Wir übersehen Saisonwaren

Wenn Sie mal ein wenig von der Gegend sehen wollen, über die ich hier dauernd schreibe, ein wenig von den Problemen auch, es gibt einen Bericht beim NDR über die Eröffnung der neugebauten Bahnhofsmission. Das ist einer von den wichtigen Orten, zu denen man in desolaten Lagen immer gehen kann, so niedrigschwellig, wie es nur denkbar ist. Und das machen auch viele Menschen, die in irgendeiner Not sind, es ist nicht immer nur die Wohnungslosigkeit. Der Bedarf ist riesig, die Leute haben da viel zu tun und sind im ganzen Bahnhof emsig, ich sehe die oft herumlaufen. Drumherum müssen Sie sich bitte noch weitere Angebote von anderen Anbietern von Hilfen vorstellen, die etwa Kaffee und Essen ausgeben, dazu noch die verschiedenen Gesundheitsmobile, das Zahnmobil, auch den Duschbus für Obdachlose vor dem benachbarten Museum, den Gabenzaun und dann, noch etwas weiter, die Methadonausgabestelle usw. Es gibt viel Not, es gibt viel Hilfe, aber vermutlich ist es nie genug.

***

Im Drogeriemarkt wurde der erste Stand mit Karnevalszubehör aufgebaut. Kinderschminke, Bärte zum Ankleben, Konfetti und dergleichen, denn in den Grundschulen und Kitas findet Karneval auch bei uns statt. Danach verwächst sich die Bereitschaft dazu dann allerdings und tritt später nicht mehr auf. Die erwachsene Kundschaft ohne Nachwuchs an der Hand sieht ernst und entschlossen über diese Saisonwaren hinweg. Vor dem Regal mit den Nahrungsergänzungsmitteln stehen währenddessen drei Herren mit Lesebrillen und studieren gründlich, womit sie sich noch verbessern könnten.

***

Wir erreichen ansonsten planmäßig den Februar, den ich immer als Zwischenstation verstehe. Februar, das ist keine Endstation, das ist keine Wunschdestination, da kommt man eher irgendwie durch, das ist wie Umsteigen in Hannover oder so. Das will man nicht, das macht man mit. Im März – also gleich schon! – dann wieder die Frühlingshofferei als Unterhaltungsprogramm, da hat man seelische Beschäftigung und ist wieder etwas schöner ausgelastet.

***

Ich war im Traum in den meines Wissens nicht existenten Günter-Grass-Stuben in Lübeck und habe nachgesehen, ob dort Butt auf der Speisekarte steht. Das nächtliche Unterhaltungsprogramm ist hier also weiterhin super, keine Klagen, jeder Schlaf ein Genuss. Der Wachzustand fällt deutlich dagegen ab.

Egal. Weitermachen.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 31.1.2023

Ein paar Links finden sich dann doch, auch wenn die Sammlungen schon einmal etwas flotter und üppiger voll wurden. Aber das passt zu den Zeiten der Kargheit, die uns kalendarisch zweifellos nach wie vor geboten sind, da will ich mich nicht beschweren. Reduce to the Max, wie es früher einmal in der Werbung hieß. Ich fühlte mich da immer angesprochen, auch wenn der Satz sich in Flirtsituationen dann nicht bewährt hat. Egal.

Jochen über einen Bäcker mit sehr kleinem Laden, bei dem ich auf dem Weg zum Garten glatt einmal vorbeisehen könnte, er liegt an der Strecke. Nützlich, diese Blogs, was man da alles findet.

***

Es wird für das Schöffenamt geworben, und es gibt dazu noch einen zweiten Teil.

***

Meike über Nomaden und Sonntagsbraten.

***

Wenn ein Lehrer zum Tanzkurs geht. Vermutlich gibt es viele Arten, das Tanzen zu lernen, für mich ging das damals nur übers Mitsprechen im Geiste, übers Aufsagen.  Für mich war Tanz bewegter Text, Lyrik mit besonders viel Schwung, zappelndes Deklamieren. Stimmlos, versteht sich. Das mit den Zahlen dagegen habe ich alles nicht verstanden. Entweder ich sage etwas auf oder ich zähle, beides geht nicht.

***

Es gab, einem schon ziemlich lange laufenden Tiktokttrend folgend, Pasta mit Baked Feta, etwa so. Das fand ich gut und angenehm simpel, das mache ich wieder. Serviervorschlag: Vor dem Essen etwaige Kinder aus dem Raum entfernen, die klagenden Blicke verderben einem sonst leicht den Appetit. Ich habe als Kind Feta gemocht, von mir haben sie das nicht. Ts.

***

Ein Text über die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum. Bloggemäß aus persönlicher Sicht. Würde ich in Nordfriesland wohnen, ich könnte vermutlich einen erstaunlich ähnlichen Text schreiben.

***

Über das Fahren mit der richtigen Geschwindigkeit. Mit dem Thema darf ich gar nicht erst anfangen, ich bin Straßenverkehrsordnungsspießer und finde Regeln super, das ist mittlerweile aber eine vergleichsweise einsame Position geworden. Siehe in diesem Kontext auch Freiheit, Eigenverantwortung und andere leicht missverständliche Begriffe.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

Vorwärtskommen

Weiter in den Tagebüchern von Manfred Krug, 98 bis 99. Namen aus einer Vergangenheit, die ich weiterhin als befremdlich weit weg empfinde und von meinem Gehirn überraschend gründlich wegsortiert: Hansjörg Felmy, Günther Strack, Arafat, Scharping, Ron Sommer, Biolek, Michael Naumann, Theo Waigel, Berti Vogts. Ach ja, denke ich dauernd, ach ja. Den gab es auch. Und den. Und Witta Pohl und Madeleine Albright, die auch.

Ich blättere in einer Kochzeitschrift, die mir beim Aufräumen in die Hände fällt, irgendein Frühlingsheft, das wird ja bald wieder gültig, denke ich. Ich kaufe diese Zeitschrift allerdings schon eine ganze Weile nicht mehr, sie war nicht mehr interessant und jedes zweite Rezept war mit Sahne und auch viel zu viel mit Hack, das nützte mir nichts mehr. Zu wenig Nachkochen für zu viel Geld, die Foodblogs sind eh spannender und man kann sie verlinken. Immer die Nützlichkeit im Sinn haben. Ich überlege, wann ich das Magazin wohl zuletzt gekauft habe, in welchem Jahr das war. Auf jeden Fall war es vor Corona, das ist recht leicht, das kann ich zuverlässig bei fast allem unterscheiden. Bilde ich mir zumindest ein. Ich komme dann gedanklich nur bis zu „kurz vor Corona“, dann sehe ich doch auf dem Titelblatt nach, dann will ich es genau wissen: Das Heft ist von 2012. Okay. Kurz vor Corona. Alles im Rahmen der erreichbaren Messgenauigkeit.

Am Sonntag wollen wir in den Garten, stehen eine Weile am Fenster und sehen hinaus, sagen dann: „Wir fahren nicht in den Garten.“ So ein Wetter ist es nämlich, nichts lockt einen vor die Tür. Auf dem Spielplatz unten die pflichtgemäßen Kleinkindeltern, frierwippend auf den Zehenspitzen, Kapuzen auf, Kaffeebecher in den Händen und ab und zu zur Kirchturmuhr hochsehend, ob es nicht bald reichen könnte. Krabbelkinder wasserdicht eingepackt in der Sandkiste, lustlos herumrobbend.

Ich gehe einmal um den Block, das Pflichtbewusstsein. Unten an der Alster haben Wasser und Himmel die gleiche Farbe und reichen weit, Blaugrau bis sonstwohin, bis in den Februar. An einem Café steht noch „Winter Wonderland“ dran, aber das Wunderland ist geschlossen und die riesigen Deko-Elche leuchten nicht mehr. Kaum Spaziergängerinnen. Nur Jogger ziehen verbissene Runden und sehen starr vor sich hin, immer nur direkt vor sich, schon wegen der Pfützen. Es spritzt, wenn sie vorbeilaufen. Schlammspuren auf ihrer knallbunten Sportkleidung, nasse Laufschuhe, aber sie haben doch wieder was geschafft. Sie sind vorwärtsgekommen.

Wenn auch nur im Kreis, wie immer.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

Vom Heraufbeschwören leerer Likörflaschen

Die Schwimmbäder werden wieder wärmer, lese ich am Morgen in den Nachrichten, die Wassertemperatur wird hochgeregelt. Vielleicht ist die Krise vorbei, vielleicht ist sie jetzt egal, vielleicht ist es etwas anderes, man kann auch nicht immer alles nachlesen. Doch, ich lese es nach, aha – die Temperaturen werden angehoben, weil man so viel gespart hat. Ich drehe die Heizung lieber noch nicht höher, ich verbleibe mit Fragen zur Logik und zum weiteren Verlauf, aber egal. Das tue ich ohnehin dauernd.

Wieder die Erinnerung an diese Szenen bei Charles Dickens, ich glaube, es war in Bleakhouse, in denen jemand Geld spart, in dem er etwas nicht kauft, nur um es dann umgehend für etwas anderes auszugeben, weil er die Summe doch gerade eben gewissermaßen erwirtschaftet hat.

Ich beschäftige mich ansonsten mit den fortgesetzten Tagebüchern von Manfed Krug: „Ich bin zu zart für diese Welt.“ Die Jahre 98 und 99 jetzt, es geht ihm nicht gut, er schwächelt erheblich und kann damit nicht umgehen. Ich staune, wie viele Namen bei ihm auftauchen, die mir zwischenzeitlich überraschend gründlich aus dem Gedächtnis gerutscht sind, weil sie seit vielen Jahren einfach überhaupt nicht mehr vorkamen. Jacques Chirac, Roman Herzog etwa. Ach ja, die gab es mal. Alexander Lebed, Suharto, solche Namen. Figuren aus den Achtzigern oder Siebzigern begegnen mir deutlich öfter wieder, so kommt es mir jedenfalls vor, sie kommen in meinem Alltag ab und zu vor, in Gesprächen etc., auch in Romanen. Wehner, Brandt, Strauß. Es ist alles etwas merkwürdig verteilt. Wie unfassbar ungenau die Erinnerung ist, was für ein seltsamer Filter. Dazu gehört aber auch, dass ich in den Jahren dieses Tagebuchs einfach nicht aufgepasst habe, weil ich sehr gründlich mit privaten Themen und Entwicklungen beschäftigt war und, wenn ich wenigstens das richtig erinnere, auch nicht oder kaum jemals ferngesehen habe. Man hat so Phasen, da reicht es nicht für die Wahrnehmung der weltpolitischen Lage.

Rührend jedenfalls, wie in Manfred Krugs Träumen immer wieder sein verstorbener Freund Jurek Becker auftaucht, wie die Gespräche mit ihm fortgesetzt werden, wobei der Umstand, dass der eine schon tot ist, gelegentlich nonchalant von einem der beiden erwähnt wird. Ich habe das noch nie erlebt, kein einziger verstorbener Mensch aus meinem Umfeld ist mir je im Traum erschienen, und ich ahne, ich werde das erste Mal, das ich vielleicht gerade heraufbeschwöre, so ist es mit dem Schreiben ja immer, entschieden unheimlich finden. Aber vermutlich ist es ohnehin unausweichlich.

***

Am Straßenrand eine leergesoffene Flasche Berentzen Waldmeister, was ich deswegen bemerkenswert finde, weil ich gerade in der letzten Woche erst in einem Gespräch erwähnt habe, dass man so etwas ja nicht mehr trinkt, das ganze süße Zeug aus den Achtzigern – und prompt steht es da, es ist wirklich immer dieses Heraufbeschwören. Jemand trinkt sich da vielleicht ein paar Jahrzehnte zurück, stelle ich mir vor.

Darauf vielleicht am Abend irgendwas von Bols. Nein, das ist nur Spaß – schon die Vorstellung ist dermaßen gruselig. Oder Kirsberry, meine Güte, was fällt mir da alles wieder ein. Als wir unseren Garten übernommen haben, fanden wir in den Beeten die leeren Likörflaschen vergangener Sommerfeste, halbmetertief vergraben. Lauter Marken, die ich aus  meiner Jugend kannte.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

Voreilige Suppe, angemessene Aufläufe

Der Donnerstag vergeht einfach so, der Freitag rutscht hinterher, sang- und klanglos.

„How the hell can a person
Go to work in the morning
Then come home in the evening
And have nothing to say?“

Das ist von John Prine, Angel from Montgomery, und ja, ich zitiere das öfter.

In einem Foodblog sehe ich ein Rezept für eine leichte Suppe mit Frühlingsgemüse, das kommt mir noch etwas voreilig vor. Ansonsten Aufläufe und rustikalere Eintöpfe, mehrfach wird auch Grünkohl weiterhin verwendet. Das ist doch deutlich januariger und passender als diese Frühlingsgemüsesuppe, wir wollen es bei aller Sehnsucht jetzt nicht übertreiben. Sonst verkraftet man am Ende die allfälligen Rückschläge nicht.

In den Schaufenstern der Parfümerien immerhin die ersten Hinweise auf den Valentinstag, so hangelt man sich auch vorwärts, von Deko zu Deko.

Die Praktika der Söhne enden und waren erfreulicherweise sehr gut, unerwartet gut. Es gibt Zeugnisse, es gibt eine kurze Halbjahrespause. Dann schon wieder das allgemeine Anlaufnehmen. Die zu bewältigende Strecke reicht in der Schule diesmal bis zum 3. März, fast könnte es einem überschaubar vorkommen. Wir werden uns erneut an das bewährte Konzept halten: Immer einen Tag nach dem anderen.

Auf dem Balkon pickt eine Kohlmeise in einem Blumentopf, die flüchtet aber, als eine Ringeltaube auch einmal nachsehen möchte, was es da gibt. Die wiederum flüchtet, als die Elster kommt, die dann flüchtet, als die Rabenkrähe kommt, die dann sehr schnell wegfliegt, als eine Silbermöwe kurz und energisch demonstriert, wer hier am meisten Spannweite hat. Es sieht aus wie in einem Lehrfilm, es geht auch ganz schnell, aber es läuft genau auf diese Art ab. Und dann die Verachtung im Blick der Möwe, als sie merkt, dass es hier nur um blöde Erdnüsse geht, wer frisst denn so etwas. Ja, pardon, aber ich werde da jetzt keinen Fisch auslegen, bei aller Tierliebe nicht.

Der Abendspaziergang. Neben einem Stolperstein vor einem Nachbarhaus brennt ein Grablicht, unter dem liegt ein handgeschriebener Zettel, eine Kinderschrift, blauer Filzstift: „Nie wieder.“

Früh ins Bett. Ich träume interessant und vielseitig, meine Träume könnten ganzseitig beworben werden, so gut sind die. Auch mal was an sich selber loben, und wenn es nur der Teil ist, für den man eher nichts kann.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

Wie sinnig alles eingerichtet ist

Mittwoch. Auch mal wieder ins echte Office, wie früher. Von meinem Bürofenster in Hammerbrook aus sehe ich auf eine hohe, graue Wand. Ein fensterloses Gebäude, ein Lagerhaus ist das, sechs- oder siebenstöckig. Waren aus Südosteuropa sind darin, Weine aus Kroatien und dergleichen, unten fahren die Laster zum Be- und Entladen vor. Vor dem Gebäude noch als Querstreifen im Bild und in einem etwas anderen, etwas dunkleren Grau, der Beton-Viadukt der S-Bahn nach Harburg. Ein ausgesprochen großstädtischer Ausblick ist das, nur nicht von der netten Art. In einer Erzählung hätte ich diese graue Wand vielleicht erfunden, um die momentane Gefängnisempfindung im Alltag zu unterstreichen. Sie ist aber einfach so da. Wie auch die S-Bahnen, die alle paar Minuten vorbeifahren, signalrote Wagen, die mir immer wieder eine Möglichkeit der flotten Bewegung vorführen, an der ich aber nicht teilnehme. Wie sinnig das alles eingerichtet ist, wie erfunden das wirkt.

In den Nachrichten Warnungen vor Eisregen am Donnerstag, da dann mal lieber nicht rausgehen. Als ob man sonst wahnsinnig unternehmungslustig wäre. Nach dem Eisregen soll es wenigstens wärmer werden, immer das Positive in allem sehen. Nächste Woche sogar irgendwas mit sieben Grad, da auch mal wieder die Jacke aufmachen und etwas vom Aufwärtstrend reden. Wir sind dann schon einen Monat weiter, es geht doch.

Ich treffe am Nachmittag eine Freundin, wir gehen in einen Coffee-Shop. Einer der anderen Gäste steht zwischendurch plötzlich auf, kommt zu uns und fasst den Kaffeebaum an, bzw. das Kaffeebaumimitat, das neben unserem Tisch steht: „Entschuldigung, ich musste mal eben fühlen, ob der echt ist. Ich bin in der Stadt aufgewachsen, ich erkenne so etwas nicht. Dafür muss man vom Land kommen.“ Er klopft auf das Holz, bzw. eben nicht, auf den Kunststoffstamm. Noch so ein Drehbuchmoment. Das eindeutig hohle Geräusch, aber er guckt weiter fragend, er traut dem Klang nicht. Wie klingt echtes Holz? An dem Baum hängen rote Plastikkaffeebohnen.

Vor dem Fenster gehen frierende Menschen vorbei, es ist ein Wintertag, an dem sich niemand recht gegen die Kälte wehren kann. Die ganze Stadt wirkt verfroren, zusammengezogen, eingekrümmt und die Menschen, die in den Coffee-Shop kommen, atmen stöhnend auf, es ist so herrlich warm hier drin.

Meine Freundin und ich reden über die Corona-Jahre und darüber, wie unwirklich und fern vieles aus dieser Zeit jetzt schon wirkt. Wir zählen uns Szenen und Maßnahmen aus dem ersten Jahr auf, es klingt alles schon nach Geschichtsbuch oder nach Doku im Nachtprogramm. Weißt du noch? Als die Läden alle geschlossen waren, als die Restaurants Essen nur noch durchs Fenster rausgereicht haben, als man nicht mehr im Park sitzen durfte, als auch der Spielplatz mit rotweißem Flatterband abgesperrt war, als es all diese Regeln für die Besuche anderer Haushalte gab, als man sich Impfmöglichkeiten unter der Hand weitergegeben hat, als es kein Mehl mehr gab und keine Nudeln, als wir alle an der Home-School irre geworden sind und es dann leider blieben, wie viele Jahre ist das her und war das alles wirklich so, kann es eigentlich sein.

Am 1. Februar fällt hier die Maskenpflicht in Bussen und Bahnen weg, dann wird man – zumindest vorerst – von der Pandemie nur noch wenig sehen. Auch die Teststation vor dem Hauptbahnhof haben sie jetzt abgebaut, das war die letzte, die ich noch jeden Tag wahrgenommen habe. Teststationscontainer. Ein paar davon könnte man jetzt schon zur Seite stellen, als Filmkulisse für spätere Produktionen, die es zweifellos geben wird, die vermutlich jetzt schon in Arbeit sind.

Die Filme werden alle seltsam übertrieben wirken, glaube ich.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

Vom Leben mit suboptimalen Lösungen

Dienstag. Beim Blick auf den Balkon lerne ich, dass auch Kohlmeisen mit Erdnüssen abhauen, was ich aufgrund der Größenverhältnisse beachtlich finde, es ist aus Meisensicht immerhin eine schier gigantische Nuss. Auf Menschenmaße umgerechnet würde sie uns sicher bis zur Hüfte reichen. Wer will mit so etwas herumlaufen, und die fliegen damit weg. Einfach so. Meisen lieber auch nicht unterschätzen.

Ich lege ich mich nach der Arbeit im Home-Office noch einmal für zehn Minuten hin und wache erst nach zweieinhalb Stunden wieder auf. „So geht der Monat natürlich auch vorbei“, sage ich mir und frage mich nebenbei, wieso ich neuerdings dauernd laut mit mir selbst rede. „Egal“, sage ich dann, „ist doch auch egal.“ Und ich glaube, ich habe Recht damit. Ein sehr gutes Gefühl.

Ich höre auf meinen Einkaufswegen „Eine blassblaue Frauenschrift“ von Franz Werfel und freue mich, dass ich zur Abwechslung einmal eine Handlung noch recht sicher parat habe, trotz der wiederum lang zurückliegenden Lektüre des Buches irgendwann in meinen Zwanzigern, damals noch im Antiquariat. Allerdings hätte ich jeden Eid darauf abgelegt, dass der Titel „Eine blassblaue Frauenhandschrift“ war, obwohl das von mir zwischengeschobene Wort ganz unnötig ist, wie ich dann peinlich berührt bemerke. Kein Tag ohne Demütigung, ich sage es ja.

Die Familie spielt ansonsten Magendarmgekränkel, das macht den Monat nicht schöner, nur etwas abwechslungsreicher. Keine Details.

Ich esse dessen ungeachtet aufgewärmtes Gulasch. Alles immer dennoch machen, aber als Wappenspruch. Wie gut ist aufgewärmtes Gulasch mit Makkaroniresten von gestern, es ist eine wahre Hauptfreude, ich kann es nicht anders sagen. Ich esse alles alleine auf, der Rest der Familie bekommt nur Tiefkühlpizza vorgesetzt, auch einmal Prioritäten zu meinen Gunsten setzen. Morgen gebe ich mich umgehend wieder bescheiden und kooperativ, so der Vorsatz. Ob sich TK-Pizza und Magendarm gut vertragen, das ist wieder eine andere und sicher auch berechtigte Frage, aber man muss, wie eine frühere Chefin von mir immer sagte, auch mit suboptimalen Lösungen leben können. Von meinen früheren Vorgesetzten, es fällt mir gerade wieder ein, sind zwei schon tot und einer hört Stimmen aus der Wand. Wenn man es so erzählt, klingt es etwas seltsam, nicht wahr.

Am Abend habe ich nach längerer Pause einmal wieder Lust auf ein gedrucktes Buch. Ich mache weiter, wo ich aufgehört habe, bei Maeve Brennan mit „Mr. und Mrs. Derdon“. Ich habe das Buch hier bereits zweimal empfohlen, Sie merken, ich meine es ernst. Erheiternd, aufbauend oder motivierend allerdings ist es nicht.

Egal. Was ist schon erheiternd, motivierend oder aufbauend im Januar, also abgesehen von Gulasch. Das allerdings ist nicht vegetarisch, also auch wieder suboptimal. Wie alles gerade.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

Ein Mann des Januars

Es bleibt zäh und farblos, das Leben ist ein langer, ruhiger Werktag. „Ich habe noch nicht das Alter erreicht, wo man erfindet, und begnüge mich daher mit dem Erzählen von Tatsachen.“ So beginnt Dumas die Kameliendame, das ist keine allzu schlechte Methode, um einen unzuverlässigen Erzähler einzuführen. Was aber sind die Tatsachen des Tages? Das frühmorgendliche Wecken der Familie, die allgemeine Unlust, das Knurren und Murren. Die Befindlichkeiten, die Müdigkeit. Der Blick aus dem Fenster, es sind auffällig mehr Nachbarn wach als sonst, es brennen mehr Lichter in den Häusern ringsum, woran mag das liegen. Sogar gegenüber ist schon Licht im Arbeitszimmer, die Nachbarin geht auf und ab, das ist sonst nie so. Vielleicht hat eine allgemeine Unruhe das Viertel befallen, man liegt oder sitzt nachts überall wach und übt sich kollektiv im Overthinking. Und wer weiß, es ist am Ende auch die richtige Jahreszeit dafür, alles verläuft hier wie immer saisonal korrekt, also abgesehen vom Klima.

Das Rotkehlchen sitzt währenddessen oben in der Eiche und singt energisch ab vier Uhr morgens gegen alles an. Hinter dem Kirchturm erst Stunden später eine schwache erste Ahnung von Helligkeit, dazu drei Möwen im Frühdienst auf der Süd-Nord-Strecke. Auf dem Wohnzimmertisch die Tulpen vom Sonntag, ein Pink, das unangemessen maienhaft aussieht.

Das Home-Office, es zieht sich. Der Zahnarzt, die strahlenden Gebisse im Wartezimmer-TV, es ist das hellste Weiß des Tages. Die Einkäufe, hustende Kassiererinnen. Die Makkaroni mit Gulasch im Wellness-Teil des Alltags, die immerhin, es gibt mehrfaches Lob für den Koch, für mich. Und zwischendurch immer wieder zum Balkon, Erdnüsse für die Krähen, nein, Erdnüsse für die Krähen und die Kinder, wie ich nach Sichtung des seltsamen Schwundes ermittele. Wie Sherlock Holmes sinnend den Spuren nachschleichen. Hier liegt eine aufgeknackte Schale, dort liegt ein Krümelchen, schließlich die Kinderzimmertür. Aber okay, der Fall war einfach, sage ich zu meinem selbstverständlich nur imaginären Watson, diese Geschichte wird sicher keinen Roman füllen. Er nickt und sagt nichts. Er ist ein recht angenehmer und ruhiger Gefährte, er ist ein Mann des Januars.

Wir verbringen den Abend gemeinsam, schweigend vor Büchern. Beim Einschlafen sehe ich, wie er seine Uhr aus der Weste holt und ansieht, dann den Kopf schüttelt und eine Notiz macht. Es ist schon spät, jedenfalls für meine Verhältnisse.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 23.1.2023

Das Grau ist prompt zurück, die Stimmung bleibt wie gestern beschrieben, wird aber freundlich aufgehellt durch ganz außerordentlich nette Rückmeldungen und Komplimente von LeserInnen, vielen Dank! Durch so ein Blog kommt manchmal auch etwas Licht hinein.

Ich habe heute nicht sehr viele Links zu bieten, es wird, wenn ich es denn richtig sehe, im Moment ringsherum weniger und verhaltener gebloggt. Ich vermute eine ebenso verallgemeinerte wie verstetigte Januarkrise, das schlägt wohl auf die Schreibmuskeln, warum soll es anderen denn besser ergehen als mir. Wir leben doch weitgehend alle in der gleichen Klimazone und durchleben einen ähnlichen Winter. Na, so ungefähr jedenfalls.

Ich hatte vor vielen Jahren einmal einen Kollegen aus München, der es in Hamburg nicht lange ausgehalten hat, weil es hier doch im Winter noch ein wenig später hell und früher dunkel wird als in Bayern. Er hat darüber sehr viel gesprochen, es hat ihn wirklich enorm beschäftigt, was uns Hamburgern in Erinnerung geblieben ist, weil sonst nie jemand darüber gesprochen hat. Wir fühlten uns in der Folge eine Weile noch etwas nördlicher, wenn nicht polarer. Allerdings kann man bei der Kaltmamsell sehen, dass sich bei ihr im Moment auch die Schneekönigin wohlfühlen würde, bei uns dagegen weiterhin nur die grauen Herren. Sie hat da auch ein Bild vom Monopteros, und da, wo auf ihrem Foto die Schlitten im strahlenden Weiß zu sehen sind, genau da hat Sohn II in einem allerdings sommerlichen Setting vor Jahren das Radschlagen gelernt, eine wichtige Familienerinnerung. Vielleicht kommen wir in diesem Sommer noch einmal dort vorbei, wir wollen einmal sehen, was es dann zu lernen gibt.

Egal. Hier die Links:

Meike, die Gehirnexpertin der Herzen, über entmenschlichte Männer.

 

***

Frau Herzbruch über die persönliche Verkehrswende und die Hindernisse vor der Haustür.

***

Über Aschenbecher in Flugzeugen. Wieder was gelernt.

***

Kiki geht neue Wege. Ein Zeichen des Aufbruchs in trüber Zeit, wir wollen es angemessen feiern.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

Dieser Raum ist auch doof

Der Januar ist kurz vor Schluss doch noch eingerastet, was sich in grundlos schlechter Stimmung ausdrückt, die sich, ich habe da Erfahrungswerte, im dümmsten Fall noch bis in den rettenden März ziehen wird. Kalendarisch abrufbare chronische Katastrophenstimmung, abgekürzt einfach KACK.

Es ist im Grunde vieles in Ordnung, es ist gar nichts los, aber die Wohnung kommt mir vor wie ein Gefängnis, ich weiß hier nichts mehr mit mir anzufangen. Ich gehe von Raum zu Raum und denke: „Dieser Raum ist auch doof“, dann gehe ich einen Raum weiter und im Kreis, der Schrittzähler vermeldet Unruhe. Das Einkaufen wird mir zum Hofgang, wie satt kann man seine Gegend eigentlich haben. Wie nervtötend kann jedes Haus sein, jede Kreuzung, jeder Supermarkt, alles so vorhersehbar und unendlich öde, ich sehe in den Schaufenstern nach, ob ich nicht längst wie Bill Murray aussehe, und zumindest der Gesichtsausdruck kommt hin. Es ist nur eine Stimmung, denke ich mir, es ist wie in jedem Jahr, guck nicht so überrascht. Du Trottel. Ich bin jetzt gerne unfreundlich, denn das hilft etwas, bilde ich mir zumindest ein, und da man nicht unfreundlich zu anderen sein sollte, bin ich es eben mir gegenüber, ich kann das ab.

Draußen dann auf einmal der Sonnenschein, das aufleuchtende Blau des Himmels und der Alster. Das nützt aber auch nichts, es bleibt ja doch Januar und kalt und alles, schon morgen ist es eh wieder grau wie gewohnt, warte nur ab, ich weiß Bescheid. Aber das Vitamin D, sagt mein innerer Erziehungsberechtigter. Okay, denke ich, ich gehe ja schon raus. Ich mache einen blöden Spaziergang durch die blöde gleiche Gegend. Kaum bin ich ein paar Meter durch die blöde Fußgängerzone, durch die blöde Konsumwelt gegangen, hält da jemand ein Pappschild hoch, auf dem steht tatsächlich “Kehret um!“ Ich frage mich, wozu ich dann überhaupt rausgehe, es ist ja auch wieder nicht richtig

Umkehren, nicht umkehren, zumindest spaziergangsbezogen fühlt sich heute beides gleich blöd an. Auf Religion habe ich ebenfalls keine Lust, so schlecht ist meine Stimmung nun auch wieder nicht, dass ich gleich nach einer Gottheit suchen würde. Die Stimmung ist mehr so routiniert schlecht, eher so, dass ich weiß, diese Phase endet auch wieder, vielleicht gleich schon, es müsste nur etwas passieren, idealerweise etwas Gutes. „50% auf alle Styles“, das lese ich auf einem Werbeplakat. Ich weiß gar nicht, was mein Style ist, aber er wird jetzt jedenfalls billiger. Ist das gut? Ist das gut genug?

Ach, egal. Es passiert nichts, natürlich passiert nichts, man darf ja nicht darauf warten, dass etwas passiert. Been there, done that, got the t-shirt, auf dem steht: “Januar ist doof.”

Ich höre mein Hörbuch weiter, Die Kameliendame. Armand verliebt sich heillos in Marguerite, sie fahren aufs Land, das so lauschige Haus wird angemietet, ich weiß, es wird nicht gut ausgehen. Stimmungsfördernd ist das heute auch nicht. Ich lese dies und das in der Wikipedia nach, ich lande schließlich bei Voltaire. Da ein Zitat aus Candide, ich nehme es einfach als Motto des Tages: „Lasst uns arbeiten ohne nachzudenken, das ist das einzige Mittel, das Leben erträglich zu machen.“

Ich glaube, ich werde hier mal eben durchsaugen oder die Wäsche in den Keller bringen. Oder die Kartoffellauchsuppe ansetzen, es ist Gemüsesuppentag. So etwas. Nur eben auf intellektuell anderem Level als sonst, sozusagen voltaireverbrieft.

Immerhin.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.