Der Mensch ist ein geselliges Wesen mit Rädern dran

Sonntag, Saisoneröffnung. Ich war das erste Mal im Garten und bin von da aus zu Fuß nach Hause gegangen. Etwa eine Stunde Weg ist das, eher noch etwas mehr. Im Garten die Schneeglöckchen und jetzt auch die Krokusse, einige wenige Blüten sind schon offen und leuchten in intensivem Lila. Die Fäden in den Blüten ein kräftiges Orange. In anderen Gärten sind es schon mehr Blümchen, da wimmelt es seit Tagen von Farbtupfern auf dem Rasen. Spaziergänger bleiben stehen und zeigen darauf, machen Fotos. Es gibt bei uns im Garten einen Mangel an geschützten sonnigen Stellen, wir haben einen Windgarten, eine Sturmeinfallschneise, da fehlen immer ein, zwei Grad. Das macht tatsächlich etwas aus und ist nur bei Hitzewellen nett, dann allerdings sehr. Dennoch sehen wir auch bei uns überall das frühe Austreiben, die grünen Spitzen in jedem Beet, wie energisch das alles emporbricht, durch das welke Laub, durch die toten Staudenstängel, das wird alles beiseitegeschoben von der nächsten Saison, demnächst in diesem Theater.

An der Kornelkirsche die Knospen, sie sind so kurz davor, so dermaßen kurz davor sind sie, man möchte daneben stehenbleiben und zusehen, es muss doch gleich so weit sein, denkt man, in der nächsten Stunde vielleicht schon, wenn nicht sogar jetzt. Am Flieder sind auch schon die prallen, dicken Knospen und guck mal, an der Blutjohannisbeere auch und an diesem Busch da, was für einer war das denn noch und wann haben wir den gepflanzt. Am Ende wird, wir kennen das schon, das Stachelbeerenquartett, dem man heute noch gar nichts ansieht, wieder über Nacht alle überholen, als sei das die leichteste Übung. So geht es manchmal zu mit den Unscheinbaren, den Kleinen, den Introvertierten, den Stacheligen. Ich mag Stachelbeeren sehr, ein unterschätztes Obst.

Ich stehe vor den Knospen und freue mich, obwohl sie vermutlich zu früh sind, der Klimawandel, die Klimakatastrophe, alles verschiebt sich, das ist nicht gut, das weiß man. Der phänologische Kalender ist längst verrutscht, und wie der verrutscht ist, um vier Wochen mittlerweile im Schnitt oder so, ich müsste es noch einmal nachlesen. Der Herbst wird länger, der Winter wird kürzer, der Frühling kommt früher, der Früherling, wir müssen ihn umtaufen. Noch aber sind wir im Vorfrühling (Schneeglöckchen), dann kommt der Erstfrühling (Forsythie), dann der Vollfrühling (Flieder und Apfel). Februar jedenfalls, die Älteren erinnern sich – eigentlich ist das kein Frühlingsmonat.

In Hamburg gab es in diesem Winter bisher keinen einzigen Wintertag, der den Namen verdient gehabt hätte. Es gab nur ein durchgehendes Grau von November bis jetzt, das erklärt auch bei manchen die Stimmung. Nein, kein einziger schöner Wintertag war dabei, kein Raureifzauber, keine Schneepracht, keine Ruhe der Eislandschaft, null, nada. In den letzten Wochen fiel dafür so viel Regen, dass einige Parzellen in der Kolonie komplett abgesoffen sind und das Holz der Zäune, Lauben und Hochbeete wegrottet und verpilzt, wo man nur hinsieht. Das ist dann jetzt der Winter in der norddeutschen Großstadt, eine geschlossen graue Wolkendecke von Herbst bis April und jeden Tag eine Sturmflutwarnung, eine Orkanwarnung oder eine Starkregenwarnung, man sieht schon nicht mehr hin. Am Donnerstag der nächste Sturm, der ist schon eingebucht. Es kommt auch nicht mehr darauf an, was nicht fest ist, das wurde längst fortgeweht.

Im Umland sah es zwischendurch etwas besser aus, ich bekam es gelegentlich auf Instagram mit, manchmal so weiße Bilder, Winterpostkarten, ganz hübsch und immerhin. Das war gar nicht weit von hier, 15 Minuten mit dem Auto. Aber bis in die Stadt reichte es nie.

Egal. Heute die Sonne, heute raus, eine Stimmung wie beim Osterspaziergang, auch mal wieder Goethe lesen, nein, deklamieren. Die Menschen treten aus den Häusern und eilen in die Parks und auf die Grünflächen, man zeigt auf Krokusse, man macht nach alter Regel alberne Krokuspluralwitze, hält sein Gesicht in die Sonne, sagt „Ah!“ und bastelt am Vitamin D. Die nächste Tablette vielleicht doch mal weglassen.

Ich gehe durch einen langgezogenen Park, überall tummeln sich Familien mit Kindern. Und die Kinder haben, es wirkt fast schon herbeiinszeniert, alle irgendwas mit Rollen dran dabei, die fahren Inliner, Skateboard, Roller, Dreirad, Hoverboard und wer weiß was noch alles, wie heißen denn diese Dinger überhaupt, die nur ein Rad haben? Ich weiß es gar nicht, ich bin vermutlich zu alt dafür. Große Kinder, kleine Kinder, alle fahren irgendwas, sogar ganz kleine Kinder, die noch bunte Schneeanzüge tragen, da stürzen sie weich. Eltern dabei, drum herum und hinterher, die fahren in vielen Fällen auch was, diese Eltern, denn der Mensch ist ein geselliges Wesen mit Rädern dran, zumindest sieht es hier eindeutig so aus. Hingefallene Kinder, tröstende Eltern, hingefallene Eltern, lachende Kinder, es ist alles dabei und ich gehe altmodisch und stockkonservativ dadurch, einfach so, zu Fuß. „Wer ein richtiger Konservativer ist, der ist es auch in kleinen Dingen.“ (Fontane, aus Irrungen, Wirrungen.)

Zwei kleine Mädchen rollen mir auf rosafarbenen Rollern mit Glitzer in den Weg. „Lasst mich durch“, sage ich, „Ich bin Brauchtumsblogger, ich muss das alles aufschreiben.“ Da gucken sie aber.

Ich komme zu Hause an und denke überrascht, das hat gar nicht gereicht. Ich gehe noch weiter und weiter, ich gehe durch die halbe Stadt und ich müsste lange nachdenken, wann das zuletzt passiert ist, dass ich einmal ein Gefühl von Energie hatte, es fühlt sich ausgesprochen seltsam an.

Der Frühling ist zu früh, aber immer ist er recht, da kann man nichts machen. Wir sind nun einmal so.

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Einfach zahlen und gehen

Ich mache Ihnen Musik an, Moment – Declan O‘Rourke.

Der Song hat allerdings mit dem Text nichts zu tun, der ist mir nur so zugelaufen.

Eine furchtbar langweilige Woche war das, jahreszeitlich bedingt, pandemiebedingt, seelisch bedingt, was auch immer. Langeweile kenne ich eigentlich gar nicht, das passiert mir selten, man kann ja immer über irgendwas schreiben und schon ist man wundersam beschäftigt, also als Autor jedenfalls. Aber manchmal erwischt es auch mich. Die Gedanken waren allzu schwarz, um sie für die Öffentlichkeit zu notieren. Das Wetter war zu nassgrau, um es schon wieder zu beschreiben. Der Februar war und ist noch zu lang, um sein Ende launig herbeizutexten. Da draußen war alles zu sehr wie immer, um noch Geschichten darin zu entdecken. Neu waren nur die Valentinstagherzen in den Schaufenstern und die Pralinenschachteln mit den Liebesbotschaften in schnörkeliger Schreibschrift beim Discounter, aber wie abgeschmackt ist das denn. Die Preise für Blumen steigen, so stand es schon wieder in den Nachrichten, die auch nur aus Wiederholungen bestanden. Die Preise für alles steigen, dachte ich an der Discounterkasse, aber auch dieses Problem: Längst ist es zu bekannt, zu abgelutscht, zu öde, zu mitgeteilt. Einfach zahlen und gehen, was soll man machen.

Die Arbeit und der Alltag waren zu gleichförmig, das war mir nicht recht, aber aufregend hätten sie natürlich auch nicht sein dürfen. Nein, es war nicht möglich, mir in dieser Woche zu Gefallen zu sein, ich sah es ein und nahm nicht übel. Oder wenigstens nicht sehr. Oder zumindest nicht mehr als sonst.

Das Lernen mit den Söhnen war zu nervtötend, ich bekomme mittlerweile Brechreiz bei Grammatikfragen. Ich kriege unsinnige Hasswallungen bei Heideggerzitaten auf Philosophiearbeitsblättern, wer tut denn bitte Achtklässlern Heidegger an, geht’s noch, wie sollen sie das Fach jemals mögen. Ich sah Seneca-Sätze als Nebenbei-Memento Mori, es war alles nicht gerade belebend oder erbaulich. Ich übte das Past Progressive und das Simple Past, ich sagte Regeln und Beispiele auf, we were learning English when sudddenly …

Ich sagte zum Sohn: „Du hörst gar nicht zu“, der Sohn sagte überrascht: „Sprichst du mit mir?“

Nein. Ich stehe im Kinderzimmer und sage Sätze aus der englischen Grammatik einfach so für mich auf, warum auch nicht. Des Wahnsinns fette Beute.

Ich schicke die Söhne jeden Morgen zur Infektionslotterie, ich mache jeden Morgen das Home-Office an, das ist gerade so die Gegenwart, und das ist irgendwie auch alles, jedenfalls in dieser Stimmung.

Kennen Sie Wakefield, die Geschichte von Hawthorne? Eine interessante Sache, weil den Herrn Hawthorne bei diesem Text plötzlich die Moderne überkommen hat wie andere der Heilige Geist, die Idee passt nicht recht zu seinem sonstigen Werk und auch nicht in die Zeit, sie scheint da nicht hinzugehören. Wenn Sie der Geschichte habhaft werden können – sie lohnt sich. Ein Mann verlässt darin ohne erklärten oder erkennbaren Grund sein Leben, seine Frau, seine Wohnung, nimmt sich eine Ecke weiter ein Zimmer und beobachtet dann zwanzig Jahre lang heimlich von da aus die Reste seines alten Lebens, also das Altern der Frau, wie sich die Gegend verändert etc. Nach zwanzig Jahren kehrt er zurück und lebt – wiederum ohne Erklärung – als liebender Gatte weiter, wie es im Text heißt.

Es gibt einen zentralen Satz in der Story, er wird auch in der Wikipedia zitiert: „Amid the seeming confusion of our mysterious world, individuals are so nicely adjusted to a system, and systems to one another, and to a whole, that, by stepping aside for a moment, a man exposes himself to a fearful risk of losing his place forever. Like Wakefield, he may become, as it were, the Outcast of the Universe.“

In dieser Woche hätte ich meinen Platz auch gerne verlassen, das wollte ich nur eben sagen. Mir hätten allerdings zwei oder sagen wir meinetwegen zwanzig Stunden gereicht, zwanzig Jahre finde ich doch stark übertrieben. Alles mit Maß und Ziel, wie mein Vater sagte, ich werde das noch öfter zitieren, glaube ich.

Ich mache das Radio an, das Radio sagt „Brauchtumszone“. Ich mache das Radio aus und ich frage mich, wie schlimm alles noch werden wird. Brauchtumszone, Brauchtumszone, ich komme über das Wort gar nicht weg, über den Inhalt schon gar nicht. Brauchtumszone, wie furchtbar klingt das denn, wo sind wir denn gelandet.

Der Raum, den ich bewohne

Ist eine Brauchtumszone

Wo immer ich auch wohn‘

Da nenn ich‘s Tradition.

In Schrebergärten, wussten Sie das, gibt es auch so einen Brauchtumsunfug. Feuer in den Gärten sind verboten – aber wenn Sie zwei Akkorde auf der Gitarre können und neben dem Feuer klampfend etwas von wilden Schwänen oder ziehenden Gänsen grölen, dann ist es Brauchtum, dann darf man das. Zum Schluss die Gitarre verbrennen, dann ist es Rock‘n Roll.

Ich gehe einkaufen, im Supermarkt gibt es jetzt etwas Neues. Einen kleinen Verschlag gibt es da, in dem mutmaßlich japanischstämmige Menschen den ganzen Tag Lachs zerschnippeln und zu sehr frischem Sushi verarbeiten. In Japan kauft und isst man es wohl so, das ist also ein Brauchtumsbüdchen, denke ich, das wird jetzt überall so eingerichtet. Zönchen und Büdchen, und da dann machen, was man immer schon gemacht hat. Na, meinetwegen.

Ich gucke mir das an, ich schreibe das auf, ich bin ein Brauchtumsblogger. Ich bestelle mir neue Visitenkarten. Immer auf der Höhe der Zeit bleiben.

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Links am Morgen

Bei der Geschichte der Gegenwart geht es um Impfungen und gesellschaftliche Entwicklungen:

Rohe Bürgerlichkeit ist der Antipode zu demokratischer Empathie, der manifeste Ausdruck roher gesellschaftlicher Verhältnisse und Ausdruck der Bereitschaft, das soziale Band mit den anderen zu kappen.

Rohe Bürgerlichkeit, das ist gut ausgedrückt, diesen Begriff vielleicht mal merken. Ich habe gerade noch einmal Michael Kohlhaas vom Kleist gelesen, bzw. mir vorlesen lassen (Reclam Hörbuch, rund vier Stunden), da kann man sich auch ganz zwanglos eine Linie durch die Jahrhunderte zu den Querdenkern von heute ausmalen. Dieser erstaunlich kurze Weg vom Rechthaben zum Plündern und Brandschatzen, zu rohen Verhältnissen, vom Zustand der zumindest gefühlten Rechtschaffenheit zu „Ich bin der Richter“, das ist gut und dort schon im Grunde ein für alle Mal geschildert. Auch diese eine Stelle, die mir früher sicher nie aufgefallen ist, in der Michael Kohlhaas seinen Kontrahenten ohne inhaltlich greifbaren Anlass auf einmal „Feind aller Christen“ nennt und „alle guten Christen“ zum Kampf gegen ihn aufruft, also schnell und radikal Begriffe verwirbelt und Bedeutungen verschiebt, Rechtfertigungen eskaliert, um sich weiter und auf immer höherer Ebene zu legitimieren … doch, das Buch ist dummerweise auch wieder interessant geworden.

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Diese Rezension klingt vielversprechend. Das also mal vormerken.

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Gesehen und gemocht: Diese Doku über Agatha Christie.

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Margarete Stokowski ist wütend. Aber wer ist es nicht.

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Ich denke, dass Demokratie eine unumgängliche Zukunft für jedes Land ist, das überleben möchte.Ein schöner und edler Satz, ich meine das ohne jede Ironie, aus einem Interview in der taz mit einer russischen Menschenrechtlerin, bei der es schon heldenhaft ist, dass es sie überhaupt noch gibt. Ich finde ihren Einsatz ausdrücklich bewundernswert. Und ich mag den zitierten Satz sehr, ich bin aber zu pessimistisch, um ihn zu teilen. Nein, ich glaube das nicht, und ich müsste Anlass zu Optimismus erst wieder entdecken. Die letzten sieben Jahre waren da nicht hilfreich.

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Es gab Thai-Hühnersuppe, etwa wie hier, nur mit Gemüse, das irritierenderweise im Rezept fehlt. So ja nun nicht! Brokkoli, Frühlingszwiebeln und Karotten lagen herum – jetzt nicht mehr. That was easy. Die Herzdame möchte das öfter haben, was vermutlich auf eine latente Koriandersucht zurückzuführen ist, denn sie behauptet bei jedem Essen, an dem drei Blättchen Koriander sind, es sei sehr, sehr gut. Na, meinetwegen. Apropos Kochen, bei der Kaltmamsell kann man etwas über Techniken der Avocadoentkernung lernen. Wird demnächst nachgespielt.

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Links am Abend

Ich habe für das Goethe-Institut wieder etwas zur Lage geschrieben – hier entlang bitte, Erinnerungen an Menschenmengen und Sessel in Cafés.

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Jochen schreibt über Bibliotheken damals, über Bibliotheken damals schreibt Jochen (das klärt sich dann schon auf, warum das da so seltsam steht). Ich erinnerte mich beim Lesen an eine kurze Phase, in der ich in der Hamburger Zentralbibliothek, damals noch an anderem Standort in der Innenstadt, im Auskunftsdienst Praktikum gemacht habe. Damals, als ich das Bibliothekswesen studiert und nebenbei gejobbt habe, was sich aber in Wahrheit eher andersherum verhielt. Ich war darin gut, fand ich, in diesem Auskunftsdienst, schon weil es mich viel mehr interessierte als die anderen Studentinnen und Studenten, die andere Aspekte des Berufs wesentlich anziehender fanden und die Fragen der manchmal auch als lästig empfundenen Besucherinnen eher nicht. Ich aber war auf dieses Suchen und Finden geradezu scharf, das Wort passt schon. Es gab Momente, da kamen Kundinnen auf mich zu, stellten eine Frage und ich ahnte schon, noch während sie im ersten Halbsatz waren, dass ich da gleich helfen können würde, weil ich wusste, dass in dieser riesigen Bibliothek, in diesem einen Regal da im anderen Stockwerk, in der unteren Reihe, etwas stand, das dann auf etwas verweisen würde, in dem dann stand, wo man … ich fand das ungeheuer aufregend. Man muss sich das viel körperlicher als heute vorstellen, man lief über Treppen und durch Gänge von einer Fundstelle zur anderen, es war Bewegung darin, man telefonierte vielleicht auch, man sprach mit Leuten, man bückte sich an Regalen und blätterte und schob Bücher. Und ich denke heute noch manchmal, dass diese Stunden beruflich recht gute Momente waren. Ich bin dann später woanders abgebogen, was den Job betrifft, und richtig war das nicht, wie ich Jahrzehnte später erst ernüchtert festgestellt habe. Na, man macht Fehler und man muss sich auch verzeihen können.

(Der Autor beendet den Absatz, sieht mit gnadenlos kaltem Blick auf die geschriebenen Zeilen und murmelt etwas von „Gott verzeiht mir vielleicht, ich aber nicht …“)

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Die Monatsnotiz von Nicola zum Januar. Immer interessant, besonders für den Freundeskreis Podcast.

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Auch gemocht und ein wenig nicht unangenehmen Neid dabei verspürt: Ankes Video-Erzählung. Hier Teil II. Ich könnte mich auf das Filmen nicht einlassen, es würde mich mit großer Sicherheit mit Haut und Haaren auffressen. Es war mit der Fotografie schon knapp bei mir, es wäre auch mit dem mich fast noch mehr anziehenden Zeichnen ziemlich sicher so. Ich habe da ein Engagement-Problem der drolligen und etwas überkandidelten Art. Nein, vor der Rente geht das alles nicht, nur Schreiben, um Himmels willen nur schreiben. Und dann mal sehen. Später. Na, nur noch zehn Jahre.

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Gegessen, quasi als neue Rubrik, ich wollte ja mehr Rezepte festhalten und öfter auf Foodblogs verweisen. Wobei das Blog hinter dem folgenden Link übrigens gerade so oft vorkommt, weil ich etliche Rezepte daraus abgespeichert habe und Sachen gerne systematisch abarbeite: Kabeljau mit Senfsauce und Möhrenstampf. Wieder mochten es immerhin drei von vier im Haushalt, also: Stattgegeben. Und ich bin zwar kein Feinschmecker und werde auch in diesem Leben gewiss keiner mehr, aber mein Dijon-Senf war doch zu billig, das schmeckte man raus, möchte ich meinen. So eine kaum spürbare, aber mich doch deutlich irritierende metallische Note. Da mal bald mehr investieren! Obwohl es sonst keiner bemerkt hat, unter den noch größeren Banausen hier.

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Ein Link am Nachmittag

Gesehen: Meine Mutter, der Krieg und ich. „Und so hab ich mir auch eingebildet gehabt, dass meine Tamara wird Schönheit.“ Das habe ich sehr gemocht, sowohl den Tonfall als auch die Kameraführung und den Schnitt, schön ruhig war das alles. Also, das habe ich ausgesprochen gerne gesehen. Aber es ist andererseits auch ungeheuer vorhersehbar, was, verstehen Sie mich bitte nicht falsch, gar kein Nachteil sein muss, wirklich nicht. Es ist so vorhersehbar, dass es sich bei einigen Szenen fast wie ein Déjà-Vu anfühlt, etwa wenn sie den alten Herrn besuchen und er so durch sein Wohnzimmer tapert, unbeholfenen Schrittes, wie er erst allmählich vor den Gästen auftaut, dann doch einmal zaghaft lächelt – oder wie sie da mit dem Kamerateam vor den Häusern stehen und nicht recht wissen, kommen sie da rein, kommen sie da nicht rein, ist es das Haus links, ist es vielleicht doch das Haus rechts, wie sie dann in der Szene darauf nach einem Schnitt schon bei Tee oder Kaffee sitzen, wie der alte, der uralte Mensch unsicher in vergilbten Fotos wühlt, zitternde Finger, Schwarzweißdamalsfiguren, Fragezeichen an den Erinnerungen … wie gesagt, ich mag das und ich kenne das gut auch aus manchen anderen Filmen, etwa über Besuche in Ostpreußen oder Siebenbürgen, über ähnliche Versuchsanordnungen im Baltikum, und es gab auch einmal so etwas mit Sibirien, es gab vieles in dieser Art. Ich sehe gar nicht oft Dokus, aber offensichtlich zieht mich das Thema an, das kann ich wohl ableiten, dieser seltsame Schmerz, dass etwas war und nicht mehr ist.

Wäre ich Filmemacher, ich würde es einmal umdrehen. Ich würde die suchende Hauptfigur in die Fremde fahren lassen, in die völlige Fremde, in eine Gegend, in der sie gewiss noch nie war, in der auch ihre sämtlichen Vorfahren sicher nicht waren, also so sicher, wie man eben nur sein kann, zu der sie also nicht den allergeringsten Bezug hat – aber alles würde so ablaufen wie bei den Herkunftsbesuchsfilmen. Das Bedeutungsschwere auf das Fremde verlagern, nicht auf das Erinnerbare. Vage Landschaftsbilder, und aus dem Begleittext geht dann immer wieder hervor, dass es keine Verbindung gibt, nicht die Geringste. Ein Gang über den Friedhof bei der Kirche, Grabsteine werden freigekratzt vom Moos der Jahrhunderte, Namen werden murmelnd vorgelesen, und keinen hat die Hauptfigur je im Leben gehört, keinen einzigen, wie fremd die alle klingen, wie seltsam. Dann natürlich die obligatorische Hausszene, sie stehen vor dieser etwas arm wirkenden Hütte, sie klopfen, sie erhalten nach etwas Hin und Her Einlass von einem Menschen, und so alt, so uralt ist der, da sieht man schon, noch einmal besuchen sie den sicher nicht, den gibt es bald nicht mehr. Schnitt.

Sie sitzen an dem obligatorischen Küchentisch mit der Wachstuchtischdecke, benutztes Geschirr ist in der Spüle aufgestapelt, die Unordnung im Rest der Wohnung ahnt man, der Schmuddel der Greisenwohnung, die Ablagerungen der vielen Jahre. Familienbilder werden aus einem großen Schrank geholt, langsam werden sie ausgebreitet und die Muhme sagt lächelnd: „Da bist du nirgendwo drauf.“ Die Hauptfigur erwidert nachdenklich, in dem sie auf ein Gruppenbild zeigt: „Nein. Und ich bin mit keinem von denen verwandt. Auch nicht mit dem, trotz der Ähnlichkeit.“

Sie nimmt ein anderes Bild in die Hand, sieht es genauer an und sagt dann, während sie das Foto zurücklegt: „Und mit denen auch nicht.“ Kopfschütteln bei beiden. Das nachdenkliche Nicken der Hauptfigur dabei, er oder sie sieht die Gesichter auf den vergilbten Fotos an, die ihm alle nichts sagen, gar nichts, das aber deutlich und mit einigem Nachdruck, alles ist fremd, so dermaßen fremd. Schnitt.

Es wird jemand kennengelernt, der Pastor des Ortes vielleicht, natürlich wie zufällig, im Vorbeigehen, an einem Gartenzaun etwa, er schneidet gerade Rosen oder erntet Radieschen, er grüßt freundlich. Er ist Hobbyhistoriker, natürlich ist er das, er weiß auch, wo im Kirchenbüro die alten Chroniken liegen, kaum noch sind sie zu entziffern. Er erzählt dem Filmteam also – Küchentisch, Kaffee oder Tee – von dem Ort und von den Geschichten, er erzählt von all den Familien, die zu den Geschichten und Familien der Hauptfigur keinen Bezug haben, die weit, weit weg von ihm sind und dazwischen immer wieder die Landschaft, die Wege. Als leerer Möglichkeitsraum wird das alles filmisch nur angedeutet, Ortsschilder und Feldwege im Ungefähren. Alles könnte da sein, das ahnt man, denn es gibt keine erinnerbare Bedeutung, es gibt nur Möglichkeiten, und zöge die Hauptfigur dort morgen hin, sie könnte vollkommen neu anfangen. Mit allem. Das wird nicht gesagt, aber man weiß es doch. Eine Erwähnung wie nebenbei vor einem Haus, es ist nur eine Sekundenszene, leicht bekommt man sie nicht mit. Das Haus da kann man mieten, das ist gar nicht teuer, ein Schild im Fenster, eine Bemerkung, „So wenig, wirklich?“, dann ist der Moment schon vorbei und die Hauptfigur, versteht sich, sieht einmal über die Schulter zurück zu dem Haus, das nachdenkliche Gesicht.

Die Hauptfigur geht dann noch weiter und etwas ziellos wirkend durch die Gegend und denkt im laut geführten Selbstgespräch über das Fremdsein nach, gute Gedanken hat sie, man möchte sie fast mitschreiben, so gut sind sie, sie scheinen uns alle zu betreffen und auf eine subtile Art wichtig auch für unser Leben zu sein. Der Pastor begleitet die sprechende Figur auf einmal, zuerst nur ab und zu, dann dauerhaft. Man versteht sich gut, man redet viel, man kommt sich näher, der Pastor ist aber auch ein Sympath der besonderen Art, das wird immer deutlicher, und das merken wir auch als Zuschauer.

Bei der Abreise wird schließlich und erwartbar deutlich, dass es zum Pastor nun eine fast freundschaftliche Beziehung gibt, das fiel in den letzten zwanzig Minuten so nach und nach erst auf, und dass also das Fremdsein an diesem Ort damit für immer verloren ist, dass es unrettbar von diesem Dorf und seinen Menschen losgelöst wurde, dass kein Zurück dorthin mehr möglich ist.

Bedauernde Blicke im Rückspiegel, als das Filmteam abreist: „Da kenne ich jetzt jemanden.“ Schlussgedanken über die ernüchternde Unmöglichkeit des Fremdseins in dieser Welt, übe diesen seltsamen Schmerz, dass wieder etwas vertraut geworden ist. Abspann.

So ein Film würde mir auch gefallen, glaube ich.

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Eine Dankespostkarte

Rückseite

Ich habe – wiederum dezent verspätet, pardon! – herzlich zu danken für die überaus freundliche Zusendung von Gründüngung fürs Kartoffelbeet, die hat im Garten tatsächlich gefehlt und wird auch Bienen Spaß machen. Es gab außerdem das Kartenspiel Elfer raus, wobei es eine kleine und irritierende Merkwürdigkeit gibt, vielleicht kann das mal jemand aus meiner Generation kommentieren, ich erinnere mich nämlich deutlich an ganz ähnliche Spielkarten aus meiner Kindheit, aber nicht einmal ansatzweise an das Spiel an sich. Gab es da denn etwas anderes, das auch so aussah? Ich denke schon seit Tagen darüber nach. Und es gab schließlich noch die Briefe von Flaubert, ein schöner Band mit dem anziehenden Titel „Ich schreibe gerade eine kleine Albernheit.“

Vorderseite

Eine ausgesprochen bildarme Woche war das, ich erwähnte es bereits. Der Bildschirm des Home-Office-Computers, der Bildschirm des Privatnotebooks, der Blick aus dem Dachfenster auf dauergrauen Himmel, zwischendurch nur kurz die gleichen Läden wie immer, die Küche, der Wäschekeller, der Staubsauger, die Französischvokabeln von Sohn II, der Satz des Pythagoras bei Sohn I, Schulbuchseiten, was nehme ich da bloß?

Ich zeige Ihnen am besten eine kurze, eine sehr kurze Bewegtbildsequenz, eine kleine Drehung des Autors ist es, eine halbe sogar nur, wenn man es genau nimmt. Sie müssen entschuldigen, es gab sonst einfach nichts zu sehen und Sie stellen sich bitte einmal vor, wie ich im Discounter stehe, vor dem Regal mit den Keksen. Kekse, die ich nicht unbedingt für mich kaufe, eher für die Söhne, aber egal, es liegen daneben auch die Schokorosinen, für die ich eine etwas unselige Schwäche habe und die bei mir zu einer staunenswerten Unbeherrschtheit führen. Die Sequenz fängt also mit diesem kurzen Moment an, in dem ich dort stehe, eine Hand im Regal. Ich greife gerade nach dem wie auch immer heißenden Prinzenrollenverschnitt der Discounterkette, so etwas eignet sich gut für Autofahrten. Es steht keine Autofahrt an, weit und breit nicht, aber so etwas denkt man dann dennoch, also ich jedenfalls, immer auch Vorräte kaufen, der Mensch als Hamster und Versorger. Mein Handy klingelt in dieser Sekunde. Es ist ein Arzt und es wird, ich ahne das, um gewisse Werte gehen. Das ist etwas ärgerlich, weil ich erstens eh nicht gerne telefoniere, zweitens schon gar nicht gerne mit Maske und drittens ganz sicher nicht im Discounter, zwischen etlichen anderen Menschen.

Aber was soll ich machen, wenn ich das Gespräch jetzt wegdrücke, dann erreiche ich die Praxis oder den Arzt vielleicht wieder tagelang nicht oder es passt dann sogar noch schlechter, was weiß ich, also gehe ich doch lieber ran. Ich versuche, möglichst leise zu sprechen, was natürlich kaum gelingt, da dann niemand etwas versteht, mit dieser FFP2-Maske vor dem Mund und mit all den Umgebungsgeräuschen. Ich nuschele Existenzbestätigendes, ja, ich bin es wirklich, ich verifiziere mich durch meinen Geburtstag, die Umstehenden gucken prüfend, ob ich tatsächlich so alt aussehe, wie ich wohl bin. Ich frage „Was?“ und der Arzt fragt das auch, denn wir verstehen beide wenig oder nichts. Er sagt „Ernährung“, er sagt auch „Fett und Kohlenhydrate“, so viel verstehe ich, und ich lege die Kekspackung schuldbewusst zurück, drehe mich nahezu elegant um und stehe, dieser Discounter ist etwas seltsam angeordnet, jetzt direkt vor Gurken, Tomaten, Salat und Paprika. Ich greife nach einem Eisbergsalat und halte ihn in der Hand, so wie gewisse Schauspieler etwas ganz anderes bei einem gewissen Shakespeare-Monolog in der Hand halten. Ich sage ja, das könne ich selbstverständlich umstellen, sicher könne ich das, das sei hier keine Frage. Und ja, wir gucken dann gerne noch einmal in drei Monaten, wir machen dann wieder einen Termin, sicher doch.

Es war nur eine schnelle halbe Drehung. Man bekommt sie oft nicht recht mit, die Schlenker, die Manöver, die Kurven, die Tricks, die Selbstüberlistungen und die Schubse der anderen, die kleinen Bewegungen – aber manchmal eben doch.

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Links am Abend

Die Woche war, wie auch die letzte schon, ungewöhnlich anstrengend. In der Regel finde ich es gut, mehrere Berufe zu haben, wenn aber beide exakt gleichzeitig kompliziert werden und auch noch im Privaten ungewöhnlich viel Konzentration verlangt ist, wird es doch schwierig und ich habe jetzt Muskelkater im Hirn. Normale Texte hier wieder ab Morgen, so in etwa jedenfalls, bloß nicht zu viel versprechen. Eine Dankespostkarte fehlt, die mal zuerst schreiben. Bis dahin gibt es noch ein paar Links.

„Ein Nachteil der dekadenlangen Pandemie ist nämlich, dass man ja nicht mehr krank wird. Also so viral oder bakteriell bedingt. Innen ist in Monat 24 alles kaputt. Aber außen fühle ich mich fast jungfräulich.“

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Was mich davor bewahrt, eine Neurotikerin von Woody-Allen’schen Ausmaßen zu werden, ist meine gleichzeitig sehr starke Impulsivität. Die allerdings unterm Strich dazu führt, dass die vielen Stimmen impulsive Entscheidungen und Handlungen in Nachhinein umherwälzen und durchleuchten, Resultat ist meist Peinlichkeit und Scham. Vielleicht habe ich damit erklärt, warum ich so ungern existiere, warum es bis zum Lebensüberdruss anstrengend ist, ich zu sein?“

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Kondomkauf in Georgien. (Audio, 9 Minuten, gefunden via Frau Nora auf Twitter.

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Wut auf Häuserwänden – feministische Botschaften in französischen Städten.

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Von dem gerade verstorbenen Dieter Mann (hier ein Nachruf) gibt es übrigens eine hervorragende Aufnahme des Romans Professor Unrat von Heinrich Mann, die habe ich im letzten Jahr mit großer Begeisterung gehört und mache es sicher auch noch einmal.

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Etwas Nachdenken über Dislike-Buttons.

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Das kleine Bahnhofsviertel im Fernsehen, der NDR berichtet über ein Haus, an dem ich jeden Tag vorbeigehe. Sohn I hat gerade Gentrification in der Schule, sie arbeiten da mit Beispielen aus New York. Sie könnten auch um den Block gehen.

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Ein gewisser Miles Davis soll es Boris Vian gesteckt haben: dass es da eine Frau gab, eine Deutsche, die es fertigbrachte, gar keine und gleichzeitig eine ganz große Stimme zu haben.Fünf Minuten (Audio) zum zwanzigsten Todestag der Knef.

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Ich habe seit ein paar Tagen ein höchst ungewöhnliches Gefühl, ich habe Lust auf Live-Musik. Was man nach zwei Jahren Pandemie alles empfindet, es ist unergründlich und abgründig. Aber jedenfalls so vor Leuten stehen, die auf der Bühne Spaß haben – im Moment stelle ich es mir schön vor. Die Frau Holofernes brachte mich drauf, sie hatte das hier irgendwo verlinkt.

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Jake Xerxes Fussell kennen Sie vielleicht, wenn Sie ab und zu Folk hören? Hier ein Stück über sein neues Album „Good and green again“, Audio 11 Minuten.

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Genug Musik, nur ein Stück noch, ich sitze im Home-Office und höre mich in fast manischer Manier und Gründlichkeit durch die Geschichte des Blues, die Gattung ist pandemisch auch nicht ganz unpassend. Aber das geht Sie selbstverständlich gar nichts an, denn it ain’t nonody’s businesss if I do.

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Kurz noch zur Küche. Es gab gebratene Nudeln Sweet-Chili-Style, etwa so, ergänzt um Pak-Choi, Salat und eine Handvoll Röstzwiebeln. Das habe ich von einem Asiarestaurant hier um die Ecke gelernt, was alles besser schmeckt, wenn man etwas frischen Salat und ein paar Röstzwiebeln drüberstreut. That was easy! Drei von vier in dieser Familie fanden es sehr gut, die Quote ist für mich okay. Was gab es noch? Ich schreib Ihnen das ab und zu mal auf, manche mögen ja solche Anregungen: Diesen Bauerntopf mit Paprika und Hack, auf den die Söhne ab und zu bestehen, weil sie ihn so gerne mögen.

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Links am Abend

Manchmal wundere ich mich ein bisschen, dass wir alle noch morgens aufstehen, uns anziehen, und Büro spielen. Es ist das oder durchdrehen, wahrscheinlich.

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Das Wort „Durchseuchung“ ist ekelhaft, aber gut, wir machen jetzt mit.

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Über die Autobiographie von Heinz Rudolf Kunze: „Junge, das klang wie da­mals, als wir angegriffen haben.“

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Ofenlachs mit Spinat gegessen, etwa so. Die Pinienkerne waren gewissen Familienmitgliedern verdächtig, sonst kam es gut an. Wieder gedacht: Spinat ist überhaupt sehr gut. Völlig unterschätztes Gemüse.

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Zum Anglizismus des Jahres:

Das Verb boostern füllt also eine Lücke im deutschen Wortschatz und ermöglicht so eine knappe und präzise Ausdrucksweise, und es fügt sich nahtlos ins grammatische System des Deutschen ein. Wie die Impfung selbst ist es damit eine echte Bereicherung.

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Johannes Franzen über Spotify, Neil Young und rechte Podcasts:

Macht wird erzeugt durch Sichtbarkeit, durch die Akkumulation von Aufmerksamkeit als Ressource: Follower, Klicks, Zuschauer, Abonennt*innen etc. bilden soziales Kapital als Massenwährung, die nicht mehr darauf beruht, wen man kennt, sondern wie viele. Und Joe Rogan hat mit seinem DIY Podcast eine ungeheure Menge davon zusammengeschleppt. Die Sendung hat angeblich 11 Millionen Hörer pro Folge und gesendet wird mehrmals die Woche. Damit ist er, wie es in einem Porträt der New York Times hieß, “eines der am meisten konsumierten Medienprodukte der Welt – mit der Macht, Geschmäcker, Politik und medizinische Entscheidungen zu beeinflussen.

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Eine ausgestoßene Figur ohne Hoffnung

Ich höre Kafka, Das Schloss, gelesen von Sven Regener. Ich denke viel über den Text nach, zum einen, weil er dazu ungemein einlädt, zum anderen, weil ich mich dauernd frage, was nun genau die besonders markante Stimme von Sven Regener dabei ausmacht. Ich höre das Hörbuch, als ich aus dem Haus gehe, als ich die Straße entlang gehe, als ich beim Theater vorbeigehe. Es läuft eine Leuchtschrift über der Tür dort, die zeigt an, was demnächst in diesem Theater kommt. Es kommt „Das Schloss“, von Franz Kafka. Ich finde das ein klein wenig unheimlich. Ich gehe durch die Stadt, ich höre weiter diesen Romanentwurf. Es geht gerade um die beiden Gehilfen des Landvermessers K., um zwei eher unnütze Gestalten, die er nicht als Gehilfen gewollt hat, die auch keine Hilfe sind, in keiner Beziehung. Die nicht auseinanderzuhalten sind, die vermutlich überhaupt nichts können und mit fortlaufendem Text plötzlich stark altern, bei denen man sich also auf gar nichts verlassen kann, nicht einmal auf ihr Alter. Alberne Figuren mit kindischen Zügen, so sind sie erst einmal gemeint, durch und durch unbrauchbar. Sie tollen über die Seiten.

Ich komme am nächsten Theater vorbei, auf den Stufen zum Haupteingang sitzen zwei junge Männer und sehen seltsam gleich aus, sie sind auch gleich angezogen. Sie hampeln herum, der eine zieht dem anderen die Kapuze über die Augen, sie lachen, sie grinsen mir zu. Albern sehen sie aus. Die Wirklichkeit ist heute wieder übergriffig, denke ich, weiß aber beim Weiterdenken nicht mehr genau, ob nicht doch eher die Literatur übergriffig ist und welche Dimensionen sich hier nun genau wie verschränken. Es ist vermutlich auch egal, aber wenn es mit den Wechselwirkungen so weitergeht, muss ich dringend andere Bücher konsumieren, heitere Familienromane vielleicht, und mit Krieg und Frieden fange ich jetzt doch noch nicht an.

Ich gehe nach Hause, ich muss arbeite, ich habe drei Texte zu schreiben, von wegen Wochenende. Ich tippe und tippe, ich drucke die Texte aus, ich lese sie noch einmal. Alles liest sich anders, wenn man es auf Papier vor sich hat. In allen drei Texten kommt Kafka vor. Das gefällt mir nicht, ich versuche, ihn wieder auszubauen. Es gelingt mir nicht, er taucht in anderen Absätzen einfach wieder auf. Ich gebe mich schließlich geschlagen.

Gucken Sie mal, ich zeige Ihnen noch eben eine Stelle aus dem Schloss (aus dem Schloß natürlich, aber die alte Schreibweise fällt allmählich doch schwer) es geht da gerade um die Beamten, die für den undurchsichtigen und unfassbar bürokratischen Apparat des Schlosses arbeiten. Beispielhaft wird einer von ihnen genauer beschrieben, der Herr Sordini ist es, in diesem Absatz geht es um seinen Arbeitsplatz:

: „… sein Zimmer ist mir so geschildert worden, dass alle Wände mit Säulen von großen, aufeinandergestapelten Aktenbündeln verdeckt sind, es sind dies nur Akten, die Sordini gerade in Arbeit hat, und da immerfort den Bündeln Akten entnommen und eingefügt werden und alles in großer Eile geschieht, stürzen diese Säulen immerfort zusammen, und gerade dieses fortwährende, kurz aufeinanderfolgende Krachen ist für Sordinis Arbeitszimmer bezeichnend geworden.“

Ist das nicht schön? Das fortwährende Krachen der zusammenstürzenden Säulen aus Aktenbündeln? Mir hat das gefallen.

Es gibt, ich habe auch das eher seltsam zufällig gefunden (wenn man übrigens das Wort kafkaesk einmal nachliest, dann findet man die schöne Information, dass es zunächst kafkisch hieß, wie großartig ist das denn), einen alten Film zum Buch, mit einem jungen Maximilian Schell, auch mit z.B. Helmut Qualtinger. Regie führte Rudolf Noelte, die Musik ist auch interessant. Den Film kann man komplett auf Youtube sehen, er ist un-fass-bar deprimierend. Er ist von geradezu erschlagender Ernsthaftigkeit und Ausweglosigkeit, wirklich fortgeschritten bedrückend. Maximilian Schell guckt tragisch, schwankt und scheitert an allem, eine ausgestoßene Figur ohne Hoffnung, es ist furchtbar. Wenn man davon eine halbe Stunde gesehen hat, ich möchte das empfehlen, kann man aber seinen eigenen Alltag immerhin wieder vergnügt zur Kenntnis nehmen, denn dagegen geht es einem doch noch gold, echtjetztmal, dagegen ist alles Ringelpiez. Hier geht es zum Film, hier ist der Wikipedia-Artikel zum Film.

Wenn Sie nur eine einzige Szene sehen wollen (es lohnt sich), springen sie zu 22:30, da beginnt Ks Besuch beim Gemeindevorsteher, er möchte dort seine Beauftragung klären. Sehr kafkisch, die Szene, keine Frage.

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Am Sonnabendmorgen frühstücke ich mit der Herzdame, während ein Sohn lange schläft und ein anderer gar nicht im Haus ist, wir sitzen also nur zu zweit und reden, dazu kommen wir ja sonst nicht. Zwischendurch steht sie plötzlich auf und besieht sich skeptisch das Frühstücksarrangement. Sie tritt ein paar Schritte zurück und blickt immer weiter nachdenklich so über alles hin – dann zieht sie den Tisch etwas nach vorne, schiebt auch ein wenig an den freien Stühlen herum, guckt sich dann wieder alles mit zusammengekniffenen Augen an. Es sei nicht alles perfekt symmetrisch gewesen, sagt sie schließlich, der Tisch habe nicht ganz ordnungsgemäß in Bezug zur Lampe gestanden, das Licht … und sie macht so eine wirbelnde Geste, die vermutlich Chaos, drohendes Tohuwabohu andeuten soll. Sie rückt den leeren Stuhl neben mir vorsichtig noch etwas weiter nach links, sie zieht auch noch einmal abschließend am Tisch, ich frage amüsiert, ob sie vielleicht auch mich noch etwas gerader rücken möchte? Sie schüttelt den Kopf und sagt ernst: „Das habe ich jetzt zwanzig Jahre lang versucht. Irgendwann gibt man auf.“

Verrückt, das kann ich daraus jetzt immerhin ableiten, verrückt bin ich also doch nicht.

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Die Durchseuchung der Kinder, das Alleinlassen der Lehrkräfte, Eltern und Familien, der Erzieherinnen und Erzieher, dazu die absurde Weigerung, Realität und Erkenntnis anzuerkennen, erschüttert mein Vertrauen in unsere Gesellschaft und unseren Staat in den Grundfesten. Das ist auf Jahre irreparabel.

Was, bitte, ist das für ein heilsamer Präsenzunterricht, in dem die halbe Klasse fehlt – und zugleich das Lehrpersonal? Was ist das für eine Schule, in der jedes Kind über kurz oder lang mit einem Virus infiziert wird, von dem wir nicht wissen, wie hoch das Risiko für Langzeitschäden ist? Was ist das für eine Wirtschaftspolitik, die durch Beharren auf Präsenzunterricht verhindern will, dass Eltern als Arbeitskräfte ausfallen, die durch dieses Beharren aber dafür sorgt, dass ihre Arbeitskraft erst recht wegbricht, weil die Eltern sich unweigerlich bei ihren Kindern anstecken, mit dem Risiko langfristiger Leistungseinbußen? Was ist das alles für ein seltsames Theaterstück, in dem wir mit aller Kraft Normalität spielen, während um uns herum Kollegen, Mitschüler, Nachbarinnen erkranken?

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Es knirscht

Am Sonntagnachmittag sehe ich beim Kochen aus dem Fenster und runter zum Spielplatz. Es sind noch Menschen dort unten, es stehen noch Eltern an der Sandkiste, an den Schaukeln und Rutschen, sie werden wohl ihre herumtollenden Kinder in der schnell fallenden Dämmerung noch gerade eben unterscheiden können. Ich sehe auf die Uhr, es ist 17:15, bis dahin also reicht das Tageslicht schon wieder. Das sind doch Fortschritte, denke ich bemüht. Man muss sich die Pluspunkte in diesen Zeiten zusammensuchen, wo es nur geht. Beim nächsten Blick aus dem Fenster ist da unten aber schon alles gewohnt schwarz.

Es gibt Fisch mit selbstgemachter Bordelaise-Knusperkruste, etwa so. Da mir wider Erwarten das Pankomehl, bzw. auch das alternativ zu verwendende Paniermehl fehlt, zertrümmere ich kurzerhand herumstehende Salatcroutons vom Discounter in der Geschmacksrichtung Zwiebel-Knoblauch mit einer ebenso herumstehenden Dose Tomaten und verwende die Brösel, das erweist sich kurz darauf als gute Idee. Nur dass der Küchenboden jetzt beim Betreten des Raumes unangenehm knirscht, wie in einer Ferienwohnung am Strand. Ferienwohnungen! Das war damals.

Egal. Wie der Rest der Familie nach dem Essen sagt: Das Essen war viel besser als das bekannte Fertiggericht, das jetzt nur noch so machen. Okay.

Am Montagmorgen singen auf einmal entschieden mehr Vögel als in der letzten Woche vor der Haustür, ganz so, als hätten sie wie die Menschen auf einen passenden Montag gewartet, um gemeinsam mit dem nächsten Projekt zu beginnen. Ab Montag dann also Frühling 22, bitte pünktlich sein. Ich höre ihren Gesang beim obligatorischen Brötchenholen, und ich weiß, es sind nicht mehr nur die Meisen, es mischen sich jetzt andere Stimmen in den Chor. Ich erkenne die Gesänge nicht, aber es werden wohl Rotkehlchen und Zaunkönige dabei sein, von denen nämlich weiß ich, dass sie in diesen Büschen wohnen. „Ich weiß, wo du wohnst!“, rufe ich einem der Sänger zu, mit solchen Albernheiten gibt er sich allerdings nicht ab. Er singt einfach weiter, und wie schön er singt.

Auf der Speisekarte des Lokals um die Ecke aber, ich sehe es im Vorbeigehen, steht Steckrübeneintopf als Tagesgericht. Es ist noch lange Winter, auch wenn es für die Jahreszeit entschieden zu warm ist.

Am Dienstag fahre ich einen reparaturbedürftigen Rasenmäher durch die Gegend und wieder in den Garten, ich lade ihn aus und schiebe ihn in seinen Verschlag. Feiner Nieselregen, Krähen in den Bäumen, tropfende Zweige, nasser Rasen. Kein Mensch weit und breit, die Gärten liegen leer und brach. Umgestürzte Bohnenstangen, überwucherte Hochbeete, verwehte Laubhaufen. Ich finde vergessenen Rosenkohl, gerade genug für eine Person. Küchenzwiebeln treiben daneben schon aus, leuchtend grüne Spitzen unter verwelktem Mangoldlaub aus dem letzten Jahr.

Ich sammele Weidenzweige vom Rasen, die der Wind in den letzten Wochen aus dem Baum gerissen hat. Ich müsste keine Zweige sammeln, ich will hier nur einen Moment etwas machen, irgendetwas. Die Krähen sehen zu, was ich da treibe. Immer mehr und noch mehr Krähen sehen zu, am Ende fällt etwas Essbares bei meinem Treiben ab? Man weiß doch nie? Spöttische Rufe von oben und von hinten, als sie merken, dass ich da im Ernst nur dünne Zweige sammele. Was soll das werden, was der da macht, ein neues Nest im Januar oder was? Die spinnen doch, die Menschen. Sie lachen heiser und herablassend, als sei ich die clowneske Comedyshow des Tages. Ey, hast du den Menschen gesehen? Gleich fällt der erste Vogel vom Baum vor Lachen, so klingt es.

Ich kann so nicht arbeiten. Ich steige ins Auto und fahre wieder nach Hause, wo ich auch nicht arbeiten kann, aber aus anderen Gründen.

Abwechslung, so wichtig.

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Imre Grimm ist etwas sauer.

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