Nur die Hälfte von allem

Am Dienstag mit unvermutet starken Halsschmerzen aufgewacht, das umfassende Formtief äußert sich jetzt auch in körperlicher Ausprägung, na gut. Aber das vergeht ebenfalls mit dem Februar, das wird im Kalender demnächst alles energisch weggeblättert.

Erst einmal halblang machen. Halbe Texte schreiben, halbe Artikel lesen, halbe Exceltabellen ausfüllen, überall nur mit halbem Ohr zuhören und den Tag nur halbherzig mögen, das muss heute reichen.

Einen Film angefangen, der im März 2020 spielte, den habe ich gleich wieder abgebrochen, und wie schnell. Ich merke, dass ich nicht die geringste Lust auf die Aufarbeitung dieser Zeit als Geschichte habe, als Besinnungsstück, als Lehrbeispiel, als Plot. Vielleicht ist es noch zu früh dafür, vielleicht werde ich es nie haben, das kann ich noch nicht abschätzen.

Ich habe jedenfalls auch keine Neigung, selbst Geschichten aus dieser Zeit zu erzählen und, vielleicht geht es Ihnen auch so, ich gerate im Zusammensein mit anderen Menschen kategorisch nicht in Weißt-Du-Noch-Situationen, welche die Pandemie, die Maßnahmen, die Belastungen betreffen. Auch interessant.

Wohlfeile Sprüche über Verdrängung und geschichtliche Spiegelungen bitte selbst hier einfügen, am Ende stimmen sie sogar.

Ich lege mich wieder hin. Und mache vielleicht einen Test, wo ich schon beim Thema bin. Wissen Sie noch, all die Tests?

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Das ist eben, was wir machen

Montagmorgen, das Fenster auf und den Kopf rausgehalten. Es sieht hellgrau aus, es riecht nach Winter, die Vögel klingen nach Frühling, es fühlt sich an wie Februar. Die Lichter in den Häusern gegenüber gehen an, man macht sich überall bereit, die letzte Woche dieses elenden Monats abzuarbeiten. Hunde trotten um Blöcke, die Nasen am Boden, die Besitzerinnen im Schlepptau.

Die Herzdame macht Frühsport im Wohnzimmer, ich mache mehr Kaffee und mehr Texte, wir wecken die Söhne, ich belege Brote, so geht es in den Werktag.

Regen auf den Dachfenstern. Das dezente Gerumpel der Waschmaschine, das sachte Rauschen der Spülmaschine, das Tippen auf zwei Tastaturen. Schritte im Treppenhaus, leises Schlüsselklirren, Nachbarbewegungen. Müllcontainerrollgeräusche von der Straße. Alltag durch und durch.

I woke up this morning to a garbage truck
Looks like this ol‘ horseshoe’s done run out of luck.”

John Prine wieder. Einer von denen übrigens, die wir durch das Corona-Virus verloren haben. Boundless love hieß der Titel.

Sometimes my ol‘ heart is like a washing machineIt bounces around ‚til my soul comes clean.”

Man arbeitet so vor sich hin. Zwischendurch ein Blick auf die Nachrichtenlage. Dann lieber doch nicht. Aber dabei immerhin gesehen, dass in Paris die Fashion Week beginnt. Der WDR schreibt, ein Trend für Frauen sei jetzt die Mafia-Mode: „Getragen werden Pelze, auffälliger Goldschmuck und üppige Toupet-Frisuren.“

Wenn mir das im Hauptbahnhof beim Abendspaziergang so begegnen sollte – ich werde berichten.

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Gesehen (bei Filmfriend): Die Koffer des Herrn Spalek, das ist eine ruhige, betont langsame Doku über John Spalek, selbst ein alter Mann, der in den USA die Nachlässe von alten und sehr alten Menschen sichert, die im letzten Jahrhundert aus Deutschland dorthin zu Zeiten der Nazis, also der ersten Nazis, emigriert sind. Ihre Notizen, ihre Tagebücher, Briefe, Postkarten, Visa und Tickets, all die Papiere und Belege.

Unbedingt interessant für den Freundeskreis Archiv, Bibliothek und Geschichte, es geht auch um die Einlagerung der Funde in Deutschland.

Der Herr Spalek wird im Film intensiv bei seiner Arbeit beobachtet, und am Rande kann man feststellen, dass diese Arbeit dabei gar nicht wie Arbeit wirkt. Es wirkt mehr so, als sei er einfach durchgehend beschäftigt, und als sei das auch gar nicht anders denkbar, denn das ist eben, was er macht. Das ist seine Lebensform, nicht sein Job.

Auf diese Art wirkt Arbeit dann auch im hohen Alter vorstellbar. Menschen meiner Ausprägung werden vermutlich auch im Rentenalter immer weiter bloggen. Denn das ist eben, was wir machen.

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Und dann zu Bette

Am Sonntagmittag habe ich wiederum routiniert an einer Demo gegen Naziklimbin teilgenommen, man erschien erneut zahlreich und pflichtbewusst. Ich lief mehr herum und durch die Menge als bei den letzten beiden Veranstaltungen und traf dabei eine Ex-Kollegin, Nachbarn, Freunde, alte Bekannte, es war eine ausgesprochen heimelige Großdemo. Und Maja Göpel kann mir gerne jeden Sonntag einen kleinen Vortrag halten, sie ist immer hörens- oder lesenswert.

Zwischendurch lief ich eine Weile zufällig neben den „Omas gegen Rechts“ her, wobei mir irritierenderweise auffiel, dass einige von ihnen gar nicht älter aussahen als ich. Da vielleicht auch mal in einer stillen Stunde drüber nachdenken.

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Gehört: Im Bildungsfunk eine alte Folge über Franz von Papen. Im Kontext der Demo und angesichts der sich dezent überschätzenden Führungsmannschaft der heutigen CDU war das gar nicht so abwegig. Beim Hören habe ich aber auch wieder etwas gelernt oder noch einmal gelernt, teils sogar Aspekte, die ich aus der Schulzeit noch dunkel erinnerte. Es war doch nicht alles umsonst, damals im Geschichtsunterricht.

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Frau Novemberregen schrieb Sinniges über Sinnsprüche.

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Nebenbei sehe ich bei dem neulich bereits erwähnten Erich Lüth ein Fallersleben-Zitat, und zwar gibt er da wieder, wie der Dichter seinen Tagesablauf auf Helgoland beschreibt (wo er dann bekanntlich auch den Hymnentext geschrieben hat, natürlich ohne zu wissen, dass er da gerade einen Hymnentext schreibt), und ich finde das geschilderte Programm gerade recht anziehend:

“Mein Leben war einfach: Morgens Spazierengehen, dann Überfahrt zur Düne, Baden, Rückfahrt, Spazieren, Mittagessen, Kaffeetrinken im Trichter, Ausruhen auf der Klippe, einen Augenblick im Conversationshause, um Zeitungen zu lesen, dann letzter Spaziergang auf der Klippe und zu Bette.” 

Ich würde das angenehm finden, wenn ich meine Tage so beenden könnte: „Ein letzter Spaziergang auf der Klippe und dann zu Bette.“

Im Bild die Außenalster, auf dem Weg zur Demo aufgenommen. Wir haben weiterhin viel mit Wolken zu tun, aber es kommt doch hier und da Licht durch, wie deep ist das denn.

Jemand sitzt auf einer Bank an der Außenalster, die Person wurde von hinten aufgenommen. Viele Wolken am Himmel, aber die gebäude am Ufer erscheinen hell und wie angestrahlt, es kommt Licht durch.

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Anmerkung zu prinzipiellen Gültigkeiten

Ich habe die Berichte zur Legalisierung des Kiffens nur am Rande verfolgt, das Thema interessiert mich nicht. Aber erheiternd fand ich doch einen irgendwo abgebildeten Stadtplan, auf dem markiert war, wo man nun darf und wo nicht, weil man doch im Umkreis von 100 Metern um Spielplätze etc. – was für ein absurder Flickenteppich, ein Schildbürgerstreich. Während auf diesen so genau umrissenen Spielplätzen usw. in schöner Regelmäßigkeit die Alkoholkranken jeden Tag stundenlang ihren Stoff konsumieren. Ach, was rege ich mich auf.

Es ist jedenfalls eine weitere Regelung, die im Prinzip niemanden interessieren wird, die auch vermutlich niemand jemals durchsetzen wird, die aber doch fallweise herangezogen werden könnte, weil sie ja prinzipiell immerhin gilt. Siehe Tempo-30-Zonen, auch so ein vollkommen sinnentleertes Thema, bei dem es zwischen Vorgabe und Wirklichkeit schlicht keinen Bezug mehr gibt.

Wenn man alle staatlichen Regelungen, bei denen es weder eine real vorstellbare Durchsetzungsmöglichkeit noch ein wenigstens vage erkennbares Durchsetzungsinteresse gibt, einfach streichen würde – es wäre spannend, was überhaupt noch übrigbliebe. Die Straßenverkehrsordnung wird es mit großer Sicherheit nicht sein, während wir uns mehrheitlich und sogar gemeinsam mit den staatlichen Institutionen bei Raub und Mord wohl doch noch einig sind, dass die meist nicht okay sind, dass man da etwas regeln und tatsächlich auch verhindern muss.

Aber die Basis, auf der wir uns noch weitgehend alle einig sind, sie ist in den letzten Jahren viel schmaler geworden. Erschreckend schmal, nehme ich an, weil Freiheit, Eigenverantwortung usw., die stets so bereitwillig wiedergegebene Litanei der Egomanen. Der Mensch ist dem Menschen eine FDP-Blockade.

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Gesehen: Finding Vivian Maier. Danach habe ich mehr zu Vivian Maier nachgelesen, auch pflichtbewusst zur harschen Kritik an diesem Film und auch zu den rechtlichen Aspekten der Veröffentlichung ihrer Bilder, zum Erbstreit, zu ihrem Lebenslauf etc. Es ist sehr kompliziert – aber was für eine Geschichte. Und was für Fotos.

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Passend zum Sonntag heute ein Bauzaun im kleinen Bahnhofsviertel:

Ein mit weißer Folie bespannter Bauzaun, auf den jemand in pinkfarbener Schrift "Hallelujha" geschrieben hat, mit Rechtschfreibfehler und so getrennt, dass oben Halle und unten Lujha steht. Der Bauzaun steht auf einem sonst leeren Platz, der Schriftzug wirkt dadurch sehr prominent.

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Pfeifend vor der falschen Tür

Am Freitagmorgen im Home-Office eine seltsame Situation am Schreibtisch, ich erkenne auf einmal nichts mehr auf meinem Notebook. Ich sehe nicht, was ich schreibe. Das liegt an einem ungewöhnlichen Vorkommnis, die Sonne blendet nämlich. Das ist erstaunlich, weil es morgens also schon Licht gibt und weil dieses Licht auch nicht wie sonst ist, also etwa mittelgrau, dämmerdiesig oder werktagsfahl. Es ist strahlend, gleißend. Ich bin sicher, ich hatte wochenlang keine blendende Sonne mehr auf meinem Bildschirm, vielleicht monatelang nicht. Da wird einem wieder bewusst, was für eine heruntergedimmte, durch und durch trübe Veranstaltung der Winter in Hamburg doch ist. Und dass man mal die Fenster putzen könnte, das auch.

Na, man wird sich wohl wieder umstellen. Das merkwürdige Vorkommnis fand auch nur kurz statt und zeitgleich wurde es wieder kühler, das ist auch besser zur Wahrung der Contenance. Wir werden langsam und behutsam an den Wechsel der Jahreszeit herangeführt, das ist hier alles betont rücksichtsvoll eingerichtet.

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In einem Kommentar zum letzten Text erwähnte Slowtiger die Rolle des Zufalls im Leben. Ich höre oft und gerne Podcasts zur Musikgeschichte, zur Geschichte der modernen Musik im weitesten Sinne, zu einzelnen Künstlern, Bands oder Songs, auch zu Epochen etc. Ich höre das sogar dann gerne, wenn mir das Besprochene nur am Rande etwas sagt, ich mag diese Geschichten.

Und wenn Musik beispielhaft ist, kann man die Rolle des Zufalls auch für den Erfolg an diesen Geschichten klar belegen. Es ist unfassbar oft so, dass an einem Tonstudio der siebenjährige Neffe des Hausmeisters vorbeigeht und etwas pfeift, was der Leadsänger dann spontan aufgreift und in den Song einbaut und zack, überragender Welterfolg, one hit wonder oder Karrierestart erster Klasse. Nur wegen dieses winzigen Moments.

Das ist ein ausgedachtes Beispiel, aber so geht es tatsächlich zu, und zwar erstaunlich oft. Was hatte ich neulich gehört – der Erfolg von Roberta Flack entwickelte sich daraus, dass Clint Eastwood sie im Autoradio hörte, daraus ergab sich dann alles. Viel öfter ist das so, als man zunächst annimmt, denke ich, das Absurde ist vielleicht sogar die Regel und klar, es wird auch ein paar andere Fälle geben, erarbeitete Erfolge nach Plan. Aber ich nehme nicht an, dass sie die Mehrheit darstellen.

Was bedeutet, dass man Gelegenheiten braucht, Situationen, Kontakte, Möglichkeiten. Also neben den so konservativen Werten Fleiß und Ausdauer, die bestenfalls irgendwann in Können münden, womöglich noch unterstützt durch etwas Talent, vielleicht auch Lust.

Also, um es kurz zu fassen: Weitermachen und ab und zu rausgehen. Dann hat man sich ausreichend Mühe gegeben. Der Rest ist Schicksal.

Und, das ist sicher auch richtig, was wir über die Jahrhunderte mittlerweile kulturell alles verpasst haben werden, nur weil irgendwo ein kleiner Zufall fehlte, nur weil der Neffe des Hausmeisters pfeifend vor der falschen Tür stand oder Clint Eastwood zu spät losfuhr. Nicht auszudenken.

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Wendepunkte II

Ich denke immer noch auf den Wendepunkten im Leben herum, siehe mein Text von gestern dazu. Wenn man einmal anfängt!

Ein Anruf vor vielen Jahren, meine Mutter am Telefon. Ich hatte gerade mit Ach und Krach Abitur gemacht und hing etwas planlos im Leben herum, frisch angekommen in Hamburg. Sie fragte, ob ich ein paar Stunden im Büro aushelfen könne, es gebe da gerade Arbeit. Klar, sagte ich, denn Geld war in der Phase auch so ein Problem, wie bei fast allen jungen Menschen. Es wollte dummerweise nicht vom Himmel fallen, ebenso wenig wie die klugen Ideen für den Rest des Lebens. Ich war äußerst unschlüssig, was aus mir Tolles und Besonderes werden sollte.

Ich ließ mir also den Weg erklären und fuhr hin und fing an. Dreimaliges Umsteigen in fremder Großstadt ohne Mobiltelefon und Navigation, das waren damals noch Abenteuer, liebe Kinder. Viele von uns gingen bei so etwas verloren und tauchten nie wieder auf.

Das ist jedenfalls deutlich mehr als dreißig Jahre her und ich arbeite da immer noch. Ich könnte dieses Telefonat also recht treffend als Wendepunkt deklarieren, denke ich. Es kommt hin, wenn auch ohne jede Dramatik, man braucht keine Special-Effects, um das zu inszenieren.

Und allmählich habe ich übrigens das Gefühl, die Arbeit dort wird gar nicht weniger. Wieviel Zeit auch immer man damit zubringt. Das habe ich damals nicht unbedingt erwartet, ich dachte zunächst eher, ich arbeite da mal eben etwas ab, ein paar Wochen lang vielleicht. Es kam mir in den ersten Tagen damals ein wenig vor wie „Wir spielen Büro“, das weiß ich noch, und das ist übrigens ein Gefühl, das ich seltsamerweise nie ganz verloren habe. Ich merke es heute noch manchmal, wenn auch nicht mehr allzu oft.

Und an guten Tagen ist es sogar ein interessantes Spiel, heute wie damals. Aber auf Dauer zieht es sich doch etwas.

In einer Komödie könnte man jetzt ein zweites Telefonat mit meiner Mutter, die selbstverständlich schon seit Jahrzehnten in Rente ist, einbauen, in dem sie beiläufig nach meiner Arbeit fragt und dann etwas irritiert sagt, dass ich da ja auch allmählich mal aufhören könnte. Und ich sage okay, und ich mache das dann einfach. Nach wie vor unschlüssig, was den Rest des Lebens betrifft, aber immerhin mit etwas mehr Geld als damals.

Na, wie auch immer. In einem Drehbuch wäre das okay, in der Wirklichkeit wäre es deutlich problematischer.

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Wendepunkte

Gesehen: Die Wahrheit über Männer, ein dänischer Film über Liebe und Lebenshoffnungen, über Handlungsbögen und Wendepunkte in Geschichten und im wahren Leben. Die Hauptfigur schreibt Drehbücher und kennt sich mit Wendepunkten also gut aus, sie erklärt auch in den Dialogen etwas dazu. Wobei das wahre Leben in diesem Fall selbstverständlich auch eine Geschichte ist und man also weiterdenken müsste bis zum eigenen Leben, wenn man das noch tiefer ergründen möchte, und man könnte dann, wenn man schon dabei ist, auch überlegen, wieviel im eigenen Lebenslauf durch Wendepunkte und wieviel durch eher inkrementelle Veränderungen geprägt war, durch eher zögerlichen Wandel.

Oder welche Punkte man, wenn man ein Drehbuch über sich schreiben würde, szenisch überhöhen würde, damit die Story etwas mehr hergibt. Oder welche Wendepunkte zum Guten oder Schlechten man in näherer Zukunft für möglich oder sogar erwartbar halten könnte, und wenn man auf keine zum Guten kommt, warum eigentlich nicht, was hat man da wieder falsch gemacht.

Man kann es aber auch alles lassen und einfach nur einen Film sehen. Manchmal ist es schon entspannter, nicht dauernd herumzudenken, ich sehe es ja ein.

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Es gibt neue Pläne für den Hamburger Hautbahnhof, für den Umgang mit dem Elend dort, und sie beinhalten sogar soziale Aspekte. Sollte sich tatsächlich etwas verbessern – ich werde berichten. Das gilt allerdings auch für den Fall, dass sich nichts verändern wird.

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Ansonsten eher nichts. Es ist sehr Februar, meine Laune ist unterirdisch schlecht, ich finde alles schrecklich und unzumutbar. Ich könnte eine Woche durchgehend schlafen und weiß am Ende doch, es ist nur so ein kalendarisches Ding, ich muss mich da also keineswegs besonders ernst nehmen, und das ist immer ein beruhigender Gedanke, den übrigens deutlich mehr Menschen öfter haben sollten, aber das nur am Rande.

Vielleicht mache ich heute mal etwas Positives, etwas eindeutig der Zukunft Zugewandtes und kaufe mir schon einmal die ersten Radieschensamen, trotz Sturmwarnung und Dauerregen.

Wobei – man kann sich wirklich jeden Quatsch als Wendepunkt in einem Film oder einer Serienfolge vorstellen, sogar den beiläufigen Kauf von Saatgut, und es ist sogar ganz lustig, das eine Weile zu machen, mit Kameraperspektive, Schnitt und allem. Ab da wird es dann anders.

Man kann sich sogar, wie hieß es neulich in dieser einen Filmkritik, Musik als Soundtrack dazu vorstellen, die deutlich mehr weiß, als die Zuschauerinnen gerade. Ich klicke eben rüber zum Musikstreamingdienst, ich lasse irgendwas zufällig laufen: „Do somethin‘ good“ heißt der Titel. Chip Taylor.

Geht doch.

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Es gibt Eis, es gab Eis

Ín Schleswig-Holstein öffnen die Eisdielen, lese ich am Morgen in den Nachrichten, natürlich deutlich unterhalb all der Schlagzeilen zur gewohnten Schrecklichkeit der Welt. Wobei Eisdiele ein Wort ist, das seltsam aus der Zeit gefallen scheint. Wenn man es dreimal nacheinander laut aufsagt, fühlt man sich direkt in die Großelterngeneration versetzt, und die Kugel kostet wieder fünfzig Pfennig oder was damals der Preis gewesen sein mag.

In Österreich sagen sie Eissalon, sehe ich gerade. Das klingt für mich so, als müsse man dort etwas aufrechter sitzen und das Eis etwas vornehmer löffeln, an Lecken gar nicht zu denken. Das Wort Eisdiele wiederum hat nicht nur einen heimatlichen Klang, es kommt vielleicht sogar aus Hamburg, guck an.

Bei uns um die Ecke hat die Eisdiele schon seit Wochen auf, sie wirbt aber noch für Heißgetränke, auf Schildern vor der Tür und bei meist einstelligen Temperaturen. Der Februar ist dennoch extrem zu warm, schreiben die Wetterseiten, es wird ein Rekordmonat, und ein guter Rekord ist das nicht.

Ich lese nebenbei die Aufzeichnungen eines Helgoländer Arztes (Walter Kropatschek: Tage und Nächte auf Helgoland), im Februar 1940 berichtet er von Eisschollen, die an der Insel im Nebel vorbeitreiben.

Ich weiß nicht, ob ich es noch zur Ausstellung in der Kunsthalle nebenan schaffe, Caspar David Friedrich, da könnte ich mir auch ein Bild von Eis auf dem Meer ansehen, glaube ich. Einmal im Leben habe ich das an der Ostsee sogar selbst erlebt. Ein zugefrorenes Meer, Eis bis zum Horizont. Man konnte darauf herumlaufen und weit raus.

Meine Eltern und Großeltern haben das sicher noch öfter als ich erlebt, für meine Söhne ist es dagegen schon unvorstellbar. Bilder aus einem Märchenland.

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Gehört: Die Sonderfolge der „Lage der Nation“ zur Spaltung der Gesellschaft, das Interview mit dem Soziologen Steffen Mau, der zu diesem Thema forscht und ein Buch geschrieben hat (Triggerpunkte: Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft). Die Laune steigt beim Hören sicher nicht, aber man kann noch etwas lernen über die Methoden der populistischen Strategieteams.

Und ein paar kurze Sätze, die man konstruktiv verstehen kann, gibt es am Ende auch noch. Immerhin.

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Long Monday

Vorab ein Dank für wiederum zugesandte Tinte, ich werde nun mit dem Vorrat gewiss sicher durchs Jahr kommen. Sehr schön! Ich habe eine zugegeben etwas irrationale Freude an einem großen Vorrat von Notizbüchern, Füllern und Tinte, diese Gegenstände sichern mich seelisch ab. Also neben Geld und all dem anderen Krempel, den man so braucht.

Eine Nachbarin sagt zu der Herzdame, als sie uns im Treppenhaus trifft: „Du wirst immer schöner im Alter“, was mir in der Kunst des zwiespältigen Kompliments beachtlich weit fortgeschritten erscheint. Aber wir erkennen die gute Absicht und sind nicht verstimmt, versteht sich.

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Im Hauptbahnhof läuft mir ein junger Mann nach, holt mich ein, bleibt etwas atemlos vor mir stehen und sagt mit dem wenigen Deutsch, das ihm zur Verfügung steht: „Bruder!“ Denn auch ich sei, so erklärt er kurz darauf, sein Bruder, und er strahlt und rennt weiter und spricht weitere Menschen an, zwecks enthusiasmierter Familienerweiterung. Er hüpft ungeduldig, während er spricht, das machen die überbordende Freude oder die vermutlich eben gerade konsumierten Drogen.

Ich aber weiß nicht einmal, wie mein neuer Bruder heißt.

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Am Wochenende habe ich die erste Hälfte von Paterson gesehen (auf filmfriend, aber auch anderweitig verfügbar), das ist ein Film von Jim Jarmusch und ein Fest für alle, die handlungsarme Filme gut ertragen können, also für mich etwa, und auch für Menschen, die Lyrik etwas abgewinnen können. Denn diese entsteht im Film, während wir dabei zusehen.

Gehört: Der Tod und wir – Rebellion gegen die Endlichkeit, eine ältere Folge von Radiowissen. 23 Minuten mit Verweisen auf Religion, Philosophie und auch auf die Quantenphyik. Es war ganz passend an einem allzu grauen Tag mit fast novembrig anmutender Stimmung vor den Fenstern. Aber egal, der Februar ist nur noch anderthalb Wochen lang, dann mal wieder zu einem inneren Aufwärts durchringen, es der Natur nachmachen, im Rhythmus bleiben.

Und sonst?

Gonna be a long Monday

sittin’ all alone on a mountain by a river that has no end.

Gonna be a long Monday

stuck like the tick of a clock

that’s come unwound. Again.

(John Prine)

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Früher das Eisbein

Gestern waren wir auf einer Fachtagung mit psychologisch-pädagogischer Ausrichtung zu Sonderformen im Autismus-Spektrum. Darüber müsste nun eigentlich die Herzdame etwas schreiben, die da viel tiefer im Thema ist als ich, sie hatte es hier schon einmal erwähnt. Die Herzdame aber hat gerade keine Zeit, es ist überaus bedauerlich.

Es klang in mehreren Vorträgen und auch in Gesprächen am Rande durch, wie vollkommen desolat die Situation rund um die Diagnostik immer noch ist (dies gilt auch in den meisten anderen Ländern, soweit es mir bekannt ist), aber das wissen ohnehin alle, die sich mit Neurodivergenz auch nur von Ferne einmal beschäftigt haben. Und es gilt auch bei ADHS ähnlich, schon gar für Erwachsene.

Fünf Stunden inhaltsreiche Vorträge an einem Sonnabend jedenfalls, danach war ich durch. Es war tatsächlich sehr interessant, aber anspruchsvolles Programm am Wochenende finde ich doch einigermaßen herausfordernd. Dafür fehlt es mir etwas an Form.

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Dann ein ausgesprochen grauer Sonntag. Es ist wieder kühler geworden, selbstverständlich nieselt es auch pausenlos. Auf den Straßen fliegt noch nennenswert mehr Müll herum als sonst, auch durchnässte Altkleider, teils zerfetzt, sowie Lebensmittel, verstreutes Obst, zertretene Mandarinen und dergleichen, aus den Hauseingängen gezogene Isomatten von Obdachlosen, daneben leere und kaputte Flaschen, dazu wie immer all der Unrat, den die Möwen hier zuverlässig aus den Containern und Papierkörben zerren und nach eingehender Prüfung und Zerlegung an die Krähen, Tauben und Spatzen zur weiteren Verwertung durchreichen.

Die Stadt wirkt um den Bahnhof herum insgesamt heruntergekommen, man kann es kaum übersehen, dabei kam sie doch wieder nur auf den Februar. Es ist alles wie in jedem Jahr. Nie fehlt die so gnädig manches verbrämende Laubdekoration mehr als in diesem Monat.

Ich lese in Efraim, das ist ein weiterer Roman von Alfred Andersch, hier eine Rezension dazu. Die Hauptfigur isst in dem Kapitel, in dem ich bin, gerade ein Eisbein, das ist ein Gericht, an das ich schon lange nicht mehr gedacht habe, jahrelang nicht, es ist mir komplett entfallen. In meiner Kindheit war es regelmäßig auf dem Tisch und aus heutiger Sicht verstehe ich, wie schon das Eisbeinessen einen geschichtlichen Bezug hatte, denn die älteren Personen am Tisch, die den Hunger aus den Jahrzehnten vor meiner Geburt vermutlich kannten, aßen das schwabbelnde Fett am Fleisch mit, wir Kinder dagegen nicht, bloß nicht.

Im Weiterbildungsteil des Tages, der bei mir gerade projektbezogen wie von selbst anfällt, beschäftige ich mich mit Erich Lüth und weiß es zu schätzen, dass ich mit meinem Bibliotheksausweis auch das Munzinger-Archiv nutzen kann. Ich habe es bisher gar nicht vermisst, aber wenn man es schon im Angebot hat … Erich Lüth war einmal Hamburger Senatsdirektor und Leiter der staatlichen Pressestelle mit bemerkenswertem Lebenslauf. In der Wikipedia findet sich ein Absatz zum Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgesetzes, eine interessante Sache. Ich komme hier im Moment an deutscher Geschichte wohl nirgendwo vorbei.

Hier noch mehr zu diesem Urteil. In den Details ist es wohl nur noch für den Freundeskreis Jura spannend, zu dem ich allerdings nicht gehöre.

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