Werktag, Farbton mittel

Es sieht nach echtem Herbstwetter aus, wenn es auch nicht kalt ist. Ein wenig frisch ist es vielleicht. Aber schmutzig dunkle Wolken gibt es, etwas Regen gibt es und diese Dunkelheit am Morgen. Krähen vor schieferfarbenem Himmel in der ersten Dämmerung gibt es auch, immerhin. Auf dem Hotel gegenüber weht die britische Flagge auf halbmast im Westwind.

Auf meinem Arbeitsweg fehlen jetzt zwei Imbisse, ich sehe es im Vorbeigehen. Sie haben geschlossen, sie werden ausgeräumt, es gibt sie nicht mehr. Es kann Zufall sein, es kann eine Folge von etwas sein, es steht nicht dran.

Am Straßenrand steht eine Dose Holzlack auf dem Fußweg, „Farbton Mittel“ steht darauf, was mag das sein? Ich stelle mir norddeutsches Novembergrau vor, mit einem Stich ins Bräunliche vielleicht. In welcher Farbe hätten Sie ihre Möbel denn gerne? Na, so mittel.

Im Schaufenster eines Geschäftes für Schreibwaren und Geschenke wurde die Dekoration jahreszeitlich angepasst, da wachsen jetzt Stoffpilze in der Auslage, die samtene Köpfe in dunklen, warmen Farbtönen haben, schimmernd und heimelig. Im Laden gegenüber, in dem es nur Produkte aus Hamburg gibt, wurden warme Socken und Mützen dekoriert. Die Kleiderschränke der Leute wurden wohl auch alle gestern umsortiert, ich treffe niemanden mehr, der noch T-Shirt oder kurze Hose trägt, der ganze Weg durchs Viertel ist eine Übergangsjackenleistungsschau und oktobrige Brauntöne überwiegen, man trägt auch wieder Leder und Wolliges in Oversize, vieles sieht neu aus.

Eine Frau in mattgelber Regenjacke jagt einem Kleinkind hinterher, dass auf einem Laufrad jauchzend beschleunigt, auf eine große Kreuzung zu. Die Mutter ist zehn, fünfzehn Schritte hinter dem Kind und man sieht gleich, das sind zu viele, das schafft sie nicht mehr, obwohl sie jetzt laut schreiend auf diese Art beschleunigt, die man nur in Ausnahmefällen parat hat, und sie ruft und ruft. Ich bin auch zu weit weg von dem Kind, ein Mann auf der anderen Straßenseite ist es auch, und das Kind lacht und beugt sich vor, so schnell bin ich, so schnell, und die Mutter ruft da hinten so lustig. Es düst über die Kreuzung und es kommt kein Auto, nicht ein einziges, weit und breit nicht, wieviel Glück kann man um diese Uhrzeit haben.

Die besten Geschichten sind vielleicht doch die, die gar nicht erst passieren, das ist für Chronisten nicht einfach.

Die Mutter kniend vor dem Kind, ernst auf es einredend, laut und eindringlich, beide Hände auf seinen Schultern. Das Kind, das im Gesicht der Mutter forscht, was das jetzt wieder soll. Es ist wohl ernst. Aber was bloß?

Ansonsten ein normaler Tag. Farbton mittel.

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Wenn ich es doch nicht weiß

Es ist früh. Am Straßenrand räkeln sich die Obdachlosen noch stöhnend und fluchend, fröstelnd und grummelnd in ihren Schlafsäcken oder unter ihren Kartons. In Hamburg gibt es, so ging es gerade durch die Medien, an die 19.000 Obdachlose. Es ist die Hauptstadt der Obdachlosigkeit, so hieß es da. 15 von den Tausenden sehe ich bei der Morgenrunde und auf dem Weg nach Hammerbrook, in Hauseingängen, auf Kirchentreppen, in Durchgängen, unter Brücken, vor dem Bahnhof.

Ein indisches Restaurant hat den Preis für das „All-You-Can -Eat“-Buffet überklebt und einen höheren daruntergeschrieben. Ein weiteres Restaurant hat neue Aufkleber mit Öffnungszeiten angebracht, sie sind jetzt kürzer als früher, also als damals im August. An einer Bäckerei wird ein Tag angekündigt, an dem der Laden geschlossen sein wird, man fährt zu einer Demonstration gegen die Energiepreise, bzw. für Entlastungen, gemeinsam mit anderen Bäckereien.

Am Straßenrand liegt Weihnachtsdeko: „Zu verschenken“, Tannengrüngirlanden aus Plastik und große Christbaumkugeln. Vielleicht hat jemand schon die Bestände im Keller oder auf dem Dachboden gesichtet, für den Dezember etwas Neues geplant und aussortiert. Viele Menschen denken weiter voraus als ich.

Vor dem Dönerimbiss parkt ein Polizeiwagen, aber der Imbiss ist noch zu und der Polizeiwagen ist leer, kein Mensch ist zu sehen. Eine unvollendete Szene, es geht nicht weiter, nur zwei Zeilen einer Geschichte. Auch schlimm.

Aus einer Bäckerei, die gerade erst öffnet, kommt ein backofenwarmer Schwall zimthaltiger Luft. Vor dem Geschäft richtet ein Bettler gerade eine hölzerne Kiste, auf der wird er gleich sitzen, seine lederne Kappe abnehmen und vor sich legen, auf Münzen hoffend, das macht er jeden Morgen so. Eine junge Frau betritt die Bäckerei, sieht in die Auslage, auf den Kuchen, auf die Brötchen und das Brot, sie sagt: „So viel Auswahl“ Sie schüttelt den Kopf. Dann wiederholt sie: „Nein, so viel Auswahl!“ Und hebt abwehrend die Hände und geht wieder. Einfach mal aufgeben, warum auch nicht. Ich verstehe das.

Vor der Kirche die Kreuzigungsgruppe unter freiem Himmel, dunkle Bronzefiguren auf helleren Steinstelen vor grauen Wolken. Jesus und die anderen beiden, wie hießen sie noch. Die trauernde Maria. Vor diesem Kunstwerk steht eine Bank, vor der liegt ein leerer Pizzakarton. Hier hat jemand ein Nachtmahl unter den Augen des Gekreuzigten zu sich genommen, Pizza Dolorosa. Eine strahlend weiße Möwe landet und wird sich die Reste im Karton gleich einmal näher ansehen, sobald ich ein paar Schritte weiter gegangen bin.

Vor dem Sushi-Lieferdienst „Rollmops“ liegt eine tote Ratte mitten auf dem Gehweg, eine erste Wespe seziert gerade ihre Nase.

Neben einigen Straßenbäumen stehen noch Stockrosen stramm oder bemühen sich hinsinkend immerhin noch um Haltung, aber die Blütenfarben sind schon deutlich geschwächt und die Blätter hellen gelb auf. Der Lack ist ab und die Haltung wird nicht mehr lange gewahrt werden können.

In einem Kiosk im Bahnhof sagt eine Mutter zu ihrem kleinen Sohn, der vor den Kinderzeitschriften steht: „Ich möchte, dass du dich JETZT entscheidest.“ Zwei Koffer hat sie neben sich stehen, Ungeduld hat sie in der Ausstrahlung. Der Sohn sagt ruhig: „Mama. Wenn ich es doch nicht weiß.“

Draußen vorm Bahnhof sitzt eine Bettlerin auf dem Boden. Sie reißt eine Scheibe Brot in Stücke und füttert heraneilende Tauben mit den Krümeln. Es ist eine ältere Frau und sie ist so gekleidet, wie es eine russische Großmutter in einem meiner illustrierten Kinderbücher damals war, irgendeine Geschichte mit Wölfen und Ziegen. Sie wirft das Brot und lacht zahnlos, sie freut sich über die eifrig pickenden Vögel. Passanten gehen mit strengem Kopfschütteln vorbei und in den Bahnhof hinein.

Vor einem Hotel stehen Geschäftsreisende, ein Grüppchen von Männern in Anzügen. Sie rauchen so, wie Verdurstende Wasser trinken und reden in einer skandinavischen Sprache leise miteinander, heiseres Lachen. Sie inhalieren tief, damit es wieder eine Weile reicht, zumindest bis zum Frühstück. Noch einmal dieses Lachen, dann ziehen sie wieder an den Zigaretten und sehen nach oben, ihrem Rauch hinterher, der sich wolkig nach oben hebt, dorthin, wo eine Möwe fliegt, die vielleicht ein Stück Pizza im Schnabel hat.

Guten Morgen.

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Eine Dankespostkarte

Rückseite

Wir haben zu danken für die freundliche Zusendung eines Buches über Obstgehölzschnitt, es ist leider schon eine Weile her, pardon, man kommt zu nichts. Es wird besonders der Herzdame weiterhelfen, die dieses Thema okkupiert hat und mit geradezu furchterregender Gründlichkeit angeht. Es ist, wie es immer ist, wenn man sich erst einmal ein paar Gedanken mehr macht, wenn man erst einmal genauer hinsieht, und zack, schon hat man etwas vor sich, wofür man einen Regalmeter Bücher braucht. Mindestens. Denn wenn man so einen Obstbaum erst einmal eingehender betrachtet, zum Zwecke des Schnitts oder der Ernte etwa, dann fallen einem mit großer Sicherheit diverse Besonderheiten auf. Seltsam verkrumpelte Blätter hier und da, abgestorbene Spitzen, verdächtige Flecken auf dem Laub, merkwürdig wachsende Zweige – und schon ist man vom Schnitt zu den Baumkrankheiten gekommen. „Andere machen dafür eine Ausbildung“, sage ich mehrfach zur Herzdame, die mit Büchern vor Bäumen und Büschen steht und flucht, weil die jeweilige Pflanze nicht recht zur Abbildung passen will, die Krankheit schon gleich gar nicht zur grausigen Grafik. „Feuerbrand“, sage ich, denn das habe ich gerade irgendwo gelesen und das wird es mit Sicherheit nicht sein, aber es klingt gut, finde ich: „Alles voller Feuerbrand.“ Die Herzdame blättert hektisch und hat gefährliche Falten auf der Stirn.

Aber das macht alles nichts. Im Herbst, also gleich, wenn nicht sogar jetzt, werden wir eh wieder keine Zeit für gar nichts mehr haben, auch nicht für Baumkrankheiten. Ein paar Tage lang kann sich die Herzdame noch draußen austoben und alles Schadhafte aus dem Garten entfernen. Lieber zu viel als zu wenig. Ich gehe ihr so lange einfach großräumig aus dem Weg, man weiß bei Menschen im Wahn nie.

Ein gutes Buch jedenfalls, hilfreich und fein, vielen Dank!

Es gab ferner auch ausgesuchte Sämereien für Blühpflanzen des nächsten Jahres, für Pflanzen also, die man nicht beschneiden muss, wie entspannend ist das denn. Auch dafür vielen Dank!

Und wenn ich schon dabei bin, ein Dank mit vollen Backen auch an die Leserin, die gerad eine gewisse Summe ausschließlich für Backwerk in den virtuellen Hut geworfen hat. Ich setze selbstverständlich zweckgebunden um.

Vorderseite

Es folgt ein Bild, das ich im Blog schon mehrmals hatte, es wird Ihnen daher bekannt vorkommen, aber ich klebe zum Schluss noch etwas drüber, und dann bekommt es so einen gewissen Dreh. Moment.

Es regnet. In einem der letzten Texte habe ich gerade noch die leichte Seite des Regens beschrieben, das Angenehme des ersten Regens nach Wochen der Trockenheit, aber das war nur ein Teil der Wahrheit, wie immer, denn man kann überhaupt nur Teile der Wahrheit beschreiben, kategorisch.

Den anderen Teil der Regenwahrheit hatte ich dann wieder vor dem Küchenfenster. Der Regen wurde stärker, es pladdderte und goss und troff auf die schräge Scheibe des Dachfensters, während ich im Trockenen stand und kochte. Draußen am Spielplatzrand fand gerade wieder die Essensausgabe in der Kirche statt. Die bedürftigen Menschen, ich konnte es durch die dicken Tropfen und Schlieren sehen, standen in einer Schlange an, die sich abermals in charlesdickenshafter Elendslänge um den Kirchhof und um das Denkmal für den Drachentöter Sankt Georg ringelte. Stoisches Warten im strömenden Regen. Einfach nur stehen und abwarten. Langsam, langsam aufrücken. Unter Schirmen, Kapuzen, Plastiktüten oder auch unter gar nichts, einfach nur dort stehend und nass werdend, etwa eine Stunde lang oder noch mehr, denn eine schnelle Fließbandabfertigung ist das nicht. Die Menschen werden nass, bis auf die Knochen werden sie nass, es wird ihnen auch kalt. Aber sie stehen da immer weiter, und jetzt setzen wir mal zu einer kühnen Deutung an, denn wir wissen ja, in der Kirche gibt es Suppe und Essen von den Tafeln, also trauen wir uns einmal, wie folgt zu schließen: Diese Menschen stehen dort, weil sie Hunger haben oder Hunger für die kommenden Stunden oder Tage erwarten. Das ist, Sie werden mir da wohl zustimmen, nicht allzu waghalsig spekuliert.

Und über dieses mittlerweile sattsam (haha) bekannte Bild von der Schlange vor der Essensausgabe kleben wir jetzt einen Satz, den der unsägliche Finanzminister gerade getwittert hat, und dann ist die Karte auch schon fertig, man kann sich das Zitat quasi als Banderole vorstellen:

„Aufgrund von finanziellen Sorgen wird in diesem Land in diesem Winter niemand hungern und niemand frieren.

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Sonntagmorgen

Draußen picken die Ringeltauben im ersten Licht des Tages die Holunderbeeren im großen Busch auf und machen lange, lange Hälse dabei, akrobatische Verrenkungen und unfreiwillige Slapstickeinlagen. Allzu geschickt sind sie nicht, aber doch sehr hungrig. Wie lange dieser Busch für die Vögel etwas hergibt, schon seit Wochen picken sie dort am Beerenbuffet, immer noch ist etwas zu finden.

Und mit welcher Ruhe am Morgen die Krähen, die Stadttauben, die Spatzen und die Eichhörnchen durch den Spielplatzsand patrouillieren und lautlos Krümel konsumieren, wie ungeheuer entspannt das aussieht, ohne diese lästigen, immer lärmenden Menschen mit ihren quirligen Jungen überall. Wie gut, dass die meisten Menschen so lange schlafen.

Eine müde wirkende Biene fliegt halbherzig die Staudenreste in den Blumentöpfen auf unserem Balkon an, schon ahnend, dass da eh nichts mehr zu holen sein wird, was sich auch so bestätigt. Sie hebt nach oben ins ungewisse Blaugrau ab, lässt die welken Stängel hinter sich und ist weg. Eine Meise landet auf dem Balkongeländer und sieht in aller Dezenz kurz dahin, wo im Winter immer die Meisenbälle hängen. Dann sieht sie zu mir, dann wieder zum leeren Drahtkörbchen für die Bälle: Just a friendly reminder. Ich nicke, ich mache Zusagen.

Die Eiche unten auf dem Platz hat jetzt auch einen Stich ins Gelbliche, wie die Birke ihn schon seit Tagen hat, es ist nicht mehr zu übersehen, es gilbt. Das Kirchendach, noch nassglänzend von der Nacht, ist an diesem Morgen grüner und frischer als die Bäume.

Oben die Möwen, Enten, Gänse, Kormorane. Die fliegen so, als sei das alles abgesprochen. Erst die eine Art mit zwei, drei Vertretern schräg durch den Himmel, dann eine kurze Pause, dann der nächste Trupp. Die einen von links, die anderen von rechts, wie choreographiert sich das zurecht. Diagonalen über den Himmel zum Kirchturm hin, einmal Richtung Elbe, einmal Richtung Alster, und ich stehe auf dem Balkon und sehe mir das so lange an, bis die Zeiger über die römischen Ziffern der Kirchturmuhr merklich vorgerückt sind, bis die ersten Reisenden durch den Morgendunst zum Bahnhof rollkoffern, bis die ersten vor Müdigkeit noch frierenden Menschen irgendwo zum Dienst eilen, vermutlich in einem der Hotels in der Nähe, bis die ersten Hunde lustlose Besitzerinnen um den Block zerren, bis die ersten Taxis in wie immer stark überhöhter Geschwindigkeit durch die Zone 30 brettern, bis in den Häusern gegenüber die Lichter angehen und die Menschen anfangen, diese Menschensachen zu machen, was weiß ich, bis sie bloggen oder Brötchen holen oder so.

Guten Morgen.

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Donnerstag, Freitag, Regen

Auf Tiktok halbiert einer der Köche dort bei einem indischen Gericht die Hähnchenbrust, mit Verweis auf die Preise: „Damit es länger reicht, das Fleisch ist doch jetzt so teuer.“ Gleich im nächsten Clip rührt jemand Hummus an und erklärt dabei, wieviel Geld man sparen kann, wenn man das künftig selber macht, er blendet auch die exakten Beträge ein, er hat alles nachgerechnet, centgenau. Die Foodszene als Trend- und Krisenanzeiger, und es ist vermutlich kein Zufall, dass mir der Algorithmus als nächstes zeigt, wie jemand von den Fünfzigern des letzten Jahrhunderts erzählt. Wie sie damals beim Essen Geld gespart haben und wie wenig es gab, wie vorhersehbar und eintönig der Speiseplan war, bevor der große Konsumzauber im nächsten Jahrzehnt für die Mehrheit losging. Wieviel sie damals noch selbstgemacht und auch angebaut haben, ein paar Jahre vor meiner Geburt. Ich habe den radikalen Wandel zur Supermarktmentalität dann in meiner Kindheit und Jugend erlebt. Aber das sind Geschichten, die sicher schon viele erzählt haben.

Im Radio, dem ich beim Kochen zuhöre, geht es um die Wirtschaft, eine Expertin spricht gerade über Vergütungen. Sie spricht von Zahlungen und wer wofür einen Bonus bekommt, der Plural klingt bei ihr so, wie die meisten Deutschen Pony aussprechen, nur eben mit B vorne, Bony. Die Frage ist, wer alles einen Bonus bekommt. Weder der Moderator noch die Expertin kommen aber auf „Das Leben ist kein Bonyhof“, das finde ich ein wenig schade.

Ich gehe am Donnerstagnachmittag einkaufen und werde im Regen nass. Um mich herum gehen und stehen andere Menschen, die ebenfalls nass werden, darunter viele, die das einfach so hinnehmen. Keine Schirme, keine Regenkleidung, kein Rennen, kein Flüchten, keine Taschen, die über die Köpfe gehalten werden – heute mal einfach nass werden. Bis auf die Haut. Manche halten die Gesichter in den Regen, als sei das ein Genuss. Tropfen auf Brillen. Ist okay. Ist mal was anderes.

Die Söhne kommen durchweicht aus der Schule und setzen sich an ihre Computer. Ich sage, sie sollen lieber mal die nassen Sachen ausziehen: „Ach ja, stimmt!“ Es sind ungewohnt gewordene Verhaltensweisen, wir haben Regen komplett verlernt.

Am nächsten Tag dann schon wieder überall das normale Regenverhalten, wie in den alten Zeiten, als es hier dauernd regnete, die Älteren erinnern sich. Ich höre im Vorbeigehen sogar etwas von „schlechtem Wetter“

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 7.9.2022

Ich habe einen Cameo-Auftritt bei Kid37, versteckt unter „viele Blogger“. Er verweist aber auch zurecht auf die denkwürdigste Boulevardschlagzeile des Hamburger Sommers. Angenehm bei dem beschriebenen Konzert war ferner, dass der geschätzte Künstler zwischendurch auf einen Tisch stieg und dort oben Gitarre spielte, Rock’n Roll wie in den wilden Zeiten, dann aber einen Moment überlegen musste, wie der Abstieg wohl möglichst rückenschonend zu bewältigen sei … Ich fühlte mich zugehörig.

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Die neuen Fundstücke aus den Literaturblogs.

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Eisvogelstreit. Wir haben in diesem Jahr keinen einzigen Eisvogel auf der Bille gesehen, aber es war immerhin entspannend, intensiv nach ihnen Ausschau zu halten.

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Auf dem Weg zum Leben ohne Auto. Wir werden das alles irgendwann auch überdenken müssen, aber wir schieben es noch erfolgreich vor uns her.

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Ein Absatz Zeitgeschichte bei der Kaltmamsell, über die Reisepläne nach England: Erst muss ich Brexit verdauen … Ich würde das Königreich noch bereisen, die USA allerdings auf keinen Fall.

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Dann frage ich mich: Wo ist die Pausetaste, um sich auszuruhen, auf meine Frau besser einzugehen, einmal seine Sachen zu machen, Kraft zu tanken und vor allem auf alles zu schauen. Das eigene Handeln zu überdenken und daraus besser zu werden. Wo ist die Pausetaste für unsere Welt?

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Je kälter die Füße, desto größer die Sehnsucht nach Tanz und Theater.

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Über das Entlastungspaket. Noch so ein furchtbares Wort, siehe auch die Hartarbeitendemitte.

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Ich habe für das Goethe-Institut wieder etwas über die Lage geschrieben: Es wird alles zu Strom. Apropos Strom, eben gerade sah ich beim Einkaufen, dass die Bäckereien hier morgen einen Licht-aus-Tag haben. Zur Mahnung, weil sie ohne Hilfen nicht durch die Krise kommen werden, so steht es auf einem Zettel im Schaufenster. Passanten lesen das und nicken, das können sie sich vermutlich vorstellen.

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Kleine Wesen kommen hastig gelaufen

Es zieht am frühen Morgen im Flur, in dem ich auf dem Sofa sitze und schreibe, aber es zieht warm, es fühlt sich an wie Wüstenwind aus dem Süden, der hier durch die Wohnung streicht und unter den Türen sogar ein wenig pfeift, in aller Dezenz. Wetterbericht: „Das war eine außergewöhnlich warme Nacht für September.“ Ab dem Nachmittag oder ab morgen soll es endlich Regen geben, richtigen Regen, ich glaube es erst, wenn ich nass bin, wenn alles nass ist. Der Garten aber, er ist nun hin für dieses Jahr, zu spät, du rettest die Beete nicht mehr. Die Herzdame hat gestern noch einmal gegossen, es fällt wohl schon unter Grabpflege.

Es ist weiter warmwindig da draußen, das führt heute zu einem interessanten Geräusch. Die Böen heben die trockenen Blätter vom Spielplatz, sie wirbeln sie hoch und weit, tänzelnd steigen sie vor den Häusern auf und manche landen in der Dachrinne unter dem Fenster neben meinem Schreibtisch. Dort wehen sie auf der schnurgeraden Metallpiste das ganze Haus entlang, es klingt, als kämen kleine Wesen hastig gelaufen, ein hell aufgeregtes Wispern und schnelles Schlurfen, trippelnde Schrittchen, es ist ein eilendes, jagendes Rennen von vielen, vielen zielstrebigen Boten des frühen Dürreherbstes, Hunderte davon, eine ganze Armee läuft da im Laufe des Vormittags unter dem Fenster entlang, springt am Ende wieder in die Tiefe und fliegt in verschnörkelten Schwüngen Richtung Alster, ins Offene, ins Weite. Es ist ein Andersen-Geräusch, dieses Trippeln, und man könnte etwas vorgreifend märchenhaft anmutende Herbstgeschichten dabei schreiben, wenn man nur nicht dauernd so hart arbeiten müsste, hier in der Mitte der Gesellschaft.

Am Nachmittag hält eine Frau auf einem Fahrrad an einer Ampel vor mir. Sie trägt ein lilafarbenes Sommerkleid, das der Wind aufbauscht, sie hält es mit einer Hand zusammen. Der Himmel wird in diesem Moment grau, es fallen sogar ein, zwei Tropfen, und es fühlt sich an, als würde es genau jetzt, in dieser Sekunde, um zwei, drei Grad abkühlen und während ich das noch denke, sehe ich diese Frau frösteln, sie streicht sich schnell über die nackten Arme und wenn sie morgen wieder da entlangfährt, sie wird vermutlich sicherheitshalber schon Herbstmode tragen. Kipppunkte.

Im Supermarkt steht einer vor dem Leergutautomaten, schiebt seine Flaschen hinein und weint dabei. Leise weint er, ganz unaufgeregte Trauer. Ab und zu wischt er die Tränen aus dem Gesicht, sieht sich nach den Umstehenden um und winkt ab, kein Trost bitte, keine Fragen. Ich frage also nichts, ich sage nichts, ich setze nur meine Kopfhörer auf und höre Bach.

Wenn man im späten Sommer rechtzeitig Bach hört, passt am Ende im Herbst alles besser zusammen. Bilde ich mir zumindest ein.

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Harte Arbeit an wuchtigen Maschinen

Als ich eingeschult wurde, irgendwann im letzten Jahrhundert, in grauer und analoger Vorzeit, bekamen alle Schüler eine gelbe Kappe, die ich, wenn ich mich richtig erinnere, peinlich fand und danach nicht wieder getragen habe. Ich hatte das dazugehörige Bild des Grauens einmal hier im Blog (Vorsicht, schlimm). Die Mädchen bekamen gelbe Kopftücher, die auch eher nicht getragen wurden, und die aus heutiger Sicht noch viel absurder klingen. In Japan, das wollte ich eigentlich nur sagen, bekommen einige SchülerInnen jetzt gelbe Sonnenschirmchen. Die Zeiten ändern sich.

Ich habe gestern erwähnt, dass eine Bäckerei hier die Öffnungszeiten gekürzt und eine andere die Preise signifikant angehoben hat, gestern habe ich gesehen, dass eine weitere im September komplett geschlossen bleibt. Ein Grund steht nicht auf dem Zettel im Schaufenster. Bei den Bäckereifilialen läuft was, ich werde weiter beobachten und berichten. Es gibt viele Bäckereien im kleinen Bahnhofsviertel, in jedem zweiten Haus in etwa ist eine, da habe ich etwas zu tun, wie es sich für die Hartarbeitendemitte, in einem Wort, wie das neuerdings wohl zu verwenden ist, gehört. Ein hassenswertes und empörendes Wort, finde ich, weil es impliziert, dass diejenigen unterhalb der Mitte weniger hart arbeiten, aber egal. Seit es trendet, klicke ich die Daten und Buchstaben in Word und Excel und Powerpoint jedenfalls beflissener und härter an, gewissermaßen mit Schmackes, das muss laut klicken, fast klackern, sonst zählt es nicht, sonst hat es keine Kraft gekostet und man ist abends nicht erschöpft. Härte muss sich aber bemerkbar machen, es ist sonst womöglich gar keine. Es muss alles Kraft kosten, was man macht, man muss schwitzen und stöhnen dabei, wir arbeiten hart, nicht smart. Auf einer mechanischen Schreibmaschine könnte ich das viel besser ausleben. Als ich etwa achtzehn Jahre alt war, da hatte ich eine uralte eiserne Schreibmaschine, die so monströs schwer war, da war man schon erschöpft, wenn man sie nur von einem Raum in einen anderen getragen hat. Solche Schreibgeräte braucht die Hartarbeitendemitte heute, nicht diese schnittigen Notebooks, die man mit einem Finger vom Tisch fegen kann.

Ich gehe abends um den Block, es ist immer noch warm, so seltsam warm. Aber vor den Restaurants und Cafés sitzen die ersten Menschen, die sich in die neuerdings wieder bereitliegenden Gastrowolldecken hüllen, als sei es schon tiefer Oktober. Es ist wohl die Sehnsucht nach dem Wechsel der Jahreszeiten, die sie in und unter diese Decken treibt, nicht die Außentemperatur.

Ich gehe durch den abendlichen Bahnhof, aber ich sehe nichts, das mir auffällt. Es ist voll und betriebsam dort, aber es passiert nichts, es ist nichts anders als sonst, es drängt nichts zur Beschreibung und auch der Kiosk, der immer so nah an den neuesten Trends ist, hat keine hippen Artikel auf dem Ständer vor der Tür, die auf eine Veränderung hindeuten. Es ist nichts anders als sonst. Die besten Geschichten beginnen am Bahnhof, so hat es Kurt Tucholsky einmal befunden, in seinem Schloss Gripsholm war das. Und vielleicht ist es auch die beste Geschichte, wenn überhaupt nichts passiert. Da mal drüber nachdenken.

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In den Montag

Vor dem Hauptbahnhof hat jemand am Morgen einen Blumenstrauß fallengelassen oder wütend hingeworfen, eine kleine Szene gab es da vielleicht oder nur ein Versehen. Die ÖPNV-nutzenden oder fernreisenden Menschenhorden gehen jetzt den ganzen Tag darüber hinweg und treten die bunten Blüten, es war wohl ein großer und teurer Strauß mit etlichen Sorten, mit jedem Schritt etwas mehr in das dreckige Pflaster. Das Farbige wird langsam und von vielen über Stunden flächig ins Grau eingearbeitet, es sieht ein wenig nach Kunst aus und man kann es auch schön und deep finden, wie das Frische, Farbige und Sommerliche da allmählich ins Farblose und Dunkle zerrieben wird. Es ist ein Frühherbstmoment, ein vae victis, dem Sommer 22 nachgerufen.

Im Wetterbericht steht derweil noch einmal etwas von mir viel zu warmen 25 Grad in der nächsten Woche. Die Wohnung kühlt spät ab in diesem Jahr. In meiner fensterlosen Abstell- und Schreibkammer, tief im Gebäudekern, ist der Hochsommer gut verwahrt, noch wochenlang wird das so sein, mit einem T-Shirt ist man in dem Raum schon overdressed.

Ich gehe am Sonntag Brötchen kaufen, es sind die teuersten Brötchen meines Lebens. Bei manchen Produkten merkt man die Preissteigerung eben schneller und genauer. Ich habe, obwohl ich jeden Tag einkaufe, auch nicht jeden Gemüsepreis auf den Cent parat, aber den Preis von Brötchen, den weiß man doch. Und muss ihn jetzt neu lernen – oder künftig selber backen. Ich ziehe das jedenfalls in Erwägung. Nebenbei bemerkt: Einer der Bäcker hier macht jetzt morgens auch eine Stunde später auf, da stand ich vor verschlossener Tür. Der Personalmangel, die Kosten oder beides, es wirkt sich langsam sichtbarer aus.

Die Söhne sind währenddessen älter geworden, einer vorgestern, einer heute. Sie sind jetzt beide Teenager, das ist also wieder das Ende von etwas. Ein Anfang ist es auch und der Aspekt ist selbstverständlich viel wichtiger.

Ein Sohn packt seine Geschenke aufreizend langsam aus. Er löst das Tesa mit Hingabe ab und legt das Papier sorgfältig gefaltet beiseite: „Das kann man noch einmal verwenden.“ Ich grüße an dieser Stelle im Geiste meine längst weggestorbene Großelterngeneration und gedenke einiger ihrer Eigenschaften, die sie wohl unter Umgehung meines Jahrgangs erfolgreich an die Enkel vererbt hat. Es kommt eben alles wieder, wie in der Mode.

Wir fahren mit Söhnen und Gästen in ein Schwimmbad. In der Bahn wird noch das 9-Euro-Ticket beworben. Plakate aus der Vergangenheit hängen da.

Im Schwimmbad habe ich nichts zu tun, die Kinder sind groß, die machen alles alleine. Ich bin nur noch für den Eintritt zuständig, für die Pommes und fürs abschließende Durchzählen. Ich sehe längere Zeit einem Schwimmlehrer zu, der kleine Kinder unterrichtet, und mit welcher Hingabe er das macht. Ich bin nach einer Weile ganz begeistert, weil er seine Truppe von vielleicht 15 Kindern wirklich liebevoll betreut, er schafft es immer wieder, auf einzelne Ängste und Weigerungen einzugehen, und wie gut er das macht. Er findet bei jedem Kind den richtigen Tonfall. Sein Deutsch ist etwas gebrochen, aber er redet ohne Unterlass und befolgt dabei das von mir schon oft zitierte Prinzip meines ehemaligen Chefs: So lange reden, bis das Richtige dabei ist.

Er redet die Kinder ins Wasser und unter Wasser und wieder hinaus, er redet sie vom Startblock hinab und einige sogar vom Einer, er redet auch das Mädchen, das zuerst weint, und das hinterher sehr stolz ist, vom Beckenrand ins Wasser hinein. Er erklärt das Schwimmen und das Tauchen, er kommt selbst ins Becken und macht vor, er springt wunschgemäß mit einem Kind an der Hand und der Kleine strahlt. Er ist, das nehme ich mit, felsenfest überzeugt, dass die Kinder gleich alle können werden, was er ihnen beibringen möchte. Ich bin nach einer Weile sicher, dass das einen großen Teil des Erfolgs erklärt, er ist sich einfach durch und durch sicher, dass sie es alle gleich können werden und er strahlt das aus. Und wie glaubhaft er das ausstrahlt.

Ich erinnere mich an Lehrerinnen und Lehrer in meinen Schulen, die damals mit diesem verdrossenen Gesichtsausdruck „Sie werden es heute eh wieder nicht kapieren“ bei uns hereinkamen, ich erinnere mich viel zu gut. Immer wieder der Gedanke, meine Güte, was war das alles schlecht und schlimm damals, und wie hat sich das verändert. Ich bin beim Schwimmunterricht noch einfach reingeworfen worden, das fand niemand seltsam. Die Zeiten, sie waren so.

Der Schwimmlehrer von heute aber steht am Beckenrand und ruft: „Du kannst das, ich weiß doch, dass du das kannst, schwimmst du los!“ Und dann springen die Kinder ins Wasser und schwimmen. Ich hätte ab und zu gerne jemanden, der so am Wochenrand steht. Der mir das von da aus zuruft und der ganz sicher ist, dass ich auch die kommenden Tage schaffen werde, weil er doch weiß, ganz genau weiß, dass ich es können werde: „Schwimmst du los!“ Und dann tief einatmen und in den Montag springen.

Die Söhne und ihre Freunde schwimmen währenddessen irgendwo dahinten und wissen ganz gut, was sie können. Zumindest sieht es so aus.

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Ich lese Selja Ahava, Dinge, die vom Himmel fallen, und ich mag es. Deutsch, wie bei gefühlt allen neueren finnischen Büchern, von Stefan Moster. Es ist eine Geschichte über Unwahrscheinlichkeiten, in gewisser Weise passt sie in die Zeit, aber nur höchst indirekt. „Schmerzvoll und tröstlich“, so heißt es in einer Rezension, und das trifft es.

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Auf Twitter nehme ich das Wort „Normalitätssimulation“ zur Kenntnis, es kommt aus diesem Thread und es wird mir sicher im Gedächtnis bleiben.

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Herrlich sinnlos

Eine Woche geprägt von Müdigkeit, und nicht nur von der eigenen. Auch die Müdigkeit der am frühen Morgen nachtbleich durch die Wohnung taumelnden Familie, der Menschen am Telefon, der Nachbarn auf der Straße, aller Menschen um mich herum. Wen ich auch anspreche: „Ich bin so müde.“ Ist es das Wetter, ist es die Jahreszeit, ist es alles. Egal. Sich in den September fallen lassen.

In der U-Bahn, mit der ich zur Feier der letzten 9-Euro-Ticket-Tage noch einmal herrlich sinnlos fahre, sitzt mir eine junge Frau gegenüber, die Murakami liest und beeindruckend hartnäckig gegen das Einschlafen kämpft. Womit ich nichts gegen Murakami gesagt haben möchte, den habe ich noch nie gelesen. Der Kopf der jungen Frau sinkt nach vorne, die Augen klappen zu, sie reißt den Kopf wieder hoch und die Augen weit auf, nicht schlafen jetzt, hier wird gelesen, und sie starrt angestrengt ins Buch, die Augenlider auf halbmast. Sie gibt sich redlich Mühe, aber es ist so schwer, so furchtbar schwer. So schwer wie der Kopf, der schon wieder sinkt, ganz langsam sinkt, auf eine Art, bei der man selbst auch müde wird, wenn man ihr nur einen Moment zusieht.

An einer Haltestange hinter ihr hängt eine Fliege. Nicht das Insekt, das Männermodenaccessoire, das heute eher selten im Gebrauch ist. Irgendwo habe ich auch noch so eine, warum und woher eigentlich. Diese Fliege in der U-Bahn, Seide, schwarz, neuwertig, hat jemand da oben an die Stange gebunden. Sie baumelt, wenn die Bahn anfährt, träge ein wenig hin und her und man wird nicht erfahren, wer sie sich wann und warum vom Hals gerissen und dort oben vertäut hat. Die junge Frau da vorne liest mühsam wachbleibend Geschichten, hinter ihr hängt ein Teil einer anderen Geschichte, man bekommt es nicht zusammen. Es sind nur Absätze aus einem Großstadtroman, keine Kapitel.

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Der erste Elternabend der neuen Saison. Ich sitze eine Stunde im Klassenzimmer neben einem dieser tollen Luftfilter, über deren Anschaffung im letzten Jahr so unendlich viel debattiert worden ist. So ein Luftfilter, der aktuell allerdings nicht eingeschaltet werden darf, laut behördlicher Anweisung, um die Filter zu schonen.  Man muss da keine Pointe hinterher basteln, nehme ich an, das wird so reichen.

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An einem Imbissstand gibt es vegane Currywurst, und es gibt auch Pommes. Mit Ketchup und Mayo, wie überall. Die Mayo aber, sie ist als einzige Zutat nicht vegan, wie es das Personal bei jeder Bestellung korrekt betont. Während ich auf meine Pommes warte, höre ich die Reaktionen auf diese Aussage. Die einen, manche sind die Begleitpersonen von Menschen mit fleischloser Ernährung, sagen so etwas wie: „Na, Gott sei Dank!“ oder auch: „Umso besser!“ oder „Wenigstens etwas!“, und sie sagen es mit einem seltsamen Höhö-Tonfall, allzeit zur Gehässigkeit bereit. Die anderen sagen so etwas wie: „Dann will ich die aber nicht!“ oder „Warum das denn nicht!“ oder „Ach Fuck!“, und sie sagen es mit eigentlich unnötiger Schärfe.

Es ist immer genug Energie da, um sich über die richtige Ernährungsform vehement zu ereifern, aber das ist wohl keine Energie, die wir irgendwie nutzbar machen können. Schade eigentlich.

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In den letzten Wochen fragte ein Sohn irgendwann, als wir Nachrichten gehört hatten und die Lage gerade wieder besonders wüst war, wie sie es im Moment allerdings fast täglich ist, ein Desaster nach dem anderen, Katastrophe auf Katastrophe, fragte ein Sohn also: „Ist das jetzt nicht wie in diesem Film da, „Don’t look up“?

Und obwohl ich sonst der Ansicht bin, dass jede Pointe unbedingt mitzunehmen ist, in nahezu jeder Lebenslage, habe ich nicht geantwortet: „Wir haben doch alles.“

Ab und zu auch mal zusammenreißen. Wie so ein ernsthafter Mensch.

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