Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 10.8.2022

Neue Fundstücke aus den Literaturblogs

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Die neue Monatsnotiz von Nicola, wir können den Juli also getrost abhaken. Wenn wir die Fundstücke und die Monatsnotiz haben, dann drehen wir das Rad einen Zahn weiter und checken nur noch kurz die Saisonalität beim Bäcker im real life: Blaubeertaler gibt es da gerade, aber sie sehen nicht sehr anziehend aus.

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Das Tanzvideo, das die Kaltmamsell hier am Ende eingebunden hat, es ist sensationell rührend und schön.

Es ist lange her, dass ich getanzt habe. Neulich habe ich einen Song gehört, zu dem Lindy-Hop gut gepasst hätte, da hatte ich doch kurz und jäh Sehnsucht. Kurz und jäh Sehnsucht danach, nacheinander mit mehreren Partnerinnen zu tanzen, wie man es bei Social Dance routinemäßig macht, Sehnsucht danach, das interessant und vielleicht auch aufregend zu finden, belebend und schön, eine halbe Stunde Musikrausch, und auch große, große Sehnsucht danach, zum Schluss wieder mit der Herzdame zu tanzen, dermaßen dankbar dafür, die Richtige schon zu haben, und tanzen kann sie auch noch, wie toll ist das denn.

Aber ich, ich kann mittlerweile ja nix mehr. Manchmal finde ich es schade und denke, ich möchte doch wieder etwas können, Lindy-Hop oder etwas anderes. Wobei … Lindy-Hop war schon passend. Hier, zu diesem Song etwa, der war das, den ich da zufällig wieder gehört habe:

„Up in the mornin‘
Out on the job
Work like the devil for my pay
But that lucky old sun got nothin‘ to do
But roll around heaven all day.”

Auch hier wieder: So sieht man die Sonne heute gar nicht mehr, die sich doch bestellter Weise immer mehr redliche Mühe gibt, uns leistungsstark zu verglühen, von wegen got nothing to do. Unsere Symbole sind mittlerweile unter erheblichem Anpassungsdruck.

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Alte Männer vermissen ihre alte Welt

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In der Kunst sein

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… ich verüble nicht, ich beobachte.“ Schreiben ohne Wut, ich sage es ja. Es sollte ein Trend werden, ein ganz heißer.

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Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

Gut fürs Herz

An den etwas kühleren, an den weniger heißen Tagen die gewohnten Sommergeräusche vom Spielplatz unten, das Jauchzen, das Weinen, das gerufene Ermahnen der Eltern, das Lachen, das gemeinsame Singen auch, was kommt denn da, was kommt denn da, ein Krokodil aus Afrika. An den wieder heißeren Tagen die bleierne Stille des Mittags, wenn sich niemand dort in die Hitze setzt oder stellt, wenn nicht einmal versuchsweise angefasst wird, wie heiß wohl die Rutsche heute geworden ist. Das allgemeine Drinnenbleiben, das Warten im Schatten, der spanische Tagesablauf, die Siesta. Mehr und mehr Deutsche wünschen sich Mittagsschlaf, so steht es in den Nachrichten, ich lese es nach einem Nickerchen.

Die Tauben, die im Kreis durch die staubige Sandkiste stolzieren und pikiert gucken, gibt es hier heute überhaupt keine Krümel oder was. Genervtes Gurren.

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In der Schaufensterscheibe eines Friseurs hängt ein neuer Hinweis, dort nehmen sie jetzt nur noch Karten, kein Bargeld mehr. Ich glaube, es ist der erste Hinweis dieser Art, den ich im kleinen Bahnhofsviertel wahrnehme, es wird sicher nicht der letzte sein. Wenn ich ohne Datenspur meine Frisur verändern möchte, wird die Herzdame wieder zuständig werden, wie damals, vor den Söhnen irgendwann. In den schwulen Sexshops ringsum kann man noch bar bezahlen, jedenfalls hängen dort keine solchen Zettel in den Fenstern. Ich erwähne das nur, weil das Thema eben Abgründe hat, wie alle Themen.

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In den Timelines stöhnen die Eltern, es ist ein mehrstimmiges Fluchen und Knurren, weil die Schule in Kürze wieder losgeht. Da die Kinder in den Timelines nicht mitstöhnen, wirkt es so, als sei der Schulanfang hauptsächlich ein Elternproblem.

Vielleicht ist es auch so. Vielleicht habe ich noch nie wahrgenommen, dass so viele Eltern in meinem Umfeld, virtuell und auch vor Ort, sich so murrend über die Kürze der Ferien beschweren und so stöhnend auf das nächste Halbjahr blicken. Vielleicht ist es noch eine Pandemiefolge. Vielleicht ist das alles auch gar nicht mehr reparabel.

Irgendwann sind die Kinder mit der Schule durch.

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Wir machen einen Ausflug nach Blankenese, wir gehen auf und ab durchs Treppenviertel. Der uns begleitende Sohn kannte das dort noch nicht, er findet es „next-level-schön“, und das ist es ja auch. Er kommt auf naheliegende Fragen, nämlich warum einige Menschen so schön wohnen und andere nicht, er kommt auch auf die Frage, die ich neulich in einer Kolumne ebenfalls hatte, nämlich warum der Mensch an sich, warum wir also es uns nicht überall so schön machen. Wir könnten das doch. Auch ohne Treppen und Elbblick.

Wir gehen Treppen hoch, wie gehen Treppen runter, wir gucken in Gärten und auf alte Häuser. Es ist warm, es ist schön, aber es ist mörderisch anstrengend, es ist Sport. Auf einem Treppenabsatz sitzt ein alter Mann auf einer Bank, er besieht sich die aufsteigenden Gäste und lacht. „Ist gut fürs Herz!“ ruft er immer wieder, wenn jemand vor ihm keuchend stehenbleibt und kurz nach dem Geländer tastet, „Ist gut fürs Herz! Ja, ja!“

Und er lacht und er ruft, und er sitzt da und hat Spaß.

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Mit Temperaturen per Du

Mir fällt auf, dass viele Leute um mich herum mit allen möglichen Temperaturen per Du sind, dass sie also genau wissen, wie sie sich etwa bei 17 oder bei 22 Grad fühlen, was da geht und was da nicht geht und wie das ist. Vielleicht habe nur ich wieder nicht aufgepasst, es ist ohnehin das prägende Gefühl meines Lebens, wie ich nach ein paar Jahrzehnten mit Fug und Recht feststellen kann, aber ich bin aus dem Stand nicht so temperaturfirm und weiß gar nicht gradgenau, welche Innenraumtemperatur die beste für mich ist, die angenehmste, die gerade eben noch erträgliche Variante – keine Ahnung. Ich müsste raten oder experimentieren. In Spanien wurde beschlossen, so lese ich, die Büros im Winter nicht mehr über 19 Grad zu heizen und im Sommer nicht unter 27 Grad zu kühlen. Ich weiß nicht auswendig, wie ich 19 Grad im Innenraum finde, ob mir da kalt ist. Wieso wissen das alle, haben die immer ein Thermometer dabei und checken das dauernd?

Wenn ich draußen kein Sakko mehr tragen kann, ist es zu heiß, das ist einfach, aber bei wieviel Grad ist das eigentlich? Sakkos sind sehr praktisch und ersetzen die Handtasche, ich möchte bitte immer Sakkos tragen können, auch in Innenräumen.

Bei einstelligen Temperaturen ist es mir morgens in der Laube zu kalt. Aber ist im Umkehrschluss genau ab 10 Grad alles okay? Keine Ahnung.

Im Moment sind hier am Schreibtisch, das ist simpel und jede Versuchsreihe beginnt eben irgendwo, 28 Grad. Das ist mir tendenziell zu viel. Draußen sind dagegen gerade graue 16 Grad, das kommt mir wunderschön vor, draußen kann man atmen. Da wird es einen gewissen Innenraumtemperaturbias geben. Sind 16 Grad in anderen Monaten auch schön? Okay, ich taste mich da jetzt ran. Aber die Freunde der Realität sind wieder weiter als ich, es ist immer das Gleiche.

Egal. Jetzt Thermounterwäsche bestellen, immer antizyklisch denken.

Beim Hamburger CSD, der vor unserer Haustür startet, sind etwa 250.000 Menschen, melden die Medien. Die Gäste sind durchweg bestens gelaunt und die Parade ist größer als je zuvor, eine wogende, tanzende Menge. Wie immer sind etliche TeilnehmerInnen extravagant kostümiert, und da nur noch einige pandemiebedingt FFP2-maskiert sind, wirkt es bei diesen Wenigen so, als sei die uns so vertraut gewordene Maske plötzlich Zubehör eines besonders abgefahrenen Kostüms.

Man kann davon einfach so erzählen, ohne sich zu empören, ohne nach einem Satz in Wut zu geraten, ohne zu giften und zu geifern. Ich kann es vollständig Ihnen oder Euch überlassen, wie das gefunden wird, wie da das moralische Urteil ausfällt, ob die also alle ohne Maske durften, ob das vollkommen falsch war oder doch irgendwie verständlich und menschlich, ob unsagbar dumm oder eher nur gewöhnlich, es ist mir im Grunde auch egal. Ich schreibe das nur auf und habe das seltsame Gefühl, dass dies allmählich zu einer seltenen Kunst wird: Schreiben ohne Wut. Es ist recht entspannend, finde ich.

Aus medizinischer Sicht, um eine weitere neutrale Überlegung anzuschließen, könnte man es allerdings spannend finden, ob es nach mehreren Paradenstunden unter blauem Himmel mehr Infektionen oder mehr Sonnenbrände gab.

Eine ältere Touristin spricht mich vor dem Hauptbahnhof an, sie wirkt etwas verzweifelt und hektisch, sie ist gerade angekommen und will runter zur Alster. Wie sie da denn bloß hinkommen könne? Ich zeige ihr die Richtung. „Aber!“, sagt sie und zeigt jetzt auch, und zwar auf die CSD-Parade, die dummerweise in ganzer Länge zwischen ihr und der Alster liegt. „Da kann man doch nicht durch!“ Sie sagt es sehr laut, denn die Musik brüllt.

„Doch“, sage ich, „ich bin da auch gerade durch. Mehrfach. Einfach durchgehen. Wie durch andere Menschenmengen auch.“ „Meinen Sie?“, fragt sie und guckt zweifelnd und überlegt vermutlich noch einmal, wie lang ein Umweg sein müsste, um an dieser unfassbar riesigen Veranstaltung vorbeizukommen. Der müsste allerdings verdammt lang sein, es kann keinen anderen Schluss geben, die Schlange der Parade dehnt sich links und rechts von uns endlos aus.

Dann fasst sie Mut und ihren Rollkoffer und zieht los, mitten in die tanzende, johlende Menge hinein. „I wanna be daylight in your eyes“, singen die gerade, “I wanna be sunlight only warmer.”

Auch so eine Textzeile, die man heute nicht mehr schreiben würde. Es klingt mittlerweile wie eine Bedrohung, sunlight only warmer. 21 Jahre ist der Song alt.

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Wo die Bonbons fliegen

Im Garten liegt Laub auf der Terrasse und auf dem Rasen, knochentrockenes, mürbes Laub, sommergedörrt. Kartoffelchipsgeräusche beim Drauftreten, das ist die Dürre, das ist die Hitze. Es ist so viel Laub, und es fällt so schnell, dass es ein falsches Bild ergibt, so hat ein Garten, so hat Natur Anfang August nicht auszusehen. Dies ist doch keine Zeit, um Laub zu harken. Restinstinkte, die uns warnen, wenn in der Natur etwas von der Norm und der Erfahrung abweicht. Man steht und denkt, nein, fühlt eher: Hier stimmt etwas aber gewaltig nicht.

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Im kleinen Bahnhofsviertel sind mehr und mehr Regenbögen zu sehen, allerdings nicht in der Natur, sondern in Schaufenstern und auf Aufklebern, Fahnen und Wimpeln, am Wochenende ist hier der CSD. Man bereitet sich vor, es ist ein Groß-Event. Ein Kind fragt seine Mutter an der Ampel: „Ist der CSD das, wo die Bonbons fliegen?“ Die Mutter nickt und lacht. Bei der großen Parade werden Bonbons von den Wagen geworfen wie in Köln beim Karneval, für die Kinder im Stadtteil ist das ein Highlight. Das war bei den Söhnen damals auch so und kann als Symbolsatz für das Aufwachsen in einem eher liberalen Stadtteil verstanden werden: Der CSD ist das, wo die Bonbons fliegen. Es war für die Vorkämpferinnen ein weiter Weg bis dahin. Aber das wissen die Kinder nicht.

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Ich fahre wegen der hitzewellenbedingten Glühzustände im Dachgeschoss-Home-Office trotz der Pandemie doch einmal ins nennenswert kühlere Büro, dabei nutze ich das kriegsbedingte 9-Euro-Ticket. So finden die Krisen im Alltag zusammen, es passt alles in einen Satz.

Ich kaufe beim Bäcker an der S-Bahnstation ein Franzbrötchen, es kostet 1,70. Ich erinnere mich noch an 1,10. Es ist nicht allzu lange her, es war im Grunde doch neulich erst. War es kurz vor der Pandemie? Aber wer weiß schon noch, wie es da genau war.

Später noch einmal in den Garten. Leere Fußwege. Die Menschen drücken sich im Schatten herum, rote Gesichter, sichtbare Kurzatmigkeit, langsame Bewegungen. Vor einem Imbiss stellt jemand einem kleinen Hund einen Teller Wasser hin, der trinkt nicht, der legt sich rein.

Ich halte die Füße in die Bille, sie ist mediterran warm. Ein Gewitter zieht heran. Wind kommt auf, das Sonnensegel vor der Laube bläht sich wie ein Spinnaker, die Backbord-Tomaten schaukeln an den Stauden, darüber Blitze und fernes Donnergrollen. Es regnet kurz, gerade nur bis zu dem Moment, in dem man denkt, okay, heute müssen wir nicht gießen. Und keine Sekunde länger.

Zurück in die Wohnung, die nicht abgekühlt ist, das dauert. Tropennächte bei Buddenbohms und die innere Herbstreife.

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Was der Fall ist

Der phänologische Kalender: Beim Bäcker gibt es jetzt Pflaumenschnecken und die Herzdame bringt vom Obst- und Gemüsehändler die ersten Pflaumen mit, die zwar groß und prächtig, allerdings noch kieselhart sind. Auf einigen Wegen im Stadtteil liegen die von Bäumen gefallenen Mirabellen, leuchtend gelb in der Nachmittagssonne, schnell zertreten und wespenumschwirrt.

In unserem Garten haben wir keine Pflaumen, der zuständige Baum war im Frühling von irgendwas Krabbelndem befallen worden und konnte danach nichts mehr produzieren.

Irgendein Befall. Das erinnert mich daran, dass die Söhne immer „Entfall“ sagen, wenn in der Schule etwas nicht stattfindet, das irritiert mich manchmal. Sie kommen früher nach Hause, murmeln nur dieses eine erklärende Wort, „Entfall“, und verschwinden dann in ihren Zimmern. Das Wort wurde in meiner Schulzeit nicht verwendet, wenn ich mich richtig erinnere. Es gibt heute Entfall, wenn das Lehrpersonal etwa Virenbefall hat, das ist dann ein aus Schülersicht oft willkommener Zufall und natürlich auch ein Ausfall. Wenn die Söhne dann aber freudig durch den Schulflur hüpfen und zu ungewohnter ´Stunde nach Hause eilen, sind sie damit kein Auffall, das Wort gibt es gar nicht.

Guck mal, ein Auffall! Das Wort sollte es vielleicht geben? Ein Wasserfall etwa ist ein Auffall in der Flusslandschaft. Pardon, ich schweife ab.

In den Foodblogs jedenfalls die saisonalen Gazpacho-Rezepte, etliche Varianten von kalten Suppen, immer mit dem Zusatz „für heiße Tage“, das ist so Pflicht.

Was noch? Die Stadt ist voll, zumindest in den als attraktiv geltenden Stadtteilen. Alle ringsum haben Ferien und kommen her, in die große Stadt, während die Einheimischen zu einem erheblichen Teil weg sind, in den kleinen Dörfern. Es ist eine Art Ringtausch. Dem Straßenbild nach sind jetzt allerdings mehr Personen als vorher in der Stadt, es ist überall voll, auch in den Läden in der Innenstadt, und im Hauptbahnhof gehe ich durch ein Gedränge wie in einem Ameisenhaufen. Ameisen mit Koffern und Rucksäcken und Stadtplan-Apps auf dem Handy.

Ein Mann mit Alkoholproblem taumelt über die Einkaufsstraße im kleinen Bahnhofsviertel, er rempelt sich unabsichtlich von Grüppchen zu Grüppchen, überall stehen Menschen in seinem kurvenreichen Weg, er sagt entschuldigend: „Das geht nicht gut zusammen, so betrunken und dann Touristen überall, das geht einfach nicht zusammen.“ Und er macht scheuchende Gesten mit den Händen, um die drei Männer aus dem Weg zu wedeln, die gerade in ganzer Gehwegbreite vor dem Geburtshaus von Hans Albers stehen und angemessen andächtig an der Fassade hochsehen.

Ein alter Flaschensammler beugt sich über einen Mülleimer und angelt mit langem Arm nach den Pfandflaschen darin, die er in eine Plastiktüte stopft. Die ist bedruckt mit der Werbung eines Finanzmagazins, er trägt die leeren Flaschen in einer Tüte, auf der groß „Entscheidungsträger“ steht.

Ich kaufe Blumen für die Herzdame. Die Frau im Blumenladen ist allein, alle anderen sind krank, sie ist ziemlich aufgelöst. Eine Person reicht hier nicht und sie murmelt fortwährend, während sie hektisch herumläuft: „Das geht doch so nicht, das geht doch so nicht.“ Es geht dann aber doch irgendwie.

Die Herzdame hat einen Arzttermin, der findet nicht statt, in der Praxis sind alle krank. Im Discounter wird nach einer weiteren Kasse gefragt. Eine weitere Kasse kann es heute aber nicht geben, und man ahnt den Grund.

Gesund sind sie alle nicht, gesund ist das alles nicht.

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Ich habe es verstanden

Ich fräse und lese mich weiterhin quer durch das Gesamtwerk von Jane Gardam. Es macht durchgehend Spaß, es wurde auch durchgehend hervorragend übersetzt von Isa. Im Moment bin ich bei „Die Leute von Privilege Hill“, das sind Erzählungen. Ich kann das alles empfehlen.

Wobei die Zeit der stundenlangen Lektüre in Kürze dummerweise endet, mit dem Urlaub nämlich, der, ich muss mich dem Ernst der Lage in wenigen Augenblicken stellen, heute Abend ausläuft, sobald die Koffer nach dem Nordostwestfalentrip wieder ausgepackt sind. Die goldene Hochzeit dort wurde erfolgreich gefeiert, das Urlaubsprogramm kann komplett als absolviert bezeichnet werden, vom Punkt „grundlegende Erholung“ einmal abgesehen. Für den müssten wir jetzt noch 14 Tage dranhängen, gerne auch ohne Kinder. Nichts gegen Kinder, versteht sich, aber das Kümmern, das Pflegen, das Bedenken. Es kostet eben auch alles Kraft und Nerven.

Die Söhne werden weiterhin und sogar noch wochenlang Ferien haben, wir Eltern nicht und ja, Neid ist manchmal auch für uns ein Thema. Ich habe mir gerade erste To-Dos für die nächste Woche aufgeschrieben, und zwar solche, die nicht einmal beruflicher Natur sind. Das Thema Berufe kommt dann auch noch dazu, sobald mir wieder einfällt, was ich beruflich eigentlich mache. Es war irgendwas mit Home-Office, soweit erinnere ich mich.

Aber daneben eben auch: Viel, allzu viel zu regelnder Alltag. Behörden, Schulen und Gott weiß welche Einrichtungen noch, die irgendwas von uns, von mir wollen. Es ist eine der lästigsten Begleiterscheinungen des Erwachsenseins, dass man fortwährend irgendwas für sich und andere regeln muss, auch abseits der Arbeit. Ich habe grundsätzlich eher keine Lust mehr, irgendwas zu regeln. Ich möchte in meiner Freizeit nur noch lesen und schreiben und ich finde, die Gesellschaft sollte das aushalten. Ich halte die Gesellschaft immerhin auch dauernd aus, und wie schwer ist das denn.

Die Rückfahrt aus Nordostwestfalen dauerte unanständig lange, wir waren im Stau, wir waren der Stau, wir waren auch neben, vor und hinter dem Stau, was wir eher nicht waren, das war in Bewegung. Ich fuhr vier Stunden, das ist fast rekordmäßig lang. Direkt danach gelüstete es der Herzdame nach Schokoladeneis, und ich bin in einem Anfall leicht irrsinniger Ritterlichkeit zum auch am Sonntag geöffneten Supermarkt im Hauptbahnhof gegangen, um ihr solches sofort zu besorgen. Im Supermarkt war selbstverständlich ganz Hamburg und dazu gab es auch noch ein paar Touristen, die Schlange vor der Kasse war lang wie ein Autobahnstau. Ich stand da dezent stöhnend, mir tat alles weh, mir war heiß, ich wollte da raus. Ich dachte, nach vier Stunden Autobahn gerade erst angekommen und dann noch so eine Schlange …

Der Mann vor mir suchte das Gespräch. Er erzählte, er sei gerade erst im Hafen angekommen, nach 800 Kilometern Kajakfahrt, und dann noch so eine Schlange …

Ja, okay. Andere machen noch längere Reisen und sind selbstverständlich auch noch viel kaputter, ich habe es verstanden. Kein Tag ohne Demütigung, da war sie wieder, die alte Regel.

Egal. Weitermachen.

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Im Kreis durch Mais

Wir fahren nach Nordostwestfalen, im Heimatdorf der Herzdame wird die Goldene Hochzeit ihrer Eltern gefeiert. Allerdings zieht sich die Fahrt. Erst ist die Autobahn unfassbar voll, dann auch noch die Landstraßen. Es sind sämtliche Trecker, Mähdrescher und auch alle sonstigen landwirtschaftlichen Nutzmaschinen Niedersachsens irgendwo da draußen, also vor mir, neben mir und hinter mir, wir werden außerdem umgeleitet. In der Umleitung gibt es eine weitere Umleitung und dann sogar noch eine, es ist ein wenig kompliziert. Ich frage die Herzdame nach etlichen Kilometern durch uns vollkommen unbekannte Dörfer, welchem Schild wir eigentlich nachfahren, sie sagt: „Keine Ahnung.“ Ich frage, was das Navi sagt. Die Herzdame benutzt allerdings aus kaum nachvollziehbaren Gründen immer zwei Navi-Apps, eine sagt links, eine sagt rechts. „Welchem soll ich glauben“, frage ich. „Darüber müsste ich länger nachdenken“, sagt die Herzdame. Schilder sausen vorbei, es steht irgendwas mit U darauf.

Dann meinen beide Navi-Apps doch einmal gleichzeitig, rechts wäre gut. Und nach der Abfahrt rechts soll ich dann wieder eine Abfahrt rechts nehmen, schließlich noch eine. Wir fahren im Kreis durch Mais, und es gibt viel Mais in Niedersachsen.

Mais, Mais, Mais, ein Fachwerkhaus,

Mais, Mais, Mais, ein Raiffeisendings.

Mais, Mais, Mais, wir finden nicht raus,

Mais, Mais, Mais, warum nicht mal links.

Wir fahren durch aufwallende Wolken goldenen Staubs. Gelb sind schon die Felder, der Weizen ist weg, oder was das war. Alles wird zu früh geerntet, hören wir später, die Trockenheit. In der Windstille die Nachmittagssonne auf Stoppeln.

Ein Erdbeerhof hat unter das große Erdbeerwerbeschild noch ein weiteres Brett gehängt, auf dem steht Heidelbeeren. Auch das ist ein Jahresfortschrittsbalken.

Manchmal auch Spargelfelder links und rechts der Landstraße, lustig buschig stehen die Pflanzen jetzt da und erholen sich von unserem endlosen Appetit.

Eine irgendwo im Nichts stehende Windmühle, schön wie im Bilderbuch.

Wir kommen über eine eher unwahrscheinliche Einfallschneise im Heimatdorf an, ich fahre über kleinste Straßen auf das Haus ihrer Eltern zu. Ich komme in einem Winkel an, den ich nie so gefahren bin. Überraschungen immer für möglich halten, auch auf den altvertrauten Wegen.

Um das Haus herum liegen ebenfalls goldgelbe Felder, und die Nachbarn kommen und bringen goldene Luftballons am Haus an, die 50 auf jedem. Dann erzählen wir uns, wer schon wie lange und was, und dass der Große bei uns auch schon fünfzehn wird, wie kann es eigentlich sein. Die Herzdame und ich sind bald achtzehn Jahre verheiratet, das ist natürlich nichts neben der goldenen 50, aber es klingt auch schon irgendwie … seltsam erwachsen.

Beim letzten Besuch stand hier noch so ein Spielturm im Garten, ein Kinderklettergerüst, das einmal ein ganz großes Ereignis war, als der Opa es damals neu gebaut hatte. Das ist jetzt weg, es war längst alt und morsch.

Wir weisen die Söhne darauf hin, dass es nicht mehr da ist. Sie hätten es nicht bemerkt.

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 28.7.2022

Einige unkommentierte Links heute, ich habe gerade gemerkt, dass ich nächste Woche keinen Urlaub mehr habe und befinde mich noch im Schockzustand, da ist man ja nicht so kreativ.

Christian über Stammkneipen und Kunst.

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Frau Novemberregen über Selbstverteidigung.

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Wir zittern vor dem Wetter, wie man vor einem Orakelspruch zittert.

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Fahrradfahren in den Niederlanden unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt vom Fahrradfahren in Deutschland: Man bangt nicht um sein Leben.

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Eine Dankespostkarte

Rückseite

Ich habe zu danken, zum einen für die Zusendung von „Schwärmer und Schnaken“ von Harry Martinson, Deutsch von Klaus-Jürgen Liedtke. Reflexionen über die Natur, das passt gerade.

Zum anderen war es wieder so weit, dass wir die gesparten Trinkgelder in Urlaub umgesetzt haben, und damit dann auch wieder in Text. Von den zwei Wochen, die wir auf Eiderstedt waren, haben Sie freundlicherweise mehr als die Hälfte finanziert, dafür kann ich gar nicht genug danken. Es gab noch eine Summe mit dem Betreff „Zweisamkeit“, die haben wir auch dafür verwendet, denn mehr Zeit ohne Kinder als auf dem Hof (keine bezahlte Werbung) haben wir kaum jemals, die Kinder sind dort mit anderen Kindern beschäftigt. Ganz herzlichen Dank!

Vorderseite

Ich folge dem Vorsatz, über die Motive der Karten weniger nachzudenken, sondern das zu nehmen, was gerade da ist. In diesem Fall also ein Julibild aus dem Garten. Wir brauchen als Setting einen Schrebergarten, den sie sich bitte nicht zu ordentlich vorstellen dürfen, so viel Zeit haben wir nicht, und abweichend vom üblichen Bild solcher Gärten gibt es in diesem deutlich mehr alte Bäume, auch große, etwa den Weißdorn. Was in diesen heißen Zeiten wegen des Schattens selbstverständlich ein Segen ist, und genau das war sogar der Plan, als wir uns für diesen Garten entschieden haben. Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert.

Ein alter Apfelbaum, eher uralt schon, vor Jahrzehnten von den Pächtern vor uns gepflanzt. Seit vielen Jahren schon wurde er nicht mehr beschnitten, innen ist er längst hohl. Es ist ein Apfelbaumgreis mit ausgesprochen zauseliger Zweigfrisur, dennoch trägt er üppig. Gelbgrüne Äpfel, die in diesem Jahr besonders groß ausfallen. Eine rostrote Laterne hängt noch am Stamm, Kerzenreste darin. Ein Vogelhäuschen, ein Meisenball an den Ästen, den besucht gelegentlich auch der lebhaft interessierte Buntspecht. Unter dem Baum steht ein wackeliger Holztisch. Eher klein ist der, wenn man da sein Notebook daraufstellt, dann passt der Kaffee kaum noch daneben. Zwei ebenso wackelige Stühle davor. Man musss etwas bewusst sitzen, um die Stabilität zu wahren, aber das soll ja gut sein. Ein schöner Platz, etwa um eine Dankespostkarte zu schreiben.

Über dem Apfelbaum ragt die Weide auf, deren Laub heute etwas traurig hängt. Der Boden ist in der Tiefe zu trocken, viel zu trocken, und die Sonne brennt zu heiß. Oben in der Weide, himmelwärts oben, raschelt schon wieder aufkommender Wind in den Blättern und auf dem Handy ploppen die ersten Unwetterwarnungen auf, es kommt ein Gewitter, aber das hat noch ein paar Stunden Zeit.

Links im Bild noch eine Hortensie, die weißen Ballen der Blüten.

Aus den Apfelbündeln in den Zweigen löst sich einer und fällt in das Gras, das hitzebedingt schon etwas länger nicht mehr gemäht wurde. Der Apfel fällt weich, es gibt ein tiefes, seltsam zufriedenstellendes Geräusch, das so klingt, als sei der Apfel sehr saftig, das so klingt, als sei das Gras ein überaus angenehmes Polster.

Ein Apfel im hohen Gras, sonnenbeschienen, ein einfaches Bild. Tiefe gewinnt es erst durch die Fülle der Möglichkeiten, die sich daraus ergibt, denn was macht man, wenn da so ein Apfel neben einen fällt, im Garten, im Juli?

Ich könnte hier einfach sitzenbleiben. Ich sitze wackelig auf diesem ollen Stuhl, ich sitze so, wie alles gerade ist, sogar die Weltlage, das passt schon. Alles immer weiter ausbalancieren. Ich sitze hier vielleicht einfach, bis ein weiterer Apfel fällt. Das ist ein vollkommen unbestimmter Zeitraum, der nächste Apfel fällt jetzt gleich oder morgen erst, ich weiß es nicht, es ist unvorhersehbar. Es würde die Zeit aber schön dehnen, unter diesem Baum auf den zweiten Apfel zu warten, es ist eine ausgesprochen vielversprechende Vorstellung. Ich habe Urlaub, das passt doch. Und dann auch darauf achten, ob der folgende Apfel im weichen Gras den ersten Apfel touchiert, sehr gemächliches Baum-Boule wäre das.

Ich könnte mich nach dem Apfel bücken, ich müsste nicht einmal aufstehen dafür. Ich könnte ihn nehmen und hineinbeißen und schmecken, wie weit der Sommer ist. Apfel, Apfel, wie weit ist der Sommer. Und ist er mir nicht weit genug, dann werfe ich den angebissenen Apfel in den Kompost, auch dafür müsste ich nicht erst aufstehen. Das geht über die Schulter und befriedigt sicher ungemein, wenn tatsächlich getroffen wird.

Ich könnte den Apfel dort liegenlassen. Etwa bis die Wespen kommen, die Würmer, die Asseln, die Schnecken, das ganze Gewimmel.

Ich könnte auch auf die Dämmerung warten und bis größere Gäste erscheinen, der rasselnd atmende Igel etwa, die huschenden Mäuse, das vermutlich eher desinteressierte Eichhörnchen, die alles probierenden Rabenkrähen, die hyperaktiven Jungelstern.

Ich könnte ein apfelorientiertes Gespräch mit der Herzdame beginnen, die unweit von mir sitzt und seit zwanzig Minuten schon Entsafter googelt, weil sie wesentlich pragmatischer auf Fallobst reagiert als ich.

Oder nichts davon. Ich könnte mir immer weiter Notizen machen, auf Papier, weil die Sonne auf dem Bildschirm zu sehr blendet, und die I-Punkte fallen auf das Blatt wie die Äpfel ins Gras.

Ein Kohlweißling taumelt durch das Bild, zwei Pfauenaugen hinterher. Von irgendwoher kommen Arbeitsgeräusche, weil in Schrebergärten immer jemand etwas macht, das gehört hier so. Es wird gehämmert, dann stoßen Latten aneinander. Es sind gute Geräusche, kein nervtötendener Motorenlärm.

Der Apfel liegt im Gras, ich sitze am Tisch. Zeit vergeht. Mehr muss es manchmal nicht sein.

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Dort klingen die Stimmen der Menschen matt

Ich lese Petri Tamminen, Verstecke, hier eine freundliche Rezension dazu. Das sind Texte, die fast Gedichte geworden wären, fast halbtraumartige Kolumnen über das wichtige Thema des Abtauchens, etwa auf einem Dachboden:

„Der Dachboden […] taugt immer als Versteck. Auf dem Dachboden herrscht die Wärme von verbranntem Orange. Auf dem Dachboden riecht es nach Sägemehl. Unten in der Wohnung spricht jemand, der Wind säuselt in den Bäumen, und die Wespen leben in den Ritzen des Gebälks. Auch im Drahtkäfig eines Mietshauses kann sich ein Dachbodenversteck befinden, durch entsprechende Einrichtung schafft man sich dort ein gemütliches Nest.

Jeder hat sich schon einmal klammheimlich vom Spektakel im Parterre verzogen und ist die Treppe zum Himmel emporgestiegen, in die Stille des Dachbodenverstecks. Dort klingen die Stimmen der Menschen matt. Dorthin dringt der Lärm der Welt gedämpft und wie aus einer anderen Zeit, aus einer, die man bereits überstanden hat. Dort kann man unter einem Webstuhl im Duft von alten Zeitschriften und verschossenen Tapeten liegen und lauschen, wie das Leben vorüberströmt. Man fühlt sich leicht wie in einem Bestattungsinstitut im Juli, wo der Besitzer ein Käsebrot verzehrt und die Sonne auf die Flanken der Särge scheint.“

Schönes Deutsch von Stefan Moster. Ein Sommerlochbuch, falls Sie eines brauchen, verstecken Sie sich ruhig einmal damit.

„Im Wald hält sich der Finne schon so lange versteckt, dass der Wald sich in ihm versteckt.“

Wieder in Hamburg gehe ich gleich beim öffentlichen Bücherschrank vorbei. Ich bringe die Briefe von Schwitters wieder weg, die ich dort neulich gefunden habe. „Sie können doch keinen Schwitters wegstellen!“, sagt der Mann neben mir, und ich sage doch, es müsse ja alles im Umlauf bleiben, so sei es am besten. Er nimmt den Schwitters, steckt ihn ein und sagt, der ginge jetzt aber mit nach Oldenburg. Ich sage: „Da gibt es sicher auch solche Schränke.“

Wir sehen beide die Bücher durch. Ich nehme einen David Foster Wallace mit, seinen Erstling, Der Besen im System. Da auch mal reinsehen. Dann lache ich, denn daneben steht ein Buch von mir. Der andere Mann fragt, warum ich lache, ich erkläre es ihm, ich sage: „Ich stehe neben Wallace, das ist so schlecht nicht.“ Dann erkläre ich ihm die Situation. Ich habe mich noch nie in einem öffentlichen Bücherschrank gefunden, ich finde das gut und freue mich.

„Worum geht es in ihrem Buch“, fragt der Mann. Ich sage Travemünde. Da fährt seine Tochter in Kürze hin, stellt sich heraus, da könnte er ihr doch glatt ein signiertes Buch schenken, fällt ihm ein, und ob ich nicht eben …

So habe ich nach jahrelanger Pause mal wieder ein Buch signiert, das war nett und ausgesprochen freundlich zur Wiederankunft in Hamburg. Um weitere zu signieren, müsste ich allerdings erst wieder eines schreiben, fürchte ich, das ist etwas viel Aufwand, wenn ich mich recht erinnere. Und worüber auch.

Dann werfe ich zuhause einen langen Blick in leere Schränke und Regale und kaufe so viel ein und hänge hinterher so unfassbar viel Wäsche auf, dass ich bald nicht mehr weiß, ob Stunden oder Tage vergangen sind. Das Leben ist eine lange, ruhige Wäscheleine. Ich hänge das letzte T-Shirt auf, da ist das erste vielleicht schon wieder trocken, denn sogar im Keller ist es sehr warm. Der Trockenkeller ist groß, niemand außer mir benutzt ihn. Einige Mieterinnen kennen ihn gar nicht, der Raum liegt versteckt und ist kryptisch irreführend beschriftet. Es sind nur Wäscheleinen darin. Wäscheleinen und Spinnweben und ein kleiner roter Klappstuhl, den ein Sohn einmal hierhin mitgenommen hat, um oben an die bunten Wäscheklammern auf den Leinen anzukommen, es wird mindestens zehn Jahre her sein. Ich kann die Stimmen der Passanten von hier unten hören, unklares Gemurmel, selten nur verstehe ich ein gerufenes Wort: „Post!“ Dann der Türsummer, ein Klacken, das Rumpeln einer Sackkarre, die gegen den Türrahmen stößt, ein Fluchen in einer anderen Sprache. Ich könne mich auf den allerdings sehr kleinen Klappstuhl unter die nasse Wäsche setzen, Waschmittelgeruch und Kellermuff um mich herum, sirrende Neonbeleuchtung über mir. Das Geräusch der Schritte von Menschen und Hunden vor dem Haus dringt durch den Lichtschacht, zwischen mir und dem Treppenhaus liegen immerhin drei Stahltüren – ich bin beim Verstecken gar nicht so unbegabt, glaube ich.

„Seine Verstecke findet man nie, sucht man sie erst im Moment der Not. Der Kluge hält unentwegt nach Verstecken Ausschau.“

Na, egal. Ich setze mich erst einmal wieder in meine zum Schreiben eingerichtete Abstellkammer.

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