Amselaugen

Mittwoch, der 12. Juli. Die Kinder haben heute noch einen albernen, im Grunde vollkommen sinnlosen halben Schultag, dann haben sie sechs Wochen Ferien. Ich dagegen habe wieder mein übliches Neidproblem und vermutlich einen leicht grünlichen Teint. Nun.

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Es gab Zeugnisse. Ein Sohn hat den Lehrkräften darauf mit Rot einen Ausdrucksfehler angestrichen, und falsch ist seine Korrektur nicht, ganz und gar nicht, es ist mehr ein Fall von „Treffer, versenkt.“ Es ist selbstverständlich dennoch ein absolut ungehöriges Benehmen und ich werde angemessen streng gucken. Sobald ich aufgehört habe, darüber zu lachen.

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Eine Meldung im Guardian über Krähen und Elstern, welche stachelige Vogelabwehrmaßnahmen zu ihrem Vorteil ausnutzen. Bei uns auf dem Balkon haben die Elstern währenddessen dem Nachwuchs beigebracht, wie das mit den Erdnüssen hier läuft. Szenen wie in einem Tierfilm gab es da direkt vor dem Fenster, das war großartig.

Neulich habe ich im Garten kurz auf einem Stuhl gesessen und einen Moment gar nichts gemacht, da kam eine Amsel über den Rasen gehüpft, ruhig und beschäftigt mit ernsthafter, emsiger Wurmsuche. Sie guckte kurz zu mir hoch, ob ich dabei irgendwie stören würde, fand mich dann aber wohl harmlos oder jedenfalls irrelevant und kam mir näher, als ich je eine Amsel erlebt habe. Sie saß dann wenige Zentimeter neben meinen Füßen und sah noch einmal prüfend hoch, mir in die Augen, und wissen Sie was, es ist merkwürdig bewegend, mit so einem kleinen Vogel längeren Augenkontakt zu haben. Ich habe „Guten Abend“ gesagt, aber die Amsel nickte nur und fand dann doch wieder Würmer interessanter als mich. Nachvollziehbar.

Ein weiterer Bürotag war es ansonsten, wenig bemerkenswert, immerhin mit Regen und frischer Luft zwischendurch, die schwallartig durchs Gebäude in Hammerbrook wehte, wenn irgendwo Fenster oder Türen aufgingen. Immer das Bedürfnis dabei, die Arme im Zugwind hochzureißen und „Schön!“ zu rufen. Es ging erfreulicherweise nicht nur mir so, man will ja nicht auffallen. Also jedenfalls nicht noch mehr als sonst.

Im Bild wieder die sanfte Schönheit Hammerbrooks.

Ein abgestellter, besprühter Container unter dem S-Bahn-Viadukt in Hammerbrook

An diesem Tag werden außerdem die Tode von Heide Simonis und Milan Kundera gemeldet. Ich habe, und es ist mir eigentlich unklar, warum das so ist, von ihm nichts gelesen, das könnte auch einmal nachgeholt werden, etwa im Urlaub. Das mal vormerken! Am Abend trinke ich in ehrender Absicht ein Glas auf Heide Simonis und lese einiges zu ihr nach, ich gehe dann nach dem Absingen der Schleswig-Holstein-Hymne ins Bett. Wahre treu, was schwer errungen, das gilt definitiv auch für Frauen in der Politik.

Auf den Einkaufswegen habe ich weiter Golo Manns Nazistaat gehört, die Erzählstimme von Claus Biederstaedt ist mir sehr angenehm.

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Home-Office, Haushalt, Hitze

Dienstag, der 11. Juli. Gestern sah ich auf Mastodon einen Hinweis zum Thema „nuclear semiotics“, das sagte mir nichts. Ich habe es nachgelesen, es ist interessant. Und weil KI doch so praktisch ist, habe ich mir mehr dazu durch eine KI erklären lassen, die dabei allerdings bald nach den ersten vernünftigen Absätzen in einen tödlichen Loop geriet, auf meine Bitte nach mehr Beispielen wurde immer wieder das Eingangsbeispiel wiederholt, nur dezent umformuliert. Die Software erklärte also ausweglos im Kreis, wozu man positiv nur sagen kann, dass man dieses eine Beispiel dann irgendwann ganz gut verstanden hat. Immerhin.

Nebenbei sehe ich, dass etliche (wenn nicht alle) Medien immer noch Twitterreaktionen als Meldungen posten, also Promi X etwa macht irgendwas, „Das Netz lacht“ kommt prompt danach als Schlagzeile, darunter dann zehn spöttische oder hämische Tweets – ganz so, als habe sich bei Twitter im letzten Jahr überhaupt nichts geändert und als würde „Das Netz“ dort unverändert stattfinden und es abbilden. Man staunt. Sicher ist das so, weil das Format schön einfach, billig und schnell war und ist, mal eben zusammengeklickt. Und es ist schon zu viel Aufwand, das noch eben mit Meldungen aus anderen sozialen Medien zu mixen.

Ich habe Twitter mittlerweile in keinem Tab mehr offen, auch nicht mehr die App auf dem Smartphone, ich bin jetzt so weit clean. Nach dem Schreiben dieses Absatzes, das ist wieder ein außerordentlich wunderbares Timing, sehe ich eine neue Meldung: „Elon Musk proposes dick measuring contest with Mark Zuckerberg on twitter.“

Okay. Weitermachen.

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Über die Hitzetoten im Jahr 22 in Europa.

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Es gibt heute stundenlange Onlinemeetings, bzw. -vorträge, ich mache nebenbei viel Haushalt. Ich glaube, ich höre tatsächlich besser zu, wenn ich dabei andere Dinge machen kann, so Nichtnachdenkdinge wie etwa Wäsche zusammenlegen oder den Geschirrspüler ausräumen oder Bügeln, ich muss mit der Unruhe etwas anfangen. Eines der unschlagbaren Argumente pro Home-Office ist das, im Büro ist so etwas schwer vorstellbar, da kann man nur im Stuhl vor- und zurückwippen und stört selbst damit vielleicht schon andere.

Das alles mache ich heute in abgedunkelter Wohnung mit strikt verrammelten Fenstern, denn es ist schon wieder furchtbar heiß da draußen. Ich igele mich hier ein, mit Ventilator und kalten Getränken und Melonenbuffet, ich sehe mir am Nachmittag im Drittjob ausgesprochen kühl wirkende Nordseefotos an und verschlagworte sie. Auch mal Glück mit den Aufgaben haben! Wichtig.

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Später, als die Hitze etwas nachlässt, fahre ich noch einmal kurz in den Garten, weil die Herzdame dort wiederum etwas vergessen hat, das wird bei uns allmählich zur Routine. Aber ich gehe ja gerne.

Es gibt die ersten vier Heidelbeeren, ich pflücke sie im Vorbeigehen. Man muss vermutlich einen eigenen Garten haben, um sich über nur vier Heidelbeeren wie Bolle zu freuen, ich weiß. Es gibt auch zwei reife Tomaten, aber ich ernte sie noch nicht, ich mache heute nur einen flüchtigen Rundgang und fahre gleich wieder nach Hause, es wird mir zu spät. Ich habe auf diese Art immerhin auch heute wieder Sport gehabt, ohne irgendeinen Sport zu machen, es bleibt für mich die einzig anwendbare Methode.

Und ich habe auf den Wegen erneut viel Golo Mann gehört, das ist auch gut.

Im Bild die Bille an der Billerhuder Insel. Fast klingt es wie ein Zungenbrecher.

Die Bille an der Billerhuder Insel, zwei Paddler auf SUP-Boards sitzend darauf und Boote an Stegen

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Das Ich, der lästige Begleiter

Montag, der 10.Juli. Im Garten gestern haben wir länger gerätselt, wo ein gewisses Geräusch herkam, so eine Art Klicken aus einer Ecke der Beete, in der doch nichts zu klicken hatte. Ein schwer einzuordnendes Geräusch war es, eine Art Schnalzen, ein Klappern vielleicht, aber unregelmäßig, wenn auch durchgehend. Wir hörten es, wir grübelten, wir machten etwas anderes. Wir saßen still, und da war es prompt wieder, was war es denn bloß? Nichts in diesem Teil des Gartens hätte irgendein Geräusch machen können, dachten wir.

Es war der Ginster, wie wir dann später am Tag herausfanden. Seine Schoten platzten in der Hitze des glühenden Sommertages auf, mit einem satten, ploppenden Geräusch, erstaunlich laut. Ich stand beeindruckt davor, es war so ein Moment wie in einer Natur-Doku, ich hatte gleich die Erzählstimme im Kopf: „In der Gluthitze der Kalahari sind die Früchte nun herangereift …“ Und wie viele Schoten an den drei Sträuchern sind – den ganzen Tag hörten wir diese Geräusche. Aber in keinem der Vorjahre haben wir das jemals wahrgenommen, wie geht das nun wieder zu. Ich hatte bisher noch nicht einmal gesehen, dass Schoten am Ginster hängen, wobei Schoten so ein Wort ist, das nach dreimaligem Schreiben seltsam unglaubwürdig wird, gibt es das wirklich, heißt das so. In dem Wikipedia-Artikel darüber kommt das Diminutiv vor, Schötchen, das ist noch viel seltsamer.

So ein Garten bleibt jedenfalls eine immer wieder überraschende Angelegenheit. Man sieht ihn sich sechs Jahre lang an und kennt ihn nicht, hat nichts begriffen.

Eine Gartenszene, eine Terrasse, Tisch, Stuhl, Lampions, ein Sonnensegel darüber, ein sonniger Tag

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Hier ein Artikel über die Geistergleise im Hamburger Hauptbahnhof, die viele noch nie gesehen haben. Menschen meines Alters seufzen tief bei der Horten-Reklame.

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Auf den Wegen in den Garten und zurück habe ich während der letzten Tage mit erheblichem Vergnügen und gleich zweimal Seneca gehört: Von der Gemütsruhe, De tranquillitate animi, in der Wikipedia leider nur englisch vorkommend. „Das Ich geht überall mit hin, der lästige Begleiter. […] Weder bei uns selbst noch irgendwo anders halten wir es lange aus.“ Ja, ja, wer kennt es nicht.

Seneca, stets sehr um anwendbare Ratschläge bemüht, schrieb auch über Finanzen. Hier etwa einen Satz für die in wirtschaftlicher Hinsicht so berechtigt furchtsame Mittelschicht unserer Tage: „Nicht arm, aber doch nicht weit davon entfernt, das ist das günstigste Vermögensverhältnis.“ Aber bevor man nun lange überlegt, ob das wirklich tiefsinnig ist oder nicht, ob es womöglich sogar so etwas wie höhere Philosophie ist – der Herr Seneca hatte selbst Geld wie Heu, das muss man dabei auch bedenken.

Vermögende Menschen haben immer schon, quer durch alle Zeiten, Menschen mit wesentlich weniger Geld gerne nette Tipps gegeben, wie es sich bescheiden gut leben lässt. Die guten Seelen!

Der zitierte Satz kann allerdings dennoch stimmen, philosophisch betrachtet, so ist es nicht.

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Gehört: Golo Mann, Der Nazistaat, gelesen von Claus Biederstaedt. Vorbereitung ist alles, ne, und wie sonst, wenn nicht durch Nachbereitung.

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Von Meisen und Menschen

Sonntag, der 9.Juli. Wieder die frühen Unwetter-Warnungen auf dem Smartphone, für alle Gegenden, die ich gespeichert habe, diesmal wegen der Hitze. Lila eingefärbte Landkarten beim Deutschen Wetterdienst, Lila mit alarmierend roten Streifen sogar, als Steigerung wären nur noch blinkende Grafiken denkbar, mit flackernden Blitzanimationen vielleicht.

Gewaltig drückende Luft da draußen, ich lebe von Ayran und Melone, der Sommerspeiseplan, im Garten noch ergänzt durch Sauerkirschen, Johannisbeeren, Stachelbeeren, Himbeeren direkt von den Sträuchern. Man kommt so durch.

Es ist heute überall viel zu heiß, in der Wohnung, auf den Straßen und Wegen, sogar in der U-Bahn, im Garten, und in der Laube erst recht. In der Laube ist es so warm, dass das Handy nicht lädt: „Der Ladevorgang wird fortgesetzt, wenn das Gerät wieder normale Temperatur erreicht hat.“ Sogar die Vögel bewegen sich heute betont langsam durch den Garten. Die Elstern schreiten gemächlich wie Störche über den Rasen der Parzelle, die Amsel sitzt nur unter dem Holunder und guckt verpeilt, als sei ihr hitzebedingt gerade entfallen, was Amseln normalerweise so machen. Die Blaumeisen hocken im schattigen Geäst der Magnolie, und da bleiben sie auch, lange. Leise nur hören wir sie schimpfen, vermutlich über das Klima. Vielleicht sagt eine ältere Meise gerade: „Früher hatten wir aber auch warme Tage!“, was weiß man schon. Es geht am Ende den Meisen wie den Menschen, in allen Familien findet man die mit den seltsamen Meinungen.

In den Beeten blühen die Montbretien, sie passen zum tropischen Wetter und wirken mit ihren hohen, frischroten Blüten ausgesprochen südlich, madeirahaft. Der Lavendel und der Schmetterlingsflieder blühen direkt daneben in einem tieferen Lila als je zuvor, und zwar beide im exakt gleichen Farbton, was sind das wieder für Absprachen, wie geht das zu. Vereinzelte Kohlweißlinge flattern vorbei, Schwebfliegen stehen in der Luft und katapultieren sich dann nach unbegreiflichen Beschlüssen plötzlich einen Meter weiter nach links oder rechts.

Ein Sohn ist heute irgendwo auf der Elbe mit einem Kajak unterwegs, einer ist in einem Sprungraum, also in so einer Trampolingeschichte, was für eine außerordentlich furchtbare Vorstellung das ist. Da wird eine Luft drin sein! Aber bitte, wenn es gefällt.

Später lese ich, dass ein Teenager an diesem Tag in der Elbe stirbt und halte entsprechende Vorträge. Ich komme mir unangenehm väterlich belehrend dabei vor, aber es nicht zu tun, das wäre in diesem Fall auch nicht recht. Es sterben entschieden zu viele Menschen in der Elbe. Besser einmal zu viel als zu wenig genervt, manchmal stimmt es für mich doch.

Die Herzdame kocht währenddessen Kirschmarmelade vor der Laube, sie hat sich die Kochplatten herausgeholt und auf den Gartentisch gestellt. Der Baum hängt immer noch voller Früchte.

Mehrere Gläser mit frisch eingekochter Kirschmarmelade

Ich lese unkonzentriert in Kaléko und Kirsch, ich schreibe unentschlossen dies und das. Ich stelle nebenbei fest, dass es die ersten Tomaten gibt, die eine einladende Farbe angenommen haben, ein freundliches Orange. Und eine einzige Heidelbeere trägt schon essbar aussehendes Blau, sehe ich, alle anderen sind noch zurückhaltend grün, sie werden jetzt aber zügig dicker. Bald, bald.

Es ist ein langsamer, ein ausgesprochen träger, ruhiggestellter Sonntag. Es ist zu heiß, um irgendetwas zu beschleunigen. Die Stunden vergehen seltsam dickflüssig, ein Sonntagssedativum.

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Hölpen bi’t Starven

Sünnavend, de 8. Juli. Der Juli heißt im Niederdeutschen auch Heumoond, aber das Wort kenne ich nicht aus meiner Kindheit. Und der Sünnavend war bei uns auch eher der Sünnahmd, meine ich, aber das fällt regional enorm unterschiedlich aus. Mein Platt war das Lübsche mit Mecklenburger Einschlag, schon in Ostholstein findet man anderes Vokabular und andere Betonungen. Egal, man versteht sich. In der Gegend der Herzdame allerdings, in Nordostwestfalen, da verstehe ich längst nicht mehr alles, andere Betonungen, andere Vokabeln, das ist dort zu weit weg von der Küste, jedenfalls für mein Sprachgefühl.

Wie komme ich darauf – ich sehe oder höre mir im Moment wieder gelegentlich Nachrichten auf Plattddeutsch an. Es ist beruhigend, es ist heimatlich, es ist nostalgisch und vieles wird besser, wenn ich es durch das Empfinden dieser anderen Sprache betrachtet. Sie wissen vermutlich, dass sich der Mensch je nach Sprache stark ändern kann, bis hin zum Hervortreten anderer Charakterzüge (ich kannte tatsächlich einen enorm drögen Norddeutschen, der erstaunlich entflammbar wurde, wenn er Spanisch sprach), und im Wesen des Plattdeutschen liegt nun einmal mehr Unaufgeregtes als im Wesen des Hochdeutschen. Man denkt niederdeutsch langsamer, was nicht negativ zu werten ist, man könnte auch sagen, man denkt cooler. Die Sprache ist so.

Sehen Sie einmal hier: „Bunnsdag (das Wort schon! Ist es nicht großartig?) will ne’e Regeln to’t Hölpen bi’t Starven fastleggen.“

Der Bundestag will neue Regeln für die Sterbehilfe festlegen.

Schall ick di helpen bi’t Starven? Also wenn das nicht etwas hat.

Quelle hier.

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Mich erreichte außerdem der freundliche Hinweis, dass es bezüglich des hier oft erwähnten Jahres 1923 gerade eine Ausstellung in der so bequem benachbarten Kunsthalle gibt, da also demnächst auch mal hingehen.

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Es ist ansonsten ein Tag, an dem sowohl die Herzdame als auch ich bemüht sind, und zwar stundenlang bemüht sind, gewisse Angelegenheiten des Nachwuchses organisatorisch zu regeln. Weil da nun einmal Bedarf besteht, ohne ins Detail gehen zu wollen oder zu dürfen. Wir googeln Wege und Verbindungen, wir geben telefonische Anweisungen und retten zugeschaltet Situationen, wir haben einen seltsam kurios und sketchhaft anmutenden Dauereinsatz, es wird mit jeder Stunde immer absurder und es killt mit fast gezielt wirkender Konsequenz das, was wir eigentlich heute vorhatten.

Wir gönnen uns ein wenig Verzweiflung und machen weiter, was sonst.

Ich hätte heute besinnlich arbeiten wollen, es war ein ausgesucht perfekter Tag dafür, es hat nicht sollen sein.

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Und hier noch eben ein heiter anmutendes Update vom Klimawandel, ich zitiere nach dem ZDF-Newsticker: „Immer mehr Strandkorb-Verleiher an den Ostseestränden der Lübecker Bucht geben sich einen tropischen Touch. Palmen säumen den Weg zu den Strandkörben, an einigen Stränden erinnern auch reetgedeckte Sonnenschirme und Liegen an südlichere Gefilde. „Wir lieben Palmen, und wir möchten gerne den Leuten noch ein bisschen mehr Urlaubsgefühl geben“, sagte Natascha Diestel-Babakerd vom „Strand 36“ in Timmendorfer Strand. In den sozialen Medien kommen die Palmen gut an. Die Fotos mit „Südseefeeling“ würden häufig gelikt, hieß es.“

Was soll man noch sagen.

Ansonsten ein warmer, fast heißer Tag. Ich mache am Abend wieder einen Untergrundspaziergang, ich gehe in den Stationen einfahrenden U-Bahnen entgegen und stelle mich in die tunnelkühle Luft, die sie vor sich herschieben. Schön ist das.

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Zusammenreimen und weitermachen

Freitag, der 7. Juli. Abschließend zu meiner in den letzten Tagen wiederholt geäußerten Medienkritik zitiere ich eine Meldung auf der Startseite eines großen deutschen Mediums, am Morgen habe ich sie heute gesehen: „Wembys Sicherheitsmann schlägt Britney Spears ins Gesicht – Großes Gedränge vor einem Restaurant, Fans drängen und kreischen. Britney Spears tippt einem bekannten Basketballspieler von hinten auf den Rücken. Security erkennt auf Angriff – und autsch!“

Das ist der Spiegel, der so schreibt, und mehr muss man dazu wohl auch nicht mehr sagen. Thema durch.

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Mittlerweile bin ich mir halbwegs sicher, meine eigene kleine allgemeine Feldtheorie über die sozialen Entwicklungen und Verwerfungen der Gegenwart gefunden zu haben. Lange habe ich mich gefragt, wie sich alles zusammenreimen lässt, ich fand einiges schier unbegreiflich, so überaus sonderbare und seltsam schnelle Entwicklungen um mich herum, jetzt aber weiß ich es. Selbstverständlich bin ich allerdings nur ein Blogger von eher geringem Verstand und erhebe daher nicht den geringsten Anspruch darauf, mit meinen An—oder Einsichten richtig zu liegen. Es ist ungemein befreiend, diesen Anspruch nicht zu haben, ich empfehle das ausdrücklich zur Nachahmung.

Es ist nämlich so. Die Gegenwart, die wir alle in irgendeiner Weise empfinden, vermutlich auch immer aufdringlicher empfinden, sie drängt uns immer mahnender zu moralischen Entscheidungen und zu ethisch korrekten Handlungen. Das hat sie längere Zeit nicht oder nur kaum hörbar getan, jetzt aber tut sie es. Man kann wohl darüber streiten, wie lange schon, man kann aber kaum darüber streiten, dass sie es immer nervtötender tut, immer lauter, drängender, fordernder. Wir müssen uns gründlich anders verhalten, um die Welt zu retten, um uns zu retten und die paar noch übrigen anderen Arten auch. Wir müssen in allem nachhaltiger werden usw., wir müssen also, das heißt es unabwendbar, an vielen Stellen verzichten, vermutlich erhebliche Wohlstandsverluste hinnehmen oder unseren Wohlstand doch zumindest grundlegend anders verstehen, definieren und gestalten. Wir werden außerdem vermutlich demnächst mit wesentlich größeren Krisen zurechtkommen müssen, als es in den letzten paar Jahrzehnten, etwa in meiner Jugend, von uns erwartet wurde, das sicher auch. Wir müssen also viel vernünftiger sein, um es auf eine konzentrierte Formel zu bringen.

Das ist nun eine Eltern-Ich-Formulierung, nicht wahr, um ein altes Modell zu benutzen, es passt mir gerade hervorragend. Das Eltern-Ich mahnt also ernst zu Mäßigung und Verzicht, in vielen Zusammenhängen und in etlichen Situationen. Es ist dies aber eine schlimme Forderung, eine furchtbare Zumutung. Denn die Fähigkeit zur Mäßigung war zwar über viele Jahrhunderte eine eminent wichtige und auch als erstrebenswert geltende Tugend in nahezu allen Weltgegenden und Religionen, sie war es aber nicht bei uns in den letzten, na, sagen wir sechzig Jahren. Der Verzicht ist in dieser Zeit eher das Böse schlechthin geworden, weil er das Gute ist, wenn Sie mir noch folgen können. Das Gute nervt uns nämlich erheblich, Moral und Ethik, igitt, geh mir weg.

Oder um den Finanzminister zu zitieren: „Ich will nicht verzichten!“ Es ist ein bemerkenswert infantiler Satz, den er da vor einiger Zeit getwittert hat, aber es ist doch auch ein großes Zitat, weil es einem zur Einsicht verhelfen kann, worum es bei allem geht.

Es ist diese Angst vor dem Verzicht und der Mäßigung, welche die Menschen noch mehr in die Gier treibt, in die Torschlusspanik oder auch nach Sodom und Gomorrha und auch zum babylonischen Turmbau bis hoch zum Mars, wie man es sehen möchte. Die Angst vor dem Verzicht treibt das innere Kind in wildeste Trotzreaktionen, denn das Kind will alles haben, alles behalten, alles benutzen oder auch kaputtmachen, ganz nach Belieben, und zwar jetzt.

Das ist die eine Seite. Sie erklärt mir den weiterhin steigenden Absatz an SUV, die überhöhten Geschwindigkeiten im Straßenverkehr, die Grillorgien, die vielen Flugfernreisen, die Kreuzfahrten, Fast Fashion und alles, was in diese Richtung geht, die ganze Gier, das unbedingte Habenwollen und Behaltenwollen, das Maßlose auch, sie erklärt mir ebenfalls, wieso die Menschen so aggressiv reagieren, wenn man sie auf dies und das hinweist. Es sind stets die inneren Kinder, die da rebellieren, die jetzt in der Trotzphase sind, die sich auf den Boden schmeißen und brüllen, dass „Die Grünen“, gemeint als Wahngebilde aller, die irgendetwas mit moralischer Begründung wollen, bloß abhauen sollen. Doch, ich denke, es erklärt sich tatsächlich so, es ist dieser Mechanismus.

Und auf der anderen Seite haben wir dann aber die, welche sich im strebenden Eifer auf die Elternseite begeben, die Überkompensierenden. Das erklärt mir die seltsamen Ausgeburten an brennendem Belehrungseifer, an Puritanismus, Prüderie und an Hochleistungen im Moralkeulenschwingen, die man gleichfalls kaum übersehen kann. Pietcong in etlichen Ausprägungen, Rechthaberei in merkwürdig entgrenzter Raserei, verbrennt sie, verbrennt sie, sie ist eine Hexe, und wo steht der Pranger, wir brauchen ihn jetzt wieder.

Tobendes Kinder-Ich hier, schimpfendes Eltern-Ich da. Vermutlich kommt beides in verschiedenen Anteilen ins uns allen vor, je nach Themengebiet. Was macht man aber nun, wenn man mit der Mehrheit dessen, was man bewusst steuern zu können meint, dazwischensteht und sich nicht dauerhaft auf eine Seite schlagen möchte, weil einem beide Clubs nicht recht sympathisch vorkommen?

Man macht, und jetzt schlägt argumentativ meine große Stunde, einfach weiter. Sie können das kurz googeln, was man denn bloß machen soll, wenn das Kind in die Trotzphase kommt, wie hilft man da, wie erzieht man da, was macht man denn bloß, soll man strafen, soll man loben, herumtricksen, ablenken, was ist richtig, wie geht das? Man verhält sich einfach weiter und richtig, das ist die Antwort. Oder es ist zumindest eine der möglichen Antworten, und vermutlich die beste. Vorbild sein, so nennt man es auch. Aber das klingt mir schon wieder viel zu schlimm und vor allem zu mahnend, und ich würde da auch meinen eigenen Ansprüchen kaum je gerecht werden können. Ich sage daher nur: Weitermachen, auch wenn keiner guckt. Und dann erst recht.

Nicht als hysterisch tobendes Kind ohne jede Affektkontrolle, nicht als belehrender Vater mit rigoroser Moral und erhobenem Zeigefinger, sondern als stets bemühter, möglichst erwachsener Mensch.

Und dann einfach dieses Mittelmaß und die damit verbundene Mäßigung in aller gebotenen Dezenz unaufgeregt ausstrahlen.

Das ist alles. Mit dieser Theorie kann ich so gut wie alles verknubbeln. Glaube ich. Aber bitte, glauben Sie ruhig etwas anderes, das ist in Ordnung und am Ende haben Sie sogar Recht.

Ich für meinen Teil, ich finde das alles sehr zufriedenstellend so.

Egal. Weitermachen.

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Nachlassende Dringlichkeit

Donnerstag, der 6. Juli. Ein unangenehmer Ameisentag, auftragsgemäße Betriebsamkeit im Nonstop-Modus. Die Herzdame und ich machen eskalierendes Home-Office in getrennten Zimmern, ab und zu treffen wir uns zufällig im Flur und fragen uns dann, was denn das bitte für ein Tag sei? Wir rennen nicht gerade schreiend im Kreis, aber es fehlt auch nicht viel.

Am Abend habe ich ein neues Buch angefangen, Mercè Rodoreda: Auf der Placa del Diamant, die Software verweigert mir gerade das korrekte Sonderzeichen unter dem C im Titel, pardon. Aus dem Katalanischen sensationell toll übersetzt von Hans Weiss, mit einem Nachwort von Gabriel Garcia Márquez. Der Verlag spricht von „ungewöhnlicher Eindringlichkeit“, ich kann das nach wenigen Seiten bestätigen. Von der Rodoreda ist auch der „Garten über dem Meer“, ein unbedingt empfehlenswertes Buch mit etlichen und ganz wunderbaren erzähltechnischen Besonderheiten, wirklich etwas sehr Feines. Falls Sie noch Urlaubslektüre suchen … sie ist eher unterschätzt und zu wenig bekannt, eine hervorragende Autorin. Den Garten über dem Meer gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Roger Willemsen.

Das Taschenbuch "Auf der Placa del Diamant"

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Und die geschätzte Dota Kehr hat wieder Mascha Kaléko vertont, es gibt ein neues, feines Album mit vielen Gästen, hier dazu ein Interview mit ihr.

Besonders schön auf dem Album auch das Duett mit Gisbert Zu Knyphausen, hören Sie mal rein. Noch eben die Konzertdaten für den Herbst.

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Die Welt redet ansonsten viel über die neue App „Threads“ von Meta, die allerdings in der EU noch nicht verfügbar ist. Einige drängen sich dennoch trickreich durch, legen sich fiktive amerikanische Postadressen zu und melden sich über Umwege von hier aus an, posten Screenshots, Anleitungen und Bewertungen – ich stelle fest, dass ich es nicht mehr so eilig habe. Deutlich nachlassende Dringlichkeit, was solche Versuche angeht, ich muss nicht mehr unter den Ersten sein, ich muss vielleicht auch gar nicht dabei sein, das hat sich gründlich geändert. Wenn ich mir das gravierende, völlig absurd anmutende Datenschutzproblem dort ansehe … ich weiß ja nicht.

Und die Timeline gibt es in dieser App nicht chronologisch, sie ist nur nach Algorithmus ausgewählt und zusortiert verfügbar… ach nee, ich glaube, ich habe gar keine Lust.

Auf meine Konsequenz in dieser Hinsicht würde ich zwar keinen allzu hohen Betrag wetten, aber doch mittlerweile einen viel höheren als früher.

Bei den Menschen in meinem Umfeld, die weniger internetaffin sind als ich, nehme ich überhaupt kein Interesse an den Meldungen zum Thema wahr. Aber gut, da ist dann wieder der Stichprobenfehler zu beachten. Würde man die App morgen freigeben, sie wäre sicher auch in Europa ein enormer Erfolg, gar keine Frage. So weit reichen Datenschutzbedenken dann doch nicht in den Alltag hinein.

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Zerzauste Elstern, herangewehte Krähen

Mittwoch, der 5. Juli. Ein dunkler, regenreicher Morgen, nasse Ringeltauben auf dem Balkongeländer, vertrieben von zerzausten Elstern, verdrängt von in Böen herangewehten Krähen. Unten gehen Menschen mit Regenschirmen, die im Wind umklappen, so früh am Tag schon. Unmotivierte Hunde werden noch vor dem Frühstück um Blöcke und auf Grünstreifen geschleift, und wie immer frage ich mich, was die Hunde eigentlich denken, wenn die Menschen so sorgsam ihre Kacke aufsammeln und dann eine Weile mit sich herumtragen.

Der Wind ist am Vormittag auch bei geschlossenen Fenstern zu hören, ein stetes Heulen im Hintergrund, dazu das Trommeln des prasselnden Regens auf dem Dach. Ich habe heute ein besonders gemütliches Home-Office in dieser Kulisse, nebenbei sehe ich die zahlreichen Unwetter-Meldungen, die Updates aus Holland und von der deutschen Nordseeküste auf dem Zweitbildschirm.

Mittags fahre ich schnell und zwischen zwei Terminen in den Garten, um dort das Trampolin zu vertäuen, die Hollywoodschaukel abzutakeln und ein paar Lampions, Stühle etc. zu sichern. Der Kirschbaum schlackert im Sturm schwungvoll mit den Früchten. Ich esse eine Handvoll davon im Vorbeigehen und verlasse nach getaner Arbeit die Insel sofort wieder; es ist mir dort entschieden zu viel Holz in der Luft, die alten Bäume wiegen sich für meinen Geschmack zu sehr im aufkommenden Orkan. Die hohen Pappeln machen das gar nicht unelegant, erstaunlich geschmeidig sind sie, aber doch auch riesig und gefährlich. Wenn so eine fällt, sie zerlegt gleich mehrere Lauben.

Ich habe ja, wie schon oft erzählt, einmal erlebt, dass in einem Sturm ein Baum direkt hinter mir fiel, zwei, drei Schritte hinter mir nur. So ein großer Baum, den ich sicher nicht überlebt hätte, wäre ich nur zwei Schritte langsamer gewesen, wäre ich drei Sekunden später losgegangen. Bis dahin war mir nicht klar gewesen, wie schnell so etwas gehen kann, wie schnell die stürzen können. Ich hatte immer gedacht, man hätte bei so etwas eine Chance, aber dem war gar nicht so. Und ich stand da also nur und dachte mehrmals vollkommen entgeistert: „Das wäre es gewesen.“ Man denkt nicht besonders tiefgründig in solchen Momenten. Es ist schon lange her, fast dreißig Jahre, aber es hat mich doch nachhaltig beeindruckt und ich nehme seitdem Sturmwarnungen vermutlich etwas ernster als andere. Orkane bringen Menschen um, ich weiß das.

Es gibt später Eintopf zuhause. Ich muss solche Gelegenheiten im Sommer unbedingt nutzen, ich kann endlich einmal kochen, ohne dass mir dabei unsinnig heiß wird, auch das finde ich schön.

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Hier noch ein Artikel über die Vogelgrippe vom geschätzten Herrn Fischer. Ich verlinke ihn hauptsächlich wegen des letzten Absatzes, der eine soziale, bzw. entwicklungspolitische Implikation enthält, wobei sich mein Optimismus in Grenzen hält, dass dieser Logik gefolgt wird.

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Der 4. Juhu

Dienstag, der 4. Juli. Ich habe mich eben vertippt, hier stand gerade Dienstag, der 4. Juhu, und das klingt doch auch schön. Es passt allerdings nicht ganz zu meiner Morgenstimmung.

Im Laufe des Tages poppen die Unwetterwarnungen auf dem Handy auf, erst die für Helgoland weit draußen, dann die für Eiderstedt an der Küste, schließlich auch die für Hamburg, es geht also um Westwind. Einen wahrhaften Okan soll es geben, die Vorhersagen für morgen sind kernig und ungewöhnlich für einen Juli. Wir überlegen hin und her, wer es heute noch wann in den Garten schaffen kann, um dort einiges zu sichern. Es ist kompliziert und kaum zu lösen, solche Ereignisse sind im Wochenplan überhaupt nicht vorgesehen.

Ich gehe mit einem Sohn am Nachmittag zum Zahnarzt. Im Wartezimmer möchte jemand gerne über die vielen Türken in Deutschland lästern, was eine etwas seltsame Idee ist, wenn man in eine Praxis mit einem recht eindeutig türkischen Namen auf dem Schild draußen an der Tür geht. Böse Blicke, als ich nicht darauf eingehe und abwinke. Einer von den Typen, die pausenlos gucken, ob jemand guckt, den oder die man dann vielleicht zutexten kann. Anstrengende Leute.

In den Nachrichten und in den sozialen Medien toben die Debatten um die Kürzungen beim Elterngeld, ich lese es nur nebenbei. Die Diskussion wird plattformübergreifend allerdings betont unsachlich geführt, das sehe ich auch beim Querlesen. Vielleicht können wir es mittlerweile gar nicht mehr anders.

„Guck mal, es regnet.“

„Das kannst du auch nur so ruhig schreiben, weil du im Trockenen sitzt, check mal deine Privilegien, bevor du hier so etwas von dir gibst!“

Manchmal bin ich sehr müde von dieser Art, Gespräche zu führen. Oder neulich, als der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein dafür kritisiert wurde, dass er dieses dämliche Partykracher-Lied mitgesungen hat, und er zur Antwort gab: „Wir haben auch andere Lieder gesungen.“ Das sind doch keine Diskurse unter Erwachsenen mehr, das sind Musterbeispiele für Niveaulimbo, how low can you go.

Früh ins Bett, noch etwas Colette gelesen, Kurzgeschichten über Frauen.

Später werde ich lesen, dass auch der Dienstag der heißeste Tag global war. Der Rekord vom Montag wurde also bereits gebrochen: „experts expect record to be broken again very soon.“

Noch später werde ich lesen, dass es die sieben heißesten Tage in Folge waren.

Einfahrende Züge auf den Gleisen vor dem Hauptbahnhof, Blickrichtung zum Fernsehturm

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Der Mensch als Kümmerer

Montag, der 3. Juli. Die schlechte Nachricht ist, dass ein Sohn sich am Wochenende einen Zeh eventuell gebrochen hat, prächtig lilafarbene Gliedmaßen, die gute Nachricht ist, dass er mittlerweile alleine zum Orthopäden kann, auch humpelnd. Es ist schon nett, wenn sie älter werden, doch, doch.

Aber, versteht sich, bei Bedarf wäre ich auch mitgegangen. Ohnehin verbringt der Durchschnittsmensch quer durch alle Länder und Kulturen, so lese ich gerade, die meiste Zeit damit, sich um sich und andere zu kümmern. Der Mensch als Kümmerer, homo curans. Keine Ahnung, ob mein Latein noch so weit reicht, ich denke mir das nur aus und ich habe auch damals im Unterricht mehr geraten als gewusst. Es hat immerhin zum Durchkommen gereicht.

Ich kümmere mich heute durch Einkaufen, Kochen, Küchenreinigung, durch das Aufhängen der Wäsche, durch die Taschengeldverwaltung, durch Schokoladenzuteilung, Arztterminverwaltung und auch durch väterlich mahnende Regenjackenhinweise um die Familie. Ich werde der Studie heute also einigermaßen vorbildlich gerecht und staubsauge dann noch schnell. Wenn man schon dabei ist!

Ich höre auf meinen Wegen Wolfgang Borchert, auf den ich gestern wegen der Story mit Bill Brook wieder gekommen bin, gelesen von Peter Bieringer. Borchert ist auch einer von denen, die sich gut damit auskannten, was passiert, wenn Rechtsaußen an die Macht kommt, man nannte das, was er schrieb, dann folgerichtig auch Trümmerliteratur. Nicht weit von unserer Wohnung steht ein Denkmal für ihn am Alsterufer, es wird oft besprüht und beschmiert.

„Stell Dich mitten in den Regen,
glaube an den Tropfensegen,
spinn Dich in dies Rauschen ein
und versuche, gut zu sein!“

Das ist ein Imperativ fürs Leben, nicht wahr, „und versuche, gut zu sein.“ Ich mag das Gedicht sehr, „Versuch es“ hat er es betitelt. Ja, man versucht so vor sich hin.

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Es regnet, es windet, es oktobert heute etwas, ich finde es ausgesprochen nett so. Die nächste Hitzewelle baut sich währenddessen schon auf, über 30 Grad sollen es in Kürze wieder werden. Ich mache Home-Office, ich sehe zwischendurch aus dem Küchenfenster runter auf den Spielplatz. Da sitzt ein Elternpaar im Nieselregen am Sandkistenrand, der Nachwuchs krabbelt und schaufelt Matsch, dreimal Regenjacken, dreimal Gummistiefelpaare, alles werbeprospektbunt. Wie lange das bei uns schon her ist, dass wir dort gesessen haben.

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Die Herzdame und ich fahren am frühen Abend in den Garten, wir haben am Wochenende dort etwas vergessen. Ich pflücke etwas regenkaltes Obst, ich werde nass dabei, ich finde es schön. Glitzernde Tropfen auf sauren Kirschen, und Regen wäscht dann auch das Blut vom Finger, den ich mir in den Stachelbeeren schon wieder beim gierigen Grabbeln im Gesträuch aufgerissen habe.

Wir essen noch ein Stück Kirschkuchen in der Laube, es trommelt dabei auf das Dach, einige Schauer fegen über uns hinweg.

Wir sind die einzigen Menschen weit und breit. An verregneten Werktagen fährt niemand in die Gärten, an Montagen schon gar nicht. Wir sind hier wie abgetaucht im Laubenland, fern von allem, Parzellenpartisanen im grünen Untergrund. Ringsum Vögel, Eichhörnchen und Igel, eine freundliche Gesellschaft.

Immerhin eine halbe Stunde lang. Und wir haben Kuchen.

Ein Kirschkuchen, ein Stück auf einem Teller, daneben Gläser mit frischer Kirschmarmelade

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Später werde ich lesen, dass dieser Montag ungeachtet der Kühle bei uns der heißeste Tag auf der Welt in der Geschichte der Messungen war.

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