist dabei das, was sie gleich am Anfang über die kleine Meerjungfrau von Andersen sagt, ein hervorragender Einstieg. Aber auch sonst:

„How did you learn to write stories?”

„[…] I had a long way to school.“

Eine einleuchtende Erklärung, ich mochte ihre Antworten. In meinen Timelines ist die Munro allerdings kein großes Thema, wenn man es etwa mit den so emotionalen Reaktionen beim Tod von Auster vor ein paar Tagen vergleicht. Bei ihm war es die große Betroffenheit, die auch etliche Lektüreerzählungen auslöste, bei der Munro ist es eher ein beiläufiges Abnicken und lässiges Winken. Selbst in den Literaturblogs sind die Erwähnungen überschaubar.

Ich verstehe diese Verteilungen manchmal nicht recht. Ich meine es nicht als Vorwurf, vielleicht fehlt mir tatsächlich etwas, um das richtig einschätzen zu können. Aber gut, ihr Alter wird eine Rolle gespielt haben.

Ich habe ihre Erzählungen jedenfalls gemocht. Ich habe auch ihre Meisterschaft in der Kurzform verstanden, glaube ich zumindest, und ich merke mir ihre Geschichten gerne noch einmal vor, zum ehrenden Abschiedslesen später im Jahr. Der vorher zu konsumierende Bücherstapel ist allerdings bereits herrlich hoch. Ich kenne gar nicht alle Texte von ihr, da gibt es noch etwas zu holen, das ist auch schön. Es ist oft etwas bedauerlich, schon alles von einer Dichterin zu kennen, nichts mehr übrig zu haben.

Sie hat Geschichten geschrieben, die man gut ein zweites Mal lesen kann, daran erinnere ich mich. In den Nachrufen der Zeitungen wird sie mit Maupassant, Mansfield, Hemingway und Tscheschow verglichen, und höher kann man kaum greifen.

Wenn Sie noch Urlaubslektüre für den Sommer brauchen, nehmen Sie ruhig die Munro mit. Ihre Texte passen von der Länge her immer zwischen zwei oder Strandbesuche oder Bergwanderungen, und es gibt rund 150 Geschichten zur Auswahl.

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Gehört: Ein Zeitzeichen (13 Minuten) über Henry John Heinz, also über den Mann mit dem Ketchup. Eine amerikanische Erfolgsgeschichte, die als literarische Kurzgeschichte viel zu langweilig und deutlich zu vorhersehbar wäre, bis hin zum Ende, dem so erwartbaren Verkauf des Familienunternehmens und der nun schlechteren Qualität des Produktes. Die Sendung enthält die etwas verstörende Information, dass der Sänger Ed Sheeran ein Tattoo hat, welches eine Flasche dieses Ketchups abbildet. Weil er das Zeug so unglaublich gerne und geradezu leidenschaftlich konsumiert. Man kann dieses Tattoo leider auch per Bildersuche im Internet verifizieren.

Andere Menschen sind immer noch seltsamer, als man ohnehin schon denkt. Vielleicht sollte man es beruhigend finden.

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Bescheidene Alltagsfreuden

Als Nachtrag zu meinen gestrigen Erwähnungen der Phänomene des Klimawandels im eigenen Garten, zu all den möglichen Verschiebungen, Veränderungen und Wanderungen hier noch die Sichtweise von der Vogelinsel Trischen aus.

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Was war am Montag in dieser Woche? Ich habe zum Montag keine Notizen. Eventuell gab es in dieser Woche keinen Montag, oder ich habe ihn schon verdrängt oder er war in einem geradezu unvorstellbaren Ausmaß uninteressant oder ich war, wie es auf den Grundschulzeugnissen damals hieß, allzu oft abgelenkt. Egal.

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Vor meinem Bürofenster in Hammerbrook scheint die Maisonne am Dienstagmorgen auf eine graue Wand. Lichte Betonflächen, sie symbolisieren hier zurückhaltend die bescheidenen Alltagsfreuden in diesem seltsamen Stadtteil ohne jede Schönheit, der fast ausschließlich der Arbeit gewidmet ist, der Verwaltung von Konzernen und also auch der Organisation der Arbeit von anderen.

Frühlingslaubgrün ist aber der Coffee-to-go-Becher, den ich von zuhause mitgebracht habe. Er steht auf meinem Schreibtisch und vertritt hier die Natur, so wertvoll wie eine kleine Zimmerpflanze.

Man arbeitet so vor sich hin. Es ist zur großen Irritation aller eine Woche ohne jeden Feiertag, da fallen wie von selbst genug Aufgaben an, um die etwas zähen Bürostunden zu füllen, unvorstellbare fünf normale Tage lang. Man kann sogar Sachen anfangen, die etwas länger dauern, man kann bei Aufgaben Strecke machen, es ist alles etwas ungewohnt. „Aber nächste Woche dann wieder!“ Das sagt man sich und grinst zwinkernd, um Pfingsten wissend, mit Fingerzeig zum Wandkalender.

Der Mai ist einer der sympathischeren Monate, keine Frage. Er verführt aber zu einer gewissen Lässigkeit im Umgang mit Pflichten und ernsten Dingen. Dass die Herzdame und ich nächste Woche Urlaub haben und die Söhne auch schon wieder Ferien, es trägt dazu bei, dass wir diese Wochen als etwas weichgespülten Monat empfinden. Ein merkwürdiges Gefühl, dem vielleicht nicht recht zu trauen ist, wie eine gewisse Instanz in mir fortwährend mahnen möchte.

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Es kamen pünktliche Wahlbenachrichtigungen bei uns an, und zum ersten Mal waren es drei große Umschläge. Ein Sohn hat seine Premiere und reift also staatsbürgerlich heran.

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Bei jedem aufblühenden Kräutlein

Für den Freundeskreis Künstliche Intelligenz, oder wie man diese Tools so nennt, hier ein längerer Text von Edward Zitron, in dem es im ersten Teil interessante Informationen zu Sora gibt, dem Video-Tool, das neulich überall bejubelt und herumgereicht wurde. Das fand ich interessant und, wie man in meiner Brotberufbranche begeistert sagen würde, voller Insights. Ein allerdings arg überstrapazierter Begriff.

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Während ich mit der Herzdame am Sonntagnachmittag auf der Hollywoodschaukel im Garten sitze und Käsekuchen esse, schwirrt über uns etwas in wellenartiger Flugbahn durchs Blickfeld und verschwindet im Geäst des Weißdornbaums. Sekundenkurz nur ist es zu sehen, ein Etwas mit rötlichem Schimmer. Es ist damit allerdings vollbracht, ich habe ihn tatsächlich gesehen, den Gimpel, den Dompfaff, den Blutfink. Wobei mir die letzte Bezeichnung nicht geläufig war, aber der Wikipedia. Ich habe ihn jedenfalls erkannt, ich habe ihn ertappt und abgehakt, das wochenlange Versteckspiel ist durch.

Nächste Runde: Jetzt der Mönchsgrasmücke auflauern.

Kurz darauf hört die Merlin-App auch noch Mauersegler über uns, damit bin ich jetzt bei 29 Vögeln auf der Life-List. Immerhin! Die 50 wirkt allmählich erreichbar, wenn auch vielleicht nicht in der Stadtmitte. Man müsste einmal einen Ausflug machen, an die Küste oder in einen Wald oder so, das soll es alles in der Nähe geben.

Die Herzdame und ich sitzen im fast schon zu heißen Sonnenschein, wir trinken Kaffee, wir essen Käsekuchen vom Bäcker. Wir schaukeln dezent, wir befinden und bewerten Temperatur, Windstärke und Sonnenintensität, auch das Rasenwachstum bei uns und bei den Nachbarn. Was man auf diesem Gartenmöbelstück eben zu tun hat, man sollte immer alle Aufgaben ernst nehmen. Aus der Herzdame perlen danach weitere Projektideen, und wie kreativ sie dabei wird. Aus jedem Blick ins umgebende Grün wird eine vielleicht demnächst schon umzusetzende Vorstellung.

Ich halte mich zurück, ihr nicht den Unterschied zwischen einem Garten und einem Bauspielplatz zu erklären, denn es gibt ja keinen, aus ihrer Sicht. Und wer weiß, ob ich diese Phase nicht auch einmal wieder habe, vielleicht bald schon. Phasen kommen und gehen, man kann vor sich selbst kaum sicher sein.

Unter den Aronien flammt es rot auf, fällt uns zwischen zwei Schlucken Kaffee auf, der erste Mohn blüht dort. Sie kommt mir früh vor, diese Blütezeit, aber das ist nur ein Gefühl, durch keinerlei Recherche abgesichert. Ich sehe erst später nach, die Blütezeit passt in den Mai.

Bei allen Naturerscheinungen muss man sich jetzt die Frage stellen, ob das eigentlich richtig so ist und noch in der klassischen Ordnung, oder ob es längst ein Zeichen für den Klimawandel und gewaltige Änderungen ist, für das große Drama.

Bei jedem aufblühenden Kräutlein ist das zu fragen, bei jedem krank aussehenden Baum oder Busch, bei jedem womöglich aus dem Süden zugewanderten Insekt vor den Fenstern in der Laube, bei jeder seltsam gemusterten Spinne.

Und längst nicht alle dieser Fragen kann man aus dem Stand beantworten. Wir wissen vermutlich fast alle viel zu wenig, was das angeht. Aber es passt in die Zeit, jetzt dazuzulernen.

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Psychedelisches Scrollen

Am Sonnabendmorgen sehen die nächtlichen Timelines aus wie ein kollektiver Trip. Ich sehe pinkpurpurnes Gewaber auf zahllosen Fotos, noch einmal und noch einmal, ein Bild und ein Clip nach dem anderen und auf allen Plattformen. Intensive Lavalampenbetrachtungen sind nichts dagegen, psychedelisches Scrollen am Morgen. Die Nordlichter erschienen in ungekannter Pracht und Intensität über Deutschland, besonders über dem Süden. Giardino hat etwas im Blog dazu, und wie schön ist das.

Was die allgemeine Stimmung angeht, scheinen Polarlichter der Nation nennenswert besser zu bekommen als die sonst so gern gesehenen Talkshows, aber sie werden leider auch deutlich seltener ausgestrahlt. Man wird diesen Umstand dummerweise kaum ändern können, es ist wahrhaft bedauerlich.

Hier hat ein Sohn versucht, im Hamburger Umland etwas vom Spektakel am Himmel mitzubekommen, aber das misslang. Es war bedeckt, es fand nichts statt. Ich dagegen habe mich gar nicht erst bemüht, mich hält so leicht nichts von meiner Nachtruhe ab. Man muss Prioritäten setzen.

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Nach längerer Pause habe ich einmal wieder ein Hörbuch gehört. Begleitend zur Biografie-Lektüre gab es: „Das Urteil“ von Kafka, gelesen von Sven Regener. Es gibt über 200 Deutungsansätze für diese Erzählung, sehe ich im gerade verlinkten Artikel. Da darf man mit anderen Worten also beim Lesen oder Hören denken, was immer man will. Denn auch das wird schon irgendjemand kundig und mit nachgewiesener Fachkompetenz wortreich und überzeugend vertreten haben.

Laut Wikipedia sei Kafka mit diesem Text „das Opfer einer Massenvergewaltigung von Interpreten geworden“, so drastisch hat es die dort zitierte Susan Sontag ausgedrückt. Er selbst hat, wenn ich richtig aufgepasst habe, zweimal notiert, dass er nicht weiß, was der Text zu bedeuten hat.

Sven Regener, das habe ich vor längerer Zeit schon einmal notiert, liest Kafka hervorragend, für mich gehört dieser Text jetzt so. Es ist eine etwas überraschende Kombination, diese Stimme und dieser Schreibstil, aber es geht für mich auf. Worin auch schon wieder eine Interpretation liegt. Nun, man kommt ohne nicht aus. Man befindet dauernd irgendwas beim Kulturkonsum und deutet mit jedem eigenen Gedanken.

Der von Regener gelesene Schloss-Roman war mir damals jedenfalls ein Hauptvergnügen in der Hörbuchreihe und es gibt noch mehr Kafka von ihm, vermutlich das komplette Werk. Ich werde in der nächsten Zeit wohl noch ein paar seiner Texte parallel zum abendlichen Fortschritt in der Biografie-Lektüre hören (er hat gerade an Felice Bauer erstmalig etwas von Abschied geschrieben), ich werde quasi multimedial vorgehen.

Wie so ein Mensch mit Methode.

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Das banalste Mahl, das Festmahl

Am nächsten Tag hat die Herzdame dann, kaum dass ich im letzten Blogartikel etwas von „wenig Arbeit“ geschrieben hatte, spontan angefangen eine steinerne Beetumrandung (die automatische Rechtschreibkorrektur besteht hier auf Bettumrandung) dort zu setzen, wo vorher erst noch etwas Rasen wegmusste und wo dann nach vollendeter Tat auch einiges nachgepflanzt werden muss. Es gab nicht die geringste Veranlassung zu dieser Aktion, es gab keinen drängenden Umstand, keinen Schönheitsfehler im Garten, es gab keinen sichtbaren Mangel in der Gestaltung. Es muss die reine Lust gewesen sein, die sie trieb. Die Lust, mit so etwas anzufangen, tätig zu sein, etwas mit den Händen zu fertigen.

Da kann man nur danebenstehen, es nickend zur Kenntnis nehmen und ansonsten weiträumig aus dem Weg gehen. Der Garten ist groß genug dafür, man kann ausweichen. Vielleicht ab und zu noch dem arbeitenden Menschen Getränke zureichen oder ein stärkendes Essen kochen. Gelegentlich aus dem Laubenfenster sehen und beifällig loben, was auch immer sie da tut. Lob ist oft richtig und willkommen, man kennt das aus eigener Erfahrung. Angebracht ist Lob allerdings auch, denn die Projekte der Herzdame gehen meist gut aus und sind auch noch vorzeigbar.

Und zwischendurch immer wieder daran denken, dass es nicht selbstverständlich ist, auch nach zwanzig Jahren noch restlos begeistert davon zu sein, die richtige Frau geheiratet zu haben. Die Erfahrungen im Umfeld weisen eher in eine andere, fatalere Richtung. Wir sind die da Ausnahme, und in diesem Fall einmal eine angenehme.

Sie mag jetzt eben solche Arbeiten, denke ich mir in der sicheren, ruhigen Laube, während ich die Kafka-Biografie aufschlage, ich dagegen mag gerade nur Lesen und Schreiben. Es verträgt sich im Moment gut so, es ist betont harmonisch, wir verstehen uns bestens. Man kommt sich im Garten nicht ins Gehege, was auch ein seltsamer Ausdruck ist, fällt mir auf. Selbstverständlich gleich nachgesehen: „Die Redensart stammt aus der Jägersprache und ist auf Nebenbuhler des Platzhirsches gemünzt worden, die in ein Wildgehege eindringen und das weibliche Rudel bedrängen.“ Quelle hier, wieder etwas gelernt.

Und das stärkende Essen, das ich in der Laube kochte, waren dann die ersten Pellkartoffeln der Gartensaison. Nie schmecken sie uns so gut wie an dem Tag, an dem wir sie zum ersten Mal im Frühling draußen essen. Es ist das banalste Mahl, es sind nur Kartoffeln und Kräuterquark, und der wurde nicht einmal selbstgemacht. Aber es ist ein Festmahl, es ist ein Genuss erster Klasse. Die Frischluft als alles entscheidende Zutat.

Und ein paar Meter weiter, es war mir bisher nicht aufgefallen, blüht die Akelei unter dem Flieder in einem gediegenen Lilaton, in einer ausgesprochen vornehmen Farbe. Diese Blume vielleicht lieber siezen, sie sieht danach aus.

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Es gibt gerade diese Aktion „Mähfreier Mai“, im englischen Original No Mow May, was sich anhört, als würde man es gut als Refrain in einem melancholischen Stück singen können. Sie haben vielleicht oder hoffentlich von der Kampagne gehört. Wenn wir uns an die Vorgabe dort halten sollten, wird der Rasen am Ende auf der Parzelle bis über unsere Köpfe stehen. Die Laube und wir werden dahinter verschwinden, ein grüner Abgang wird das für uns werden.

Denn er wirkt im Moment doch etwas überambitioniert, dieser Rasen, er ist sichtlich dschungelwillig. Auch die gerade neu gesetzte, steinerne Beetumrandung würde man dann nicht mehr sehen. Aber darauf kommt es nicht an, ich habe es ja verstanden.

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Es gibt eine neue Monatsnotiz von Nicola, ein mir sehr angenehmes Format.

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Kirschnüsse, anschwellender Sommer

Vorweg herzlichen Dank für die überaus freundliche Zusendung von Siri Hustvedts „Leben, Denken, Schauen“, kaum dass es auf dem Wunschzettel war. Es ist ein wahrer Büchersegen gerade. Ich bin hellbegeistert und enorm vorfreudig, der Stoff wird wohl bis in den Sommerurlaub reichen, um gedanklich ein wenig nach vorne zu springen.

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Die Frühlingsabendverteilung der Familienmitglieder erfolgte an einem der letzten warmen, sonnigen Tage hamburgisch flussbezogen, fiel mir nebenbei auf: Zwei von uns waren an verschiedenen Abschnitten der Elbe, einer war an der Bille und einer an der Alster. Da habe ich gleich Heidi Kabel oder Jan Fedder im Ohr: An de Alster, an de Elbe, an de Bill, dor kann jeeder eener moken, wat he will.

Artur Schulenburg hat das Lied 1940 geschrieben, es lässt sich online erstaunlich wenig über ihn finden. Ich habe nach unbefriedigender Google-Suche ein AI-Tool nach ihm gefragt, und da kamen auch prompt Lebenslauf, Werke und Quellenangaben dazu, aber in den dort verlinkten Quellen stand gar nicht drin, was da gelistet und getextet war. Hm.

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Ansonsten waren wir selbstverständlich im Garten.

An einigen der Kirschbäume sind die Früchte auf einmal haselnussgroß. Es ist wieder unerfindlich, in welch kurzer Zeit dies geschehen sein muss. Eben waren da noch weiße Blüten, gerade vom Wind verweht, und es muss über Nacht geschehen sein, buchstäblich über Nacht, dass daraus maigrüne Kugeln wurden. Wie isses nun bloß möglich! Immer wieder staunend vor diesen Bäumen und Büschen stehen, in jedem Jahr. Seit fünf Jahren schon oder sechs mittlerweile, ich müsste nachsehen.

In welcher Eile jedenfalls diese Operation Frucht durchgezogen wird. Wie kurz das Wenige an Saison ist, wie drängend, stürmend und ungeduldig das alles angelegt ist. Von Mai bis September ist alles eine schwungvolle Bewegung, ein schnelles Anschwellen, und die statischen Postkartenbilder von der Natur, die wir im Kopf haben, wenn wir an den Frühling, den Sommer denken, sie sind falsch. Sie werden dem Elan und der Betriebsamkeit der Pflanzen gar nicht gerecht. Nur der Winter hat seine statischen Momente.

Die Stachelbeeren sind wie immer weit vor allen anderen Früchten und sehen schon nach baldiger Ernte aus. Was bei ihnen aber noch wochenlang täuschen wird, das kenne ich. Steinhart und eine Säure, dass es einem das Gesicht entgleisen lässt. Es wird auch ein Johannisbeerenjahr, so viel steht bereits fest, und die Heidelbeeren wollen auch mehr bieten als im Vorjahr.

Kürbis, Zucchini, Pak Choi, Tomaten und Kohlrabi haben wir in die Beete ausgepflanzt. Die Zuckererbsen kommen weiter nur zögerlich, vorsichtig und vermutlich frostverschreckt, die Karotten zeigen mit deutlicher Verspätung ihre niedlichen grünen Fähnchen, schon unkrautüberwuchert, da muss man mal ran.

Die Kartoffeln dagegen geben sich unverwüstlich und dienstbeflissen wie immer. Sie kommen mit großer Selbstverständlichkeit und auch an Stellen, an denen wir nie welche gesetzt haben. Sie wachsen aus den Küchenresten im Kompost und auch aus verlorenen Abfällen am Gartenwegrand, kurz vor der Biotonne haben wir sie irgendwann auf dem Weg aus der Schüssel verloren. Wir lassen sie überall zu, wo sie nur wachsen wollen.

Die Robustheit der Kartoffeln ist so beeindruckend wie beim Löwenzahn, ein einziges pflanzliches Dennoch. Platz da, hier wachse ich. Ich mache hier mein Ding, und das Ding sind am Ende dann Knollen, die wieder ihr Ding machen werden, ohne große Ansprüche zu stellen. Eine sympathische Pflanze, zuverlässig und pflegeleicht.

Auch etwas weiteren Lavendel haben wir neben die Laube gepflanzt, und noch einige Erdbeeren nachgesetzt. Man hat nie genug Lavendel und Erdbeeren im Garten.

Es war gar nicht viel Arbeit, das alles. Es war im Grunde nur ein wenig Spaß an freien Tagen.

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In den Zeiten der permanenten Updates

Am Abend wieder in der Kafka-Biografie weitergelesen. Er geht da in einem Brief an Felice Bauer gerade überraschend vom Sie zum Du über, das war damals ein einigermaßen spektakulärer und kühner Schritt. Und er wartet dann in äußerster Spannung, ob sie das Du im Antwortbrief auch erwidern wird. Keineswegs kann er sich sicher sein und man muss es sich als nervenzerfetzende Spannung vorstellen, als kaum auszuhalten und auch schlafraubend. Es zerlegt Kafka förmlich. Wobei er auch nicht eben schwer zu zerlegen war, schon klar.

Ich bin jedenfalls alt genug, diese Situation noch gut verstehen zu können. Ich habe es noch jahrelang erlebt, dieses tagelange, vielleicht sogar wochenlange Warten auf eine Briefantwort einer Angebeteten. Und ich kenne auch noch, wie Kafka, wie alle Briefschreiberinnen der vergangenen Jahrhunderte, die eher irrationale Überlegung, ob nicht doch ein Brief verloren gegangen sein könnte. Und was hätte nicht alles in diesem verschollenen Brief stehen können! Fast unangenehm deutlich erinnere ich mich. Später kam dann das Warten auf Briefe von anderen dazu, von Behörden etc., und das war manchmal leider auch spannend, meist aber ohne jede Vorfreude.

Und ja, dieses Warten war anstrengend. Überhaupt, wieviel Zeit wir damals mit dem Warten verbracht haben, immer wieder dieses endlose Warten. Warten auf Briefe und Postkarten, auf irgendeinen Besuch oder auf einen rettenden Anruf am Abend. Man könnte seitenlang nur über das Sitzen vor dem Telefon schreiben und über den unvorstellbaren Schreck, wenn es dann tatsächlich klingelte, diese dramatische Herzbeschleunigung. In der Serie Friends gab es dazu einmal eine gute Szene, einigen wird sie jetzt spontan einfallen.

Fast unvorstellbar ist das alles schon geworden, in unseren Zeiten der permanenten Updates zu allem. Und dies schreibe ich, gerade fällt es mir auf, mit einem aktuellen Paketzustellungsverlauf im Browser. Es sind noch vier Zustellungsstopps. Ich könnte aktualisierten, dann sind es vielleicht nur noch drei.

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Phänologischer Kalender der großen Stadt: Es gab den ersten frühsommerlichen Abend mit Outdoor-Party um die Ecke, mit besoffenem Johlen, hysterischem Lachen, lauter Musik, mitgesungenen Krachern etc., bis hin zu etwas, das wohl ein erstaunlich klangstarkes Wettrülpsen junger Männer war. Diese Jahreszeit wieder.

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Man macht was mit

Ich habe diesen aktuellen Wahl-O-Mat durchgespielt, wozu es gar keinen Grund gab, ich weiß auch so, was ich wählen werde. Es war mehr eine Frage des Prinzips und des Rituals. Das Ergebnis war eh klar, erwartbar und zweifelsfrei. Grün ist nach der Logik dieses Tools vorne, trotz allem ist das weiterhin so. Die radikale Rechte ist ganz hinten, und auch der Rest verteilt sich planmäßig und weitgehend wie immer über das Spektrum, das kann mich alles nicht überraschen.

Einige Parteien habe ich nicht einmal gekannt, aber das wird sicher vielen, wenn nicht fast allen so gehen. Und bei dem Bündnis der unsäglichen Sarah W. habe ich gemerkt, dass ich die schon wieder kurz vergessen hatte. Oder nein, verdrängt eher. Ach, die gibt es jetzt ja auch als separate Partei, man wird sich also damit abfinden müssen. Man macht was mit.

Generell empfinde ich die Nachrichtenlage und die Entwicklung der Gesamtsituation weiterhin als wahnsinnig anstrengend, abstoßend und tendenziell überfordernd. Die Welt entwickelt sich allzu sehr in eine von mir nicht gewünschte Richtung und reagiert nicht auf meine Beschwerden.

Es ist eine Zumutung, das alles, es ist eine geschichtliche Kränkung größeren Ausmaßes. Ich denke zwar, geschichtliche Kränkungen sind erwartbar, zumindest geben das die Geschichtsbücher zweifelsfrei so her, wenn man einmal nachliest, aber manches wird gar nicht weniger anstrengend, wenn man es auch noch so klar und lange erwartet. „Denn was ich gefürchtet habe, ist über mich gekommen, und wovor mir graute, hat mich getroffen.“ Aus dem Buch Hiob, Sie werden es wohl kennen. Das könnte ich auch einmal nachlesen, wenn es mir schon einfällt, den Roman von Joseph Roth dazu hatte ich im letzten Jahr gerade, ein gutes Buch.

Ich bin jedenfalls noch lange nicht damit durch, den richtigen Umgang mit diesem Thema zu finden. Vielleicht werde ich auch nie damit durch sein. Die Vermutung liegt allmählich nahe, denn es zieht sich alles immerhin schon etwas hin. Aber unsere vorhergehenden Generationen waren wohl auch nicht damit durch, nehme ich an, bis zu ihrem Ende nicht. Je älter ich werde, desto wahrscheinlicher kommt mir das vor.

Kopfschüttelnd gehen wir irgendwann aus der Welt. Vielleicht seit der Steinzeit schon, vielleicht seit dem ersten Aufrichten in der Savanne.

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Gerne gesehen: Diese Doku über Edward Hopper auf arte. Eine Doku wie ein Bildband, das fand ich erholsam. Und erholsam ist wichtig.

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Was wäre wenn

Gesehen: Die Paul-Auster-Doku auf arte, Was wäre wenn. Ich finde es etwas irritierend, allerdings nicht unangenehm irritierend, dass Auster, seine Kleidung und seine Wohnung etc. in manchen Momenten so aussehen, als seien sie aus einer Woody-Allen-Film-Szene geschnitten. Es ist irritierend, obwohl es nur logisch und naheliegend ist. Diese Optik, die man gut kennt, dieses New York einer intellektuellen Oberschicht, in der Geld vorhanden und kein Thema ist, wie auch immer man dazu gekommen ist. Es ist diese Art, eher langsam zu reden, sich nur moderat zu bewegen, bestimmte Hemden und Pullover zu tragen und gelassen durch ein großes Wohnzimmer zu gehen, es ist dieses besondere Licht im Raum, es sind diese Möbel und die Bücherregale. Es ist ein seltsam vertrautes Setting, man hat es schon oft gesehen.

Einen kurzen und heftigen Moment der New-York-Sehnsucht hatte ich beim Zusehen. Ich war einmal beruflich da, lange ist es schon her, aber es war genauso beindruckend, wie es dem Klischee entspricht. Sprachlos dort an einer Ampel nahe dem Broadway gestanden und gedacht: „Das ist alles echt. Das gibt es alles wirklich.“ Zu geistreicheren Erkenntnissen gar nicht in der Lage gewesen. Später aus einem Hotelzimmer gesehen, irgendwo von einem surreal hohen Stockwerk aus. Mit Kolleginnen da am Fenster gestanden, und ich weiß noch, wir fanden es alle vollkommen unbegreiflich, was wir da sahen, nur fühlbar. New York war zu viel für den Verstand, aber die Bilder reichen bis in meine Gegenwart.

Mein damaliger Chef, wie er in die Twin Towers geht, und wir auf einer Bank davor, draußen in der Sonne auf ihn wartend, denn wir wollten nur diese Szenerie ansehen, am besten stundenlang. Angaffen eher.

Man könnte die Stadt auch mehrfach besuchen, rein theoretisch. Da ich nicht fliege, müsste ich allerdings Zeit und Geld für eine gemütliche und möglichst stilvolle Überfahrt haben und einplanen. Und bei einem gewissen Wahlausgang in den USA würde ich wohl für längere Zeit nicht mehr in dieses Land wollen. Es ist kompliziert, es wird sicher eher nichts, und es macht nichts aus. Es ist nur ein Nebentraum.

Und nebenbei bemerkt, für die Freunde von History Repeating – es geht in der Doku auch kurz um die revolutionäre Stimmung und die Unruhen an der Columbia University im Jahr 1968. Auster wurde dort damals bei einer Demo von der Polizei festgenommen und verprügelt. Er erzählt es so in der Doku, während man beim Zuschauen am Notebook nur einen Tab weiter auf der nächstbesten Nachrichtenseite im Browser noch die aktuellen Bilder und Videoclips aus dieser Universität sehen kann, die Polizeieinsätze, die Proteste, die Rangeleien, die Räumungen.

Anyhow. Ein Sohn lernt hier gerade, solche Floskeln in sein Schulenglisch einzubauen, deswegen denke ich das dauernd: Anyhow. Nach der Doku habe ich noch mehr Lust, Austers Bücher und auch die von Siri Hustvedt zu lesen. Noch einmal vielen Dank dafür, dass eines schon als Geschenksendung hier ankam.

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Ich habe in diesem Text beim Goethe-Institut gelernt, dass kafkaesk auf Polnisch kafkowski heißt, und ich freue mich seitdem enorm über dieses Wissen. Kafkowski – großartig. Stundenlang kann man sich über das Wort begeistern, finde ich.

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Hirsch, Wald, See und Mond

Ein Aldi-Kassierer hat mir neulich beim Einpacken der Ware vom Laufband zurück in den Einkaufswagen anerkennend und mit sportlehrerhaft gegrinstem Zunicken Spitzengeschwindigkeit attestiert, ein vermutlich eher seltenes, schwer zu erhaltendes Lob in diesen Läden.

Ich habe bisher nicht viel erreicht im Leben, aber das dann doch. Und nebenbei ergibt das auch schon wieder eine gute Grabsteinidee: „Er konnte einpacken.“

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In der U-Bahn zum Garten sehe ich ein junges Paar. Arm in Arm stehen sie auf dem Bahnsteig, aneinander gelehnt. Er hat ein Ölgemälde unter dem Arm, etwa in Schulzeichenblockgröße, ein schmaler, goldlackierter Rahmen. Darauf abgebildet ein röhrender Hirsch am Waldsee, ein Klassiker des gutbürgerlichen Wohnzimmers. Das Bild ist in durchsichtige Plastikfolie eingeschlagen, man kann Hirsch, Wald, See und Mond dadurch noch erkennen.

Die beiden suchen sich Plätze in der Bahn und halten Händchen, sie knutschen auch etwas und sind offensichtlich bestens gelaunt. Sie lachen, sie kichern, sie albern herum. Sie werden das Bild vermutlich auf einem Flohmarkt erworben haben, nehme ich an, bei Verwandten abgestaubt womöglich. Vielleicht werden sie es ironisch in die erste gemeinsame Wohnung hängen, sie sehen aus, als seien sie im passenden Alter dafür, und vielleicht werden sie darunter unironischen Sex haben. Nein, sicher werden sie das. Oben der brünstige Hirsch, der Wald, der See und der Mond, unten die beiden Verliebten.

Man hat manchmal Bilder im Kopf, im Mai. Sie kennen das vielleicht.

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Durch die offene Balkontür höre ich am Nachmittag, wie jemand irgendwo Akkordeon spielt, my bonnie lies over the ocean. Die Melodie hängt in den Bäumen auf dem Spielplatz, eine maritime Tongirlande im frischen Maigrün. Das Lied habe ich schon lange nicht mehr gehört und für einen Moment erscheinen mir tatsächlich Küstenbilder im Kopf, Segelschiffe und Hafenanlagen, manchmal funktioniert Musik wie gewünscht. Wenn ich diesen Absatz einfach beende, das Notebook zuklappe, das Sakko greife und augenblicklich losgehe, ich bin in etwa, na, zwanzig Minuten unten am Hafen, an der Elbe, an den Landungsbrücken. Aber das demnächst lieber nicht machen, fällt mir ein, denn es steht schon wieder der Hafengeburtstag an, da wird es also unfassbar voll werden, Hunderttausende werden erwartet.

Bei einem der Gespräche auf dem Land neulich haben wir wieder gemerkt, dass Menschen zu diesem Mega-Event tatsächlich begeistert in die große Stadt fahren. Wir würde deswegen eher aufs Land fahren. Bloß weg davon, bloß raus aus der überlaufenen Stadt. Die Perspektiven sind doch arg unterschiedlich.

Aber der Garten wird als Fluchtpunkt für die Herzdame und mich okay sein, wir müssen immerhin nicht erst over the ocean. Wir müssen nur mal eben over the Bille.

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