Was man wissen kann und will

Wenn man sein Medienmenü neu aussteuert, geschickter zusammensetzt und auch durch mehrere neue Quellen anreichert, ist man hinterher viel besser informiert und also noch schlechter gelaunt. Toll.

Ich probiere etwas herum. Ich sehe mir neue Newsletter und weitere Medien an, auch mehr aus dem Ausland, da ich mit den etablierten deutschen Zeitungen immer weniger einverstanden bin (aber dank eines freundlichen Hinweises auf Mastodon immerhin gerade verstanden habe, dass ich mit dieser Browsererweiterung und meinen Hamburger Bücherei-Zugangsdaten viel mehr und viel bequemer lesen kann, als ich dachte). Ich habe den Economist und die Krautreporter (die lohnen sich vielleicht schon wegen Gabriel Yoran) testabonniert, ich muss mir auch die Riffreporter noch genauer ansehen, und mir wird dann noch mehr einfallen.

Ich habe den Guardian doch nicht genommen und weiß unterm Strich alles noch nicht recht. Es ist aber auch wahrlich keine leichte Aufgabe und das Budget ist am Ende auch zeitlich und finanziell begrenzt.

Diese Frage, was man wissen will, was man wissen kann und was man meint, wissen zu müssen und warum eigentlich – sie ist jedenfalls verdammt kompliziert, wenn man erst einmal ernsthaft und auch länger darüber nachdenkt.

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Gesehen und gemocht: Mr. Morgans letzte Liebe (Netflix), eine ruhige, wiederum milde Angelegenheit in zeitschriftenschönen Wohnungen und gesellschaftlichen Regionen, in denen Geld angenehmerweise kaum eine Rolle spielt; man hat es eben. Und man hat dadurch dann auch mehr Zeit für die philosophischen Betrachtungen des eigenen Unglücks. In dem eben verlinkten Wikipedia-Text wird eine negative Rezension bei epd zitiert, dieser stimme ich zu und fand den Film dennoch sehenswert. Ambivalenz aushalten! (Ich habe eben den Unterschied zwischen Ambivalenz und Ambiguität in der Wikipedia nachgelesen und absolut nichts verstanden. Vermutlich weil Wochenende ist, da denkt man eben nicht so scharf, nicht wahr. An einem Montag hätte ich das alles souverän herleiten können, sicher doch.

Ich hätte Michael Caine und Clémence Poésy auch gerne längere Zeit beim stummen Herumsitzen auf einem Sofa zugesehen. Es gibt so Konstellationen, die reichen mir pur schon aus.

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Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

Wie geht das zu, wie kann es sein

Im Rückblick waren die Vögel in den letzten Tagen noch gar nicht laut. Jetzt sind sie erst laut. Als hätte jemand am Regler gedreht, an diesem Morgen mit heimatlichen 12 Grad und freundlich leichtem Regen. Zaunkönig, Amsel, Rotkehlchen und Kohlmeise sind heute im Einsatz, und wie sie das sind. Ich stehe am Fenster und bin beeindruckt, wie in jedem Jahr.

Man müsste in den Garten, an so einem Tag, der Natur beim Aufwachen und Räkeln zusehen, aber es stehen mehrere Termine im Weg herum, an denen komme ich nicht vorbei.

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Gehört: Ein Zeitzeichen über den Hauptmann von Köpenick, in dem man auch dessen Original-Stimme hören kann. Die Geschichte, wie es mit dem Herrn Voigt nach der spektakulären Tat weiterging, die kannte ich bisher gar nicht.

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Abends sehe ich gerade eine Serie auf arte „Die Durrells auf Korfu“. Ich finde sie nicht einmal annähernd so gut, wie es in manchen Rezensionen beschrieben wurde, aber immerhin doch milde unterhaltend. Und es gibt so Phasen, da schafft man abends auch nicht mehr.

Außerdem sind in der dargestellten Familie alle komplett verrückt, das holt mich ab, wie man so sagt.

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Apropos Familie, neulich hatten die Herzdame und ich diesen Moment, der für Eltern etwas seltsam ist, wenn man ihn zum ersten Mal bemerkt, weil er vollkommen klischeehaft trotz langjähriger Berechenbarkeit total überraschend eintritt, dieser Moment nämlich, in dem uns zum ersten Mal bewusst, also voll und ganz bewusst wurde, dass Sohn I im nächsten Jahr volljährig wird. Wie geht das zu, wie kann es sein, wie isses denn bloß möglich. Und heißt es nicht auch, dass der andere Sohn dann im nächsten Jahr schon 16 wird – ich habe leise Zweifel an dieser Wirklichkeit, ich neige einer alternativen Wahrheit zu.

Aber gut, man wird sich fügen müssen. Wie immer.

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Außerdem ein Behördentermin, ein Elternabend. Und so verging meine Zeit, die auf Erden mir gegeben war, von wem war das noch – der olle Brecht.

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Valentinstag

Ich höre nach längerer Pause wieder ein Hörbuch, es ist der „Valentinstag“ von Richard Ford, Deutsch von Frank Heibert, hier die diversen Perlentaucher-Rezensionszusammenfassungen dazu. Es ist nur ein Zufall, dass der Titel zum gestrigen Datum passt. Oder mein Unterbewusstsein dreht wieder im Hintergrund an allem herum, das kann natürlich auch sein.

Ich glaube, der Roman gefällt mir nach der ersten Stunde sehr gut, ich kann aber vermutlich nicht präzise genug unterscheiden, ob es tatsächlich an der Geschichte oder doch am Sprecher liegt, der wiederum Christian Brückner ist, der mir auch die Geschäftsbedingungen von Facebook vorlesen könnte und ich würde das Zuhören vermutlich recht angenehm und entspannend finden.

Aber doch, der Roman hat einen leicht zynisch-resignierten Tonfall, der mir nicht unangenehm vorkommt, eher einladend und irgendwie auch altersgerecht. Glaube ich. Andererseits – klingt Christian Brückner nicht immer so?

Aber apropos Valentinstag. An diesem sehe ich wie in jedem Jahr vor den Blumenläden im Hauptbahnhof lange Schlangen am Nachmittag, die sicher längsten Schlangen des Jahres dort. Neu ist allerdings, dass in zumindest einer dieser Schlangen mehrheitlich Frauen stehen. Vielleicht ist es Zufall, vielleicht ändern sich die Zeiten und die Gebräuche, man kann es an nur einem Vorkommnis nicht ablesen.

Durch die Wandelhalle gehen etliche Menschen, die aufgeblasene Herzchenluftballons oder Blumen tragen. Teils noch in Papier zur späteren Übergabe, teils ausgepackt, so dass die Trägerinnen bereits beschenkt aussehen. Konsumrausch, Marketingfest, dies, das. Aber in der Innenstadt dann dieses eine Pärchen in der Fußgängerzone. Ein Mädchen, ein Junge, vierzehn etwa werden sie gewesen sein, kaum älter. Und sie hielt einen großen Rosenstrauß an ihr Herz, rote Blüten, teuer wird der gewesen sein, schon gar für die typischen finanziellen Verhältnisse bei Vierzehnjährigen, und er hielt einen Arm um sie und auch einen Schirm über sie, und sie sahen sich an beim Gehen und sie lächelten, wie sie lächelten. Geigen im Soundtrack und alles.

Ich kaufe keine Blumen, ich kaufe eh jede Woche Blumen. Das wäre bei uns tatsächlich etwas albern, wenn ich mich an diesem Tag da anstellen würde. Wir wollen nicht übertreiben, nicht wahr, die Tulpen im Wohnzimmer sind schließlich noch gut.

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Eingeplanter Übermut

In den Fenstern der Grundschule kleben noch Reihen bunter Pappschneemänner. Auch die sind im Vorbeigehen zu beachten, auch die gehören zum Kalender der Großstadt. Und ja, es ist offiziell noch Winter, okay. Die lachenden Osterhasen und auch die farbig ausgemalten Eier, Blümchen etc. müssen erst noch von den Schülerinnen gebastelt werden, werden die Schneemänner aber zuverlässig demnächst ablösen.

Vor einem Mittelklassehotel um die Ecke hängen noch trauliche Lichterketten in den drei Parade stehenden Nadelgehölzen vor der Tür, da wirkt der Dezember noch nach. „Im Treppenhaus riecht es noch nach Glühwein“, man könnte auch schon wieder Element of Crime hören.

Einer der Bäume auf dem Spielplatz aber hat, zumindest bei einem gewissen Licht und wenn man genau und auch etwas länger hinsieht, so einen hauchfeinen, zartgrünen Schleier ums Gezweig. Ein besonders wagemutiger Baum ist das, in jedem Jahr der Erste hier, allen anderen weit voraus, etliche Wochen Vorsprung knospt er heraus.

In Hamburg werden außerdem die ersten zurückkehrenden Störche gesichtet, lese ich beim NDR, draußen vermutlich, wo die Stadt ins Land und ins Süderelbische übergeht.

Bloggerinnen machen schon ausgedehnte Fahrradtouren, denn der neue Februar ist der März, wenn nicht sogar der April, Lars Fischer fasst hier übrigens die Klimalage kurz zusammen.

Passend dazu habe ich auf einmal meine Winterjacke satt. Schwer und runterziehend kommt sie mir nun vor, deprimierend geradezu. Wie unzumutbar ist es, so etwas jeden Tag zu tragen, ein schwarzes Gewicht auf den Schultern, ein Symbol für saisonale Verstimmungen. Wie schön muss es dagegen sein, nur mit einem Sakko rauszugehen, mit einem dicken Pullover vielleicht.

Gegen Ende der Woche werden 15 Grad erwartet, sagen die Wetter-Apps. Da dann mal übermütig werden, ich plane das ein.

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Im Bild frisches Grün, der Bedarf daran steigt.

Frühlingshaft wirkendes Kleingrün unter einem Zaun, Moos und Kräutchen

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Hinter dem Hauptbahnhof

Ich habe einen Radio-Essay von Roberto Simanowski gehört: Die Logik des Digitalen – Es zählt, was sich zählen lässt (28 Minuten, man kann den Text aber auch unter dem Link lesen, wenn das besser erscheint oder schneller geht). Er ist empfehlenswert für alle, die mit dem Digitalen etwas zu tun haben. Fühlen Sie sich also ruhig angesprochen, denn das haben Sie ja.

Und hinterher dann pflichtgemäß Billy Bragg hören: Not everything that counts can be counted. Manchmal müssen gewisse Songs einfach sein.

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Ich habe meinen Account bei Linkedin deaktiviert. Ich ertrage das Marketing-Geschwurbel dort einfach nicht, es ist mir geradezu körperlich unangenehm, warum soll ich mich damit herumquälen.

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Einige Herren sagten etwas dazu“ – ein neues Buch über die Autorinnen der Gruppe 47. Das mal vormerken.

Es gibt frische Links bei Kid37.

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Hinter dem Hauptbahnhof, wo die Stadt deutlich unschöner wird, zwischen dem ZOB, der Methadonausgabestelle, dem Museum für Kunst und Gewerbe, dem Duschbus für die Obdachlosen und der Zentralbücherei, wo schmucklose Brücken über die vielen Gleise führen, steht ein stark schwankender Mann am Straßenrand und pisst.

Er steht dabei nah an den vorbeifahrenden Autos, die durch tiefe Pfützen fahren, so dass das Wasser aufspritzt und ihm die Beine nässt, der Mann dreht sich daher etwas aus der Richtung. Er macht das allerdings, während er noch seine Blase entleert, und er dreht sich dabei dummerweise in den Wind, der hier ungehindert über breite Schneisen für Gleise und mehrspurige Straßen weht.

Er braucht eine Weile, bis er es bemerkt, denn er denkt nicht mehr allzu schnell, wie man sich aufgrund seines Schwankens leicht vorstellen kann, aber er steht nun in einer scharfen Brise und daher auch in seiner Uringischt, hellgelbe Tropfen wirbeln hoch auf und um ihn herum, und die wenigen Passanten in der Nähe schlagen ruckartig Haken, um dem Geschehen nicht zu nahe zu kommen. Angewiderte Blicke, lautes Schimpfen, Kopfschütteln, und der Mann steht da, bedröppelt und bepinkelt, und guckt leer.

Pardon. Es ist nur, was man hier so beobachtet, wenn man kurz um den Block geht. Quasi Chronistenpflicht.

Es geht diesen Menschen, also denen aus der Alkoholszene, darunter viele osteuropäische Männer, sehr schlecht, und es wird ihnen exakt gar nichts helfen, dass der Konsum von Alkohol auch um den Bahnhof herum bald verboten sein wird, ab April wohl. Symptombekämpfung ist das, keine systemische Lösung.

Zum Beispiel gibt es auch, um an den ersten Absatz zu diesem Thema kurz noch einmal anzuschließen, viel zu wenig kostenlose öffentliche Toiletten. Dabei besteht hier Bedarf an buchstäblich jeder Ecke und mehr davon würden tatsächlich ein Problem lösen, nicht verschieben.

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Im Tagesbild eine Ente mit Haltung.

Ein Sticker an einer Wand, darauf eine Ente im Disney-Stil, wie Donald, mit Sprechblase: "Stand against Racism" , darunter der Slogan "Enten gegen Nazis"

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Die Unmöglichkeit von Zwitschernotaten

Falls Sie etwas zum Aufhellen der Februarstimmung brauchen, beim WDR gibt es ein besonders liebevolles Feature über einen englischen Lokalradiosender für alte Menschen, „Angel Radio“, betrieben von ebenfalls alten, teils sehr alten Menschen und gestartet als tapferer Piratensender.

Sehr gerne gehört, 54 Minuten, nach denen man wieder etwas mehr an das Menschliche glauben möchte. Zumindest kurz.

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Der Herrr Dostoevskij wies mich auf Mastodon nach meinem letzten Text mit der Erwähnung der Herrenmode auf ein Video hin, das ich hier gerne teile: Über die Sapeurs im Kongo. Danke für den Tipp!

Hier noch eine Fotogalerie zum Thema, hier das Buch dazu, und hier ein Bericht im Weltspiegel von 2018.

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Auf dem Spielplatz unten ruft etwas monoton der Grünfink. Er löst am Morgen das Rotkehlchen ab, das schon mitten in der Nacht mit dem Gesang beginnt, etwa um halb vier. Es singt so früh, sehe ich gerade beim Nachlesen, weil es hier wohl tagsüber zu laut ist, es nutzt daher die stillsten Stunden der Nacht für seine melodiöse Angeberei, wie Sprosser oder Nachtigall. In ruhigeren Gegenden fangen die Rotkehlchen deutlich später mit den Darbietungen an. Das kenne ich, denke ich beim Lesen, ich bin auch gerne kreativ, während es noch ruhig ist, vor dem lärmenden Gewusel von Familie und Welt um mich herum.

Diese Ablösung durch den Fink kann jedenfalls musikalisch mit dem vorhergehenden Künstler nicht mithalten, was wiederum zum Beginn des Tagwerks beim Menschen passt. Es werden nun Sachen abgearbeitet, da tritt die Poesie des Gesangs etwas zurück und die eher unoriginellen Rufe des Finkenvogels passen gut in unsere Stunden der mehr oder weniger wachen Routine. Wie zwischengerufene Tastentöne klingt es manchmal, was man da von draußen hört.

Der Grünfink macht, so steht es in der Wikipedia, „jüpp“, manchmal auch „djüp-rüp-rüp“ oder auch „juÍT“. Wenn ich aber am Fenster stehe und den Vogel höre – ich könnte das nicht so aufschreiben. Ich höre das nicht so. Es besteht für mich überhaupt keine Verbindung zwischen dem gehörten Zwitschern und den Buchstaben, ich bekomme das einfach nicht zusammen, als würde mir da eine gewisse Verdrahtung im Hirn fehlen.

Wenn ich es nachlese, dann passt es manchmal recht gut. Ich kann mir das laut vorlesen und höre dann auch oft, was gemeint ist – aber selbst notieren könnte ich das so nicht, es ist mir völlig unmöglich. Auch ein Hahn etwa macht keineswegs Kikeriki für mich, nicht einmal das i in dem Wort kommt hin.

Vögel klingen für mich außerbuchstäblich, unbeschreiblich, im wahrsten Sinne des Wortes.

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Und hier noch Nils Minkmar über simulierte Privatsphäre im Großraumwagen.

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Unentschlossen zwischenjahreszeitlich

Bei einem Spaziergang durch die Innenstadt, in der etliche Schaufenster gerade unentschlossen zwischenjahreszeitlich gestaltet wurden, nicht mehr recht Winter, noch kein deutlicher Frühling, sehe ich in der Europapassage eine kleine Gedenktafel, die mir bisher nicht aufgefallen ist. Sie erinnert an Lida Gustava Heymann, die dort einmal gewohnt hat, wo heute eingekauft wird, in einer Straße, die vom Stadtplan komplett durch Überbauung gestrichen wurde.

Der Name sagte mir nichts, aber man kann ja alles nachlesen. Worüber ich mich immer wieder freue; ist es nicht toll, dass man alles nachlesen kann? Überall und immer? Auch in noch besseren Quellen als in der Wikipedia? Es gehört zu den gar nicht so vielen Entwicklungen (von denen in der Medizin, die vermutlich niemand missen möchte, mal abgesehen), die ich ernsthaft unter Fortschritt verbuchen würde.

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Über gelbe Bänke in Berlin.

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Am Freitagabend haben die Herzdame und ich einen Film gesehen (auf Filmfriend), der mir wegen des völlig überfrachteten Drehbuchs und der allzu bedeutungsschweren Dialoge nicht gefallen hat, es war die Gripsholm-Verfilmung mit Heike Makatsch und Ulrich Noethen aus dem Jahr 2000.

Nett war es aber immerhin, das Lächeln der erwachsenen Inger Nilsson zu sehen, die darin eine Nebenrolle spielt und ab und zu eher textlos in die Kamera strahlt. Und nett ist es auch, die Herrenmode jener Zeit zu sehen (Übergang Zwanziger/Dreißiger). Ich denke manchmal, dass sie nie besser geworden ist. Das war damals der Höhepunkt, danach gab es nur noch Varianten des Niedergangs, quer durch die Jahrzehnte, vielleicht mit einem kleinen Zwischenhoch noch in den Sechzigern.

In den letzten Wochen habe ich gleich dreimal Männer hier im Stadtteil gesehen, die komplett in Vintage-Klamotten herumliefen, in jenem Stil aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, mit Hut und allem. Der eine komplett in Tweed, wie auf einem englischen Landsitz in einem Evelyn-Waugh-Roman und etwas deplatziert in der großen Stadt, der eine am Bahnhof im weiten Reisemantel und sogar mit Koffern, die wie aus einer Requisitensammlung aussahen, Gepäckstücke für die Titanic, der Dritte eher elegant und wie auf dem Weg zu einem Ball, London um 1930, komplett mit Blume im Knopfloch. Ein durchgezogenes Reenactment in dreifacher Ausführung.

Ich sympathisiere sehr damit. Es wäre mir allerdings dummerweise zu auffällig, selbst so herumzulaufen, da gucken ja alle, das würde mich doch erheblich stören.

Vielleicht sollte ich mir entsprechende Kleidung nur fürs zuschauerfreie Home-Office besorgen, einfach nur, um mich zwischendurch einmal modisch richtig ausgestattet zu finden.

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Dann ziehen Mond und Sterne über einen hinweg

Der Donnerstag ist insgesamt wieder eine betont kafkaeske Versuchsanordnung. Dieser Februar hat es bei uns in sich, aber wir haben ja wenigstens schon zwei Drittel davon … ach nein. Das stimmt gar nicht. Wir haben erst recht wenig davon verbraucht, sehe ich gerade, es ist sogar reichlich Februar übrig, nehmen Sie ruhig noch etwas nach.

Im Unterschied zu den anderen Varianten in dieser Woche ist dieser Tag durchaus erlebnisreich und berichtenswert, aber ich kann das alles unmöglich ausformulieren, weil ich sonst deutlich Gefahr laufe, Institutionen, Firmen und die Menschen darin, Softwaresysteme, Prozesse, Nachbarinnen und auch Familienangehörige wüst zu beleidigen, und dann immer diese lästige Sorge, wer sich da erkennen und was wie lange übelnehmen könnte, also verzichte ich lieber.

Nein, das kann ich alles unmöglich schreiben. Ich kann nur auf diese, wie viele waren es denn eigentlich, na, etwa siebzehn wach erlebten Stunden des Tages sehen und etwas von “Ich habe deutlich mehr von euch erwartet“ murmeln. Mit bebender Unterlippe und allem, quasi Witta-Pohl-Bühnenleistung.

Und dann ziehen Mond und Sterne über einen hinweg und es wird ein neuer Tag. Immerhin, denkt man da, immerhin.

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Ich höre bei der Einkaufs- und Kochrunde zwei Sendungen und schließe dabei Bildungslücken, eine über die Berliner Luftbrücke von 48/49 (19 Minuten, es ist eine schon recht alte Sendung, ich höre mich da durchs Archiv), eine über das Anwerbeabkommen mit der Türkei von 1961 (21 Minuten). Bei solchen Themen ist es auch interessant, wieviel man von ihnen wirklich weiß und wieviel man nur so ungefähr einsortieren kann, denn selbstverständlich weiß man irgendwas darüber – aber das ist vielleicht auch nicht ganz richtig, was man da noch parat hat.

Beide Themen waren bei mir kein Schulwissen und ich weiß nicht, ob sie heute auf einem Lehrplan stehen.

In der Sendung über die Luftbrücke ist ein O-Ton-Zitat des damaligen Bürgermeisters Ernst Reuter enthalten, und da hört man wieder, wie sehr sich die Sprache gewandelt hat, also besonders das öffentliche Sprechen, in Satzbau, Betonung, Geschwindigkeit.

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Dann sehe ich mir endlich einmal das Filmangebot der öffentlichen Bibliotheken an, Filmfriend (Wikipedia dazu) und stelle fest, dass es da tatsächlich Filme gibt, die ich sehen möchte. Noch so ein Problem.

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Spiegelungen des Verfalls

Die gefühlte Temperatur weicht am Morgen ab, der gefühlte Wochentag auch, das gefühlte Alter ebenfalls. So ein Tag.

Ich höre in irgendeiner Sendung, dass die Schulnoten oder überhaupt unsere so geliebten und mittlerweile dermaßen tief in der Gesellschaft verankerten und auch allgegenwärtigen Leistungsbewertungen auf die Meritentafeln der Jesuiten zurückzuführen sind, die also haben damit angefangen. Und ich wäre dafür, dieses wunderbare alte Wort wieder zu benutzen. Die Zeugnisvergabe in den Schulen und auch die Bonusprogramme für die Manager in Firmen, überhaupt alles in dieser Richtung „Jährliche Beschauung der Meritentafeln“ nennen, damit der Vorgang etwas würdevoller klingt.

Egal. Ich gehe zum Einkaufen raus und über die etwas würdelose Straße vor unserer Haustür, sie hat entwertende Mängel und Löcher. Man braucht eine Weile für die Wahrnehmung, es fällt mir nur langsam auf, weil es doch eine schleichende Veränderung ist, aber die Straße hat nun deutlich mehr Löcher als früher, größere auch, und es beseitigt sie niemand mehr. Dieses Thema mit dem Verfall der Infrastruktur beginnt tatsächlich zehn Meter vor unserer Haustür, wo eine Lücke in den Pflastersteinen nun so groß ist, dass sie radfahrende Menschen zum spontanen Salto über den Lenker animieren kann.

Es ist so eine Lücke, die man auch in der Lokalzeitung abbilden könnte, mit einem Menschen daneben, der klagend und ernsten Blickes in die Kamera sieht, was bekanntlich eine ganz eigene Fotokatagorie in Lokalzeitungen ist. Klagende Menschen vor schlimmen, ernsten Sachen. Gerne mit vor der Brust verschränkten Armen und vorgeschobenem Kinn, oft etwas kindlich beleidigt wirkend: Jetzt spielen wir aber nicht mehr mit.

Und auch hier scheint wieder das literarische Sammelgebiet auf, möchte ich meinen, „Spiegelungen des infrastrukturellen Verfalls in der deutschen Gegenwartsliteratur seit 2000“, und dann geht es in endloser Zitatkette aus Romanen und Geschichten um bröckelnde Brücken, kaputte Weichen, marode Turnhallen, einstürzende Altbauten etc., eine Fundstelle nach der anderen, herausgearbeitete Deutungsverschiebungen über die Jahrzehnte dann im Anhang. Ich würde das reizvoll finden. Die Bröckelbrücken als Metapher der Moderne, die über Straßen und Flüsse, auch die im Mund, selbstverständlich auch die über gesellschaftliche Differenzen hinweg.

Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret. Das allerdings war Gryphius, das war ein anderes Kapitel. Barockdichtung könnte man auch mal wieder lesen, das mal vormerken.

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Abends dann aber nicht Gryphius, sondern Joy Williams gelesen, Kurzgeschichten, Deutsch von Brigitte Jakobeit und Melanie Walz. Sehr angetan gewesen, gleich die erste Geschichte hat ein so gelungenes Ende – wenn man selbst schreibt, auch wenn man gar keine Geschichten schreibt, kann man manchmal auf eine nicht unangenehme Art neidisch auf die Sätze anderer sein.

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In samtgrüner Weste

Am Dienstag viel Arbeit, wirklich sehr viel, ungewöhnlich viel. Danach dieses überaus unangenehme Gefühl, nachdem man ein paar Stunden keine Nachrichten mitbekommen hat, irgendwann doch wieder auf eine News-Seite zu gehen und alles skeptisch nachzulesen, denn wer weiß. Was in fünf Stunden alles passieren kann.

Es war dann aber nur das Übliche. Was auch schlimm genug ist, versteht sich, und ich habe mittlerweile einen großen Widerwillen, da überhaupt noch im Detail einzusteigen. Morgens die Presseschau aus Deutschland und aller Welt zur Belebung des noch schlafenden Blutdrucks, zwischendurch dann nur noch ein paar Schlagzeilen nebenbei und am Wochenende die ausführliche Lage der Nation als sättigendes News-Festmahl, das ist der Pflichterfüllung im Moment genug.

Der Tag gibt ansonsten nichts her, er ist kalt, auf eine freudlose Art gewöhnlich und gering berichtenswert. Oder ich habe nur wieder nicht aufgepasst, das kann natürlich auch sein. Im Grunde, so denke ich, habe ich immer nicht aufgepasst, wenn ich nichts über einen Tag zu sagen weiß. Was nicht heißt, dass es nicht in Ordnung ist, mal einen Tag nicht aufzupassen – obwohl ich da nicht ganz sicher bin. Am Ende ist auch das wieder kompliziert.

Beim Kochen immerhin eine Radiosendung über das Schicksal von Jakob Wassermann (23 Min) gehört, der zwar einerseits fast vergessen ist, bei einem Sohn aber immerhin gerade als Schullektüre vorkam, das hat mich überrascht. Ich bin sicher, er ist mir in meiner Schulzeit nicht begegnet, ich habe ihn erst viel später in meiner Zeit im Antiquariat kennengelernt.

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Außerdem eine Sendung über Katherine Mansfield (22 Minuten) beim Einkauf gehört. Als sie Cello lernte, trug sie braune Kleidung, denn sie verschmolz gerne mit dem Gegenstand des Interesses oder der Liebe. Ich könnte mir eine samtgrüne Weste kaufen, ich interessiere mich sehr für mein in dieser Art bezogenes Sofa. Da mal drüber nachdenken.

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Frisch eingetroffen: Lieblinks bei Kiki

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