Europacamp 22 (Kooperation)

Das Wort Kooperation wird hier selten in einer Überschrift stehen, auch das war nur eine Phase. Für einige wenige Kunden finde ich es weiterhin in Ordnung und ist es mir auch in Zukunft willkommen, wie auch die Bannerwerbung unter Artikeln, das sind allerdings nur noch solche Kunden, zu denen ich auf irgendeine Art eine besondere Beziehung habe. Beim Europacamp war ich jetzt ein paar Mal, da habe ich mittlerweile ein angenehmes Stammgastfeeling, ich mag es dort und ja, ich würde auch ohne Honorar vor Ort sein, was jetzt marketingmäßig nicht der allerklügste Satz meines Lebens ist, schon klar. Egal. Ich mag es dort sehr, auch wenn ich diesmal etwas angeschlagen nach Hause ging, aber dazu gleich.

Frau Diekmann, die Sie vielleicht aus dem Fernsehen kennen, und ich aber nur als Bloggerin, was vermutlich eine lustige Fremdbild-Differenz ergibt, war auch dort, und schadlos hat sie es ebenfalls nicht überstanden, wie man hier lesen kann. Aber sie hatte andere Gründe für die Nachwirkungen, sie war dort, um ein Panel zu moderieren, ich habe nur zugehört.

Was war nun das Problem, mein Problem, von dem ich aber weiß, dass es einige hatten, vielleicht die meisten dort? Das Problem war der Krieg. Um den ging es in mehreren Gesprächsrunden. Ich habe mir hervorragend besetzte und auch gut moderierte Panels zum Ukraine-Krieg angehört. Militär, Politik, Wissenschaft, alles vertreten, handverlesene Gäste, geballte Kompetenz, wie leider anzuerkennen war. Warum leider? Weil auch nur ein Ansatz von Optimismus, wie soll ich sagen, argumentativ niemandem vertretbar schien. Das ist mir zwar auch vorher klar gewesen, dass die Lage nicht gut ist, das kann man überall nachlesen und sich zusammenahnen oder meinetwegen auch nur fühlen, und wer im Freundeskreis Fatalismus ist, der macht das eh schon die ganze Zeit, der fremdelt auch mit dem so gerne verbreiteten Zweckoptimismus auf Postkartenniveau, den man an vielen Stellen im Netz findet.

Es hat aber doch eine andere Qualität, wenn es solide untermauert wird. Von den trocken bitteren Einschätzungen eines Generals a.D. bis zum Professor, der auf die Panel-Abschluss-Frage, wie es denn nun weitergeht, nicht mit einem routinemäßig erwartet ausholenden Rundum-Statement antwortet, sondern vielmehr in ultimativer Kürze und resigniertem Tonfall mit: „Keine Ahnung“ – ich kann das Ergebnis der Gesprächsrunden für mich zusammenfassen mit: Das hat gesessen.

Und es kam dann noch drastischer. Timothy Garton Ash hielt eine Keynote für ein Panel mit u.a. Wolfgang Schmidt, er ging gleich zu Anfang die deutsche Rolle im Konflikt recht scharf an. Das Land macht nicht genug, so die im Moment naheliegende These, sie ist nicht gerade exzentrisch. Das bezog sich auf das vieldiskutierte Energieembargo und auch auf andere Möglichkeiten, es war eine Verschärfung dessen, was sich schon vorher in Gesprächen abgezeichnet hatte, er sprach aus, was andere mehrfach angedeutet hatten: Es reicht nicht, was Deutschland beiträgt. Wolfgang Schmidt antwortete als Vertreter der deutschen Regierung, natürlich war er eloquent erklärend, und es wäre ein bald ermüdendes Hin und Her gewesen, hätte es nicht einen zugeschalteten Gast aus Kyiv gegeben, Galina Yanchenko. Wenn ich es richtig verstanden habe, Vize der Regierungspartei im Parlament der Ukraine. Die da also auf Schmidt antwortete, aus einer, wie man sich vorstellen kann, sehr anderen Situation heraus als die Gesprächsteilnehmer im Saal.

Und die dann Sätze sagte, die den Gepflogenheiten deutlich widersprechen, die zu Schmidt etwa sagte, und nicht nur nebenbei: „Sie haben Angst.“ Sie sagte es eher in Großbuchstaben. Als der Herr Minister wiederum lange erklärt hatte, wofür Deutschland alles verantwortlich sei, wofür „wir“ alles noch Verantwortung übernehmen müssten, wie unglaublich verantwortlich doch dieses Land in dieser Krise vorgehen müsse, nachdem er also den Begriff Verantwortung einigermaßen totgeritten hatte und wir im Grunde, so habe ich gelernt, gerade Verantwortung für die halbe Welt übernehmen, sagte die ukrainische Parlamentarierin in einem Tonfall, den ich so schnell nicht vergessen werde: „Was glauben Sie eigentlich, wofür wir hier verantwortlich sind?“

Es war eine Runde, in der die deutsche Position keine Punkte machen konnte. Ich fand es unmöglich, der Ukraine und ihren Forderungen nicht Recht zu geben, aber ich bin auch kein Politiker und so etwas nicht gewohnt, ich möchte das auch nicht sein.

Die online zuhörende Frau Herzbruch twitterte, dass sie froh sei, nicht zuständig zu sein. Das ist ein lapidarer Satz, den man vielleicht im Alltag mehr würdigen muss, denn was haben wir für ein Glück, nicht zuständig zu sein, wie unlösbar ist diese Aufgabe und was für ein fragiler Segen ist es, nur überlegen zu müssen, was ich morgen wieder koche.

In einem der Panels sagte einer der Teilnehmerinnen auf die Frage, was nun zu tun sein, dass es doch schön wäre, wenn Deutschland in irgendwas führend sein würde, in wenigstens irgendeiner Art der Reaktion, dass das Land doch eine Rolle habe, die das hergeben müsse, deutlich und unbedingt sogar. Es war dies vielleicht die Quintessenz der Gespräche an diesem Tag, dass es nicht reicht. Dass es einfach nicht reicht.

Und dass man lieber Bürgerin oder Bürger eines Landes wäre, das nicht nur „ausreichend“ reagiert. Sondern wenigstens befriedigend, besser aber gut oder sehr gut.

Wobei ich nicht einmal ansatzweise den Eindruck erwecken möchte, ich wüsste, was jetzt gut oder sehr gut sei. Ich weiß gar nichts, ich weiß, fällt mir gerade auf, nicht einmal, was ich morgen kochen werde. Aber das wird sich finden, da bin ich mir sicher. Bei allen anderen Fragen der Zeit bin ich es nicht.

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 8.4.2022

Über das Wort Neurussland und seine Bedeutung in der Propaganda.

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Ein kleiner Hinweis zur Lage, ein Einschub nur: „Die ersten Kinder sind in unserer Schule angekommen, ich hatte aber noch keines im Unterricht. Wir werden Stühle brauchen. Und Tische. Die Klassenmesszahl, also die maximale Schüleranzahl pro Klasse, muss irgendwann erhöht werden.

Die Söhne berichten hier noch nichts von Schülerinnen aus der Ukraine.

Eine ukrainische Flagge hängt vor einem katholischen Altenheim in Hamburg Sankt Georg

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Ohne etwas Besonderes herausgreifen zu wollen hier noch der Hinweis, dass bei Nicola eine ihrer lobenswerten Monatsnotizen erschienen ist, wie immer sind reichlich Links zum Weiterdenken darin.

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Und in Frankreich, wenn wir mal nicht an Le Pen denken? „Ça va”, das kann eine schöne Aussage sein.

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Der Chef vom Dienst, der gerade die nächste Folge “Deutschland“ dreht, sitzt bestimmt heute sehr zufrieden im Sessel. Das Drehbuch ist zwar hart an der Grenze zu “total überzogen“, aber immerhin ist der Herbst gerettet. Nach dem Sommerloch mit Restkrieg und ohne Gas machen wir einfach wieder eine Staffel Pandemie, sitzen bestimmt schon Redakteure an der Konzeption der nächsten Mutante. Ich bin so gespannt, was die dann wieder kann!

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Über die Angst vorm Krieg.

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Während ich dieses schreibe, es ist ein Donnerstagnachmittag, steht die lange Schlange vor der Essensausgabe an der Kirche gegenüber geduldig im Regen und die Hamburger Medien melden, dass die Tafeln in der Stadt mit dem Andrang nicht mehr zurechtkommen. Ich weise wie zufällig noch einmal auf unsere Seite dazu hin. Egal, wo die Gäste herkommen, es wird Hilfe gebraucht.

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Es folgt Werbung. Gleich gehe ich da mal hin und sehe mir das an, wofür ich hier Banner schalte. Aber ich war früher auch schon dort, ich fand es gut. Meine erste Veranstaltung seit März 2020 ist es, und es war damals übrigens auch die erste, die ausfiel. Wie konstruiert wirkt das denn wieder? Aber so isses eben.

Das Ausdenken ist im Grunde entbehrlich

Ich war in den letzten sieben Tagen zweimal aus, einmal in einem Restaurant, einmal in einer Kneipe. Ich hätte mich jeweils lieber draußen getroffen, das Wetter war aber nicht danach, beim besten Willen nicht. Zwischen den beiden Dates lagen ein paar Tage und, das ist das Entscheidende, obwohl sich in der Hotspotstadt Hamburg an den Regeln so gut wie nichts geändert hat, lag dazwischen auch, wie ich es erwartet habe, ein bedeutender Zuwachs an Lässigkeit im Umgang mit den Regeln. Am ersten Abend noch die genaue Kontrolle von App und auch Ausweis, am zweiten: „Ihr habt ja sicher alles dabei, ne?“ Dann Abwinken und fertig.

Das Ende dieser Kontrollen ist absehbar, das Verfahren läuft aus. Auf Wiedersehen im Herbst.

Ich sitze am Schreibtisch, ich höre auf der Straße lautes Reden, Lachen, aber nicht auf die erfreuliche Art. Ich gehe auf den Balkon und sehe runter, zwei Betrunkene gehen auf der Fahrbahn, Arm in Arm, leicht schwankend. Ein Autofahrer kommt nicht an ihnen vorbei und muss wegen der beiden abbremsen, er hupt, sie schlagen ihm wütend und brüllend aufs Dach, er hält an, er springt heraus wie ein Schachtelteufel. Alle drei schreien aus Leibeskräften herum und gestikulieren, raumgreifend und breitschultrig werden die Arme gewedelt, alle drei recken auch die Brust so dermaßen albern raus, dass ich unwillkürlich an Tierfilme denke, an Imponiergehabe, Silberrücken und dergleichen, das hier ist etwas für Verhaltensforscher. Ganz dicht kommen sich die drei und es ist einen Moment arg knapp vor Handgreiflichkeiten, bevor der Autofahrer doch wieder einsteigt und einfach so weiterfährt, ohne Prügelei, nur dauerhupend. Die beiden Betrunkenen klatschen sich ab, der Triumph, der herrliche Triumph, dem haben sie es aber gegeben.

Neulich noch die Gewaltfantasien hier im Blog, aber es ist alles auch in der Wirklichkeit so. Das Ausdenken ist im Grunde entbehrlich.

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Weltweit wächst der Druck auf die Zivilgesellschaft. Diese eine Zahl im Artikel, diese 3% vor der Angabe „offen“. Schwer auszuhalten, der Gedanke. Wir summen dazu: Keep on blogging in the free world.

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Von da an gings bergab. (Gefunden via Heike Rost auf Twitter)

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Es folgt Werbung

Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 6.4.2022

Etwas vorweg, auch wenn es kein Bloglink im eigentlichen Sinne ist. Wir kooperieren wieder mit der benachbarten Kirche, in der, wir hatten das schon 2015 und auch zu Beginn der Pandemie, eine Essensausgabe für Bedürftige regen, wirklich regen Zulauf hat. In der letzten Woche waren dort etwa 50 Gäste aus der Ukraine, Grund genug also, alte Verbindungen wieder zu aktivieren und auf unsere Spendenseite noch einmal hinzuweisen: Sankt Georg hilft. Ich werde vermutlich in Kürze noch Weiteres dazu berichten. Die Spenden laufen bestens organisiert über die Gemeinde der evangelischen Kirche, es gibt eine reguläre Spendenbescheinigung, und wie die Gelder verwendet werden, das kann ich tatsächlich beim Schreiben vom Fenster aus beobachten – ich sehe die Schlange der Wartenden, sie kam hier schon oft vor. Sohn I hat bei dieser Essensausgabe ein Praktikum gemacht, die Herzdame hat die Website gestaltet, ich schreibe mit, wir sind der Angelegenheit familiär und nachbarschaftlich sehr verbunden. Ich bitte um freundliche Beachtung.

Und mein hochgeschätzter Kunde, das Goethe-Institut, bietet währenddessen Sprachkurse Deutsch für Menschen aus der Ukraine mit einem Rabatt von 99,9% an, gucken Sie mal hier. Im Moment sind sie gerade ausgebucht, es wird aber zügig nachgelegt, diese Info also gerne weitergeben.

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Bei der Geschichte der Gegenwart geht es um die Demokratie und den Nationalismus in der Geschichte der Ukraine.

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Mir gewünscht, dass es so etwas wie das RKI Dashboard zu Corona-Fallzahlen auch zur Ukraine gebe. Es ist so schwer alle Nachrichten zu verfolgen und zuzuordnen. Den Gedanken verworfen, das wird der Situation nun auch nicht gerecht.

Ein naheliegender Gedanke. Darüber möchte ich einen behaglich langen Essay in einer Sonntagszeitung lesen, über das Denken in Dashboards. Eines zu Corona, eines zum Krieg, eines zum Klima. Ich kann mir das bunte Infotainment-Trio auf den Titelseiten aus beruflichen Gründen gut vorstellen, vielleicht zu gut. Und wenn das Management wechselt, pardon, die Regierungen, wechseln auch die Kennzahlen, das ist ganz wichtig und löst Probleme, doch, ja.

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Frau Brüllen mit einer Sicht auf Corona (weiter unten im Text), die von der in meinen Timelines nicht unerheblich abweicht, was unter anderem daran liegt, von wo aus sie schreibt, nämlich aus der Schweiz. Auch interessant. „Ansonsten versuche ich auszublenden (klappt so mittel), wie meine deutsche TL über die stückweise Aufhebung der Coronamassnahmen schockiert ist.

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Ich sah gestern einen Tweet, Sie werden ihn vernichtend negativ finden. Ich finde, man muss darüber nachdenken. Es hat keinen Sinn, nicht nachdenken zu wollen, selbst wenn man zum Optimismus oder zur Ignoranz neigt. Eine Lehre aus dem gerade gelesenen Buch „Februar 33“ von Uwe Wittstock ist, dass viele, die damals zu den intellektuellen Größen zählten, das Schlechte nicht zu Ende gedacht haben, dass sie weiterhin an die Möglichkeit des Guten geglaubt haben, wie man später wusste, zu sehr. Es war ein verbreiteter Gedanke, dass es so schlimm doch nicht kommen kann. Doch, konnte es, kann es also.

Ich lese „Acht Tage im Mai“ von Volker Ullrich. Es ist mir ein wenig zu militärisch ausgerichtet, der Teil interessiert mich nicht sehr, ich möchte mehr über andere Personen lesen, nicht über Generäle, aber aus diesem Buch doch auch mal eine positive Ableitung – nämlich wie wichtig später Tagebücher und ähnliche Texte sind, wie ungemein aufschlussreich, wie erhellend.

Weiterschreiben, ne.

In diesem Sinne: Gestern im Discounter gab es kein Mehl und kein Öl, jetzt mit der Steigerung, dass es gar kein Öl mehr gab, nicht einmal mehr das der Olive.

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Es folgt Werbung. Auf dieser Veranstaltung gilt übrigens, ich habe mich da gerade informiert, eine FFP2-Maskenpflicht. Ich gehe am Freitag auch hin und habe da, so lese ich, als Blogger einen Bereich, in dem für einen Stuhl und für Strom gesorgt ist. Ich möchte bitte überall so hingehen, dass für Stuhl und Strom gesorgt ist, ich finde das hervorragend. Lassen Sie mich sitzen, ich bin Blogger.

Ich aber werde nur nass

Ich erwähne also im Blog, dass es bei uns einen Mangel an Regen gibt und wohl auch weiterhin zu wenig regnen wird. Als wahnsinnig witziger Kommentar zu meinem Text regnet es am Montag so, wie es lange nicht geregnet hat. Es regnet ergiebig, ausdauernd und mit Spezialeffekten, es stürmt nämlich auch noch dabei und es schüttet also in ungewohnt klatschendem Schwall und kübelt quer. Eine Geräuschkulisse auf und vor den Dachfenstern, als sollte für ein Kinderhörspiel von Europa „Sehr schlechtes Wetter“ als Regieanweisung umgesetzt werden. Stark übertrieben sind diese Geräusche, aber deutlich, keine Frage. Man erkennt sofort: Unwetter. Okay.

Keinen Hund möchte man bei diesem Wetter vor die Tür schicken, nur die Söhne, wie immer. Und mich selbst, merke ich dann, nachdem ich eine Weile dem Dachfensterkonzert zugehört und versucht habe, es schön zu finden, wobei ich wie immer stets bemüht bin. Mich selbst muss ich auch rausschicken. Denn ich muss in den Garten, fällt mir ein. Dringend. Diesen Sturm habe ich im Wetterbericht nicht gesehen, vielleicht war er dort tatsächlich nicht, vielleicht habe ich wieder nicht aufgepasst. Ich passe oft nicht auf, das stand schon in den Grundschulzeugnissen. „Ist oft abgelenkt“, so wurde es dort vermerkt. Wo war ich.

Im Garten ist ein halb aufgebautes Trampolin nicht gesichert und Trampoline wandern gerne einmal beim Sturm durch die Kolonie, sie marodieren über die Hecken und durch die Beete, das sollen sie nicht. Außerdem steht da noch ein ungestütztes Zaunfragment, das auf neu gepflanzte Heckensträucher kippen kann Das geht so alles nicht, ich muss dahin, ich muss mich kümmern. Windstärke 9 in Böen immerhin.

Ich gehe zur U-Bahn, die ist hier um die Ecke. Ich werde auf den paar Metern schon nass wie unter der Dusche. Ich fahre U-Bahn gemeinsam mit anderen durchnässten Menschen, die alle diesen zusammengerissen schlechtgelaunten Blick haben, dieses ausgeprägte „Muss ja“ im Gesicht, dieses angestrengte Durchhalten. Wir sitzen und tropfen. Ich steige aus, ich gehe zum Garten. Der Weg von der Station zur Insel ist noch ein ordentliches Stück, es reicht für viel Wettererfahrung und ich mache sie allein, kein Mensch ist außer mir auf den Wegen zu sehen, nur vorbeijagende Autos. Ich setze mir die Hoodie-Kapuze und auch die Outdoorjackenkapuze auf, ich hoffe, dass die Kopfhörer darunter halbwegs trocken bleiben. Ich höre beim Gehen immer weiter „Sie kam aus Mariupol“ von Natascha Wodin. Und auch wenn ich dabei gerade, wie bei allen Familienerzählungen, durcheinanderkomme, wer da nun gerade mit wem wie verwandt ist und um was genau es geht (das liegt nicht am Buch, das liegt an mir), bleibt unterm Strich der stark relativierende Eindruck, dass alles, was die Personen in der Geschichte erleben und erleiden, schlimmer ist, als nur ein paar Meter durch den Regen zu gehen. Wieder der Kempowski, mir geht‘s ja noch gold, ich murmele es verbissen, klappernd und frierend und halte die Kapuzen fest, an denen die Böen wie irre herumzerren. Das ist alles nur Wetter, das ist nicht schlimm.

Im Grunde bleibt es unfassbar, was in der im Buch beschriebenen Weltgegend alles wem angetan wurde. Da stirbt niemand eines natürlichen Todes, da bringen sich alle selbst oder gegenseitig um und es ist fast egal, welche Truppe da gerade gegen welche ist, als Mensch war und ist man dort allzu häufig Opfer, entweder im Jetzt oder potenziell demnächst, und die Nachrichten, ich komme da nach wie vor nicht drüber weg, zeigen es aktuell wieder. Das Buch ist ein Lehrstück über die Gemeinheit des Menschen, über seine unfassbare Bosheit, Verkommenheit, Grausamkeit und bitte, wie kann das in einer Gegend so zusammenkommen, durch die Jahrzehnte, in Wellen, immer wieder von vorne. Es ist ein Buch, das einen nicht mit der Menschheit versöhnt, im Gegenteil. Ich aber werde nur nass, okay.

Im Garten setze ich mich einen Moment in die Laube, in der es natürlich rattenkalt ist, aber immerhin windstill. Der stürmische Nordwest poltert gegen die Fenster, es ist klammkalt aber schön hier drin und ich sitze fünf, zehn Minuten und höre mir das an und sehe zu, wie es die Zweige der Magnolie wüst hin und herschlägt, dass die noch ungeöffneten Purpurblüten in Fetzen gehen. Der Frühling wird mit etwas weniger Deko auskommen müssen in diesem Jahr.

Ich lese kurz die Nachrichten auf dem Handy, es geht um den Krieg, es geht um Corona, es geht um das Klima, die drei weltbestimmenden Katastrophen sind heute alle drei auf den Startseiten. Es gibt bittere Neuigkeiten an allen Fronten, gute Meldungen sind nicht dabei und Gründe für Optimismus fallen mir nicht ein. Alles, was normal ist, noch mehr genießen. Ich freue mich darauf, dass ich zuhause trockene Kleidung habe, eine Dusche, eine Heizung, ein Buch und ein Bett, das ist nicht nichts. Ich freue mich vielleicht etwas mehr als sonst.

Dann sichere ich das Trampolin mit Kompostsäcken, den Zaun mit Holzpfählen. Auf dem Rückweg kaufe ich die Zutaten für Hühnersuppe, Prophylaxe ist wichtig. Ich fahre wieder U-Bahn. Es ist gut, dass ich U-Bahn fahre, dass ich nicht das Auto nehme. Es ist gut wegen der Umwelt und jetzt auch wegen Putin, es ist aber in Wahrheit gar nicht moralisch oder politisch motiviert, ich fahre nur einfach nicht gerne Auto. Und zwar ganz und gar nicht gerne. Es gibt Aversionen, die passen manchmal gut zum Weltgeschehen.

Am Abend ein freundlicher Hinweis auf Facebook, wo ich nur selten etwas lese: „Es gibt einen beliebten Beitrag, den du vielleicht verpasst hast.“ Der Beitrag enthält: Die grauenvollen Bilder aus Butscha. Es ist so eine Sache mit den Algorithmen, es ist so eine Sache.

Die Söhne, die wie nasse Hunde nach Hause kommen, melden aus der Schule, dass trotz der Lockerungen alle weiterhin Masken tragen, die SuS und auch die Lul, wie man heute sagt. Ich denke nicht, dass es lange anhalten wird, aber das Bemühen ist schön und ehrenwert.

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 4.4.2022

Ich hatte hier mehrfach den Roman „Internat“ des ukrainischen Autos Serhij Zhadan empfohlen, ich fand gestern ein Interview mit den Übersetzern des Buchs, Sabine Stöhr und Juri Durkot.

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Frau Diekmann über das Rittersportdilemma. Wir sind da schon wieder bei der Ambiguitätstoleranz, mir war so, als hätte ich die gerade neulich erst erwähnt.

Frau Diekmann, die ich hier dauernd verlinke, ist übrigens auch auf dem Europacamp, für das ich weiter unten dauernd Werbung mache. Sie moderiert da u.a. ein Panel mit Dota Kehr, Sebastian Krumbiegel und Marcus Wiebusch. Ein Gespräch über Musik und Politik, so heißt es. Das höre ich mir an, so ist jedenfalls der Plan. Ich werde vermutlich berichten.

Ach, und wenn ich schon bei Kapitalismus-Songs bin:

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Bei Excellensa findet sich der Hinweis auf das Wort „Westplaining“. Ich habe die Geschichte dahinter auf Twitter mitbekommen, und ohne sie hier ausbreiten zu wollen, es ist sicherlich sinnvoll, das Wort Westplaining zur Kenntnis zu nehmen und vielleicht einen Moment darüber nachzudenken.

Die ebenfalls drüben erwähnten Wohlstandsdiskussionen bekomme ich ebenfalls mit, die finden vielleicht gerade flächendeckend statt. Was ist, wenn wir weniger haben, haben wir dann etwa wenig? Beim Aldi steigen heute die Preise um teils 30%, so las ich. Meine Timelines sind tendenziell mehrheitlich besserverdienend, das ist kaum zu übersehen. Man merkt es auch an dem, was darin nicht oder kaum vorkommt.

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Bei Frau Novemberregen ein Artikel, den wir früher beiläufig und normal gefunden hätten, ein Ausgehbericht. Es steht da eine Einschätzung einer Situation, die vermutlich viele nachvollziehen können, zumindest kommt es mir gerade so vor. Es ist ein Gedanke, den viele zu haben scheinen, in ähnlicher Form und zu ähnlichen Anlässen: „Hätte mir an irgendeinem Punkt der letzten zwei Jahre jemand gesagt, dass ich bei der allerersten Gelegenheit den Abend ohne Maske und ohne irgendein G-Konzept in einer Stadthalle mit geschätzt 500 anderen Menschen verbringen würde, hätte ich sehr gelacht. Aber so war es.

So ist es, wenn etwas wieder anfängt, und die Lage dreht jetzt. Wir können es finden, wie wir wollen, es dreht, und wir drehen mit. Ich drehe, Du drehst, er, sie, es dreht. Wenn nicht heute, dann morgen. Na, nur meine Einschätzung.

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Es folgt Werbung, ich erwähnte es bereits

Notizen aus dem Hotspot

Nach wir vor ist das Warten auf die erste Infektion in der Familie ein seltsam blödes Gefühl, es wird immer unplausibler, dass es hier noch keiner hatte. Also wir wollen es auch nicht haben, versteht sich, aber es ist so dermaßen unwahrscheinlich, dauerhaft daran vorbeizukommen … Man hat es dann nicht abgehakt, schon klar. Ich habe mittlerweile Fälle von Drittinfektionen im Umfeld, bei einigen scheinen regelrechte Abos zu laufen. Ich sollte vielleicht direkt nach diesen Zeilen einen Test machen, auch dem Leben einmal die Pointe zubilligen.

Hamburg ist jetzt ein Hotspot, die Regeln gelten weiter. Viele Regeln jedenfalls, wohl mehr als bei Ihnen, wenn Sie in einem anderen Bundesland wohnen. An den Hamburger Schulen gibt es an den Plätzen ab nächste Woche nur keine Maskenpflicht mehr, lediglich auf den Fluren bleibt sie bestehen. Im Bundestag, so lese ich, beschließen sie dagegen die Fortführung der Maskenpflicht. Vermutlich müssen Bundestagsabgeordnete dringender geschützt werden als Kinder, was weiß ich. „Die Sinnfrage stellt sich nicht“, ich muss immer wieder den Kollegen zitieren, der nach diesem Satz stoisch weiterarbeitete, es ist lange her und blieb mir doch so nachhaltig im Gedächtnis.

Beim Musikunterricht, das hatte ich im Blog noch nicht erwähnt, glaube ich, wurde von der Schulbehörde gebeten, dass alle in die gleiche Richtung musizieren, ich scherze nicht. Wenn man in die gleiche Richtung musiziert, dann kreisen die Viren nicht. Oder so, bitte achten Sie besonders auf die Position der Querflöten. Wenn man in Richtung Fenster musiziert, dann treibt es den Virus vermutlich sogar hinaus, wir hätten die Pandemie also längst durch Chorgesang und Orchesterwerke erledigen können, das liegt auf der Hand. Aber das ist alles nicht einmal mehr satirefähig, das ist deutlich drunter.

Und ja, ich fühle mich veralbert.

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Wir fahren in den Garten, wir kümmern uns um die Hecke, wir heben einen Graben für die Pflanzung aus. Wir finden Knochen im Beet, viele Knochen, und groß sind sie. Aber es ist kein menschlicher Schädel dabei, also keine Polizei und keine bildungsbürgerlichen Poor-Yorick-Improvisationen. Vielleicht haben die Vorpächter vor Jahren oder Jahrzehnten ein ganzes Schwein gegrillt, ein Kalb oder ein Lamm, vielleicht haben sie einen Bernhardiner begraben, eine Dogge. Die alten Gärtnerinnen und Gärtner auf der Insel erzählen, dass schon ganze Autos in den Beeten gefunden wurden. Was man alles vergraben kann. Neben den Knochen eine Flasche Kakao-Likör. Unsere ganze Parzelle ist mit leeren Spirituosenflaschen unterfüttert, die auf das letzte Jahrhundert verweisen. Viele Liköre sind dabei, etwa frühe Achtziger, man sieht es an den Etiketten.

Nachbarn laden uns ein, es gibt Kaffee und Kuchen in der Arbeitspause, sie bauen gerade ein Hochbeet aus Palettenrahmen. Schrebergärtner sind per definitionem fleißig. Wir sitzen draußen, sie reichen uns warme Decken und heiße Becher. Ich wärme mir mühsam die Hände daran, ich verkrieche mich in der Decke. Ich denke, das ist doch kein Frühling, wenn, man im Garten so friert, das ist nicht einmal Vorfrühling. Dann sehe ich, dass die weißen Blüten, die uns so zauberhaft umwehen, gar keine Blüten sind. Es schneit.

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Ich höre „Sie kam aus Mariupol“, von Natascha Wodin, gelesen von Dagmar Manzel. Die Gegenwärtigkeit der titelgebenden Stadt in den aktuellen Nachrichten ist dabei schwer zu ertragen; ich höre von historischen Zerstörungen und sehe, wie sie erneut passieren, ich sehe es fast live. Warum sollte man es sich leicht machen, ich höre weiter. Es ist ein gutes Buch.

Eine ukrainische Flagge an einem Kiosk auf der Langen Reibe

Ich las „Die schöne Frau Seidenman“ von Andrzej Sczcyporski, ein Buch, das vor längerer Zeit schon ein Beststeller war und das also alle längst gelesen haben, nur ich wieder nicht. Und jetzt ist es gut, es auch gelesen zu haben. Die Ukraine wird darin beiläufig zwei-, dreimal erwähnt, es wäre mir früher vermutlich nicht aufgefallen. Jetzt verstehe ich sogar den Zusammenhang, ich habe immerhin etwas gelernt.

Was nichts nützt, aber egal. Auch das ist ein gutes Buch. Wenn ich beim Lesen hochsehe, sehe ich die blaugelbe Flagge der Ukraine am Kirchturm gegenüber wehen und merke, wie sich mein Europa- und mein Geschichtsbild noch einmal neu zusammensetzen.

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Man darf sich nicht arrangieren.“ Ein Interview mit Herta Müller, es geht um Diktaturen, um Russland, um Sprache.

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Ich habe neulich das Wort „Overthinking“ hier im Blog verwendet und beim Schreiben kurz einen Ton im Ohr gehabt, ein Liedzeilentrümmerchen, und dann kam ich eine Weile nicht darauf, wo es bloß herkam. Jetzt ist es mir wieder eingefallen, es war aus einem Song von John Grant mit grandiosen Lyrics:

You could probably say I’m difficult
I probably talk too much
I over-analyze and over-think things
Yes it’s a nasty crutch.

I’m usually only waiting for you to stop talking
So that I can
Concerning two-way streets I have to say
That I am not a fan.

Schönes Video auch.

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 1.4.2022

Dieses Blog hier wird heute, es ist kein Aprilscherz, 18 Jahre alt. In den letzten beiden Jahren, glaube ich, wurde der Jahrestag von mir gar nicht erwähnt. Corona und die Folgen, die Zeit war etwas verstörend, es fiel Ihnen wohl auch auf. Na, egal. 18 Jahre, VSOP, herangereift, was auch immer. Es war ein weiter Weg, war es nicht? Vor genau acht Jahren ging auch das Projekt „Was machen die da“ online, in dem die bekannte Exbloggerin Isa (SCNR) und ich damals versucht haben, ein Vorhaben etwas professioneller auf- und durchzuziehen. Heute erinnern wir uns ab und zu an das Projekt und können nicht mehr begreifen, wie wir jemals dafür Zeit gefunden haben, es sind unfassbare Mengen von Stunden gewesen. Und es war ein sehr schönes Projekt, das finden wir immer noch.

Wobei ich manchmal denke, dass ich Blogs als Format, Möglichkeit und ja, auch als literarische Erscheinung immer noch auf eine Art gut finde, die viele im Laufe der letzten Jahre längst wieder aus den Augen verloren haben. Das Bloggen ist nach wie vor mein Ding.

Desto passender vielleicht diese Rubrik, in der ich ausdrücklich nur Blogs und ähnliche kleine Formen verlinke, ich denke, das kann so bleiben. Vielleicht auch mit anderen Themen als dem Ukraine-Krieg und den Folgen, warum nicht. Ich finde so oft sinnvolle Ergänzungen zu den Nachrichten in der Blogwelt, und die Frage, wie sich die Weltlage darin spiegelt, bleibt für mich von Interesse. Mir macht es gerade Spaß, das zu sammeln, und hier steht stets, was mir Spaß macht. Selbst wenn es kein Spaß ist.

Aber erst einmal Antje Schrupp über Feminismus und Krieg:

Ist es nicht sehr erstaunlich, wie wenig geschlechterpolitische Analysen in diesem Krieg eine Rolle spielen? In der medialen Begleitdebatte scheint sich kaum jemand zu trauen, Worte wie „Feminismus“ oder „Frauen“ in den Mund zu nehmen. Dass die Verhandlungsdelegationen ausschließlich aus Männern bestehen, wird als selbstverständlich zur Kenntnis genommen. Auch dass die stärksten inländischen Proteste sowohl gegen Putin (Pussy Riot) als auch gegen Lukaschenko feministische Proteste waren, spielt in den Analysen keine Rolle.“

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In der immer lesenswerten Monatskolumne des Kaffeehaussitzers Uwe Kalkowski sind diesmal auch Links im Ukraine-Kontext zu finden.

Ein Aufkleber auf einem Briefkasten: FCK WAR

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In Frankreich, ich beginne dort mit der thematischen Erweiterung dieses Formats, fallen mehrere Themen zusammen: Covid, Gas, Kinder. Eine verstörende Überschrift, finde ich. Aber so ist es, wenn alles zusammenkommt:

Nun, Monsieurs Grippe war dann doch Covid und klar, es hat, bei allen Versuchen meinerseits, mich zu isolieren, so habe ich etwa nächtelang auf dem zu kurzen Zweisitzersofa im Wohnzimmer geschlafen und gleich in der ersten Nacht eines der leicht morschen Seitenteile desselben durchgetreten, wir saßen uns beim Essen so weit entfernt wie möglich gegenüber, erinnerte ein bisschen an Putin und seine Staatsgäste, außerdem desinfizierte ich hinter ihm her, herrjeh, was dieser Mann unkontrolliert einfach so alles anfasste und anhustete, Telefon, Fernbedienung, Lichtschalter, Türklinken, Schubladengriffe, Gläser … “wo ist deine Maske?”, schrie ich alle paar Minuten.

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Themenwechsel, auch Krisen ohne Kriegsbezug mal vorkommen lassen. Bei Wibke lesen wir ein Corona-Tagebuch und ich bitte um Beachtung der bloggeschichtlich interessanten Anmerkungen zum Schluss: „Wenn ich die Kommentarfunktion für diesen einen Beitrag abstellen könnte, würde ich es tun. Sollte ich hier einen Kommentar von Querulanten, Coronaleugner*innen, Impfgegner*innen oder vergleichbarer Geisteshaltung sehen, lösche ich diesen umgehend.

Weil man so etwas mittlerweile leider dazu schreiben muss.

Corona auch bei Frau Novemberregen, so geht es dann zu.

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Oder hier, einfach ein Blick auf den Wahnsinn der Gegenwart, im persönlichen Ausschnitt: „Eine Bekannte schickt Fotos von der großen Fridays for Future-Demo in Bonn, eine andere postet Fotos aus Afghanistan, wo sie lange gearbeitet hat und wo Frauen mutig dafür kämpfen, dass sie und ihre Töchter weiterhin Bildung bekommen. Per DM wünsche ich einem Freund im Nordirak ein frohes Nevroz. Eine ehemalige Kollegin schickt ein Update aus dem Trockengürtel in Mittelamerika, wohin ich einst eine Journalistenreise zu den Folgen des Klimawandels begleitet habe. Eine Kerze brennt während einer Krebs-OP eines lieben Menschen, eine Freundin wird Tante und ich bewundere die Nichtenfotos. Ich kaufe für einen Freund in Isolation ein und erkundige mich nach dem Befinden von immer mehr positiv getesteten Menschen im Bekanntenkreis.

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Bei der Kaltmamsell gibt es, wie in vielen Blogs, regelmäßige Tweetsammlungen, und bei dieser hier habe ich tatsächlich gelacht. Ich lache selten am Bildschirm.

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 30.3.2022

Der gute Herr Slowtiger hatte da auf Twitter einen Text verlinkt, der schon älter ist, aber passend und gut: Militär und Dekadenz von Kathrin Passig.

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Frau Diekmann entdeckt die Speiseölscham und denkt über Kinder in diesen Zeiten nach, über kleine Kinder. Als Vater etwas größerer Kinder glaube ich, dass die Seelenlage von Kindern nach den letzten zwei Jahren mit Ambiguitätstoleranz zu betrachten ist. Es gibt zwei Meinungen oder Statements, die ich beide für vollkommen korrekt halte:

  • Die Kinder stecken das alles erstaunlich gut weg.
  • Die Kinder haben einen viel größeren Schaden erlitten, als den meisten Erwachsenen klar ist.

Uneindeutigkeiten aushalten!  So schwer. Da gab es ein Buch, fällt mir ein, ich halte es immer noch für lesbar: „Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust von Mehrdeutigkeit und Vielfalt.“ Von Thomas Meyer. Ich glaube, ich lese das noch einmal, das war gut.

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Bei Jochen drüben geht es auch gerade um Eindeutigkeiten, er schreibt: „In der Psychologie gibt es die Faustregel, dass wir, sobald wir in eine Story die Kategorien Gut und Böse einbauen, – zack – mit einem Schlag 20 IQ-Punkte verlieren. Ich glaub nicht, dass es Studien dazu gibt, aber der Satz klingt einfach zu gut, um ihn für sich zu behalten. Jedenfalls: Die Nachrichten im Moment machen dumm.

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Es gibt Kulitsch Paska.

Ein Schriftzug am Hamburger Kongresszentrum: Stand with Ukraine

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Vierhundert Folgen „Die Buddenbohms“

Die Foodblogs sind voller Bärlauch und Spargel, nächster Halt dann die Erdbeeren, wir sind so weit im Zeitplan, trotz allem. Um sich saisonale Normalität vorzugaukeln, ist es gar nicht verkehrt, viele Foodblogs zu lesen, man muss sich doch an irgendetwas festhalten können, zumindest an einigen Fakten. Wie spät ist es? Es ist Bärlauch, das muss reichen.

Vor dem Fenster arbeiten wieder die Gerüstbauer am Dach des Hauses gegenüber, und einer von denen redet wie eine Figur aus einem alten Werner-Film. Es ist genau dieser Tonfall, es kann unmöglich ernst gemeint sein, es ist aber so. Wie soll ich mein Leben noch von Fiktion unterscheiden können, es ist nicht mehr möglich, überall diese Satire-Elemente. Seit mindestens zwei Jahren kommt mir alles arg ausgedacht vor, es ist so vieles an den Haaren herbeigezogen und eher furchtbar platt dahergesripted, bis hin zu dieser neuen Entwicklung, dass sich auf einmal alle verhauen wollen, wie damals in der fünften Klasse. Am Ende ist es alles nur ein Exkurs, ein fiktionaler, und ich werde eines Morgens wie einst Bobby Ewing unter der Dusche denken, krass, was hast Du da alles zusammengeträumt, das hätte ja für vierhundert Folgen „Die Buddenbohms“ gereicht, jetzt aber mal normal weiter.

Egal. Ich gehe morgens Brötchen holen. Vor der Tür macht ein Nachbar Dehnübungen, das ist der Nachbar, den ich ausschließlich beim Sport sehe, es gibt ihn in keiner anderen Erscheinungsform, das nervt mich schon seit Monaten erheblich, wie aufdringlich kann man so etwas ausleben. Er hat einen bunten, wie nennt man das, Ganzkörperturnanzug an, und er verbiegt sich dermaßen demonstrativ, dass es mich selbstverständlich provoziert. Wofür hält der sich, Elasto-Man oder was, kann er das nicht in seiner Wohnung machen, muss er hier so angeberisch Gummigelenke vorführen, was soll das, das finde ich unerträglich. Und ich trete ihm von hinten in die Kniekehle, dass er auf den Boden schlägt wie ein nasser Sack, der aus einem der oberen Stockwerke fiel. So ist es besser, denke ich, so ist es besser, und ich steige über ihn rüber und gehe weiter zum Bäcker, ohne mich um sein Winseln zu kümmern. Irgendwo blutet er. Aber sicher kann er sich prima verarzten, er kommt ja überall an.

Es ist eine Minute nach sieben, als ich beim Bäcker ankomme. Sie haben noch nicht geöffnet, ich rüttele an der Tür. Ich lese die Öffnungszeiten auf dem Schild im Fenster nach, es muss alles seine Ordnung haben, bloß keine Fehler machen. Sie machen um sieben auf, so steht es da. Regel ist Regel, denke ich und werfe die Glastür mit dem großen Stein ein, der den Sonnenschirmständer draußen beschwert. Ich habe auch nicht ewig Zeit. Ich brauche Brötchen, ich brauche sie jetzt und Öffnungszeiten sind verbindlich. Das Glas zerkracht und splittert, die Verkäuferin, die gerade noch Brot eingeräumt hat, geht hinter dem Verkaufstresen in Deckung. Ich gehe rein, die Scherben knirschen unter meinen Schuhen. „Hier muss mal gefegt werden, Fräulein“, sage ich, „aber erst einmal vier Vollkornbrötchen für mich.“

Okay, Spaß beiseite.

Filmidee: Zwei Jahre nach Beginn der Pandemie fand man heraus, dass Long-Covid auf Dauer gar nicht das größte Problem sein würde. Das größere Übel war vielmehr die deutliche Aggressionssteigerung bei männlichen Infizierten, die erst mit großer Verzögerung nach den akuten Symptomen auftrat, aber allmählich nicht mehr übersehen und überhört werden konnte. Die Betroffenen wurden reizbar und aggressiv gegen andere Männern, sie entwickelten ein kaum noch zu beherrschendes Bedürfnis, Affekten ungefiltert nachzugeben und sie auch körperlich auszuagieren. Die Instabilität der Gesellschaft nahm rasant zu, wobei es aber keine revolutionären Tendenzen gab, denn jeder war gegen jeden. Es gab keine Zusammenrottungen, keine Verbünde. Es wurde zunächst positiv bewertet, dass weltweit keine Kriege mehr möglich waren, weil sich zu wenig Soldaten noch an Befehle hielten, es wurde aber bald klar, dass sie dennoch weiter mit den Waffen in der Hand durch den Alltag gingen, was zu enormen, ungeahnten Problemen führte.

Ein Graffiti-Text: "Mehr Rap über Hass"

Gut, bis dahin. Aber wie enden? Eine feministische Richtung einschlagen, die Männer an sich selbst und ihrer Gewaltneigung zugrunde gehen lassen, dann ein neuer und friedlicher Anfang mit den wenigen Sympathen, die nicht infiziert waren … Hm.

Vielleicht eine deutlich schrägere Variante, die Gesellschaft kann nur noch mit Männern funktionieren, die jederzeit ein Elektrohalsband tragen und von ihren Frauchen eng kontrolliert werden, bei Fuß, Kevin! Geh von dem anderen Mann da weg!

Ich muss nachdenken. Das ist noch nicht reif, ich muss das noch weiter ausarbeiten. Das muss realistischer werden, ich muss da noch einmal ran.

Also wenn die Herzdame mich lässt.

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